Warum ein Gottesbezug in der Landesverfassung Schleswig-Holsteins ein Angriff auf die säkulare Ordnung ist

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Es ist nicht der erste Versuch – aber einer der deutlichsten: Die CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag fordert erneut einen Gottesbezug in der Präambel der Landesverfassung. Die Begründung ist ebenso klar wie verstörend:

„Ein Bezug zu Gott in der Verfassung ist eine Selbstvergewisserung und eine wertvolle Demutsformel, denn es liegt nicht alles allein in unserer Hand.“
„Der Mensch denkt, Gott lenkt.“

Diese Formulierung ist für mich nicht nur unakzeptabel – sie ist eine Zumutung.
Denn sie bringt genau jene religiöse Denkfigur ins Spiel, die mich einst aus der Kirche und aus der institutionalisierten Religion herausgeführt hat:
Die Vorstellung, dass der Mensch sich unterwerfen müsse, dass seine Verantwortung relativiert werde durch eine höhere Lenkung, dass Werte und Grundhaltungen nicht aus Vernunft und Erfahrung, sondern aus metaphysischer Setzung stammen.

Das ist nicht Demut – das ist Entmündigung.
Und es ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der sich im humanistischen Sinne der Verantwortung seines Daseins stellt.

In einem Bundesland, in dem 57 Prozent der Bevölkerung keiner Kirche angehören, ist ein Gottesbezug in der Verfassung nicht Ausdruck von Zusammenhalt, sondern von Exklusion durch Symbolik.
Er verlagert die moralische Orientierung des Staates auf ein metaphysisches Prinzip, das nicht mehr konsensfähig ist – und damit wird die Verfassung zum Ort der Spaltung, nicht der Einheit.

Symbol oder Norm? Warum der Gottesbezug in Schleswig-Holstein verfassungswidrig gedacht wird

Der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes („vor Gott und den Menschen“) wird seit Jahrzehnten als symbolische Formel verstanden. Er ist historisch eingebettet, nicht normativ wirksam, beschreibt keine Programmatik und entfaltet keine rechtliche Bindungskraft. Er reflektiert den Kontext der Verfassungsentstehung – nicht die Auslegung oder Anwendung des Rechts.

Was die CDU Schleswig-Holstein nun vorträgt, ist grundlegend anders:
Die Begründung für den Gottesbezug zielt nicht auf symbolische Selbstvergewisserung, sondern auf eine normative Überformung des Verfassungsverständnisses. Wenn es heißt:

„Der Mensch denkt, Gott lenkt.“

…dann ist das keine kulturelle Reminiszenz, sondern eine theologische Setzung, die den Menschen nicht als autonomes Subjekt, sondern als gelenktes Wesen beschreibt. Das widerspricht dem säkularen Verfassungsprinzip, das auf Selbstverantwortung, Menschenwürde und Rechtsbindung beruht.

Die CDU formuliert hier eine politische Erwartung:

  • Dass Werte sich aus dem Gottesbezug ableiten.
  • Dass gesellschaftlicher Zusammenhalt religiös begründet werden muss.
  • Dass Demut vor Gott eine politische Tugend sei.

Das ist nicht mehr bloß symbolisch, sondern programmatisch – und damit verfassungsrechtlich bedenklich.
Denn eine solche Begründung relativiert die negative Religionsfreiheit (Art. 4 GG), die gerade auch das Recht schützt, keine religiöse Bindung einzugehen und nicht unter religiöse Deutungsmacht gestellt zu werden.

Es ist der Versuch, eine theologische Deutung des Menschseins über die Verfassung zu schreiben – und das ist mit dem säkularen Charakter unserer Rechtsordnung nicht vereinbar.

Diejenigen, die eine solche Begründung vertreten, sollten sich prüfen, ob sie noch auf dem Boden der säkularen Verfassungsordnung stehen.
Denn wer sagt, „Gott lenkt“, sagt auch: Der Mensch ist nicht autonom.
Und das widerspricht dem Grundgedanken unserer Demokratie, die auf Verantwortung, Vernunft und Selbstbestimmung beruht.

Ich gestehe: Ich bin empört – und in meinem humanistischen Selbstverständnis auch verletzt. Wobei ich der Letzte bin, der jemand seine persönlichen religiösen Überzeugungen streitig machen würde.


Zum Weiterlesen:

Sebastian Schnelle beim Humanistischen Pressedienst, mit dem zusätzlichen Aspekt der „Allianzen“, den die christliche Fraktion offenbar einzugehen bereit ist.

Pressemitteilung des Zentralrates der Konfessionsfreien