Liebe Leserinnen, liebe Leser,

mir liegt etwas sehr am Herzen, an das ich heute dringend erinnern möchte. Etwas, dessen enorme Bedeutung für die Homöopathiediskussion mir viel zu sehr untergegangen scheint, obwohl durchaus einschlägig darüber berichtet wurde.  Ich spreche von dem Verdikt, das Anfang des Jahres von der Russischen Akademie der Wissenschaften über die Homöopathie gefällt worden ist.

Zentralgebäude der Russischen Akademie – das “Goldene Hirn”

Der Kernsatz hier noch einmal zum Hinter-die-Ohren-Schreiben:

“Dieses Memorandum stellt fest, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft Homöopathie heute als Pseudowissenschaft betrachtet. Ihre Verwendung in der Medizin steht im Gegensatz zu den grundlegenden Zielen der nationalen Gesundheitspolitik, daher sollte ihr öffentlicher Widerstand entgegengesetzt werden.”

Die wissenschaftliche Gemeinschaft, wohlgemerkt, nicht die russische, die weltweite ist hier gemeint!

Den Text des Memorandums sowie des zugehörigen Gutachtens findet man in deutscher Übersetzung auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie. Einigermaßen lang, aber lesenswert.

Zu meinem Bedauern war die Reaktion der Öffentlichkeit hierauf und sogar in der kritischen Szene eher verhalten.  Das hat mich doch ein wenig überrascht und enttäuscht. Ok, dass die Politik dies nicht zur Kenntnis nehmen würde, war ja zu erwarten – erstens ging es ja bloß um Russland und zweitens war man bereits zur Zeit dieser Veröffentlichung sicher schon mit dem Abfassen von Grußworten für pseudomedizinische Jubelveranstaltungen anderweitig beschäftigt.

Dabei ist die Bedeutung des russischen Memorandums gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die Russische Akademie der Wissenschaften, eine weltweit anerkannte Vereinigung von hochrangigen Wissenschaftlern, macht sich nach einem umfassenden Gutachterverfahren explizit die Ansicht des ganz überwiegenden Teils der wissenschaftlichen Welt zu eigen, dass Homöopathie eine Scheintherapie ohne eigenen therapeutischen Wert ist und zieht daraus den konsequenten Schluss, sie aus dem öffentlichen Gesundheitswesen und aus der medizinischen Ausbildung zu verbannen. Die Akademie beruft sich ausdrücklich auf die einschlägigen weltweiten Veröffentlichungen und Reviews, die die Grundlage jeder wissenschaftlich orientierten Homöopathiekritik sind, egal wo. Sie liefert also sozusagen ein Meta-Review ab. Und, was genauso oder vielleicht noch wichtiger ist:

Die RAS stellt klar, dass die Homöopathie elementaren Grundsätzen wissenschaftlicher Erkenntnis und Erkenntnisfindung nicht gerecht wird und werden kann. Sie erteilt dem gebetsmühlenartigen Mantra, entweder sei die Wissenschaft “noch nicht so weit” oder gar überhaupt nicht geeignet zur Beurteilung der Homöopathie, eine klare Absage:

“Die Gesamtschau der Fakten … über die Ergebnisse der klinischen Studien bis zu den modernen wissenschaftlichen Vorstellungen über die Struktur der Materie, den chemischen Grundlagen der intermolekularen Wechselwirkungen und der menschlichen Physiologie – ermöglicht uns die Schlussfolgerung, dass die theoretischen Grundlagen der Homöopathie keinen wissenschaftlichen Sinn haben und demzufolge homöopathische Diagnose und Behandlungsmethoden wirkungslos sind.”

Mit anderen Worten: Wir wissen genug, um definitiv sagen zu können, dass eine spezifische Wirkung der Homöopathie weder existiert noch überhaupt denkbar ist. Sie gehört nicht einmal mehr zu den berühmten Dingen “zwischen Himmel und Erde” – sie hat längst eine Bruchlandung gemacht.

Was mich auch veranlasst, diese Sache nochmals aufzugreifen: Ich habe des Öfteren im Austausch auch mit homöopathiekritischen Diskussionspartnern erlebt, dass tatsächlich Vorbehalte im Sinne des oben schon kurz erwähnten “bloß Russland…” bestehen. Mehr oder weniger unbewusst, gelegentlich artikuliert. Tatsächlich.

Das ist ein völlig ungerechtfertigtes Vorurteil. Die Russische Akademie der Wissenschaften gehört zu den anerkanntesten Institutionen wissenschaftlicher Forschung weltweit. Sie ist der Kopf und die Koordinatorin des Forschungsgeschehens in der russischen Föderation. Sie ist eine staatliche Organisation, aber nicht mehr als jede private Institution den allgemeinen Gesetzen unterworfen. Sie gibt sich ihre Statuten selbst und führt in eigener Verantwortung und Zuständigkeit die Aufsicht über Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen. Sie ist der internationalen Zusammenarbeit verpflichtet und betreibt in diesem Zusammenhang eine Reihe von internationalen Forschungszentren in Russland. Mit nahezu allen großen Forschungseinrichtungen weltweit bestehen Kooperationen. Viele Wissenschaftler, die Mitglied der Russischen Akademie sind, forschen und arbeiten im Ausland. Viele Akademiemitglieder sind Träger von Funktionen und Auszeichnungen von Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen weltweit und unterrichten vielfach auch dort. Allein der Erstunterzeichner des Memorandums, Vladimir Anisimov, ist neben seinen Funktionen in Russland bestellter WHO-Experte für die Erforschung von Tumorerkrankungen, Experte der Internationalen Agentur für Krebsforschung und Fachbeirat beim Programm der Vereinten Nationen zur medizinischen Forschung über das Altern. Auch etliche weitere Unterzeichner von Memorandum und Gutachten sind international tätige Wissenschaftler mit entsprechendem Renommee.

Es gibt also keinerlei Anlass zu irgendeiner Geringschätzung des Memorandums. Es ist ein fundiertes und eindeutiges Urteil einer höchstrangigen wissenschaftlichen Institution.

All das hat allerdings einen Mitspieler auf dem Homöopathie-Parkett nicht davon abgehalten, das Memorandum aus Russland mal eben so im Vorbeigehen zu diskreditieren: Den Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte. Naja, man kann ja wohl vom Zentralverein keine Begeisterungsstürme erwarten. Auf der Seite des Informationsnetzwerks Homöopathie gibt es eine angemessene Replik dazu.  Die möchte ich an dieser Stelle noch ein wenig ergänzen, nämlich mit ein paar Details zu den beiden Koryphäen, die nach dem Statement des Zentralvereins die Fahne der Zuckerkugelfraktion unbeirrt hochhalten und deshalb als Märtyrer der guten Sache verkauft werden:

Gennadi Onischtschenko war oberster Amtsarzt Russlands und bis Ende 2013 Leiter der „Föderalen russischen Behörde für den Schutz von Konsumentenrechten und das menschliche Wohlergehen“. Er warnt laut „Deutsche Welle“ davor, „gegen die Homöopathie mit dem Schwerte zu fuchteln.“ Es gebe in der Medizin vieles, was „nicht erklärbar“ sei. Auch innerhalb der RAW gibt es Kritik am geforderten Homöopathie-Verbot. Wadim Zilow – ein Neurophysiologe von der Moskauer Universität und Mitglied der RAW – sprach sich für eine „Existenzberechtigung“ der Homöopathie aus.

Zitat Stellungnahme DZVhÄ

Was hat es mit den genannten Herren auf sich?

Gennadi Onischenko ist in Russland allgemein bekannt, weil er viele Jahre der Leiter der staatlichen Sanitärinspektion war, also der oberste Gesundheitsaufseher des Landes. Als oberster Sanitätsinspektor war er sich nicht zu schade, sich dazu herzugeben, Produkte aus Ländern zu verbieten, die als missliebig oder als “Beleidiger Russlands” galten – georgischen Wein, ukrainischen Käse, belarussische Milch und dergleichen. Er galt zuletzt als mehr oder weniger untragbar, inzwischen ist er nicht mehr in Amt und Würden. Seine Meinung zur Homöopathie hat er nach der Geschichte mit dem Schwertfuchteln einigermaßen geändert. In einem neuen Interview (russisch) äußert er sich plötzlich dahin, dass das Memorandum der Akademie und deren Empfehlungen eine “gute Aktion” seien und es tatsächlich keine Daten gebe, die eine Wirksamkeit der Homöopathie bestätigen. Er schränkt allerdings ein – das sei ihm als Rückzugstaktik zugestanden- wenn Arzt und Patient daran glauben, könne Homöopathie immer noch eine gute Sache sein… Bei alledem ist er allerdings fest davon überzeugt, dass es so etwas wie einen Placeboeffekt nicht gibt. Soweit zu seiner wissenschaftlichen Expertise…

Kronzeuge eins schon mal um… äh, ausgefallen, lieber Zentralverein.

Wadim Zilow (richtig: Silow) ist der Leiter der Abteilung “Nichtinvasive Medizin” (also Internistik) der Medizinischen Hochschule der Universität Moskau. Unter seiner Regie wurden bislang Postgraduate-Kurse und Extrakurse für Studierende in Hömöopathie als Pflichtveranstaltungen gegeben.  Von Postgraduates dieser Kurse ging ursprünglich die Petition gegen die Homöopathie als Lehrinhalt aus, die sozusagen der Kristallisationspunkt für das Tätigwerden der Kommission der Akademie zur Bekämpfung von Pseudowissenschaft war. Da sich also im Grunde das Memorandum genau gegen seine Aktivitäten richtete, hat er selbstverständlich einen Interessenkonflikt. Bei dieser Konstellation war wohl kaum zu erwarten, dass er sich auf die Seite des Memorandums schlagen würde – er ist aber ebenso lautstark wie logikbefreit am Werk. Seine öffentlichen Äußerungen widersprechen sich ständig. So führt er z.B. an einem Tag aus, Beweise für die Homöopathie seien überhaupt nicht nötig und einige Tage später ist er der Ansicht, es lägen eindeutige ausreichende Beweise vor… Wer russisch kann, mag sich von seiner Expertise anhand dieses Interviews überzeugen. Das als Überschrift mal gleich ein Statement von ihm trägt: “Bei der ganzen Sache geht es um die Auswirkungen energetischer Informationen!” Den Text zu lesen, ist kaum zu ertragen – es geht von der Leugnung der Studienlage über Albert Einstein als Kronzeugen für das Simileprinzip, den Energieinformationsquatsch bis hin zum Wassergedächtnis…
Wir kennen so etwas.

Kronzeuge zwei wegen nachgewiesener schwerer Befangenheit ebenfalls ausgefallen.

Tja. Ich wollte das nur mal den bisherigen Informationen hinzugefügt haben.

Ich möchte nach alledem die Bedeutung des russischen Memorandums für die Homöopathiekritik, ganz besonders für die Einordnung der Homöopathie in den Rahmen der Gesundheitspolitik, noch einmal in aller Deutlichkeit hervorheben. Deutschland ist als Land mit hohem wissenschaftlichem Anspruch, das gleichwohl die Homöopathie im öffentlichen Gesundheitssystem verankert hat, langsam isoliert.   Wem die hier vorgetragenen Argumente und Umstände immer noch nicht ausreichen, der möge sich den Beitrag von Prof. Edzard Ernst auf Spectator Health mit dem Titel “The debate about homeopathy is over. These verdicts prove it” vom 9. Juni 2017, anschauen, mit dem er belegt, dass allein die Übersicht über die international fehlende wissenschaftliche Reputation der Homöopathie schon jenseits jeder Detaildebatte ausreichen müsste, um selbst dem verständnislosesten Gesundheitspolitiker klar zu machen, dass Deutschland sich auf einem Holzweg befindet.

Also – ich für mein Teil bin es wirklich langsam leid. Endlich kapiert? Die Homöopathie-Debatte ist beendet! Gesundheitspolitiker, setzt euch also hin und macht endlich eure Hausaufgaben! Oder müssen wir allen Ernstes extra Herrn Pofalla holen, um die Debatte offiziell für beendet erklären zu lassen?


Bildnachweis: Photograph, with permission, by Nataliya Sadovskaya, aus: Gelfand M: Doing Science in Uncertain Times. PLoS Biol 2/7/2004: e214. doi:10.1371/journal.pbio.0020214, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1374399