
Vor wenigen Tagen fand ich in meinem Blogpostfach eine bemerkenswerte E-Mail. Der Absender: ein offenbar engagierter Mensch aus dem Ausland, der sich selbst als Mittler einer kleinen, vielversprechenden therapeutischen Entdeckung versteht, offenbar im Agentursinne auf der Suche nach einem Geschäftsmodell. Die Botschaft war klar: Ein niedersächsischer Arzt behandle Long Covid und Post-Vac erfolgreich – mit einem „altbekannten, sicheren Peptid“ an nicht mal einer Handvoll Patienten. Ganz ohne Studien, aber angeblich mit verblüffenden Erfolgen. Und mit großem Unverständnis dafür, dass sich niemand dafür interessiere: keine Universitätsklinik, keine Krankenkasse, keine Fachgesellschaft. Stattdessen angeblich Misstrauen, Trägheit, Ignoranz.
Was folgte, war eine Tirade gegen die „Paranoia“ der Patienten, die Inkompetenz der Forschungsstiftungen und die Mutlosigkeit der Ärzteschaft. Und natürlich: gegen die großen Pharmakonzerne, die angeblich verhindern, dass kleine Entdeckungen groß werden. Alles, was fehlte, war das Stichwort „Big Pharma“. (Es fiel aber quasi implizit.)
Das Ganze kulminierte in der Frage, ob ich nicht helfen könne, „drei oder vier weitere Patienten“ für die Behandlung zu gewinnen. Am besten in der Region Göttingen oder Paderborn. Oder notfalls auch anderswo.
Was soll man darauf antworten?
Vielleicht dies: Dass individuelle Heilversuche zwar unter der Voraussetzung lückenloser und dokumentierter Patientenaufklärung durch die ärztliche Therapiefreiheit gedeckt sind – aber noch lange keinen Erkenntnisgewinn darstellen. Dass niemandem geholfen ist, wenn anekdotische Beobachtungen als Beleg für Wirksamkeit verkauft werden. Dass selbst das beste Peptid keine komplexe Multisystemerkrankung wie ME/CFS oder Long Covid „lösen“ kann – jedenfalls nicht ohne eine klare Pathophysiologie, nachvollziehbare Mechanismen und systematisch gewonnene Daten.
Und vor allem gäbe es durchaus Wege, solche Beobachtungen ernsthaft zu prüfen. Es gibt Fachzeitschriften für Fallberichte (Case Reports), es gibt Register für individuelle Heilversuche beim BfArM, es gibt ethisch tragfähige Vorgehensweisen. Wer das alles umgeht – und sich stattdessen beklagt, dass die Welt nicht auf ihn hört –, der darf sich nicht wundern, wenn seine Entdeckung im Schatten bleibt, allenfalls irgendwann dubiosen Geschäftsmodellen in die Hände fällt und vom „dritten Gesundheitsmarkt“ aufgesogen wird, der sich auf Werbeseiten von unterklassigen Periodika abspielt . Es ist nicht die Schuld der Medizin, wenn jemand sich dem wissenschaftlichen Diskurs verweigert.
Fazit: Die Legende vom verkannten Heilsbringer lebt weiter.
Was bleibt, ist die immer gleiche Geschichte: Ein Einzelner mit einer Idee. Eine Welt, die nicht zuhört. Und eine implizite Verschwörung der „offiziellen Stellen“. Das alles klingt heroisch – ist aber meist das Gegenteil von verantwortungsvoll. Denn wer glaubt, allein die Wahrheit gepachtet zu haben, verkennt, wie wichtig belastbare Belege, reproduzierbare Ergebnisse und kollektive Überprüfung für den medizinischen Fortschritt sind.
Der Mailschreiber insistierte noch mehrfach auf seinem Standpunkt. Dabei artikulierte er immer mehr sein Unverständnis, es handele sich doch um einen approbierten Arzt und man habe sich doch mit den Versuchen beim BfArM registrieren lassen!!! Nun, weder das eine noch das andere führt zu Erkenntnisgewinnen im wissenschaftlichen Sinne. Leider war der gute Mann zum Schluss, trotz (oder wegen?) meiner Erklärungsversuche – beleidigt …
Zum Weiterlesen auf diesem Blog – hätte der Anfrager diesen Beitrag gelesen, hätte er vielleicht gemerkt, dass er ausgerechnet bei mir mit seinem Anliegen an der falschen Adresse war: