Manchmal stolpere ich im Netz über Kleinigkeiten, die mir sofort ins Auge springen. Neulich war es der Like-Zähler bei Instagram: Oberhalb 9.999 beginnt er neuerdings, mit Nachkommastellen zu „rechnen“. 18.000,0 Likes – ernsthaft?

Man könnte es für eine Petitesse halten, einen Bug aus der Rubrik „so what“. Wahrscheinlich ein fehlgeschlagener Versuch, internationale Schreibweisen zu harmonisieren. Und doch sagt es mehr über unsere digitale Kultur, als man im ersten Moment vermuten mag.

Denn früher wäre so etwas schlicht nicht durchgegangen. Nicht, weil die Menschen perfekter gewesen wären, sondern weil jeder Bitplatz kostbar war. Wer in Assembler oder frühen Fortran-Versionen programmierte, lernte Präzision und Sparsamkeit – nicht als Tugend, sondern als Überlebensstrategie. Die Maschinen hatten schlicht keine Ressourcen, um Nachlässigkeit zu kompensieren. Voyager 1 fliegt bis heute mit Code, der in Fortran geschrieben wurde – robust, präzise, minimalistisch.

Der Kontrast zur Gegenwart könnte größer kaum sein. Heute gilt: Was die Hardware nicht bremst, ist erlaubt. Page Builder in Content-Management-Systemen produzieren HTML-Wüsten, die einen schwindelig machen. Es funktioniert, weil Speicher und Rechenleistung billig sind. Eleganz, Übersichtlichkeit, Effizienz? Längst keine Pflicht mehr, nur noch eine Kür für Nostalgiker. Die Bremse ist allenfalls die Page-Ladezeit im Netz.

Doch Vorsicht: Auch kleine Schlampigkeiten können große Folgen haben. Man erinnere sich an den Absturz der NASA-Mars-Sonde „Mars Climate Orbiter“ im Jahr 1999 – verursacht durch die Verwechslung von metrischen und angloamerikanischen Maßeinheiten. Kein harmloser Like-Zähler-Bug auf Social Media, sondern ein Schaden von 125 Millionen Dollar.

Darum ist es eben nicht egal, ob man Präzision kultiviert oder Nachlässigkeit verharmlost. Sie prägt die Haltung – und die Haltung entscheidet, ob Software zuverlässig bleibt oder zum „Schluderbaukasten“ wird.

Die Lehre? Ob Like-Zähler oder Raumsonde: Softwarefehler sind nie per se „klein“. Ihre Bedeutung ergibt sich aus dem Kontext. Im Social-Media-Bereich gibt’s dafür ein Schmunzeln, in der Raumfahrt einen Totalschaden – und in kritischen Bereichen wie Gesundheitssystem, Finanzwesen oder Infrastruktur geht es unter Umständen um Menschenleben.

Vielleicht ist also ein „Aufmerksamkeitsüberschuss“ gar kein Tick von Nerds und Freaks, sondern die erste Tugend digitaler Sicherheit.

Dass es auch heute noch anders geht, zeigt ausgerechnet Automattic mit dem aktuellen Gutenberg-Editor für WordPress. Trotz Komfort für die Nutzer produziert er erstaunlich sauberen, effizienten Code – fast wie ein nostalgischer Gruß an die Ära, in der Bytes knapp und Entwickler wachsam waren.

Vielleicht ist das die eigentliche Lektion, die man aus einem schiefen Instagram-Zähler ziehen kann: Sorgfalt in der Programmierung ist nie Luxus, sondern Grundhaltung. Und während wir zunehmend Verantwortung an KI-Systeme übertragen, bleibt zu hoffen, dass diese nicht das Schlampige lernen, sondern das Präzise. Denn in kritischen Anwendungen entscheidet am Ende oft kein großer, sondern ein winzig kleiner Fehler über Erfolg oder Katastrophe. Ein Like-Zähler darf runden, ein Navigationssystem zur Marsbahn besser nicht.


Postscriptum
Vielleicht rührt meine kleine Empörung über den schlampigen Insta-Zähler auch von Nostalgie her. Ich erinnere mich daran, wie Programmieren einmal hieß: jedes Bit hüten wie einen Schatz. Voyager 1 funkt seit genau 50 Jahren bis heute aus den Tiefen des Alls – mit einem Bordcomputer, der gerade einmal 69 Kilobyte Kapazität hat. 69 k! Heute produziert ein einziger Klick in einem durchschnittlichen Page Builder mehr Code, als Voyager jemals in seinen Speicher laden könnte.

Vielleicht ist es altmodisch, aber ich halte viel davon, wenn Präzision, Ökonomie und Eleganz auch im digitalen Zeitalter nicht verloren gehen. Und ich hoffe, dass wir das auch künftigen Maschinen – ob künstlich intelligent oder nicht – beibringen: dass Sorgfalt mehr zählt als Schlampigkeit, und Klarheit mehr als bunte Oberflächen.


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Screenshot: Instagram Desktop