
In einem früheren Beitrag habe ich auf Basis von Berichten in der Berliner Zeitung und im Handelsblatt über vermeintliche Kürzungen im Bundeshaushalt für ME/CFS-Forschung geschrieben. Die Schärfe meiner Kritik bezog sich auf die politische Signalwirkung und die Sorge vieler Betroffener, dass die dringend benötigte Forschungs- und Versorgungsoffensive ins Stocken geraten könnte.
Nach Rückmeldung einer wichtigen ME/CFS-Organisation möchte ich die Lage differenzieren: Die Mittel des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für Versorgungsforschung – insbesondere für den Aufbau von Versorgungsnetzwerken und Post-Covid-Ambulanzen – sind offenbar gegenüber den Planungen noch unter Minister Lauterbach nicht gekürzt worden. Vielmehr liegt das Problem im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMFTR), dessen Budget für Grundlagenforschung und Arzneimittelentwicklung weiterhin auf einem unzureichenden Niveau stagniert.
Die Kritik richtet sich gegen die strukturelle Unterfinanzierung im Bereich der biomedizinischen Forschung – nicht gegen die Versorgungsmaßnahmen des BMG.
Differenzierung ohne Relativierung – Was stimmt, was nicht?
Die Rückmeldung der ME/CFS-Organisation zeigt: Die Berichterstattung in Berliner Zeitung und Handelsblatt war in der ministeriellen Zuordnung ungenau. Die vermeintlichen „Kürzungen“ betreffen nicht das Bundesgesundheitsministerium (BMG), sondern meinen die strukturell unzureichende Ausstattung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMFTR) im Bereich biomedizinischer Grundlagenforschung und Arzneimittelentwicklung.
Aber – und das ist entscheidend – die Kernaussage der Artikel bleibt richtig: Es wird zu wenig getan. Selbst der frühere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat den Handelsblatt-Artikel öffentlich kommentiert und eingeräumt: „Wir müssen mehr tun.“
Diese Aussage ist bemerkenswert. Sie zeigt, dass die Kritik nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern eine breite Resonanz findet – in der Wissenschaft, bei Betroffenen und in Teilen der Politik. Die Organisation berichtet von Gesprächen mit klarsichtigen Abgeordneten, von einer Demo im Oktober vor dem BMFTR, von wachsendem Druck aus den Wahlkreisen. Es entsteht der Eindruck eines politischen Willens zur Verbesserung – aber eben auch eines ministeriellen Stillstands.
Forschung braucht Augenhöhe – auch international
Besonders betroffen von der Unterfinanzierung im BMFTR ist der Bereich der biomedizinischen Grundlagenforschung – und damit auch die Arbeit von Prof. Carmen Scheibenbogen, deren Studien international beachtet werden. Gerade dieser Forschungszweig ist entscheidend für die langfristige Versorgungsperspektive von ME/CFS-Betroffenen – denn Versorgungsnetzwerke allein helfen nicht, wenn es keine wirksamen Therapien gibt.
Die Mittel, die das BMFTR für diesen Bereich vorsieht – zuletzt rund 15 Millionen Euro für das Jahr 2026 – reichen nicht aus, um Forschung auf Augenhöhe mit internationalen Entwicklungen zu betreiben. Auch wenn der große Durchbruch vermutlich nicht aus Deutschland kommen wird, ist die Forschung ein internationales Unterfangen, zu dem alle beitragen müssen – nicht nur aus wissenschaftlicher Solidarität, sondern auch aus gesundheitspolitischer Verantwortung.
Deutschland kann sich hier nicht auf die Rolle des Beobachters zurückziehen. Es muss Teil der Lösung sein – durch angemessene Finanzierung, durch institutionelle Unterstützung, und durch die Anerkennung, dass ME/CFS nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein gesellschaftliches Thema ist.
Korrektur ist kein Rückzug – sondern Teil publizistischer Verantwortung
Dass ich meine frühere Darstellung korrigiere, ist kein Rückzug, sondern Ausdruck dessen, was ich auch von anderen erwarte: Verantwortung im Umgang mit Öffentlichkeit. Die Kritik an der strukturellen Unterfinanzierung der ME/CFS-Forschung bleibt bestehen – sie wird nun lediglich präziser verortet. Und sie gewinnt an Gewicht, wenn sie sich auf belastbare Informationen stützt, wie sie mir von engagierten Betroffenen und Organisationen zur Verfügung gestellt wurden.
Gerade in einem politisch aufgeladenen Feld wie der Gesundheitsforschung ist es wichtig, zwischen Symbolpolitik und struktureller Zuständigkeit zu unterscheiden. Wer das nicht tut, läuft Gefahr, die richtigen Fragen an die falschen Adressaten zu richten – und damit den politischen Druck zu zerstreuen, statt ihn zu bündeln.
Ich bleibe dabei: Die Forschung zu ME/CFS verdient mehr – mehr Mittel, mehr Aufmerksamkeit, mehr institutionelle Verankerung. Aber sie verdient auch eine klare, faire und strukturierte öffentliche Debatte. Und dazu gehört, dass man bereit ist, eigene Formulierungen zu überprüfen, wenn neue Informationen vorliegen.
			
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