
Pressemitteilung des Deutschen Bundestages vom 10.10.2025
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 11. Oktober 2025):
„Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, verteidigt die Pläne der Koalition, der Bundesregierung künftig die Bestimmung asylrechtlich sicherer Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung zu ermöglichen. Bedenken, dass dies verfassungswidrig sei, teile sie nicht, sagte Eichwede in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Die europäischen Regelungen eröffneten diese Möglichkeit. Bislang erfolgt die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten dem Grundgesetz-Artikel 16a entsprechend durch ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Eichwede sagte, das Wichtige sei nicht, ob die Bundesregierung einen solchen Beschluss fasst oder Bundestag und Bundesrat, sondern welche Voraussetzungen für eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten gegeben sein müssen. „Und an diesen Voraussetzungen soll sich schließlich nichts ändern. Das ist das Wesentliche“, betonte sie. In der Vergangenheit waren vom Bundestag beschlossene Einstufungen als sichere Herkunftsstaaten mehrmals an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates gescheitert. Es habe, sagte die SPD-Parlamentarierin, mehrfach die Situation gegeben, „dass die Voraussetzungen der Einstufung vorlagen, aber die Entscheidung der Hochstufung aus anderen Erwägungen scheiterte“. Das sei auch kein guter Zustand. Sie sei „sonst sehr dafür, dass das Parlament Dinge selbst in der Hand hat“, aber ob Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, könne auch die Exekutive entscheiden.“
Wenn die Voraussetzungen gegeben sind … – Über die schleichende Entparlamentarisierung im Asylrecht
Es klingt harmlos. Fast technisch. „Wenn die Voraussetzungen gegeben sind …“ – so begründet die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, die Pläne, künftig die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung durch die Bundesregierung zu ermöglichen. Was bislang ein Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates erforderte, also so etwas wie die höchste Stufe der Gesetzgebung, soll nun durch die Exekutive per Rechtsverrordnung entschieden und geregelt werden. Effizienzgründe. Praktikabilität. Man kennt das.
Doch wer genau hinhört, erkennt den Bruch: Die Formulierung suggeriert, es gehe um objektive Kriterien, um ein binäres System – Voraussetzungen erfüllt, Schalter umgelegt, fertig. Als wäre die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten ein rein administrativer Akt. Dabei ist sie ein zutiefst politisches Statement, das über die Schutzwürdigkeit ganzer Bevölkerungsgruppen entscheidet. Und das Grundgesetz weiß das. Deshalb verlangt Artikel 16a GG den Gesetzesvorbehalt – nicht aus Formalismus, sondern aus demokratischer Verantwortung.
Die Argumentation Eichwedes ist symptomatisch für eine Entwicklung, die man schleichende Entparlamentarisierung nennen muss. Wenn die Exekutive entscheidet, ob ein Land als sicher gilt, ohne parlamentarische Debatte und ohne Zustimmung des Bundesrates, dann wird politische Bewertung zur Verwaltungsroutine. Und das ist gefährlich. Denn die Voraussetzungen sind nie rein technisch. Sie sind interpretationsbedürftig, streitbar, kontextabhängig. Genau deshalb braucht es das Parlament – als Ort der Auseinandersetzung, der Pluralität, der Verantwortung.
Dass eine führende SPD-Abgeordnete diese Verschiebung verteidigt, zudem offen artikuliert, dass das parlamentarische Verfahren in der Vergangenheit oft „lästig“ gewesen sei, ist besonders bitter. Denn es zeigt, wie sehr sich auch die einst staatsbürgerlich geprägten Kräfte dem Effizienzdenken der Exekutive unterwerfen. Die Begründung, man sei „sonst sehr dafür, dass das Parlament Dinge selbst in der Hand hat“, wirkt da wie ein hilfloser Nachsatz. Als hätte man vergessen, dass gerade im Asylrecht das Parlament der Ort sein muss, an dem Schutz und Begrenzung verhandelt werden – nicht die Kabinettsrunde. Wenn selbst bei Bundestagsabgeordneten der Sinn für Gewaltenteilung erodiert, dann ist das sehr bedenklich.
Was hier als Beitrag zur Effizienzsteigerung verkauft wird, ist in Wahrheit eine Verlagerung von bewusst gestalteter Verantwortung im demokratischen System. Und wer das nicht erkennt, erkennt nicht, was Demokratie ausmacht: nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Weg dorthin. Checks and balances, wie es in den USA so schön heißt.
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