
Man muss schon frühmorgens einigermaßen resilient sein, wenn man noch vor dem ersten Kaffee auf ein solches Kleinod moderner Kommunikationskunst stößt.
Da erscheint eine Anzeige von Instagram, die – so steht es dort ausdrücklich – politische Werbung ist.
Der Claim lautet:
„Instagram unterstützt ein EU-weites digitales Mindestalter, das die Zustimmung der Eltern erfordert.“
Beim ersten Lesen denkt man, das sei bloß ein wenig unglücklich formuliert. Beim zweiten Lesen merkt man: Nein, das ist gar nicht mehr Sprache im eigentlichen Sinn.
Hier spricht die Maschine des Marketings – und sie weiß nicht mehr, was sie sagt.
1. Der Begriff, den es nicht gibt
„Digitales Mindestalter“ – was soll das sein?
Ein Alter, ab dem man digital ist?
Oder eines, ab dem man ins Internet darf?
Oder gar das Alter des Gerätes, das zur Benutzung ansteht?
Tatsächlich geht es, wie man mit etwas Hintergrundwissen weiß, um eine Initiative der EU-Mitgliedsstaaten, die Mindestalter für den Zugang zu bestimmten Online-Diensten festlegen will – zum Beispiel zu Social-Media-Plattformen.
Aber das erfährt man aus der Anzeige nicht.
Der Begriff digitales Mindestalter ist reine PR-Erfindung – ein Scheinbegriff, der technokratisch klingt, aber nichts bezeichnet. Er wirkt, als sei er aus der Maschine selbst gefallen: glatt, korrekturfest, bedeutungsleer.
2. Der Satz, der sich selbst widerspricht
„… das die Zustimmung der Eltern erfordert.“
Grammatikalisch bezieht sich dieses das auf das Mindestalter.
Das Mindestalter erfordert also die Zustimmung der Eltern?
Ein hübscher Gedanke: Das Alter, eine juristische Abstraktion, verlangt Einverständnis.
Eine grammatikalische Korrektur wäre:
„… bei dem die Zustimmung der Eltern erforderlich ist.“
Präzision stört offenbar den Fluss der Corporate Syntax. Die Formulierung wurde offenkundig von Juristen, Marketing und Übersetzungssoftware gemeinsam zu Tode abgestimmt.
Aber selbst wenn man den Satz grammatikalisch repariert, bleibt die Frage: Was bedeutet er?
Denn auch inhaltlich ist er widersprüchlich.
Es gibt nur eine Lesart, die überhaupt Sinn ergäbe:
Ein Kind unterhalb eines bestimmten Mindestalters dürfte sich bei Instagram nur anmelden, wenn die Eltern zustimmen.
So könnte eine EU-Regelung aussehen – und nur so ergibt der Gedanke „Zustimmung der Eltern“ irgendeinen Sinn.
Doch das steht da nicht.
Die wörtliche Formulierung legt vielmehr nahe, dass selbst beim Erreichen des Mindestalters noch eine Zustimmung erforderlich wäre,
Das ist absurd.
Bleibt eine dritte Möglichkeit: Der Satz ist gar keine inhaltliche Aussage, sondern ein symbolischer Gestus.
„Zustimmung der Eltern“ soll einfach wie Verantwortung klingen – ganz gleich, ob es eine solche rechtliche Regelung überhaupt geben soll.
Damit wäre der Satz, genau besehen, keine Aussage, sondern ein Sound.
3. Das Paradox der Moral
Und dann der Inhalt:
Instagram, Teil von Meta, wirbt für eine Regulierung, die eigentlich gegen seine eigenen Geschäftsinteressen steht – ein EU-weites Mindestalter für die Nutzung digitaler Dienste.
Warum?
Weil es in Wahrheit nicht um Kinder, sondern um Regulierungspolitik geht.
Meta signalisiert Brüssel: Wir sind die Guten. Wir brauchen keine neuen Gesetze, wir regeln das selbst.
Das ist nicht Moral, sondern Moralmarketing.
4. Sprache als Beruhigungsmittel
Diese Anzeige ist in jeder Hinsicht ein Symptom – nicht bloß eines sprachlichen, sondern eines gesellschaftlichen Zustands:
Wenn Worte nur noch den Eindruck von Verantwortung erzeugen sollen, verlieren sie jede Bedeutung.
Dann entstehen Sätze wie dieser: sauber, glatt, falsch.
Und niemand merkt’s.
Dabei zeigt sich hier exemplarisch ein Problem, das über Instagram hinausgeht:
Die zunehmende rechtliche und sprachliche Unschärfe im Umgang mit digitalen Diensten für Minderjährige.
Schon jetzt steht jede Zustimmung zu Nutzungsbedingungen Minderjähriger unter dem Vorbehalt elterlichen Widerspruchs – ein kaum praktikabler Zustand.
Wie sollen solche Zustimmungen künftig gestaltet werden, wenn man gleichzeitig von „Mindestalter“ und „Elternzustimmung“ spricht?
Die Widersprüchlichkeit ist eingebaut.
Aber es geht eigentlich um viel Grundsätzlicheres, wie mein Blogartikel über das unglückliche entsprechende Gesetz in Australien ausführt.
5. Das unregulierbare Wort: „Online-Dienste“
Wir sind aber immer noch nicht am Ende.
Das eigentliche Problem beginnt schon beim zentralen Begriff selbst.
Was sind eigentlich „Online-Dienste“?
Nach EU-Definition (Digital Rights Act) umfasst dieser Ausdruck jede Form digital vermittelter Leistung – vom Cloud-Speicher über soziale Netzwerke bis hin zu Online-Banking, Lernsoftware, Suchmaschinen und KI-Systemen.
Wenn also ein „Mindestalter für Online-Dienste“ gefordert wird, ist das, wörtlich genommen, eine Altersgrenze für das Internet selbst.
Die Formulierung schießt weit über ihr Ziel hinaus:
Sie sagt nichts, weil sie alles meint.
Was vermutlich gemeint war – der Schutz Minderjähriger in sozialen Medien – geht in dieser Beliebigkeit völlig unter.
So wird Sprache, die Präzision schaffen sollte, zum Nebelwerfer:
„Digitale Dienste“ klingt modern, ist aber inhaltlich unregulierbar – und zeigt, wie PR, Politik und Plattformen inzwischen ein gemeinsames Vokabular gefunden haben, das nichts mehr klärt, sondern nur noch Komplexität simuliert.
Epilog
Man sollte solche Dinge nicht überbewerten, heißt es dann. Ja, erschreckend ist es schon, welchen Umfang die gründliche Analyse einer so einfach daherkommenden Anzeige einnimmt. Das soll hier auch nicht zum Regelfall werden.
Aber Sprache, die so redet, verrät ein Denken, das so denkt.
Und vielleicht beginnt der Kampf um die kulturelle Selbstachtung tatsächlich dort, wo man solche Sätze nicht mehr hinnimmt, sondern einfach sagt:
„Das ergibt keinen Sinn.“
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