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Schlagwort: Masern

VAXXED 2 kommt in deutsche Kinos – echt jetzt?

Ich muss es schnell hier loswerden – ja, Vaxxed 2 kommt in deutsche Kinos. Die Stadt Köln hat den Trailer auf ihrer koeln.de-Seite (UPDATE 19:00 Uhr: nach Hinweisen auf Twitter hat die Stadt Köln schnell reagiert und den Trailer von der Webseite genommen, sehr gut!), Babylon Berlin hat ihn ebenso angekündigt wie Kinos z.B. in Heidelberg oder Dresden.

Der Film, diesmal nicht mit dem Namen Wakefield daherkommend, hat den völlig verblendeten Robert Kennedy jun. im Rücken. Er zeigt eine Roadtour, eine Personality Show mit sicherlich bedauernswerten Familien, die z.T. schwerst behinderte Kinder mit sich führen und zur Schau stellen, weil sie dahin indoktriniert sind, Wakefields Lügen zum Zusammenhang zwischen MMR-Dreifachimpfungen und Autismus für bare Münze zu nehmen.

Das ist nicht nur vor dem Hintergrund widerlich und in höchstem Maße unethisch, dass die Botschaft schlicht und einfach falsch ist. Die “Autismus-Lüge”, diesmal unter schamloser Ausnutzung und Zurschaustellung menschlichen Leids auf der Basis von Irreführung, Lug und Trug. Pfui Teufel – wie können sich Verleih (Busch Media, wie beim ersten Film) und Kinos für so etwas nur hergeben? Ist man denn wirklich immer noch so naiv, nach all den Impfdebatten, um Vaxxed 1, um “Eingeimpft”, um die Impfpflicht in Deutschland? Das kann doch wohl nicht wahr sein???

Nach meiner Recherche gab es aber nirgends annähernd so viel “Wirbel” um diesen Film wie um den ersten Teil. Das dürfte an der Vorsicht der Produzenten gelegen haben, wie sich aus einem Artikel bei “Newsweek” erschließt. Da wird berichtet, dass der Film zwar in 50 Kinos in 19 US-Staaten anlief, das Ganze aber irgendwie eher einen konspirativen Charakter hatte:

”When trying to buy tickets on the film’s website for a certain location, potential viewers are told they are ‚reserving a ticket to a secret screening‘ and theater details will be emailed to them on the night of the showing.”

Das erinnert doch uns alte Wakefield-Fans an etwas Bestimmtes… da war doch was mit VAXXED 1 und den Homöopathen…


Es dürfte auch schwerfallen, eine “Dokumentation” zu finden, die wie diese von A bis Z, vom ersten bis zum letzten Byte der Filmdatei, eine einzige Lüge reproduziert. Muss man eigentlich noch besonders betonen, dass eine Unmenge von Forschung zur Autismus-Lüge deren nach wissenschaftlichen Maßstäben maximal mögliche Widerlegung ergeben hat? Eigentlich müsste der Aufwand für all diese Forschung Wakefield in Rechnung gestellt werden. Der “Guardian”, in solchen Fällen eine zuverlässige Bastion der Vernunft, berichtet entsprechend. So monothematisch-grobschlächtig wie Vaxxed 2 daherkommt – da muss man ja David Sieveking für sein “Eingeimpft” geradezu ein Kompliment für feinsinnige Differenzierung des Themas machen (natürlich nur im Verhältnis…).

Ach ja, Wakefield – der lebt in den USA in seiner Luxusfilterblase herrlich und in Freuden, lässt sich als Guru der Wahrhaftigkeit feiern und spekuliert darauf, die Celebrity-Follower seiner neuen Partnerin Elle MacPherson (bekannt unter ihrem früheren Model-Namen “The Body”) für sich verbuchen zu können. Wie er sein “Wirken” mit seinem Gewissen vereinbaren kann, das ist mir völlig unverständlich.

Darf alles nicht wahr sein. Mailt eure regionalen Kinos an, wenn ihr Ankündigungen seht, verweist auf deren Verantwortung als öffentliche Veranstalter, sagt ganz deutlich, dass Vaxxed 2 ein auf zweifelsfrei widerlegten Lügen aufbauendes unethisches Machwerk ist, das nur irrationale Impfängste schürt.


Die Impfaufklärung in Zeiten der Impfpflicht

Das „Informationsnetzwerk Impfen“ hat auf der Seite „eingeimpft.de“ (betrieben von der GWUP und vom Deutschen Konsumentenbund) vor kurzem den INIBlog eingerichtet, der sich gezielt der Aufklärung über Impfmythen widmen will, also der Klarstellung von Fehlinformationen welcher Art und von welcher Seite auch immer. Dem neuen Blog ist Erfolg zu wünschen. Ab sofort ist der Direktlink auf der Blogroll dieser Seite zu finden.

Beinahe zeitgleich dazu fand in Berlin eine Demonstration statt, die – ausgelöst vom politischen Beschluss pro Impfpflicht – als für eine von Zwang freie Impfentscheidung vor allem von Eltern angekündigt war. Es ging durch die Medien, dass diese Veranstaltung letztlich von politischen Aktivisten und Demagogen aus der Verschwörungsszene nahezu gekapert wurde, denen der auch gegen staatliche Autorität (Impfpflicht!) gerichtete Impetus der Impfkritik kompatibel zu ihren politischen und sonstigen Vorstellungen schien. Entgegen den Beteuerungen der Initiatoren blieb die Veranstaltung gerade nicht frei von Vertretern eines Spektrums, dass die legitime Kritik an einer geplanten Impfpflicht nur zum Anlass nimmt, seine gefährlichen Ideologien zu verbreiten. Und das müssen sich die Initiatoren auch zurechnen lassen, so blauäugig kann man gar nicht sein.

Diese beiden Ereignisse haben mich zu einer kleinen Reflexion veranlasst, auch, weil das Impfen von Anfang an ein wichtiges Thema auf diesem Blog war und es auch bleiben wird.

Der Diskurs über das Impfen ist ein wissenschaftlich fundierter Diskurs. Dies bleibt er auch, wenn er mit und von wissenschaftlichen Laien geführt wird. Sicher verlagert sich dabei das Gewicht der Argumentation; die Bringschuld der Vertreter der Wissenschaft, die Fakten auch Nichtwissenschaftlern zugänglich und verstehbar zu machen, wird größer. Das ist zwangsläufig. Aber was nicht zulässig ist: Dass man in diesem Diskurs die Ebenen wechselt. Dass man versucht, so zu tun, als sei die wissenschaftliche Ebene nur eine nachrangige, untergeordnete, womöglich unglaubwürdige und im Zweifel unmaßgebliche und stattdessen einen Diskurs über Freiheit, Autonomie und persönliche Unabhängigkeit ausruft. Und damit an durchaus positiv besetzte Werte appelliert, aber mit dem Ziel, über diese eine fatale Botschaft zu transportieren. Kein Zweifel – diese Werte sind nicht ohne Bedeutung in der Impfdiskussion. Aber wir würden endgültig die „postfaktische Revolution“ ausrufen, würden wir nicht für die Gültigkeit und Verbindlichkeit der wissenschaftlichen Fakten eintreten.

Erinnern wir uns: Wissenschaftliche Erkenntnisse sind belegbare Fakten. Wir können belegbare Fakten nicht durch Meinungen ersetzen, auch dann nicht, wenn diese Meinungen als Werteentscheidungen verstanden werden. Wir können sehr wohl gesellschaftlich relevante Entscheidungen treffen, wie mit den Fakten umzugehen ist. Das ist aber etwas anderes als das Relativieren, Leugnen, Verschweigen oder gar Manipulieren von Fakten durch falsche Information, falschen Kontext und falsche Werturteile. Dass es leichter ist, Zweifel zu säen als Zweifel auszuräumen, ist eine Binsenweisheit. So gerät der offene, faktenbasierte Diskurs ins Hintertreffen bei einem solchen Ebenenwechsel.

Ohne Zweifel hat die politische Entscheidung für eine Impfpflicht den Diskurs genau in die Richtung einer reinen Wertedebatte verschoben. Sie wirkt auf viele Menschen, nicht nur auf Impfskeptiker, wie ein Ersetzen des so lästigen und mühsamen Faktendiskurses durch Autorität, was natürlich auch eine gewisse Entwertung des ersteren bedingt.  Dies wird den Diskurs wohl noch lange intensivieren und auch nicht leichter machen. Unter anderem deshalb gibt es gerade bei entschiedenen Impfbefürworten so manche, die die politische Entscheidung für eine Impfpflicht weder für gut noch für zielführend halten. Das Robert-Koch-Institut gehört dazu, auch viele Vertreter der Gesundheitswissenschaft. Ich verhehle nicht, dass ich – früher ein uneingeschränkter Befürworter der Impfpflicht – auch zu einer solchen kritisch-differenzierten Sicht gefunden habe.  Ein Beleg dafür, wie problematisch der Diskurs geworden ist, zeigt leider auch, dass differenzierte Stimmen entschiedener Impfbefürworter nach der Entscheidung pro Impfpflicht sich kaum artikulieren konnten, ohne – beispielsweise in den sozialen Medien – der Impfgegnerschaft und der ihnen inzwischen verbundenen Ideologien verdächtigt zu werden. Sehr, sehr schade.

Falsche Information (fake news, „alternative Fakten“), falscher Kontext (für durchaus richtige Informationen) und falsche Werturteile (eine irreale Sicht auf Autonomie und Eigenverantwortlichkeit) – das sind die wesentlichen Charakteristiken, mit denen der Diskurs bestritten wird, beginnt er, eine klare Sicht auf die Fakten hinter sich zu lassen. Warum? Ist es nicht gelungen, die Faktenbasis verständlich und glaubhaft zu übermitteln? Sind Angst, Besorgnis, Misstrauen und grundsätzliche Opposition gegen Autoritäten, politisch oder wissenschaftlich, wirklich so groß, dass sie in Teilen der Allgemeinheit die Oberhand gewinnen?

Schwierige Fragen. Sie führen uns zu einer weiteren, letzten in dieser kurzen Betrachtung. Was treibt die Impfskeptiker, die Impfgegner an? Was sind ihre Motive? Sehen sie sich ebenso redlich am Werke wie die Aufklärer pro Impfen, sehen sie sich in der (moralischen) Pflicht, eine Botschaft zu vermitteln? Ist das Impfen überhaupt ihr wirkliches Thema oder nutzen sie es nur als Vehikel für gänzlich andere Botschaften? Wie könnte man dem beikommen? Oder wird die Szene doch beherrscht von einer Koalition der Uneinsichtigen (die zur Einsicht nicht fähig sind) mit Bösgläubigen (die zur Einsicht fähig sind)?

Bitte erwartet hier keine abschließende Antwort auf diese Fragen. Es soll für den Moment genügen, sie zu stellen. Wer trotzdem ein vorläufiges Fazit sucht: Es bleibt, wie so oft, nur die Bemühung um Aufklärung, sei es durch aktive Bereitstellung von Informationen, sei es durch die Entkräftung alternativer Fakten, falscher Kontexte und auch falscher Werturteile. Und wir dürfen dabei nicht vergessen, eine Geschichte zu erzählen: Die Geschichte der erfolgreichsten medizinischen Maßnahme aller Zeiten.


Nachtrag, Herbst 2022

Dieser auf das damals – aus heutiger Sicht beinahe marginale – Thema der Masernimpfpflicht gerichtete Text hat sich während der Pandemie, mit der Diskussion über die Covid-Impfung, in einem beängstigenden Maße beinahe zu einer Dystopie erweitert. Die Aspekte, die ich damals erläutert hatte, sind sozusagen aufgegangen wie eine Saat. Und nein, ich bin gar nicht gern der Prophet aus der Wüste, der dann hinterher Recht behält. Durchaus nicht.


Bildnachweis: Heather Hazzan – SELF Magazine

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