Der dritte Gesundheitsmarkt – ein unregulierter Raum voller Versprechen
Er ist allgegenwärtig, aber kaum greifbar: Der sogenannte „dritte Gesundheitsmarkt“ umfasst all jene Produkte mit Gesundheitsbezug, die weder verordnungspflichtig noch ohne Verordnungspflicht apothekengebunden sind. Was sie eint, ist nicht ihre Wirkung, sondern ihre Werbesprache: gesundheitsbezogene Claims, die sich zwischen Suggestion und Pseudowissenschaft bewegen.
Die Regulierung? Ok, es gibt die EU-Health-Claim-Verordnung, die gesundheitsbezogene Werbeaussagen bremsen soll, aber doch sehr weit gefasst ist. Abgesehen davon, dass die EU bei der Fluktuation auf diesem Markt gar nicht hinterherkommt. Und das Heilmittelwerbegesetz? Naja …
Verbraucherschutzorganisationen versuchen zwar, die schlimmsten Auswüchse einzufangen – doch sie kratzen meist nur an der Oberfläche. Das Ergebnis ist ein Wildwuchs aus Heilsversprechen, der nicht nur medizinisch fragwürdig, sondern gesellschaftlich gefährlich ist. Begriffe wie „natürlich“, „rein“, „aktivierend“ oder „stärkend“ erzeugen medizinische Assoziationen, ohne rechtlich als Heilversprechen zu gelten. Die Anbieter wissen recht genau, wie weit sie gehen können. Und wenn es doch mal vorkommt, dass gegen das Heilmittelwerbegesetz oder die EU-Health-Claim-Verordnung verstoßen wird – wo kein Kläger, da kein Richter. Die Teilnehmer an diesem Markt hacken sich gegenseitig kein Auge aus. Von wegen das reguliert sich von selbst.
Ein Beispiel: Das IZE-Spray von MediaShop
Ein aktueller Fall zeigt, wie absurd die Situation geworden ist: MediaShop bewirbt in einem ausführlichen TV-Spot das sogenannte „IZE Effect Spray“ – ein Mittel gegen Fußprobleme aller Art, von trockener Haut über Pilzbefall bis zu bakteriellen und viralen Infektionen. Die Wirkformel? Wasserstoffperoxid und Vitamin E.
Wasserstoffperoxid ist ein starkes Oxidationsmittel, das in niedriger Konzentration zur Wunddesinfektion verwendet wird – aber bei häufiger Anwendung Hautreizungen und Zellschäden verursachen kann. Vitamin E wiederum ist ein fettlösliches Antioxidans, das typischerweise ölbasiert verabreicht wird – als Spray ist es medizinisch ungewöhnlich und kaum evidenzbasiert.
Und dennoch wird das Produkt mit einer angeblichen „Wirksamkeit von bis zu 99,9 %“ beworben – gegen Pilze, Viren und Bakterien. Eine Zahl, die wissenschaftlich nicht transparent belegt ist, aber emotional wirkt. Das ist kein medizinischer Diskurs – das ist Verkaufspsychologie. Wenn man richtig hinhört, offenbart sich im Werbesprech zudem, dass die antibakterielle und die antivirale Wirkung durch Zufall entdeckt worden ist … Anwendung? Zweimal täglich, auch zur Vorbeugung. Was wohl ein geschulter Dermatologe dazu sagen würde?
Australien zeigt, dass es anders geht
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick nach Australien. Dort unterliegen alle (!) gesundheitsbezogenen Aussagen in der Werbung einer strengen Prüfung durch die Therapeutic Goods Administration (TGA). Selbst Produkte, die nur indirekt mit Gesundheit werben, müssen nachweisbare Evidenz vorlegen. Die TGA kann Werbung untersagen, Produkte vom Markt nehmen und Bußgelder verhängen – und tut das auch. Dem Vernehmen nach liegt die Ablehnungsquote in einer Größenordnung von bis zu 70 Prozent.
Das Ergebnis ist ein Markt, der weniger spektakulär, aber deutlich sicherer ist. Die australische Regierung verfolgt damit eine präventive Strategie, die nicht auf Eigenverantwortung allein setzt, sondern auf institutionelle Kontrolle und Schutz. Warum? Weil der umfassend informierte und deshalb stets rational entscheidende mündige Patient genauso eine Illusion ist wie der Homo oeconomicus der klassischen Wirtschaftswissenschaften, der stets und ständig den Überblick über die Märkte hat und deshalb auch immer rational entscheidet. Das wusste schon der damalige Präsident der Medical Society of London Mitte der 1920er Jahre.
Fazit: Regulierung ist Verantwortung, nicht Bevormundung
Der dritte Gesundheitsmarkt ist kein harmloser Nebenbereich – er ist ein massiver Einflussfaktor auf das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Wer hier nicht reguliert, überlässt die Gesundheit dem Zufall und die Aufklärung dem Werbespot. Es braucht dringend eine neue Debatte über Grenzen, Standards und Verantwortlichkeiten.
Denn Regulierung ist kein Freiheitsverlust – sondern gesundheitspolitische Verantwortung. Und wer das nicht erkennt, wird weiter zusehen müssen, wie Verwesung als „Patina“ verkauft wird.
Aber was solls. Unsereiner würde ja schon drei Tage feiern, wenn es endlich gelänge, Dinge wie die Homöopathie aus dem offiziellen Gesundheitswesen zu entfernen.
Header-Bild: Microsoft Copilot
Schreibe einen Kommentar