Es sind nicht die Parolen, die mich erschüttern. Es ist die Tatsache, dass sie ausreichen. Dass sie genügen, um Zustimmung zu erzeugen, Empörung zu mobilisieren, politische Entscheidungen zu legitimieren. Auf Plattformen wie X wird nicht mehr diskutiert, sondern deklamiert. Schlagworte ersetzen Argumente, Polarisierung ersetzt Differenzierung.

Die Bundesregierung, flankiert von der Union, verkündet in etlichen Posts und Memes das Ende des Bürgergelds in markigen Worten. „Fordern und Fördern“ sei zurück, „Verweigerer“ bekämen nichts mehr. Am pointiertesten, wen wundert es: Markus Söder. Kein Kontext, keine rechtliche Einordnung, kein Hinweis auf das Bundesverfassungsgericht, das klare Grenzen gesetzt hat. Nur Schlagworte. Und sie wirken. Triumphale Selbstzweckrhetorik.
Ich habe es selbst heute erlebt: Die differenzierte Darstellung der Rechtslage in einem Post wird von X zur Prüfung freigegeben – die parolenhafte Verhöhnung dagegen bleibt unkommentiert. Das ist keine Diskurskultur mehr, das ist algorithmisch verstärkte Verrohung. Und sie greift um sich.
Markus Söder gießt Öl ins Feuer, wo immer es brennt. Sein Lieblingsthema neben dem „Sieg“ beim Bürgergeld: die EU-Beschlüsse zur Bezeichnung von Fleischersatzprodukten. Söder feiert das. Ein Nebenschauplatz, der sich bestens eignet, um soziokulturelle Ressentiments zu bedienen. Währenddessen wird die politische Selbstverantwortung delegitimiert durch Dauererregung.
Die sogenannten sozialen Medien beschleunigen diesen Verlust an demokratischem Gemeinschaftsgefühl nicht nur – sie verursachen ihn im Kern. Sie ersetzen Öffentlichkeit durch Sichtbarkeit, Diskurs durch Algorithmus, Gemeinschaft durch Reichweite. Was zählt, ist nicht das Argument, sondern die Reaktion. Nicht das gemeinsame Ringen um Wahrheit, sondern die performative Zuspitzung.
In diesen Räumen wird nicht mehr gefragt, was verbindet, sondern was trennt. Die Logik der Plattformen belohnt Polarisierung, nicht Verständigung. Und wer differenziert, wird zur Ausnahme – oder zur Zielscheibe. So wird aus demokratischer Öffentlichkeit ein fragmentiertes Resonanztheater, in dem die leiseren Stimmen kaum noch durchdringen.
Ein Schlaglicht
Unter einem an vielen Stellen auftauchenden BILD-Screenshot mit der sinngemäßen Schlagzeile „Dreimal Termin geschwänzt, Geld weg“ kommentiert jemand, man müsse eben Bescheid geben, wenn man einen Termin nicht wahrnehmen könne. Für dreimaliges „Schwänzen“ habe er keinerlei Verständnis. Ein typischer Beitrag – nicht bösartig, aber blind gegenüber der Realität anderer. Die eigene Lebenswirklichkeit wird zum Maßstab für komplexe, oft traumatisierende Umstände, die man nicht kennt und nicht kennen will.

Kein Mitgefühl, keine Spur von Verständnis – obwohl sich längst jeder informieren könnte, wie das Leben aussieht für Menschen, die von Behörden, pausenlosen Anforderungen und existenzieller Unsicherheit zermürbt werden. Aber die Plattform belohnt die schnelle Meinung, nicht die stille Einsicht. Und so wird aus Unwissen Haltung, aus Haltung Urteil, aus Urteil Ausschluss.
Es ist nicht nur irrational. Es ist eine stille Kapitulation vor dem Populismus, eine Preisgabe des demokratischen Grundgefühls, das uns verbinden sollte. Und es ist nicht das einzige Beispiel.
Dazu kann man nicht schweigen. Und ein Rückzug ins Privat-Persönliche ist keine Alternative – jedenfalls nicht für mich. Denn wer schweigt, überlässt das Feld denen, die es mit Parolen bestellen.
Abgesang auf ein Wort – und auf eine Partei, die es womöglich einmal ernst meinte
Die Rückkehr zum Begriff „Grundsicherung“ ist mehr als eine sprachliche Korrektur. Sie ist, je nach Perspektive, entweder eine Provoikation oder eine politische Kapitulation. Das „Bürgergeld“ war vor gerade einmal zwei Jahren nicht nur ein Begriff, sondern ein Versuch der SPD in der Ampelkoalition, sich aus dem Schatten der Agenda 2010 zu lösen. Es sollte die Würde betonen, nicht die Bedürftigkeit. Es war einer der wenigen Akte, mit denen die SPD erkennen ließ, dass sie das Trauma der Schröder-Jahre verstanden hatte – und sich davon distanzieren wollte.
Der Begriff „Bürgergeld“ war nie perfekt. Aber er war ein Versuch, Sprache als Schutzraum zu nutzen. Nun ist er gefallen. Und mit ihm eine Hoffnung.
Und das ist gravierend. Denn mit der Rückkehr zur „Grundsicherung“ kehrt auch die alte Logik zurück: Kontrolle statt Vertrauen, Misstrauen statt Teilhabe. Die semantische Rückabwicklung ist kein Zufall, sondern ein gezielter Schritt, getragen von konservativen Interessen, die das alte Stigma wieder salonfähig machen wollen. Dass die SPD das mitträgt, ist nicht bloß enttäuschend. Es ist eine endgültige Preisgabe ihres ursprünglichen Selbstverständnisses.
Besonders trifft mich, dass Bärbel Bas hier mitgewirkt hat, lange für mich eine der letzten Sozialdemokratinnen, denen ich noch zutraute, die ursprünglichen Werte ihrer Partei zu vertreten. Heute muss ich diese Hoffnung begraben. Das Bild in der ZEIT, das sie nach der Koalitionsrunde fröhlich mit den anderen Spitzen der Koalition in den Feierabend marschieren zeigt, hat mich tief getroffen. Nicht aus persönlicher Kränkung, sondern weil es symbolisiert, was verloren geht: die Verbindung zwischen politischer Verantwortung und sozialer Wirklichkeit.
Die SPD hat sich mit der Rückbenennung des Bürgergeldes in Grundsicherung nicht nur sprachlich verabschiedet. Sie hat sich inhaltlich entleert. Und wer das nicht sieht, sieht nicht, was Sprache leisten kann – und was sie verrät.
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