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Zwischen Mord und Mythos – Warum Charlie Kirk kein Märtyrer ist

Es gibt Momente, in denen Schweigen keine Option ist. Der Mordanschlag auf den US-amerikanischen Rechtsradikalen Charlie Kirk ist ein solcher Moment – nicht nur wegen der Tat selbst, sondern wegen der Reaktionen darauf. Dass jeder gewaltsame Tod zu verurteilen ist, steht für mich außer Frage. Gewalt darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, und Mord ist durch nichts zu rechtfertigen. Und das soll man ruhig auch laut sagen.

Doch was mich fassungslos macht, ist die Art und Weise, wie dieser Mann nun öffentlich verklärt wird – nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande. Die Junge Union postete ein schlichtes „RIP Charlie Kirk“, das als positive Konnotation kaum missverstanden werden kann. In deutschen Medien war von einem „Jungstar der konservativen Szene“ die Rede, von einem „streitbaren Aktivisten“, der angeblich Brücken baute. Dabei liegt angesichts seiner Äußerungen und politischen Aktivitäten klar auf der Hand, wie man ihn einzuordnen hat: Als gewaltbefürwortenden, teils menschenverachtenden ultrarechten Propagandisten.

Der das Bild ergänzende Claim der Jungen Union – „Meinungsfreiheit lässt sich nicht erschießen. Ruhe in Frieden, Charlie Kirk.“ – ist nicht nur eine rhetorische Entgleisung, sondern eine implizite Ehrenrettung für einen Mann, dessen Positionen mit demokratischer Meinungsfreiheit wenig zu tun hatten.

Charlie Kirk hat sich wiederholt für autoritäre Maßnahmen ausgesprochen, Minderheiten diffamiert und Frauenrechte mit einer erschreckenden Kälte verneint. Die Aussage, dass selbst seine zehnjährige Tochter nach einer Vergewaltigung das Kind „selbstverständlich“ austragen müsse, ist nicht nur moralisch abgründig, sondern zeigt, wie weit sich seine Ideologie von jedem Begriff von Menschenwürde entfernt hat. Und dennoch wird er nun – auch hierzulande – mit emotionalisierenden Bildern und suggestiven Formulierungen symbolisch geadelt.

Die Meinungsfreiheitsrhetorik, die dabei bemüht wird, ist – wie in so vielen anderen Zusammenhängen – ein diskursives Schutzschild, das jede Kritik an extremistischen Positionen als Angriff auf die Demokratie umdeutet. Dabei ist es gerade die Demokratie, die durch solche Positionen gefährdet wird. Kirk hat nicht für Meinungsfreiheit gestritten – er hat sie instrumentalisiert, um autoritäre, frauenfeindliche und queerfeindliche Ideologien zu verbreiten.

Wenn eine Organisation wie die Junge Union, die sich historisch als konservativ-demokratisches Gegengewicht zu extremen Strömungen verstand, nun öffentlich einen Mann wie Charlie Kirk mit emotionalisierendem Bildmaterial und einer suggestiven Meinungsfreiheitsrhetorik ehrt, dann ist das mehr als ein Ausrutscher. Es ist ein symbolischer Schritt über eine Grenze, einen Rubikon, die lange als unüberschreitbar galt.

Wenn das Meme der Jungen Union auf einen ersten Blick mit einer Aktion der Jungen Alternative verwechselt wird, wie es eine erschrockene Insta-Posterin von sich selbst berichtet, dann ist nicht nur die Bildsprache verrutscht. Dann ist etwas im politischen Kompass aus dem Lot geraten.

Die politische Instrumentalisierung – Trumps Symbolpolitik

Besonders grotesk wird die Lage durch die Reaktion von Donald Trump, der den Anschlag ohne jeden Beleg der „radikalen Linken“ zuschrieb. Eine „radikale Linke“ in den USA, die in nennenswerter organisierter Form existiert, ist ohnehin kaum nachweisbar. Doch Fakten spielen in dieser Rhetorik keine Rolle. Trump ließ die Flaggen auf Halbmast setzen, sprach von einem „großartigen Amerikaner“ und erklärte Kirk zum „Märtyrer der Wahrheit“ unter gleichzeitigem Aufruf für ein Ende von Hass und Hetze – ein Akt der Symbolpolitik, der weniger mit Trauer als mit gezielter Diskursverschiebung zu tun hat.

Diese Form der politischen Inszenierung ist nicht nur dümmlich, sie ist gefährlich. Sie vernebelt die Faktenlage, kriminalisiert pauschal politische Gegner und macht aus einem rechtsradikalen Agitator eine nationale Ikone. Wer so agiert, betreibt keine Trauerarbeit, sondern Mythologisierung – und das auf Kosten der demokratischen Kultur.

Mediale Verklärung – Wenn Sprache zur Nebelmaschine wird

Die Art, wie Charlie Kirk in Teilen der deutschen Medien beschrieben wurde, ist ein Lehrstück für diskursive Verharmlosung. Begriffe wie „Jungstar der konservativen Szene“, „streitbarer Aktivist“ oder gar „Brückenbauer“ suggerieren eine politische Normalität, die mit Kirks tatsächlicher Agenda nichts zu tun hat. Wer sich über Jahre hinweg für die Abschaffung von LGBTQ-Rechten, die Einschränkung von Meinungsfreiheit und die ideologische Gleichschaltung von Bildungseinrichtungen starkmacht, ist kein Konservativer – sondern ein autoritärer Ideologe.

Diese sprachliche Kosmetik ist keine bloße Nachlässigkeit. Sie ist Teil einer schleichenden Diskursverschiebung, bei der rechtsradikale Positionen in den Bereich des Sagbaren gerückt werden. Die Grenze zwischen konservativ und extrem wird verwischt, und mit ihr die moralische Orientierung. Das Meme der Jungen Union ist wohl das bestürzendste Beispiel dafür. Wer solche Figuren verklärt, trägt zur Normalisierung von Ideologien bei, die demokratische Grundwerte untergraben.

Ethische Verantwortung – Klarheit statt Opportunismus

Gerade in Deutschland, wo die historische Verantwortung gegenüber Faschismus und rechter Gewalt besonders groß ist, darf es keine rhetorische Unschärfe geben. Es ist nicht nur fahrlässig, sondern gefährlich, wenn politische Organisationen wie die Junge Union mit einem „RIP Charlie Kirk“ Anteilnahme signalisieren, ohne sich klar von dessen Ideologie zu distanzieren. Das ist kein Ausdruck von Menschlichkeit – das ist politische Feigheit.

Wer sich auf Rationalität, Evidenz und Humanismus beruft, darf nicht schweigen, wenn rechtsradikale Propagandisten zu Märtyrern stilisiert werden. Es braucht eine klare Sprache, eine klare Haltung – und den Mut, sich gegen die diskursive Verklärung zu stellen.

Klarheit ist keine Härte – sondern Verantwortung

Was sich hier abzeichnet, ist mehr als ein Einzelfall. Es ist ein Symptom für eine gesellschaftliche Entwicklung, in der die Grenzen zwischen demokratischer Meinungsvielfalt und ideologischer Verklärung zunehmend verschwimmen. Der Mord an Charlie Kirk ist zu verurteilen – ohne Einschränkung. Aber die diskursive Überhöhung eines Mannes, dessen politische Agenda offen rechtsradikal war, darf nicht unwidersprochen bleiben.

Es gilt, hier zu reagieren. Nicht mit Empörung, sondern mit Analyse. Nicht mit Parolen, sondern mit Haltung. Doch diese Reaktion bleibt allzusehr aus – vermutlich nicht aus Unwillen, sondern aus einer Unterschätzung der gesellschaftlichen Relevanz. Man sieht den Mord, aber nicht die Mythisierung. Man erkennt die Tat, aber nicht die diskursive Verschiebung, die ihr folgt.

Ich schreibe diesen Text, weil ich nicht schweigen kann. Weil ich gelernt habe, zwischen „rechts“ und „rechtsradikal“ zu unterscheiden – und weil ich weiß, dass Letzteres nie harmlos ist. Wer sich auf die Werte der Aufklärung beruft, muss auch dann klar bleiben, wenn es unbequem wird. Und wer sich dem Humanismus verpflichtet fühlt, darf nicht zulassen, dass Gewaltverherrlicher zu Märtyrern stilisiert werden.


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„Linksterrorismus als reale Gefahr“ – eine Schräglage

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  1. Bluesmaker

    In dieser bislang undurchsichtigen Gemengelage, halte ich diese Kolumne von Christian Stöcker für ziemlich inforamativ:

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/attentat-auf-charlie-kirk-zweifel-an-linker-ideologie-von-tyler-robinson-als-motiv-a-2da6fe8d-9060-4fcd-b621-1a609189ba86

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