Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

„Linksterrorismus als reale Gefahr“ – eine Schräglage


Zwischen Meinung und Manipulation – Wenn Diskursverschiebung zur Strategie wird

Es ist ein alter Trick, aber er funktioniert immer noch: Man nehme ein Randphänomen, überhöhe es sprachlich, setze es in einen alarmistischen Kontext – und schon entsteht ein neues Bedrohungsbild. Die FAZ hat diesen Trick gerade wieder in ihem Meinungsnewsletter (sic!) angewendet, als sie unter dem Titel „Linksterrorismus als reale Gefahr“ über eine linksextremistische Kampagne berichtete und daraus eine vermeintlich akute Gefahr für Staat und Gesellschaft konstruierte. Das ist nicht falsch – aber es ist auch nicht redlich.

Denn wer die tatsächliche Bedrohungslage kennt, weiß: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache.

Zahlen, die nicht ins Narrativ passen

Laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht 2024 wurden in Deutschland:

  • 37.800 rechtsextremistische Straftaten registriert
  • 5.860 linksextremistische Straftaten gemeldet
  • 1.281 rechtsextremistische Gewalttaten
  • 532 linksextremistische Gewalttaten

Das rechtsextremistische Personenpotenzial liegt bei über 50.000, davon 15.300 gewaltorientiert. Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten stieg zuletzt um über 11 %. Linksextremistische Delikte sind hingegen rückläufig.

Diese Zahlen sind nicht bloß Statistik – sie sind Realität. Sie zeigen, wo die tatsächliche Gefahr liegt. Und sie zeigen, wie sehr die mediale Gewichtung davon abweichen kann.

Die diskursive Uminterpretation

Was hier passiert, ist keine bloße Meinungsäußerung. Es ist eine strategische Uminterpretation von Sachverhalten. Die FAZ – und mit ihr andere konservative Leitmedien – verschieben den Diskurs, indem sie Randphänomene überhöhen und dominante Bedrohungen relativieren. Das ist nicht nur analytisch fragwürdig, sondern auch politisch gefährlich. Und passt durchaus zum neuerdings gern verwendeten Begriff einer „Diskursverschiebung nach rechts“.

Denn wer den Begriff „Linksterrorismus“ in den Vordergrund rückt, während rechtsextremistische Netzwerke Waffen horten, Todeslisten führen und Anschläge verüben, betreibt keine Aufklärung – sondern Meinungsmache. Und zwar in einer Weise, die an die diskursive Technik derer erinnert, die man angeblich bekämpft: die gezielte Umdeutung von Realität zur Erzeugung eines gewünschten Weltbildes.

Was Meinung darf – und was sie nicht darf

Natürlich darf ein Medium Meinungen vertreten, solange sie diese von Faktenberichterstattung trennt. Aber es darf nicht die Grenze zwischen Interpretation und Verzerrung überschreiten. Es darf nicht so tun, als sei die Bedrohung durch Linksextremismus gleichwertig oder gar größer als die durch Rechtsextremismus – wenn die Faktenlage das Gegenteil zeigt.

Diese Form der Diskursverschiebung ist nicht bloß ein publizistisches Problem. Sie ist ein demokratisches. Denn sie beeinflusst Wahrnehmung, politische Prioritäten und letztlich auch die Frage, wer als „gefährlich“ gilt – und wer nicht.

Was bleibt

Man muss Linksextremismus nicht verharmlosen, um Rechtsextremismus ernst zu nehmen. Aber man darf ihn auch nicht überhöhen, um ein ideologisches Gleichgewicht zu erzwingen, das mit der Realität nichts zu tun hat.

Die FAZ und ich – wir werden wohl keine Freunde mehr. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn Meinung zur Methode wird – und die Methode zur Manipulation.


P.S.
Man fragt sich, was Frank Schirrmacher zu solchen Formulierungen gesagt hätte.
„Die faschistische Fratze herunterreißen, bis nichts mehr übrig ist“ – ein Satz, der sprachlich implodiert, sobald man ihn ernst nimmt. Wenn Staat und Gesellschaft nur aus dieser Fratze bestehen, ist das Herunterreißen sinnlos. Wenn sie nicht nur daraus bestehen, ist die Aussage falsch.
Spitzfindig? Vielleicht. Aber gerade in der FAZ sollte man erwarten dürfen, dass Sprache nicht zur Karikatur ihrer selbst wird.


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  1. Andreas Lichte

    Wo FAZ drauf steht, ist F… drin.

    Nach Belieben vervollständigen.

    Der Artikel ist kurz, und gut. Wär das nicht was für den „Humanistischen Pressedienst“?

    Ich habe Ihre Artikel ab „Wer den Rechtsstaat nicht mehr aushält“ gelesen – https://hpd.de/autor/udo-endruscheit-14919 –, und fand sie alle sehr gut:

    das „Soziale Gewissen“, das den … keine Ruhe lässt?

    • Lieber Andreas Lichte,
      ist ja immer so eine Sache, was man wo veröffentlicht – wem sage ich das. Wobei ich so etwa die Linie verfolge, dass längere und grundsätzlichere Beitrage für den hpd geeignet und gedacht sind und eher tagesaktuelle, pointierte Texte dem Blog hier. Wobei das natürlich kein Dogma ist.

      ich freue mich sehr über Ihre Aufmerksamkeit für meine Texte!

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