Zur semantischen Verflachung eines ethischen Problems

Es gibt Themen, die keine groben Vereinfachungen vertragen. Die medizinische Versorgung am Lebensende gehört dazu. Und doch erleben wir immer wieder, wie komplexe ethische Fragen auf ökonomische Schlagworte reduziert werden – zuletzt durch den Drogenbeauftragten der Bundesregierung, der öffentlich über „Sparmöglichkeiten bei teuren Medikamenten für besonders Alte oder Kranke“ sprach und dabei seinen verstorbenen Vater als Beispiel anführte. Sagen wir es gleich: Thema knapp verfehlt, Kommunikation unterirdisch. Es geht nicht um Einsparung, sondern um Würde. Nicht um pauschale Verzichtsrhetorik, sondern um verantwortliche Fürsorge.
Was hier geschieht, ist die semantische Verflachung eines hochkomplexen ethischen Problems: Die Frage nach medizinischer Sinnhaftigkeit am Lebensende wird zur Kostenfrage umgedeutet – und damit zur Bühne für politische Profilierung. Dass der Sprecher Drogenbeauftragter der Bundesregierung ist, macht die Sache nicht besser. Auch dieses Amt verpflichtet zur Fürsorge und zum Respekt, nicht zur Verwertungsrhetorik.
Ja, es gibt Überversorgung am Lebensende. Und ja, sie ist ein reales Problem – fachlich gut dokumentiert, etwa durch Stimmen wie Prof. Uwe Janssens, im Ärzteblatt, zur kurativen Über- und palliativen Unterversorgung beim Faktencheck Gesundheit, oder in der S3-Leitlinie Palliativmedizin. Aber diese Kritik zielt nicht primär auf Kosten, sondern auf medizinethische Sinnhaftigkeit. Sie fragt: Was hilft dem Menschen? Was belastet ihn? Was entspricht seinem Willen?
Meine eigene Erfahrung mit nächsten Angehörigen hat mir gezeigt, wie schwer es ist, selbst bei klarem mutmaßlichem Willen, als Angehöriger eine Entscheidung zu vertreten. Und wie wenig Prognosen über das Leben verfügen. Sie hat mir auch gezeigt, dass Würde nicht im Verzicht liegt, sondern im verantwortlichen Umgang mit Ungewissheit.
Streecks Anliegen, dass das Gesundheitssystem durch die kurative Überversorgung am Lebensende mit enormen Beträgen belastet wird, ist natürlich völlig richtig. Aber das kann man ja nicht einfach abdrehen. Deshalb kann es nicht sein, dass bei einer solchen Diskussion die ethische Dimension des Themas nicht mitgedacht wird. Beachtung verdient auch die strukturelle Realität, die ursächlich ist für das Problem der kurativen Überversorgung:
- Die Unsicherheit von Ärztinnen und Ärzten, die sich in rechtlich unklaren Situationen nicht angreifbar machen wollen.
- Die emotionale Überforderung von Angehörigen.
- Die Nichtbeachtung von Patientenverfügungen aus juristischer Vorsicht.
- Und nicht zuletzt: das ökonomische Interesse eines stark privatisierten Kliniksektors, der aus teuren Behandlungen bei kurzer Liegezeit Profit generiert.
Wer all das auf „Sparmöglichkeiten bei Alten“ reduziert, betreibt keine Aufklärung, sondern Verwertungsrhetorik in Reinform. Und wer dabei das eigene Amt zur Bühne macht, hat nicht verstanden, worin seine Rolle besteht – oder will es nicht verstehen.
Das Thema der Überversorgung Schwerkranker am Lebensende mit der Aussage zu verbinden, die Bevölkerung gehe „verwenderisch“ mit dem Gesundheitssystem um, ist ohnehin derart schräg, dass dies keines weiteren Kommentars bedarf.
Die Frage ist nicht, ob man über Übertherapie sprechen darf. Die Frage ist, wie man darüber spricht. Wer Fürsorge zur Kalkulation macht, spricht nicht als Beauftragter der Verletzlichen – sondern als Funktionsträger im Dienst einer semantisch entkernten Politik. Und tut damit dem wichtigen Thema der kurativen Überversorgung am Lebensende keinen Gefallen.
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