Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

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Evidenzkriterien und Schwalben – Nachschlag zur Akupunktur

Kürzlich hatte ich hier aus gegebenem Anlass dargelegt, dass die Beurteilung der Evidenzlage (nicht nur) für Akupunktur sich aus der Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnisse ergibt und nicht aus Cherrypicking und / oder irgendwelchen Einzelarbeiten. Auf Twitter hat sich zum Beitrag eine Diskussion entsponnen, die leider einmal mehr zutage gefördert hat, dass man teils einfach vor Wände zu reden scheint.

Mit größter Überzeugung wurde hier anhand eines einzelnen Reviews dargelegt, dass die Kritik an der Akupunktur nun doch wirklich gänzlich verfehlt, von gestern und sowieso nur von Voreingenommenheit geprägt sei. Präsentiert wurde dazu die Publikation Zhang XC et al. Acupuncture therapy for fibromyalgia: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Pain Res. 2019 Jan 30;12:527-542. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30787631/)

In dieser Diskussion auf Twitter versammelte sich nun mit der Gewissheit einer durchschlagenden und unwiderlegbaren Position genau das, dem ich eigentlich entgegenwirken wollte: Evidenz wird an einer einzelnen Arbeit festgemacht – und in großer Selbstüberzeugung gleich der Vorwurf der Voreingenommenheit erhoben. Werfen wir einmal einen kritischen Blick auf diese Publikation:

  • Diese Arbeit kommt zu einem höchst euphemistischen Ergebnis (Acupuncture therapy is an effective and safe treatment for patients with FM, and this treatment can be recommended for the management of FM.) Oha! Dies sollte nun aber außergewöhnlich gut belastbar sein.
  • Es handelt sich um ein Review in Form einer Literaturrecherche, die zum Thema zwölf RCTs (randomisierte verblindete Studien) herangezogen hat. Angesichts der tausenden von Studien (natürlich nicht nur zur Fibromyalgie, aber diese Indikation ist eine sehr bevorzugte für Akupunktur-Untersuchungen) scheint dies nicht sehr viel.
  • Die Studie stammt von chinesischen Forschern. Nicht nur mir fällt längst auf, dass Arbeiten von dort zum Thema Traditionelle Chinesische Medizin ausnahmslos positiv bis euphorisch ausfallen. Edzard Ernst hat dazu bereits mehrfach Stellung genommen, unter anderem hier. (Die Hintergründe dieses Phänomens wären auch mal einen eigenen Artikel wert.) Die Reputation dieser Arbeiten stärkt das nicht. Es ist kein Vorurteil, hier höchst zurückhaltend bei der Bewertung zu sein.
  • Soweit aus dem Abstract entnehmbar – es steht ausdrücklich so drin – ging es durchweg um den Vergleich von klassischer und Sham-Akupunktur. Seufz. David Gorski und Steven Novella haben schon anlässlich etlicher Arbeiten dargelegt, dass bei so etwas nur zwei Placebos miteinander verglichen werden und deshalb alles, was dort herauskommen mag, egal wie statistisch signifikant es aussieht, niemals ein Beleg für eine Spezifität der Akupunktur ist (“essentially a competition between two placebos” – hier nur ein Beispiel).
  • Durchweg sind Studien mit sehr geringen Teilnehmerzahlen ins Review aufgenommen worden (davon ablenken soll wohl die Angabe, man habe „Studien mit mehr als 10 Teilnehmern“ inkludiert, so kann man das auch ausdrücken). Der small study bias, der ein großes Risiko großer Überzeichnungen von Effekten mit sich bringt, dürfte hier einzurechnen sein, ebenso wie der im Falle der Akupunktur so offensichtliche publication bias, die Nichtveröffentlichung negativer Ergebnisse.
  • Es werden zudem Methoden (manuelle klassische Akupunktur / Elektroakupunktur) miteinander vergleichen, bei denen sehr fraglich ist, ob es sich überhaupt um Vergleichbares handelt.

Dies nur auf einen flüchtigen Blick. Man darf unserem Twitter-Freund sicher attestieren, sich aktiv für die Problematik zu interessieren, er tappt aber in die immergleiche Falle, die uns aus der Homöopathie auch so bekannt ist: Evidenz in einzelnen Arbeiten (zu denen auch kleinere und insbesondere indikationsbezogene Reviews mit sehr selektiver Studienauswahl zu zählen sind) zu suchen, sich keinen Überblick über die Gesamtstudienlage zu verschaffen, auch, die Grundplausibilität nicht zu hinterfragen.

Ich nehme wahrlich nicht in Anspruch, die Weisheit mit Löffeln aufgenommen zu haben. Aber mir ist jedenfalls klar, was bei der Suche nach Evidenz zu vermeiden ist. Bei der Homöopathie ist es nicht anders. Zugegeben – die Homöopathie darf man sicher als “die absurdeste von allen alternativen Methoden der Medizin” bezeichnen (so geschehen auf dem EU-Wissenschaftskongress 2018 in Toulouse) – das liegt für den kritischen Betrachter sozusagen auf der Hand. So “einfach” ist es bei der Akupunktur nicht, da sie nicht mit offenkundigem “Nichts” arbeitet. Es geschieht “etwas”, das nicht ohne Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Patienten und Therapeuten bleiben kann. Hier herauszuarbeiten, ob und wie man eine Spezifität der Methode gegenüber Placebo- und Suggestionseffekten belegen könnte, ist nicht trivial. Was auch erklärt, weshalb in der Anfangszeit des neueren Akupunktur-Hypes jede Menge scheinbar positiver Ergebnisse auftraten: Weil man sich um die Frage der Spezifität ebenso wenig scherte wie um die historischen Hintergründe und die Plausibilität. Heute sind wir aber sehr viel weiter, auch hierzu verweise ich auf den früheren Akupunktur-Artikel. Dass dem von interessierter Seite – und die ist bei der Akupunktur nicht gerade ein kleines Häuflein – entgegengearbeitet wird, ist sozusagen evident. Was die Skepsis weiter erhöht.

Dem Nichtspezialisten, ob Mediziner oder nicht, bleibt dabei die ebenso schlichte wie wirkungsvolle Frage: Wo ist der Beweis? Diese zu stellen habe ich auch in Zukunft vor und empfehle auch dem geneigten Leser, vor allem nicht der Schwalbe zu vertrauen, die ganz sicher mitten im Winter keinen Sommer machen wird (man verzeihe mir diese Metapher zu dem “Beweisversuch” mit der chinesischen Studie). Ich bin doch kein Alleswisser, wahrlich nicht, ebensowenig gefeit gegen Wahrnehmungsfehler und Vorurteile. Aber ich versuche, nicht dem schnellen, unkritischen, auf Bestätigung hinauslaufenden Denken (Kahneman) zu erliegen. Und irgendwie mag ich nicht damit aufhören, auch wenn es manchmal nur von sehr beschränktem Erfolg gekrönt zu sein scheint. Denn irgendwie macht es manchmal trotzdem Spaß…


Bildnachweis: Eigenes Bild

“Akupunktur ist mehr als Placebo” – Quark bei Quarks

Gestern – am 21.02.19 – veröffentlichte das WDR-Wissenschaftsmagazin “Quarks” einen Videobeitrag und den zugehörigen Text unter dem Titel “Akupunktur ist mehr als Placebo”. Wohlgemerkt, das mit einem wissenschaftlichen Anspruch antretende TV-Magazin “Quarks” tat das, nicht das Zentrum der Gesundheit oder der Zentralverein der deutschen Pseudomediziner.

Nein, Akupunktur ist NICHT mehr als Placebo (worunter ich in diesem Falle mal “unpräzise” die Gesamtheit der non-specific-Effects, aller Kontexteffekte, einschließlich der hier relevanten Suggestiveffekte verstehe), darüber besteht in der seriös-kritischen wissenschaftlichen Gemeinde kein Dissens. Was Quarks in der Diskussion auf Facebook für eine Haltung gegenüber einer Vielzahl fundierter und belegter Einwände demonstrierte, das hat mich mehr verstört als der Beitrag selbst.

Akupunktur ist eine typische “Gemengelage”. Hier kommen viele Aspekte zusammen: Falsche historische Bezüge, soziokulturelle Gegebenheiten, New-Age-Gedankengut, die üblichen Euphemismen von der “sanften” Medizin und pures Nichtwissen. Das Aufstreben der Akupunktur seit den 1970er Jahren ist geprägt von dieser Gemengelage (auf die frühe Rezeption im Westen schon seit dem 17. Jahrhundert gehe ich in diesem Zusammenhang nicht weiter ein). Die bis heute anhaltende Akupunktur-Welle wurde ausgelöst vom Bericht des Journalisten James Reston, der den damaligen US-Präsidenten Richard Nixon auf seiner China-Reise begleitete und der dort nachoperativ (nach einer Blinddarmentfernung) mit Akupunktur behandelt wurde. Davon war er so angetan, dass er dies als eine Art Wunder in etlichen Artikeln berichtete. Dies traf auf die New-Age-Stimmung der damaligen Zeit und löste einen Hype aus, der erst zu einem Pilgerzug nach China führte, dann auch die Hürde zur ernsthaften medizinischen Forschung überschritt und – erwartbar – zunächst scheinbar belastbare Evidenz pro Akupunktur zutage förderte. Genau die unsägliche Vermischung von Spekulation mit unkritisch angewandter evidenzbasierter Methodik, die mir schon länger suspekt ist, auch auf anderen Gebieten.

In der Tat. Wie auch bei anderen pseudomedizinischen Methoden ohne Grundplausibilität zeigt sich hier, wie sehr die evidenzbasierte Methode (die Schaffung belastbarer Evidenz durch Studien) ein Einfallstor für ihr glattes Gegenteil sein kann: für die Scheinlegitimation von Pseudomedizin. Quarks gab mit seinem Beitrag und vor allem mit der unsäglichen Diskussion auf seiner Facebook-Seite hierfür ein bedauerliches Beispiel.

Was meine ich damit? Nun, mehr oder weniger wird durch die wissenschaftliche Untersuchung nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin von vornherein eine Legitimation dessen suggeriert, was sich die Wissenschaft da “vornimmt”. Wenn wissenschaftliche Studien durchgeführt werden, dann muss doch was dran sein, denkt sich Otto Normalpatient. Das wäre nun noch nicht so gravierend. Aber es kommt noch mehr dazu:

Belastbare Outcomes (Ergebnisse) von Studien sind nur bei höchster Qualität von Studiendurchführung und -design zu erwarten. Es ist bekannt, dass selbst auf den ersten Blick nicht erkennbare Unzulänglichkeiten in Studien (z.B. mangelnde Verblindung, Bildung von Gruppen, die für eine Vergleichbarkeit ungeeignet sind) den Outcome nahezu ins Gegenteil verzerren können. Und dies geschieht. Besonders bei Studien zu pseudomedizinischen Methoden, die meist einen confirmation bias schon deshalb haben (vom publication bias wollen wir gar nicht reden), weil sie im Grunde nicht ergebnisoffen, sondern als eine Art Bestätigungsforschung durchgeführt werden. Und diese vielfach nicht belastbaren Outcomes einzelner Studien oder auch von schlecht durchgeführten Reviews dienen den Proponenten pseudomedizinischer Methoden als wohlfeile Argumentationsgrundlagen, um ihren Methoden den Anstrich des Evidenzbasierten zu geben. Was der normale Rezipient schlicht nicht nachprüfen kann.

Dies ist ein weites Feld und soll hier auch nur angerissen werden. Und zwar deshalb, weil Quarks uns genau hierfür ein Musterbeispiel geliefert hat.


Trotzdem zur Verdeutlichung dessen, was ich meine, eine kleine Geschichte (eher Parabel) – sie stammt von einem der Urväter des kritisch-skeptischen Denkens, von Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657 – 1757) und ist sehr illustrativ:

Im Jahr 1593 lief das Gerücht um, dass einem siebenjährigen Jungen in Silesia ein goldener Backenzahn an der Stelle eines ausgefallenen Milchzahns gewachsen war. Horatius, Medizinprofessor an der Universität von Helmstadt, schrieb 1595 eine “Historia” über diesen Zahn und führte darin aus, dass es sich teils um ein natürliches, teils um ein mirakulöses Ereignis gehandelt habe, das offenbar von Gott zu diesem Kind geschickt worden sei, um die Christenheit angesichts der Bedrohung durch die Türken zu einigen. Man möge sich vorstellen, was für einen Trost für die Christenheit einerseits und welche Beängstigung für die Türken andererseits dieser Vorgang mit sich bringen mochte. Um in der Sache des Zahnes die historische Wissenschaft nicht zurückstehen zu lassen, schrieb Rollandus sein großes Geschichtswerk noch im gleichen Jahr um.
Zwei Jahre danach nahm Ingolsteterus, ein ebenfalls gelehrter Mann, scharf Stellung gegen die Ausführungen von Rollandus zum goldenen Zahn, worauf Rollandus wiederum eine wohlformulierte und scharfsinnige Replik verfasste. Ein weiterer Gelehrter, Libavius, kompilierte das bis dahin Geschriebene in dieser Sache und fügte seine eigene Sicht der Dinge hinzu. Nichts war an all diesen großartigen Büchern zu bemängeln, abgesehen davon, dass bislang nicht geklärt war, ob der Zahn tatsächlich aus Gold bestand. Als ein Goldschmied die Sache untersuchte, fand er heraus, dass es sich nur um eine dünne Goldfolie handelte, die kunstvoll auf dem Zahn angebracht worden war.
Fazit: Sie fingen alle an, gelehrte Bücher zu schreiben, konsultierten aber erst danach den Goldschmied…

(nach Fontenelle: Entreriens sur la Pluralité des Mondes suivi de Historie des Oracles)

Ich finde, das illustriert sehr gut, wie schnell die Schranke zur “Verwissenschaftlichung” unplausiblen und / oder unbelegten Unsinns überschritten werden kann. Kluger Mann, dieser Fontenelle.


Die Einzelstudien zur Akupunktur sind kaum überschaubar, selbst an Reviews gibt es eine Menge. Trotzdem wissen wir seit geraumer Zeit (man kann sagen, seit Ende der 1990er Jahre), dass sich ein klares Muster bei den Studien abzeichnet, vor allem, seitdem sie kritisch betrachtet, nach Qualität selektiert und ihre Ergebnisse in der Community diskutiert und geradegerückt werden. Gerade bei Akupunkturstudien gibt es geradezu einen Katalog von typischen Design- und Durchführungsfehlern, die in leichten Abwandlungen immer wieder auftauchen. Ich werde irgendwann noch einmal näher darauf eingehen. Es ist aber festzuhalten, dass “Cherrypicking” im Meer der Akupunkturstudien eine leichte Übung ist – anders als das Herausarbeiten der tatsächlichen Evidenzlage. Letzteres ist aber auch keineswegs unmöglich, sondern setzt nur eine gewisse Recherchefähigkeit und kritisches Herangehen an die Sache voraus.

Man muss also, um eine gültige Aussage zum wissenschaftlichen Stand der Akupunktur treffen zu können, das “Muster” erkennen können, das sich aus einer kritischen Gesamtbetrachtung der gesamten Studienlage zur Akupunktur ergibt. Und dieses Muster ist vorhanden und inzwischen ziemlich klar: Nirgends ergeben sich relevante Unterschiede zwischen Akupunktur und Scheinakupunktur (auch nicht beim Pieksen mit einem Zahnstocher …). Eine reaktive Variable ist offenbar vor allem, wenn nicht allein, der Grad der Zuwendung des Therapeuten im Setting. Woraus folgt: Wenig bis nichts spricht für eine spezifische Wirkung. Akupunktur ist Placebo. Ein Placebo besonderer Art, sicher, mit einem hohen Suggestivfaktor, zutreffend “Theatrical Placebo” genannt, in dem gleichnamigen Artikel von Steven Novella und David Calquhoun in ihrem Aufsatz in “Anaesthesia and Analgesia” von 2013.

Eine spezifische, auf die Methode selbst (intrinsisch) zurückzuführende Wirkung hat Akupunktur nicht. Ihre Grundannahmen von “Qi” und “Meridianen” bestehen aus dem schon erwähnten Wust von soziokulturellen Missverständnissen, Bedingtheiten und Wunschvorstellungen. Nicht einmal den Wunsch nach “östlicher Weisheit” erfüllt all dies. Es ist längst – anthropologisch und medizinhistorisch – belegt, dass diese vitalistischen Vorstellungen sehr eng mit solchen der nahöstlichen und früheuropäischen Kulturen korrelieren und die “östliche Weisheit” darin eine Illusion ist, die von heutigem Wunschdenken beflügelt wird.


Auf diese Umstände hingewiesen und auf die Forschung von Ted Kaptchuk, der nach langjähriger Beschäftigung mit TCM und Akupunktur zu dem Schluss kam, dies alles könne nur Placebo sein, antwortete Quarks allen Ernstes mit einer Handvoll Einzelnachweise, die nun wirklich mit einer wissenschaftlichen Gesamtschau auf die Akupunktur nichts zu tun haben, ja, teils nicht einmal die behaupteten Schlüsse überhaupt zuließen. Eine dieser “Quellen” war zudem ein tendenzieller Besinnungsaufsatz in einem Akupunktur-Journal – was für ein Evidenzbeleg…

Keinen Millimeter ist Quarks in der langen Diskussion von seiner Grundposition abgewichen, Akupunktur sei “mehr als Placebo” – mit anderen Worten, verfüge über nachgewiesene Evidenz. Ich möchte das gar nicht weiter bewerten, weil mir nahezu die Worte dafür fehlen. Verhehlt sei aber nicht, dass mich ein Umstand bei alledem besonders aufgebracht hat: Dass die Quarks-Redaktion Kommentatoren mit berechtigten Einwänden aufgefordert hat, “Belege” beizubringen, damit man “evidenzbasiert weiterreden” könne. Angesichts der eigenen unbelegten Position schon ein starkes Stück.

Und das geht so nicht. Und die atemberaubende “Verteidigung” dieser Position in der Online-Debatte war nichts weniger als ein echtes Ärgernis. Wäre es nicht so, säße ich jetzt hier nicht und würde diesen Beitrag schreiben.


Mein Tipp an alle, die mit Pseudoevidenz zur Akupunktur behelligt oder gar aufgefordert werden, “Gegenbeweise” anzutreten: Bitte nicht auf der Grundlage einzelner Studien so etwas versuchen und umgekehrt auch Beweisversuche auf diesem Level zurückweisen. Immer konsequent auf die Gesamtlage verweisen, unter diesem Beitrag einige wichtige Linktipps zu Beiträgen und Aufsätzen, die sich genau mit dieser Gesamtlage befassen.

Leider ist praktisch nichts Wesentliches in deutscher Sprache verfügbar. Man kann aber sehr gut darauf hinweisen, dass die GERAC-Studien (German Acupuncture Trial) aus den Jahren 2002 bis 2007 eben NICHT zu einer breiten Legitimation der Akupunktur im deutschen Gesundheitswesen geführt haben. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat, ohne die Akupunktur als Methode mit spezifischem Wirkungsnachweis damit anzuerkennen, rein pragmatisch für Knie- und Rückenschmerzen (ausdrücklich NICHT für Kopfschmerzen und Migräne) eine Kassenerstattung zugelassen, weil der damalige Stand der Schmerztherapie nicht ausreichte, um die Kontexteffekte der Akupunktur (die es fraglos gibt) auf die Plätze zu verweisen. Nicht mehr – nicht weniger. Diesem Beschluss lag eine Unmenge wissenschaftlichen Materials und auch eine Reihe gutachtlicher Stellungnahmen zur Akupunktur zugrunde.

Und dieser Beschluss ist nach meiner bescheidenen Ansicht inzwischen auch revisionsbedürftig. Die NICE-Guideline für Muskel-Skelett- Beschwerden des National Health System (NHS), weltweit als maßstabsetzend anerkannt, hat Akupunktur aus ihren Therapieempfehlungen in der Neufassung 2018 verbannt (übrigens auch einige medikamentöse Therapien). Der ärztliche Direktor von NICE sagte dazu:


“Regrettably there is a lack of convincing evidence of effectiveness for some widely used treatments. For example acupuncture is no longer recommended for managing low back pain with or without sciatica. This is because there is not enough evidence to show that it is more effective than sham treatment.”


Links:

Acupuncture is Theatrical Placebo” – der Schlüsselartikel von Colquhoun / Novella (2013) zur wissenschaftlichen Gesamtschau auf die Akupunktur – Link

Is Acupuncture Winning” – ein aktueller Artikel (Januar 2019) von Dr. Harriet Hall, weltweit bekannt als “The SkepDoc”, über ihre persönliche “Laufbahn” in Sachen Akupunktur – Dr. Hall war Mitarbeiterin von Prof. Bonica, der als einer der ersten begann, dem von J. Reston losgetretenen Hype nach anfänglicher eigener Begeisterung auf den Grund zu gehen – Link

Moffet HH: Traditional acupuncture theories yield null outcomea systematic review of clinical trials. Diese Arbeit legte als erstes übergreifendes Review dar, dass bei kritischer Betrachtung die bisherige Bewertung der Studienlage viel zu optimistisch war und letztlich über Placebo hinaus keine Wirkung nachweisbar ist. Moffets Forschung stellte die Gegenposition zum “Consensus Statement Acupuncture” des National Health Institute aus dem gleichen Jahr dar, das sich vorsichtig, aber immerhin zu “vielversprechenden Resultaten bei einer Vielzahl von Indikationen” geäußert hatte – Link

Zusammenstellung sämtlicher Cochrane-Reviews zur Akupunktur nach dem Stand von März 2018 – Link

Acupuncture for migraine” – eine Kritik zur Li-Migräne-Studie von 2013 aus evidenzbasierter Sicht, als (noch recht harmloses) Beispiel für typische Fehlschlüsse in Akupunktur-Studien – Link

Chinese Medicine: Nature Versus Chemistry and Technology” – von Paul Unschuld, dem Experten schlechthin für die Einordnung der Mythen über die “Traditionelle chinesische Medizin” – als Kurzbeitrag zu der oben angesprochenen “soziokulturellen Gemengelage” – Link

Mit chinesischer Tradition hat das wenig zu tun” – Interview mit Paul Unschuld im SPIEGEL – Link

Ernst E: The recent history of acupuncture. AmJMed 2008 – Link
Das Fazit sei hier kurz zitiert:
“So, after 3 decades of intensive research, is the end of acupuncture nigh? Given its many supporters, acupuncture is bound to survive the current wave of negative evidence, as it has survived previous threats. What has changed, however, is that, for the first time in its long history, acupuncture has been submitted to rigorous science—and conclusively failed the test.”

Unverzichtbar dieser erhellende Blick von Lehmann “Akupunktur im Westen: Am Anfang stand ein Scharlatan” im Ärzteblatt, auch international nachgedruckt, auf das Thema der “Adaption” von “altem fernöstlichen Wissen” im Europa des 20. Jahrhunderts – Link

G-BA: Pressemitteilung “Akupunktur zur Behandlung von Rücken- und Knieschmerzen” – Link

Das soll an dieser Stelle genügen. Ist eh wieder zu lang geworden. Bitte um Entschuldigung. Nur noch eins: Bei “Susannchen braucht keine Globuli”, der Familienseite des Informationsnetzwerks Homöopathie, gibt es einen sehr schönen Überblicksartikel zur Akupunktur in zwei Teilen – Link.


Bildnachweis: Pixabay License


Nachtrag, Mai 2022

Nicht nur aus Gründen der Fairness, sondern in ausdrücklicher Anerkennung einer glänzenden Rehabilitation von „Quarks“ ist ein empfehlender Hinweis auf den Podcast der „Science Cops“ vom 22. Mai 2022 zum Thema Akupunktur hier sehr angebracht:
https://www.quarks.de/podcast/science-cops-die-akte-akupunktur-nichts-als-nutzlose-nadeln/

Paradigmenwechsel – so, so.

Heute mache ich es mal kurz.

Auf dem Holzweg

Verehrte Kontrahenten von der homöopathischen Fraktion und Befürworter wissenschaftlicher Revolutionen. Euch scheint bei der Forderung nach einem “Paradigmenwechsel” in der Medizin (natürlich in Richtung einer Öffnung für Beliebigkeit), gar einer wissenschaftlichen Revolution in eurem Sinne, etwas entgangen zu sein.

Es wäre hilfreich, die Realität wahrzunehmen. Wir erleben doch einen großen Paradigmenwechsel in der Medizin, einen grundlegenden, der seit längerem anhält und noch nicht abgeschlossen ist und der durchaus als Revolution im Sinne Thomas S. Kuhns angesehen werden kann:

Nämlich den Paradigmenwechsel von der Medizin als überwiegende Erfahrungswissenschaft hin zu einer kritisch-rationalen Prüfungen standhaltenden (falsifizierbaren) Grundmethodik und deren Integration in ein neues Medizinkonzept. Das realisiert sich in der Evidenzbasierten Medizin, die die Synthese zwischen einem richtig verstandenen Primat wissenschaftlicher Fundierung, ärztlicher Kunst und den Belangen und Vorstellungen des Patienten im konkreten Behandlungsfall anstrebt – ganzheitlich im besten Sinne.

1978 bereits markierte der Gesetzgeber im Arzneimittelrecht diesen Paradigmenwechsel und unterstellte Zulassung und Marktzugang von Pharmazeutika dem Wirksamkeits- und Unschädlichkeitsnachweis nach strengen wissenschaftlichen Kriterien. Nur aufgrund massiver Lobbyarbeit blieb damals – unsinnigerweise – Homöopathie davon ausgenommen. Das war schon seinerzeit angesichts der Intention der Neuordnung des Arzneimittelrechts ein absurder Systembruch, geschuldet den damals offenbar noch vermittelbaren (gleichwohl überholten) “idealistischen” Wissenschaftskonzepten.

Heute nun wieder auf den Zustand vor diesem Zeitpunkt zu rekurrieren und dies als Forderung nach einem allfälligen “Paradigmenwechsel” ausgeben zu wollen, ist nachgerade grotesk. Das wäre nämlich kein Paradigmenwechsel, keine “Revolution”, sondern nur eine “Restauration” im schlechtesten Sinne, vergleichbar mit der Restauration gesellschaftlich-politischer Verhältnisse, die in der Folge des Wiener Kongresses Anfang des 19. Jahrhunderts Jahrzehnte der Erstarrung einleitete.

Die Zeit – in unserem Universum jedenfalls – läuft vorwärts. Und das ist ersichtlich gut so.


Bild von Ulrich Dregler auf Pixabay

Deklaration *) Homöopathie” – wirklich eine Gegenposition?

Eine Reihe von Personen, größtenteils mit akademischer Reputation, zusammen mit verschiedenen Institutionen, verbunden durch vitales Interesse an der Homöopathie, haben unter der Federführung von Prof. P.F. Matthiessen eine “Deklaration Homöopathie 2019” veröffentlicht (erschienen zuerst in der “Zeitschrift für Onkologie” dort noch als “Stellungnahme”, nun auch, betitelt als “Deklaration”, auf der Webseite des Zentralvereins homöopathischer Ärzte).

Kurz gesagt, beinhaltet dieses Papier, das seltsamerweise trotz seiner deutlich offensiven Grundhaltung von der “Ärztezeitung” als “Beitrag zur Deeskalation” (der Debatte um Homöopathie) gedeutet wird, drei Aspekte:

  • Erstens die Behauptung, die Homöopathie sei evidenzbasiert belegt,
  • zweitens den Versuch, eine Erweiterung oder gar Änderung (“Paradigmenwechsel”) des gültigen Wissenschaftsbegriffs (der kritisch-rationalen Methode) unter der Flagge eines “Wissenschaftspluralismus” einzufordern und
  • drittens, dabei auf den Wissenschaftsfreiheitsbegriff des Grundgesetzes zu rekurrieren und eine angebliche “Verengung” des Wissenschaftsbegriffs auf das, was die Epistemologie als “gültige Erkenntnis” beschreibt (nämlich die Übereinstimmung mit den Tatsachen, die Korrespondenztheorie) zum politischen, ja gesellschaftlichen Skandalon zu erklären und daraus den Vorwurf gegen die Kritiker der Homöopathie abzuleiten, diese seien auf dem Wege zu freiheitsbeschränkenden, ja totalitäten Zielen. Deeskalation?

Nicht zum ersten Male werden derartige Gedankenkonstruktionen an die Öffentlichkeit getragen. Auf diesem Blog ist eine solche vor fast genau einem Jahr erschienene Veröffentlichung schon Gegenstand deutlicher Gegenkritik gewesen, siehe hier. Die Thesen zum umdefinierten Wissenschaftsbegriff, um den “Paradigmenwechsel” gar unter Berufung auf Thomas S. Kuhn, wurden noch früher schon im Zusammenhang mit dem großen Interview mit Dr. Jens Behnke auf heilpraxisnet.de erörtert, siehe hier.

Nichts Neues im Westen, möchte man sagen. Aber die Attacken und die Schärfe in der aktuellen „Deklaration“ befremden inzwischen nicht weniger als die damit offenbar verfolgte Absicht, der Homöopathiekritik eine massive Gegenoffensive entgegen zu setzen. Natürlich mit der Absicht, hier einen Öffentlichkeits- und Autoritätsbonus einfahren zu können.

Das Informationsnetzwerk Homöopathie, dem ich mich – kein Geheimnis – zurechnen darf, hat hierzu eine Stellungnahme veröffentlicht, die sich auf den Kern der Sache beschränkt und die ich hier im Wortlaut wiedergebe:

„Eine Deklaration, eine Deklaration!“ (frei nach Loriot)

Eine Deklaration ist üblicherweise ein wichtiges Stück Papier in dem die Verfasser grundlegende Dinge festhalten. Man denke an die Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen oder an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung („Declaration of Independence“). So viel vorweg: Für die im Februar 2019 vom Vorsitzenden des Sprecherkreises des Dialogforums veröffentlichte Homöopathie-Deklaration [1] wirkt dieser Titel etwas anmaßend.

Da haben sich eine Reihe namhafter Personen, bisweilen mit klingendem akademischem Titel, sowie eine Reihe von Verbänden zusammengetan, um ihre Pfründe zu verteidigen, derer sie verlustig gehen könnten, wenn sich die Sichtweise der Homöopathiekritiker in der Politik und in der Öffentlichkeit weiter durchsetzen würde. Insofern ist diese Reaktion verständlich.

Man kann seinen Kritikern sicher Ignoranz oder bewusste Stimmungsmache vorwerfen und ihnen fehlende Seriosität unterstellen indem sie eine angebliche reale Datenlage unterdrücken. Nur sollte man dies dann auch untermauern können, sonst wirkt so etwas eher wie das Pfeifen im nächtlichen Wald, eher darauf abzielend, sich selbst und seinen Anhängern Mut zu machen anstatt den Leser von der Stichhaltigkeit der Argumentation zu überzeugen.

Eigentlich, wenn die Homöopathie eine über Placebo hinaus wirksame Therapie wäre, der konventionellen Medizin ebenbürtig oder gar überlegen, könnte Matthiessen doch sehr einfach argumentieren: Seht her, hier ist die unzweideutige Evidenz, dass die Homöopathie unter diesen oder jenen Bedingungen bei dieser oder jener Indikation einen unbezweifelbaren Nutzen aufweist. Darauf kann er nicht verweisen, weil solche Belege nicht existieren. Stattdessen muss er sich darauf verlegen, Schwachstellen in der Argumentation der Kritiker zu suchen, was ihm sichtlich schwerfällt.

Eine akribische Analyse der publizierten Evidenz lieferte in den nunmehr 10 vorliegenden systematischen Reviews eben nicht, dass die therapeutische Wirksamkeit durch qualitativ hochwertige Studien wohlbegründet sei, auch wenn der Autor dies wie viele seiner Kollegen immer wieder beschwört. Selbst der Homöopathie nahestehende Forscher wie Robert T. Mathie vom englischen Homeopathy Research Institute fanden von den bislang 118 untersuchten klinischen Studien ganze zwei, die als „low risk of bias“, also als hochwertig eingestuft werden konnten [2 bis 4]. Die von den Autoren der vorliegenden Reviews selbst gelieferten zusammenfassenden Schlussfolgerungen sprechen deutlich gegen alle Versuche, die Tatsache des Scheiterns von Evidenznachweisen pro Homöopathie abzuleugnen oder schönzureden.

Auch eine gebetsmühlenartige Wiederholung immer der gleichen Argumente macht sie nicht wahrer:

  • Nein, die Einführung der Komplementärmedizin in den Leistungskatalog der Schweizer Gesundheitsversorgung erfolgte eben nicht aufgrund einer gründlichen Evaluation, sondern aufgrund eines Volksentscheids, wobei ausdrücklich betont wird, dass der Nutzen besonders der Homöopathie nicht nachgewiesen werden könne [5].
  • Hahn hat völlig Recht, man muss 90 % der Studien ausschließen, um zum wahren Sachverhalt vorzudringen, nämlich die Studien, die infolge unzureichender Qualität wahrscheinlich einen Effekt überzeichnen. Das sind, siehe Mathie, sogar weit über 90 % der Studien [6].
  • Wenn man schon auf der oftmals zitierten Behauptung herumreitet, bei der großen NHMRC-Studie seien alle Studien unter 150 Teilnehmern nicht berücksichtigt worden, müsste es doch ein Leichtes sein, eine Indikation aufzuzeigen, bei der sich ein anderes Ergebnis gezeigt hätte, wenn man anders vorgegangen wäre [7]. Dies wird aber sicher nicht geschehen, denn auch Mathie, dem niemand ein Fehlverhalten vorwirft, kommt in seinen Reviews im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis: Berücksichtigt man die miserable Qualität der Studien – zu einem Drittel sind das sogar nur Pilotstudien – dann ist die Evidenz für die Homöopathie nicht belastbar.

Nun, stattdessen kann man sich auf die Freiheit von Forschung und Wissenschaft im Grundgesetz berufen, man kann eine „vollorchestrierte Gesundheitsversorgung“ fordern – was immer das auch sein soll. Und nein, es kann nicht angehen, den international anerkannten Wissenschaftsbegriff, beruhend auf der kritisch-rationalen Methode, mit der Einführung eines „Wissenschaftspluralismus“ für Beliebigkeiten zu öffnen. Welchen Nutzen das Gesundheitssystem daraus ziehen soll, dass unwirksame Therapien integriert werden, das bleibt wohl das Geheimnis der Autoren dieses Papiers, das wohl deshalb „Deklaration“ heißt, um über den dürftigen Inhalt hinwegzutäuschen.


Literatur:

[1] Matthiessen PF.: Homöopathie-Deklaration: Professoren und Ärztegesellschaften unterstreichen die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie – und kritisieren einseitige Darstellungen; Erstveröffentlichung Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018;50:172-177; Link: https://www.homoeopathie-online.info/homoeopathie-deklaration-2019/, abgerufen 11.02.2019

[2]  Mathie RT, Lloyd SM, Legg LA et al.: ”Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis”, Systematic Reviews 2014;3:142

[3]  Mathie RT, Ramparsad N, Legg LA et al.: ”Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis”, Systematic Reviews 2017;6:663

[4] Mathie RT, Ulbrich-Zürni S, Viksveen P et al.: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled Trials of Individualised Homeopathic Treatment; Homeopathy (2018) 107;229-243

[5] Hehli S: Die Schweiz ist ein Eldorado für deutsche Globuli-Fans; Neue Züricher Zeitung vom 23.05.2018

[6] Hahn RG: ”Homeopathy: Meta-Analyses of Pooled Clinical Data”,Forsch Komplementärmed(2013);20:376-381

[7]  National Health and Medical Research Council. 2015. ”NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions”, Canberra: NHMRC;2015


https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/standpunkte/303-homoeopathie-deklaration-2019-das-inh-nimmt-stellung

Soweit das INH. Mehr als nur einen Hinweis in diesem Zusammenhang verdient außerdem der Beitrag von Joseph Kuhn bei den Scienceblogs, der unter dem Titel “Jura in Kürze – Wissenschaftsfreiheit und Homöopathie: Methodisch evident Unvertretbares” konstatiert:

“Das Argument des Wissenschaftspluralismus ist in diesem Zusammenhang junk epistemology.”

Eine pointierte Positionsbestimmung zum Thema findet sich zudem bei DocCheck

Auch der Münsteraner Kreis hat auf die „Deklaration reagiert.


Auf Hintergründe und Historie des Begriffs “Wissenschaftspluralismus” werde ich wohl über kurz oder lang in einem besonderen Beitrag noch einmal eingehen müssen. Zudem bedarf es zweifellos auch noch einiger Ausführungen dazu, dass sich die Vertreter der CAM zunehmend bemüßigt fühlen, den Begriff der “Evidenz” in das System ihrer Behauptungen zu integrieren – dies scheint mir von besonderer Wichtigkeit.

Es sei nur die – zugegeben rhetorische – Frage gestellt, wie die von Matthiessen et al. gewünschte pluralistische Öffnung mit diesem Statement hier vereinbar sein soll – oder ob sie nicht geradezu dem ins Gesicht schlägt:

„Es wird übrigens für die Wissenschaften eine immer massivere Herausforderung, überzeugend die Grenze zu Nichtwissenschaft oder auch zu Pseudowissenschaft zu ziehen. Diese Frage gehört zu denjenigen, die mich am allermeisten interessieren.“ – Prof. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, im WELT-Interview am 16.03.2014.

Ein kleiner Ratschlag zum Schluss für die so aktive homöopathische Gemeinde:

“Do not try to explain something until you are sure there is something to be explained.”
Ray Hyman, Psychologieprofessor, Kognitionsforscher und erster Deuter des “cold reading”.


*) Eine Fußnote – na, sagen wir ein Erratum – bin ich noch schuldig.

Herr Professor Matthiessen macht in seiner Antwort auf die Stellungnahme des INH darauf aufmerksam, dass der Originalartikel in der Deutschen Zeitschrift für Onkologie nicht als “Deklaration”, sondern als eine “Stellungnahme” erschienen ist. Die Bezeichnung als “Deklaration” ist offenbar eine Ergänzung des DZVhÄ, der den Artikel über seine Vereinswebseite einem weiten Publikum zugänglich macht. Ich bitte daher – auch für das INH – um Nachsicht für die Benutzung einer offenbar nicht adäquaten Sekundärquelle, in diesem Falle der Webseite des Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Dass sich hierdurch sachinhaltlich nichts Anderes ergibt, ist selbstredend.

Ansonsten reduziert sich die Antwort von Prof. Matthiessen auf die wenig pluralistisch klingende Feststellung, dass uns Homöopathiekritikern die Fähigkeit oder auch nur der Wille zu einer sachlichen Betrachtung abgesprochen wird. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Prof. Matthiessen sieht das INH von einer Veröffentlichung ab

Irrungen, Wirrungen – Homöopathie-Apologeten auf epistomologischen Abwegen

    “Wissenschaftspluralismus” und “Wissenschaftsdogmatismus”

    Dass die Vertreter der Homöopathie-Lobby den Kritikern mit dem Vorwurf eines „Wissenschaftsdogmatismus“ begegnen und ihre Pro-Homöopathie-Positionen mit einem vorgeblichen Anspruch auf „Wissenschaftspluralismus“ legitimieren wollen, ist nicht neu. Wobei „Wissenschaftspluralismus“ nicht allein den Anspruch artikuliert, „mehrere Medizinen“ als „pluralistisch“ anzuerkennen, sondern darüber hinaus den, gleich „mehreren Wissenschaften“ eine gleichberechtigte Existenz zusprechen soll.

    Dieser „Wissenschaftspluralismus“ ist ein überholtes Konzept aus den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, das wissenschaftstheoretisch nie haltbar war und von kritisch-rationalen Konzepten wie der evidenzbasierten Medizin endgültig als Oxymoron, als Systemwiderspruch in sich, entlarvt wurde. “Wissenschaftspluralismus” – ein Begriff, der gern und oft vom damaligen Ärztepräsidenten Hoppe zur Rechtfertigung seiner Idee vom “Besten aus allen Welten” zitiert wurde. Schon damals eine Fehlvorstellung, denn die Wissenschaft ist “eine Welt”, die sich einig ist in dem Bestreben, Erkenntnisgewinn zu schaffen und keineswegs toleriert, belegbare Erkenntnis mit überkommenen Vorstellungen (“Traditionen”) in einen Topf zu werfen und dabei laut “Pluralismus” zu rufen.

    Man bedenke, dass das Konzept des auf konstruktivem Zweifel basierenden kritischen Rationalismus zu den Zeiten Hoppes, den 1980er / 1990er Jahren des vorigen Jahrhunderts, längst weltweit als Basis des Wissenschaftsbegriffs etabliert war. Versuche, dies für die Medizin zu relativieren, hieß schon damals, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Zumal die Wissenschaft, insbesondere die Evidenzbasierte Medizin, selbst höchst pragmatisch ist – es kommt ihr nur auf die Validität ihrer Erkenntnisse an, nicht auf deren Herkunft oder auf die Methodik der Beweisführung. Wo sollte da Platz für irgendeinen “Pluralismus” sein? In Diskussionen weichen deren Vertreter gern auf “Methodenpluralismus” aus, womit sie allerdings nur meinen, dass der kritische Rationalismus eben nur eine “Methode” unter vielen sei. Was so simpel nicht ist – der kritische Rationalismus in der heutigen Ausprägung ist das Ergebnis von mehr als 2000 Jahren Bemühens um die Frage, was wir wissen können und wie wir dahin gelangen. Er ist unsere bislang beste Lösung, um trotz des im Kern unlösbaren Induktionsproblem Annäherungen an Wahrheit und Wirklichkeit zu erreichen.

    Im Grunde schimmert hier an allen Ecken und Enden das Traditionsargument hinter der Folie neomystischer Vorstellungen durch. Dass die Homöopathie-Lobby diese Vorstellungen nach wie vor hochhält, ist aus ihrer Sicht zweifellos verständlich. Sie ist ja in den 1970er Jahren unter dieser Flagge wiederbelebt worden, als Kind der New-Age-Ära und des Neomystizismus. Das hat sie aber nicht richtiger werden lassen.

    “Der andere könnte auch recht haben”

    Nun haben die Homöopathen Verbündete in dem Wunschdenken gefunden, einen ihnen genehmen Wissenschaftsbegriff zu schaffen: Das „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“, ein Überbleibsel aus der Hoppe-Zeit, macht sich in einer Veröffentlichung gemeinsam mit Vertretern der Homöopathie-Lobby ausgerechnet am Beispiel der Homöopathie stark für „Wissenschaftspluralismus“ und gegen „monoparadigmatischen Reduktionismus“ (ein diffamierendes Begriffsgeklingel). Unter der Überschrift “Der andere könnte auch recht haben.” Darin werden allgemeine Positionen zum Thema Wissenschaftlichkeit mit den ständig wiederholten Behauptungen der Homöopathen, ihre Methode sei valide und wissenschaftlich begründet, zu einer beinahe undefinierbaren Melange zusammengerührt. Der Teaser:

    In Anbetracht zahlreicher Pauschalangriffe auf die Komplementärmedizin und insbesondere auf die Homöopathie sowie einem „Münsteraner Memorandum Homöopathie“ (1), in dem die Abschaffung der ärztlichen Zusatzbezeichnung Homöopathie auf dem 121. Deutschen Ärztetag gefordert wird, erfolgt im Namen der Mitglieder des Dialogforum Pluralismus in der Medizin (DPM) sowie der unten aufgeführten Institutionen und der unterzeichnenden Personen eine Stellungnahme, in der dargelegt wird, dass die Behauptung der Unwirksamkeit der Homöopathie im Hinblick auf die publizierte wissenschaftliche Evidenz nicht zutrifft (2-7 u.a.m.). Die folgende Richtigstellung erfolgt mit einem Verweis auf internationale repräsentative klinische Studien, Meta-Analysen und HTAs zur Homöopathie (8-20).

    Bedarf es noch näherer Ausführungen zur Unhaltbarkeit dieser mit großer Geste vorgetragenen Behauptungen? Angesichts dessen, was in den letzten zwei Jahren intensivierter wissenschaftsfundierter Homöopathiekritik erschienen ist und belegt wurde und angesichts der weltweiten Verdikte gegen die Homöopathie von großen wissenschaftlichen Vereinigungen, Instituten und staatlichen Stellen ist dies nicht mehr als das bekannte Rufen der Homöopathen im Wald – diesmal mit Unterstützung durch den Gastchor der Wissenschaftspluralisten. Die angeführten Belege – wen wundert es – sind eine Aufzählung längst widerlegter Scheinbeweise.


    Der Andere könnte auch Recht haben“. Was soll man darunter nun verstehen? Eine Trivialität? Eine im Zusammenhang mit objektiver Erkenntnisgewinnung kaum zu unterbietende Plattitüde? Nein, viel schlimmer.

    Bei diesem dem Ganzen übergeordneten “Motto” handelt es sich um ein Zitat des Philosophen Hans-Georg Gadamer, das ihm oft als eine Art Fazit seiner Lebenserkenntnis zugeschrieben wird. Gadamer war aber kein Naturwissenschaftler und seine Sentenz hat mit den Methoden des Erkenntnisgewinns in den empirischen Wissenschaften (Karl Poppers Falsifikationismus) nicht das Geringste zu tun. Gadamer hat selbst oft klargestellt, dass seine Wissenschaft mit den empirischen Wissenschaften und vor allem mit Poppers Erkenntnisbegriff keine Schnittmengen hat. Die Sentenz steht im Kontext von Gadamers Forschungsgebiet der philosophischen Hermeneutik, der Erkenntnisgewinnung beim “Verstehen” von Texten, Kunst- und Bauwerken oder des Gegenübers in einem Gespräch. Gadamer weist darauf hin, dass dieses Verstehen stets sprach- und zeitgebunden ist (“Das setzt beim Interpretieren von Werken Offenheit, das Bewusstmachen der eigenen Vorurteilsstruktur sowie die Bereitschaft zum Gespräch bzw. zu reflexivem Auseinandersetzen voraus”). Gadamer bewegt sich ausschließlich in geisteswissenschaftlichen Kategorien.

    Ihn und sein Zitat in den Kontext der Frage zu stellen, ob Homöopathie naturwissenschaftlich begründbar sei und ob sie Evidenz für sich in Anspruch nehmen könne, ist nicht nur grotesk, es ist von Seiten akademisch gebildeter Menschen eine intellektuelle Unredlichkeit ersten Ranges. Natürlich hört sich das gut an, natürlich kommt Gadamers Forderung nach Offenheit und Vorurteilsfreiheit den Apologeten irgendwie entgegen – aber sie begehen hier einen unverzeihlichen Kategorienfehler, der allein ausreicht, um das Statement des “Dialogforums” wissenschaftlich zu delegitimieren. Gadamer bewegt sich im Bereich der Kategorisierung des Subjektiven – Popper in der Sphäre des intersubjektiven Erkenntnisgewinns.

    (Mehr zum fundamentalen Unterschied von Gadamers hermeneutischem “Der andere könnte auch Recht haben” und Karl Poppers Position in “Giuseppe Franco (Eichstätt): Der kritische Rationalismus als Herausforderung für den Glauben. Ein Gespräch mit Hans Albert über Glauben, Wissen und Gadamers Hermeneutik. Aufklärung und Kritik 1/2006, http://www.gkpn.de/franco_albert.pdf)

    Geht es überhaupt um “Recht haben” in der empirischen Wissenschaft? Nein. Es geht darum, objektiver Erkenntnis (der Wirklichkeit) so nahe wie möglich zu kommen, Wahrscheinlichkeitswerte für die Frage zu gewinnen, wie belastbar Erkenntnisse als Annäherung an die “Wirklichkeit” sind. Und zwar auf dem Wege ständiger Infragestellung, der Popperschen Falsifikation. Das hat mit “Recht haben” überhaupt nichts zu tun. Und entlarvt nur den Ärger der Homöopathie-Proponenten darüber, dass ihnen die kritisch-rationale Methode der empirischen Wissenschaften keine Bestätigung für ihre Positionen liefert. Q.e.d. Und wie soll man es bewerten, wenn auf der einen Seite die kritisch-rationale Methode durch die Berufung auf Gadamer negiert wird und man sich andererseits gleichzeitig auf sie stützt, wenn man bemüht ist, der Homöopathie Evidenz zuzuschreiben?

    Und ja, auch Popper wird die Sentenz vom anderen, der auch Recht haben könne, zugeschrieben. Der Kontext, in dem er dies geäußert hat, passt aber nun erst recht nicht auf die „wissenschaftspluralistische“ Position. Denn er meinte – viel einfacher als Gadamer – damit schlicht sein Falsifizierungsprinzip als solches, sein Gebot, dass man gefundene Forschungsergebnisse als erstes selbst nach Kräften in Frage stellen müsse, bevor man sich der Kritik der Wissenschaftsgemeinschaft stelle.

    Ethische Entgleisungen

    Nun könnte man das – so ärgerlich wie es auch ist – als Verirrung Ewiggestriger abtun. Ernst wird die Sache aber, wenn im Verlaufe des Artikels schwerste moralische Geschütze gegen die aufgefahren werden, die solchen Vorstellungen der Begründung von Beliebigkeit nicht folgen, sondern den Weg des objektiven Erkenntnisgewinns weitergehen wollen. Allen Ernstes wirft man diesen, also den Vertreteren einer kritisch-rational begründeten Wissenschaftlichkeit, „totalitäre Tendenzen“ und damit einen Verstoß gegen grundgesetzlich garantierte Freiheitsrechte vor:

    „Ein monoparadigmatischer Reduktionismus führt aber – bedacht oder nicht bedacht – am Ende stets in eine totalitäre Ideologie, für die die dogmatische Ideologie alles, der Respekt vor dem Selbststimmungsrecht des Bürgers und der Achtung der Menschenwürde und des individuellen Erkenntnisstrebens nichts bedeutet. Wollen wir eine solche durch totalitäre Strukturen geprägte Entwicklung in unserem Land für die Medizin und das Gesundheitswesen?“

    Was sich hier manifestiert, ist eine unheilige Allianz. Eine Allianz zwischen den Fossilien aus der Hoppe-Ära, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre These vom “Besten aus beiden Welten” durch die pragmatische evidenzbasierte Medizin ebenfalls als Kategorienfehler entlarvt wurde und den Homöopathen andererseits, denen so etwas natürlich sehr entgegenkommt. Die haben ähnliches längst im Alleingang versucht. So haben z.B. Walach und Baumgartner offen einen eigenen Wissenschaftsbegriff für die Homöopathie eingefordert. Wenn das kein Ruf nach Beliebigkeit ist – der in der besprochenen Veröffentlichung auch noch aufs Perfideste in einen Moralvorwurf gegen die “andere Seite” umgedeutet wird…

    Im Grunde ist es ein Angriff auf über 2000 Jahre des Bemühens um menschliche Erkenntnisgrundlagen. Hier wird der schlichte Satz negiert, dass Erkenntnis eine nachweisbar begründbare Aussage sein muss. “Der Andere könnte auch Recht haben” – Gadamer wäre entsetzt, seine Sentenz im vorliegenden Zusammenhang missdeutet zu sehen. Popper erst recht.

    Natürlich darf auch das Autoritätsargument nicht fehlen (immer gut, wenn man sonst nichts zu bieten hat). Aber erstens ist so etwas immer schwach und zweitens immer misstrauisch zu betrachten – traue keinem Autoritätsargument, dessen Validität du nicht selbst geprüft hast! Hier wird der Physiker und bedeutende Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn als Zeuge bemüht; aufmerksame Leser dieses Blogs sind Kuhn sicher schon einmal begegnet. Sein Begriff des “Paradigmas” wird für die Zwecke der Autoren ausgeschlachtet. Aber, ohne in die Tiefe zu gehen: Man mag über Thomas S. Kuhns Paradigmenbegriff streiten können, zumal er selbst diesen im Laufe der Zeit vielfach umdefiniert und abgewandelt hat und er sogar von seinen Exegeten höchst unterschiedlich gedeutet wurde und wird.

    Was aber hier geschieht, ist geradezu abenteuerlich. Kuhn bewegte sich stets auf dem Boden der kritisch-rationalen Methode und dachte im Traum nicht daran, sie in Frage zu stellen. Die Berufung auf ihn in dem inkriminierten Artikel tut aber etwas ganz Erstaunliches: Sie versucht, die kritisch-rationale Methode sozusagen Kuhns Paradigmenbegriff als eine Teilmenge unterzuordnen. Daraus soll eine Art “Unverbindlichkeit” des kritisch-rationalen Wissenschaftsbegriffs abgeleitet werden, mit der Folge, dass ein Paradigmenwechsel in Kuhns Sinne auch eine Abkehr von der kritisch-rationalen Methode sein könnte. Das ist grotesk. Nichts anderes aber tut dieser verzweifelte Rundumschlag der Vertreter der Prämoderne. Kuhn wäre entsetzt gewesen über die Verzerrung des Erkenntnisbegriffs in seinem Namen.

    Bei der Veröffentlichung des “Dialogforums” handelt es sich aber eben auch um eine ethische Entgleisung, die eigentlich selbstdisqualifizierend ist, um den Versuch einer Diskreditierung des international im Konsens stehenden Begriffs der Wissenschaftlichkeit. Ein Tritt gegen über 2000 Jahre ernsthaftes Bemühen um valide Erkenntnisse über unsere Welt und redliches Vorgehen dabei. Der Versuch einer Legitimierung des Kontrafaktischen.

    All das akzeptiert und verbreitet von deutschen Hochschullehrern. Mehr dazu zu sagen, hieße, dieser Fehlleistung allzu viel Ehre anzutun.


    Zum Weiterlesen sehr zu empfehlen ist diese Gegenposition von Joseph Kuhn bei den scienceblogs.


    Bildnachweis: Pixabay, Creative Commons Lizenz CC0

    Hightech-Medizin und homöopathische Sandkastenspiele (1)

    Ausdrücklich einmal eine Lanze für die “moderne, seelenlose Medizin”!

    Ein Team um den Mitbegründer der Immuntherapie bei Krebs, Steven Rosenberg, hat einen großen Durchbruch bei Tumorerkrankungen erzielt, die bislang nicht gut durch Immuntherapie erreicht werden könnten. Dabei entnimmt man im Tumor bereits aktiv “arbeitende” T-Lymphozyten und vermehrt sie in der Annahme, dass es Sinn macht, eine größere Menge dieser bereits auf den Tumor “trainierten” T-Zellen wieder per Infusion zuzuführen.

    In Nature ist ein Abstract zu einem Forschungsbericht erschienen, der eine ungewöhnlich dauerhafte Remission (Rückbildung) eines schon metastasierten Mammakarzinoms unter einer solchen Therapie beschreibt: “Die vollständige dauerhafte Regression von metastasierendem Brustkrebs, die nun seit >22 Monaten andauert, stellt einen neuen immuntherapeutischen Ansatz für die Behandlung dieser Patienten dar.” Was für ein Understatement…

    Irre. Wisst ihr, was das ist? Das ist großartig. Das ist Wissenschaft. Das ist eine gute Idee, ausgearbeitet und klinisch umgesetzt mit Können und Fleiß von einem Team, das eine Unmenge von Wissen bündelt und bei dem jede und jeder seinen Teil beiträgt. Wieviel schon vorhandenes, von anderen Wissenschaftlern zusammengetragenes Wissen ist in die praktische Umsetzung in Labor und Klinik eingeflossen! Ein weiterer Schritt nach vorn in das Land der Erkenntnis. Wissenschaft ist Neugier, Wissenschaft ist Unzufriedenheit mit dem Gegebenen!

    Und die Homöopathen?

    Haben von all diesen Dingen keinen Schimmer, halten sich aber als einzelne Therapeuten für nahezu allwissend, kompetent und erfahren, weil sie seit 30 Jahren und mehr beruflich Selbsttäuschung betreiben.

    Wollen auch gar nichts von der “Schulmedizin” wissen, vielfach erklärtermaßen. Denn sie verfügen ja über die “bessere” Medizin:

    • Sie vertreten eine über 200 Jahre alte Lehre, die “Verstimmungen der geistigen Lebenskraft” behandeln will.
    • Mit “geistigen Arzneikräften”, die in allen möglichen und unmöglichen Substanzen enthalten sein sollen. Man muss sie nur verdünnen und schütteln!
    • Dosierung? Äh ja… mehr so persönliche Erfahrung…
    • Krankheit? Nee, Symptombild! Einschließlich des Zustands von “Geist und Gemüt”. Was sie dann als “ganzheitliche Methode” ausgeben.
    • Wissenschaft! Ja klar, aber erst wenn sie nach ihren Regeln mitspielen dürfen!
    • Forschung? Im Prinzip wissen sie ja alles, Forschung gibts nur, um dieses Wissen endlich mal bestätigt zu bekommen.
    • Fortschritt? Welcher Fortschritt? Das Tolle an ihrer Lehre ist doch, dass sie “alt” ist!
    • Anamnese und Repertorisierung zu mühsam? “Diagnose” nach Konstitutionstyp!
    • Wirkt nicht? Äh ja – Erstverschlimmerung. Immer noch nicht? Jaaa… dauert eben. IMMER NOCH NICHT? Irgendwas hat der Patient falsch gemacht, man kann ja nicht 24 Stunden auf ihn aufpassen…
    • Dem Patienten gehts richtig dreckig? Ab zur “Schulmedizin” – wahrscheinlich hilft die Homöopathie eh deshalb nicht, weil der Patient schon vorher “schulmedizinisch verdorben” war. (Diese Variante wird als besondere Qualifikation von Homöopathen verkauft: Als “Patientensicherheit”.)

    Kann umfangreich fortgesetzt werden.

    Merkt ihr was?

    Das ist nicht nur lächerlich, das ist albern. Die Homöopathie steht zur modernen Medizin im gleichen Verhältnis wie das Förmchenbacken im Sandkasten zum Bau eines modernen Kraftwerks. Was eher untertrieben ist.

    Das Vorhandensein der Homöopathie im Gesundheitswesen ist nicht nur eine medizinethische, sondern auch eine intellektuelle Zumutung.


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    Favete linguis!

    Der 121. Deutsche Ärztetag ist inzwischen Geschichte. Die novellierte Muster-Weiterbildungsordnung ist verabschiedet.

    Warum das wichtig ist? Wir erinnern uns: Anfang März dieses Jahres veröffentlichte der Münsteraner Kreis sein „Münsteraner Memorandum Homöopathie“, auf diesem Blog wurde ausführlich dazu kommentiert.  Es stellte einen wohlbegründeten Appell an den Ärztetag dar, bei der Novellierung der Musterweiterbildungsordnung die Streichung der „ärztlichen Zusatzbezeichnung Homöopathie“ zu beschließen. In einer auf Wissenschaftlichkeit verpflichteten Ärzteschaft könne eine nach nahezu einhelliger Auffassung der weltweiten Wissenschaftscommunity wissenschaftlich nicht begründbare Methode keinen Platz haben.

    Dazu ist es nicht gekommen. Es gab auf dem Ärztetag keinen Beschlussantrag zu einer Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie, über den abzustimmen gewesen wäre. Es ist schlicht und einfach nichts anderes passiert, als dass die unverändert in der vorgelegten Beschlussvorlage enthaltene Zusatzbezeichnung unangetastet geblieben ist. Ich kann und will das an dieser Stelle nicht kommentieren und nicht bewerten – ich war nicht dabei und fühle mich nicht berufen, hierzu Interpretationen und Spekulationen zu liefern.

    I.

    Solche Zurückhaltung legt sich die homöopathische Fraktion nicht auf. Diese deutete die kommentarlose Beibehaltung des bisherigen Status quo nicht nur in einen Sieg um, sondern gleich gar in eine ausdrückliche Bestätigung der Homöopathie durch den Ärztetag und zeigte auch keine Neigung, damit hinter dem Berg zu halten. Favete linguis, also zurückhaltendes Schweigen? Keine Spur.

    So berichtete etwa DAZ online:

    „Wir freuen uns, dass die deutsche Ärzteschaft den therapeutischen Nutzen und die ärztliche Weiterbildung in Homöopathie bestätigt hat“, erklärte Cornelia Bajic, Erste Vorsitzende des DZVhÄ. „Qualitativ hochwertige Studien belegen heute die Wirksamkeit der Homöopathie und haben dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet“, so Bajic.“

    Es ist leider nicht bis zu mir durchgedrungen, dass „die deutsche Ärzteschaft den therapeutischen Nutzen und die ärztliche Weiterbildung in Homöopathie bestätigt hat“, denn das hätte in dieser Ausprägung doch zweifellos eine ausdrückliche Stellungnahme und ein deutliches Abstimmungsergebnis erfordert. Nichts dergleichen gab es. In Anbetracht des Zahlenverhältnisses von rund 7.000 Ärzten „mit Zusatzbezeichnung“ zu insgesamt rund 150.000 ambulant tätigen Ärzten in Deutschland ist die verbale Inanspruchnahme „der deutschen Ärzteschaft“ – sagen wir mal – mutig. Und mit der Position, „qualitativ hochwertige Studien belegen heute die Wirksamkeit der Homöopathie“, steht Frau Bajic der weltweiten Wissenschaftsgemeinde in einer fast bedauernswerten Weise allein gegenüber. Nein, das stimmt einfach nicht. Das kann die homöopathische Fraktion behaupten, so oft sie will, sie kann Einzelstudien anführen, so viel sie will (die sind eh nicht geeignet als Beleg und haben bei der Homöopathie durchweg die unangenehme Eigenschaft, nicht reproduziert worden zu sein) und mit dem ständigen Anführen von Versorgungsstudien kann sie nur das nicht informierte Publikum beeindrucken – wer den Unterschied zwischen Versorgungs- und Beobachtungsstudien einerseits und randomisierten kontrollierten Blindstudien andererseits kennt, geht dem nicht auf den Leim.

    II.

    Auf das Polemisieren homöopathischer Ärzte einzugehen, man dürfe sprechende Therapieformen nicht benachteiligen (nanu – führende Homöopathen wollen doch von Mini-Psychotherapie nichts wissen) spare ich mir an dieser Stelle (zur Problematik von “mehr Zeit” findet sich auch einiges in dem oben verlinkten Blogartikel zum Memorandum Homöopathie).  Ebenso jeden Kommentar zu intellektueller Tieffliegerei bei Kommentaren in Pressepublikationen, die ihre Meinungsäußerung an dem so abgedroschenen wie falschen Argument des „Wer heilt hat Recht“ aufhängen und ernsthaft formulieren:

    “Wahr aber ist, dass alle, die behaupten, nur allein zu wissen, was gesund macht, mit Vorsicht zu genießen sind. Viel vertrauenserweckender sind die Mediziner, die zugeben: “Wer heilt, hat recht“. Das können auch Homöopathen sein.”

    Selbst Fachpublikationen bringen Erstaunliches hervor. In einem neueren Beitrag versteht sich Apotheke ad hoc selbst zu einer Deutung, für die es nicht den mindesten Anhaltspunkt gibt und bezieht damit auch redaktionell Position pro Homöopathie:

    „Auf dem 121. Ärztetag in Erfurt hatte sich die Mehrheit der Ärzteschaft explizit zu dieser im Vorfeld umstrittenen Zusatzbezeichnung bekannt. Denn die Mehrzahl weiß aus der Erfahrung, dass etliche Patienten auch den ganzheitlichen Behandlungsansatz wünschen und dafür aus- und weitergebildete Mediziner benötigen.“

    Unter „explizit bekennen“ verstehe ich nun wirklich etwas ganz anderes als die Tatsache, dass die Zusatzbezeichnung Homöopathie ein absolutes Nicht-Thema beim Ärztetag war. Das ist nicht nur eine unzutreffende Berichterstattung, sondern eine unzulässige Umdeutung. Von Seiten des Zentralvereins homöopathischer Ärzte immerhin irgendwie verständlich, von Seiten einer redaktionell betriebenen Publikation nach meiner bescheidenen Ansicht glatte Fake News. Ganz nebenbei hätte man auch darauf kommen können, dass die Zusatzbezeichnung Homöopathie nicht nur „im Vorfeld“ des Ärztetages „umstritten“ war. Sie ist es nach wie vor. Übrigens ist eigentlicher Gegenstand dieses interessanten Artikels, dass der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie ebenfalls die Fortexistenz der Zusatzbezeichnung Homöopathie bejubelt. Aber auch das wird die Gegner der Homöopathiekritik nicht von der chronischen Fehlleistung kurieren, die Kritiker seien Büttel der pöhsen Pharmaindustrie, da bin ich sicher.

    III.

    Jedoch: Was der Ärztetag beschlossen hat, ist die Musterweiterbildungsordnung, die nur empfehlenden Charakter für die verbindlichen Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern hat. Ob die stattgefundene und sicher auch anhaltende Debatte über die Zusatzbezeichnung ihre Wirkung bei den in der Praxis weit bedeutsameren Landesärztekammern tun wird, das bleibt zumindest abzuwarten. (Update Stand 02.10.2022: Tatsächlich haben 13 von 17 Landesärztekammern die Homöopathie aus ihren Weiterbildungsordnungen gestrichen und der Bundesärztetag hat 2022 nun auch endlich gehandelt – was für ein Fortschritt! Damit bekommt dieser Beitrag nach dem Stand von Mai 2018 beinahe den Charakter eines historischen Dokuments.) Dort dürfte man sich auch durchaus darüber im Klaren sein, dass keineswegs halbstündige stehende Ovationen zugunsten der Homöopathie beim Ärztetag stattgefunden haben, wie uns der DZVhÄ im Verein mit unkritischen Publikationen suggerieren will. Dass man sich in den Länderorganisationen von der Bundesärztekammer und ihrer Führung nicht in jedem Fall repräsentativ vertreten sieht, fällt auch nicht gerade unter die Rubrik Geheimnisse.

    Muss ich noch ergänzend etwas zur „Begründung“ bei Apotheke ad hoc pro Homöopathie und pro Zusatzbezeichnung sagen, die zum gefühlt hundertmillionsten Mal ein „Wünsch-Dir-Was“ von Patientenseite anführt? Ein „Argument“, das wir Kritiker übrigens nach vielen Erfahrungen in Aktionen auf Twitter und vielen Zuschriften, die uns zu unserer Kritik gerade im Hinblick auf die Kassenleistungen für Homöopathie erreicht haben, inzwischen sehr stark bezweifeln.

    IV.

    Eines sei noch zum beherrschenden “Argument” der homöopathischen Ärztefraktion im Vorfeld des Ärztetages angemerkt: Zur Behauptung, die Beibehaltung der “Zusatzbezeichnung Homöopathie” sei unabdingbar, um die “Patientensicherheit” zu gewährleisten. Zunächst einmal zweifle an diesem Aspekt ganz pragmatisch. Immer und überall stößt der Kritiker gerade auf ärztliche Statements, was alles erfolgreich mit Homöopathie behandelt werden könne und welche “persönlichen Erfahrungen” den homöopathischen Arzt zu diesem Urteil berechtigen würden. Zum einen wird da häufig das Spektrum ersichtlich allzu weit ausgedehnt, bis zur Behandlung chronischer und schwerer Krankheiten. Zum anderen ist das Anführen der berühmten “Erfahrungen” nur ein Alarmzeichen für einen stark ausgeprägten confirmation bias, einen Bestätigungsirrtum. Insofern müssen erhebliche Zweifel angebracht sein, ob in allen Fällen der überzeugt homöopathisch tätige Arzt wirklich die Grenzen erkennt, ab der eine wissenschaftlich fundierte Behandlung unabdingbar ist. Es will mir ganz persönlich einfach nicht einleuchten, weshalb ich mich überhaupt auf diese Fähigkeit bei einem Arzt verlassen soll, der kein Problem damit hat, eine unwissenschaftliche Methode neben wissenschaftlicher Medizin zu praktizieren. Warum nicht Patientensicherheit von vornherein – durch Verzicht auf Homöopathie?

    Es geht aber noch um etwas anderes. Bei der Diskussion über die ärztliche Homöoapthie wird stets außer Acht gelassen, dass rund fünf Sechstel des Umsatzes an Homöopathika ohne Verordnung, zur Selbstmedikation, über die Apothekentheke gehen? Und dass vom verbleibenden Umsatz die Verschreibungen von Heilpraktikern auch noch abgezogen werden müssen? Was bleibt denn dann noch? Nur ein kleiner Anteil der gesamten homöopathischen Behandlungen im Lande, die “wegen der Patientensicherheit” den Ärzten vorbehalten bleiben! Wenn sich also dieses Argument nicht sofort als Scheinargument enttarnen soll, müssten die homöopathischen Ärzte konsequenterweise vom Gesetzgeber das sofortige Verbot des Freiverkaufs von Homöopathika verlangen und die Verschreibungspflicht einfordern. Tun sie das nicht, scheint ihnen die Patientensicherheit bei Heilpraktikern genauso gleichgültig zu sein wie die bei den Selbstbehandlungen, die bekanntlich laut Allensbach-Umfrage ganz überwiegend auf der “Empfehlung von Bekannten und Familienmitgliedern” beruhen. Die Reaktion der Heilpraktikerszene und der Homöopathiehersteller auf eine solche Forderung von Ärzteseite würde mich außerordentlich interessieren.

    V.

    Letzte Meldung: Die Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte hat nach dem Ärztetag im Überschwang ihres vorgeblichen Sieges eine Offensive zugunsten der Homöopathie angekündigt. Wir sind gespannt. Wenn die hier wiedergegebenen Äußerungen direkt nach dem Ärztetag dafür die Blaupause sein sollen oder gar die grandiose Werbekampagne, die die DHU kurz vor dem Ärztetag auf eine ungewisse Reise geschickt hat, dann bleibt es langweilig.

    Und wenn sich nicht bald etwas Vernünftiges tut in Sachen Adelung von Pseudomedizin durch Gesetzgeber und Ärztetage, dann wird Deutschland zum größten gallischen Dorf aller Zeiten mutieren.


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    Der Preis ist heiß!

      Krems an der Donau

      Die folgende Passage aus einer Pressemitteilung der Fa. Peithner, Österreich, verdient unser Augenmerk:

      Wien (pts005/28.03.2018/08:00) – Die Homöopathie erfüllt alle Kriterien der evidenzbasierten Medizin! Zu diesem Ergebnis kommt die Allgemeinmedizinerin Dr. Melanie Wölk, die im Rahmen ihrer Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Abschlusses Master of Science im Universitätslehrgang Natural Medicine, Donau-Universität Krems, die Frage untersucht hat, ob die Homöopathie den Regeln der Evidence based Medicine (EbM) entspricht. Für diese Arbeit wurde Wölk mit dem Dr. Peithner Sonderpreis für Forschung in der Homöopathie ausgezeichnet.

      Das ist ja mal eine Sensation ersten Ranges, sicherlich höherer Würden wert als der eines schnöden Masterabschlusses und eines lumpigen 3000-Euro-Schecks vom Homöopathie-Fabrikanten Peithner (wie die DHU zum Konzern Willmar Schwabe gehörig). Finde ich übrigens auch ziemlich knausering, in Anbetracht eines derartigen Durchbruchs. Naja, auch Blinddärme können durchbrechen…

      Ich gestehe meine tiefe persönliche Betroffenheit. Denn immerhin habe ich mir die Mühe gemacht, die negative Evidenzlage zur Homöopathie aufgrund der großen indikationsübergreifenden Reviews zu belegen. Vertan? Wir werden sehen. Zweifellos wird der Zentralverein in Anbetracht der neuesten akademischen Weihen für dieses Statement die Korken knallen lassen…

      Also, irgendwo scheint es ja hier einen Dissens zu geben… Habe ich mich dermaßen vergaloppiert? Wenn hier mit akademischen Weihen und Auszeichnungen nahe dem Medizinnobelpreis gegen meine Position gehalten wird, muss ich mich ja wohl damit auseinandersetzen. Also auf gehts.

      Aber wohin? Suche in allen Datenbanken und wichtigen Publikationen ergab sowohl zu der Person der Preisträgerin als auch zu der genannten Hochschule – exakt null. Ebenso ist die preisgekrönte Arbeit nicht auffindbar – sie stammt bereits aus 2016, also wäre Zeit genug für eine Veröffentlichung gewesen. Dies lässt mich einerseits erst einmal feststellen, dass hier wohl der bekannte Schubladeneffekt (publication bias) gleich mal zum Prinzip erhoben wurde und zum anderen bin ich deshalb hier auf die Führung eines Indizienprozesses angewiesen. (Update – siehe unten!)

      Klar, dass der Kredit für die Autorin und für die Sache schon sehr geschrumpft ist, wenn hier mit akademischer Autorität gewunken wird, ohne dass irgendwelche Publikationen, weder von der Person noch von der Institution, auffindbar sind. Aber wir wollen gar nicht allein deswegen den Stab über die Sache brechen sondern schauen, welchen Honig wir vielleicht noch aus der Sache saugen können.

      Wie kommt die Preisträgerin zu ihrem Schluss? Durch Literatur- und Datenbankrecherche, wie man erfährt, durch eine Auswahl von Reviews, die mir ein wenig willkürlich erscheinen will – aber seis drum. Das Verfahren als solches ist legitim und normal für die Durchführung eines systematischen Reviews. Richten wir unser Augenmerk nur einmal darauf, dass der große Review der Australischen Gesundheitsbehörde NHMRC auch in den Materialien enthalten ist, aus der der Schluss abgeleitet wird, die Homöopathie sei evidenzbasierte Medizin. Eine mehr als kühne Schlussfolgerung. Denn bekanntlich kommt diese bislang umfangreichste Betrachtung der Studienlage zur Homöopathie zu dem – nicht neuen – Ergebnis, dass es keine einzige Indikation gibt, für die eine belastbare Evidenz zugunsten der Homöopathie vorliegt. Exakt wie die anderen großen indikationsübergreifenden Reviews, insbesondere derer von Robert Mathie (2014 und 2017), einer kritischen Haltung zur Homöopathie wirklich unverdächtigen Herrn, die seltsamerweise keinen Eingang in die preiswürdige Literatur- und Datenbankrecherche gefunden haben.

      Es liegt angesichts dessen auf der Hand, dass es mich brennend interessiert, auf welche Weise die Schlussfolgerungen der Preisträgerin aus den beigezogenen Studien und sonstigen Arbeiten abgeleitet wurden. Nun, ich glaube, das werde ich wohl nicht erfahren. Aber die Zielrichtung ist schon mal ganz klar, denn verlautbart wird in bekannter Manier:

      “Die Diskussion über die Existenzberechtigung der Homöopathie scheint nicht auf einer vorurteilsfreien und fairen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik zu beruhen, sondern ein irrationaler und höchst emotionaler Streit um Weltbilder zu sein.”

      Also, ich würde solch einen Satz ja aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in eine Arbeit mit wissenschaftlichem Anspruch schreiben. Aber wenn schon: dann zieht euch dieses harsche Urteil mal an, liebe Homöopathen! Oder sollte das gar nicht auf euch gemünzt sein… Zudem fällt mir auf: wie kann jemand, der beabsichtigt, die Evidenzbasierung der Homöopathie zu belegen, angesichts des ideologiefreien und voraussetzungslosen pragmatischen Ansatzes der EbM überhaupt so einen Satz schreiben? Das ist doch von vornherein ideologiebesetzt und damit zu Prinzipien der EbM inkompatibel.

      Ich sehe das daher schon einmal als Ankündigung nicht einer Untersuchung nach den Prämissen der EbM, sondern als Sortierarbeit nach „Weltanschauungen“ an. Bis zum Beweis des Gegenteils. Was das nun aber mit der Conclusio einer evidenzbasierten Homöopathie zu tun haben soll, das weiß man wahrlich nicht. Und auch aus der Laudatio des Preisstifters lässt sich außer dem üblichen Mimimi nichts weiter entnehmen, was man in die Nähe einer wissenschaftlichen Aussage rücken könnte:

      “Für die Homöopathie ist das eine sehr wichtige Arbeit, die wieder zeigt, was wir in der ärztlichen Praxis täglich erleben, nämlich dass homöopathische Arzneimittel wirken. Wölks Untersuchung zeigt weiters deutlich, dass es sehr wohl hochqualitative Homöopathie-Studien gibt und es an der Zeit ist, die Hexenjagd zu beenden, mit der eine wirksame medizinische Therapie diskreditiert werden soll. Konventionelle Medizin und Homöopathie sollten endlich Hand in Hand arbeiten – zum Wohle der Patientinnen und Patienten.”

      Nun, da steht der Rezensent ratlos davor und kann bei allem guten Willen einfach keinen Knoten finden, mit dem er die Informationen zur Masterarbeit (Wölk, Melanie: Eminenz oder Evidenz: Die Homöopathie auf dem Prüfstand der Evidence based Medicine. Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Abschlusses Master of Science im Universitätslehrgang Natural Medicine. Donau-Universität Krems, Department für Gesundheitswissenschaften und Biomedizin. Krems, Mai 2016) mit der prämierten Aussage verknüpfen kann, die Evidenzbasierung der Homöopathie “stehe fest”. Eine solche Absolutaussage ist, wir wissen es, keine, die nach den Prinzipien der wissenschaftlichen Forschung getroffen werden sollte. Es ist eher ein Werturteil auf einer verbal-definitorischen Ebene. Aber immerhin falsifizierbar – und den Gegenbeweis glaube ich, fern aller akademischen Weihen, im oben schon verlinkten Beitrag auf diesem Blog erbracht zu haben.

      Wenn ich irgendwo mit allergrößter Mühe so etwas wie eine Schlussfolgerung in der ganzen Sache vermuten soll, dann ist es allenfalls die, dass die Preisträgerin herausgefunden hat, dass es Pro und Contra zur Homöopathie gibt – und daraus den oben zitierten Schluss ableitet, nämlich den, dass man dieses Pro und Contra nach jeweils dahinter vermuteter Weltanschauung trennen müsse, um zur einzig wahren Wahrheit zu gelangen. Sie führt uns allerdings dabei einen confirmation bias vor, der offenbar mehr Einfluss hat als das Magnetfeld der Erde. Aber bitte – das ist nur eine wohlmeinende Vermutung. Ernstgemeinte Frage: Ist das hier wirklich weit entfernt von der “Heilpraktiker-Forschung”, die auf dem Blog “Onkel Michaels kleine Welt” so trefflich kommentiert worden war?

      Was bleibt? Ein Propagandastück allerersten Ranges, eine Selbstbeweihräucherung vom Allerfeinsten. Zur Selbstbestätigung und für den Applaus des ohnehin geneigten Publikums. Ich darf als Fazit eine kleine Anleihe bei Prof. Edzard Ernst machen, der zu dieser Sache meint:

      A pseudo-prize for pseudo-research into pseudo-medicine.

      In der Tat.

      Ich wünsche weiter fröhliches Bestätigungsforschen. Ach, übrigens: Ich nehme kein Wort meiner Widerlegung der “Evidenzbehauptung” im Blogbeitrag zum Münsteraner Memorandum Homöopathie zurück. Keine Silbe, keinen Buchstaben. Ich nehme an, das überrascht niemanden.

      Update (30.03.2017, 15.00 Uhr)

      Inzwischen liegt mir der Text der Masterarbeit vor. Ich möchte dem zumindest in Kürze gerecht werden, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, meine einzige Kritikquelle sei die Peithner-Pressemitteilung.

      Letztlich bestätigt sich die oben ausgeführte Kritik. Der confirmation bias schlägt zu. Man bedenke, dass große wissenschaftliche Gesellschaften weltweit, von der Russischen Akademie der Wissenschaften über das Science and Technology Committee des House of Commons (das seine vernichtende Stellungnahme bezeichnenderweise unter dem Titel “Evidence Check Homeopathy” veröffentlicht hat) bis hin zum Wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Akademien (EASAC) auf exakt der gleichen verfügbaren Studienlage zu Schlüssen gelangen, die das glatte Gegenteil des Ergebnisses der preisgekrönten Arbeit sind. Nun ist das Autoritätsargument zwar kein Argument, mag man sagen, aber darum geht es nicht: Es geht um sorgfältige Bewertungen durch die wissenschaftliche Community, die wohlbegründet sind. Kann die Masterarbeit hier dagegenhalten?

      Dazu nur ein paar Indizien.

      Der erste Eindruck ist durchaus der einer wortreichen Fleißarbeit, ohne Frage, aber von der ersten bis zur letzten Seite vom confirmation bias geprägt. Ein Blick in die Kurzzusammenfassung enthüllt bereits den folgenden Kernsatz:

      “Die analysierten Reviews, Metaanalysen und Studien der Evidenzklasse Ia und Ib weisen mehrheitlich die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien nach.”

      Krasser kann man die Position der Wissenschaftscommunity nicht mehr auf den Kopf stellen. Man ahnt schon, worauf die Endaussage, Homöopathie sei evidenzbasiert, gestützt werden wird: Auf die (Vor-)Selektion der passenden Studien und der Fehlwahrnehmung der nicht passenden nach vorgeblich „weltanschaulichen“ Kriterien. Auf “Abzählen”, wie wir es auch schon in anderen Zusammenhängen bei Vertretern der Homöopathie gefunden und kritisiert haben.

      Und in der Tat. Die Umdeutung des zunächst korrekt referierten Sackett’schen Begriffs der Evidenzbasierten Medizin und die Definition der Evidenzklassen in die Berechtigung, Cherrypicking zu betreiben, wo man Evidenz sieht, spricht dann auch für sich. Grob gesagt, verdeckt die Autorin mit großem rhetorischem Aufwand, dass sie nur das als evidenzbasiert ansieht, was ihre Auffassung von Homöopathie bestätigt. Darauf läuft letztlich alles weitere hinaus.

      Und tatsächlich: Schaut man sich in der Arbeit die Beurteilung der gegen die spezifische Wirksamkeit Homöopathie sprechenden Reviews an, so findet man eine unverkennbare Tendenz zur Umdeutung, wenn nicht zur diffamierenden Abwertung. Zum Review des NHMRC, zweifellos der bedeutendsten Überblicksarbeit zur Homöopathie überhaupt, ist zu allem Überdruss lang und breit die vielfach widerlegte “Kritik” der homöopathischen Szene zu finden, mit einer derart deutlich erkennbaren Tendenz zur Abwertung, dass man kaum weiterlesen mag. Mehr Voreingenommenheit geht nicht.

      Das setzt sich fort. Wie sie aus Mathie 2014 ein “pro Homöopathie” herausliest, bleibt ein Rätsel (na, das ist eher rhetorisch gemeint, denn wir wissen ja, dass gerade diese Arbeit den Pokal der Homöopathen für selektives Zitieren immer wieder gewinnt). Und dann kommen doch die Einzelstudien – obwohl vorher des Langen und Breiten die Bedeutung systematischer Reviews für die Beurteilung der Evidenz dargelegt wurde. Nun, die meisten Einzelstudien, die die Arbeit anführt, sind in den großen Reviews gar nicht oder mit einem hohen “risk of bias” enthalten – und deshalb sicher ungeeignet, eine Evidenz gegenüber den Reviews zu begründen (zumal sie alle durchweg nicht repliziert wurden). Zu einem Ergebnis wie dem hier publizierten kann man nur kommen, wenn man diese Arbeiten wirklich “einzeln” betrachtet und schlicht den Schlussfolgerungen der Autoren folgt.

      Die Arbeit gibt sich zwar nicht die Blöße, die vielfache Kritik z.B. an Shang et al., Frass (Sepsis) und Linde zu unterschlagen. Wie voreingenommen sie damit aber umgeht, verdeutlicht sehr krass diese Passage:

      “Sowohl die homöopathiekritischen Arbeiten von Shang et al. (2005) und Ernst (2002), als auch die homöopathiebefürwortenden Publikationen von Frass et al. (2005) und Linde et al. (1997) wiesen methodische Schwächen auf, welche die Autoren oder deren wissenschaftlich-publizistischen Unterstützerinnen oder Unterstützer oft einander vorhalten ohne die Problematik der eigenen Position einzugestehen. Die Vorwürfe gingen von Ahnungslosigkeit über Unwissenschaftlichkeit bis zu bewusster Manipulation.” (Ich kann mir die Anmerkung nicht verkneifen, dass Linde 1997 keineswegs die Homöopathie „befürwortete“, was Klaus Linde in einer Erklärung zu seiner Arbeit aus dem Jahre 1999 ausdrücklich bekräftigte – was Frau Wölk nicht bekannt gewesen zu sein scheint.)

      Überhaupt schon von “homöopathiekritischen” und “homöopathiebefürwortenden” Arbeiten zu sprechen, ist ein weiteres klares Zeichen für Bestätigungsforschung. Was sonst ist Sinn und Aufgabe der wissenschaftlichen Community, als Veröffentlichungen auf Herz und Nieren zu prüfen und zu kritisieren? Die Kritiker haben z.B. die Schwächen von Shang et al. vielfach selbst offengelegt, aber auch gezeigt, dass diese keinen Einfluss auf die Endaussage des Reviews hatten. Und Frass’ Sepsisstudie ist schon so oft zerlegt worden – und wurde niemals repliziert (glücklicherweise – was sie aber letzttich wie viele andere im Sinne einer Evidenzbegründung wertlos macht).

      Und wo der „Vorwurf bewusster Manipulation“ seitens der Kritiker gemacht wurde, das würde mich sehr interessieren.

      Auch hier wird deutlich, wie die Autorin zu der These von dem “emotional und irrational geführten Streit um Weltbilder” kommt. Sie ist selbst in hohem Maße außerstande, Argumente, die nicht ins Bild passen, anders als emotional-irrationale Verirrungen wahrzunehmen.

      Weiter oben habe ich ja schon etwas zum “Ergebnis” gesagt: Wer eine derartige absolute Formulierung (“steht fest”) als Ergebnis seiner “Forschung” postuliert, der zeigt damit in aller Deutlichkeit, dass er Bestätigungsforschung betrieben hat und damit unwissenschaftlich operiert.

      Die Antwort auf diese Arbeit wäre im Großen und Ganzen deckungsgleich mit der Antwort auf die “Kritik an der Homöopathiekritik” des britischen Homeopathy Research Institute, wie sie das INH auf seiner Webseite systematisch aufgenommen hat. Es fällt auf, dass selbst das HRI, das nun sicher über einigermaßen gewiefte Fachleute verfügt, weit zurückhaltender mit den “Evidenzbelegen” für die Homöopathie ist als unsere preisgekrönte Arbeit.

      Insofern gibt es von der ersten Beurteilung aufgrund der Peithnerschen Pressemitteilung nichts zurückzunehmen.


      Nachtrag, 16.03.2022

      Um die Ehre der Donau-Universität Krems zu wahren, soll nicht übergangen werden, dass sie eine verdienstvolle Arbeit hervorgebracht hat, die der homöopathischen Forschung bescheinigt, in weiten Teilen ein Problem mit guter Publikationspraxis zu haben: https://www.donau-uni.ac.at/de/aktuelles/news/2022/mangelhafte-forschungspraxis-bei-homoeopathie.html

      So, wie ich das sehe, ist damit ein weiterer Sargnagel in die preisgekrönte Arbeit zur „Evidenzbasierung der Homöopathie“ eingeschlagen worden. I rest my case.


      Bilder von Norbert Pietsch und PDPics auf Pixabay

      Eigentor der Woche

      Auf Twitter bekamen die Homöopathiekritiker in der vergangenen Woche dieses vernichtende Statement entgegengeschleudert:

      „Liebe Skeptiker und schon wieder eine signifikant positive Studie zur Homöopathie bei Pubmed. Wenn ihr für die Homöopathie Kritik nicht bezahlt werdet, würde ich mir jetzt ein anderes Betätigungsfeld suchen, z.B. Impfkritik.“

      Die Vielzahl von interessanten Implikationen und Schlussfolgerungen, die dieser eindrucksvolle Text enthält, wollen wir an dieser Stelle nicht weiter würdigen. Wichtiger ist: unser twitternder Freund aus der Zunft der Heilpraktiker verkennt unsere kritische Motivation. Wir warten doch darauf, dass endlich mal jemand mit etwas Handfestem zur Homöopathie um die Ecke käme (dann wäre es auch nicht mehr so langweilig). Sicher ist es für unseren Freund unvorstellbar, aber es ist so: Gäbe es endlich wirklich signifikante und klinisch relevante Nachweise für eine spezifische Wirksamkeit der Homöopathie, würden wir ohne Umschweife unsere Sachen packen und uns nach einer sinnvolleren Tätigkeit umschauen. (Impfkritik wäre das nicht, allenfalls Impfaufklärung.) Skepsis ist weder unverrückbare Überzeugung noch Allwissenheit, das verorten wir eher woanders.

      Jetzt sind wir aber mal gespannt, worum es geht.

      Es handelt sich um eine Anwendungsstudie zum Präparat Monopax der Firma Cassella, bei PubMed mit dem Abstract hier zu finden. Übrigens fängt es gleich schon mal gut an: „Die Studie beabsichtigt, die Überlegenheit von Verum (dem getesteten Mittel) gegenüber Placebo zu demonstrieren”.

      Ach. Ich dachte immer, man solle keine Bestätigungsforschung betreiben. Und hier verbirgt man das nicht einmal, winkt also schon mal gleich mit der Fahne der Voreingenommenheit, des confirmation bias, des – hier schon offen zutage tretenden – Bestätigungsfehlers? Eine seriöse Studie hätte etwa getitelt „Es soll die Nullhypothese untersucht werden, dass keine Überlegenheit des zu prüfenden Mittels gegenüber Placebo gegeben ist“,

      Kurz gesagt, wurden zwei Vergleichsgruppen mit „trockenem Husten“ gebildet, die eine bekam das Präparat, die andere ein Placebo. Sieben Tage wurde beobachtet, dann ein Fazit gezogen und „ausgewertet“. Schön. Aber schon bei einem oberflächlichen Blick auf den Abstract stellt man sich folgende Fragen:

      • “Trockener Husten” als Begleitsymptom von “common cold”, also einem “grippalen Infekt” aka einer einfachen Erkältung, ist keine valide Diagnose, die eine Vergleichbarkeit der Patienten sichert. Primäre Diagnose? Bisherige Krankheitsdauer? Weitere Behandlungsformen? Weitere Krankheitszeichen? Zudem handelt es sich um eine klassische kurzfristig selbstlimitierende Erkrankung, die für den klinischen Nachweis einer spezifischen Intervention im Grunde ungeeignet ist – weil die erwartbare Selbstlimitierung jeden Effekt – auch einen tatsächlichen – überdecken wird.
      • Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich binnen sieben Tagen (Beobachtungsdauer) von ganz allein (unspezifischer) “trockener Husten” als Begleitsymptom einer einfachen Erkältung zurückbildet? (Mit Behandlung eine Woche, ohne sieben Tage – was letztlich auch der Outcome dieser Studie ist.)
      • Warum wurde das Testmittel mit Placebo verglichen und nicht mit einer nach medizinischem Standard behandelten Gruppe? Soll das ernsthaft heißen, die Hälfte der kleinen Patienten hat sieben Tage lang keine medizinische Behandlung bekommen? Welche Ethikkommission hat das genehmigt? Wäre es bei einem Vergleich Testmittel vs. Standardtherapie zu einem deutlichen Rückstand der Testgruppe gegenüber der Standardgruppe gekommen, beispielsweise zur Entwicklung einer infektiösen Bronchitis, hätte man abbrechen können (und müssen).
      • Dies reicht eigentlich schon, um die Aussagekraft der „Studie“ gegen Null sinken zu lassen.

      Aber es geht weiter:

      • Es widerspricht homöopathischen Prinzipien, ein Mittel einem Symptom zuzuordnen und damit unterschiedslos Patientengruppen zu behandeln. Und das auch noch mit einem der von Hahnemann verteufelten Komplexmittel. Aber sowas spielt ja wohl heute keine Rolle mehr, eine Grundlage für etwas, das in sich schlüssig und konsistent als “Homöopathie” bezeichnet werden könnte, fehlt ohnehin. Man kann also schon deshalb mit guten Gründen bestreiten, dass hier Homöopathie geprüft wurde.
      • Der Score (die Skalenmethode, nach dem der Husten „bewertet“ wurde) ist nicht validiert und referenziert (ein Score namens “CAS” ist in der Literatur nicht auffindbar und auch nicht in den Reviews zum Score-Thema enthalten; es gibt etliche Scores); gemeinhin gelten diese Scores als Referenz für Husten ohnehin nicht als sonderlich valide (die große Übersicht von Leconte et al. nennt nur eine einzige Score-Methode für Kinder als halbwegs valide für eine Bewertung des Outcomes von Studien – und das ist nicht die hier verwendete).
      • Die „Signifikanz“ und damit das „positive Ergebnis“ des Mittels gegen Placebo wird aus sehr seltsamen Zahlen abgeleitet: Aus Veränderungen der Messskala von 5,2 (Verum) bzw. 3,2 (Placebo). Besser geworden ist es danach allemal, was bei einem Verlauf von sieben Tagen zu erwarten war.
      • Aber: Auch für Nichtstatistiker ist erkennbar, dass Werte von 5,2 bzw. 3,2 mit einer Schwankungsbreite von +/- 2,6 (!) ein wenig – sagen wir mal – seltsam anmuten. Das sind ja Unsicherheitsraten von der Hälfte bzw. deutlich mehr als der Hälfte der angeblich gemessenen Effekte! Das bedeutet, dass eine – ja sogar für möglich bis wahrscheinlich gehaltene – Schwankung der Ergebnisse um einen Punkt jeweils bei Verum (-) und Placebo (+) ausreicht, um einen „Gleichstand“ der Messwerte herbeizuführen… und eine kleine weitere Änderung würde das „Ergebnis“ kopfstehen lassen.
        Fehlerwerte sollen verhindern, dass Studienergebnisse nicht auf scheinbaren Sicherheiten aufgebaut werden. Genau das geschieht aber hier. Und das ist schon eine ganz schöne Chuzpe, die Fehlerwerte anzugeben und sie bei der Bewertung der Studie komplett unter den Tisch fallen zu lassen…

      Und jetzt:

      Geprüft wurde das Präparat Monapax. (Zwei der drei Studienautoren stehen im Dienste der Herstellerfirma Cassella med. Wie schön, aber das nur zur Abrundung.) Aber schauen wir uns jetzt einmal das Mittel genauer an.

      Die pharmazeutische Fachinformation zu Monopax lässt uns wissen, dass vier (!) der Bestandteile als „Urtinktur“, also unverdünnt und „unpotenziert“ enthalten sind, der Rest als D4-Potenzen. (Wer nachschauen möchte: Die „0“ vor den Dosierungsangaben dort bedeutet „Ursubstanz“, eigentlich muss das Zeichen Ø sein.) Wobei sich die Frage erhebt: Was ist Homöopathie?

      Nun, nach den rechtlichen Definitionen ist Homöopathie das, was nach homöopathischen Prinzipien hergestellt wurde. Gemeint ist damit vor allem das Potenzierungsprinzip (danke für diese klare Abgrenzung von wissenschaftsorientierter Medizin). Aber in der Praxis, und das kann man auch im homöopathischen Arzneibuch nachlesen, sind “Urtinkturen” auch Homöopathie -wenn sie denn nach den Herstellungsmonografien eben dieses homöopathischen Arzneibuches hergestellt werden (was allerdings genau nichts über den realen Wirkstoffgehalt aussagt). Hier kommen wir schon wieder tief in den Dschungel der inneren Widersprüche: Eine Urtinktur ist z.B. ein Pflanzenauszug, dessen Konzentration nicht standardisiert ist (wie in der pharmazeutischen Phytotherapie), also alle Schwankungen der Pflanzenzusammensetzung aufgrund von Boden- und Umwelteinflüssen sozusagen mitnimmt. Zudem ist die Löslichkeit der gewünschten Substanzen je nach Pflanze sehr unterschiedlich. Und das wird dann, auch mal angenommen, die Urtinktur würde den Anforderungen pharmazeutischer Phytotherapie entsprechen, auf Zuruf zur Homöopathie, also zu etwas, das nach homöopathischer Lehre in aller Regel eine ganz andere, nämlich die angeblich in den homöopathischen Arzneimittelprüfung gefundenen entfaltet? Das ist eines der großen Dilemmata der (bewusst) fehlenden Grenzziehung zwischen Homöopathie und Phytotherapie, die die Leute in die Irre führt.

      Dass die Durchführenden der “Studie” selbst nicht an ihre „Homöopathie“ glauben, beweist zudem schlagend der letzte Satz der Zusammenfassung des Studienergebnisses: „Bei 15 Patienten (Verum: n=6; Placebo: n=9) wurden 18 Nebenwirkungen leichter oder mittlerer Intensität beobachtet.” Was sagt man dazu? Homöopathie ist doch nebenwirkungsfrei!

      Kann fortgesetzt werden.

      Ceterum censeo: Wir brauchen keine Forschung zur Homöopathie mehr. Wir brauchen noch weniger Forschung, die Homöopathie-Mimikry betreibt, um deren ramponiertes Ansehen zu stützen. Erst recht nicht, wenn die so schlecht gemacht wird wie diese Monapax-Studie, die mal wieder homöopathisches Studiendesign at its best vorführt.

      Lieber Kritiker auf Twitter (der uns leider in der Argumentation nicht folgen mochte, sich dafür als Hardcore-Impf”kritiker” erwies), nein, wir brauchen uns kein neues Tätigkeitsfeld zu suchen. Und Ihnen empfehlen wir mehr Selbstkritik. Auf den erstbesten Zug aufzuspringen kann sich als ziemlicher Fehler erweisen.


      Auf dem Blog von Prof. Edzard Ernst zu dieser Studie:

      A new RCT of homeopathy … and, guess what, it reports a positive result (but are we being misled or not?)


      Bildnachweis: Fotolia_62171586

      Was erlaube Homöopathen?

      Zum 20. Jahrestag der legendären Münchner Pressekonferenz vom Meister des gepflegten Wutausbruchs Giovanni Trappatoni sei diese leicht abgewandelte Einleitung eines durchaus ernstgemeinten Artikels einmal gestattet – unpassend ist sie auf keinen Fall. Passend ist rein zufällig in unserem Zusammenhang auch ein anderes 20-jähriges Jubiläum, das mit dem Wort „Retracted“ in enger Verbindung steht.

      Aber zum aktuellen Fall:

      Klicken für größere Darstellung

      Was soll man dazu sagen, wenn eine Zeitschrift namens „Evidenzbasierte komplementäre und alternative Medizin“ (Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, wo ist mein Riechsalz… ) eine Arbeit zur homöopathischen Krebsbehandlung zurückzieht? Der Blog Retraction watch berichtet.

      Man ist sprachlos. In mancher Hinsicht.

      So geschehen am 26. Februar 2018 mit einem Beitrag namens “Psorinum Therapy in Treating Stomach, Gall Bladder, Pancreatic, and Liver Cancers: A Prospective Clinical Study” (Therapeutische Anwendung von Psorinum bei der Behandlung von Magen-, Gallenblasen-, Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebs: Eine prospektive klinische Studie), veröffentlicht 2010. Allein der Titel lässt Schlimmes befürchten…

      Es sei hier gleich eingeschoben, dass man wohl mit dem Anspruch eines seriösen medizinischen Fachblattes diesen Artikel niemals hätte veröffentlichen dürfen. Wir werden aber noch sehen, wie es zu dem Zurückziehen des Beitrages kam.

      Als erstes tauchten diverse Fragen auf.

      • Angeblich gab es von der Registrierungsstelle für Studien (Institutional Review Board) eine Genehmigung für die „Studie“ aus dem Jahre 2001, was doch ein wenig unglaubwürdig wirkt, wenn man bedenkt, dass die Privatklinik, in der die „Studie“ durchgeführt wurde, erst 2008 gegründet worden war.
      • “Die Teilnehmer haben das Medikament Psorinum zusammen mit allopathischen und homöopathischen unterstützenden Behandlungen erhalten, ohne konventionelle oder andere Krebsbehandlungen zu versuchen” – heißt es in der Studie. Was insofern erschrecken lässt, als hier die Standardtherapie vorenthalten wurde – was zumindest Fragen nach der ethischen Bewertung des Vorgangs aufwirft.

      Nun gut – obwohl das doch im Grunde auf einen Blick schon 2010 hätte erkannt werden sollen / müssen. Jedenfalls wurde bei den Autoren angefragt. Man erbat die Unterlagen zur Ethikprüfung, das vollständige Studienprotokoll und das Formblatt, das für die Einverständniserklärung der Patienten verwendet worden war.

      Ja und dann – dann stellte sich heraus, dass die Hauptautoren, Vater und Sohn Chatterjee, Besitzer und Betreiber des Critical Cancer Management Research Centre and Clinic (CCMRCC; wie schön…) seit Mitte 2017 in Haft sitzen. Wegen „Ausübung von Medizin ohne Qualifikation“.

      Nachfragen bei drei angegebenen Co-Autoren ergab, dass sie sich dagegen verwahrten, als Autoren der Arbeit genannt worden zu sein und dass sie niemals ein solches Einverständnis gegeben hätten. Ein vierter Co-Autor antwortete nicht.


      Und was für eine tolle Krebstherapie hatte man da „entdeckt“?

      Das Papier untersuchte die Wirkungen von Psorinum, einem homöopathischen Präparat, das offenbar schon in der Vergangenheit zur Krebstherapie benutzt wurde:

      Psorinum, ein alkoholischer Extrakt aus Krätze-, Schorf- und Eiterzellen…[der] verschiedene Immuneffektorzellen (z.B. T-Zellen und akzessorische Zellen wie Makrophagen, dendritische Zellen und natürliche Killerzellen) aktiviert, die eine komplexe Antitumor-Immunantwort auslösen können.

      Nosodenkram, aha. Nett. Der „Klassiker“ der Nosoden, erfunden vom Begründer der Homöopathie in Amerika, Konstantin Hering.


      Und jetzt lichtet sich ein wenig das Dunkel:

      Hindawi, einer der größten medizinischen Fachverlage, unter deren Flagge auch das Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine-Magazin segelt, war nach eigenen Angaben durch einen Leser auf die Verhaftung der Chatterjees aufmerksam gemacht geworden und hatte die Untersuchung initiiert. Zudem waren dort Beschwerden aufgelaufen, unter anderem -und das ist wichtig- über PubMed Central, also dem Meldewesen der großen Studiendatenbank PubMed/NCBI. Stichwort: Wissenschaftsgemeinde.

      Der Kern der Untersuchung stammte dann auch von Hindawis Research Integrity Team. Falsche Angaben zur Autorenschaft und zum Genehmigungsdatum und vor allem das offensichtliche Ethikproblem der Studie (wenn sie denn überhaupt durchgeführt wurde…) reichten nach Ansicht von Hindawi allein aus, um die Veröffentlichung zurückzuziehen. Diese Entscheidung wurde denn auch von Hindawi getroffen.

      Es gab aber noch mehr Unangenehmes. Die Diskussion der Studienergebnisse (“Diskussion” als Abschnitt in der Studie selbst ist hier gemeint, als Darlegung dessen, wie man die Daten warum beurteilt) stand in Widerspruch zur Zusammenfassung. Die Diskussion räumte eine eingeschränkte Aussagefähigkeit nach den Maßstäben wissenschaftlicher klinischer Studien ein, weil die Studie weder eine Placebo- noch eine Standardbehandlungsgruppe (!) besaß; die Zusammenfassung lavierte daran vorbei, indem sie eine Wirksamkeit von Psorinum als Krebsmittel implizierte. Und -endlich- wurde man darauf aufmerksam, dass das Studiendesign nicht weniger beschrieb als eine eierlegende Wollmilchsau – nämlich eine „prospektive klinische Beobachtungsstudie“. Es sei, um nicht noch mehr in die Breite zu gehen, nur angemerkt, dass eine Studie schlecht gleichzeitig „klinisch“ (also Anwendungsstudie) und „Beobachtungsstudie“ sein kann. Näheres für den Interessierten hier.

      Retraction watch hat noch recherchiert, dass die Chatterjees Papiere über ihr Wundermittel allen Ernstes im Journal of Clinical Oncology (2009, 2010) veröffentlichen konnten. Die Herausgeberin, die American Society of Clinical Oncology, teilte mit, die Angelegenheit zu überprüfen…


      Was haben wir nun hier?

      Ein weiteres – dreistes – Beispiel für den Missbrauch der Wissenschaft als wohlfeiles Deckmäntelchen dort, wo es nichts Wissenschaftliches gibt. Für das Vortäuschen von Wissenschaftlichkeit, ohne sich an deren Regeln zu halten – dieser Vorwurf trifft auch das Magazin, ganz klar. Auf der einen Seite eine ethische Insolvenzerklärung allerersten Ranges, auf der anderen Seite aber auch ein weiteres Beispiel für die im Wissenschaftssystem „eingebaute“ Selbstreinigungskraft. So mancher hat schon diese „eingebaute Selbstkorrektur“ des wissenschaftlichen Systems unterschätzt. Oder gleich gar nicht wahrgenommen, weil ohnehin nie zum Grundgedanken der Wissenschaftlichkeit durchgedrungen.

      Als einzelner Vorgang mag diese Geschichte wie ein Kuriosum aus dem Morgenland erscheinen. Gut, die Zitationen hielten sich immerhin in Grenzen. Eine Marginalie oder ein als solitär zu betrachtender Vorgang ist es aber keineswegs. Indien, das gelobte Land der Homöopathie (wir erinnern uns an die Besucher aus Indien anlässlich des Welt-Homöopathie-Kongresses 2017 in Leipzig), auch von westlichen Homöopathen stets als solches beschworen und als Beleg für die “hunderte Millionen erfolgreichen Anwendungsfälle” hervorgehoben, dort teils mit hohen Beträgen für „Forschung“ aus staatlichen Mitteln zu Lasten einer vernünftigen gesundheitlichen Grundversorgung ausgestattet – das ist nicht “weit weg”. Die indische Homöopathieszene dient (sogar gegenüber Patienten hierzulande, wie mir persönlich bekannt ist) immer wieder als Referenz – und ist insofern schon von zentraler Bedeutung.

      Und so ist auch dieser Vorgang symptomatisch, ja systemisch für die homöopathische Szene. Über die einzelnen Mängel der Studie verzieht der Kummer gewohnte Kritiker zwar kaum eine Miene, so etwas findet man auch woanders. Aber ist das nicht ab einem gewissen Punkt zwangsläufig bei der Homöopathie, weil sie ja an gut designten und durchgeführten Studien scheitern muss? Und welchen Sinn sollen Zeitschriften haben, die nichts anderes darstellen als den gedruckten Teil der Filterblase Homöopathie? Die keine wissenschaftlichen Publikationsregeln einhalten? Die zu nichts anderem dienen als zur Selbstbestätigung der Homöopathen und allenfalls zum Marketing beim unkritischen Publikum?

      Ein Zerrbild. Eine Groteske.


      Bildnachweise: dpa / Screenshot Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine

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