Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“ und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.
Sicher sind den Lesern dieses Blogs noch die Beiträge aus dem vorigen Jahr in Erinnerung, die in der Folge des „Münsteraner Memorandums Heilpraktiker“ [1] die Reaktionen der Heilpraktikerszene aufgriffen, die im Wesentlichen aus zwei Faktoren bestanden: Zum einen aus „whataboutism“, also dem ebenso sachfremden wie befremdlichen Hinweis des „die da aber auch…“ und aus offener Diskreditierung der anderen Seite. Es kam, wie man sich erinnern kann, praktisch gar nicht zu einem Austausch von Argumenten, auch Diskurs genannt. [2] Die Heilpraktikerszene zog sich nämlich nach Verbrauch ihres rhetorischen Pulvervorrats mehr oder weniger schmollend auf die Beschwörung ihrer „unverzichtbaren Rolle als Bestandteil des öffentlichen Gesundheitswesens“ zurück und trat hier und da in Diskussionen mit weiterhin eher geringer argumentativer Durchschlagskraft in Erscheinung. Der Versuch, mit Business as usual zu punkten – wir werden sehen.
Nun, wir haben gute Nachrichten für die Heilpraktiker: Sie hätten sich aufgrund der -allerdings verdienten- Ehre, Gegenstand des ersten „Münsteraner Memorandums“ gewesen zu sein, gar nicht so wichtig nehmen müssen. Dem Münsteraner Kreis geht es nämlich, wie auch aus seiner Grundsatzerklärung ersichtlich ist, generell um evidenzfreie bis esoterische Methoden der CAM (der „komplementären und alternativen Medizin“) in allen Teilen des Gesundheitswesens – und nicht um die „Diskreditierung eines Berufsstandes“ (Standard“argument“).
Denn: Soeben ist das zweite Memorandum des Kreises erschienen, das „Münsteraner Memorandum Homöopathie“ [3]. Und anders, als zweifellos viele, ohne es gelesen zu haben, wieder einmal behaupten werden (da bin ich sicher) fordert diese Erklärung keineswegs die „Abschaffung“ oder ein „Verbot“ der Homöopathie – ein Schreckgespenst, mit dem die Homöopathen im Buhmann-Stil ständig die Homöopathiekritik zu diskreditieren versuchen. Vergeblich.
Nein, der zentrale Punkt ist die Forderung an den im Mai stattfindenden Deutschen Ärztetag, die unsägliche „Zusatzbezeichnung Homöopathie“ für approbierte Ärzte ersatzlos zu streichen – entsprechend dem Anliegen, der CAM innerhalb des Gesundheitswesens entgegenzutreten.
An dieser Zusatzbezeichnung hängt viel, unter anderem auch die Möglichkeit, über einen sogenannten Selektivvertrag mit der Marketinggesellschaft des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) die Tore für die Abrechnungsfähigkeit homöopathischer Behandlungen mit gesetzlichen Krankenkassen aufzustoßen. Mit anderen Worten -wie es auch das Memorandum ausführt – Defizite wie zu wenig Zeit im Praxisalltag auf Kosten wissenschaftlicher Redlichkeit und der Beitragsgelder von Patienten, die zu Recht der Homöopathie ablehnend gegenüberstehen, zu kompensieren. In Wirklichkeit wird das Defizit der fehlenden Zeit ja gar nicht kompensiert, die Praxiszeit für die gesamte Patientenschaft vermehrt sich ja nicht dadurch, dass mehr Zeit für den einzelnen Patienten bezahlt wird. Im Gegenteil, richtig bedacht, geht so etwas erheblich zu Lasten der Patienten, die keine homöopathischen Leistungen in Anspruch nehmen (wollen). Die Unsinnigkeit der Kompensation von Defiziten mit untauglichen, ja verwerflichen Mitteln hebt das Memorandum denn auch deutlich hervor.
Homöopathie ist Esoterik im Gesundheitssystem
Die Reputation, die der Homöopathie, einer nur auf Begleiteffekten beruhenden Scheinmethode, durch eine ärztliche Zusatzbezeichnung in den Augen der Patientenschaft verliehen wird, ist der entscheidende Faktor für die Forderung des neuen Memorandums. Falls man sich nicht zu einer Abschaffung verstehen könnte, würde ich empfehlen, ernsthaft darüber nachzudenken, dann auch Zusatzbezeichnungen „Astrologie“ [4] und „Radiästhesie“ [5] einzuführen. Die Unterschiede zur Homöopathie liegen mehr im Namen als in der Sache. Die große Gemeinsamkeit mit der Homöopathie ist nämlich, dass es sich durchweg um Esoterik handelt. Die Homöopathie hat den anderen „Methoden“ nur ihre öffentliche Reputation voraus, die von starkem Lobbyismus (auch befeuert von der Pharmaindustrie) und Desinformation der Konsumentenschaft profitiert.
Homöopathie ist Esoterik? Ja! Sie beruht in einem Maße auf „okkulten“ Aspekten, die der Esoterik immanent sind, dass dies nicht ernsthaft geleugnet werden kann. In der Wikipedia findet man zum Begriff „Okkultismus“ [6] Folgendes:
„Das Adjektiv „okkult” wurde schon im Mittelalter gebraucht. Im Rahmen der aristotelischen Naturphilosophie unterschied man damals wahrnehmbare Qualitäten der Dinge wie Farbe oder Geschmack von nicht wahrnehmbaren okkulten Qualitäten wie [u.a.] den Heilkräften verschiedener Substanzen, die nur indirekt über ihre Effekte erfahrbar sind.“
Und genau darum handelt es sich bei der Homöopathie. Die Homöopathen vertreten nach wie vor -und mit Nachdruck- dass die Wirkung der Globuli bekanntlich der von Hahnemann postulierten “geistartigen Kraft” zu verdanken ist, die dem Arzneimittel innewohne. (Stichworte “feinstofflich” oder “energetisch”). Genau das sind die „nur indirekt über ihre Effekte erfahrbaren“ Effekte okkulter Provenienz. Dem okkulten „Effekt“ steht dann noch die okkult-rituelle „Praxis“ der Potenzierung durch Verschüttelung zur Seite. Jeder Versuch, durch „Forschung“ diesen Gesichtspunkten das Odium des Okkulten zu nehmen, ist bislang gescheitert – und musste scheitern, da sich diese Dinge nicht mit naturgesetzlichen Gegebenheiten in Einklang bringen lassen. Die gleichwohl sorglose Verwendung der Hoch- und Höchstpotenzen in der homöopathischen Praxis belegt schlagend die Wissenschaftsferne und die Esoteriknähe auch der heutigen, sich womöglich als „modern“ verstehenden Homöopathen.
Die Homöopathie ist demnach ein Therapiesystem, das im Kern auf okkulten Lehren (“geistartige Kraft”) und Praktiken (“Potenzierung” durch Verdünnung und ritueller Verschüttelung) beruht und damit durchaus zur Esoterik gehört.
Und Esoterik hat auch unter dem scheinwissenschaftlichen Mäntelchen, das sich die Homöopathie mit sogenannter „Grundlagenforschung“ [7] und der wohlfeilen Umdeutung durchweg negativer Ergebnisse von klinischen Studien und deren Reviews [8] umzuhängen versucht, in Arztpraxen nichts zu suchen.
Übrigens im gesamten Gesundheitswesen nicht. Und das ist der Punkt.
In a mirror universe, from our perspective, time may run backwards from the Big Bang. Image credit: NASA / WMAP Science Team
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Aus uralten Zeiten …
Da gibt es eine Geschichte, über 200 Jahre alt. Ein Gedankengebäude zur Medizin, eines unter vielen der damaligen Zeit. Diese Geschichte gewann ein gewisses Renommee, da sie viele Fehler bisheriger Methoden vermied und deshalb fälschlicherweise für „richtig“ gehalten wurde. Ihre Grundlagen waren aber eine Mischung aus vorwissenschaftlichen, teilweise mystischen Überlieferungen, garniert mit Hypothesen, die aber nicht mehr taten, als eine verführerische Schlüssigkeit und Einfachheit des Systems vorzugaukeln. Natürlich – wir sprechen von der Homöopathie.
Titelblatt des „Anti-Organon“ von 1825 (gemeinfrei)
Dieses Gedankengebäude konkurrierte zu seiner Zeit mit anderen, ähnlichen und ganz verschiedenen, und insbesondere mit der „überkommenen“ medizinischen Lehre, der „heroischen Medizin“ (so bezeichnet, weil es galt, diese zu überleben) auf der Basis der Humoralpathologie (der Vier-Säfte-Lehre nach Galen). Es gab zur ersten Blütezeit der Homöopathie schon ein erstes Wetterleuchten wissenschaftlicher Methodik am Horizont und damit eine ganze Reihe von kritisch eingestellten Menschen, die versuchten, der Methode auf den Zahn zu fühlen. Wobei sich schon zu Lebzeiten des „Erfinders“ der Homöopathie rein empirisch (also auf vergleichender Beobachtung beruhend) zeigte, dass Zweifel wohl mehr als angebracht waren. Ja, es gab auch schon gewichtige Stimmen, die den fehlenden inneren Zusammenhalt der Methode, also ihre innere Widersprüchlichkeit, ebenso wie viele Unvereinbarkeiten mit Erfahrungstatbeständen, die äußere Widersprüchlichkeit, darlegten. Das bedeutendste Werk dieser Art war wohl das „Anti-Organon“ von Johann Christian August Heinroth (1825)1, das eine umfassende Widerlegung zu Hahnemanns Lehre schon aus damaliger Sicht vorlegte und viele Erkenntnisse neuzeitlicher Homöopathiekritik vorwegnahm.
Deshalb erreichte die Methode auch nie den Status einer lege artis, einem durchweg anerkannten „Stand der medizinischen Kunst“, ja, es gab sogar behördliche Verbote. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass die Anhängerschaft durchaus zahlreich war, sie folgten ihrem Vordenker, der übrigens in aller Konsequenz dogmatisch auf der Bewahrung aller Einzelheiten seines Lehrgebäudes bestand, bedingungslos. Warum diese Gefolgschaft? Sicher wegen der Abkehr von den rabiaten bis schädlichen Methoden der heroischen Medizin, zudem war die schlichte Sicht auf Symptome statt auf komplexe Krankheiten für den Laien verführerisch, ferner das Versprechen, mit den Symptomen die Krankheit zu beseitigen. Zweifellos auch wegen der Einfachheit homöopathischer Medizin (damals gab es etwa 70 Mittel und das wars dann) und deren Herstellung, die Bequemlichkeit der Anwendung – das berühmte „sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei“, das ja auch heute noch seine Anziehungskraft entfaltet. Man wird das aus damaliger Sicht durchaus nachvollziehen können. Aber:
Fiat lux
Gar nicht so lange nach dem Auftreten der Homöopathie, etwa ein halbes Jahrhundert danach und nicht lange nach dem Tode Hahnemanns, kam es zu einem Paradigmenwechsel in der medizinischen Profession. Ein Paradigmenwechsel ist ein grundlegender Umsturz, eine Wende um 180 Grad in den bisherigen Grundlagen einer Wissenschaft. Ein Paradigmenwechsel kann nur geschehen, wenn nicht mehr zu übersehen ist, dass sich die Faktoren häufen, die gegenüber der bisher herrschenden Lehre einen Dammbruch erzwingen. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhnspricht denn auch von einer „Krise“ einer alten Lehre, die durch eine starke „Häufung“ von „Anomalien“ zu einer „wissenschaftlichen Revolution“ mit Ersatz des alten Paradigmas „inklusive zentraler Begriffe“ münde2. Also nicht eine Revision in einem oder mehreren Einzelpunkten, sondern in der Ablösung eines kompletten Lehrgebäudes bzw. von dessen grundlegenden Prämissen.
Diese „kopernikanische Wende der Medizin“, dieses „fiat lux“ war in den 1850er Jahren der Durchbruch zu einem wissenschaftlichen Konzept, das die Bedeutung des zellulären Aufbaus für die Lebensfunktionen und damit auch für Krankheit und Gesundheit des Organismus belegte. Vorbei war die Zeit der Humoralpathologie, der Lehre vom „Gleichgewicht der vier Körpersäfte“, vorbei erst recht die Vorstellung Hahnemanns von einer „geistigen Lebenskraft“ als einem belebenden „Vitalismus“ in einem amorphen, nicht aus eigener Funktion heraus belebten Körper (die Leugnung des Vorhandenseins von „Krankheiten an sich“ im homöopathischen Lehrgebäude ist ein tiefer Ausdruck dieser Vorstellung).
Rudolf Virchow – Der Etablierer der Zellularpathologie Credits: Famous Scientists. famousscientists.org. 15 Oct. 2015. Web. 10/24/2017 <www.famousscientists.org/rudolf-virchow/>
Die Zellularpathologie trat ihren Siegeszug an, der uns bis zu den heutigen Ergebnissen moderner Medizin geführt hat. Der Weg für eine Lehre von Krankheitsentstehung und -verlauf, die Ätiologie, war frei. Bald kamen Bakteriologie und Virologie dazu, später die Endokrinologie (die Lehre von der hormonellen Steuerung) und bis heute immer weiter differenzierende Teilgebiete. Die Grundlagen aber, die beim Paradigmenwechsel Mitte des 19. Jahrhunderts gelegt wurden, haben bis heute Bestand und bewähren sich täglich – damit war die Medizin zu einer „Wissenschaft des sicheren Ganges, die sich ihrer Grundlagen sicher ist“ im Kant’schen Sinne geworden und hatte das „blinde Herumtappen“ hinter sich gelassen. Vor allem aber war nun die Möglichkeit gegeben, aus rein empirischen Beobachtungen auf der Grundlage der anatomischen und physiologischen Erkenntnisse allgemeingültige Schlüsse zu ziehen – und umgekehrt frühere Fehlannahmen zu verwerfen, weil sie mit dem gewonnenen Erkenntnisbild nicht zu vereinbaren waren. Dies besiegelte das Schicksal nahezu aller vorwissenschaftlicher Methoden.
Scheintod und Wiederbelebung
Um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert war die Bedeutung der Homöopathie denn auch deutlich hinter die Erkenntnisse und Errungenschaften der sich entwickelnden wissenschaftlichen Medizin zurückgefallen, ungeachtet dessen, dass es hier und da durchaus homöopathische Praxen und auch Kliniken gab. Rudolf Virchow selbst war der Homöopathie zeitlebens deutlich entgegengetreten. Die Methode als solche wurde von den meisten Medizinern im Grunde gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Eine in den 1920er Jahren eingerichtete homöopathische Fakultät an der Berliner Universität überlebte nur überschaubare Zeit und wurde wegen „nachgewiesener Erfolglosigkeit“ geschlossen. Mit der Zeit des Dritten Reichs schien zunächst noch einmal die Zeit der Homöopathie gekommen, mit der Aussicht, sie als spezifisch deutsche Medizin als Gegenpol zu einer „jüdisch geprägten Schulmedizin“ etablieren zu können. Den Untersuchungen, die das Reichsgesundheitsamt über mehrere Jahre hinweg dazu durchführte, war jedoch ein teils spektakuläres Scheitern beschieden. Die Kriegswirren setzten dem ein Ende, so dass es zu einer systematischen Publikation der Ergebnisse nicht mehr kam, sie sind aber recht umfassend und vor allem unmissverständlich im sogenannten Donner-Bericht zur Homöopathie dokumentiert (durch Fritz Donner, einem damals führenden Homöopathen, der sich nach dem Krieg völlig von der Methode abwandte).
Ab dem Ende der 1960er Jahre entstand ein Trend, der die Homöopathie -dann unter der Führung von Frau Dr. Veronika Carstens, der Ehefrau des damaligen Bundespräsidenten- als etwas ganz Neues etablierte: Als sanfte, nebenwirkungsfreie Blümchenmedizin mit dem Image des Reinen und Natürlichen, gewollt in eine scheinbare Identität mit Naturheilkunde hinübergleitend (mit der sie nichts zu tun hat). Die Heilpraktikerszene bemächtigte sich der Homöopathie endgültig, auch, um sich deren positives Image als pseudoseriöses Aushängeschild für ihre sinn- und nutzenfreien Methoden außerhalb der evidenzbasierten Medizin nutzbar zu machen – dies geschieht bis heute. All das wurde noch gekrönt von der Adelung als eine der „besonderen Therapierichtungen“ durch den Gesetzgeber (Arzneimittelgesetz 1978) mit dem wirklich unfassbaren Privileg, keinen Wirkungsnachweis erbringen zu müssen – das Ergebnis der Bemühungen einer kleinen, aber einflussreichen Parlamentariergruppe, die aus dem Umfeld der Anthroposophie kam. Noch in den 1990er Jahren wurde das so etablierte irrationale System „mehrerer Medizinen“ kaum hinterfragt und in unangebrachter Toleranz sogar von Ärztefunktionären mit dem Euphemismus „Dualität in der Medizin“ bedacht und sogar 1997 noch zusätzlich im Sozialrecht (SGB V) etabliert. Eben in diesen Jahren setzte aber in der Medizin ein Umdenken ein, das immer klarer werden ließ, dass ein öffentliches Gesundheitswesen nur auf der Grundlage streng nachgewiesener Wirkungen und Plausibilitäten -der Evidenzbasierung- sinnvoll, wirtschaftlich und nachhaltig sein und ethisch gegenüber dem Patienten gerechtfertigt werden kann. Nicht zuletzt an den Auseinandersetzungen mit der Homöopathie seitdem, ihrer wissenschaftlichen Betrachtung und der Publizierung der daraus resultierenden Ergebnisse ist dieser Wandel konkret geworden. Dies ist der Erkenntnisstand heute – dem die Realität aber keineswegs entspricht.
Game over
Wir sind längst an einem Stand des Erkenntnisgewinns angekommen, eines weltweit vielfach verifizierten und dabei ebenso vielfach bestätigten Erkenntnisgewinns, dass man das Festhalten an der homöopathischen Lehre nur noch als Realitätsleugnung bezeichnen kann, als den Aufenthalt in einem Paralleluniversum. Die Verteidigungsversuche der homöopathischen Fraktionen beginnen Formen des Grotesken anzunehmen. Hochangesehene wissenschaftliche Gremien mit Spitzenwissenschaftlern von internationalem Format werden mit Diskreditierungsversuchen überzogen; ihnen wird böswillig-selektive Darstellung vorgeworfen; die Detailvorwürfe der Homöopathen sind alle längst widerlegt, werden aber trotzdem ständig wiederholt; es werden „Studien“ vorgelegt, bei denen beim besten Willen kein positives Ergebnis für die Homöopathie herausgelesen werden kann und diese als ultimative Beweise für die Methode dargestellt, scheinwissenschaftliche Nebelbomben gibt es zuhauf (bereits Prokop u. Prokop schrieben Ende der 1950er Jahre von den „gescheiterten wiederholten Versuchen, durch Angleichung der homöopathischen Systeme an die Schulmeinungen allgemeine Anerkennung zu erlangen“3) und auch die neueren Versuche, in wissenschaftstheoretischen Überlegungen einen „sicheren Grund“ zu gewinnen, sind nichts anderes als ein Rufen im Wald, das allenfalls die eigene überzeugte Anhängerschaft erreicht.
Nein, es ist längst vorbei mit der Homöopathie als einer irgendwie ernstzunehmenden medizinischen Methode. Das Verdikt der weltweiten Wissenschaftsgemeinde ist längst gesprochen – bestätigt von den führenden staatlichen und nichtstaatlichen Wissenschaftsorganisationen. Und nein, es geht dabei nicht um „Meinung“. Es geht um Fakten, um die Anwendung der rationalen Standards, ohne die unsere moderne Gesellschaft in vorwissenschaftliche Zeiten zurückfallen würde. Es erhebt ja auch niemand den Anspruch, das World Wide Web durch Telepathie abzulösen. Es gibt nichts mehr zu diskutieren in dieser Sache. Es gilt „nur noch“, den immer gleichen Desinformationen der pseudomedizinischen Szene entgegen zu treten, der Pseudomedizin ihre Verankerung im kollektiven Bewusstsein, ihre „soziale Reputation“ streitig zu machen. Nicht nur im Dienste einer wohlverstandenen und unverzichtbaren Rationalität, sondern auch als Beitrag zum demokratisch-gesellschaftlichen Diskurs.
Paralleluniversum
Und trotzdem – das pseudowissenschaftliche Paralleluniversum existiert, dominiert zwar von der Galaxie der Homöopathie, aber umgeben von einer Unzahl an unsinnigen bis gefährlichen Heilsversprechen. Ständig entstehen – um beim Bild des Universums zu bleiben – wie Sterne aus Gas aus Unwissen und Selbstüberschätzung neue „Methoden“ – und auch neue „Krankheiten“– in diesem Universum der Beliebigkeit. Vom Gesetzgeber unbehelligt bis geadelt und damit dem Publikum als vertrauenswürdig vorgeführt, gefällt sich dieses nahezu unangefochtene Universum in abgrundtiefer Selbstüberschätzung und kultiviert vielfach auch noch eine demonstrativ zur Schau gestellte Verachtung der „Schulmedizin“. Wie die Homöopathie die inhaltliche Verkörperung dieses Paralleluniversums ist (mit pseudomedizinischen Heilslehren aller Art im „Schlepptau“), ist es der Heilpraktikerstand personifizierte (wobei wir die Mitglieder der Ärzteschaft nicht unterschlagen wollen, die sich ebenfalls dazu verstehen, Pseudomedizin zu praktizieren). Dazu passt immerhin, dass die moderne Astrophysik Paralleluniversen für möglich hält, bei denen die Zeit rückwärts abläuft …
Wie lange will der Gesetzgeber der Diffamierung ernsthafter Wissenschaft und der Herabwürdigung der Anstrengungen der Ärzteschaft und eines jeden, der die Mühen eines Medizinstudiums auf sich nimmt, durch die Existenz dieses Medizin suggerierenden Paralleluniversums noch zusehen?
Bremswege
Woraus folgt, dass man den Verantwortlichen in Politik und Gesundheitswesen nicht nur nahelegen, sondern abfordern muss, diesen in vieler Hinsicht unsäglichen Zustand zu beenden. Auch dort gewinnen die Argumente langsam lächerlichen Charakter. „Die Leute wollen es aber“ – im Ernst, Wunschmedizin vor Effizienz? Längst ist ein Stand erreicht, wo die Krankenkassen Konsequenzen ziehen und ihre Erstattungen per Satzungsleistung für Homöopathie von sich aus beenden müssten. Denn auch die Erstattung für Kosten der besonderen Therapieeinrichtungen unterliegen dem Gebot, dass sie „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein müssen, um erstattungsfähig zu sein. Wie aber sollte eine unwirksame Methode, die nur noch durch Behauptungen am Leben gehalten wird, ausreichend und zweckmäßig sein? Wirtschaftlich ist sie, wie eine aktuelle Studie (durchgeführt mit einer großen Krankenkasse) zum wiederholten Male gerade erst ergeben hat, auch nicht. Also – wo bleiben die Konsequenzen? Wo das Eingeständnis der Gesundheitspolitik, hier lange Zeit einer massiven Fehlentwicklung freien Lauf gelassen zu haben? Selbst wenn man das Problem jetzt angehen würde, bliebe immer noch ein langer Bremsweg wie beim berühmten Öltanker. Aber jeder lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Und den Weg einzuschlagen ist, um mit einem vielbemühten, aber selten wirklich zutreffenden Begriff zu sprechen, hier wirklich alternativlos.
1Heinroth, Joh.Chr.Aug., Anti-Organon oder Das Irrige der Hahnemannischen Lehre im Organon der Heilkunst. C.H.F. Hartmann, Leipzig (1825) 2 Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp 13. Aufl. (1996) 3 Prokop, Otto u. Ludwig, Homöopathie und Wissenschaft, Ferdinand Enke, Stuttgart (1957)
Liebe Leserinnen und Leser, ich bitte vorab noch einmal um Verständnis, dass die Beiträge zu Dr. Behnkes Interview außergewöhnlich lang ausfallen (werden). Meine Lebensfreude wird dadurch auch nur bedingt positiv beeinflusst. Ich wäre aber nicht zufrieden damit, eine derart breit ausgeführte und argumentativ verflochtene Homöopathie-Propaganda kurz abzutun. Was durchaus eine Alternative wäre, es reicht natürlich der Satz “Wo nichts ist, kann nichts wirken und darüber kann man auch keine sinnvollen Interviews geben”. Völlig richtig und legitim. Will ich aber nicht.
In den nachfolgenden Passagen des Interviews mit Dr. Behnke wird es wiederholt um Fragen der Studienlage zur Homöopathie zum wissenschaftlichen Nachweis ihrer Wirksamkeit und auch zur Wissenschaftsproblematik allgemein gehen. Ein detailliertes Eingehen hierauf würde den Rahmen dieser Besprechung endgültig sprengen, ich werde insofern nur anekdotisch kommentieren.
Interviews oder Artikel sind immer wieder eine beliebte Gelegenheit für Homöopathen, mit einem Feuerwerk (besser Blendwerk) aus den gesammelten Studien beim geneigten Publikum Eindruck zu machen. Eben das tut auch Dr. Behnke. Wer kann so etwas auf die Schnelle widerlegen? Mir geht es hier um Grundsätzliches, was für den nicht mit Studien vertrauten Leser auch besser verständlich sein dürfte. Wegen der allgemeinen Gültigkeit dieser Dinge für große Teile des noch Folgenden beginne ich den zweiten Teil mit einem
Exkurs zur Studienproblematik
Keine Anonymisierung, da aus öffentlicher Facebook-Gruppe.(Klick für größere Darstellung)
Es ist ja eigentlich erstaunlich, dass bei allem Herausstreichen der angeblich so klaren empirischen Basis der Homöopathie (“es geht auch ohne Studien”, “phänomenologische Methode”) die Homöopathen immer und immer wieder das Studienthema ans Licht zerren. Mit allen Mitteln wird versucht, der Studienlage Positiva für die Homöopathie abzuringen. Also traut man doch der reinen Erfahrungs-Empirie selbst nicht über den Weg? Es ist wohl der Wunsch, sich mit wissenschaftlichem Odium etablieren zu wollen, um der Homöopathie doch noch den lang ersehnten Adelsstand zu verschaffen: Wissenschaftliche Reputation. Ein weiteres Motiv sehe ich allerdings auch darin, dass die Homöopathen durch die ständige Debatte um die Studienproblematik den Eindruck erwecken wollen, die Sache sei immer noch “wissenschaftlich nicht entschieden” und außerdem auf unkritische Rezeption beim zahlenden Publikum spekulieren. Ich verweise hierzu auf grundsätzliche Ausführungen auf Dr. Norbert Austs Blog.
Zudem ist, das darf man nie vergessen, Forschung zur Homöopathie immer nur Bestätigungsforschung. Sie geht niemals den Gang, dass eine Hypothese aufgestellt und in Experimenten ihre Stichhaltigkeit geprüft wird, daraufhin, ob sie die Chance hat, zu einer Theorie aufzusteigen. Es geht immer und ausschließlich darum, die seit über 200 Jahren vergeblich behauptete Wirksamkeit der Homöopathie zu bestätigen. Dass dies den confirmation bias, die Fehldeutung durch den Wunsch der Selbstbestätigung, extrem fördert, sollte klar sein. Ergebnis ist u.a. das berühmt-berüchtigte Cherrypicking, die isolierte Darstellung von Detailergebnissen, die dem Wunschziel zupass kommen.
Ein sehr grundsätzlicher Aspekt ist die sogenannte Ausgangs- oder Anfangsplausibilität, die zunehmend als wichtiges Beurteilungskriterium in der Naturwissenschaft nicht nur für die Beurteilung von Ergebnissen, sondern auch für die Frage der Rechtfertigung von Forschungsprojekten überhaupt etabliert hat.
Bei der Auswertung von vergleichenden Studien (wie den RCTs in der medizinischen Forschung) wird ein Ergebnis erst dann als “signifikant” (hervorragende Details dazu hier) angesehen, wenn es die erwartbare Zufallsquote überschreitet. Generell wird diese Menge an (falschen) Zufallsergebnissen, die zu erwarten sind, in der medizinischen Forschung mit 5 Prozent angesetzt. Das ist der Wert, der als “natürliche Fehlerquelle” erwartet wird, wenn man die Nullhypothese allein betrachtet, also eine interventionsfreie Gruppe (“das, was sowieso immer rauskommt”). Was diese Grenze unterschreitet (also einen Wert von <0,05 beim statistischen Test ergibt), gilt als “signifikant”. Diese Signifikanz wird, wenn sie einmal auftaucht (was neben der erwarteten Ursache durchaus immer noch andere Ursachen haben kann), von den Homöopathen immer wie eine Monstranz vorgezeigt. Wobei aber klar sein muss, dass auch eine sehr geringe Überschreitung der Zufallsgrenze in der Wissenschaft als “Signifikanz” bezeichnet wird – anders als in der Umgangssprache, wo dieser Begriff so etwas wie einen “Beweis” suggeriert. In Wirklichkeit kann aber “Signifikanz” die Bedeutung eines Glühwürmchens haben, das plötzlich in einer durch Sterne und Straßenlaternen “zufällig” beleuchteten Gegend “zusätzlich” auftritt.
Bei einer geringen Signifikanz stellt sich immer die Frage, was tun. Der normale Vorgang ist, einen Versuch zur Reproduktion des signifikanten Ergebnisses zu unternehmen oder aber die Forschungshypothese nicht weiter zu verfolgen. Das ist bereits eine Schwelle, an der nahezu alle homöopathischen Studien mit “Signifikanz” gescheitert sind: Sie bleiben Einzelergebnisse, da sie durchweg nicht reproduziert werden konnten. Die übliche Reaktion bei Studien ohne Signifikanz ist bei den Homöopathen in der Regel eine Haltung des “Nicht sein kann, was nicht sein darf”, wofür die bekannte Münchner Kopfschmerzstudie ein schlagendes Beispiel ist.
Ein weiterer Punkt ist, dass nahezu alle großen Reviews, auch die von den Homöopathen immer wieder angeführten (und überinterpretierten) Arbeiten von Linde (1998) und Mathie (2014) gezeigt haben, dass bei einer zusammenfassenden Betrachtung vieler Einzelstudien ihre Signifikanz zunehmend verschwindet. Das liegt an der Ausmerzung systematischer und statistischer Fehlerquellen, beispielsweise dem confirmation bias, und an der Homogenisierung des Datenmaterials bei der Betrachtung größerer Gruppen.
Dies nun führt uns zum Begriff der “Plausibilität”, auch unter dem Begriff “Scientabilität” bekannt. Er besagt ganz einfach, dass Studienergebnisse umso kritischer betrachtet werden müssen, je unplausibler ihre Grundannahmen sind, also die Grundwahrscheinlichkeit, dass überhaupt ein positives Ergebnis erzielt werden wird. Da hilft auch eine statistische Signifikanz nicht unbedingt weiter. Zudem wäre die bisherige Evienz (die bisherigen Studienergebnisse) zu berücksichtigen, da sie in ihrer Gesamtheit eben auch ein Relevanzkriterium sind. Und da sieht die Homöopathie ganz, ganz schlecht aus.
Da es keinen plausiblen Wirkungsmechanismus gibt, ja, noch nicht einmal einigermaßen rationale Ansätze dazu (das räumen die Homöopathen als fröhliche Phänomenologen, denen eine imaginierte Wirkung ausreicht, ja unumwunden ein, ohne die darin liegenden Fallstricke zu bemerken) liegt schon von daher die Anfangsplausibilität praktisch bei Null. Das heißt: Es sind keine Ergebnisse zu erwarten, die nicht auf Zufallsaspekte oder störende Einflüsse in der Studie zurückzuführen wären. Dieses Urteil wird noch erhärtet durch die eben genannten Gesichtspunkte: Allenfalls geringe Signifikanzen bei den bisherigen Studien, die auch noch schwinden, wenn sie in systematischen Reviews einbezogen werden. Auch hier gilt der Grundsatz: Wo Nichts ist, da ist Nichts.
Also bitte im Gedächtnis behalten:
Die Homöopathen streiten um die Studienlage, obwohl sie andererseits stolze empirische Puristen sind, die sich etwas darauf zugutehalten, eine “phänomenologische Methode” zu betreiben, die auf (anderweitig erklärbaren) Einzelphänomenen beruht und bei denen Grundlagenfragen und Theorien zur Methode allenfalls “zweitrangig” (Behnke) sind.
Die Studienlage ist in der Regel durch schwache Evidenzen geprägt (wie viele Negativstudien nie publiziert wurden, weiß man nicht, allerdings ist das -bisher- in der wissenschaftlichen Forschung auch nicht immer so offen kommuniziert worden).
Unter Berücksichtigung einer Anfangsplausibilität bei praktisch Null können positive Ergebnisse ohnehin nicht a priori als Belege für die Wirksamkeit der Methode gelten. Dazu würde es mindestens mehrfacher Reproduktion und einer genauen kritischen Betrachtung des Studiendesigns bedürfen. Das ist nichts anderes als die Langfassung des schlichten Satzes: Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege. Bevor die Grundannahmen, die zur fehlenden Anfangsplausibilität führen, erschüttert werden, bedarf es schon einiger nobelpreiswürdiger Erkenntnisse. Dies ist mir sehr wichtig, weil es die grundsätzliche Perspektive ist, unter der auch Dr. Behnkes Ausführungen zu Homöopathie-Studien zu betrachten sind.
Die Frage “Was sind Globuli” lassen wir mal beiseite. Wir wollen uns schließlich nicht in kleinkarierten Hinweisen ergehen wie dem, dass Globuli nicht nur aus Rohrzucker, sondern auch aus Milchzucker und gar laktosefrei zu erhalten sind. Oder dass die -in geringen Mengen- aufgesprühte arzneiliche Lösung verdunstet und infolgedessen wegen des Verdunstens sogar die “Produktkette” Ursubstanz Arzneimittel unterbrochen wird (von der Frage, was denn wohl in der “arzneilichen Lösung” überhaupt noch enthalten ist, zu schweigen). Mir fällt sogar noch mehr ein, aber lassen wir das. Nur eines würde mich eigentlich schon interessieren: Wenn die Ursubstanz ihre “Information” irgendwie dem Lösungsmittel aufgeprägt haben soll, wie gelangt denn dann diese “Information” angesichts des schnellen Verdunstens des Lösungsmittels auf die Globuli? Das wäre doch mal eine Frage gewesen… Aber gut. Oder auch nicht.
Christiane Mauthe empfiehlt Globuli für Pflanzen, um Schädlinge abzuhalten und Dagmar Neff stellt die “Homöopathie zum Aufmalen” als neue Homöopathie vor. Können sie den Wirkmechanismus von Homöopathie für Pflanzen und zum Aufmalen erklären?
Versetze ich mich hier einmal an Dr. Behnkes Stelle, wäre ich zur Wahrung einer gewissen Glaubwürdigkeit entweder sehr zurückhaltend gewesen oder hätte offen erklärt, dass dies exotische Varianten seien, bei denen fraglich ist, ob es überhaupt eine Brücke zur Hahnemannschen Homöopathie, die sich als humanmedizinische Intervention versteht, gibt. Er tut dies aber keineswegs. Er lässt sich tief auf die Pflanzenhomöopathie ein.
Ich verhehle nicht, dass für mich persönlich hier die Grenze zur Groteske nahezu überschritten ist. Wie kann man auf die Idee kommen, ein System, das explizit für die Humanmedizin entwickelt wurde, das in besonderem Maße auf die Interaktion zwischen dem als Individuum betrachteten Patienten und der Methode selbst setzt, allen Ernstes auf Pflanzen (gleiches gilt für Tiere) zu übertragen? Nur einmal unterstellt, Hahnemanns System hätte für die Humanmedizin Gültigkeit. Wo sollte der logische Ansatzpunkt dafür liegen, es auf völlig andere Physiologien und Pathologien des Pflanzen- und Tierreichs zu übertragen? Es gibt keinen. Zudem dürfte es schwerfallen, die homöopathische Methodik bei Pflanzen und Tieren anzuwenden. Ich bin überzeugt davon, dass Hahnemann dies genauso gesehen hat. Er hat selbst nur eine einzige Überlegung in Richtung Tierhomöopathie angestellt, in einem nie öffentlich verwendeten Manuskript, aber er wird klug genug gewesen zu sein, hier einen unheilbaren Bruch in seiner Methode zu erkennen und ist – anders als seine begeisterten Exegeten – nie darauf zurückgekommen. Liebe Leserinnen und Leser, hier ist ihr kritisch-gesunder Menschenverstand gefragt. Lassen Sie sich nicht von langen Darlegungen von Details blenden, durchdenken Sie die Grundannahmen einfach einmal kritisch – nicht nur an dieser Stelle!
Summa: Pflanzen- und auch Tierhomöopathie (letztere im Interview vermutlich außen vor geblieben, weil sie bereits in hohem Maße “etabliert” ist) haben eine Anfangsplausibilität, die eigentlich bereits auf dem negativen Teil der Skala verortet werden muss. Und können deshalb eigentlich nur mit einem Kopfschütteln kommentiert werden.
Trotzdem noch etwas im Detail. Wie wir hören, wird Pflanzenhomöopathie zur Vorbeugung gegen Schädlinge ebenso propagiert wie zur Stärkung von Wachstum und Ertrag. Wie das? Setzt die Homöopathie nicht den akut kranken Patienten voraus, dessen “geistige Lebenskraft” aus dem Gleichgewicht ist und wieder korrigiert werden muss, wie Behnke selbst weiter oben zutreffend ausführte? Wie kann dann Homöopathie als Prophylaxe und/oder als Stärkungsmittel überhaupt auch nur in Erwägung gezogen werden? Gebe ich der gesunden Pflanze ein Homöopathikum, würde ich sie nach der homöopathischen Theorie doch allenfalls schädigen, da ich ja dann eine “Arzneimittelprüfung” bei ihr durchführe, die zu “Krankheitssymptomen” führen müsste? Die Homöopathen belustigen sich über die 10^23-Events der Homöopathiekritiker, die sie als “medizinisch sinnlos” bezeichnen (ja klar!), da ja der Einsatz der Homöopathie eine Erkrankung voraussetze – und was tun sie bei solcherart Pflanzenkuren hier selbst bzw. stellen dies – wie Behnke – allen Ernstes als seriös hin? Und Homöopathie als direktes Schädlingsbekämpfungsmittel – Arzneimittelprüfung an Pflanzenschädlingen sozusagen?
Die wohl bekannteste Untersuchung auf dem Sektor Pflanzenhomöopathie, die auch als allgemeiner Beweis für die Methode herangezogen werden sollte, sind wohl die Wasserlinsenexperimente einer Schweizer Forschergruppe um Prof. Stephan Baumgartner. Sicher meint Herr Behnke in seiner summarischen Aufzählung auch diese. Nun ist -abgesehen von der Anfangsplausibilität- genau diese Studie ein sehr schönes Beispiel dafür, wie die Homöopathen mit dem Signifikanzbegriff umzugehen pflegen. Hier zeigt sich nämlich: wenn man über die statistischen Signifikanzziffern hinaus mühsam einmal die absoluten Messwerte herausgesucht hat, liegen die Unterschiede in den Messgrößen – dem Wachstum der Wasserlinsen in den beiden Vergleichsgruppen nach der Intoxination – ziemlich nahe bei dem oben von mir bemühten Glühwürmchenvergleich. Und was ohnehin nicht wirklich unabhängig reproduziert werden konnte. Was bei der medialen Aufarbeitung der Sache leider keine größere Beachtung fand.
Das Wasserlinsenexperiment enthält aber auch noch einen Stolperstein, der nicht so schnell zu bemerken ist und der zweifellos übersehen oder beiseitegeschoben wurde, weil der confirmation bias zugeschlagen hat. Es arbeitet nämlich mit einer Vergiftung. Eine Population von Wasserlinsen wurde mit Arsen traktiert. Daraus wurden zwei Gruppen gebildet, die eine homöopathisch “behandelt”, die andere mit Placebo traktiert. Womit erfolgte die homöopathische Behandlung? Mit Arsen! Zwar im Versuch auch mit anderen Mitteln, aber die Forscher machen die Signifikanz am Remedium Arsen fest – in scheinbarer Übereinstimmung mit dem Simile-Prinzip. Nur: das ist keine Homöopathie, sondern Isopathie (nach dem Gleichheitsprinzip), die Hahnemann in der 6. Auflage seines Organon deutlich zurückwies.
Das berührt zudem die unter Homöopathen schon immer schwelende Grundsatzfrage, wie das Simile-Prinzip mit Vergiftungen (und vielen anderen Pathologien) in Übereinstimmung gebracht werden kann. Niemand wird ernsthaft behaupten, dass die zusätzliche Gabe des vergiftenden Stoffes, gleich in welcher Dosierung, zu einer Besserung oder gar Heilung der Vergiftung führen könne. Derartiges wurde niemals beobachtet. Im Gegenteil, wir finden hier wieder Fälle, in denen selbst eine geringe zusätzliche Intoxination die Überschreitung eines Schwellenwertes mit fatalen Folgen bedeuten kann. (Prokop 1957) (4). Die Wirksamkeit der Homöopathie mit einem Pflanzenexperiment beweisen zu wollen, ausgerechnet auf der Basis einer mehr als umstrittenen Anwendung des Simile-Prinzips, ist schon recht tollkühn…
Ich verzichte hier auf weitere Einzelheiten, obwohl es nett wäre, noch auf eine mit Steuermitteln geförderte Arbeit einzugehen, die bei näherem Hinschauen sehr schnell die Pflanzenhomöopathie in esoterische Gefilde übergleiten lässt… Ein andermal vielleicht.
Pflanzen- und auch Tierhomöopathie sind nur eines: Ein (weiterer) Beleg dafür, dass von einer “Wissenschaft des sicheren Ganges” (Kant) bei der Homöopathie keine Rede sein kann. Es etablieren sich die abstrusesten Ideen von Hahnemann-Exegeten, ohne Rücksicht auf innere Widersprüchlichkeiten und objektive Plausibilitäten. Und das wird dann in einem umfassenden Interview von einem Vertreter der Carstens-Stiftung völlig ernsthaft behandelt – und offenbar mit so etwas wie „Fortschritt“ in der Methode verwechselt.
Was mich aber erstaunt, ist, dass Dr. Behnke von “Homöopathie zum Aufmalen” nichts bekannt sein soll. Wo einem das bei der Beschäftigung mit dem Thema im Netz doch eigentlich inzwischen entgegenspringt. Aber ich verstehe schon. Man hat nur die Wahl, diese Zumutung an den gesunden Menschenverstand entweder mit Stillschweigen zu übergehen oder aber durch ein Eingehen darauf Schaden anzurichten. Zu einer klaren Distanzierung reicht es aber auch nicht, dafür ist alles zu heilig, was unter der Flagge “Homöopathie” daherkommt.
Gibt es eine Kontroverse zwischen der evidenzbasierten Medizin, die auf wissenschaftlichen Nachweisen beruht, und besonderen Therapieformen wie der Homöopathie?
Klare Antwort von mir: Nein! Dr. Behnke sagt das nicht so deutlich, gibt eigentlich gar keine Antwort auf diese klare Frage, nimmt sie aber zum Anlass, hier nun endlich zur so homöopathiepositiven Studienlage zu schreiten. Hier, liebe Leserinnen und Leser, hoffe ich, dass Sie mit dem einleitenden Exkurs oben noch einigermaßen vertraut sind.
Nun folgt im Interview eine Interpretation von Studiendaten, die -sagen wir mal- schon recht eigenwillig ist. Dr. Behnke zählt nämlich aus einer (von ihm definierten) Grundmenge an Studien an drei Fingern ab, welche positiv, welche negativ und welche “unentschieden” ausgegangen seien. Nun richtet sich die Frage, ob eine Studie „positiv“ oder „negativ“ ausgegangen ist, danach, ob die als „Aufgabe“ der Studie formulierte Nullhypothese bestätigt oder nicht. Die „Nullhypothese“ bei Studien zur Homöopathie ist in der Regel die Annahme, dass das geprüfte Mittel einem Placebo nicht überlegen ist. Häufchenbildung wie beim Murmelspiel verbietet sich aber schon aus ganz anderen Gründen.
Dr. Behnkes Methodik besteht nun darin, die relative Größe der abgezählten Häufchen der Homöopathie-Studiengruppe mit den Verhältnissen bei einer ähnlichen Abzählung bei Studien der evidenzbasierten Medizin zu vergleichen. Reine Spiegelfechterei, absurder geht es nicht mehr. Es fängt damit an, dass große Zweifel daran bestehen, ob die “Zählgruppen” der homöopathischen und der evidenzbasierten Studien überhaupt homogen genug sind, um aus einem numerischen Vergleich irgendwelche Schlüsse ziehen zu können. Sind sie natürlich nicht, denn
homöopathische Studien haben keine Ausgangsplausibilität, so dass an positive Ergebnisse sehr hohe Beleganforderungen zu stellen wären,
homöopathische Studien sind reine Bestätigungsforschung, was im Vergleich zu wirklich ergebnisoffener Forschung eigentlich eine viel bessere Positivlage für diese ergeben müsste (die ergebnisoffene Beforschung von Hypothesen hat per se ein viel höheres Risiko des Scheiterns als die Forschung, die auf die Bestätigung vorliegender Hypothesen bzw. -wie hier- einer einzigen Hypothese ausgerichtet ist) und
demgemäß wäre von den Homöopathen viel eher zur Zahl der “negativen” Ergebnissen ihrer Forschung Stellung zu nehmen, die ja in Anbetracht der geschilderten Bedingungen als außergewöhnlich hoch angesehen werden muss.
Und der Hauptpunkt: der publication bias, der „Schubladeneffekt“, der eine Gesamtschau dadurch verzerrt, dass Studien mit „unerwünschten“ Ergebnissen gar nicht erst zur Veröffentlichung gelangen. Das Problem ist, wie eine neuere Untersuchung (2022) zeigt, gerade bei homöopathischen Studien besonders ausgeprägt.
Was ist übrigens eine “unentschiedene” Studie? In der homöopathischen Forschung nach Behnke müsste “unentschieden” doch wohl der Kategorie “negativ” zugerechnet werden, denn bei gleichem Abschneiden von Placebo- und Verumgruppe ist eine auf Bestätigungsforschung ausgerichtete Studie doch wohl gescheitert und nicht unentschieden.
Herrn Behnkes Abzähldemonstration entpuppt sich damit als völlig gehaltlose Spiegelfechterei.
Ich hoffe, der Sinn des einleitenden Exkurses zum Studienproblem ist deutlich geworden. Er versetzt uns nun in die Lage, das Thema “Wirkungsnachweis durch Studien” ohne allzu große Erschöpfung schon zu verlassen. Eine detaillierte Widerlegung von Dr. Behnkes Berufung auf die angebliche positive Gesamtstudienlage und die “Grundlagenforschung” (die renommierten Forschern schon ihre Reputation gekostet hat) erspare ich uns an dieser Stelle, hierzu ist an vielen Stellen, auch in diesem Blog, schon sehr viel gesagt worden. Ein ganz aktuelles Beispiel dafür findet sich hier.
Eines dazu abschließend: Wäre das alles so lupenrein und glasklar, warum verzichtet dann die Homöopathie nicht auf die Freistellung vom Wirkungsnachweis, die sie derzeit genießt? Im eigenen Interesse, denn dann könnte sie wirklich mit “zugelassenen Arzneimitteln” werben, könnte die Arzneimitteleigenschaft und die Apothekenpflicht rechtfertigen und würde damit sofort aus dem Fokus der Kritik kommen. Warum tut sie das nicht? Weil sie trotz aller Erklärungen, Erzählungen und Behauptungen nicht in der Lage ist, die Anforderungen für eine Zulassung nach den pharmazeutischen Standards zu erfüllen. So aber bleibt doch alles nur Wortgeklingel ohne praktische Konsequenzen – statt “Wo ist der Beweis?” nur “Ihr müsst uns glauben!”
Die maximale Länge eines Einzelbeitrages dürfte schon wieder erreicht sein. Die schlechte Nachricht: Es wird noch ein dritter Teil folgen. Die gute Nachricht: Das ist dann aber der Schluss.
Ich danke allen, die bis hierher schon einmal durchgehalten haben und hoffe, dass ein wenig Erkenntnisgewinn dabei herausgekommen ist – auch, wenn ich hier eigentlich überhaupt nichts Neues schreibe…
(4) Prokop, O. u. Prokop, L.: Homöopathie und Wissenschaft, Stuttgart 1957
zunächst darf ich um Entschuldigung für die ziemlich lange Zeitspanne bitten, die seit dem Erscheinen des vorigen Teils unserer Betrachtung verstrichen ist. Ich weiß auch nicht, wo die Zeit geblieben ist… Aber unser Thema hier ist ja in der Zwischenzeit nicht durch die Streichung des Binnenkonsens und die Rücknahme der Erstattungsfähigkeit der Homöopathie obsolet geworden, obwohl – der Interessierte hat es zweifellos registriert – eine gewisse Bewegung in der Sache zu verzeichnen ist. Eine gewisse. Ein wenig. Ein kleines bisschen…
Nun aber zum Abschluss der Besprechung von Dr. Behnkes Interview mit sich selbst.
Im letzten Teil möchte ich die strenge Form der Abfolge nach den Themen des Interviews verlassen und ziehe es vor, auf die wichtigsten grundsätzlichen Ausführungen aus Dr. Behnkes restlichem Text einzugehen. Dabei scheinen mir zwei Aspekte bedeutungsvoll: Die angeblichen Kostenvorteile einer homöopathischen Behandlung und die Abschweifungen in die Wissenschafts- und die Erkenntnistheorie.
Kostenersparnis gegenüber wissenschaftlichen Behandlungen
Damit wollen wir uns auch nicht allzu lange aufhalten:
Behnke führt hier Untersuchungen an, die primär auf die Verschreibungshäufigkeit von pharmazeutischen Arzneimitteln bei Gruppen mit und ohne homöopathische Behandlungen abheben. Daraus nun einen Kostenvorteil für die Homöopathie abzuleiten, scheint gewagt. Was hier ableitbar sein könnte, ist -vor allem im Hinblick auf die weniger gravierenden Gesundheitsstörungen, die hier erfasst wurden- dass letzten Endes wohl unnötig viel pharmazeutische Arzneimittel verordnet wurden, die für die Heilung nicht notwendig waren. Ganz abgesehen davon, dass es zum Kern homöopathischer Therapien gehört, weniger bis keine „pharmazeutischen Mittel“ zu verordnen – so wie naturgemäß der Bäcker weniger Fleisch verkauft als der Fleischer und umgekehrt.
Die entscheidende Studie zur Kosteneffektivität der Homöopathie wird durch Nichterwähnung geadelt: Die Studie “Can Additional Homeopathic Treatment Save Costs? A Retrospective Cost-Analysis Based on 44500 Insured Persons” von Ostermann J, Witt C et.al. (2015). Dies ist die bei weitem umfassendste und langfristigste Untersuchung einer Kosteneffektivität der Homöopathie überhaupt. In Zusammenarbeit mit einer namhaften Krankenkasse. Und zu welchem Ergebnis kommt sie?”Daten von 44.550 Patienten wurden ausgewertet. Die Gesamtkosten lagen in der Homöopathiegruppe nach 18 Monaten höher (im Mittel bei 7.207 EUR) als in der Vergleichsgruppe (5.857 EUR). […] Das galt für alle Diagnosen.”
Das heißt zwar nicht, dass Homöopathie „zu teuer“ ist, das heißt aber, dass die Gesamtkalkulation der Kassen, sie würden mit homöopathieaffinem Klientel, das zudem gesund und gutverdienend ist, per Saldo einen Überschuss erzielen, ziemlich optimistisch ist.
Ceterum censeo: Für unwirksame Mittel und Methoden ist per se jeder Cent zu viel. Unter dieser Prämisse kann die Homöopathie niemals mit einem Kostenvorteil gegenüber “notwendigen, zweckmäßigen und wirtschaftlichen” Behandlungen begründet werden, wie sie das Sozialgesetzbuch fordert.
Zur Wissenschaftlichkeit
Hier greife ich zwei wesentliche Aspekte heraus, die in Dr. Behnkes Ausführungen eine Rolle spielen.
Der erste ist der Appell an den Ehrgeiz “wahrer Wissenschaftler” sich auch und gerade der Anomalien, die nicht in die Erkenntnislage passen wollen, anzunehmen. Keine ungeschickte Argumentation, wenn man bedenkt, dass “Anomalien” in Poppers Wissenschaftsmethodologie der klassische Ansatz sind, die zu einem Widerruf bisheriger Theorien oder gar einem Paradigmenwechsel führen können. Allerdings unter dem Aspekt absolut zwingender Notwendigkeit. Thomas S. Kuhn weist denn auch ausdrücklich darauf hin, dass es erst bei einer starken “Häufung” von Anomalien zu einer „Krise“ in einem Wissenschaftsgebiet kommen kann, die dann in eine „wissenschaftliche Revolution“ mit Ersatz des alten Paradigmas inklusive zentraler Begriffe (!) münde.
“Inklusive zentraler Begriffe” – mit anderen Worten ist Voraussetzung für einen derartigen Umbruch, dass durch den Paradigmenwechsel das bisherige Gesamtsystem durch ein mindestens genauso bruchfreies, konsistentes ersetzt wird. Nur leider liegt bei der Homöopathie gar keine Anomalie vor – niemand hat jemals eine spezifische arzneiliche Wirksamkeit der Homöopathie belegt, damit fehlt es am tatsächlichen Tatbestandsmerkmal eines Widerspruchs gegenüber den bisherigen Paradigmen. Und durch welches geschlossene System das heutige Gesamtbild von Physik, Chemie, Biologie und Medizin ersetzt werden soll, wenn die Homöopathie einen Paradigmenwechsel erzwingen würde, diese Frage bleibt seit jeher ohne Antwort. Aber wenn schon mit Wissenschaftstheorie argumentiert wird, darf man nicht auf halbem Wege stehenbleiben und sich auch noch triumphierend umdrehen. Man muss den Weg zu Ende gehen und darf keine Angst vor der eigenen Courage, sprich vor einem Scheitern der eigenen Grundhypothesen, haben. Alles andere ist ein Scheingefecht und ein schwerer Missbrauch des mühsam errungenen wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Instrumentariums.
Bei der Homöopathie mit dem Anomaliebegriff zu operieren, entbehrt auch nicht einer gewissen Absurdität. Die Methode ist über 200 Jahre alt und beruht selbst auf Hypothesen und Paradigmen, die ihrerseits von den überwältigenden „Anomalien“ der wissenschaftlichen Medizin, der Zelluluarpathologie, der Bakteriologie, der Virologie und mehr verdrängt wurden. Das Paradigma der Heilung von Krankheiten durch ein Ähnlichkeitsprinzip und per „geistiger Arzneikraft“ ging unter. (Warum das nicht die Zuweisung eines ruhigen Plätzchens für die Homöopathie im medizinhistorischen Museum bedeutet hat, ist wieder eine andere Sache.) Und heute wird verlangt, dass die ausgerechnet diese, als Paradigma selbst längst abgelöste Homöopathie als Anomalie anerkannt wird und die heutigen Paradigmen der modernen Wissenschaften (nicht nur der Medizin!) seinerseits verdrängen soll, als späte Rache sozusagen? Ein Treppenwitz, wenn mich jemand fragt. Zumal das heutige Paradigmengebäude von Medizin, Biologie, Physik und Chemie um Zehner-, wenn nicht Hunderterpotenzen (damit kennen sich die Homöopathen doch so gut aus) geschlossener und konsistenter ist als das, was zu Hahnemanns Zeiten vorherrschte. Siehe die Ausführungen zur inneren und äußeren Widerspruchsfreiheit im zweiten Teil dieser Besprechung.
Der zweite Aspekt, der noch behandelt werden soll, ist der Versuch Behnkes, Inhalt und Bedeutung des Begriffes der Ausgangsplausibilität (bzw. Scientabilität) zu relativieren. Wir haben diesen Begriff schon im Exkurs zu Beginn des zweiten Teils dieser Besprechung kennengelernt und sind deshalb für das Folgende gut gerüstet.
Ja, die Relevanz der sogenannten Ausgangsplausibilität für die wissenschaftliche Forschung ist nicht in Stein gemeißelt, wie nichts in der Wissenschaft, sie wird diskutiert. Das sollte aber nicht zum Anlass genommen werden, wie Dr. Behnke es im Ansatz tut, diese missliebige Neuerung nun mal gleich an die Seite zu schieben. Es gibt schon gute Gründe dafür, weshalb diese Diskussion in der Wissenschaftsgemeinde geführt wird.
Einer davon ist der Wunsch, die immer begrenzteren Mittel für wissenschaftliche Forschung auf wirklich erfolgversprechende Forschungslinien zu konzentrieren. Ich finde das angesichts schwindenden Rückhalts für freie Forschung durch öffentliche Mittel sehr wichtig. Die Diskussion hat schon vor längerer Zeit ihre Schatten vorausgeworfen, beispielsweise dadurch, dass das British Medical Journal Artikel mit dem pauschalen Ruf nach “mehr Forschung” nicht mehr reviewt, sondern gleich zurückgibt. Angenommen werden nur Arbeiten, die die Notwendigkeit weiterer Forschung auf einem bestimmten Gebiet genau im Hinblick auf das Warum und das Was begründen. Ob das angesichts neuerer Entwicklungen noch immer so ist, vermag ich allerdings nur zu mutmaßen.
Wesentlicher scheint noch, dass die Evidenzbasierte Medizin Gefahr läuft, sich in rein empirischen Betrachtungen und statistischen Bewertung zu verlieren und dabei Plausibilitäten und Konsistenzen (Widerspruchsfreiheiten) weitgehend auszublenden. Damit wird gerade Apologeten invalider Methoden wie hier Dr. Behnke Tür und Tor geöffnet, sich in scheinbarem Schulterschluss auf die „reine Empirie“ zurückzuziehen – deren Methodik nicht ohne Tücken ist. Reduzierung auf pure Empirie ist unvollständige Wissenschaft – zumindest nach meiner Ansicht. (Anm. UE, 2021: Das habe ich inzwischen in diesem Blog im Detail dargelegt.)
Nun war es ja -zumindest nach meiner und einiger anderer Ansichten- einer der Gründe für das Überleben der Homöopathie, dass immer und immer wieder nach “mehr Forschung” gerufen und in Aussicht gestellt wurde, die Homöopathie werde der Wissenschaft noch “einiges zu sagen haben”. Wäre die Ausgangsplausibilität schon früher beherzigt worden, gäbe es die Homöopathie womöglich nur noch als eines von etlichen Nischenprodukten des medizinischen Jahrmarktes. Verständlich, dass man in der Diskussion über Plausibilitäten und Konsistenzen eine große Gefahr für die Zukunft der Homöopathie sieht. Denn wie sieht es denn aus mit ihrer Ausgangsplausibilität?
Das Simileprinzip ist widerlegt. Die Natur schafft keine Ähnlichkeiten, um den Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass es bei genauer Beobachtung dort etwas zu holen gebe. Die Natur ist nicht menschenzentriert und verfolgt auch keine “Absichten” – das anthropozentrische Weltbild ist von vorgestern.
Die Arzneimittelprüfung am Gesunden ist ein herausragendes Beispiel völliger Subjektivität, was allein ihre ständig wachsenden Ergebnisse zeigen. “Das” Repertorium oder “die” Materia Medica gibt es gar nicht. Ockhams Rasiermesser hat reichlich zu tun auf diesem Gebiet. Spätestens seit Martinis großangelegten Untersuchungen zur Arzneimittelprüfung, die im Blindversuch gegen Placebo die wildesten Symptomschilderungen, aber keinerlei erkennbares, geschweige denn reproduzierbares Muster ergaben, ist die Arzneimittelprüfung auch empirisch als unwissenschaftlich und wertlos entlarvt. Ganz zu schweigen davon, dass Homöopathen noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Arzneimittelprüfung als einer “Frage an die Natur” schwärmten, deren “beständige Antworten” beständig aufgezeichnet würden… Siehe das Thema Anthropozentrismus.
Verdünnung ist Verdünnung. Anderes zu behaupten bedeutet, seine eigenen Alltagserfahrungen zu leugnen.
Potenzierung durch Rituale ist Esoterik. Es gibt keine auch nur annähernde Erklärung dafür, was dort sich wie potenziert, woher dieses Was weiß, dass es ein Arzneistoff ist und die Verunreinigungen im Lösungsmittel eben nicht, wie eine “geistige Substanz” materiell nun doch gespeichert werden und mit der materiellen Welt wechselwirken und wie das Ganze dann über besprühte Zuckerkügelchen, die ihren Weg durch den Verdauungstrakt des Menschen nehmen, irgendeine Wirkung entfalten soll.
Last but not least – die bisherige Studienlage, nicht ein paar Einzelstudien bei selbstlimitierenden Krankheiten, sondern die systematischen Reviews, teilweise von Vertretern der Homöopathie selbst durchgeführt und beurteilt – sprechen, da kann so viel drum herumgeredet werden wie man will, eine eindeutige Sprache: Es fehlt an einem Wirkungsnachweis. Nach den vorstehenden Prämissen wäre alles andere in der Tat eine Anomalie, die sofort das allergrößte Interesse der Wissenschaftsgemeinde erregen würde – nicht Misstrauen, Interesse, denn so ist die Wissenschaft. Aber – die Verhältnisse, sie sind nicht so, wie schon Brecht zu Recht konstatierte.
Würden Sie, liebe Leser, angesichts einer solchen Ausgangssituation einem Fundraising beitreten, dass “mehr Forschung” für die Homöopathie finanzieren soll oder gar den Einsatz von öffentlichen Mitteln für diesen Zweck befürworten? Na?
Fazit
Mit erheblichem rhetorischem Aufwand unternimmt Behnke einen weiteren Rettungsversuch zugunsten der Homöopathie, dem man Geschick und vor allem Aufwand zweifellos nicht absprechen kann. Aber: Es bleibt bei unbelegten Prämissen, dem Relativieren oder Wegdeuten gewichtiger Argumente (teils unter Inkaufnahme der Beschädigung von Hahnemanns Gebäude), dem Anbieten von Narrativen aus der homöopathischen Filterblase, die keinen Erklärungswert besitzen und von philosophischen Bemühungen am Rande dessen, für die Homöopathie auch noch einen eigenen Wissenschaftsbegriff zu fordern. Vielfach belegt Behnke dabei selbst in 200 Jahren nicht zu behebende Unstimmigkeiten (Konsistenzen) innerhalb des Gedankengebäudes Homöopathie.
Denn es ist doch eigentlich einfach: All der rhetorische Aufwand bedarf im Grunde so lange keiner näheren Betrachtung von Hintergründen und Spekulationen über Wirkmechanismen, wie nicht die Wirksamkeit der Homöopathie belegt ist, um es in einer Metapher auszudrücken: es bedarf keines Bühnenbildes mit aufwändiger Beleuchtung, wenn gar kein Stück aufgeführt wird. Gerade an den umfassenden Ausführungen von Herrn Behnke wird überdeutlich, dass diese überhaupt nur eine substanzielle Bedeutung über leere Worte hinaus hätten, wenn die Prämisse einer spezifischen Wirksamkeit der Homöopathie zuträfe. Genau an dieser Stelle setzt aber die Immunisierungsstrategie an. Und zwar eine vergleichsweise primitive: Die Strategie der immer wiederholten Behauptung, von der man hofft, dass sie zur wahrgenommenen Wahrheit wird und das papierene rhetorische Gebäude darüber in Gold erglänzen lässt. Aber da sei die Wissenschaft und die wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik vor: Die Behauptung einer spezifischen Wirksamkeit ist der eigentliche Prüfstein, an dem die Homöopathie scheitert, welcher Begründung, Philosophie oder was sonst immer ins Feld geführt werden mag.
Man muss sich immer vor Augen halten, welcher Aufwand für die Aufrechterhaltung eines längst obsolet gewordenen Gedankengebäudes getrieben wird, das zur Zeit seiner Entstehung durchaus gewisse Meriten einfahren konnte (im Sinne von Schadensbegrenzung). Natürlich ist dieser Aufwand auch ein Prozess der Selbstbestätigung für die homöopathische Gemeinde, die ja angesichts zunehmender Kritik nach solchen Ausführungen lechzt, meist, um sie unkritisch (und unverstanden) weiterzuverbreiten.
Es hat sicher seine Gründe, weshalb die Homöopathie -wie viele andere Gedankenmodelle aus ihrer Zeit- nicht längst verdientermaßen im medizinhistorischen Museum verschwunden ist – mit anderen Worten, weshalb man sie immer wieder hat gewähren lassen. Einer davon ist, wie beispielsweise die Russische Akademie der Wissenschaften mutmaßt, der ständige Anspruch der Homöopathie über die Jahrhunderte, sie habe der Wissenschaft letztlich doch etwas zu sagen oder es gebe Aufklärungsbedarf, für den die Wissenschaft in die Pflicht zu nehmen sei. Nun kann keineswegs die Rede davon sein, dass die Wissenschaft sich nicht mit der Homöopathie befasst habe, das hat sie seit jeher bis zum heutigen Tag getan. Es wäre nur an die schon zu Hahnemanns Zeiten recht konstruktiven Ansätze zu ihrer Überprüfung zu erinnern, die schon damals nicht als Ruhmesblatt für die Methode zu gebrauchen waren.
Es ist Dr. Behnke nicht entgangen, dass längst auch fundierte wissenschafts- und erkenntnistheoretische Argumente gegen die Homöopathie und ihren “wissenschaftlichen Anspruch” vorgebracht werden. An den von ihm aufgegriffenen Gesichtspunkten der Anfangsplausibilität und der Behandlung von Anomalien in der kritisch-rationalen Methode wird dies deutlich. Die Homöopathen versuchen, auch das Terrain der Wissenschaftstheorie zu beackern, müssen aber -wie im vorstehenden Abschnitt ausgeführt- mit ihrer hölzernen Pflugschar aus dem späten 18. Jahrhundert an dem durch 170 Jahre methodischer Wissenschaft bereiteten festen Boden scheitern.
Längst gibt es das abschließende Urteil: Die Grundlagen der Homöopathie sind unvereinbar mit den Erkenntnissen der Humanmedizin, der Ätiologie, der Zellbiologie, der Biochemie, von Physik und Chemie und auch noch anderen Wissenschaftszweigen. Warum? Weil sie sich mit ihren Annahmen nicht widerspruchsfrei in das jeden Tag sich bewährende Gesamtbild der Summe dieser Wissenschaften einfügen lässt. Damit sind die Grenzen der Homöopathie abschließend aufgezeigt. Denn das von der Wissenschaft unter großen Mühen bis heute erarbeitete Gesamtbild ist die bestmögliche Annäherung an die Wirklichkeit, über die wir verfügen, die am besten begründete Kosmologie aller Zeiten. Es besteht kein Anlass, zugunsten einer Rechtfertigung der Homöopathie dieses Gebäude zu beschädigen oder gar einzureißen. Wie erwähnt, ist die Homöopathie keine wissenschaftstheoretische Anomalie, sondern eine beleglose freie Hypothese.
Ein weiteres Merkmal für die Unmöglichkeit, die Homöopathie sinnvoll zu verorten, ist, dass die Wissenschaft die Homöopathie nicht braucht, um die von ihr vorgewiesenen Effekte zu erklären. Das ist ein völlig normaler Vorgang im Fortschreiten menschlicher Erkenntnis: Dass alte Vorstellungen, die einmal ihre Meriten gehabt haben, heute nicht mehr gebraucht werden, weil bessere Erklärungsmodelle verfügbar sind. Wie auch früher für das Wetter die Götter als zuständig angesehen wurden und die darauf fußende Priesterschaft durchaus angesehen war – weil sie “Erfolge” vorzuweisen hatte, von denen heute klar ist, dass sie auf statistischen und auch psychologischen (Vergessen von Misserfolgen) Effekten beruhten. Wetterkunde betreiben wir noch heute, niemand aber käme auf die Idee, das Wetter als göttliche Macht “beschwören” zu wollen.
“Die Wissenschaft” weiß, dass sie nicht alles weiß. Ihr Gebäude ist aber inzwischen so bewährt, dass die Anforderungen an neue Bausteine, die Lücken füllen und Grenzen weiter hinausschieben können, klar definierbar sind. Deshalb kann die Wissenschaft heute auch gesichert darüber urteilen, dass die Homöopathie in ihr Gesamtgebäude nicht eingefügt werden kann. Das darf man einer Wissenschaft, die in der Lage ist, die tatsächliche Existenz von Elementarteilchen theoretisch vorauszusagen und dann auch den experimentellen Beweis für die Vorhersage zu liefern, durchaus zutrauen. Aber: Kreisrunde Bausteine passen nun mal nicht in rechteckige Lücken. Die Zeit der Homöopathie ist genau deshalb heute endgültig abgelaufen.
Erinnern wir uns aber zum Schluss noch einmal selbst daran, dass auch all unsere Betrachtungen an dieser Stelle letztlich viel Wirbel buchstäblich um Nichts sind. Denn an welcher Stelle bitte bietet Dr. Behnke uns stichhaltige Belege für die Wirksamkeit oder einen plausiblen Ansatz für einen Wirkungsmechanismus an, über das Drumherumgerede an Mutmaßungen, Unterstellungen, unzulässigen Vergleichen und dergleichen mehr hinaus, das schon tausendmal widerlegt worden ist? Nirgends. Was bleibt? Die alte Erkenntnis, dass wo Nichts ist, nichts ist und auch Nichts hinzugeredet oder -geschrieben werden kann. Mehr ist eigentlich gar nicht zu sagen. Ist das so schwer einzusehen?
Nun ist es doch noch so eine Art Generalabrechnung geworden… Allen Leserinnen und Lesern Dank für die große Geduld. Ich werde mich (vielleicht) bessern.
Eines sei den Verteidigern der Homöopathie aber noch ins wissenschaftstheoretische Notizbuch geschrieben, nämlich der von Karl Popper stammende Kernsatz, der heute die Grundlage jeglicher seriösen wissenschaftlichen Bemühungen bildet:
“Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen.” (Logik der Forschung, 11. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2005, Seite XX).
Nein, es soll hier nicht um den schon vieldiskutierten Beitrag von Frau Bajic in der ZEIT gehen, in dem sie auf etwas eigenartige Weise ihre eigene Profession nicht gerade verteidigt. Es geht um ein Interview mit Dr. Jens Behnke, bei der Carstens-Stiftung zuständig für “Homöopathie in Forschung und Lehre”, auf heilpraxisnet.de. Als Teil einer dort erscheinenden Reihe zur Homöopathie, dessen einleitenden Beitrag ich in diesem Blog auch gewürdigt habe.
Da das Behnke-Interview sehr umfangreich ist und von daher den Anscheinsbeweis der vielen Worte in Anspruch nimmt, erfordert es auch eine umfangreichere Auseinandersetzung. Versuchen wir es. Vorab aber noch eine kritische Anmerkung:
Ganz offensichtlich handelt es sich nicht um ein Interview im normalen Sinne, also ein “Gespräch mit Blickkontakt”, sondern um die schriftliche Beantwortung eines Fragenkataloges, der gesamte Duktus spricht dafür. Warum ist das von Bedeutung? Es macht auch journalistisch einen großen Unterschied, ob ich jemand direkt zu seinen Ansichten befrage oder ob ich ihm Gelegenheit gebe, sorgfältig ausgearbeitet ein Statement abzugeben. Ja, der Befragte hat gegenüber dem Abfassen eines Fachartikels sogar noch eine bessere Position: Er kann sich mit dem vorgelegten Fragenkatalog in Ruhe auseinandersetzen, auf die Tendenz der Fragestellung reagieren und braucht keine Rück- oder Zwischenfragen zu befürchten. Eine bessere Möglichkeit zur Absicherung und Immunisierung eigener Aussagen kann man überhaupt nicht mehr haben.
Diesmal wird es also länger. Deshalb lasse ich diesen Beitrag in mehreren Teilen erscheinen. Ich folge in der Darstellung einfach den Überschriften des “Interviews”.
Samuel Hahnemann begründete die Homöopathie. Wer war das?
Behnke versucht hier vor allem, den Boden für die nachfolgenden Ausführungen durch seine Deutung des Chinarindenversuchs zu bereiten. Er identifiziert hier den zentralen Glaubwürdigkeitsfaktor für das Simileprinzip und stellt die Gültigkeit von Hahnemanns Bewertung seines Selbstversuches in keiner Weise in Frage.
Selbst wenn wir uns nur auf der Basis der reinen Empirie, der Einzelfallerfahrung, bewegen und jedes ursächliche Hinterfragen hintanstellen, bleibt festzuhalten, dass der Chinarindenversuch schon zu Hahnemanns Lebzeiten niemals reproduziert werden konnte und es auch keine allgemeine Erklärung für Hahnemanns Bericht gibt.
Schon 1821 versuchte Jörg in Leipzig, den Chinarindenversuch zu reproduzieren. Er bediente sich einer Gruppe von neun nahezu konstitutionell gleichen Personen, die bislang nichts von Homöopathie gehört hatten. Die Probanden wurden gar vor einer möglichen Lebensgefahr gewarnt und zu genauester Selbstbeobachtung verpflichtet. Es trat nicht nur bei keinem der Probanden das von Hahnemann beschriebene Fieber ein, es ergaben sich auch zu den anderen von Hahnemann beschriebenen Symptomen keine Übereinstimmungen. Ein erster Beleg – aber keineswegs für einen Beweis des Simileprinzips, sondern für den völlig verfehlten, da grenzenlos subjektiven Ansatz der homöopathischen Arzneimittelprüfung.
Abgesehen davon hat es Hahnemann beim späteren Ausbau seines Gedankengebäudes offenbar nicht interessiert, dass er keine homöopathischen, sondern “allopathische” Dosen eingenommen hatte. Nach seinem eigenen Bericht nahm er “einige Tage zweimal täglich 4 Quentchen pulverisierter guter Chinarinde” ein, insgesamt waren das rund 14 Gramm. Das entspricht einer Menge an reinem Alkaloid von etwa 1,0 bis 1,5 Gramm (qualitätsabhängig, nach Kritzschler-Kosch).
Durchweg wird der Chinarindenversuch bzw. Hahnemanns Interpretation heute entweder auf eine selbstsuggestive Fehldeutung (es gab damals keine Messgeräte für Fieber!), auf eine allergische Reaktion (Lendle 1952) oder auch eine sehr seltene paradoxe Wirkung (Eichholz 1936) zurückgeführt, jedenfalls als eine sehr subjektive Feststellung angesehen. Was noch möglich erscheint, ist eine Verbindung zu dem Umstand, dass Hahnemann selbst malariainfiziert war. Eine physiologische Reaktion eines Malariakranken auf die Chiningabe in Form eines Anstiegs der Körpertemperatur mag denkbar sein, was aber nicht im homöopathischen Sinne als eine Art Wirkungsumkehr interpretiert werden kann. Selbst der kritische Fritz Donner hat noch 1948 versucht, den Chinarindenversuch mit dieser Erklärung zu retten (später gab er diese Ansicht auf). Trotzdem wird – wie wir auch bei Behnke sehen – der Chinarindenversuch noch heute als Geburtsstunde des Simileprinzips und damit des ersten, entscheidenden Standbeins der Homöopathie angesehen. Hierzu gibt es aber bei objektiver Betrachtung keinen Anlass.
Die Aussage, Hahnemann habe seine Schlüsse aus dem Chinarindenversuch später systematisch erforscht, ist ein Euphemismus. Eine falsche Prämisse kann nicht zu richtigen Ergebnissen führen. Man wird davon sprechen müssen, dass Hahnemann mit bemerkenswertem Geschick ein System zur Erzeugung selbsterfüllender Prophezeiungen aufgebaut hat.
Diese Ausführungen erscheinen mir wichtig, weil Behnke gerade mit dieser Einleitung eine Prämisse setzt, die später nicht mehr hinterfragt, sondern als Baustein für weitere Ausführungen benutzt: Die Originalität und die Tragfähigkeit des Simileprinzips als Begründung für die ganze Homöopathie. Man bemerkt hier deutlich, welche Folgen es hat, wenn kein Interviewer zugegen ist, der ergänzende Fragen stellen kann.
Auf welchen medizinischen Vorstellungen basierte Hahnemanns Lehre? Was bedeuten “Lebenskraft”, “Lebensenergie” oder “Miasmen”? Was ist das Simile-Prinzip und aus welcher medizinischen Tradition stammt es? Welche Nachweise für die Wirksamkeit seiner Ideen und Methode erbrachte Hahnemann?
Ein derartiges Konglomerat von Einzelfragen lädt den Antwortenden natürlich geradezu ein, eine Darstellung zu liefern, die den Blick auf die Einzelaspekte eher vernebelt.
Zu widersprechen ist zunächst Behnkes Feststellung, dass Hahnemanns Simileprinzip nichts mit der “mittelalterlichen Signaturlehre” zu tun habe, womit er ihm einerseits für das Simileprinzip die originäre Urheberschaft zuspricht und andererseits versucht, ihn gegen Kritik, die sich – zu Recht – gegen die esoterisch fundierten “alten Vorstellungen” der Signaturen- und der Sympathielehre richtet, zu immunisieren. Nein, Hahnemann hat hier nichts so Originäres geschaffen, sicher hat er das Ähnlichkeitsdenken auf seine Methode hin ausgeformt, aber das Grundprinzip ist tief in der Vergangenheit esoterisch verwurzelt. Die Strategie, Hahnemann als insgesamt revolutionären Neuerer hinzustellen, verfängt nicht.
Selbstverständlich war Hahnemann, wie seine ganze Medizinergeneration, von den verschiedenen Ausprägungen des Ähnlichkeitsprinzips immer noch stark beeinflusst. Der natürliche Hang des Menschen, scheinbar Zusammengehörendes auch in einen Zusammenhang zu bringen, ist offensichtlich. Eine sehr typische Vorgehensweise für die vorwissenschaftliche Zeit – damals so ziemlich die einzige Möglichkeit, das Selbstverständnis vor dem Gefühl völliger Beliebigkeit zu schützen und einen (scheinbar) rationalen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Wobei das schon eine gewisse Emanzipierung vom rein “magischen” Denken, vom “Ähnlichkeitszauber” früher Kulturen und der Spätantike darstellt. Der Weg führt -wenn wir die Antike mal außer acht lassen, dabei wäre ohnehin Plinius d.Ä. (1) eher zu nennen als Hippokrates- von Agrippa von Nettesheims (geb. 1456) offen okkulten Vorstellungen (“De occulta philosophia“) über Paracelsus (geb. 1491, der Agrippas Lehren neuen Auftrieb verschaffte) über verschiedene Zwischenstationen bis zu Hahnemann. Natürlich würde Hahnemann sein Simileprinzip nicht als “Signaturlehre” bezeichnen, aber die Ursprünge sind unverkennbar. Es gab bereits vor Hahnemann sehr ernsthafte “schulmedizinische” Auseinandersetzungen mit dem Wert von Similia für Arzneimittel (Brown und Cullen, von denen Hahnemann zweifellos geschöpft hat; “De curatione per similia” von Michael Alberti, rund 60 Jahre vor Hahnemann). Und dass Paracelsus Hahnemann sehr beeinflusst hat, dürfte außer Frage stehen. Oosterhuis hat noch 1937 eine Dissertation “Paracelsus in Hahnemann” (2) an der Universität Leiden verfasst, die eine Vielzahl von Ursprüngen und Parallelen nachweist.
Kurz: Der Versuch, Hahnemann als originären Schöpfer des in der Homöopathie definierten Simileprinzips zu präsentieren, geht fehl. Vielmehr ist es eher so, dass Hahnemann dieses Prinzip mit der Homöopathie noch einmal zu einer Scheinblüte geführt hat. Man darf nicht vergessen, dass Hahnemann in einer Zeit lebte, als die ersten Anfänge des auf Zweifel beruhenden Wissenschaftsgedankens bereits spürbar waren. Es ist also abwegig, ihn genau im Hinblick auf das Simileprinzip als Neuerer zu betrachten. Die jahrhundertealten Grundgedanken der Isopathie (der Gleichheitslehre), der Sympathie- und der Signaturenlehre wirken in ihm fort.
Die Fragen nach Lebenskraft, Lebensenergie und Miasmen behandelt Behnke dann mit der Strategie des Kleinredens. Er geht so weit, die im Zusammenhang mit den nachgefragten Aspekten stehenden Theorien als “damals wie heute sekundär” zu qualifizieren und als Beleg dafür die Uneinigkeit der Homöopathen in diesen Zusammenhängen herauszustellen.
Sekundär? Geht es aber hier denn nicht um grundsätzliche, die Homöopathie mit konstituierende Aspekte? Stellt sich damit nicht gleich die Frage, was Behnke überhaupt unter Homöopathie versteht? Ganz offensichtlich doch kein in sich schlüssiges System, denn diese Ausführungen laufen Hahnemanns Postulaten von der “verstimmten geistigen Lebenskraft”, die es mit der “geistigen Kraft” der potenzierten Mittel zu beeinflussen gelte, völlig zuwider und gehen an die Wurzeln der Lehre. Und das ist keine Kleinigkeit, zumal Behnke die Prämissen von Lebenskraft und Co. einfach als unwichtig darstellt und nicht etwa eine konsistente alternative Erklärung anbietet. Woher soll ein schlüssiger Ansatz für eine therapeutische Methode aber kommen, wenn er nicht seinerseits auf einer schlüssigen Deutung des Krankheitsgeschehens beruht? Es geht nicht einmal so sehr um richtig oder falsch, sondern um die innere Schlüssigkeit, denn Behnke entzieht dem Hahnemannschen Modell durch seine nonchalante Relativierung komplett entscheidenden Boden.
Auch eine Einrede, dies sei eben so etwas wie die “Modernisierung” der alten Lehre, könnte nicht verfangen. Vielmehr muss geschlossen werden, dass die Homöopathie als System oder Hypothese nicht einmal die Anforderung erfüllen kann, in einem ersten Schritt innere Konsistenz (Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit ihrer Teile untereinander) aufzuweisen. Wenn es aber schon daran fehlt, kann es auch nicht zu einer äußeren Konsistenz kommen, zur Möglichkeit, ein System (eine Hypothese oder Theorie) widerspruchsfrei in den Gesamtkonsens der Wissenschaft einzugliedern. Und das ist dann nicht die Schuld des Gesamtkonsenses der Wissenschaft. Daraus folgt unter anderem auch, dass die Hoffnung der Homöopathen auf den Tag, an dem ihre Grundlagen wissenschaftlich bewiesen werden, mit Sicherheit vergeblich ist.
Hier sei gleich einiges an Grundsätzlichem vorweggenommen, dass auch später noch zu berücksichtigen sein wird. Denn an dieser Stelle wird sehr deutlich, dass im Grunde bei den Homöopathen eine heillose Uneinigkeit (die fehlende innere Konsistenz) über die Grundlagen (und nicht nur der Ausformungen) ihrer Methode besteht. Die Berufung auf den Altmeister Hahnemann ist allgegenwärtig, die Versuche, an seinem Gedankengebäude an allen Stellen herumzuflicken, aber ebenso. Das hat aber fatale Folgen.
In der „Kritik der reinen Vernunft“ unterscheidet Kant zwischen zwei Methoden menschlicher Erkenntnisbemühungen: Einerseits dem „bloßen Herumtappen“ durch das mehr oder weniger unsystematische Anhäufen empirischer Daten und andererseits einem „sicheren Gang einer Wissenschaft“ unter „systematischer Bearbeitung ihrer Erkenntnisse“. Ein Merkmal der letzteren ist nach Kant, dass sie nicht gleich mit ihren Hypothesen „ins Stocken gerät“. Der eigentliche Zweck echter Wissenschaft sei die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Sinne der Allgemeingültigkeit von Hypothesen. Eine Erkenntnislage, die sich nur durch ständige Revisionen ihrer Grundlagen erhalten könne, sei laut Kant dazu nicht geeignet. Eine „sichere Wissenschaft“ in Kants Sinne verzeichnet systematische (d.h. nicht sprunghafte, ständig neue und widersprüchliche) Erkenntnisfortschritte. Sie muss sich „ihres Gegenstandes und der Prinzipien ihrer Erkenntnis sicher“ und in der Lage sein, “die verschiedenen Mitarbeiter in der Art, wie die gemeinschaftliche Absicht erfolgt werden soll, einhellig zu machen”. (3)
Genau der Versuch Behnkes, Kritik an immanenten Grundlagen der Hahnemannschen Methode mit dem Hinweis auf geringe Relevanz und unterschiedliche Auslegungen in der eigenen Szene kleinzureden, erweist sich vor diesem Hintergrund als höchst fatal. Denn es bedarf an sich keiner weiteren Ausführungen, um zu verdeutlichen, dass dieses Vorgehen die Homöopathie der Kant’schen “Scheinwissenschaft” des bloßen Herumtappens zuordnet und nicht die einer Wissenschaft des “sicheren Ganges”. Und das nach 200 Jahren ihrer Existenz.
Bei den Ausführungen Behnkes über die Wirksamkeitsnachweise, die Hahnemann erbracht habe, hätten sich schon Platon und Aristoteles befremdet gezeigt. Denn diese beiden hatten bereits erkannt, dass die Sammlung anekdotischer Einzelerfahrungen, so umfangreich sie auch immer sein mag, nichts anderes ist als das Kantische “unsystematische Anhäufen empirischer Daten”, das nicht zu allgemeingültigen Aussagen führen kann. Richtig spricht Behnke später dann auch von der Homöopathie als einer “phänomenologischen” Methode der vielen einzelnen Erfahrungen. Er ist offensichtlich der Ansicht, dies reiche völlig aus und scheint nicht zu bemerken, dass er im besten Falle bei dem unvollständigen Erkenntnisbegriff eines Francis Bacon stehengeblieben ist und seinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit der homöopathischen Thesen so niemals einlösen kann – nach heute geltenden Maßstäben also geradezu klassisch unwissenschaftlich argumentiert. Insofern es ist auch nicht ungewöhnlich, dass Behnke meines Wissens früher auch schon davon gesprochen hat, “es gehe auch ohne Studien”. Mit einem Angebot eines methodischen Nachweises allein aufgrund einer Anhäufung empirischer Daten ist schon lange wissenschaftlich kein Staat mehr zu machen. Vor allem dann nicht, wenn die beobachteten Effekte auch außerhalb der reklamierten Methode gut erklärt werden können, was in einem Artikel von Dr. Natalie Grams auf dem Blog Die Erde ist keine Scheibe ausgezeichnet beschrieben wird.
Wie ließen sich Hahnemanns Vorstellungen mit Viren und Bakterien als Krankheitserregern und der Ätiologie vereinbaren?
Eine mehr als berechtigte Fragestellung, denn Hahnemann leugnete ja, dass außer den „von außen“ wahrnehmbaren Symptomen von der Krankheit des Patienten “etwas zu wissen sei”. Er weigerte sich ja sogar, den Krankheiten Namen zu geben und vertrat entschieden die Ansicht, dass es so etwas wie gleichförmige wiederkehrende Krankheiten nicht gebe, nur die individuelle Erscheinungsform des Symptombildes.
Wie oben schon erwähnt, ist keine sinnvolle Therapie denkbar, der nicht eine Vorstellung von der Krankheit und ihrer Ursache zugrunde liegt. Hahnemann “ersetzte” dies – nicht ungeschickt – durch die Lehre der allein maßgeblichen Symptomenschau (weshalb seine Methode von zeitgenössischen Kritikern auch als “Symptomendeckerei” bezeichnet wurde, was sich jeder einmal vor Augen halten möge, der die “Schulmedizin” der Symptombehandlung bezichtigt und für die Homöopathie das “Ganzheitlichkeitsprädikat” in Anspruch nimmt). Aber immerhin – bei Hahnemann fußt der therapeutische Ansatz eben auf seinen Vorstellungen von Krankheit und lässt sich eigentlich auch nicht davon trennen. Es ist ein “System”, gleich, ob richtig oder falsch. Auch hier sehen wir wieder eine für die Homöopathie konstituierende Annahme.
Und was tut Behnke? Er bezeichnet -völlig zutreffend- die Homöopathie als eine “phänomenologische Methode”, also eine Methode, die nach einem “Anschein” vorgeht, und rechtfertigt damit, dass “jede Theorie über Krankheitsursachen in diesem Zusammenhang zweitrangig” sei. Das macht selbst mich erst einmal einigermaßen sprachlos. Wie kann man ein Gedankengebäude, das man zu verteidigen angetreten ist, derart auseinanderreißen? Was ist das für ein Verständnis von „Phänomenologie“, offensichtlich eines, die keiner Erklärung und keines Beweises bedarf, der platteste Anschauung völlig genügt und ihre Gültigkeit durch eine Art göttliches Gütesiegel erhält? Unwissenschaftlicher gehts nicht mehr.
Die nachfolgenden wortreichen Ausführungen, ob nun eine Infektionskrankheit eine homöopathische Indikation sein könne oder nicht, beziehen letztlich keine wirkliche Position. Es bleibt “unentschieden” zwischen dem Anspruch Hahnemanns, über die richtige Symptomdeutung immer das eine richtige Mittel finden zu können und einem Eingeständnis, dass jedenfalls exogene Krankheitsursachen wie eine Infektion nicht Gegenstand der Homöopathie sein können. Das Zugeständnis, dass eine “direkte pharmakologische Bekämpfung von Krankheitserregern … mit Homöopathika weder beabsichtigt noch möglich” sei, wirft die Frage nach dem „was denn dann“ auf. Ist die Methode definitionsgemäß hier lückenhaft? Wieso “nicht beabsichtigt”? Oder gibt die Methode schlicht auf, wenn mit der Anhäufung “positiver Erfahrungen” kein Staat mehr zu machen ist?
Das Beispiel der Sepsis, das Behnke anführt, unterstreicht diese Irritation. Denn letztlich laufen seine Ausführungen hierzu bezeichnenderweise auf das Eingeständnis hinaus, dass Homöopathie nur “wirke” (phänomenologisch…), soweit die Selbstheilungskräfte des Körpers genug Reserven besitzen, um eine Genesung herbeizuführen. Sehr bemerkenswert. Eine zentrale Position der Homöopathie-Skeptiker. Und nein, Herr Behnke, Sie können das nicht dadurch wegdefinieren, indem Sie das auf schwere Krankheitsbilder beschränken – das wäre ein negativer Zirkelschluss, denn genau die sind es ja, die die Selbstheilungskräfte überfordern. Im Grunde wird hier nichts anderes gesagt, als dass nach dem Versagen der Selbstheilungskräfte die evidenzbasierte Medizin einzutreten hat. Danke dafür.
Um aber das Renommee der Homöopathie auch an dieser Stelle noch zu retten, verweist Behnke auf die unterstützende Funktion der Homöopathie bei solchen schweren Erkrankungen und führt als Beleg die Sepsis-Studie von Prof. Frass, Wien, an. Das hätte er vielleicht lieber lassen sollen. Um es hierzu kurz zu machen: Frass beabsichtigte mit seiner Studie zu zeigen, dass bei einer Gruppe von Patienten, die ergänzend zur Antibiose mit Homöopathika behandelt wurden, die Werte für ein Langzeitüberleben besser seien als die einer nur mit Antibiose behandelten Gruppe. Die Studie muss sich jedoch erhebliche Kritik gefallen lassen. Sie ließ beispielsweise die Vergleichbarkeit der Gruppen im Hinblick auf die Ausgangserkrankungen nicht erkennen (Inhomogenität, was in Ansehung der sehr kleinen Patientengruppen ein besonderes Problem darstellt) und sie belegte nicht den Zusammenhang zwischen der Sepsis und dem Versterben bei den Nichtüberlebenden (die Patienten waren durchweg schwer multimorbid). Wer sich davon überzeugen will, was die Zeugenschaft der Studie für Behnkes Ausführungen wirklich wert ist, der kann sich hier und hier im Einzelnen informieren.
Ist Homöopathie Naturheilkunde?
“Das kommt auf die Definition an.” Ja, zweifellos. Und auch richtig, zu den klassischen Begriffsinhalten der Naturheilkunde ist die Homöopathie nicht zu subsumieren. Die darauffolgende Gleichsetzung von Naturheilkunde mit Komplementärmedizin ist dann allerdings wieder ein Griff in die definitorisch-rhetorische Trickkiste. Aber kein guter. Wieso sollte “Naturheilkunde” mit “Komplementärmedizin” gleichzusetzen sein? Das eine ist eine Definition, die an die materiellen Grundlagen einer Methode anknüpft, das andere hat bezeichnet gar nichts materiell-inhaltliches, sondern drückt lediglich aus, dass eine Methode nicht den Anspruch erhebt, als “Stand Alone” angewendet zu werden. Kategorienfehleralarm!
Was uns zu der sich aufdrängenden Frage führt, ob Behnke uns damit sagen will, dass die Homöopathie nur eine komplementäre Methode sein will, da er sie ja über diesen Begriff in die Naturheilkunde einführt?
Besser scheint es, die Homöopathie von der Naturheilkunde negativ abzugrenzen, also zu fragen, wieso sie es nicht ist. Eine hinreichende Erklärung findet sich hier.
Was bedeutet Erstverschlimmerung?
Hier bewegt sich Behnke nun wieder auf dem ursprünglichen Hahnemannschen Terrain. Die von ihm gelieferte Erklärung bedient sich der Hahnemannschen Grundannahme der verstimmten Lebenskraft, die bei ihm nun der “Organismus als Regelkreis in einem Fließgleichgewicht” ist. Ganz richtig im Hahnemannschen Sinne definiert er Krankheit als “Störung” dieses Gleichgewichts durch innere oder äußere Einflüsse. Einen „Regelkreis“ in diesem Zusammenhang zu postulieren, damit liegt er allerdings falsch.
Was Behnke hier vorträgt, ist ein reines Narrativ innerhalb des homöopathischen Gedankengebäudes, das in der Physiologie keinerlei Stütze findet und insofern keinen objektiven Erklärungswert hat. Die falsche Prämisse besteht in der Aussage, die Krankheitssymptome seien der Ausdruck der Bemühungen des Körpers, per Selbstregulationsmechanismen das Gleichgewicht wieder herzustellen.
Wie Prokop (1957) (4) zutreffend ausführt, sind “die vom Patienten geklagten, also subjektiven Symptome [nämlich] nur selten Ausfluss einer zweckmäßigen Abwehr des kranken Organismus. Auch die meisten vom Arzt festgestellten Symptome haben nichts mit Zweckmäßigkeit zu tun. Sie sind meist der Ausdruck einer pathologischen Organfunktion, auch wenn solche Symptome durch an sich zweckmäßige Abwehrreaktionen des Körpers überlagert oder verändert werden können.” Eine ärztliche “Erhöhung” der Symptome im Sinne der homöopathischen Erstverschlimmerung könne “meist als sinnlos, wenn nicht gar verbrecherisch bezeichnet werden.” Prokop führt das u.a. das Beispiel einer auch nur sehr geringen Erhöhung des Hirndrucks bei schon bestehender Anomalität an, die der Arzt als sogenanntes “Sektpfropfenphänomen” fürchtet, also die Überschreitung einer Belastungsschwelle des Körpers mit schneller Todesfolge. Prokop verweist darauf, dass die pathologisch-anatomische Lehre hierfür hunderte von Beispielen vorzuweisen in der Lage sei.
Behnke deutet nun die Erstverschlimmerung derart, dass ja das nach dem Simileprinzip verabreichte homöopathische Mittel ähnliche Symptome beim Gesunden hervorzubringen in der Lage ist und deshalb der “Reiz” durch die Gabe dem Auslöser der Krankheit entspreche. Dies würde die “bereits in Gang gebrachten Steuerungsmechanismen” -die körpereigene Abwehr- “heraufregeln” – die Erstverschlimmerung sei der augenfällige Ausdruck dieser Intensivierung. Wie wir gesehen haben, eine nach den gültigen Erkenntnissen der Physiologie unhaltbare Konstruktion. Und auch aus Hahnemanns Organon nicht ableitbar.
Nun fehlt mir da doch sogar die homöopathieinterne Logik. Wieso soll das Homöopathikum, das beim Gesunden (!) die Krankheitssymptome auslösen soll und beim Kranken heilend wirkt, plötzlich beim Kranken (!) doch wieder krankheitsauslösend statt heilend wirken und dadurch die “Erstverschlimmerung” verursachen? Für einen bestimmten Zeitraum? Für welchen? Wie ist es zu erklären, dass das Homöopathikum nach dem Zeitraum X merkt, dass es ja einem Kranken gegeben wurde, den es heilen und nicht krank machen soll? Und wieso soll das “Heraufregeln” die Erstverschlimmerung bewirken? Das würde ja nur dann gelten, wenn die gesamte Symptomatik kausal eine Erscheinungsform der Körperabwehr wäre – was wir ja gerade widerlegt haben.
Nebenher konstatiert Prokop noch, dass die Vorstellung von einer Erhöhung der Krankheitssymptome durch homöopathische Dosen eklatant gegen die homöopathische Auffassung der Arndt-Schulzschen Regel (Hormesis, hier sehr gut erklärt) verstößt. Dies bedeutet, dass kleine Dosen eines Mittels erregen, mittlere fördern und hohe Dosen die Zelle, Zellkomplexe (Organe) oder den ganzen Organismus schädigen. Dieser Regel wird wissenschaftlich aber keine Allgemeingültigkeit zugesprochen. Sie gilt weder für jedes Mittel noch für jeden Zustand des Organismus. Die Physiologie belegt, dass die Anpassungsbreite, d.h. die Reizempfindlichkeit, bei ohnehin erhöhter spezifischer Ausgangslage (Krankheitszustand) gering ist – woraus folgen müsste, dass bei bestehenden Krankheitszuständen homöopathische Dosen jedenfalls nicht ausreichen können, um eine Steigerung von Symptomen herbeizuführen.
Welche Prüfpotenzen legte Hahnemann bei seinen Verdünnungen der verwendeten Substanzen zugrunde? Was enthält zum Beispiel eine “Bernsteinessenz”?
Wiederum eigentlich ein rein homöopathieinternes Narrativ ohne Erklärungswert. Bezeichnend ist aber, dass in diesem Zusammenhang nicht auf die Dosierungsproblematik in der Homöopathie eingegangen wird. Im echten Interview wäre hier sicher nachzufragen gewesen, ob Hahnemanns “Empfehlung” zu C 30 als Prüfpotenz systematische Gründe hatte, warum man trotz der behaupteten Allgemeingültigkeit der Arndt-Schulzschen Regel das gleiche Mittel bei anderer Ausgangslage (gesund / krank) gibt und wo überhaupt die Dosierungsregeln zu finden sind. Unter Homöopathen ist ja sogar die Frage ungeklärt, ob unterschiedliche Potenzen des gleichen Mittels nur unterschiedliche Reizschwellen für die gleichen Symptome darstellen oder Spezifika für andere Symptomgruppen. Und hier liegt die Crux: Mittel, bei denen ein Wirkungsverlauf entsprechend der Arndt-Schulzschen Regel festgestellt werden kann, sind dazu auf exakt definierte Dosen angewiesen, bei deren Nichteinhaltung der Effekt nicht mehr auftritt. Die dazugehörigen Auswertungen zeigen also klar definierte, mittelspezifische Dosis-Wirkungs-Kurven, worauf sich die Homöopathen aufgrund ihrer “großzügigen” Handhabung der Dosierung ihrer Potenzen nicht berufen können.
Bernsteinessenz war in der Tat kein Hahnemannsches Remedium. Unter dieser Bezeichnung auch heute nicht, allerdings wird unter esoterischer Flagge Bernsteinessenz nach dem Rezept des Paracelsus (“Dieses ist ein edles Medicament in Haupt, Magen, Gedärmen und andern Sehnen-Beschwerden, ebenfalls auch wider den Stein”) vertrieben. Was nicht heißt, dass Bernstein kein Ausgangsstoff für homöopathische Mittel ist: Sie werden unter der Bezeichnung Succinum vertrieben. Es wäre aber sicher für den Leser interessant gewesen, dass Hahnemann noch mit um die 70 Ursubstanzen auskam, heutzutage aber der Bestand auf mehrere tausend ausgewuchert ist.
Fortsetzung in Kürze.
(1) C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturalis historia, Bücher XX – XXXII
(2) Oosterhuis,R.A.B., Paracelsus en Hahnemann, essentieele geneeskunst en homoeopathie. (Diss.); Leiden, 1937
(3) Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft – 2. Auflage – Kapitel 3 – Vorrede zur zweiten Auflage
(4) Prokop, O. u. Prokop, L.: Homöopathie und Wissenschaft, Stuttgart 1957
Wir wollen uns gar nicht erst darüber aufregen, dass ungeachtet der auch vom INH angestoßenen kritischen Diskussion zum Wintersemester 2016 die LMU – auch diesmal unter der Regie des Haunerschen Kinderspitals, einer Außenstelle der Homöopathie-Lobby – wiederum diese Veranstaltung geschehen lässt. Viel wichtiger erscheint mir, dass der Bericht von Joseph Kuhn ein bezeichnendes, ja grelles Schlaglicht auf die homöopathische Position wirft, wie sie von den großen Proponenten vertreten wird. Wer noch Illusionen gehabt haben sollte, der lese:
Die Reduzierung der Homöopathie auf ihre positiven Aspekte im Sinne einer niedrigschwelligen „Psychotherapie light“ – entsprechend der ursprünglichen Vorstellung von Dr. Natalie Grams im Buch „Homöopathie neu gedacht“- wird rundweg abgelehnt. Das hat der entsprechende Vorstoß von Dr. Werner Bartens in dieser „Diskussion“ in aller Schärfe deutlich gemacht und die letzten Zweifel am Diskursunwillen der Homöopathen wohl beseitigt.
Damit beharren die Homöopathen auch dieses Mal wieder auf einer spezifischen Wirksamkeit ihrer Methode als Arzneimitteltherapie. Das wiederum weckt natürlich den Wunsch nach wissenschaftlicher Reputation. Oder was man so dafür hält.
Vollkommen unbeeindruckt von der wissenschaftlich nahezu einhellig negativ beurteilten Studienlage beharren hochrangige Vertreter der Methode auf dem Standpunkt, der Wirkungsnachweis sei evidenzbasiert erbracht. Das kann man eigentlich nur noch mit Kopfschütteln quittieren.
Die in ihren Augen durchschlagende Erklärung dieser abenteuerlichen Behauptung liefern die Homöopathen gleich nach: Indem sie behaupten, der in ihren Augen evidenzbasierte Nachweis sei weltweit und seit Jahrhunderten durch die Menge an positiven Erfahrungen, sowohl des einzelnen Vortragenden als auch „überhaupt“, erbracht. Genau das ist aber, was jeder, der eine wissenschaftliche Ausbildung erfahren hat, eben kein Evidenznachweis für die spezifische Wirksamkeit der Methode – ein unwiderlegbarer Kernpunkt der Kritiker. Das Induktionsproblem, das die Nichteignung von Anekdotensammlungen, seien sie noch so groß, für einen Evidenznachweis aufzeigt, scheint unbekannt zu sein – oder wird im Hinblick auf das ohnehin begeisterte Publikum beiseitegeschoben.
Darüber hinaus werden geradezu verschwörungstheoretische Aspekte bemüht, um die Homöopathie mit aller Gewalt in das nicht passende Korsett der Wissenschaftlichkeit zu zwängen. Skeptiker („DIE Skeptiker“) werden nicht als Gegner in einem sachlichen Diskurs wahrgenommen, sondern in einem diffusen „Feindverhältnis“ verortet.
Und natürlich durfte auch der Vorwurf an „die Skeptiker“, hier in Person von Dr. Werner Bartens , nicht fehlen, man diskreditiere systematisch die Homöopathie und sei blind für Mängel und Fehler von „Schulmedizin“ und „BigPharma“. Was nun gerade bei der Person von Dr. Bartens geradezu ein grotesker Vorhalt ist. Offensichtlich war den Anwesenden bei diesem hochmögenden Symposium überhaupt nicht bekannt, wer bei ihnen auf dem Podium saß. Eine auch nur halbwegs seriöse Vorbereitung hätte zutage fördern müssen, dass Dr. Bartens u.a. mit dem “Ärztehasserbuch” und mit “Auf Kosten der Patienten. Wie das Krankenhaus uns krank macht” (das ist nur eine kleine Auswahl) zu den profiliertesten Kritikern des bestehenden Medizinsystems in Deutschland gehört. Allein hieran lassen sich die herausragende Qualität und der wissenschaftlich-universitäre Level der Veranstaltung schon ermessen.
Die Forderung nach einem der Methode angepassten Studiendesign (was die widersinnige Forderung nach einem eigenen, “zweiten” Wissenschaftsbegriff beinhaltet) wird zum wiederholten Male erhoben. Wissenschaftstheoretisch unsinnig, methodisch längst widerlegt. Solche für das Konzept der “individuellen Behandlung” konzipierten Studien, von Homöopathen geplant und durchgeführt, gibt es, beispielsweise die Münchner Kopfschmerzstudie. Unbekannt gewesen, trotz lokaler Kongruenz? Auch in die Meta-Reviews von Mathie und Linde waren solche Studien einbezogen. Sie zeigen genauso wenig positive Ergebnisse für die Homöopathie wie alle anderen auch.
Zur Studienlage werden Halbwahrheiten und Kolportagen verbreitet wie die Nichtberücksichtigung von kleineren Studien in Metareviews (NHMRC, derzeit offenbar ein Lieblingsthema), wohlgemerkt gegenüber einem durchweg positiv konditionierten Publikum, ohne diesem gegenüber die Hintergründe auch nur zu erwähnen.
Man lässt im Rahmen der Veranstaltung Marketingleute darüber vortragen, wie man taktisch am besten die ablehnende Position der „Schulmedizin“ untergräbt und sich weiter etabliert.
Eigentlich fehlten nur noch die Beschwörungen von Wassergedächtnis und Quantentheorie. Was sollte das alles, fragt sich nicht nur Joseph Kuhn.
Für diesen brachte die Veranstaltung noch eine interessante Empfehlung: Als er (als einer von zwei Zuhörern) dem Postulat, die Wirkung der Homöopathie sei ja wohl bei Pflanzen, Tieren und Zellen einwandfrei nachgewiesen, nicht folgen wollte, wurde ihm empfohlen, den Reader der WissHom aus dem Jahr 2016 über die Studienlage der Homöopathie zu lesen… Na ja. Hätte er das Paper zur Hand gehabt, hätte er den freundlich Empfehlenden ja mal auffordern können, ihm die Stelle zu zeigen, wo steht, dass es einen evidenten Wirkungsnachweis für die Homöopathie gibt. Das steht nämlich trotz vieler Worte dort garnicht drin …
Die Umstände dieser Selbstbestätigungsveranstaltung, Podiumsdiskussion genannt, waren offenbar von einem sachlichen Diskurs denkbar weit entfernt. Das ist sehr schade – setzt das INH doch nach wie vor auf die Aufklärung über Sachinhalte und einen darauf bezogenen Diskurs. Ich jedenfalls bin kaum noch imstande, mit Worten angemessen zu beschreiben, was ich von alledem halte. Deshalb ja auch der Titel dieses Beitrages.
… und da erscheint ausgerechnet auf einem Portal, auf dem bislang durchaus auch schon -sagen wir mal, zweifelhafte – Beiträge erschienen sind, eine Gesamtdarstellung der Homöopathie, die ich als höchst bemerkenswert bezeichnen würde. Erfreulicherweise ist eine kritische Haltung zur Homöopathie dort nicht zum ersten Mal zu finden – ich erinnere an das Gespräch mit Dr. Natalie Grams und Norbert Aust im September 2016.
Nur, um das nicht unerwähnt zu lassen: Niemand hat etwas gegen Naturheilverfahren, wie sie Thema der verlinkten Seite sind – vorausgesetzt natürlich, sie sind vernünftig und sinnvoll (die Homöopathie ist bekanntlich nichts von dem).
Wie erfreulich. Und wie sinnvoll, denn hier wird möglicherweise eine Leserschaft erreicht, die die direkten Informationsportale zur Pseudomedizin eher links liegen lässt.
Das macht Hoffnung. Großer Lesebefehl!
Nette Zusatzinformation: Der Autor des Beitrages, Dr. Utz Anhalt, hat versucht, den Zentralverein Homöopathischer Ärzte und auch den Verband Homöopathischer Heilpraktiker zum Thesenkatalog des Artikels zu interviewen. Wozu sie zunächst bereit waren, aber die Interviews dann verweigerten, nachdem sie den Fragenkatalog von Dr. Anhalt gesehen hatten…
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“ und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.
Hypothese + Empirie + Deduktion = Erkenntnis
Im Juni dieses Jahres findet in Leipzig der Homöopathische Weltärztekongress 2017 statt, unter dem schönen Motto „Networking in Medical Care“. Mit Gemeinschaftsausflug nach Köthen, der einzigen Stadt, die bei der Stadtentwicklung auf „Homöopathie als Entwicklungskraft“ setzt. Unter der Gastgeberschaft des Deutschen Zentralvereins Homöopathischer Ärzte, unter der Schirmherrschaft von Annette Widmann-Mauz, Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, und versehen mit einem Grußwort der Sächsischen Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz. Reputation allerorten.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich nicht um eine Tagung von Medizinhistorikern. Nein, ganz offensichtlich geht es tatsächlich darum, ein weiteres Mal die Homöopathie als ernstzunehmende medizinische Therapie zu feiern und die Darlegung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu simulieren.
Die Abstracts zu den Tagungsbeiträgen sind inzwischen veröffentlicht worden und im Internet zugänglich. Das Studium derselben lässt schon staunen und zudem die Frage aufkommen, weshalb z.B. so weltbewegende Forschungsergebnisse wie eine „schnelle“ Wirkung von Homöopathika „bei Krebs“, und das auch noch durch L-Potenzen, also Verdünnungsschritten von jeweils 1:50 000 (!), denn nicht im Lancet, dem British Medical Journal, bei Nature oder in einer der Online-Studiendatenbanken veröffentlicht werden? Das wäre doch bei derart bahnbrechenden Erkenntnissen der erfolgversprechendste Weg zum Medizin-Nobelpreis? Oder nicht?
Wir wollen uns aber in solchen Details gar nicht verlieren, sondern lieber einen Exkurs zu dem nicht neuen Thema unternehmen, ob der Homöopathie überhaupt so etwa wie Wissenschaftlichkeit zugestanden werden kann. Machen wir es uns ruhig ein wenig schwerer als nötig und rekurrieren nicht von vornherein z.B. auf die Russische Akademie der Wissenschaften, die mit begrüßenswerter Klarheit vor kurzem die Homöopathie als Pseudowissenschaft eingestuft hat. Aus Gründen.
Die Homöopathie hält sich viel zugute auf die „guten Erfahrungen von mehreren hundert Millionen Menschen“, die dazu führen würden, dass es „auch ohne Studien gehe“ (so Vertreter der Carstens-Stiftung in einer Online-Diskussion im Mai 2016). Ja, die Erfahrungen, sie überragen alles, sie sind für die Homöopathen immer wieder „der“ Prüfstein überhaupt für ihre Methode. Was sie -nur nebenbei erwähnt- nicht davon abhält, „Grundlagenforschung“ zu betreiben. Ist die Homöopathie damit wirklich auf der Höhe der Zeit, kann sie damit für sich „Wissenschaftlichkeit“ in Anspruch nehmen?
Francis Bacon (1561 – 1626) war der erste in der Neuzeit, der die Notwendigkeit formulierte, methodische Werkzeuge für eine Abgrenzung zwischen wissenschaftlich als gesichert oder eben als nicht gesichert anzusehendem Wissen zu schaffen (Aristoteles hatte in seiner Wissenschaftstheorie bereits angedeutet, dass das reine Anhäufen von Erfahrungswissen nicht ausreichen könne). Bacon selbst ging dabei noch vom reinen, absoluten Wahrheitsbegriff aus und hatte auch keinerlei Zweifel, dass eine solche Wahrheit klar festgelegt werden könne: „If truth is manifest, thruth is there to be seen“. Auf diesem methodologischen Stand etwa ist die „Erfahrungsargumentation“ der Homöopathie. Wobei das Problem des fehlenden Kausalitätsnachweises zwischen Methode und beobachteter Wirkung noch gar nicht berücksichtigt ist.
David Hume (1711 – 1776) und in seiner Nachfolge Immanuel Kant (1724 – 1804) legten die Schwachstelle einer solchen „absoluten Empirie“ offen, indem sie zeigten, dass keine noch so große Anhäufung empirischer Daten einen Gegenteilsbeweis (im „n+1-ten“ Fall) ausschließt, das sogenannte Induktionsproblem. Beispiel: Der Umstand, dass bislang die Sonne noch jeden Morgen aufgegangen ist, wiegt zwar schwer, ist aber kein Wahrheitsbeweis dafür, dass dies morgen oder irgendwann nicht mehr der Fall sein wird. Wie wir heute wissen, trifft das ja durchaus zu. Oder, ein Beispiel, das Aristoteles gefreut hätte: Die Aussage „Alle Menschen müssen sterben“ ist eine empirische Vergangenheitserfahrung – wie aber soll dies als absolut „wahre“ Aussage dienen, wo doch derzeit Milliarden von Menschen noch leben?
Nach Hume und Kant kann auf die sinnliche Erfahrung, die Induktion, ebenso wenig verzichtet werden wie auf die logische, widerspruchsfreie Ableitung von Grundprinzipien, die Deduktion. Ein wissenschaftliches System ist darauf angewiesen, dass diese beiden „Seiten der Medaille“ sich ergänzen und bestätigen. Anders ausgedrückt: Die Prognose der Hypothese muss sich im Abgleich mit den empirischen Daten und lässt im Idealfall die deduktive Ableitung einer Theorie mit einem Allgemeingültigkeitsanspruch zu. Im Idealfall in dieser Reihenfolge. Für das „Alle Menschen müssen sterben“-Beispiel bedeutet dies, dass die Forschung zu den Lebensfunktionen des menschlichen Organismus, insbesondere vor dem Hintergrund der Zellularpathologie, Einblicke in grundsätzliche Vorgänge der Zellalterung erbracht haben, die die Sterblichkeit des lebenden Organismus ganz unabhängig von der schlichten Erfahrung des tatsächlichen Versterbens vieler Menschen erklärt – und umgekehrt die empirische Erfahrung die so deduktiv gewonnene Hypothese stützt.
Dies ist heute unverrückbarer Teil naturwissenschaftlicher Methodik. Hinzu kommt heute noch die Methodik des Falsifikationismus im Sinne von Karl Popper (1902 – 1994), der verlangt, dass Ziel der wissenschaftlichen Untersuchung der beständige Versuch der Widerlegung vorhandenen Wissens sein muss. Dadurch wird nicht nur reine „Bestätigungsforschung“ vermieden, sondern letztlich ist dies der einzige Weg, durch das Verwerfen von Unzulänglichkeiten eine immer größere Annäherung an den -von Popper nicht mehr absolut gedachten- Wahrheitsbegriff zu erreichen. Von Bacons „manifest truth“ ist längst keine Rede mehr.
Die Naturwissenschaft ist bescheiden geworden – sie strebt nur noch nach Annäherung an die Wahrheit und setzt dabei als vorrangige Methode auf das Erkennen und Beseitigen bisheriger Irrtümer und Unzulänglichkeiten. Nebenbei: Die Vorwürfe angeblicher Arroganz gegenüber der Wissenschaft und der ihr immer wieder vorgehaltene angebliche Allwissenheitsanspruch zeugen leider nur von der weit verbreiteten Unwissenheit solcher Kritiker darüber, was Wissenschaft überhaupt ist.
Zurück zu unserem Patienten, der Homöopathie. Sie leugnet es ab, aber die Tatsachen sprechen eine eindeutige Sprache: Sie scheitert sowohl an der Deduktion als auch an der Induktion.
Wenn sie, wie eingangs ausgeführt, im Grunde der Auffassung ist, die empirische Erfahrung in „Millionen“ von Fällen reiche völlig aus und Studien seien durchaus nicht vonnöten, ist sie beim Wissenschaftsbegriff Francis Bacons stehengeblieben. Sie scheitert im Grunde sogar schon in einem noch früheren Stadium, denn die von ihr angehäuften Erfahrungen beziehen sich auf aberwitzig viele Patienten- und Fallkonstellationen mit höchst unterschiedlichen Behandlungen, sind also derart inhomogen, dass sie für einen Rückschluss auf eine „Wahrheitsaussage“ zur „Homöopathie an sich“ ohnehin ungeeignet sind. Anders als sich regelmäßig (annähernd) exakt wiederholende Ereignisse wie beispielsweise der Sonnenaufgang.
Werden die empirischen Daten jedoch nach wissenschaftlichen Methoden homogenisiert und im Blindversuch gegen Standardtherapien und Placebos verglichen, scheitert die Homöopathie. Keine Studie mit ausreichendem Design zur Ausschaltung von Zufälligkeiten und Fremdursachen und zur Sicherung echter Vergleichbarkeit hat bisher eine Überlegenheit auch nur einer einzigen homöopathischen Therapie gegenüber Placebo ergeben. Das wird ständig bestritten, ist aber nachweislich Fakt.
Was hier aber gezeigt werden soll, ist das Scheitern der Homöopathie auch und vor allem an der Deduktion. Eigentlich bedarf es ja gar keiner Deduktion, wenn schon die Empirie eine Relevanz der Methode gar nicht belegen kann. Aber die Homöopathen bestehen nun mal auf einem wissenschaftlichen Anspruch ihrer Methode – und müssen sich eben daran eben messen lassen.
Es fällt dabei zunächst auf, dass die Fraktion der Homöopathen, so sie sich denn nicht mit der Bacon’schen Empirie („meinen Patienten hats geholfen!“) zufriedengibt, seit Hahnemann über die funktionellen Grundlagen durchaus keine Einigkeit erzielt hat, sondern eine Zersplitterung der Ansichten zu beobachten ist. Die Erklärungshypothesen sind Legion. Das Spektrum reicht vom Festhalten an Hahnemanns Prinzip der „geistigen Lebenskraft“ bis zu den bemühten Versuchen, doch irgendwie einen „materiellen“ Wirkungsnachweis für das Prinzip der Wirkungszunahme durch Potenzierung -und damit der hohen Wirkung von Hochpotenzen- zu erbringen. Hierhin gehören die Stichworte „Wassergedächtnis“, „Nanopartikel“ und -last, but not least- „Quantenphysik“. Von etlichen mehr oder weniger Privatvarianten unter der Flagge „Homöopathie“ ganz zu schweigen.
Ja was denn nun? Soll das etwa eine Weiterentwicklung einer Ursprungshypothese sein, die Annäherung an die „Wahrheit“ durch Eliminierung von Irrtümern und Unzulänglichkeiten? Ein Schwanken zwischen Festhalten an vorwissenschaftlichen Vorstellungen und Versuchen, ganz im Gegenteil nun doch materielle Wirkungsmechanismen zu postulieren? Wo ist denn hier nun der deduktive Entwurf, der nur noch der Bestätigung durch die Empirie harrt?
Der hellsichtige Kant hat bereits die Definition geliefert, die einer solchen „Wissenschaft“ eine eindeutige Absage erteilt. In der „Kritik der reinen Vernunft“ unterscheidet er klar zwischen zwei Methoden menschlicher Erkenntnisbemühungen: Einerseits dem „bloßen Herumtappen“ durch das mehr oder weniger unsystematische Anhäufen empirischer Daten und andererseits zwischen einem „sicheren Gang einer Wissenschaft“ unter „systematischer Bearbeitung ihrer Erkenntnisse“. Nach Kant zeichnet sich die letztere dadurch aus, dass sie nicht gleich mit ihren Hypothesen „ins Stocken gerät“ und zur Erhaltung ihres Gebäudes ständig revidiert und erweitert werden muss. Der eigentliche Zweck sei die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Allgemeingültigkeit von Hypothesen; eine Erkenntnislage, die sich nur durch ständige Revisionen ihrer Grundlagen erhalten könne, sei dazu nicht geeignet. Eine „sichere Wissenschaft“ in Kants Sinne verzeichnet systematische Erkenntnisfortschritte. Sie muss sich „ihres Gegenstandes und der Prinzipien ihrer Erkenntnis sicher sein“.
Hieraus folgt als Hauptkriterium für eine wissenschaftliche Methode des Erkenntnisgewinns, dass eine Wissenschaft des „sicheren Ganges“ sich nicht in ständigen Grundlagenstreitigkeiten befinden könne. Es sei notwendig, dass die Beteiligten unter einem gemeinsamen Paradigma arbeiten, in Kants Formulierung müsse es möglich sein, „die verschiedenen Mitarbeiter in der Art, wie die gemeinsame Absicht verfolgt werden soll, einhellig zu machen“ (Kant, Vernunftkritik, B VIII).
Die heillose Zerfaserung, in die sich die Homöopathie bei einer Gesamtschau von Hahnemann bis heute befindet, spricht einem solchen Bild von Wissenschaftlichkeit Hohn. Es ist nicht nur die inkonsequente Haltung zu Hahnemanns Wirkungsprinzip. Zu dieser Zerfaserung gehören ebenso beispielsweise die Einführung von Krankheitsbegriffen gegen Hahnemanns Postulat, nur Symptome seien erkennbar; die prophylaktische Anwendung von Homöopathie, das Ausufern von Konstitutions- und Typenlehre, Tier- und sogar Pflanzenhomöopathie, die Propagierung von Komplexmitteln gegen Hahnemanns ausdrückliches Verdikt und vieles mehr, was mangels deduktiver Begründung nicht als Fortschritt, sondern nur als Beliebigkeit gedeutet werden kann. Den historischen Weg der Homöopathie säumen weitaus mehr Absurditäten als Erkenntnisse.
Die Homöopathie muss an einem solchen Wissenschaftsbegriff scheitern. Es ist ihr auch erst recht nicht zuzugestehen, sich auf einen eigenen Wissenschaftsbegriff zurückzuziehen, wie dies gelegentlich durchaus geschieht (Baumgartner, Walach). Sie ist empirisch widerlegt und deduktiv bedeutungslos. Liebe Homöopathen, liebe Kongressteilnehmer in Leipzig – wenn ihr glaubt, dies ändern zu können, dann stellt eure Ergebnisse nicht im internen Zirkel vor, sondern öffnet sie der üblichen wissenschaftlichen Kritik – wenn ihr könnt, denn dies setzt nachvollziehbare, grundsätzlich einer Reproduktion fähige Forschungsergebnisse voraus. Dies ist die einzige Methode zur Erlangung wissenschaftlicher Reputation – das können weder Schirmherrschaften noch Grußworte ersetzen.
Es tut sich so einiges medial bei Homöopathie-Propaganda und Homöopathie-Kritik im Moment. Wenn man nicht gerade weghört, kann man sich den Beiträgen in den Medien derzeit kaum entziehen – und erstaunt registrieren, dass aktuell der Punktsieg klar auf Seiten der Kritiker sein dürfte.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Was aber deutlich auffällt, ist ein bestimmtes Argumentationsmuster der Homöopathie-Verteidiger, ob bei den Krankenkassen (!) oder auch bei den Spitzenpropagandisten:
Homöopathie wirkt! Das zeigen unzählige Einzelerfahrungen!
Wir wissen nicht wie, das ist aber auch egal, denn sie wirkt!
Außerdem wissen wir aber doch, wie sie wirkt, hat doch Hahnemann erklärt, nur die Wissenschaft kann es nicht erklären!
Und ihr könnt die Nichtwirksamkeit nicht beweisen! Ätsch! Und hundertprozentig sowieso nicht!
So etwa sind derzeit die “Argumentationen” aus dem zuckerumhüllten Universum zu verorten.
Na denn:
Homöopathie wirkt nicht. Das zeigen alle großen Reviews von Einzelstudien zur Homöopathie, die jemals durchgeführt wurden. Scheinbar positive Ergebnisse einzelner Studien sind entweder methodische Fehler, statistische Artefakte oder regelrechte Fehldeutungen.
Eine einzelne Studie zählt zudem nicht viel. Einen Anhalt für einen Beleg liefert sie erst, wenn sie einem strengen Review unterzogen wurde, mehr als nur einmal reproduziert wurde und alle Versuche zur Falsifizierung fehlgeschlagen sind. Maßgeblich sind die großen Reviews und Metastudien, die die Fehler und Unzulänglichkeiten von Einzelstudien herausfiltern.
Warum ist das so? Schutzbehauptungen der Homöopathiegegner? Nein, klares Denken in Übereinstimmung mit dem, was man weltweit unter wissenschaftlicher Methodik versteht.
Nein, ein Haufen von Einzelerfahrungen ist noch lange kein Beleg, überhaupt nicht. Es ist nämlich das glatte Gegenteil von Wissenschaft, Einzelerfahrungen zum Maßstab zu erheben. Das ist die “Störche bringen Babys”-Argumentation. Auch hier: Ursache und Wirkung – ein Fehlschluss. Darüber lachen wir – weil es für uns offensichtlich ist (für Kinder, die die Zusammenhänge noch nicht kennen, aber nicht). Warum lachen wir bei den Behauptungen der Pseudomedizin nicht? Weil wir nicht Offensichtliches nicht genug hinterfragen, weil wir “wie Kinder” denken – zu linear, zu unkritisch.
Sicher können wir das nicht immer leisten, aber: Fragen Sie im Zweifel jemanden, der etwas davon versteht!
Zu einer solchen Denke gehören auch Suggestivfragen der Art: Können hundert Nobelpreisträger sich irren? Klar können sie. Tun sie auch. Das einzusehen, scheint eines der ganz großen Probleme der Apologeten der Homöopathie zu sein.
Eine der elementarsten Grundlagen wissenschaftlicher Redlichkeit ist es, Einzelerfahrungen niemals zur Grundlage allgemeingültiger Aussagen zu machen. Im medizinischen Bereich zieht man daraus die Konsequenz, Studien nach klaren Regeln durchzuführen. Sie beruhen auf
einer möglichst große Zahl von Probanden,
mit vergleichbarer Ausgangssituation (Krankheitsgeschichte, Alter, Allgemeinzustand…),
unter Ausschaltung aller störenden, insbesondere subjektiven Faktoren bei Probanden UND Prüfern (doppelt verblindete Studien)
mit einem definierten Studienziel, einer konkreten Fragestellung, die mit der Studie beantwortet werden soll (damit nicht hinterher aus irgendeinem Nebenaspekt doch noch ein “Erfolg” konstruiert wird),
der Aufteilung in Vergleichsgruppen mit gleichen Startbedingungen (deshalb die große Zahl, damit sich das bei der Zufallsaufteilung ausgleichen kann) und
vergleichenden Tests zwischen diesen Gruppen vorzugsweise einerseits mit dem zu testenden Mittel und andererseits mit der nach derzeitigem Stand bestmöglichen Therapie (wenn es nicht anders geht, mit dem zu testenden Mittel gegen ein Placebo).
Übersteht eine solche Studie zunächst kritische Reviews (die schon Voraussetzung überhaupt für eine Veröffentlichung sind) und anschließend Reproduktionsversuche und Falsifizierung, gibt es eine reelle Chance, belastbare Aussagen über ursächliche Wirkungen von Mitteln und Methoden zu machen.
Das ewige Anführen von unzähligen einzelnen “Erfahrungen” von Therapeuten und Patienten, die meinen, aufgrund ihrer individuellen Erfahrungen eine spezifische Wirkung der Homöopathie behaupten zu können, ist ein Schlag ins Gesicht wissenschaftlichen Denkens. Noch schlimmer wird es, wenn in Statements oder Interviews ein Nachweis der Wirkung und der Nachweis eines Wirkungsmechanismus wild durcheinander geht – wie auch aktuell wieder besichtigt werden kann. Wie hier im Zentralorgan des Hochglanzboulevards.
Jetzt, liebe Leser, werden Sie mich wahrscheinlich für endgültig verrückt halten, wenn Sie sehen, was ich nach diesem Absatz verlinke. Es ist nämlich ein Video des bekannten und geschätzten Wirtschaftspsychologen Prof. Kanning, der darin die Graphologie als Pseudowissenschaft entlarvt. Er tut das genau anhand der wissenschaftsmethodischen Merkmale, die die Homöopathiekritik auch immer wieder für die Einstufung der Homöopathie als Pseudowissenschaft anführt: Einzelfallbehauptungen, zu wenige Probanden, keine wirklichen oder gar keine Kontrollgruppen, Behauptungen, Fehlschlüsse, unzulässige Verallgemeinerungen…
Ein Lehrstück in Wissenschaftsmethodik und ein Beleg dafür, dass die Homöopathiekritiker nicht im luftleeren Raum nach eigenem Gusto, sondern auf gesichertem Grund argumentieren. Bitte mal versuchen, das Wort “Graphologie” in diesem auch per se interessanten Beitrag des geschätzten Prof. Kanning beim Hören durch “Homöopathie” ersetzen. Sie werden staunen:
Das Tollste, finde ich, ist die Sache mit dem “Nachfahren” einer Handschrift in der Luft durch den Graphologen, womit Persönlichkeitsmerkmale des Schreibers “geistig” auf den Analysten übergehen sollen… ein schönes Analogon zur Übertragung von “geistigen Kräften” bei der Potenzierung, nicht wahr?
Jetzt aber komplett zurück zur Homöopathie.
Zu dieser verflixten Vermischung von Wirkungsnachweis und Wirkungsmechanismus, mit dem die Verteidiger der Homöopathie dem geschätzten Publikum so gern Sand in die Augen streuen, halten wir einmal logisch fest: Wird über belastbare Studien eine Wirkung nachgewiesen, ist es erst einmal sekundär, ob eine genaue Beschreibung des Wirkungsmechanismus gelingt. In der Tat ist das nicht bei jedem pharmazeutischen Medikament der Fall. Die Homöopathie meint aber, den umgekehrten Weg gehen zu können: Sie weist nicht einmal eine Wirksamkeit nach, glaubt aber, über Wirkmechanismen reden zu können. Das ist schlicht grotesk. Dass der Einstiegssatz “Wir wissen, dass es wirkt, aber nicht wie” von vornherein nicht stimmt, erwähnten wir schon. Meist geht es aber kurz nach diesem Statement munter drunter und drüber mit der Argumentation.
Merke: Die Homöopathie hält wissenschaftlichen Kriterien in keiner Weise stand. Und: Wer die moderne wissenschaftliche Methodik ablehnt und heute noch einen eigenen Wissenschaftsbegriff zur Rettung seines Krempels reklamiert -und genau das tun die Homöopathen, explizit wie unausgesprochen- der muss auch für das gleichberechtigte Nebeneinander von Astronomie und Astrologie, von Chemie und Alchemie, von Psychologie und Voodoo und von Biologie und Vitalismus eintreten. Und dabei bitte unter sich bleiben. Viel Vergnügen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“ und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.
Ein Gastbeitrag von Dr. Natalie Grams
Sie haben gute Erfahrungen mit Homöopathie gemacht? Dann sind Sie bestimmt schon einmal in einem Konflikt gewesen mit jemandem, der die Homöopathie für unwirksam hält. Vielleicht sagten Sie dann so etwas wie: „Wir wissen eben noch nicht alles! Früher dachte man ja auch, die Welt wäre ein Scheibe!“.
Wikipedia Commons Camille Flammarion, L’Atmosphère – Météorologie Populaire (Künstler unbekannt)
Sicher, es gibt bestimmt eine Menge Dinge, von denen wir heute noch nichts wissen. Nur ist es leider nicht einleuchtend, warum der Hinweis, dass es eine Menge Dinge gibt, von denen noch keiner von uns etwas weiß, ein Argument dafür sein soll, dass etwas richtig sein soll, was sich bei bestem Bemühen darum seit 200 Jahren einfach nicht nachweisen lässt. Mehr noch: Etwas, das im Laufe dieser 200 Jahre durch unser fortschreitendes Wissen über die Natur immer unplausibler wurde, weil es nicht mehr zu dem passt, was wir in dieser Zeit über die Natur gelernt haben und das sich im Alltag bestens bewährt.
Wenn wir alle heute nicht wissen, was die Menschheit in 100 Jahren wissen wird, dann wissen es die heutigen Homöopathen doch auch nicht. Hier wird ja in gewisser Weise behauptet, dass die Homöopathen wüssten, in welche Richtung sich das naturwissenschaftliche Wissen in Zukunft erweitern wird. Also in etwa „Heute kann das noch keiner wissen – aber wir wissen auf alle Fälle schon mal mehr als die Wissenschaftler“. In diesem Bild wird Wissenschaft als etwas dargestellt, was sie nicht ist: Etwas, das der Erkenntnis hinterherhinkt.
Tatsache ist aber: Was unbelegt ist, ist keine Erkenntnis, sondern blanke Spekulation. Wissenschaft passiert per definitionem immer an dieser Grenze zwischen Wissen und Spekulation, denn sie schafft ja Wissen. Das bedeutet also erst einmal: Allein mit der Tatsache, dass wir Wissenschaft betreiben, räumen wir ein, dass wir noch nicht alles wissen – denn andernfalls könnten wir gar kein neues Wissen mehr schaffen.
Intuition ist nicht Wissen
Ja, im sehr frühen Altertum ging man wohl intuitiv davon aus, dass die Erde flach sei. Eine sehr große Kugel und eine flache Scheibe schauen von einem lokalen Standpunkt erst einmal gleich aus. Man sieht nicht sofort, dass die Erde eine Kugel ist. Es gab aber nie Beobachtungen, die gegen die Kugel gesprochen hätten. Bereits in der Antike wiesen griechische Wissenschaftler aber auf einzelne Daten hin, die für die Kugelgestalt sprachen. Und Eratosthenes berechnete im dritten Jahrhundert vor Christus als erster die korrekte Größenordnung des Erdumfangs.
So konnte die Frage nach der Gestalt der Erde also schon früh durch wissenschaftliche Beobachtungsdaten eindeutig geklärt werden. Zudem gingen weder dieser – noch einer anderen gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnis – Beobachtungsdaten voraus, die dieser Erkenntnis explizit widersprachen. Und genau deshalb passt dieser Vergleich nicht, um das Aufrechterhalten wüster Spekulationen zu rechtfertigen, gegen die heute sehr wohl naturwissenschaftliche Erkenntnisse sprechen. Deshalb lautet die Kernfrage:
Irren Physik, Chemie und Biologie? Oder irrt sich die Homöopathie?
Das Prinzip der Potenzierung steht im Widerspruch zu dem, was sich in der Physik bewährt. Physik und Chemie sagen übereinstimmend, dass es völlig egal ist, ob wir in einem Schritt verdünnen oder in vielen Einzelschritten. Physik und Chemie sagen, dass beim Verdünnen etwas verloren geht, auch dann, wenn wir dabei schütteln. Physik und Chemie sagen beide, dass gleichartige Atome und Moleküle ununterscheidbar, also gedächtnislos sind. Liegt die Homöopathie hier richtig, beschreiben Physik und Chemie vollkommen alltägliche Dinge falsch oder zumindest grob unvollständig. Und zwar, ohne dass wir davon etwas bemerken. Auf dem Verständnis von Vorgängen durch Physik und Chemie beruhen zahlreiche technische Anwendungen unseres naturwissenschaftlichen Basiswissens, die sich in unserem Alltag bestens bewähren. Sie kennen das bestimmt – wenn Sie Ihre Kaffeetasse ausspülen, gehen Sie beim nächsten Wasser, das Sie daraus trinken bestimmt nicht davon aus, dass der Kaffee nun stärker darin fortwirkt. Selbst wenn Sie die Tasse ein paar Mal kräftig auf den Tisch gestellt haben. Wir haben nicht den geringsten Hinweis darauf, dass unser naturwissenschaftliches Wissen, was Verdünnungsprozesse angeht, dermaßen falsch ist, wie es sein müsste, wenn die Homöopathie richtig liegt.
Es ist deshalb grundlegend unzutreffend, die Homöopathie als etwas darzustellen, von der wir lediglich (noch) nicht beweisen können, wie sie wirkt. Wir können über unser physikalisches Grundlagenwissen erklären, warum sie nicht besser wirkt als ein Placebo. Wir können aus der Studienlage sehen, dass die Messung mit dieser theoretischen Vorhersage übereinstimmt, denn Placebo-Überlegenheit konnte nicht eindeutig belegt werden – trotz eines enormen Aufwandes. Und wir können innere Widersprüche im Gedankengebäude der Homöopathie benennen. Eine Ausgangslage also, die die Homöopathie mit der Astrologie oder der Alchemie gemeinsam hat.
Indem Wissenschaft immer wieder die Frage stellt „Woran würden wir merken, dass diese Aussage falsch ist?“, findet sie wie keine zweite Methode durch immer schärfere Tests Fehler auch in dem, was wir bereits sicher glaubten. Wissenschaftliche Aussagen aber deshalb zu ignorieren und als den aktuellen Stand des Irrtums abzutun, das wird ihr auch nicht gerecht. Bei all unseren Entscheidungen können wir immer nur nach bestem Wissen handeln und niemals nach dem Wissensstand der Zukunft, denn dieser steht niemandem zur Verfügung – den Homöopathen eben auch nicht.
Spekulation kann keine Basis für die Behandlung kranker Menschen sein
Ein Patient hat das Recht darauf, dass sein Arzt ihm das Verfahren empfiehlt, das dem Patienten die größtmöglichen Chancen liefert, wieder gesund zu werden. Der Entscheidung, welches dieses Verfahren ist, sollte der Arzt vernünftige Gründe, also rationale, überprüfbare, nachvollziehbare Argumente zugrunde legen. Für einen Patienten sollte doch zumindest erkennbar sein, wann sein Arzt ein Verfahren aufgrund einer rein emotionalen Haltung wählt, aus einem spekulativen Glauben heraus oder in der Annahme, er allein wüsste besser als die Naturwissenschaftler bereits heute, in welche Richtung sich die naturwissenschaftliche Erkenntnis entwickeln wird. Dies fordert Ehrlichkeit und Redlichkeit den PatientInnen gegenüber ebenso wie die ärztliche Ethik.
Man bedenke: Nicht nur muss jemand, der Homöopathika zubilligt, mehr als ein Placebo zu sein, postulieren und vertreten, dass unsere tagtäglich angewendeten physikalischen Grundlagen komplett falsch oder grob unzulänglich sind (ohne dass wir es im Alltag bemerken würden), Nein, dieser Jemand muss auch noch postulieren und vertreten, zu wissen, in welche Richtung sich unsere naturwissenschaftliche Erkenntnis zukünftig entwickeln wird. Freilich ohne, dass irgendwelche Beobachtungsdaten für diese Entwicklung vorliegen.
Und falls Sie nun als nächstes an Galileo denken – Galileo hatte Belege. Der Widerstand gegen ihn entstand nicht, weil er sich in Spekulationen erging. Seine Erkenntnisse waren richtig – nur eben unangenehm. Sie passten damals niemandem, und so scheint es heute auch mit der Beleglage gegen die Homöopathie zu sein. Ein Standpunkt, der mir erheblich dogmatischer scheint als der, einfach die vorhandene Faktenlage anzuerkennen. Nicht die Homöopathen, die sich gern in der Rolle eines Galileo gefallen, können sich auf ihn berufen. Im Gegenteil.
Natalie Grams In Zusammenarbeit mit der Physikerin Ute Parsch
Mehr zur Faktenlage der Homöopathie erfahren Sie auch hier www.homöopedia.eu
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