Warum der SPIEGEL-Kommentar vom 24.09.25 zu Friedrich Merz das eigentliche Problem verfehlt

Friedrich Merz ist unbeliebt – das ist unstrittig. Der heutige SPIEGEL-Leitartikel von Florian Gathmann (freier Link) greift dieses Thema auf, bleibt aber an der Oberfläche: Gebrochene Wahlversprechen und der „Schuldenbremsen-Wortbruch“ sollen die wesentlichen Ursachen sein. Doch das greift meines Erachtens zu kurz. Es geht nicht um Programmtreue, sondern um politischen Stil, Wirkung und Verunsicherung.
Florian Gathmann diagnostiziert im SPIEGEL zu Recht die massive Unbeliebtheit von Friedrich Merz nach einem halben Jahr Regierungszeit. Doch seine hauptsächliche Erklärung – gebrochene Wahlversprechen und „Wortbruch“ – greifen zu kurz. Die Ursachen liegen tiefer: Merz ist nicht unbeliebt, weil er zu wenig geliefert hat, sondern weil er zu viel verunsichert hat.
Die Wahl war kein Vertrauensvorschuss
Merz respektive die Union wurde von knapp 30 % der Wahlberechtigten gewählt. Ein großer Teil davon sind Gewohnheitswähler, denen Programme und Versprechen wenig bedeuten. Die Vorstellung, Merz müsse nun Vertrauen „zurückgewinnen“, setzt voraus, dass er es je besessen hätte. Das ist fraglich, angesichts von 70+ Prozent der Wahlberechtigten, die sich nicht für ihn entschieden haben.
Viele seiner Versprechen waren keine Angebote, sondern eher Drohungen:
– Härte in der Migrationspolitik
– Sozialpolitische Rückschritte
– Rhetorik der Abgrenzung statt der Verständigung
Wer solche Botschaften nicht nur im Wahlkampf, sondern auch als Kanzler sendet, darf sich über mangelnde Beliebtheit nicht wundern. Bedenkt man dies, ist das Narrativ der Unbeliebtheit wegen „gebrochener Wahlversprechen“ vielleicht doch ein wenig schräg.
Politikstil statt Programmtreue
Merz’ Unbeliebtheit speist sich nicht aus enttäuschten Erwartungen, sondern aus erlebter Irritation. Seine Auftritte als Kanzler sind geprägt von Sprüchen, nicht von Substanz. Statt Orientierung zu geben, setzt er auf Polarisierung. Statt Vertrauen zu schaffen, tritt er rhetorisch nach unten und zeigt dabei durchaus auch Unkenntnis im wichtigen Detail.
Ein Beispiel: Die geplanten Kürzungen bei den Unterkunftskosten für Bürgergeldempfänger.
– Merz spricht von „20 Euro pro Quadratmeter“ und „2000 Euro Miete“ – ohne Kontext, ohne Differenzierung.
– Die Realität: Angespannte Wohnungsmärkte, fehlender sozialer Wohnungsbau, Menschen in Not, längst gedeckelte Wohnkosten im Bürgergeldsystem.
– Die Wirkung: Schuldumkehr, soziale Kälte, populistische Verzerrung.
Schuldenbremse – kein Wortbruch, sondern Einsicht
Gathmanns Fokus auf den „Wortbruch“ bei der Schuldenbremse verfehlt ebenfalls den Kern. Die Abkehr von dogmatischer Haushaltsorthodoxie ist kein Makel, sondern ein Zeichen von Realitätssinn. Das bin ich bereit anzuerkennen. Ob das Meme vom „Wortbruch“ außerhalb der Medien trägt, halte ich für fraglich.
Die Weltlage hat sich verändert: Verteidigung, Infrastruktur, soziale Sicherung brauchen Investitionen. Merz hat sich – zumindest formal – dieser Einsicht angeschlossen.
Doch schäbig ist nicht der Kurswechsel. Schäbig ist, dass Merz offensichtlich wider besseres Wissen das alte Dogma der Schuldenbremse im Wahlkampf genutzt hat, um die Ampelkoalition zu sprengen. Nicht die Schuldenbremse war das Problem – q.e.d., sondern ihre politische Instrumentalisierung im Wahlkampf. Diese Inszenierung diente nicht der Haushaltsdisziplin, sondern der Machtstrategie.
Fazit
Merz’ Unbeliebtheit ist kein Kommunikationsproblem, sondern ein Stilproblem. Er wirkt nicht als Kanzler, sondern als Kommentator seiner eigenen Regierung. Er spricht nicht mit den Menschen, sondern über sie. Und er nutzt politische Themen nicht zur Lösung, sondern zur Spaltung.
Wer Vertrauen zurückgewinnen will, muss Verantwortung übernehmen – nicht nur rhetorisch, sondern strukturell. Merz hat das bislang nicht gezeigt.
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