Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Schlagwort: Unwissenschaftlich

Homöopathie – Wunderglaube?

Die Homöopathieanhänger finden nichts dabei, einer Methode das Wort zu reden, die sich in ihrem eigenen Alltag ständig selbst widerlegt. Eine erstaunliche Form von Glaubensfestigkeit.

Häufig weisen Kritiker darauf hin, dass Homöopathie als Methode vor allem deshalb schon a priori obsolet sei, weil ihre Grundlagen gegen naturgesetzliche Gegebenheiten, gegen wissenschaftlich erstklassig abgesicherte Erkenntnisse verstoßen, die sich täglich, stündlich, sekündlich in unser aller Alltag manifestieren – nur für die Homöopathie jedoch suspendiert sein sollen. Häufig kommt die Frage nach genauerer Erläuterung dieser Position. Wir wollen es im Folgenden versuchen.

Hat Tante Jutta mal wieder den Kaffee zu stark für Oma Hilde gekocht, holt man heißes Wasser und gibt es für die Oma zum Kaffee dazu. Oma ist gerettet!

Nimmt ein 90 kg-Mann eine Ibuprofen-Tablette mit 200 mg Wirkstoff, weil er unangenehme Kopfschmerzen hat, wird er keine Wirkung feststellen, weil die Wirkstoffmenge einfach nicht ausreicht. Also nimmt er sinnvollerweise noch eine.

Was sollen nun diese Trivia in unserem Zusammenhang, wird man fragen. Eben – Trivia! Offenbar sind einem solche Selbstverständlichkeiten gar nicht recht präsent, wenn man geneigt ist, den Lehren der Homöopathie ein offenes Ohr zu schenken. Denn: Nach der Lehre der Homöopathie entsteht beim Verdünnen und Verschütteln eines Ausgangsstoffes ein „Mehr“, das nicht exakt definiert ist, von Hahnemann als „geistige Arzneikraft“ benannt, von seinen heutigen Exegeten meist als „Energie“ oder „Information“, allerdings keineswegs in der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Begriffe (eine bekannte pseudomedizinische Spezialität, die Differenz zwischen Sagen und Meinen). Aber ein „Mehr“ soll entstehen – und an „Stärke“ sogar noch mit jedem Verdünnungs- und Verschüttelungsschritt zunehmen – siehe Omas Kaffee. Zugleich soll eine Niederpotenz, die noch „viel“ vom (angeblichen) Wirkstoff enthalten kann, „zu schwach“ sein. Siehe unseren 90 kg-Mann.


Dies führt dazu, dass der klassische Homöopath eine tiefe Ehrfurcht vor homöopathischen Hochpotenzen hat, denen nach der Lehre eine gewaltige Kraft innewohnen müsste, geeignet, Kranke nachhaltig zu kurieren, aber gleichzeitig Gesunde mit eben den Symptomen zu versehen, die beim Kranken geheilt werden sollen. Dies zu widerlegen, als blanken Unsinn zu entlarven, ist Sinn und Ziel der bekannten 10^23-Aktionen der Homöopathiekritiker (nach der Verdünnung in der 23. Zehnerpotenz fällt der Wahrscheinlichkeitswert für die Anwesenheit eines Moleküls der Ursubstanz statistisch unter Eins). Homöopathen bezeichnen diese „Selbstversuche“ als blanken Unsinn, begründet mit unterschiedlichen homöopathischen Spitzfindigkeiten, es bleibt jedoch der Umstand, dass diese Mittel erhebliche Wirkungen auf die Probanden haben müssten.

Aber zurück zu den Grundlagen.

Weniger wird zu irgendeinem „Mehr“ – dieses faktisch Wenige soll wiederum „stärker“ beim Kranken wirken als um etliche Zehner- oder gar Hunderterpotenzen geringer verdünnte Vorstufen des Mittels? Offensichtlich unvereinbar mit dem Fall unseres Kopfschmerzpatienten und dem von Oma Hildes Kaffeetasse. Fragen wir doch mal ganz naiv nach bei den Homöopathen, was sie dazu zu sagen haben.

Nun, dann wird – wenn überhaupt – in aller Regel damit geantwortet, dass all dies ja „nur für die Homöopathie“ gelte. Nun möge man einmal erklären, bitte, wieso ausgerechnet für die Homöopathie andere Naturgesetze gelten sollen als am Kaffeetisch, in der Spülmaschine, in industriell-chemischen Prozessen, bei der Einnahme von pharmazeutischen Arzneimitteln oder gar Toxinen? Das ist gelebte Irrationalität, das partielle Außerkraftsetzen der naturgesetzlichen Grundlagen unzähliger Alltagsvorgänge durch höhere Mächte. Gesetzlich geschützt und beglaubigt durch Paragraf 38 des deutschen Arzneimittelgesetzes, der den Wunderglauben in der Tat als solchen bekräftigt, indem er Homöopathika von wissenschaftlichen Beweisführungen zu ihrer Wirksamkeit suspendiert und sie gleichwohl als Arzneimittel in den Markt gelangen lässt.


Und im Detail weitergeführt: Jedes Lösungsmittel zur Herstellung homöopathischer Mittel (Laborwasser, Reinzucker zum Verreiben, Laboralkohol) enthält Verunreinigungen mit allen möglichen Stoffen, die homöopathischen Potenzierungen zwischen D4 und D8 entsprechen. Nach dem amtlichen „Homöopathischen Arzneibuch“ darf der Verdunstungsrückstand an Feststoffen bei Laborwasser 1 mg auf 100 ml betragen, was D5 entspricht. Schlichtes Leitungswasser entspricht z.B. vom Gehalt an Arsen ziemlich exakt dem homöopathischen Mittel Arsenicum album in der Potenz D8, ohne dass dies physiologische Wirkungen auslöst – auch dauerhaft nicht.

Woher „weiß“ denn nun das Mittel, das der Homöopath als Ausgangsstoff ausersehen hat, dass es, und NUR es, sich in den Verdünnungsschritten „weiterpotenzieren“, „stärker“ werden soll? Und das soll nun auch noch gegenüber den Stoffen gelten wie dem genannten Arsen, die sich in gewisser Menge bereits im Lösungsmittel befanden? Diese Anteile sollen nun, obwohl chemisch identisch mit den vom Homöopathen „eingebrachten“ Molekülen, nicht an der wundersamen Metamorphose des Arsens zu einer starken „geistigen Arzneikraft“ teilhaben? Wobei beim Alkohol als Lösungsmittel noch eine Rolle spielen müsste, ob er seine Herstellung der Destillation aus Kartoffeln, Rüben, Trauben, Mais oder Zuckerrohr verdankt, was jeweils andere Reststoffe hinterlässt? Beim Laboralkohol beträgt der zulässige Verdampfungsrückstand 2,5 mg auf 100 ml, dazu kommen noch die flüchtigen Fremdstoffe – das zusammen entspricht einer homöopathischen Potenz von noch unter D4, also einer ausgesprochenen homöopathischen Niederpotenz. Und damit will man abermillionenfach größere Verdünnungen herstellen? Ab D8 bringt man ersichtlich – immer wieder nur mit dem Lösungsmittel auf Wasserbasis neue D8-Dilutionen ein und verdünnt nicht einmal mehr … .

Dies ist – unmöglich. Spätestens hier zerschellt der ständige Einwand der Homöopathen, „die Wissenschaft“ sei „noch nicht so weit“, Homöopathie zu verstehen. O nein! Die Wissenschaft weiß sehr gut und mit hinreichender Gewissheit, dass die Homöopathie nicht bewiesen werden wird. Denn entweder wäre sie im buchstäblichen Sinne ein Wunder, eine selektive Außerkraftsetzung naturgesetzlicher Gegebenheiten (ist sie nicht, weil sie schon an allen Beweisversuchen für eine Wirksamkeit gescheitert ist, es gibt also gar kein zu erklärendes Phänomen) oder unser biologisches, physikalisches, chemisches Wissen wäre in vielfacher Hinsicht krass falsch oder mindestens massiv unvollständig.


Letzteres würde dann aber nicht nur einfach eine Integration der Homöopathie in den Wissenschaftskanon bedeuten, so einfach ist das nicht. Es würde gleichzeitig erfordern, alle die Bereiche, die bislang als widersprüchlich ausgemacht wurden, in Biologie, Physik, Chemie durch andere, ebenso logisch konsistente neue Erklärungsmodelle zu ersetzen, die mit der Homöopathie und mit unseren Alltagserfahrungen gleichzeitig vereinbar wären. Ich erlaube mir an dieser Stelle nochmals das Statement, auch und gerade aus der Sicht von jemandem, der im Popperschen Sinne die Begrenzheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit in der Empirie (wegen des unlösbaren Induktionsproblems) anerkennt. Dies IST unmöglich (es ist ja kein emprischer Befund, sondern ein logisch aus Axiomen abgeleiteter). Hinweis am Rande: Es ist auch in der Empirie nicht eigentlich „unmöglich“, die „Wahrheit“ (besser: die ganze Realität) aufzuspüren. Nur können wir nicht wirklich wissen, ob und wann dies der Fall ist.


Von der Wissenschaftslogik noch einmal zu einigen Details der konkreten Unvereinbarkeit homöopathischer Grundannahmen mit naturgesetzlichen Axiomen.

Die Homöopathen können nicht erklären, WAS denn nun dasjenige sein soll, was als „verstärktes“ Agens am Ende bei der homöopathischen Potenzierung (aka Verdünnung) herauskommen soll. Hahnemann bezeichnete dies als „geistige Arzneikraft“ und wollte dies durchaus immateriell verstanden wissen. Übrigens glaubte er den ultimativen Beweis für die Immaterialität seiner Arzneikraft gefunden zu haben, als er auch noch dem „Magnetstab“ homöopathische Heilkraft zusprach. Er war sehr beeindruckt von Franz Anton Mesmer, dem Suggestivheiler par excellence, dem die Psychosomatik-Forschung noch heute einiges verdankt. Hahnemann nun dachte den “Magnetismus” Mesmers (der natürlich auch bei diesem keine Rolle bei seinen Heilerfolgen spielte) in seine homöopathischen Kategorien um und glaubte damit, gegen die schon damals zahlreich gegen ihn auftretenden „Atomisten“ (im heutigen Duktus der Verteidiger der Homöopathie sind das die „reduktionistischen Materialisten“) triumphieren zu können:

Atomist! dich für weise in deiner Beschränktheit dünkender Atomist! sage an, welcher wägbare Magnettheil drang da in den Körper, um jene, oft ungeheuern Veränderungen in seinem Befinden zu veranstalten? Ist ein Centilliontel eines Grans (ein Gran-Bruch, welcher 600 Ziffern zum Nenner hat) nicht noch unendlich zu schwer für den ganz unwägbaren Theil, für die Art Geist, der aus dem Magnetstabe in diesen lebenden Körper einfloss? … (Hahnemann, Reine Arzneimittellehre, 2. Auflage, II. Teil, S. 212).

Dies nur zur Illustration der damaligen Gedankengänge, die durch unser heute weit differenzierteres Wissen obsolet geworden sind. Homöopathen ist Hahnemanns Gleichsetzung des „Geistes aus dem Magnetstabe“ mit der arzneilichen Wirkung konkreter Stoffe allerdings recht peinlich – man hört so gut wie nie davon in ihren Kreisen und in ihren Fortbildungen, es ist ja in der Tat ein Punkt, der Zweifel an der Arzneimittellehre Homöopathie wecken könnte. Steht ja auch weit hinten in Hahnemanns „Organon der Heilkunst“, so weit liest ja eh keiner, ganz zu schweigen von der „Reinen Arzneimittellehre“ … außer den Kritikern. Obwohl – es gibt ja heute auch Mittel auf der Grundlage von Mondschein, Erdstrahlung etc. pp. …


Wir erwähnten eben schon die berühmte 23. Zehnerpotenz als Grenze für einen letzten Gehalt an Wirkstoffmolekülen. Dieser Wert bestimmt sich nach der Avogadro-Konstante, die die Teilchenzahl in einem Mol einer Substanz angibt (welche Masse ein Mol bei gleich definierter Teilchenzahl hat, bestimmt sich nach dem Atomgewicht der jeweiligen Substanz). Das ist eine Konstante von n = 6,022 x 10 hoch 23. Bei homöopathischer „Potenzierung“ in Zehnerschritten (D-Potenzen) fällt nach der 23. Verdünnungsstufe von einem Mol der Ausgangssubstanz die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit eines Ursubstanz-Moleküls in der erreichten Lösung unter einen Wert von 1 (Avogadro-Grenze) und weiter asymptotisch gegen null. Dies sind statistisch zu verstehende Werte, eine faktische Freiheit von Restmolekülen der Ursubstanz kann in der Praxis aufgrund verschiedener Umstände bereits viel eher gegeben sein. Welcher Verdünnungsschritt genau bei welchem Stoff nun die Avogadrogrenze „erreicht“, ist abhängig von der Teilchenzahl der Ursubstanz/Urtinktur und der molaren Masse des verwendeten Stoffs, aber die sich vom Idealfall von genau einem Mol Ursubstanz zu Beginn der Potenzierung ergebenden Abweichungen sind nicht gravierend und stellen das Prinzip nicht in Frage, wie die Homöopedia erklärt.

Es sei hier schon angemerkt, dass dies nicht mit der Grenze einer denkbaren pharmakologischen Wirksamkeit einer homöopathischen Potenz identisch ist; diese wird weit früher erreicht (wir kommen unten darauf zurück). Was die Homöopathen denn nun genau im Potenzierungsvorgang sehen, bleibt stets schwammig. Mal ist es doch etwas Materielles, mal Energie, mal Information, mal soll der Träger ein (vielfach widerlegtes) „Wassergedächtnis“ sein, mal müssen die „Erkenntnisse der Quantenphysik“ herhalten. Definiert oder gar nachvollziehbar erklärt wird – nichts.

Jedenfalls erwarten die Homöopathen ein Spezifikum aus ihrer Verdünnung und Verschüttelung, das eine Wirkung auf die Physis des Patienten hat.

Jedoch: Wo nichts ist, da kann nichts wirken. Und in Verdünnungen ab C12 / D24 ist nichts. Wer das bestreitet, schlägt sich auf die Seite des Wunderglaubens. Gerade die von der Homöopathie immer wieder bemühte Quantenphysik beweist, dass in der uns umgebenden Realität ohne energetische, das heißt materielle und somit prinzipiell messbare „Vermittlung“ keine Interaktion möglich ist. Ob Teilchen oder Welle, ob Verschränkung oder Superposition – ohne reale, mithin direkt oder indirekt messbare Vorgänge „läuft nichts“. Diese quantenphysikalischen Effekte sind völlig real, beobachtbar bzw. darstellbar, und sei es über ihre Auswirkungen. Wie sollten wir sonst etwas erfahren haben über die Phänomene der Quantenmechanik, ganz zu schweigen von ihren nicht mehr wegzudenkenden Nutzanwendungen? Für die behaupteten homöopathischen „Effekte“ gilt dies nicht. Irgendein Zusammenhang mit einem „noch nicht entdeckten homöopathischen Wirkprinzip“ sind Fantastereien und werden von Quantenphysikern „vom Fach“ klar zurückgewiesen.


Ein „Herausreiben“ oder „Herausschütteln“ von „Energie“, auch noch einer anderen „Qualität“ und/oder „Stärke“, durch den bei der Homöopathie praktizierten „Potenzierungsprozess“ widerspricht den Gesetzen der Thermodynamik. Die wenige kinetische Energie, die der Lösung durch Verschüttelung zugeführt und in Wärme (Zunahme der Molekularbewegung) umgewandelt wird, reicht niemals aus, den energetischen Gesamtzustand der Lösung dauerhaft zu verändern. Die Lösung geht in kürzester Zeit wieder in einen energetischen Gleichgewichtszustand mit ihrer Umgebung über. Die Durchmischung mag den Entropiezustand der Lösung verändern, allerdings in Richtung höherer Entropie – und damit weniger und nicht mehr „Information“. Zur Verdeutlichung: Solange der Zucker am Tassenboden liegt, befindet sich das Gesamtsystem „Tee“ in einem Zustand hoher Ordnung („Information“) und niedriger Entropie, denn der Zucker ist in Ort, Menge und Verteilung gut lokalisierbar. Rühre ich um und bringe damit den Zucker in Lösung, ist die Information über Ort, Menge und Verteilung um Zehner-, wenn nicht Hunderterpotenzen uneindeutiger; damit wird ein Zustand hoher Entropie und niedriger Ordnung (geringerem Informationsgehalt) erreicht.

Wir konstatieren an dieser Stelle: Die Annahme der Homöopathie, es werde so ein mehr an „Information“ oder „Energie“ bei immer mehr Verdünnungsstufen – mittels schlichter Verschüttelung – erreicht, postuliert das genaue Gegenteil dieser naturwissenschaftlich bestens belegten Fakten und verstößt damit gegen Naturgesetze. Also bleibt die Frage unbeantwortet, was in aller Welt mit dem Prozess von Verschütteln und Verrühren immer geringer konzentriert werdender Lösungen erreicht werden soll? Im Grunde wird in der Homöopathie erwartet, dass die uns aus dem Alltag geläufigen Verdünnungsprozesse irgendwie physikalisch „andersrum“ ablaufen sollen – auch die Unmöglichkeit dessen folgt aus den thermodynamischen Gesetzen. Entropie nimmt immer nur zu, nicht ab.

Als Fazit können wir festhalten: Hochpotenzen werden nicht „hergestellt“, indem durch ein Verdünnungs- und Verschüttelungsritual eine „Energie“, „Information“ oder meinetwegen eine „geistige Arzneikraft“ in das Lösungsmittel hineinpraktiziert wird. Sie werden „hergestellt“, indem in einem zeitaufwendigen Prozess in kleinsten Schritten die Ursubstanz in den Ausguss geschüttet wird. Gut – ab der 24. Zehnerpotenz schließt sich für jeden nächsten Schritt noch die „Verdünnung“ von reinem Lösungsmittel mit reinem Lösungsmittel an.


Betrachten wir zum Schluss noch die Niederpotenzen, die noch Reste der Ursubstanz beinhalten. Dass die Eignung durch Ähnlichkeitsprinzip und Arzneimittelprüfung „gefundener“ homöopathischer Mittel als Arzneimittel ohnehin in Frage steht, wollen wir dabei außer Acht lassen. Interessieren soll an dieser Stelle nur die Frage der Interaktion homöopathischer Mittel mit der menschlichen Physis (vor kurzem las ich gar, dass unterschiedliche Wirkungen von Tief-, Hoch- und Höchstpotenzen mit der „unterschiedlichen Metabolisierung“, also Verstoffwechselung, im Körper zusammenhängen sollen).

Die Wirkungsschwellen von Mitteln im menschlichen Körper sind ein komplexes Thema der pharmazeutischen Wissenschaft. Als belegt gilt der Satz des Paracelsus, wonach die Dosis das Gift macht. Das heißt aber auch, dass die Wirkung zugeführter Substanzen einer elementaren Dosis-Wirkungs-Beziehung unterliegt, die – auch durch ihre Rückführung auf das Massenwirkungsgesetz – axiomatische Gültigkeit im naturwissenschaftlichen Sinne beanspruchen kann. Das Potenzierungsprinzip spricht dem Hohn.

Was die quantitative Grenze der direkten Wirksamkeit von Stoffen angeht, so legt die Pharmazie in grober Näherung eine Menge von 1.000 Atomen bzw. Molekülen Wirkstoff je Körperzelle (!) fest. Man muss sich klar machen, dass das komplexe System “Mensch” in seiner Homöostase, den in einem Regelkreis von relativ engen Grenzwerten ablaufenden Lebensfunktionen in einem energetischen Gesamtzustand, eines ziemlich großen energetischen “Anstoßes” bedarf, damit zelluläre Vorgänge mit globaler Auswirkung angestoßen und in Gang kommen können. 1.000 Atome / Moleküle pro Körperzelle, in grober Näherung, abhängig vom Stoff, davon, ob Rezeptoren (Auslösen einer Wirkungskaskade) oder Acceptoren (Blockade von zellulären Funktionen) angesprochen werden oder ob eine unspezifische Wirkung angestrebt wird (z.B. Lähmung aller Umgebungsnervenenden bei lokaler Anästhesie).

Homöopathie kann uns nicht sagen, welche Art von Aufnahme im Körper sie überhaupt annimmt, weil sie sich mit der pharmazeutischen Physiologie schlicht nicht beschäftigt. (Homöopathen berufen sich manchmal auch auf andere Randphänomene wie z.B. die Wirkungsbereiche von Hormonen – die aber nur Botenstoffe, nicht selbst Wirkstoffe sind – oder die Geruchsempfindlichkeit für extreme Stoffverdünnungen, was aber von hochspezialisierten lokalen Rezeptoren erledigt wird und nicht den Zellstoffwechsel des Körpers verändert, gelegentlich auch die sogenannte Hormesis, die Arndt-Schulzsche Regel, mehr dazu hier.)

Da der menschliche Körper aus etwa 10^14 Zellen besteht, ergibt sich spätestens (!) ab einer Potenz von D8 bis – je nach Substanz – D10 die physikalisch-chemische Unmöglichkeit einer Wirkung. Tatsächlich muss man den Potenzgrad sogar noch niedriger ansetzen, in der Praxis wohl um D4 herum, aus zwei Gründen. Zum einen muss der Verlust durch die Aufnahme über den Verdauungstrakt und das metabolische System berücksichtigt werden, ein Faktor, der auch bei normalen pharmazeutischen Mitteln schon zu beachten ist. Zum anderen ergibt sich durch das Aufsprühen und Verdunsten der endgültigen Lösung in der gewünschten Potenz auf Zuckerkugeln (Globuli) bzw. das Einbringen in die für den Vertrieb bestimmte Lösung noch einmal eine Verringerung der Konzentration von etwa 1 : 100.

Es ist also eine schwere Irreführung, wenn die Homöopathen sagen, wir wüssten leider, leider nur „noch“ nicht, „wie“ Homöopathie wirkt. Wir wissen recht gut, warum sie nicht wirken kann. Ganz abgesehen davon, dass bislang niemand belastbar (evident) belegt hat, dass sie überhaupt wirkt.

_______________________

Bildnachweis: Phe Schlay auf Pixabay

Wissenschaft – zwischen Dogma und Toleranz?

    Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“
    und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.

    ZUM DEMARKATIONSPROBLEM AM BEISPIEL HOMÖOPATHIE

    Die Grenzziehung von Pseudowissenschaft und Wissenschaft, im speziellen Falle von Pseudomedizin und Medizin, ist ein ernsthaft behandeltes Problem der Wissenschaftstheorie. Man beschreibt es mit dem Begriff des „Demarkationsproblems“, auch Abgrenzungsproblem genannt.

    Es geht um die scheinbar schlichte Fragestellung, was die kritisch-rational orientierte Wissenschaft von der Pseudowissenschaft trennt und unterscheidet. Karl Popper selbst war einer der ersten, die dieses Thema aufwarfen. Das war vor dem Hintergrund seiner auf Falsifikation (Falschbeweisung) beruhenden Wissenschaftsprinzips wohl zwangsläufig. Nach manchen Wegen der Diskussion in die eine wie in die andere Richtung verfestigte sich gegen Ende der 1980er Jahre eine Tendenz, das Abgrenzungsproblem als letztlich unlösbar und möglicherweise sogar sinnlos zu betrachten. Die praktischen Folgen einer solchen Kapitulation haben jedoch wieder das dringend notwendige Umdenken befördert. Heute wird von vielen Erkenntnistheoretikern die Bedeutung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über die Trennung zwischen Pseudowissenschaft und kritisch-rational begründeter Wissenschaft wieder betont und diskutiert.

    In der Tat ist das Demarkationsproblem keineswegs theoretisch-akademischer Natur. Das führt uns die „Ära des Postfaktischen“ ja nun deutlich genug vor Augen. Ob zur längst nach den Kriterien belastbarer Erkenntnis komplett widerlegten Homöopathie, bei der Unsicherheit von Eltern in der Impffrage, die nach wissenschaftlichen Kriterien auch klar entscheidbar ist oder auch bei der offensichtlichen Erstarrung bei der Frage verantwortlichen Handelns in Sachen Klimaschutz wegen offenbar unzulänglicher Rezeption der Fakten – überall sehen wir ein Hinein- und Hinüberwirken von Pseudowissenschaft in Bereiche, denen nach strengen Erkenntniskriterien längst hohe bis höchstmögliche Evidenz, also hohe Gewissheit der gültigen Erkenntnis, zugeschrieben wird. Selbst dort, wo die Abgrenzung in großer Eindeutigkeit möglich ist, zeigt sie sich praktisch eben nicht als deutliche Grenzlinie, sondern verschwimmt zu einer breiten Grauzone. Die Ursachen sind vielfältig – ihren Ursprung haben sie durchweg in pseudowissenschaftlich „begründeten“ Gegenpositionen.

    Selbst wissenschaftsaffine Teile der Öffentlichkeit werden durch diese breite Grauzone zu einer falschen Wahrnehmung verführt. Bekanntlich ist es eine Methode der Pseudowissenschaften, sich mit einem wissenschaftlichen Duktus zu umgeben, sei es in der Diktion der Kommunikation selbst, sei es durch die Berufung auf – systemisch oder individuell – ungeeignete Belege (z.B. einzelne Studien) und ebensolche Autoritäten, ohne die in einer solchen Argumentationsweise liegenden vielfältigen Unsicherheiten und Probleme auch nur im Ansatz zu kommunizieren.  Im Bereich der Pseudomedizin erlebt der Autor buchstäblich täglich, manchmal geradezu im Stundentakt, wie wissenschaftlich unbelegte (vielfach widerlegte) Behauptungen mit solider Wissenschaft in den Medien konkurrieren – und oft die „Story“ auf ihrer Seite haben. Selbst der Wettlauf um Forschungsgelder und der Publikationsdruck in den Wissenschaften sind der „Flut der Pseudowissenschaft“ (Prof. David Gorski) ausgesetzt. Wir brauchen also Maßstäbe, alltagstaugliche Kriterien, die uns alle in die Lage versetzten, wissenschaftliche Erkenntnisse von Mimikry zu trennen, Entscheidungen darüber zu treffen, was Wissenschaft, was gültige Erkenntnis ist oder nicht.


    Weit entfernt sind nun aber die Pseudowissenschaftler und -mediziner selbst, im speziellen Falle die Homöopathen, davon, das Demarkationsproblem als ernsthafte Problematik wissenschaftlicher Natur zu begreifen. Sie ersetzen vielmehr eine solche tiefgehende Auseinandersetzung durch erstaunliche Postulate:

    • Mit dem Vorwurf einer „Wissenschaftsdogmatik“ gegenüber der kritisch-rationalen Methode, umschrieben mit Scheinbegriffen wie „monoparadigmatischer Reduktionismus“ oder auch „reduktionistischer Materialismus“; als ein Weg, der zu einem wissenschaftlichen, im Ergebnis gar politischen und gesellschaftlichen „Totalitarismus“ führen soll,
    • daraus folgend einen Intoleranzvorwurf gegenüber der als gegnerische Position verstandenen „Mainstream-Wissenschaft“, die allein als solcher unter Generalverdacht gestellt wird, und der pseudomedizinkritischen Position,
    • daraus wiederum folgend die Forderung nach „Pluralismus“ in Wissenschaft und Medizin, was meint, dass die Aussage „Der andere könnte auch Recht haben“ zum wissenschaftlichen Kriterium erklärt werden soll.

    So macht man es den um Abgrenzungskriterien zwischen Pseudowissenschaft und Wissenschaft Bemühten ja eigentlich leicht, wäre da nur eben nicht wieder der Impact, die Auswirkung solcher Äußerungen auf das – oft allzu geneigte Publikum. Ein Publikum, das sozusagen auch auf der (erkenntnistheoretischen) Metaebene nicht über die Kriterien verfügt, die eine Einordnung all dessen möglich machen. So schlimm sich das für Kritiker der Pseudowissenschaft anhört, so wohltönend mag dies in den Ohren derer klingen, die sich gern mit der Forderung nach „Toleranz“ einverstanden erklären – wer sähe darin nicht zunächst etwas Positives? Aber diese „pluralistische“ Position ist nicht mehr als eine krude Mischung aus Rechthabenwollen, offenbar echtem Unverständnis von Wissenschafts- und Erkenntnistheorie (oder doch wider besseres Wissen?) und dem seltsam anmutenden Versuch, Selbstkritik (nach Popper Grundvoraussetzung für eine wissenschaftliche Haltung) durch Behauptungen zu ersetzen. Letztlich ist sie eine Verunglimpfung ehrlich bemühter Wissenschaft und des jahrtausendelangen ernsthaften Ringens um die Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis.


    Jedoch sei dies entgegengehalten:

    • Wie kann man einem metaphysischen Überbau rationaler Erkenntnis, der dazu dient, die Erkenntnisfähigkeit des Menschen auf den Raum der realen Welt zu beschränken und damit Spekulationen von Erkenntnis abgrenzt (der ontologische Naturalismus in seiner schwachen Form) so missverstehen, dass man aus ihm einen unangemessenen Dogmatismus ableitet?
    • Wie kann eine Methodik wie der kritische Rationalismus, das auf der ständigen Infragestellung bestehenden Wissens beruht und aus dem Verwerfen von Irrtümern Fortschritt gewinnt, dogmatisch sein? Wie kann man ein Erkenntnissystem, das sich durch eine niemals zuvor in der Geistesgeschichte dagewesene Form der Bescheidenheit durch den Verzicht auf „Wahrheitsansprüche“ auszeichnet, als „reduktionistischen Materialismus“ oder mit ähnlichen Diktionen bezeichnen?
    • Wie kann ich Toleranz zum Kriterium erheben, wenn es um Annäherung an die Wirklichkeit geht? Über bessere Methoden dazu als die heutigen, in langen Jahrhunderten mühsam gefundenen verfügen wir nicht. Seien wir froh, dass wir über die kritisch-rationalen Methode verfügen – wie nichts Menschliches sind sie nicht in Stein gemeißelt, sind aber in der weltweiten Wissenschaftsgemeinde als gültig durchgängig anerkannt. Auch, weil seit Popper, auch nach vielfältigen Betrachtungen und teils auch Modifikationen, im Grundsatz weit und breit nichts in Sicht ist, das Aussicht auf eine bessere Bewährung beim menschlichen Erkenntnisstreben bieten würde. Was den Prüfsteinen des kritischen Rationalismus nicht standhält, mag als Glaubensvorstellung Toleranz beanspruchen. Aber nicht als Erkenntnis.
    • Die Forderung nach „Pragmatismus“ in der Wissenschaft ist nichts anderes als die Forderung nach der Anerkennung von Beliebigkeit. Mit diesem Begriff wird ein scheinbares Defizit der rationalen Methode suggeriert – dies geht fehl. Wissenschaft nach der kritischen Methode ist ebenso quellen- wie methodenpragmatisch, aber nicht „pluralistisch“. (Selbst der immer wieder als Zeuge für den „Wissenschaftspluralismus“ herangezogene Paul Feyerabend war erklärtermaßen methoden- und nicht „wissenschafts“pluralistisch.) Forderung nach „Pluralismus in der Wissenschaft“ geht noch über die Forderung nach Toleranz hinaus, denn ein solcher Pluralismus würde die Poppersche Definition der „wissenschaftlichen Erkenntnis“ aushebeln: dass wissenschaftliche Ergebnisse belegbare Erkenntnisse sind. Nicht mehr, nicht weniger. Dazu passt ein treffender aktueller Tweet von Dr. Natalie Grams, der weitere Ausführungen überflüssig macht:

    Aktuell hat der Zentralverein homöopathischer Ärzte auf seiner Webseite („Homöopathie online“) eine „Homöopathie-Deklaration“ veröffentlicht, wiederum in „Zusammenarbeit“ mit dem „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“ und unter Beteiligung weiterer üblicher Verdächtiger, die in bestürzender Weise die Verächtlichmachung seriöser Wissenschaftlichkeit durch pseudowissenschaftliche Verbrämungen betreibt. Dies wird sicher nicht die Wirkung haben, die Homöopathie durch Worte plötzlich zu einer wirksamen Medizin werden zu lassen. Allerdings ist dies ein wunderbares Beispiel dafür, wie die Grauzone zwischen Erkenntnis (Wissenschaft) und Behauptung (Pseudowissenschaft) ein weiteres Mal verbreitert und mit zusätzlichem Nebel angereichert wird.

    Man könnte über diesen Vorgang hinweggehen, der sich von ähnlichen. früheren Statements eigentlich kaum unterscheidet. Aber er wird seinen „Impact“ haben, und sei es nur, der Selbstvergewisserung der pseudomedizinischen Szene und als Steinbruch in allfälligen Diskussionen zu dienen. Und hier ist kein Sandkastenverein unterwegs – hier äußert sich eine Vielzahl von Akademikern.


    Nutzen wir die Gelegenheit, noch einmal kurz über die menschliche Erkenntnisfähigkeit und das, was wir darüber mühsam herausdestilliert haben, zu reflektieren.

    So schwierig ist das gar nicht, und die Homöopathie eignet sich gut als Exempel:

    • Nach Karl Popper gibt es nur eine Theorie der Wahrheit, die ernsthaft vertreten werden kann: die Korrespondenztheorie, die These, dass die Wahrheit (der Wahrheitsgrad) einer Aussage in ihrer Übereinstimmung mit den Fakten besteht. Nicht in der Übereinstimmung mit einer Anhäufung von Worten. Und da sieht es für die Homöopathie ganz schlecht aus, wie schon vielfach ausgeführt und belegt wurde.
    • Die Wissenschaft ist die Suche nach der Wahrheit, eine Annäherung an sie, nicht der Besitz „der“ Wahrheit. Die Vorstellung von Wahrheit als ebenso existentes wie erkennbares Absolutum ist leider weit verbreitet (das ist die Wahrheitsannahme Francis Bacons („If truth is manifest, thruth is there to be seen“), die seit David Hume und Immanuel Kant ins Wanken geriet und spätestens seit Karl Popper obsolet für wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung ist).
    • Das aber ist kein Freibrief für Beliebigkeit – ganz im Gegenteil verlangt diese Grunderkenntnis einen verantwortlichen Umgang mit Erkenntnisfähigkeit. Es scheint, als würden die „Pluralisten“ glauben, im Verzicht auf den absoluten Wahrheitsbegriff im kritischen Rationalismus eine „Schwachstelle“, ein „Einfallstor“ für ihre kruden Wissenschaftlichkeitsbegriffe gefunden zu haben – ein Missverständnis epischen Ausmaßes?
    • Insofern ist die kritische Methode dadurch gekennzeichnet, dass man nicht versucht, Hypothesen zu überprüfen (zu verifizieren – letztlich zu bestätigen), sondern zu widerlegen (zu falsifizieren). Das sollte nach den Regeln wissenschaftlicher Arbeit vom Urheber der Hypothese so weit wie möglich selbst getan werden, bevor man sich ernsthafter Kritik stellt.
    • Reine Erfahrung (Empirie) führt wegen des Induktionsproblems (jede noch so große Sammlung von reinen Erfahrungen kann durch die nächste Erfahrung widerlegt werden) nicht zu gesicherter Erkenntnis. Wie David Hume als erster verdeutlichte, halten wir Ereignisse fälschlich für Ursachen und deren Wirkungen, wenn wir sie wiederholt aufeinanderfolgen sehen, da wir dann automatisch (aufgrund des Menschen immanenter Eigenschaften) glauben, diese Folge sei auch in Zukunft so zu erwarten. Das beste Beispiel dafür ist der post hoc ergo propter hoc-Fehlschluss, gerade in der Homöopathie – wie trügerisch er speziell dort ist, ist auch dadurch belegt, dass die scheinbar beobachteten „Wirkungen“ zwanglos durch schlüssigere, einfachere, widerspruchsfreie Erklärungen ersetzt werden konnten.
    • Und eben hieran, an der fehlenden empirischen Belegbarkeit, wird die Widerlegung des hypothetischen Grundgebäudes von Hahnemanns Methode evident. Genau deswegen, weil die Behauptung der spezifischen „Wirkung“ der Homöopathie lange nur durch Fehlschlüsse und Irrtümer aufrechterhalten bleiben konnte und längst widerlegt ist und deshalb nur scheinbar eine Stütze der hypothetischen Grundlagen darstellte („wir wissen nicht, wie sie wirkt, wir sehen aber, dass sie wirkt“).  Der Falschbeweis ist geführt, die Hypothetik der Homöopathie am Experiment gescheitert. Der empirische, induktive Teil, die „Summe der Erfahrungen“, hat sich als Luftschloss aus Selbsttäuschungen und Fehlannahmen entpuppt – und widerlegt damit auch den axiomatisch-hypothetischen Part von Hahnemanns Gedankenkonstrukt durch die Prüfung an der Realität. Ein geradezu klassisches Beispiel „Kant’scher Wissenschaft“, der Bewährung oder eben Nichtbewährung logisch-deduktiv (oder auch spekulativ) gewonnener Hypothesen durch experimentelle Überprüfung.

    Lassen wir es dabei bewenden.

    Nun, auf eine gewisse Weise trägt das Gezeter der Homöopathen ja auch zur weiteren Klärung des Demarkationsproblems bei – es zeigt, dass jedes Problembewusstsein, jede Selbstkritik, jede strenge Prüfmethode dort dem Absolutheitsanspruch der eigenen Position geopfert wird. Das ist immerhin auch eine Form klarer Grenzziehung.

    Nein, der Auftritt auf dem Feld der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie wird der Pseudomedizin auch diesmal nicht zu mehr „Wahrheit“ verhelfen.


    Zum Weiterlesen:

    Pigliucci M, Bourdry M (Hrsg.), Philosophy of Pseudoscience: Reconsidering the Demarcation Problem, University of Chicago Press, 2013

    Popper K, Gesammelte Werke: Band 3: Logik der Forschung, 11. Auflage, 2005

    Popper K, Gesammelte Werke: Band 7: Realismus und das Ziel der Wissenschaft (Postscript zur „Logik der Forschung“), 1, Auflage 2002

    Popper K, Gesammelte Werke: Band 10: Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, 2. Auflage, 2009

    Baum W (Hrsg), Paul Feyerabend – Hans Albert: Briefwechsel, Band 1: (1958-1971), veränd. Neuauflage, 2008

    Albert H, Plädoyer für den kritischen Rationalismus, Piper (1975)


    Interview mit einem Homöopathen (3 und Schluss)

    Not amused, Doktor Hahnemann?

    Liebe Leserinnen und Leser,

    zunächst darf ich um Entschuldigung für die ziemlich lange Zeitspanne bitten, die seit dem Erscheinen des vorigen Teils unserer Betrachtung verstrichen ist. Ich weiß auch nicht, wo die Zeit geblieben ist… Aber unser Thema hier ist ja in der Zwischenzeit nicht durch die Streichung des Binnenkonsens und die Rücknahme der Erstattungsfähigkeit der Homöopathie obsolet geworden, obwohl – der Interessierte hat es zweifellos registriert – eine gewisse Bewegung in der Sache zu verzeichnen ist. Eine gewisse. Ein wenig. Ein kleines bisschen…

    Nun aber zum Abschluss der Besprechung von Dr. Behnkes Interview mit sich selbst.

    Im letzten Teil möchte ich die strenge Form der Abfolge nach den Themen des Interviews verlassen und ziehe es vor, auf die wichtigsten grundsätzlichen Ausführungen aus Dr. Behnkes restlichem Text einzugehen. Dabei scheinen mir zwei Aspekte bedeutungsvoll: Die angeblichen Kostenvorteile einer homöopathischen Behandlung und die Abschweifungen in die Wissenschafts- und die Erkenntnistheorie.

    Kostenersparnis gegenüber wissenschaftlichen Behandlungen

    Damit wollen wir uns auch nicht allzu lange aufhalten:

    • Behnke führt hier Untersuchungen an, die primär auf die Verschreibungshäufigkeit von pharmazeutischen Arzneimitteln bei Gruppen mit und ohne homöopathische Behandlungen abheben. Daraus nun einen Kostenvorteil für die Homöopathie abzuleiten, scheint gewagt.  Was hier ableitbar sein könnte, ist -vor allem im Hinblick auf die weniger gravierenden Gesundheitsstörungen, die hier erfasst wurden- dass letzten Endes wohl unnötig viel pharmazeutische Arzneimittel verordnet wurden, die für die Heilung nicht notwendig waren. Ganz abgesehen davon, dass es zum Kern homöopathischer Therapien gehört, weniger bis keine „pharmazeutischen Mittel“ zu verordnen – so wie naturgemäß der Bäcker weniger Fleisch verkauft als der Fleischer und umgekehrt.
    • Die entscheidende Studie zur Kosteneffektivität der Homöopathie wird durch Nichterwähnung geadelt:  Die Studie “Can Additional Homeopathic Treatment Save Costs? A Retrospective Cost-Analysis Based on 44500 Insured Persons” von Ostermann J, Witt C et.al. (2015). Dies ist die bei weitem umfassendste und langfristigste Untersuchung einer Kosteneffektivität der Homöopathie überhaupt. In Zusammenarbeit mit einer namhaften Krankenkasse. Und zu welchem Ergebnis kommt sie?”Daten von 44.550 Patienten wurden ausgewertet. Die Gesamtkosten lagen in der Homöopathiegruppe nach 18 Monaten höher (im Mittel bei 7.207 EUR) als in der Vergleichsgruppe (5.857 EUR). […] Das galt für alle Diagnosen.”
    • Das heißt zwar nicht, dass Homöopathie „zu teuer“ ist, das heißt aber, dass die Gesamtkalkulation der Kassen, sie würden mit homöopathieaffinem Klientel, das zudem gesund und gutverdienend ist, per Saldo einen Überschuss erzielen, ziemlich optimistisch ist.
    • Ceterum censeo: Für unwirksame Mittel und Methoden ist per se jeder Cent zu viel. Unter dieser Prämisse kann die Homöopathie niemals mit einem Kostenvorteil gegenüber “notwendigen, zweckmäßigen und wirtschaftlichen” Behandlungen begründet werden, wie sie das Sozialgesetzbuch fordert.

    Zur Wissenschaftlichkeit

    Hier greife ich zwei wesentliche Aspekte heraus, die in Dr. Behnkes Ausführungen eine Rolle spielen.

    Der erste ist der Appell an den Ehrgeiz “wahrer Wissenschaftler” sich auch und gerade der Anomalien, die nicht in die Erkenntnislage passen wollen, anzunehmen. Keine ungeschickte Argumentation, wenn man bedenkt, dass “Anomalien” in Poppers Wissenschaftsmethodologider klassische Ansatz sind, die zu einem Widerruf bisheriger Theorien oder gar einem Paradigmenwechsel führen können. Allerdings unter dem Aspekt absolut zwingender Notwendigkeit. Thomas S. Kuhn weist denn auch ausdrücklich darauf hin, dass es erst bei einer starken “Häufung” von Anomalien zu einer „Krise“ in einem Wissenschaftsgebiet kommen kann, die dann in eine „wissenschaftliche Revolution“ mit Ersatz des alten Paradigmas inklusive zentraler Begriffe (!) münde.

    “Inklusive zentraler Begriffe” – mit anderen Worten ist Voraussetzung für einen derartigen Umbruch, dass durch den Paradigmenwechsel das bisherige Gesamtsystem durch ein mindestens genauso bruchfreies, konsistentes ersetzt wird.  Nur leider liegt bei der Homöopathie gar keine Anomalie vor – niemand hat jemals eine spezifische arzneiliche Wirksamkeit der Homöopathie belegt, damit fehlt es am tatsächlichen Tatbestandsmerkmal eines Widerspruchs gegenüber den bisherigen Paradigmen. Und durch welches geschlossene System das heutige Gesamtbild von Physik, Chemie, Biologie und Medizin ersetzt werden soll, wenn die Homöopathie einen Paradigmenwechsel erzwingen würde, diese Frage bleibt seit jeher ohne Antwort. Aber wenn schon mit Wissenschaftstheorie argumentiert wird, darf man nicht auf halbem Wege stehenbleiben und sich auch noch triumphierend umdrehen. Man muss den Weg zu Ende gehen und darf keine Angst vor der eigenen Courage, sprich vor einem Scheitern der eigenen Grundhypothesen, haben. Alles andere ist ein Scheingefecht und ein schwerer Missbrauch des mühsam errungenen wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Instrumentariums.

    Bei der Homöopathie mit dem Anomaliebegriff zu operieren, entbehrt auch nicht einer gewissen Absurdität. Die Methode ist über 200 Jahre alt und beruht selbst auf Hypothesen und Paradigmen, die ihrerseits von den überwältigenden „Anomalien“ der wissenschaftlichen Medizin, der Zelluluarpathologie, der Bakteriologie, der Virologie und mehr verdrängt wurden. Das Paradigma der Heilung von Krankheiten durch ein Ähnlichkeitsprinzip und per „geistiger Arzneikraft“ ging unter. (Warum das nicht die Zuweisung eines ruhigen Plätzchens für die Homöopathie im medizinhistorischen Museum bedeutet hat, ist wieder eine andere Sache.) Und heute wird verlangt, dass die ausgerechnet diese, als Paradigma selbst längst abgelöste Homöopathie als Anomalie anerkannt wird und die heutigen Paradigmen der modernen Wissenschaften (nicht nur der Medizin!) seinerseits verdrängen soll, als späte Rache sozusagen? Ein Treppenwitz, wenn mich jemand fragt. Zumal das heutige Paradigmengebäude von Medizin, Biologie, Physik und Chemie um Zehner-, wenn nicht Hunderterpotenzen (damit kennen sich die Homöopathen doch so gut aus) geschlossener und konsistenter ist als das, was zu Hahnemanns Zeiten vorherrschte. Siehe die Ausführungen zur inneren und äußeren Widerspruchsfreiheit im zweiten Teil dieser Besprechung.

    Der zweite Aspekt, der noch behandelt werden soll, ist der Versuch Behnkes, Inhalt und Bedeutung des Begriffes der Ausgangsplausibilität (bzw. Scientabilität) zu relativieren. Wir haben diesen Begriff schon im Exkurs zu Beginn des zweiten Teils dieser Besprechung kennengelernt und sind deshalb für das Folgende gut gerüstet.

    Ja, die Relevanz der sogenannten Ausgangsplausibilität für die wissenschaftliche Forschung ist nicht in Stein gemeißelt, wie nichts in der Wissenschaft, sie wird diskutiert. Das sollte aber nicht zum Anlass genommen werden, wie Dr. Behnke es im Ansatz tut, diese missliebige Neuerung nun mal gleich an die Seite zu schieben. Es gibt schon gute Gründe dafür, weshalb diese Diskussion in der Wissenschaftsgemeinde geführt wird.

    Einer davon ist der Wunsch, die immer begrenzteren Mittel für wissenschaftliche Forschung auf wirklich erfolgversprechende Forschungslinien zu konzentrieren. Ich finde das angesichts schwindenden Rückhalts für freie Forschung durch öffentliche Mittel sehr wichtig. Die Diskussion hat schon vor längerer Zeit ihre Schatten vorausgeworfen, beispielsweise dadurch, dass das British Medical Journal Artikel mit dem pauschalen Ruf nach “mehr Forschung” nicht mehr reviewt, sondern gleich zurückgibt. Angenommen werden nur Arbeiten, die die Notwendigkeit weiterer Forschung auf einem bestimmten Gebiet genau im Hinblick auf das Warum und das Was begründen. Ob das angesichts neuerer Entwicklungen noch immer so ist, vermag ich allerdings nur zu mutmaßen.

    Wesentlicher scheint noch, dass die Evidenzbasierte Medizin Gefahr läuft, sich in rein empirischen Betrachtungen und statistischen Bewertung zu verlieren und dabei Plausibilitäten und Konsistenzen (Widerspruchsfreiheiten) weitgehend auszublenden. Damit wird gerade Apologeten invalider Methoden wie hier Dr. Behnke Tür und Tor geöffnet, sich in scheinbarem Schulterschluss auf die „reine Empirie“ zurückzuziehen – deren Methodik nicht ohne Tücken ist. Reduzierung auf pure Empirie ist unvollständige Wissenschaft – zumindest nach meiner Ansicht. (Anm. UE, 2021: Das habe ich inzwischen in diesem Blog im Detail dargelegt.)

    Nun war es ja -zumindest nach meiner und einiger anderer Ansichten- einer der Gründe für das Überleben der Homöopathie, dass immer und immer wieder nach “mehr Forschung” gerufen und in Aussicht gestellt wurde, die Homöopathie werde der Wissenschaft noch “einiges zu sagen haben”.  Wäre die Ausgangsplausibilität schon früher beherzigt worden, gäbe es die Homöopathie womöglich nur noch als eines von etlichen Nischenprodukten des medizinischen Jahrmarktes. Verständlich, dass man in der Diskussion über Plausibilitäten und Konsistenzen eine große Gefahr für die Zukunft der Homöopathie sieht. Denn wie sieht es denn aus mit ihrer Ausgangsplausibilität?

    • Das Simileprinzip ist widerlegt. Die Natur schafft keine Ähnlichkeiten, um den Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass es bei genauer Beobachtung dort etwas zu holen gebe. Die Natur ist nicht menschenzentriert und verfolgt auch keine “Absichten” – das anthropozentrische Weltbild ist von vorgestern.
    • Die Arzneimittelprüfung am Gesunden ist ein herausragendes Beispiel völliger Subjektivität, was allein ihre ständig wachsenden Ergebnisse zeigen. “Das” Repertorium oder “die” Materia Medica gibt es gar nicht. Ockhams Rasiermesser hat reichlich zu tun auf diesem Gebiet. Spätestens seit Martinis großangelegten Untersuchungen zur Arzneimittelprüfung, die im Blindversuch gegen Placebo die wildesten Symptomschilderungen, aber keinerlei erkennbares, geschweige denn reproduzierbares Muster ergaben, ist die Arzneimittelprüfung auch empirisch als unwissenschaftlich und wertlos entlarvt. Ganz zu schweigen davon, dass Homöopathen noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Arzneimittelprüfung als einer “Frage an die Natur” schwärmten, deren “beständige Antworten” beständig aufgezeichnet würden… Siehe das Thema Anthropozentrismus.
    • Verdünnung ist Verdünnung. Anderes zu behaupten bedeutet, seine eigenen Alltagserfahrungen zu leugnen.
    • Potenzierung durch Rituale ist Esoterik. Es gibt keine auch nur annähernde Erklärung dafür, was dort sich wie potenziert, woher dieses Was weiß, dass es ein Arzneistoff ist und die Verunreinigungen im Lösungsmittel eben nicht, wie eine “geistige Substanz” materiell nun doch gespeichert werden und mit der materiellen Welt wechselwirken und wie das Ganze dann über besprühte Zuckerkügelchen, die ihren Weg durch den Verdauungstrakt des Menschen nehmen, irgendeine Wirkung entfalten soll.
    • Last but not least – die bisherige Studienlage, nicht ein paar Einzelstudien bei selbstlimitierenden Krankheiten, sondern die systematischen Reviews, teilweise von Vertretern der Homöopathie selbst durchgeführt und beurteilt – sprechen, da kann so viel drum herumgeredet werden wie man will, eine eindeutige Sprache: Es fehlt an einem Wirkungsnachweis. Nach den vorstehenden Prämissen wäre alles andere in der Tat eine Anomalie, die sofort das allergrößte Interesse der Wissenschaftsgemeinde erregen würde – nicht Misstrauen, Interesse, denn so ist die Wissenschaft.  Aber – die Verhältnisse, sie sind nicht so, wie schon Brecht zu Recht konstatierte.

    Würden Sie, liebe Leser, angesichts einer solchen Ausgangssituation einem Fundraising beitreten, dass “mehr Forschung” für die Homöopathie finanzieren soll oder gar den Einsatz von öffentlichen Mitteln für diesen Zweck befürworten? Na?

    Fazit

    Mit erheblichem rhetorischem Aufwand unternimmt Behnke einen weiteren Rettungsversuch zugunsten der Homöopathie, dem man Geschick und vor allem Aufwand zweifellos nicht absprechen kann. Aber: Es bleibt bei unbelegten Prämissen, dem Relativieren oder Wegdeuten gewichtiger Argumente (teils unter Inkaufnahme der Beschädigung von Hahnemanns Gebäude), dem Anbieten von Narrativen aus der homöopathischen Filterblase, die keinen Erklärungswert besitzen und von philosophischen Bemühungen am Rande dessen, für die Homöopathie auch noch einen eigenen Wissenschaftsbegriff zu fordern. Vielfach belegt Behnke dabei selbst in 200 Jahren nicht zu behebende Unstimmigkeiten (Konsistenzen) innerhalb des Gedankengebäudes Homöopathie.

    Denn es ist doch eigentlich einfach: All der rhetorische Aufwand bedarf im Grunde so lange keiner näheren Betrachtung von Hintergründen und Spekulationen über Wirkmechanismen, wie nicht die Wirksamkeit der Homöopathie belegt ist, um es in einer Metapher auszudrücken: es bedarf keines Bühnenbildes mit aufwändiger Beleuchtung, wenn gar kein Stück aufgeführt wird. Gerade an den umfassenden Ausführungen von Herrn Behnke wird überdeutlich, dass diese überhaupt nur eine substanzielle Bedeutung über leere Worte hinaus hätten, wenn die Prämisse einer spezifischen Wirksamkeit der Homöopathie zuträfe. Genau an dieser Stelle setzt aber die Immunisierungsstrategie an. Und zwar eine vergleichsweise primitive: Die Strategie der immer wiederholten Behauptung, von der man hofft, dass sie zur wahrgenommenen Wahrheit wird und das papierene rhetorische Gebäude darüber in Gold erglänzen lässt. Aber da sei die Wissenschaft und die wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik vor: Die Behauptung einer spezifischen Wirksamkeit ist der eigentliche Prüfstein, an dem die Homöopathie scheitert, welcher Begründung, Philosophie oder was sonst immer ins Feld geführt werden mag.

    Man muss sich immer vor Augen halten, welcher Aufwand für die Aufrechterhaltung eines längst obsolet gewordenen Gedankengebäudes getrieben wird, das zur Zeit seiner Entstehung durchaus gewisse Meriten einfahren konnte (im Sinne von Schadensbegrenzung). Natürlich ist dieser Aufwand auch ein Prozess der Selbstbestätigung für die homöopathische Gemeinde, die ja angesichts zunehmender Kritik nach solchen Ausführungen lechzt, meist, um sie unkritisch (und unverstanden) weiterzuverbreiten.

    Es hat sicher seine Gründe, weshalb die Homöopathie -wie viele andere Gedankenmodelle aus ihrer Zeit- nicht längst verdientermaßen im medizinhistorischen Museum verschwunden ist – mit anderen Worten, weshalb man sie immer wieder hat gewähren lassen. Einer davon ist, wie beispielsweise die Russische Akademie der Wissenschaften mutmaßt, der ständige Anspruch der Homöopathie über die Jahrhunderte, sie habe der Wissenschaft letztlich doch etwas zu sagen oder es gebe Aufklärungsbedarf, für den die Wissenschaft in die Pflicht zu nehmen sei. Nun kann keineswegs die Rede davon sein, dass die Wissenschaft sich nicht mit der Homöopathie befasst habe, das hat sie seit jeher bis zum heutigen Tag getan. Es wäre nur an die schon zu Hahnemanns Zeiten recht konstruktiven Ansätze zu ihrer Überprüfung zu erinnern, die schon damals nicht als Ruhmesblatt für die Methode zu gebrauchen waren.

    Es ist Dr. Behnke nicht entgangen, dass längst auch fundierte wissenschafts- und erkenntnistheoretische Argumente gegen die Homöopathie und ihren “wissenschaftlichen Anspruch” vorgebracht werden. An den von ihm aufgegriffenen Gesichtspunkten der Anfangsplausibilität und der Behandlung von Anomalien in der kritisch-rationalen Methode wird dies deutlich. Die Homöopathen versuchen, auch das Terrain der Wissenschaftstheorie zu beackern, müssen aber -wie im vorstehenden Abschnitt ausgeführt- mit ihrer hölzernen Pflugschar aus dem späten 18. Jahrhundert an dem durch 170 Jahre methodischer Wissenschaft bereiteten festen Boden scheitern.

    Längst gibt es das abschließende Urteil: Die Grundlagen der Homöopathie sind unvereinbar mit den Erkenntnissen der Humanmedizin, der Ätiologie, der Zellbiologie, der Biochemie, von Physik und Chemie und auch noch anderen Wissenschaftszweigen. Warum? Weil sie sich mit ihren Annahmen nicht widerspruchsfrei in das jeden Tag sich bewährende Gesamtbild der Summe dieser Wissenschaften einfügen lässt. Damit sind die Grenzen der Homöopathie abschließend aufgezeigt. Denn das von der Wissenschaft unter großen Mühen bis heute erarbeitete Gesamtbild ist die bestmögliche Annäherung an die Wirklichkeit, über die wir verfügen, die am besten begründete Kosmologie aller Zeiten. Es besteht kein Anlass, zugunsten einer Rechtfertigung der Homöopathie dieses Gebäude zu beschädigen oder gar einzureißen. Wie erwähnt, ist die Homöopathie keine wissenschaftstheoretische Anomalie, sondern eine beleglose freie Hypothese.

    Ein weiteres Merkmal für die Unmöglichkeit, die Homöopathie sinnvoll zu verorten, ist, dass die Wissenschaft die Homöopathie nicht braucht, um die von ihr vorgewiesenen Effekte zu erklären. Das ist ein völlig normaler Vorgang im Fortschreiten menschlicher Erkenntnis: Dass alte Vorstellungen, die einmal ihre Meriten gehabt haben, heute nicht mehr gebraucht werden, weil bessere Erklärungsmodelle verfügbar sind. Wie auch früher für das Wetter die Götter als zuständig angesehen wurden und die darauf fußende Priesterschaft durchaus angesehen war – weil sie “Erfolge” vorzuweisen hatte, von denen heute klar ist, dass sie auf statistischen und auch psychologischen (Vergessen von Misserfolgen) Effekten beruhten. Wetterkunde betreiben wir noch heute, niemand aber käme auf die Idee, das Wetter als göttliche Macht “beschwören” zu wollen.

    “Die Wissenschaft” weiß, dass sie nicht alles weiß. Ihr Gebäude ist aber inzwischen so bewährt, dass die Anforderungen an neue Bausteine, die Lücken füllen und Grenzen weiter hinausschieben können, klar definierbar sind. Deshalb kann die Wissenschaft heute auch gesichert darüber urteilen, dass die Homöopathie in ihr Gesamtgebäude nicht eingefügt werden kann. Das darf man einer Wissenschaft, die in der Lage ist, die tatsächliche Existenz von Elementarteilchen theoretisch vorauszusagen und dann auch den experimentellen Beweis für die Vorhersage zu liefern, durchaus zutrauen. Aber: Kreisrunde Bausteine passen nun mal nicht in rechteckige Lücken. Die Zeit der Homöopathie ist genau deshalb heute endgültig abgelaufen.

    Erinnern wir uns aber zum Schluss noch einmal selbst daran, dass auch all unsere Betrachtungen an dieser Stelle letztlich viel Wirbel buchstäblich um Nichts sind. Denn an welcher Stelle bitte bietet Dr. Behnke uns stichhaltige Belege für die Wirksamkeit oder einen plausiblen Ansatz für einen Wirkungsmechanismus an, über das Drumherumgerede an Mutmaßungen, Unterstellungen, unzulässigen Vergleichen und dergleichen mehr hinaus, das schon tausendmal widerlegt worden ist? Nirgends. Was bleibt? Die alte Erkenntnis, dass wo Nichts ist, nichts ist und auch Nichts hinzugeredet oder -geschrieben werden kann. Mehr ist eigentlich gar nicht zu sagen. Ist das so schwer einzusehen?

    Nun ist es doch noch so eine Art Generalabrechnung geworden… Allen Leserinnen und Lesern Dank für die große Geduld. Ich werde mich (vielleicht) bessern.

    Eines sei den Verteidigern der Homöopathie aber noch ins wissenschaftstheoretische Notizbuch geschrieben, nämlich der von Karl Popper stammende Kernsatz, der heute die Grundlage jeglicher seriösen wissenschaftlichen Bemühungen bildet:

    Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen.” (Logik der Forschung, 11. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2005, Seite XX).

    Bildnachweis: Gemeinfrei / eigenes Bild

    Skandal! Verschwörung gegen Homöopathie! … Oder doch nicht?

    Aus gegebenem Anlass stelle ich diesem Beitrag mal ein Zitat des guten alten Francis Bacon voran, einem der Vorreiter moderner Wissenschaft, der manches, was heute zum Standard des Wissenschaftsbegriffs gehört, vorwegnahm. Das Zitat stammt aus seinem 1621 erschienenen Hauptwerk “Novum Organum” (nach der Oxford-Ausgabe 1889):

    “Wenn eine Überzeugung einmal feststeht, unternimmt der menschliche Verstand alles, immer zusätzliche Unterstützung und Bestätigung für sie zu gewinnen: Und obwohl zahlreiche zwingende Fakten dagegen sprechen können, beachtet er sie entweder nicht oder wertet sie ab oder stößt sie durch vorurteilsbehaftete unsachgemäße Umdeutung ab und weist sie zurück, viel eher, als dass er die Autorität seiner eigenen ersten Schlussfolgerungen opferte.”

    Was ist der Anlass für dieses bemerkenswerte Zitat? Nun, für Bacons Erkenntnis gibt es ein höchst aktuelles Beispiel, das den homöopathisch orientierten Blätter- und Webseitenwald derzeit erheblich rauschen lässt. Der Zentralverein homöopathischer Ärzte berichtet:

    “ Australische Homöopathie-Studie: „Eine Täuschung der Öffentlichkeit“

    Berlin, 12. April 2017. Der Direktor des Londoner Homeopathy Research Institut (HRI), Dr. Alexander Tournier, erhebt schwere Vorwürfe gegen den staatlichen Forschungsrat Australiens und wirft ihm ‘Täuschung der Öffentlichkeit’ vor. Der Nationale Rat für Gesundheit und medizinische Forschung (National Health and Medical Research Council, NHMRC) hatte vor zwei Jahren eine Übersichtsstudie (Review) zur Homöopathie mit dem Ergebnis veröffentlicht, Homöopathie wirke nicht besser als Placebo. Diese Aussage ging auch in Deutschland durch viele Medien und wurde als ein Beleg für die angebliche Unwirksamkeit der Homöopathie angeführt. ‘Die Ungenauigkeiten im Bericht des NHMRC sind so extrem’, erklärt Tournier, ‘dass wir uns dazu entschlossen haben, eine gründliche Untersuchung durchzuführen, die die Hintergründe aufdeckt’.  Das HRI hat eine Beschwerde bei einer offiziellen Commonwealth-Stelle eingelegt und aktuell erste Ergebnisse seiner Recherche veröffentlicht. ‘Es ist ungeheuerlich, dass mit derart verzerrten Daten weltweit politische Meinungsbildung betrieben wird“, sagt Cornelia Bajic, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ)’. ” …

    Donnerwetter. Jetzt sind wir schon bei politischer Meinungsbildung.  Immerhin ist das Review der Australischen Gesundheitsbehörde die Referenz schlechthin, was die Beurteilung der Wirksamkeit von Homöopathie auf der Grundlage von Studienergebnissen angeht. Erst vor kurzem hat sich auch die Russische Akademie der Wissenschaften nach eingehender Prüfung das Ergebnis der Australier zu eigen gemacht. Zudem darf man auch deswegen ein wenig überrascht sein, weil gerade die Arbeit der Australischen Gesundheitsbehörde auf Studien beruhte, die die Britische Homöopathische Gesellschaft selbst als Referenzen anführt, unter Einbeziehung etlicher homöopathischer Autoritäten durchgeführt wurde und vor der endgültigen Veröffentlichung der gesamten homöopathischen Gemeinschaft Australiens für Kritik und Anmerkungen zur Verfügung stand. Was denn jetzt? Wer hat denn hier nicht aufgepasst?

    Gemach. Überflüssig wohl, vorauszuschicken, dass selbst ein hundertprozentiger Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen immer noch nicht zu einer Evidenz für die homöopathische Methode führen würde – sie widerspricht nun doch leider allzu sehr naturwissenschaftlichen Grundlagen. Aber Geduld gehört zu den Tugenden im Diskurs. Deshalb wollen wir einen näheren Blick auf diese Anschuldigungen ruhig riskieren.


    Prof. Edzard Ernst hat in seinem Blog zu den Vorwürfen bereits Stellung genommen, ich erlaube mir hier einmal, eine Übersetzung seiner Ausführungen anzuschließen. Anmerkungen zum Verständnis, die von mir stammen, stehen kursiv in Klammern:

    Ombudsmann untersucht “fehlerhafte” homöopathische Studie

    Veröffentlicht am Samstag, 15. April 2017 / von Edzard Ernst

    “What Doctors don’t Tell You” (WDDTY, wo die Vorwürfe gegen die NHMRC zuerst publiziert wurden) hat schon öfter mit der Wahrheit auf Kriegsfuß gestanden (es folgen Verweise). Jetzt haben sie einen Artikel mit dem Titel “Ombudsman untersucht ‘fehlerhafte’ homöopathische Studie, die behauptet, dass die Methode unwirksam ist” veröffentlicht. Er greift in unzweideutiger Weise die “NHMRC-Erklärung über Homöopathie / NHMRC Informationspapier – Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie zur Behandlung von Gesundheitsstörungen” aus dem Jahr 2015 an – von der ich mit guten Gründen denke, dass sie eine solide Bewertung der Homöopathie darstellt und die ich deshalb wiederholt auf meinem Blog herangezogen habe. Hier folgt, was WDDTY postuliert:

    ZITAT ANFANG

    Ein großer und einflussreicher Review zur Homöopathie kam zu dem Schluss, dass die umstrittene Therapie keine Wirksamkeit aufweist – aber das Review war derart mit Irrtümern und schlechter Wissenschaft durchsetzt, dass eine offizielle Ombudsmann-Untersuchung veranlasst wurde. [Gemeint ist der Ombudsmann für Beschwerden jeglicher Art bezüglich öffentlicher Angelegenheiten innerhalb des Commonwealth of Nations. Eine interessante Art und Weise, einen wissenschaftlichen Diskurs zu führen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.]

    Weltweit berichteten die Medien, die Homöopathie sei Betrug, nachdem das National Health and Medical Research Council (NHMRC) im Jahr 2015 veröffentlicht hatte, dass “es keine medizinischen Indikationen gibt, bei denen eine zuverlässige Evidenz für die Wirksamkeit von Homöopathie existiert”.

    Doch jetzt untersucht der Commonwealth-Ombudsmann die Verfahren, mit denen das Review der NHMRC durchgeführt wurde – nach Erhalt von Berichten über Ungenauigkeiten, Missachtung von Belegen und Interessenkonflikten.

    Die Überprüfung wurde von der Australischen Homöopathischen Vereinigung (AHA) ausgelöst, unterstützt durch das homöopathische Forschungsinstitut (HRI), das begonnen hatte, die Review-Verfahren zu hinterfragen, nachdem mehrere solide Studien gezeigt hatten, dass Vorteile der Homöopathie übergangen worden waren.

    Das NHMRC-Review-Team berücksichtigte willkürlich nur Studien, die mehr als 150 Probanden betrafen – und forderte Standards, die selbst bei Arzneimittelstudien nur selten zu erreichen sind. Aufgrund dieser Anforderungen reduzierte man die Anzahl der als qualifiziert [für das Review] angesehenen Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 einzelnen Untersuchungen [Unsinn – gemeint sind hier die Angaben des NHMRC in einer frühen Pressemitteilung von rd. 1.800 gesichteten Literaturbelegen und zusätzlich eingereichten Unterlagen, nicht Reviews bzw. Studien – die hieraus als verwertbar für das Projekt bewertete Zahl an Reviews betrug 57, diese wiederum bezogen sich auf 176 Studien, s. unten – Zusatz UE) – und keine von diesen zeigte dann eine Wirksamkeit der Homöopathie.

    Einer der NHMRC-eigenen Rezensenten produzierte einen geheimnisvollen ersten Bericht, der noch nie veröffentlicht und trotz der Gesetze zur Informationsfreiheit nicht freigegeben wurde.  [Ja und? Wenn überhaupt, war das eine Vorversion, so was soll es tatsächlich geben … VERSCHWÖRUNG!!! – Zusatz UE]

    Ferner hat die AHA aufgedeckt, dass Prof Peter Brooks, Vorsitzender des untersuchenden NHMRC-Komitees, nie erklärt hat, dass er Mitglied der Anti-Homöopathie-Lobby-Gruppe “Friends of Science in Medicine” war.  [Was nicht zutrifft. Prof. Brooks war nur kurzzeitig Mitglied dieser Gruppe und hat außerdem genau deswegen den Vorsitz des Ausschusses an Prof. Paul Glasziou abgegeben. – Zusatz UE]

    Es gebe solide Studien, die eine Wirksamkeit der Homöopathie gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen belegen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Probanden, erklärte HRI-Chef Rachel Roberts. “Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, dass es qualitativ hochwertige Studien gibt, die eine Wirkung der Homöopathie für einige medizinische Indikationen belegen – Informationen, die nur wegen des irreführenden Umgangs des NHMRC mit der Beleglage untergegangen sind.”

    Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “sich nicht sicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.

    ZITAT ENDE

    Wie es eben so ist, stehe ich in Kontakt mit dem Hauptautor des kritisierten Berichts, Paul Glasziou, nicht zuletzt, weil er ein freundliches Vorwort für mein Buch Homeopathy – The Undiluted Facts geschrieben hat. Also haben in unserer Korrespondenz die neuesten Schmähungen von WDDTY diskutiert. Aufgrund dessen bin ich jetzt in der Lage, einiges geradezurücken (ich hoffe, Paul hat nichts dagegen):

    ANMERKUNG 1: – Das NHMRC-Reviewteam legte willkürliche Parameter fest, nach denen nur Studien mit mehr als 150 Personen einbezogen wurden und setzte Standards, die selbst Arzneimittelstudien nur selten erreichen.

    Die Wahrheit ist, dass der Bericht sich gar nicht auf einzelne Studien, sondern auf bereits vorliegende systematische Reviews von Studien bezieht [Das Review der NHMRC ist also ein Meta-Review] – Anm. UE]. Die 57 betrachteten systematischen Reviews umfassten 176 Einzelstudien, die 61 Indikationen umfassten: durchschnittlich etwa 3 Indikationen pro Studie. Aber einige Studien beinhalteten nur eine Indikation, und ein einzelner Versuch würde normalerweise natürlich nicht als vernünftige Grundlage für zuverlässige Schlussfolgerungen betrachtet werden. GRADE – der internationale Standard für die Beurteilung von Evidenzen – schlägt vor, “wenn Gruppengrößen kleiner als 400 sind, sollten Autoren und Leitfadenentwickler die darin liegende Ungenauigkeit bei der Bewertung berücksichtigen”. Daher wäre das Kriterium von 150 sogar wesentlich milder als die aktuelle GRADE-Richtlinie. [Ein starkes Entgegenkommen (!) gegenüber der Homöopathie – die eh immer wieder das Problem hat, kaum Studien mit der von GRADE eigentlich geforderten Größenordnung bereitzustellen. – Anm. UE]

    ANMERKUNG 2 – Diese Anforderungen reduzierten die Anzahl der qualifizierenden Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 – und keine von ihnen zeigte, dass die Homöopathie wirksam war.

    Das ist einfach nicht richtig. Der Bericht des NHRMC beinhaltet 57 systematische Reviews, die sich auf 176 Einzelstudien beziehen, nicht 5. Diese 176 Studien zu 61 Indikationen bildeten die Evidenzgrundlage für die Schlussfolgerungen des NHMRC-Berichts. [Insgesamt wurden 225 Arbeiten berücksichtigt, einschließlich der von Homöopathen zusätzlich im Rahmen der öffentlichen Auslegung eingereichten.]

    ANMERKUNG 3 – Es gibt solide Studien, die zeigen, Homöopathie ist wirksam gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Menschen, sagte HRI-Chef Rachel Roberts.

    Der NHMRC-Bericht konzentrierte sich auf systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen abdeckten. Angesichts des recht konventionellen p-Wertes von 0,05 [der p-Wert ist ein statistischer Wert, der für den Grad der Wahrscheinlichkeit steht, mit der angenommen werden kann, dass es sich um Zufallsergebnisse handelt]. würde man erwarten, dass eine von 20 Einzelstudien “falsch positiv” sei.  Bei 176 Versuchen erwarten wir demnach etwa 9 “falsch positive” Ergebnisse. Aber systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen kombinieren, reduziert dieses Risiko falsch positiver Ergebnisse. Die meisten nationalen Beweisprüfungsgremien fordern für eine Evidenz mehr als eine Studie, z. B. die FDA [Food and Drug Administration der USA] fordert zwei positive Studien, während viele andere gar keine einzelnen Studien, sondern bereits ein systematisches Review unter Einbeziehung von mindestens zwei Studien [für die Annahme eines Evidenznachweises] verlangen. Die Reproduktionsfähigkeit der Befunde ist offensichtlich ein Eckpfeiler der Wissenschaft.

    ANMERKUNG 4 – Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “unsicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.

    Die Wahrheit ist, dass das Cochrane Center mit einer unabhängigen Überprüfung den gesamten Prozess der NHMRC-Untersuchung begleitet hat. Es kam zu dem Schluss, dass ‘insgesamt die aus dem Review gezogenen Schlussfolgerungen aufgrund der vorgelegten Evidenz gerechtfertigt erscheinen.’

    Ende meines Plädoyers.”

    Danke, Prof. Ernst.


    Zum besseren Verständnis noch ein paar Anmerkungen meinerseits:

    Sehen wir einmal von den offensichtlichen Unwahrheiten ab, die von den Homöopathen vorgetragen werden (Missdeutung der Untersuchungsbasis des NHMRC, unzutreffende Angaben zur Bewertung des Reviews durch Cochrane, völlig unsinnige und auch unzutreffende Hinweise auf “Interessenkonflikte”) –obwohl allein dies eigentlich die ganze Befassung mit dieser Geschichte schon obsolet machen würde. Auch mal abgesehen davon -wie oben schon erwähnt-, dass es mir sehr eigenartig vorkommt, dass neuerdings ein wissenschaftlicher Diskurs auf dem Wege einer Beschwerde beim Ombudsmann für Fehlleistungen öffentlicher Stellen, also dem öffentlichen Kummerkasten für Bürgerbeschwerden, ausgetragen wird. Aber ich vergaß – Frau Bajic wies ja ausdrücklich darauf hin, dass es um politische Meinungsbildung gehe. Also nicht um wissenschaftlichen Diskurs. Sorry.

    Also: Die 176 über vorliegende Reviews einbezogenen Studien sind nur geringfügig weniger als die Zahl, die die British Homeopathic Society selbst an belastbaren Arbeiten führt – im Zeitpunkt der Studie waren dies 189. Es wurden keine Reviews / Studien vom NHMRC einbezogen, die von Homöopathen abgelehnt worden wären. Vielmehr kamen aufgrund der Öffnung der Studie für zusätzliche Hinweise noch Arbeiten hinzu, so dass der endgültigen Bewertung 225 Arbeiten aus 57 Reviews zugrunde lagen.

    Schon die Projektierung des Reviews wurde vom australischen Cochrane Center überprüft, ebenso die tatsächliche Durchführung und die Einhaltung der Planungsvorgaben. Den Bericht haben im Entwurf mehrere Gutachter erhalten, die auf dem Gebiet der Komplementärmedizin selbst tätig waren. Die Stellungnahmen dieser Gutachter wurden mit dem Review veröffentlicht und können jederzeit nachgelesen werden. Danach wurde der Entwurf offengelegt und der gesamten homöopathischen Gemeinde Australiens ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, Stellung zu nehmen und auch Arbeiten / Studien zu benennen, die nach ihrer Meinung berücksichtigt werden sollten – was auch geschah.

    Angesichts dessen muss man sich schon fragen, welche Chuzpe bei AHA, HRI und WDDTY dazu führt, der australischen Behörde eine voreingenommene Studienauswahl vorzuwerfen, zu unterschlagen, dass es sich um ein Meta-Review und nicht um ein Review einzelner Studien handelte und dann auch noch mit falschen Zahlen zu operieren. Um nicht zu sagen, glatt zu lügen. Was der Zentralverein Homöopathischer Ärzte dann einfach aufgreift und verbreitet (und dabei auch noch falsch zitiert).

    Es ist über die Ausführungen von Prof. Ernst hinaus auch noch einmal wichtig, zu verdeutlichen, dass es keineswegs zutrifft, Studien mit weniger als 150 Probanden seien außer Acht gelassen worden. Schon im Overview-Report des NHMRC kann man sich davon überzeugen, dass dies nicht wahr ist, dazu braucht man die fast 1.000 Seiten des unglaublich ausführlichen Reviews nicht komplett zu lesen. Ansonsten wäre es wohl kaum dazu gekommen, dass nahezu alle von der British Homoeopathic Society geführten Studien im Meta-Review erfasst sind.

    Was den Hinweis auf die berühmten Studien mit angeblich echter Evidenz für die Homöopathie angeht (Anmerkung 3) – Prof. Ernst will mit seinen Ausführungen zur Signifikanz von Studienergebnissen verdeutlichen, dass einzelnen, zumal mit kleinen Probandengruppen durchgeführten Studien im Vergleich zu Reviews oder gar Meta-Reviews keine Bedeutung zukommen kann. Und dass jede Einzelstudie mindestens einmal unter gleichen Bedingungen reproduzierbar gewesen sein muss, bevor man sie überhaupt als relevant zur Kenntnis nehmen kann. Hier wird die Position der Homöopathen nochmals deutlich: Sie nehmen gern in Anspruch, auf Studienergebnisse nach ihrem Gusto zu verweisen, erkennen aber die wissenschaftlichen Standards für die Aussagefähigkeit solcher Studien nicht an. Es mutet schon sehr seltsam an, die Aussagekraft des größten Meta-Reviews, das je zur Homöopathie durchgeführt wurde, mit einzelnen (Klein-)Studien zu Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen (alles selbstlimitierende oder periodisch auftretende Gesundheitsstörungen) aushebeln zu wollen.

    Das ist einfach grotesk. Dazu passt, dass das Ganze auch gleich noch mit Verschwörungstheorien garniert wird, indem eine nicht näher bezeichneter geheimnisvolle Arbeit eingeführt wird, die niemand kennt, da sie nie veröffentlicht wurde. Informationsgehalt: Null. Frage an die Homöopathie-Fraktion: Quelle dieser Information? Einzelheiten? Namen? Inhalte? Möglicherweise ist auch nur eine Vorversion gemeint, deren Nichtveröffentlichung natürlich ein unverzeihliches Vergehen gegen die Homöopathie wäre …

    Und ist es wirklich ein “Interessenkonflikt”, wenn ein wissenschaftlich tätiger Mediziner, auch wenn er an einem Review (also einer methodischen Bestandsaufnahme, nicht einmal einer klinischen Studie) über Homöopathie mitwirkt, keine positive Meinung von der Homöopathie hat? Und dazu die Unverschämtheit hat, einem Klub anzugehören, der sich allen Ernstes “Friends of Science in Medicine” nennt? Ja, das wäre schon toll, wenn nur überzeugte Homöopathen Studien und deren Reviews durchführen dürften… Homöopathen bei Homöopathiestudien sind kein Interessenkonflikt? Dürfen die Homöopathie-Gegner jetzt eh jede Studie ablehnen, an der ein ausgewiesener Homöopath teilgenommen hat? Keine Sorge, tun sie nicht – ist bekanntlich gar nicht nötig…

    Eine glatte Unwahrheit ist – wie schon erwähnt – dass Prof. Brooks Vorsitzender der Kommission war – er war als solcher vorgesehen, hat aber selbst auf einen möglichen Interessenkonflikt hingewiesen und danach als einfaches Mitglied mitgearbeitet.

    Wirklich bemerkenswert an dieser Geschichte ist eigentlich nichts. Außer dem Umstand, dass die Homöopathen neuerdings den Bürger-Kummerkasten ihrer Majestät für die Klagen über die unbelehrbaren Kritiker ihrer Methode benutzen. Sie haben mein Mitgefühl, Mr Obudsman.

    Und meine Reverenz an Lord Bacon. You were right.


    Nachtrag und Fazit, 2022

    Im Rückblick erscheint diese erste Analyse uneingeschränkt zutreffend. Über Jahre hinweg hat das Homeopathy Research Institute im Grunde nichts anderes getan als die Geschichte von einem „unterdrückten ersten Entwurf“ zu einer weltweit verbreiteten Verschwörungstheorie auszubauen. Nie hat es das immer wieder angekündigte Analysepapier zum NHMRC-Report vorgelegt. Auf Anfrage (die es ganz direkt sogar in einem Austausch in den Sozialen Medien gab) ist man jede Antwort nach dem Warum schuldig geblieben. Stattdessen hat man das NHMRC, immerhin eine hochrangige Dienststelle der Australischen Bundesregierung, mit Manipulationsvorwürfen überzogen und dazu auch noch eine weltweite Petition gestartet.

    All das ist erwartungsgemäß krachend gescheitert. 2019 veröffentliche das NHMRC dann, um der Sache ein Ende zu machen, den nicht mehr weiterverfolgten „First Draft“ des Reviews mit zahlreichen Anmerkungen zu dessen Mängeln, wegen derer er nicht weiterverfolgt wurde. Die Leiterin des NHMRC, Prof. Anne Kelso, veröffentlichte dazu einen Disclaimer. der den Sachverhalt klarstellte. Selbst danach versuchten Homöopathievertreter noch, aus dem „First Draft“, also einem Dokument aus dem Papierkorb, „Belege“ für ihre Verschwörungstheorien abzuleiten. Unsäglich.

    Und das gleiche Homeopathy Resarch Institute (das vorher auch mit dem Versuch gescheitert war, Evidenzbelege für die Homöopathie durch eine Analyse der gesamten Studienlage zutage zu fördern – siehe zu den Arbeiten von Robert Mathie in diesem Blogbeitrag – tut so, als sei nichts gewesen, denkt nicht daran, seine massive Fehlleistung gegenüber dem NHMRC einmal einzugestehen und betreibt nach wie vor Homöopathielobbyismus in der vordersten Reihe. Neuerdings unterhält das HRI gar eine Filiale (oder wie man das nennen mag) in Berlin, von wo es die hiesige Homöopathielobby mit allerlei Statements und Studien versorgt, die sich meist schon beim ersten Blick als obsolet erweisen. Insbesondere HRI-Direktorin Rachel Roberts hat kein Problem damit, zu behaupten, dass gerade die qualitativ besten Studien homöopathische Wirkungen über Placebo hinaus belegen würden. Sie weiß genau, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn das kann sie im zusammenfassenden Bericht über Robert Mathies Ergebnisse auf der Webseite ihres eigenen Instituts nachlesen.

    Unfassbar eigentlich. Aber sehr interessant und durchaus lohnend, zu solchen älteren Blogbeiträgen einmal den Gang der Dinge nachzutragen.

    Mehr zu der Geschichte um den „First Draft“ beim Informationsnetzwerk Homöopathie und bei der Homöopedia. Außerdem interessant: dieser Text des NHMRC-Studienleiters Prof. Paul Glasziou zur Arbeit am Review.

    Was allerdings fassungslos macht, ist, dass der Ombudsman in Australien immer noch nicht zu einem abschließenden Urteil gekommen ist. Das NHMRC trägt es mit Fassung und weist auf seiner eigenen Webseite darauf hin – und darauf, dass er vorbehaltlos mit dem Ombudsmann zusammenarbeite. Was sonst. Letztlich bleibt für mich persönlich die Frage, ob der Ombudsmann womöglich tatsächlich der Ansicht ist, dass ein Diskurs über eine wissenschaftliche Arbeit in die Zuständigkeit einer Bürger-Beschwerdestelle fällt … ?!?


    Bild von Markus Winkler auf Pixabay

    Noch ein paar nichtalternative Fakten zu VAXXED…

    Ein paar weitergehende Anmerkungen zu VAXXED sind angesichts der Nebelkerzen, die so geworfen werden (kein Impfgegnerfilm, schockierende Wahrheiten usw.) wohl noch angebracht. Selbstverständlich habe ich mir VAXXED selbst auch angeschaut – dies nur zur Vorbeugung allfälliger Missverständnisse.

    Wakefield propagiert -auf Umwegen- seine alte, längst definitiv widerlegte These vom Zusammenhang des MMR-Kombiimpfstoffes mit Autismus auch durch diesen Film. Das Perfide daran ist, dass es das Ganze als Verschwörungsgeschichte à la Bourne-Identität aufbaut. Natürlich mit unbelegten Behauptungen.

    Wakefield ist ein völlig skrupelloser Selbstvermarkter. Einerseits ist es ihm offenbar recht, wenn aus seiner -widerlegten- Position eine generelle Impfhaltung entsteht (in Amerika beruft sich praktisch jeder Impfgegner auf Wakefield), andererseits kokettiert er weltweit immer damit, VAXXED sei ja kein Impfgegnerfilm und er selbst auch kein Impfgegner. Das ist ein ganz erbärmliches Schauspiel.

    Der Film hat die alleinige Absicht, Wakefield selbst mit seiner damaligen “Autismus-Studie” als Verschwörungsopfer darzustellen. Dazu ist ihm jedes Mittel, jede verquere Argumentation recht. Nur darum geht es in dem Film: Selbstrechtfertigung und Selbsterhöhung.

    Der ehemalige CDC-Mitarbeiter, den Wakefield hier als “Whistleblower” vorführt, ist nie im Film zu sehen – nur seine Stimme ertönt aus dem Off. Woher diese Aufnahmen stammen, ob sie autorisiert sind – alles bleibt offen. Keiner der anderen an der CDC-Studie beteiligten Wissenschaftler erhält Gehör. Was die Forschungsergebnisse der CDC angeht, die angeblich Wakefields MMR-Autismus-These belegen, so wird hier schlicht Ursache und Wirkung verwechselt. Sehr schön ausgeführt und zusammengefasst ist die VAXXED-Causa beispielsweise beim Hollywood Reporter, der auch die wichtige Frage stellt, weshalb in dem ganzen Film nicht ein einziger anerkannter Autismus-Forscher zu Wort kommt:

    http://www.hollywoodreporter.com/news/anti-vaccine-doc-vaxxed-a-882651

    Mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas hat der Film nicht das Geringste zu tun. Der Film ist, wie Prof. Gorski (Wayne State University School of Medicine, Illinois) richtig sagte, so manipulativ, dass Leni Riefenstahl vor Neid erblassen würde. Hier die Originalartikel von Prof. Gorski auf sciencebasedmedicine.org:

    https://sciencebasedmedicine.org/the-fall-of-andrew-wakefield/

    https://sciencebasedmedicine.org/andrew-wakefields-vaxxed-antivaccine-propaganda-at-its-most-pernicious/

    Der Film ist -klar erkennbar- nur dazu da, um Wakefields Ego zu stützen, der sich trotz aller Gegenbelege tatsächlich nach wie vor für ein verfolgtes Genie zu halten scheint (was noch das Freundlichste ist, was man annehmen kann).

    Für Wakefield war bei der damaligen “Studie” die Geschichte mit Autismus und der MMR-Impfung nur eine Art Nebenprodukt – aber ein lukratives. Die Studie selbst befasste sich -entsprechend dem damaligen Fachgebiet Wakefields, der Gastroenterologie- mit Darmerkrankungen als angebliche Folge der MMR-Impfung. Wakefield war ja Patenthalter eines – damals schon überholten – Einzelimpfstoffs gegen Masern, woraus sich sein Interesse ergab, den MMR-Mehrfachimpfstoff schlecht zu machen. Das Patent konnte er mit dem Aufkommen der MMR-Dreifachimpfung natürlich in den Papierkorb werfen. Das mit der Kombinationsimpfung als Autismus-Ursache lief so nebenher. Warum? Wegen der Verflechtung Wakefields mit Anwälten, die mit seiner “wissenschaftlichen Arbeit” hofften, ihr Schäfchen ins Trockene bringen zu können. Was sie sich bekanntlich gegenüber Wakefield einiges kosten ließen. Hier nochmal der Link zur “Retracted” Lancet-Publikation (aus deren Titel der Schwerpunkt der Arbeit klar ersichtlich ist):

    http://thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(97)11096-0/abstract

    Offenbar ist der Anschluss an die Impfgegner- und Verschwörerszene (vor allem in den USA) weitaus lukrativer als die Verfolgung seiner damaligen “wissenschaftlichen Anliegen”, die seinerzeit ja hauptsächlich auf dem gastroenterologischen Aspekt beruhten. Davon ist keine Rede mehr…  So erklärt es sich, dass Wakefield, ohne selbst natürlich Impfgegner zu sein, Galionsfigur der in den USA finanziell bestens ausgestatteten Impfgegnerszene ist und seine alte Story allen Ernstes mit einer unbewiesenen Verschwörungsgeschichte auch noch für seine Kinotour ausschlachtet. Übrigens – selbst wenn die CDC-Verschwörungsgeschichte wahr wäre, hätte sie natürlich keinerlei Beweiswert für Wakefields vielfach und lange widerlegte MMR-/Autismus-These.


    Ein Wort noch zu einer anderen Verteidigungslinie, die u.a. vom Filmverleih und auch auf Impfgegnerseiten im Netz (unter dem Titel “Gegendarstellung”) eröffnet wurde: Dem Heranziehen der Story um Prof. Walker-Smith, den damaligen “Vorgesetzten” von Wakefield, und dessen “Rehabilitierung”, die 1:1 auf Wakefield zu dessen angeblicher Entlastung übertragen wird.

    Walker-Smith war “Vorgesetzter” Wakefields als Klinikchef der gastroenterologischen Pädiatrie, also einer klinischen Fachabteilung für Magen-Darm-Erkrankungen für Kinder am Royal Free Hospital. (Bitte das auch einmal vergegenwärtigen, Wakefield war Gastroenterologe, weder Immunologe noch Neurologe, also mit der Fachlichkeit sowohl von Impfungen als auch von Autismus überhaupt nicht befasst). Dort wurde die “Studie” Wakefields durchgeführt, Walker-Smith hat nur die Erlaubnis dazu gegeben und wurde nicht als aktiv Handelnder, sondern in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Vorgesetzter belangt. Vor allem: Walker-Smith war NICHT der Studienleiter, das war Wakefield (Paper’s Chief Author)! Walker-Smith war, wie das so üblich ist, als Rennomeegeber “Letztunterzeichner” der damaligen Studie – mehr nicht.

    Walker-Smith wurde schiedsgerichtlich entlastet, weil ihm keine Teilnahme an einer bewussten Irreführung, ja nicht einmal die Teilnahme an einer Studie nachgewiesen werden konnte (auf gut Deutsch, auch er war von Wakefield nur benutzt worden). Der Schiedsspruch lautete:


    “Es (das Schiedsgericht) hatte zu entscheiden, was Professor Walker-Smith dachte zu tun: Wenn er glaubte, Forschungen unter dem Deckmantel der klinischen Untersuchung und Behandlung zu betreiben, würde die Feststellung ernsthaften beruflichen Fehlverhaltens mit der Folge von Sanktionen berechtigt sein. Falls nicht, wäre dies allenfalls dann gerechtfertigt, wenn sein Handeln völlig außerhalb angemessener medizinischer Praxis akademischer Kliniker gelegen hätte”.

    Also: Der Vorwurf eines aktiven Mit-Handelns wurde vom Schiedsgericht verneint. Walker-Smith hatte nach dessen Ansicht im Grunde nicht viel mehr getan, als Wakefield in seiner Klinik Zugang zu Patienten für seine Untersuchungen zu gestatten. Eine andere Geschichte ist, dass das General Medical Council (GMC) als anklagende Aufsichtsbehörde nach wie vor der Ansicht ist, dass er als Klinikdirektor hätte kritischer sein müssen.

    Walker-Smith hat sich eben NICHT der gleichen Verfehlungen schuldig gemacht wie Wakefield. Man hat ihn überhaupt nicht in einer exponierten oder verantwortlichen Rolle bei Wakefields Studie verortet. Gegen ihn ist auch nie ein Betrugsvorwurf vor einem ordentlichen Gericht erhoben worden. Wakefield dagegen hat sich schuldig bekannt und ist damit einer öffentlichen Verhandlung zuvorgekommen. Jetzt damit zu kommen, er habe sich den Prozess nicht leisten können, ist ja wohl ein schlechter Witz.

    Hier der Bericht des Guardian zu Walker-Smiths Rehabilitation:

    https://www.theguardian.com/society/2012/mar/07/mmr-row-doctor-appeal


    Das nur als ergänzende Information. Abschließend noch etwas Persönliches:

    Ich habe mir wirklich einen Kopf dazu gemacht, ob ich mit meiner derzeitigen Kritik, die sich immerhin gegen die öffentliche Aufführung eines Films richtet, nicht doch meine eigenen Grundsätze zu Toleranz und Meinungsfreiheit irgendwo verletze.  Ich komme aber zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall ist. Zu diesem Schluss berechtigt mich neben der nahezu fehlenden öffentlichen Diskussion, der Stimme des common sense, vor allem das Vorgehen der Impfgegnerszene, die bar jeder wissenschaftlichen Objektivität unhaltbare Thesen vertritt, die geeignet sind, ganz direkt und unmittelbar Schaden an Leib und Gesundheit von Menschen -insbesondere von Kindern- zu verursachen. Der Film selbst tut dies auch. Zudem haben mich besonders die Auswirkungen von Wakefields Aktionen auf von Autismus Betroffene, ob selbst Erkrankte oder Angehörige, beeindruckt.

    Natürlich halte ich es für eine Frage der persönlichen Verantwortung von Verleih und Kinobetreibern, sich für oder gegen das Zeigen dieses Films, für oder gegen eine öffentliche Plattform für Wakefield selbst, für oder gegen eine propagandistische Scheindebatte bei der Kinotour zu entscheiden. Nach meinem Eindruck hat es für eine solche -verantwortlich und informiert getroffene- Entscheidung aber ganz offensichtlich an Informationen gefehlt.

    Ich übe keinen Druck aus. Wie auch. Ich möchte nur dem offensichtlichen Informationsdefizit abhelfen und dem Verleih wie den Kinobetreibern eine Entscheidung auf vernünftiger Grundlage ermöglichen. Deshalb enthalten alle meine direkten Botschaften an Verleih und Kinobetreiber lediglich die Bitte, die Entscheidung für den Film auf der Grundlage der von mir ausführlich gelieferten Sachinformationen zu überdenken. Nicht etwa eine ultimative Aufforderung zur Absetzung des Films oder dergleichen. Was ich persönlich davon halte, wenn die Entscheidung für den Film trotz der verfügbaren Informationen getroffen wird, ist eine ganz andere Sache.

    Wenn das nicht legitim ist, ja, geradezu ein Gebot innerhalb einer funktionierenden Zivilgesellschaft, was denn dann? Was allerdings die Impfgegnerszene von der Einstufung dieses Blogs als “Hate-Seite” nicht abgehalten hat.


    Bildnachweis: @ Refutations to Anti-Vaccine Memes

    Ich weiß es doch auch nicht …

    … wie man mit der VAXXED-Geschichte noch umgehen soll.

    Der Verleih, Buschmedia, ist voll in der Offensive, was die Verbreitung von Wakefields Machwerk angeht. Das Ganze wird massiv orchestriert von Jammern und Klagen der unschuldig verfolgten Impfgegner. Garniert zunehmend mit dem Vorwurf, die bösen Impfbefürworter würden zu nackter Gewalt greifen, um die Wahrheit und die Meinungsfreiheit zu unterdrücken.

    Man stelle sich das bitte vor: In den angelsächsischen Ländern und einigen mehr ist Wakefields Film weitgehend als das entlarvt, als was er ist: Ein manipulatives Machwerk der allerschlimmsten Sorte, der die Schuld, die Wakefield schon lange wegen der Verunsicherung von Eltern auf sich geladen hat, noch einmal vervielfacht. Eine öffentliche Debatte unter Beteiligung der Presse hat zu dieser öffentlichen Wahrnehmung geführt. Vor kurzem ist es gelungen, diesen Schmutz aus dem Europaparlament herauszuhalten. Und hier, bei uns in Deutschland?

    Könnte es kaum besser laufen für Wakefield. Der Verleih zieht die Sache durch. Die “Unterstützung” der “Presse” besteht bislang vor allem darin, dass über die angebliche Gewaltbereitschaft und Militanz der Gegner des Films berichtet wurde – unter anderem von einer so seriösen Publikation wie Epochtimes, auf die sich der Facebook-Auftritt von VAXXED ausdrücklich bezieht. Wer solche Verbündeten hat… naja. Selbst auf dem offiziellen Hauptstadt-Portal Berlin.de (Link erloschen) wird die übliche Propaganda weiterverbreitet. Es scheint sich auch niemand daran zu stören, dass semiprofessionelle Impfgegner wie Hans Tolzin sich für den Film stark machen.

    Wo ist die kritische Presse? Ach, ich vergaß: Oberste journalistische Tugend ist ja bei uns bekanntlich die Ausgewogenheit. Eine Parteinahme kann man ja wohl nicht mehr erwarten.

    Herrscht Unwissenheit? Völlige Gleichgültigkeit? Falsches Verständnis von Toleranz und Meinungsfreiheit? Muss es ein paar Leuten aus der Zivilgesellschaft überlassen bleiben, gegen diesen Wahnsinn zu protestieren? Ich weiß es auch nicht. Wirklich nicht.


    Im Netz findet man dann Texte wie diesen:

    Bedrohung von Kinos, die impfkritischen Film VAXXED ausstrahlen wollen

    Die geplante Deutschland-Tournee des impfkritischen US-Filmes “VAXXED” über den Zusammenhang von Impfungen und Autismus wird gerade von teilweise gewaltbereiten, fanatischen Impfbefürwortern (Antifa?!) sabotiert und angegriffen. Kinobetreiber werden aggressiv unter Druck gesetzt und quasi mit öffentlichem und (a)sozialem Druck gezwungen, die Ausstrahlung des Filmes abzusetzen. Leider mit beträchtlichem Erfolg. Mit Hatespeech, Hetze und sogar Gewaltandrohung (!) wird die Verbreitung von Informationen, die gegen die vorherrschende Impf-Meinung sprechen unterbunden. WARUM? Wovor haben die eigentlich Angst? Und woran erinnert mich das bloß? Sind das die Vorboten eines Impfzwanges in Deutschland? []

    Man kann beobachten, dass die Gegner der Filmausstrahlung sich nicht mit den Fakten auseinander setzen, sondern eine emotionale (pogromartige) Stimmung erzeugen, die es Impfskeptikern unmöglich machen, sachlich ihre Stimme zu erheben und ihre Interessen zu vertreten. Neben den Forschungen von Dr. Wakefield gibt es sage und schreibe 130 Publikationen (Liste), die die These über den Zusammenhang der MMR-Impfung und Autismus ebenso unterstützen. Das wird geflissentlich ignoriert. Man muss sich mittlerweile ja schon fast fürchten, sich für ‘Impffreiheit’ einzusetzen. Wo wird das enden? […]

    Nicht nur Hans Tolzin und andere Impfkritiker, jeder anständige Bürger, sollte sich gegen diese Einschüchterungen wehren. Lasst uns Solidarität und Unterstützung zeigen. Komme wer kann zur Ausstrahlung des Filmes nach Essen und demonstriere Geschlossenheit gegen diesen subtilen, sozialen Druck. Ich werde auch dort sein. Leider bestätigen sich die schlimmen Befürchtungen, dass der Druck auf nicht impfen wollende Menschen steigt. Doch dass es so schnell so krass wird, hätte selbst ich nicht geglaubt. […]

    Meines Erachtens zeigt es diese Entwicklung immer deutlicher: Schützt Euch und Eure Kinder zumindest mit einer persönlichen Strategie gegen zukünftiges Mobbing und Ausgrenzung.


    Die Verschiebung der Wahrnehmung macht beinahe fassungslos. Dem habe ich nur noch eines hinzuzufügen: In meinem Briefkasten (im physischen) fanden sich in den letzten Tagen zwei sehr unangenehme “Botschaften”, die die Toleranz und Gesprächsbereitschaft der Wakefield-Fraktion sehr eindeutig unter Beweis stellten. Noch heute habe ich einen Telefonanruf erhalten, der nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ.

    All das lesen und erleben wir, während überall in der Welt – zuletzt in Rumänien – immer größer werdende Herde an Masernerkrankungen auftreten. Es ist eine Frage der Zeit, bis wir eine ordentliche epidemische Ausbreitung haben. Zudem wird über Todesfälle durch Keuchhusten und durch Tetanie berichtet. Und der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission weist darauf hin, dass Deutschland inzwischen das europäische Schlusslicht bei der Maserndurchimpfung ist.

    Angesichts dessen ist nicht nur die Verbreitung des Films, sondern auch die Aktivität der Propagandisten geradezu pervers.

    Ach ja, bevor ich es vergesse: VAXXED macht geltend, es sei überhaupt kein Impfgegnerfilm. Im Gegenteil, Wakefield propagiere ja die Impfung, eben nur nicht den Mehrfachimpfstoff. Ein “Argument”, das auch in den USA schon in der Luft zerrissen worden ist. Gut, dann ist er eben kein “Impfgegnerfilm” – an der Verbreitung nachweislicher Unwahrheiten mit dem subtilen Ziel, Eltern – vor allem Eltern autistischer Kinder, die schon verunsichert genug sind – endgültig zu verunsichern. Und nebenbei die Frage: Wenn Wakefield kein Impfgegner ist, weshalb tritt er dann auf Tolzins Impfgegnersymposion als Ehrengast auf?

    Leute, wo sind wir nur hingekommen. Mir ist schon klar, dass viele Menschen inzwischen ernsthaft den “Argumenten” von Wakefield und Co. “glauben”, warum auch immer, ungeachtet der Informationsmöglichkeiten, die jedermann offenstehen. Sei es drum – oder auch nicht. Aber hier noch eine kommerzielle Veranstaltung aus dieser Unsäglichkeit zu machen, keinerlei kritische Reflexion zu zeigen und dann auch noch militant und verleumderisch auf diejenigen zu reagieren, die sich dem grassierenden Wahnsinn entgegenstellen – das lässt mich schon einigermaßen verzweifeln. Ich nehme für mich selbst zudem in Anspruch, hart in der Sache zu sein, aber weder jemand persönlich anzugreifen noch zu diffamieren oder gar zu bedrohen. Niemals!


    Ich erlaube mir einmal abschließend ein Zitat des hellsichtigen Heinrich Heine:

    Das ist schön bei den Deutschen: Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht.


    Bildnachweis: @sixxtopia / Frantz Fanon


    Aus den Kommentaren

    sternenmond75 sagt:

    Lieber Udo,

    ich war privat ein wenig versackt (die liebe Familie…) und bin geschockt, dass Du offenbar jetzt schon telefonisch von Wakefield-Befürworter belästigt (bedroht?) wirst. Das verbuchen solche Leute wohl auch unter Meinungsfreiheit….

    However: das Bild ist perfekt gewählt, inhaltlich kann man nur immer wieder gebetsmühlenartig alle Fakten, die ja eindeutig auf UNSERER Seite sind, wiederholen.

    Allerdings fuchst mich das ganze mittlerweile dermaßen, dass ich mich versucht habe, in die Untiefen zu stürzen. In der Hoffnung, alles richtig zusammenzubekommen (ansonsten gerne eingreifen), gehe ich zurück zur Wurzel allen Übels, also zu den Anfängen von Mr. Wakefield, der ja offenbar völlig uneigennützig agiert:

    Wie hat der Ausschuss GMC (General Medical Council) nach dem Lancet-Skandal an Tag 197 so schön im Protokoll festgehalten (alles verlinkt/zu finden unter http://www.casewatch.org/foreign/wakefield/sanction.shtml):

    „He admitted that around June 1997 Dr Wakefield filed for a patent with the Patent Office. He was one of the inventors for a vaccine for the elimination of measles virus and for the treatment of IBD. His involvement in the MMR litigation, receipt of funding for part of the Project 172-96 and involvement in the patent constituted a disclosable interest which could have given rise to a legitimate perception of a conflict of interest which he did not disclose to the editor of the Lancet.“ SOSO!

    By the way: Das GMC hat unter anderem die Funktion „Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass ein Arzt die Sicherheit der Patienten oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in Ärzte gefährdet.“ Hat es, in dem Wakefield die Approbation entzogen wurde. Applaus! Über 2 elende Jahre hatte das Anhörungsverfahren mit über 200 Anhörungstagen gedauert. Soll sich einer beschweren, man hätte hier leichtfertig und zu schnell entschieden, Wakefield Berufsverbot zu erteilen. Alleine die Berichte, wie oft die Kinder mit unnötigen Lumbalpunktionen gequält wurden sollten eifrige Anti-Vaxxer sich einmal einverleiben.

    Und was in diesem Zusammenhang immer wieder GERN vergessen wird. Wakefield ist, naja WAR Arzt der Gastroentrologie. Die verzweifelten Versuche MMR mit Autismus zu verknüpfen sind doch schon seit Jahrzehnten der vorgeschobene Grund. Er kommt ja bei seinen biomedizinischen Ansätzen zur Autismustherapie auch immer auf irgendwelche Darmerkrankungen. Das WAR ja auch der Titel der Studie „Ileal-lymphoid-nodular hyperplasia, non-specific colitis, and pervasive developmental disorder in children”. Siehe The Lancet:

    http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(97)11096-0/abstract

    Hat sich irgendein eifriger Anti-Vaxxer das ganze Mal angeschaut? Der fast schon nebensächlich anmutende Bezug auf Autismus wird so formuliert, dass er KEINESFALLS als „gesichert“ gilt. Der Fokus lag eindeutig auf den Darmerkrankungen, aber noch so ausreichend, dass die Sponsoren-Anwälte ihr vermeintliches Futter für die herbeigesehnte Klage gehabt hätten.

    Wie man das so derartig drehen kann, dass Autismus ist interessant und vermutlich auch durch die damaligen klagewilligen Eltern zu begründen, die einen Schuldigen für die Autismusdiagnose ihrer Kinder finden wollten. Aber ganz so uneigennützig ist Wakefield nicht gewesen, denn im Prinzip läuft es also darauf hinaus, dass die MMR-Impfung in seinen Augen zu Darmproblemen führt. Klingt nicht so „schick“, daher die Finanzspritzen-Autismus-Krücke (wahlweise noch in Kombination mit ADHS/ADS- um es noch reißerischer zu gestalten).

    Herrgott, fällt DAS denn KEINEM auf? Wakefield ist KEIN Neurologe, KEIN Psychologe, KEIN Psychiater, KEIN Neurochirurg, KEIN Kinderarzt, sondern vom Background her Gastroenterologe.

    Und zwar einer, der unterm Strich tatsächlich kein Impfgegner zu sein schein – Obacht, jetzt kommt’s – sondern nur ein vermeintlicher Gegner der 3-fach MMR-Impfung. Sein Impfstoff ist aber nur ein Einzelimpfstoff gegen Masern. Wo alle Welt aber einen dreifachen Impfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR) benutzt, hätte er seinen einfachen Impfstoff nie in den Markt bringen können. Deswegen hat Wakefield mutmaßlich den Dreifachimpfstoff verteufelt und alles darangesetzt, ihn durch angebliche wissenschaftliche Beweise zu diskreditieren. Das sollte man mal sacken lassen, was? Vermutlich ist aber die Umsatzquelle durch Impfgegner mittlerweile viel lukrativer als irgendwann darauf zu hoffen, dass sich ein Einzelimpfstoff gegenüber einem kombinierten Impfstoff etabliert.

    Würde jemand mit Hirn und Verstand einen Zahnarzt glauben, der eine neue Studie herausbringt, die angeblich zufällig „nebenbei“ beweisen würde, dass der Genuss von Babyfencheltee der sichere Weg zur Dialyse (Nierenschaden) wäre? Vielleicht hätte er einen Grund, an Kinderfencheltee etwas auszusetzen, z.B. dass einige Hersteller die Produkte süßen und somit die Wahrscheinlichkeit von späteren Zahnschäden steigt. Aber das lockt keinen hinter dem Ofen hervor, also wird die nächste Stufe des Merchandisings betrieben -> siehe Wakefield. Und der Vertrieb des vom Zahnarzt selbstkreierten Fencheltee nimmt seinen Lauf….

    Uff, ich muss aufhören. Das Gedankenspiel bereitet mir Übelkeit unendlichen Ausmaßes. Euch auch?

    Udo Endruscheit sagt:

    Vielen Dank für diesen ausführlichen und fundierten Kommentar! Ja, ich kenne die Details gut, habe mich damit ausführlich beschäftigt. Auf der anderen Seite muss man sich Kommentare auf FB und woanders anhören, wo man gefragt wird, ob man die Wakefield-Studie überhaupt gelesen hätte… Wenn man dann mit Ja antwortet und mit der Gegenfrage, ob der Frager sie denn auch gelesen hätte, dazu die Untersuchungsberichte, die Statements von Lancet undsoweiter, dann wird man beschimpft…Auch die Befassung mit dem wirklichen Inhalt des Films lohnt, denn dann wird deutlich, dass es nicht um irgendeine wissenschaftliche Kontroverse geht, sondern nur darum, dass eine Verschwörungsgeschichte rund um Wakefield aufgebaut wird. Wobei die Rolle der vorgeschobenen Protagonisten völlig dunkel bleibt und im ganzen Film nicht ein einziger ausgewiesener Autismus-Experte zu Wort kommt.

    Mit welcher Militanz die Proteste gegen den Film beantwortet werden, ist wirklich erschreckend und auch deprimierend. Der Gipfel des Ganzen ist ja dann noch die Verunglimpfung der Protestierenden als Faschisten, Antidemokraten, Zerstörer der Meinungsfreiheit und semikrimineller Bedroher. Man muss sich das mal vorstellen. Ich komme da einfach nicht mehr mit, welche mentale Verfassung da vorherrscht. Ich kann ja noch nachvollziehen, wenn sich jemand in eine absurde Auffassung verbeißt, aber so weit zu gehen in der Gegnerschaft wie geschehen, da endet es bei mir. Es deckt sich inzwischen 1:1 mit der Virenleugner-Fraktion um Lanka, die es so weit gebracht hat, dass Dr. David Bardens öffentlich nur noch mit Personenschutz auftritt.Zu Wakefield selbst – er hält seine Lebenslüge aufrecht. Aus seiner Sicht höchst effektiv. Natürlich hat er ideell wie materiell von der Impfgegnerszene in den USA Rückenwind bekommen, da liegt die Ursache für seinen derzeitigen Feldzug. Und darin, dass er darauf setzt, Trump, Kennedy jr. und Leute wie de Niro auf seiner Seite zu haben. Ich bin über den Begriff des Postfaktischen längst hinaus – wir sind längst beim Kontrafaktischen angekommen.

    Derzeit möchte ich meinen Artikel mit dem Titel “Ich weiß es doch auch nicht…” als vorläufiges Fazit verstanden wissen. Wir werden sehen. Vielleicht geschieht ein Wunder und es kommen noch kritische Pressestimmen auf wie in England und den USA.

    Geht’s noch? Mal wieder Katastrophen der Woche

    Bildnachweis: Fotolia_100202090_XS

    Ehrlich gesagt, ich weiß kaum, wo ich anfangen soll bei all dem irrealen Zeug, das derzeit so auf einen einprasselt. Deshalb heute mal wieder ein Überblick mit den Linkhits des Tages – zum Lesen und Staunen.

    Krankenkassen zur Homöopathie

    Man könnte glauben, die Krankenkassen würden anfangen, sich bezüglich ungehemmter Werbung für und Falschinformationen zur Homöopathie absprechen. Um nicht gleich wieder eine ganze Handvoll von Links anzubieten, hier ein Beitrag des geschätzten Joseph Kuhn bei den scienceblogs, der sich mit den aktuellen Unfassbarkeiten bei der DAK beschäftigt. Weiter unten dort mein Kommentar, der das Thema noch ein wenig weiter ausdehnt.


    Homöopathie im Kuhstall

    Der BR leistet sich mal wieder einen redaktionellen Beitrag, der sich ausgerechnet des unsäglichen Themas der Tierhomöopathie im Nutztierbereich annimmt. Dazu habe ich mich ja früher schon klar positioniert. Bitte festhalten beim Lesen, die Kommentare darunter machen allerdings auch wieder ein wenig Mut.


    Impfen ist pöhse und gefehrlich

    Wer den Knaller hier (Link erloschen, kann ich verstehen, aber der nachstehende Link zum Interview mit Prof. Stadler sagt alles) noch nicht kennt, der kann mal zur Kenntnis nehmen, dass es die Toggenburger Zeitung gibt. Perlen des Lokaljournalismus.

    Alles, was dazu zu sagen ist, hat der immer wieder beliebte Prof. Beda Stadler in diesem Interview kurz und knapp zusammengefasst.


    Alternative Notfallmedizin: Wie man einen Herzinfarktpatienten noch vor Eintreffen des Rettungsdienstes umbringt

    Ja. Vielleicht der Knaller des Tages überhaupt. Ich stieß auf diesen wahnwitzigen Beitrag auf der bekannt schrägen Seite “Bewusst vegan froh” und kommentierte bei FB dazu:

    Warum, ratet mal, habe ich wohl hier statt eines Links ein Bild gepostet? Richtig. Weil sowohl mein Kommentar (nicht nur meiner) gelöscht ist als auch ich auf der Seite gesperrt wurde. Nicht nur ich. Alle anderen kritischen Kommentare sind auch verschwunden.

    Wenn jemand Lust hat… Bei FB einfach nach “Bewusst vegan froh” suchen. Übrigens bin ich gespannt, die Seite wurde wegen Verbreitens von (gemeingefährlichen) Falschaussagen gemeldet.

    Noch einer?


    Heilpraktiker in Brüggen-Bracht (wir erinnern uns – Todesfälle)

    Die Staatsanwaltschaft und die Polizei stehen auf dem Schlauch bei den Ermittlungen. Und warum? Ganz einfach. Weil sie merken, dass sie einer Situation gegenüber stehen, die nach dem Motto “erlaubt ist, was nicht verboten ist” beurteilt werden muss.
    Jeder approbierte Mediziner wäre längst aus dem Verkehr gezogen und stünde vermutlich vor Gericht, wenn er -wie der HP hier- eigenmächtig ein Mittel verwendet hätte, das nicht nur nicht zugelassen ist, sondern noch nicht einmal die B-Phase der Testung durchlaufen hat. Die Kausalität zum Tod der PatientInnen wäre da erstmal nachrangig.

    Und die Politik kapiert es einfach nicht. Es geht nicht in die Köpfe. Man kann es immer wieder erklären, man kann im Einzelfall mal aufgerissene Augen und ungläubiges Staunen über die Fakten zum Heilpraktikerwesen sehen – aber politisch bewegt sich gar nichts.


    Und aktuell:

    Kennedys und de Niros 100.000-Dollar-Schwachsinn

    Das Forbes-Magazin benennt Kennedy schon Anwärter für die Auslobung. Mit den Erfahrungen von Dr. David Bardens im Lanka-Fall bin ich persönlich eher der Meinung, mal sollte ihnen erklären, warum ihre Auslobung bescheuert ist und es dabei belassen. Die warten doch -genau wie Lanka- nur auf die Möglichkeit, ein Feuerwerk zu entfachen, sofern jemand auf sie ernsthaft eingeht. Deshalb habe ich dort kommentiert:

    “Kennedy and de Niro will have their own definition of “safe”. I guess, they would not accept medical statistics.

    Otherwise, a look at Cochrane reviews would suffice, for example:
    Cochrane (http://www.cochrane.org/…/ARI_using-combined-vaccine…) writes:
    „Results from two very large case series studies involving about 1,500,000 children who were given the MMR vaccine containing Urabe or Leningrad-Zagreb strains show this vaccine to be associated with aseptic meningitis; whereas administration of the vaccine containing Moraten, Jeryl Lynn, Wistar RA, RIT 4385 strains is associated with febrile convulsion in children aged below five years (one person-time cohort study, 537,171 participants; two self controlled case series studies, 1001 participants). The MMR vaccine could also be associated with idiopathic thrombocytopaenic purpura (two case-controls, 2450 participants, one self controlled case series, 63 participants).We could assess no significant association between MMR immunisation and the following conditions: autism, asthma, leukaemia, hay fever, type 1 diabetes, gait disturbance, Crohn’s disease, demyelinating diseases, or bacterial or viral infections.“ …

    Best to handle Kennedys and de Niros offer: Don’t feed the troll.”


    Kennedy und die evidenzbasierte Forschung

    Für Kennedy zählt nicht zur Wissenschaft, was das CDC (Center for Disease Control and Prevention) und das NIH (National Institutes of Health) sagen, sondern nur, was auf PubMed steht. Auch nicht, was der Doktor sagt. Aha.

    Nun, erstens steht auf PubMed nicht alles, was es so gibt, denn PubMed ist schlicht nicht die einzige Forschungsdatenbank. Zweitens dient PubMed der Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse, die dann zur Falsifizierung und ggf. für Metastudien oder zusammenfassende Reviews zur Verfügung stehen und ihre Evidenz erst einmal genau dadurch beweisen müssen. Da gerät auch Zweifelhaftes dazwischen. Es gibt so einige Schrottstudien auf PubMed, die mit Verachtung gestraft werden (mir fällt da gerade so eine Homöopathen-Studie über Nanopartikel in Hochpotenzen ein, die deshalb drin sind, weil sie sich bei den Potenzierungen alle an der Oberfläche sammeln und sich aneinander festhalten).

    Merke: PubMed ist nicht das gesammelte und gesicherte medizinische Wissen der Welt, was Mr Kennedy fest zu glauben scheint.

    Und was Mr Kennedy völlig übersieht: Bei PubMed erscheinen die CDC 55.000 mal und das NIH 115.000 mal. Wie sollte es auch anders sein. Beide Institutionen veröffentlichen jede Menge ihrer Studien und Reviews auf PubMed.

    Tja, Mr Kennedy. Von einem amerikanischen Staranwalt hätte ich nun doch nicht erwartet, dass er sich eine derartige Blöße gibt. Und von der Cochrane Collaboration hat er noch nie was gehört, nehme ich an.

    Kein weiterer Kommentar.

    Für Impfgegner

    Link dazu

    Auch an anderen Stellen veröffentlicht:
    Robert Kennedy jr. und Robert de Niro loben 100.000 Dollar für den aus, der die Unschädlichkeit von thiomersalhaltigen Impfstoffen bei Kindern und Schwangeren nachweist.

    Dumm, perfide oder beides? Hier kommt die klassische dumm-hinterlistige Forderung um die Ecke, etwas Nichtvorhandenes beweisen zu sollen. Wieder mal wird eine Schleimspur gelegt, die zu einer Win-Win-Situation für die Impfgegner führen soll. Wie soll man die Nichtschädlichkeit beweisen, wenn eh klar ist, dass medizinstatistische Daten diese Herrschaften nicht beeindrucken werden? Und dann auch noch der Spezialfall von thiomersalhaltigen Impfungen (gibt es fast nicht mehr) bei Schwangeren und Kindern? Wie soll das denn gehen?

    Was die Herrschaften oder vielleicht auch nur ihre Hintermänner wissen: Gar nicht. Sie werden, wenn jemand so verrückt ist, hierauf einzugehen, sich der Methode Lanka bedienen: Mit nichts zufrieden sein. Was ja aufgrund der Fragestellung, die nach dem Beweis von etwas Nichtvorhandenem fragt, auch naheliegt. Denn das ist keine epistemologische Kategorie, die Nichtbeweisung ist a priori ein praktisch unlösbares Problem, weshalb man es auch gar nicht erst aufwirft. Unter Leuten, die das verstanden haben. Oder es legt überhaupt niemand etwas vor, weil man sich nicht auch noch intellektuell selbst beleidigen will.

    Folge in beiden Fällen: Es wird messerscharf gefolgert, dass niemand die Unschädlichkeit von thiomersalhaltigen Impfungen bei Schwangeren und Kindern belegen kann. Und daraus wird triumphal abgeleitet, dass thiomersalhaltige Impfungen bei Schwangeren und Kleinkindern schädlich sind.


    Um nun doch noch etwas zur Sache „Thomersal“ beizutragen:

    Thiomersal wurde als Konservierungsstoff in Impfungen schon seit Ende der 1930er Jahre verwendet, damals auch -technisch bedingt- in weitaus höheren Dosen als zur letzten Zeit der Anwendung. Niemals sind deshalb Nebenwirkungen spezifisch berichtet worden. Vorher waren in den Impfdosen übrigens Petroleumverbindungen (!) drin. 

    Bis ca 1990 waren Röteln-Immunglobuline in Verkehr, um Rötelnembryopathien nach Kontakt bei Schwangeren ohne Rötelnimmunität zu vermeiden. Da wurden lt Fachinfo bis 40 ml in den M glutaeus injiziert, evtl sogar mehrmals. Nur waren die meisten dieser Immunglobuline mit Thiomersal 0,01% konserviert.

    Schäden beim Fötus: keine bekannt.

    Keine Frage, die Zerfallsprodukte Ethylquecksilberchlorid und Thiosalicylsäure haben ein hohes Sensibilisierungspotenzial. Da in jeder Fachinfo steht: Kontraindiziert bei Sensibilisierung gegen einen Inhaltsstoff.
    Thiomersal war in vielen Infundibilia mit > 20 ml (zB Immunglobuline) enthalten, obwohl damals bereits lt Europäischem Arzneibuch untersagt. In einem Anti-thymozytenglobulin eines internationalen Konzerns war es sogar undeklariert enthalten (1988) und man ist damit bis an die akute (irreversible) Toxizitätsgrenze gegangen. Dieses Produkt wurde dann vom Markt genommen.
    Quecksilberorganische Verbindungen waren bis in die 90er Jahre z.B: in Flächendesinfektionsmitteln enthalten. Nicht zu vergessen die Saatgutbeizmittel,da gabs Massenvergiftungen mit vielen Toten im Irak in den 70ern.

    Thiomersal ist leider in Kontaktlinsenwaschflüssigkeiten und auch in Kosmetika heute noch enthalten. Sensibilisierung sieht man dann an den roten Augen und an „diese Kosmetika sind nicht für meinen Typ geeignet“.

    Nur: die geringen, schon sehr lange nicht mehr aktuellen Mengen von Theomersal in Impfstoffen werden lautstark thematisiert. Der Rest – allenfalls in Fachkreisen …

    (Danke für Hinweise an Kommentator WolfgangM)


    Hiermit lobe ich demjenigen, der mir den wissenschaftlichen Beweis dafür erbringt, dass Robert Kennedy jr. und Robert de Niro keine Idioten sind, 100 Euro und einen Bund Bio-Knoblauch aus. Und wehe, keiner gewinnt die Auslobung hier! Dann steht nämlich klar fest, dass Robert Kennedy jr. und Robert de Niro ….

    Genau.


    Bildnachweis: Screenshot Buzzfeed

    Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén