Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

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Welcome Idiocracy!

NY Times, Breaking News 04.02.2024, 17:01 MEZ

Nach zweitägiger Anhörung im vorbereitenden Senatsausschuss hat dieser nun eine Empfehlung zur Bestätigung des Impfgegners und Hirnwurmträgers Robert F. Kennedy Jr. als US-Gesundheitsminister abgegeben. 14 zu 13 Stimmen, wenigstens das. Entlang der Parteigrenzen, wie die NYT schreibt. Kein Zweifel, dass der Senat nun die Nominierung durchwinken wird.

Ich will mich hier gar nicht aufregen (ich versuche es jedenfalls). Aber man wird festhalten müssen, dass wir hier etwas erleben, das in höchstem Grade absurd und irreal ist. Ich gestehe, dass ich mich unter keinen Voraussetzungen irgendwie in die Abgeordneten hineinversetzen kann, die RFK jun. tatsächlich für geeignet halten, als Gesundheitsminister der größten Industrienation der Welt zu fungieren. Ich verfolge RFK’s „Karriere“ schon lange, aber dass es einmal dazu kommen könnte, das kam in meinen schlimmsten Albträumen nicht vor.

Dabei sah es zeitweilig während der Anhörung (die ich zu großen Teilen live verfolgt habe) danach aus, als würde Kennedy in echte Bedrängnis geraten. Immer wenn es um das Impfthema ging, verlor er den Boden unter den Füßen – und ähnlich wie sein Kumpel Andrew Wakefield (genannt Fakefield, der als der größte Medizinbetrüger des 20. Jahrhunderts gilt), gab er zu Protokoll, er sei ja gar kein Impfgegner. Es gelang seinen Sidesteps aber immer wieder, die Anhörung auf sozusagen neutrales Terrain zu verlagern – so nahmen Kennedys Ideen zu Ernährungsfragen breiten Raum ein. Auch hier gab er ziemlichen Unsinn von sich, was aber offenbar zu keiner Beunruhigung im Anhörungsausschuss führte. Der Vorsitzende, Mr. Cassidy, selbst Arzt, setzte ihm auch ordentlich zu. Allein – vergebens.

Nun, seine Eskapaden, die ihn als einen der krassesten Impfgegner des Planeten überführen, würden ein Buch füllen. Deshalb hier nur ein Hinweis auf einen Artikel hier auf diesem Blog – und eine Story, deren genaue Einzelheiten offenbar bis vor kurzem unbekannt waren.

Die wüste Geschichte, dass die WHO mit Impfungen in Afrika beabsichtigt habe, im großen Stil Sterilisierungen von Frauen durchzuführen, habe ich hier ausführlich beschrieben. Bob und Andy haben hier zusammengewirkt – manipulativ, voller Lügen und mit der offensichtlichen Absicht, Impfen generell und die WHO gleich mit zu diskreditieren. Und auf was für eine Art und Weise! Zudem billig. Früher haben sie noch ihre eigenen Lügen verbreitet, bei dieser Geschichte haben sie nur eine uralte urban legend aufgewärmt. Alles beschrieben in meinem Blogpost.

Robert F. Kennedy Jr. und der Masernausbruch in Samoa

Im Jahr 2018 erlebte das kleine Samoa einen schweren Masernausbruch, bei dem zahlreiche Menschen, hauptsächlich Kinder, starben. Die Tragödie wurde durch niedrige Impfraten verschärft, die teilweise auf Impfstoff-Skepsis zurückzuführen waren. Katastrophal war zusätzlich, dass zwei Kleinkinder während der Impfaktion verstarben. Es stellte sich zwar heraus, dass dies durch die Unachtsamkeit von zwei Krankenschwestern veursacht war (beide wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt). Die erste Reaktion war jedoch, dass die Skepsis gegenüber dem Impfstoff weiter zunahm. Die Impfungen wurden zunächst ausgesetzt, eine Weile später zwar wieder aufgenommen, aber so gut wie gar nicht nachgefragt.

Robert F. Kennedy Jr. besuchte im Juni 2019 Samoa und traf sich mit lokalen Impfgegnern, darunter Taylor Winterstein und Edwin Tamasese. Er nutzte die tragischen Todesfälle der beiden Säuglinge im Jahr 2018, um noch mehr Zweifel an der Impfsicherheit zu säen. Diese Desinformationskampagne führte zu einem weiteren drastischen Rückgang der Impfraten und bereitete den Boden für den nächsten Masernausbruch 2019 (erwartbar bei einer Durchimpfungsrate bei Kindern um die 30 Prozent), bei dem 83 Menschen, hauptsächlich Kinder, starben. Kennedys Handeln wurde vielfach als besonders verwerflich kommentiert, da er bewusst falsche Informationen verbreitete und die öffentliche Gesundheit gefährdete, was zu vermeidbaren Todesfällen führte. Er bezeichnete die Situation als eine Gelegenheit, die Auswirkungen von Impfungen und Nicht-Impfungen zu beobachten. Also als einen „Feldversuch“ mit menschlichen Probanden – so ziemlich der unterste Sumpf unverantwortlichen und unethischen Handelns. Er versuchte offenbar, die Verantwortlichen auf Samoa von seiner „Idee“ zu überzeugen, einer Idee, die er auch schon in den USA propagierte. Medizinethische Grundsätze trat er dabei mit Füßen, ohne schamrot zu werden.

Braucht es noch mehr, um zu belegen, dass RFK jun. einer der gefährlichsten Impfgegner auf diesem Planeten ist? Details finden sich hier bei den NBC News vom 24. Januar 2025.

Noch ein bisschen Dystopie

Was genau macht eine Ernennung von RFK jun. zum Gesundheitsminister so brisant?

Sein tiefes Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Institutionen und sein Hang zu Verschwörungstheorien könnten in einer solchen Position immensen Schaden anrichten. Sein Bild von Gesundheitsinstitutionen scheint stark von ideologischen Feindbildern geprägt zu sein, anstatt von realistischen Einschätzungen über deren Funktion und Bedeutung.

Das NIH (National Institutes of Health) beispielsweise ist in erster Linie ein Forschungsinstitut und keine bürokratische Behörde. Es ist eines der weltweit führenden Zentren für biomedizinische Forschung und hat entscheidend zur Entwicklung von Impfstoffen, Krebstherapien und anderen medizinischen Durchbrüchen beigetragen. RFK Jr.s mehrfach geäußerte Vorstellung, dass es sich dabei um eine Art Verwaltungsapparat handelt, den man „aufräumen“ könne, zeigt eine erschreckende Unkenntnis und legt nahe, dass er nicht einmal eine realistische Vorstellung davon hat, welche Arbeit dort geleistet wird.

Seine mögliche Strategie des „Lahmlegens“ der Gesundheitsinstitutionen könnte massive Folgen haben – von einer Verzögerung in der Medikamentenentwicklung bis hin zu einer möglichen Destabilisierung von Impfprogrammen und der Pandemievorsorge. Das erinnert an Trumps ersten Gesundheitsminister Tom Price, der als erklärter Feind von „Big Government“ das Gesundheitsministerium von innen heraus geschwächt hat – aber RFK Jr. geht ideologisch noch deutlich weiter.

Die Ironie dabei ist, dass Trump selbst vor der COVID-19-Pandemie oft für seine Nähe zu Impfgegnern kritisiert wurde, aber dann mit Warp Speed eine beispiellose Impfkampagne gestartet hat. Ein Gesundheitsminister RFK jun. würde das möglicherweise nicht nur wissenschaftliche Institutionen schwächen, sondern auch ein riesiges politisches Eigentor für ihn selbst bedeuten – denn massive Krankheitsausbrüche und eine verschlechterte Gesundheitsversorgung werden auch seine Wähler nicht kaltlassen.

Die Frage ist nur: Wie viele Kollateralschäden wird es bis dahin geben? Versuchen wir einen Ausblick.

Kurzfristig (innerhalb der ersten Monate)

Institutionelles Chaos: Falls RFK Jr. tatsächlich Minister wird, könnte er innerhalb kurzer Zeit wichtige Führungsposten mit Gleichgesinnten besetzen oder Experten entlassen, die er für Teil der „korrupten Elite“ hält. Das könnte das NIH, die CDC oder die FDA lähmen und zu Verzögerungen bei wichtigen Maßnahmen führen.
Symbolische Anti-Establishment-Entscheidungen: Er könnte beispielsweise Forschungsgelder für Impfprogramme oder Pandemievorsorge kürzen, während er gleichzeitig Pseudowissenschaftler fördert.

Mittelfristig (nach 1-2 Jahren)

Einbruch der Impfquoten: Wenn RFK Jr. weiterhin Anti-Impf-Rhetorik betreibt oder Impfprogramme de-priorisiert, könnte das dazu führen, dass weniger Menschen Impfungen in Anspruch nehmen – insbesondere gegen Masern, Grippe oder COVID-19. Erste Krankheitsausbrüche könnten auftreten.
Abwanderung von Experten: Falls Gesundheitsinstitutionen durch politischen Druck geschwächt werden, könnten hochkarätige Wissenschaftler in andere Länder oder in den Privatsektor abwandern, was langfristige Schäden für die US-Gesundheitsforschung hätte.

Langfristig (3-4 Jahre oder mehr)

Wiederaufleben von vermeidbaren Epidemien: Falls Anti-Impf-Narrative weiter gefördert werden, könnten Masern, Keuchhusten und andere vermeidbare Krankheiten wieder auf dem Vormarsch sein – mit Todesopfern, die man hätte verhindern können.
Regress in der Pandemievorsorge: Sollte es eine neue Pandemie oder eine besonders gefährliche Virusvariante geben, könnte ein durch Fehlinformationen gelähmtes Gesundheitssystem schlechter darauf reagieren, was unnötig viele Menschenleben kosten würde.

Die Ironie ist, dass die härtesten Konsequenzen meist erst dann eintreten, wenn es zu spät ist, um den Schaden einfach rückgängig zu machen. Deshalb ist es so gefährlich, wenn jemand mit wissenschaftsfeindlicher Agenda systematisch Institutionen untergräbt. Eine gestrichene Forschungsförderung kann oft wieder aufgenommen werden – aber verlorenes Vertrauen in Wissenschaft und Medizin ist viel schwerer zurückzugewinnen.

Wird es Auswirkungen all dessen auch international geben?

Die USA sind einer der größten Geldgeber für weltweite Impfinitiativen wie Gavi (die Impf-Allianz), die WHO-Impfkampagnen und Programme gegen Polio, Masern und andere Infektionskrankheiten.
Falls RFK Jr. als Gesundheitsminister Mittel für solche Programme streicht oder umleitet, könnte das in Entwicklungsländern direkt dazu führen, dass weniger Kinder geimpft werden. Besonders betroffen wären Afrika und Südasien.
Ein negatives Beispiel ist die Trump-Administration, die 2020 die WHO-Finanzierung gekappt und dies gerade wiederholt hat – schon seinerzeit mit spürbaren Folgen.

Stärkung der Anti-Impf-Bewegung in Europa
RFK Jr. ist bereits eine Ikone für Impfgegner in Europa. Seine Ernennung wäre ein massiver Legitimationsschub für die Szene.
Viele europäische Impfgegner haben die Corona-Pandemie genutzt, um eine allgemeine wissenschaftsfeindliche und staatskritische Haltung zu etablieren. Ein prominenter Impfgegner in einer so hohen Position könnte ihre Radikalisierung weiter fördern. Gerade in Ländern wie Deutschland, Frankreich und Österreich, wo Impfmüdigkeit ohnehin ein Problem ist, könnten RFK Jr.s Aussagen gegen mRNA-Impfstoffe (und Impfstoffe allgemein) als „amtliche Bestätigung“ missverstanden werden.

Rückhalt für pseudomedizinische Strömungen weltweit
RFK Jr. ist nicht nur gegen Impfungen, sondern auch ein Verfechter anderer pseudomedizinischer Ansätze, die er als „natürliche Heilmethoden“ verkauft. In Ländern mit starken Alternativmedizin-Lobbys (z.B. Deutschland mit der Homöopathie-Industrie oder Indien mit Ayurveda) könnte seine Ernennung als Argument für eine Gleichstellung von Pseudomedizin mit evidenzbasierter Medizin dienen.
Das könnte sich auf politische Entscheidungen auswirken – z.B. dass Homöopathie weiterhin von Krankenkassen erstattet wird oder dass Alternativmedizin verstärkt in medizinische Curricula einfließt.

Wissenschaftsfeindliche Narrative als US-Export
Die USA haben durch Hollywood, Social Media und Nachrichtenmedien eine immense globale Meinungsführerschaft. Ein Gesundheitsminister, der wissenschaftsfeindliche Positionen vertritt, würde diese in den Mainstream heben und ihnen eine staatliche Glaubwürdigkeit verleihen.
In vielen Ländern könnten Medien und Politiker auf den Zug aufspringen, um eigene politische Agenden zu pushen.

Fazit

Die Gefahr ist real und global. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein politisches Ereignis in den USA extremistische oder verschwörungsideologische Bewegungen weltweit verstärkt. Dabei geht es um weit mehr als um schlichten Populismus. RFK Jr. würde konkret die Gesundheitspolitik einer Supermacht beeinflussen, mit direkten Auswirkungen auf Impfprogramme, Wissenschaftspolitik und das globale Vertrauen in evidenzbasierte Medizin.

Das Risiko ist also nicht nur theoretisch, sondern könnte in einigen Jahren ganz praktisch Menschenleben kosten – auch außerhalb der USA.

2017 O-Ton Robert F. Kennedy Jr.

Neue Lügen von Andy und Bob!

Der Andy – ist der Ruf erst ruiniert …

Wenn jemand glaubt, nach all den Ereignissen der letzten Jahre sei das Anti-Vaxx-DreamTeam mit dem Jahrhundert-Medizinbetrüger Andrew Wakefield und dem Attorney of FakeNews Robert Kennedy jun. endlich mal abgetaucht, der täuscht sich sehr. Sie setzen ihre Anti-Vaxx-Wühlarbeit unbeirrt fort. Immerhin muss ja Kennedy jr.’s unsägliche Childrens Health Defense-Organisation (gemeinützige Impfgegner-Bullshitschleuder) auch für etwas gut sein.  Die beiden verfolgen dabei weiter ihre „bewährte“ Taktik, den Menschen mit Falschinformationen, sagen wir ruhig: glatten und dreisten Lügen Angst einzujagen und ihnen Schaden zuzufügen. Gewissenlos eben. Sollen wir uns freuen, diese alten Bekannten aus den Frühzeiten dieses Blogs wiederzutreffen? Ich hätte drauf verzichten können, aber alte Bekanntschaft verpflichtet eben. Daher dieser Beitrag.

Logo Children’s Health Defense . eine Art Rotkäppchens Wolf getarnt als Kinderschutzorganisation

Aktuell verteilen sie einen halbstündigen „Dokumentarfilm“ (Veröffentlichungsdatum 19.06.2022) auf kleineren Videoplattformen (weil sie bei YouTube, Vimeo & Co. vermutlich damit nicht mal über den automatischen Spamfilter rauskämen). Unter dem Titel „INFERTILITY BY VACCINATION: A DIABOLICAL AGENDA – ROBERT F KENNEDY JR & ANDY WAKEFIELD“. Na, wir wollen mal sehen, wer hier eine „diabolische Agenda“ verfolgt.

Worum geht es?

Um den Claim, dass die WHO in Afrika 2014 Tetanus-Impfkampagnen mit der Absicht durchgeführt habe, Frauen zu sterilisieren.

Echt jetzt? Die WHO? Ja … und die katholische Kirche hat gar diesen epischen Skandal aufgedeckt! Himmel!!!

Der Film der beiden Profi-Lügner ist gar nicht so schlecht gemacht, er wirkt recht authentisch und hat – jedenfalls am Anfang – durchaus eine wissenschaftliche Anmutung. Der Beginn will offenbar gar andeuten, die zurückgehenden Geburtenraten allgemein (z.B. in den USA und Australien) seien bereits ein Ergebnis perfider Strategien. Die in Kenya auftretenden Protagonisten aus jüngerer Zeit, durchweg einfache Leute, machen den Eindruck, als seien sie tatsächlich überzeugt von dem, was sie da erzählen. Das mag durchaus so sein. Geschickt verdichtet sich der Film dann, mit Schnitten auf alte Aufnahmen und Statements, zu einer wirklich massiven Verschwörungserzählung, mit der offenbaren Absicht, nicht nur die Impfbereitschaft der Menschen zu untergraben, sondern von der WHO bis zu den lokalen Behörden alles zu diskreditieren, was irgendwie mit Impfen zu tun hat.

Aber wir wollen nicht gleich polemisch werden, sondern uns die Sache mal näher anschauen. Wie erwartbar, werden solide wissenschaftliche Belege nicht angeführt, Shownotes (also Belegquellen) zum Video gibt es natürlich nicht. Im Film wird behauptet (und von „Zeugen“ bestätigt), dass Labore den zur Sterilisierung notwendigen Inhaltsstoff (das Schwangerschaftshormon HCG) nachgewiesen hätten – wenn auch nicht in einem irgendwie nachvollziehbaren Muster. Suchen wir mal in den einschlägigen Medizindatenbanken nach Details zu dieser Geschichte.

Oha! Schon werden wir bei PubMed/NCBI fündig. Aber was ist das? Ein magerer Abstract zum Themenkreis (Tetanus vaccine may be laced with anti-fertility drug. International / developing countries) schon aus 1995 (interessant – wir kommen ganz am Schluss darauf zurück), der auf keinerlei Belege verweist und nicht einmal Autorennamen trägt („No authors listed“), also im wissenschaftlichen Sinne weniger Bedeutung hat als ein Kaugummipapier? Wie ist das auf PubMed gelandet? (Natürlich durch die Assoziation von PubMed mit der Ursprungsveröffentlichung. Die war bei Vaccine Weeky, einem Journal, dem nur ein kurzes Dasein beschieden war – nach den Angaben bei Scimago von 1994 bis 1996. Mit einem h-Index von 1, also sozusagen nicht vorhanden.)

Also mal weiterschauen. Siehe da! „HCG Found in WHO Tetanus Vaccine in Kenya Raises Concern in the Developing World“ – veröffentlicht im Open Access Library Journal (und nicht PubMed-gelisted), ein Journal, das jedermann/frau die Option bietet, gegen einen kleinen Obolus von USD 99 ein Paper zur Submission einzureichen. Natürlich alles völlig seriös, versteht sich.

Und hier finden wir nun die ganze Geschichte, das Drehbuch sozusagen, das unsere Freunde Andy und Bob filmisch so schön umgesetzt haben, damit nun endlich alle Welt davon erfahre, welche perfiden Übeltäter sich der Impfung bemächtigen, um die Menschheit zu dezimieren. Publiziert 2017, also auch schon eine Weile her. Zusätzlicher Erkenntnisgewinn allerdings auch nahe Null – auch nicht mehr als ein Bericht, eine Story, nicht viel mehr als eine halbe Bildschirmseite. Aber dann gefolgt von einer Referenzliste mit immerhin 109 Topics!

Nun, mich beeindruckt das weniger. Erstens, weil Referenzlisten, die länger sind als der veröffentliche Text, meist nur Eindruck schinden wollen. Zweitens, weil gleich die ersten Referenzen nicht auf wissenschaftliche Quellen verweisen, sondern auf Narrative von Beteiligten und Interessierten, bei denen man die gleiche Sache ohne viel zusätzlichen Erkenntnisgewinn nachlesen kann (z.B. die Catholic Health Commission of Kenya oder die Kenya Conference of Catholic Bishops). Bis die Liste dann in für die Sache völlig irrelevante Links übergeht, die ersichtlich als „Füller“ dienen sollen. Ersichtlich ein „Storytelling“ als wissenschaftliche Publikation getarnt, die in einem der führenden Journale nur die Chance auf den Papierkorb gehabt hätte.

Wer jetzt noch gutwillig annimmt, dass es sich tatsächlich, vielleicht, möglicherweise doch um eine seriöse, wenn auch etwas verunglückte Veröffentlichung handeln könnte, dem wird diese Illusion bei einem Blick auf die AutorInnenliste schlagartig genommen. Allein die MitautorInnen Christopher A. Shaw und Lucilja Tomljenovic lassen die Herzen jedes wahren Impfgegners höher schlagen.

Beide sind bekannte impf“kritische“ Autoren, die u.a. mit Organisationen verbandelt sind, die impfkritische Aktivitäten finanzieren, und die beide auch schon mal vergessen, das als Interessenkonflikte anzugeben. Verbandelt z.B. mit dem Children’s Medical Safety Research Institute (CMSRI, schon wieder so ein schamloser Euphemismus für eine impffeindliche Organisation). Man lese nur einmal die ersten Zeilen auf deren Homepage. Von hier aus lassen sich auch direkte Fäden zu Andrew Wakefield verfolgen. Wohlgemerkt – wir befinden uns hier nicht auf dem Spielfeld von Amateuren, sondern auf dem gut organisierter und finanzkräftiger, international vernetzter Hardcore-Impfgegner, die kein Problem damit haben, die WHO direkt anzugehen.

Und siehe da – schnell finden sich immer mehr Berichte aus scheinbar vertrauenswürdigen, vorzugsweise katholisch firmierenden Quellen. Ursprung der deutschsprachigen Veröffentlichungen scheint ein Artikel des katholischen Publikationsorgans „katholisches.info“ aus 2014 zu sein, einem Portal, von dem einem die christliche Menschenfreundlichkeit sozusagen schon beim ersten Aufruf ins Gesicht springt. „Geheimaktion: WHO und Unicef wollten Millionen Frauen geheim sterilisieren“ nennt sich das Machwerk, das offenbar immer wieder mal von interessierten Kreisen herumgereicht und niemals korrigert wurde – bis heute. Quellen bei katholisches.info? Aber sicher! Man lässt dort einen gewissen Stephen Karanja als Kronzeugen auftreten. Moment! Den kennen wir doch?! Der ist doch tatsächlich Mitautor der oben kritisch beäugten Veröffentlichung im Open Access Library Journal und damit Kollege von Shaw und Tomljenovic. Was für ein Zufall!!! Damit steht jedenfalls schon mal fest, dass Andy und Bob mit ihrem Filmchen ziemlich (k)alten Kaffee aufwärmen.

Selbst der Allergutwilligste wird an dieser Stelle einräumen müssen, dass die Sache ein Geschmäckle hat. Aber wir wollen hier noch keinen Schlussstrich ziehen, sondern herausbekommen, was denn 2014 in Kenia wirklich los war, was die katholische Kirche dort in Aufruhr versetzte und gegen die WHO einnahm.

Die kenianischen Kirchenleute waren offenbar wirklich panisch und hatten sich tatsächlich sechs Ampullen des Impfstoffs besorgt und untersuchen lassen, Darauf gingen sie mit der Nachricht, drei davon seien mit HCG versetzt gewesen, an die Öffentlichkeit. Die WHO ließ daraufhin offiziell aus verschiedenen Chargen insgesamt 52 Ampullen analysieren – ohne Ergebnis. Worauf unsere aufrechten Kirchenmänner andeuteten, dass die WHO vielleicht gar nicht den Tetanus-Impfstoff, der allgemein verwendet wurde, zur Untersuchung gegeben habe, sondern … ? Belege Fehlanzeige. Wie war das noch mit dem 8. Gebot? (Für nicht so Bibelfeste: ist die Sache mit dem falsch Zeugnis reden.)

Kurz danach meldeten sich die Leiter zweier Labore, die die inkriminierten ersten Ampullen untersucht hatten. Sie gaben zu Protokoll, dass die Kirche ihre Ergebnisse falsch interpretiert und die Proben auch gar nicht als Impfstoff, sondern als menschliche Gewebeextrakte eingeliefert hatten. Was andere Labore aus ihrer fachlichen Sicht bestätigten und den Verdacht äußerten, die drei Proben seien zudem gezielt „kontaminiert“ gewesen.

Die WHO veröffentlichte zu der Angelegenheit eine Pressemitteilung, in der sie der Geschichte vom HCG in Tetanus-Impfstoffen entgegentrat und die Wichtigkeit der Impfung gerade für Frauen im gebärfähigen Alter betonte. Ja, ich weiß, dass hiesige Impfgegner das für Panikmache halten. Aber denen sei gesagt: Neugeborenen-Tetanus ist (hier bei uns) sehr selten, kommt aber vor – wer es aber mal gesehen hat, wird vermutlich zeitlebens zum Thema Impfen den Mund halten.

Die Behörden in Kenya nahmen die Sache nicht auf die leichte Schulter, zumal sich die katholische Kirche mit ihrem ganzen Gewicht in die Sache reingehängt hatte. Eigene Untersuchungen wurden durchgeführt. 2017 veröffentlichten die Behörden den Abschlussbericht eines Expertengremiums, in das man geschickterweise auch die Gegenseite in Form des Councils der katholischen Bischöfe mit eingebunden hatte. Ergebnis: keinerlei Hinweise auf verunreinigte Tetanus-Impfstoffe und ein klares Statement gegen „irreführende Behauptungen, die der Öffentlichkeit Schaden zufügen“.

Das wars. Ganz abgesehen von allerlei offensichtlichen Ungereimtheiten, wie die angebliche dreimalige Tetanusimpfung in kurzen Abständen (Unsinn) oder die schlichte Tatsache, dass nach einer angeblichen Sterilisierung von bereits einer Million Frauen kein Rückgang der Geburtenrate festzustellen war. Aber wen interessieren schon solche Kleinigkeiten, wenn es um eine handfeste Lügenkampagne geht.

Unsere Freunde Andy und Bob jedenfalls nicht. Also, Guys, die Nummer ist doch sehr schwach, den Vorwurf kann ich euch nicht ersparen. So eine abgekaute Geschichte wieder aufzuwärmen! Früher habt ihr wenigstens selbstproduzierte Lügen verbreitet. Und wenn ihr glaubt, man könne der Sache inzwischen nicht mehr auf die Spur kommen, dann seid ihr blutige Amateure, dem Internet Archive sei Dank.


Und zum Schluss noch ein Disclaimer: wir fanden ja weiter oben schon interessant, dass die erste gefundene Publikation (die ohne Autoren) bereits aus 1995 stammte. Laufen diese Geschichten tatsächlich schon so lange um? Ja, tatsächlich, richtig Drive bekamen sie aber erst mit der Kenia-Geschichte 2014. Der eigentliche Ursprung liegt noch viel früher, in den Versuchen seit den 1970er Jahren, eine Methode zu entwickeln, die per Injektion in der Lage wäre, die orale Einnahme von Kontrazeptiva mit ihren Unsicherheiten und ihren Compliance-Risiken für einen längeren Zeitraum zu ersetzen. So wirklich ist da ja nie was draus geworden. Aber schon sehr früh entstanden auf diesem Boden die ersten Verschwörungserzählungen, dass man international an Methoden zur Massensterilisierung forsche …

So, nun wissen wir es ganz genau.


Bilder: Screenshots (1) Bitchute, (2) Children’s Health Defense via Wikimedia commons, (3) Screenshot oalib.com/articles/5290033, (4) Screenshot WHO via Internet Archive, (5) Ministry of Health, Kenya, via Internet Archive


Dieser Artikel ist in leicht angepasster Form auch auf dem Blog des Informationsnetzwerks Impfen erschienen.

Bodensatz der Verblendung – das Update

Bild: Pixabay License

Es geht um Covid. Lasst uns gleich mit einem Zitat anfangen:

Auf Bryonia/Stannum besserte sich der Zustand schnell, waren fast alle Symptome nach drei Tagen der Einnahme nahezu verschwunden und sie selber erstaunt ob der Wirkung. Ähnlich erging es anderen.“

Oft habe sich schon nach den ersten zwei Gaben der Husten gelindert, die Geschmacksstörungen oder der Geruchssinn gebessert, die Last von der Lunge gelegt und die Post-Corona-Schwäche zügig verbessert.


Nur selten seien andere Heilmittel vonnöten gewesen. Dabei habe bei Schwäche in Verbindung mit starken Kopfschmerzen noch das homöopathische Mittel Chininum arsenicoscum D12 besonders geholfen und bei nächtlichem Husten und Alpträumen Cuprum arsenicosum D12 (Schüssler Salz Nr. 19). Überhaupt könnten bei Covid-19 Arsenverbindungen sinnvoll sein, denn Arsen helfe immer bei Ängsten, die gerade in diesen Zeiten erstaunlich viele Menschen haben.

Zinn (Stannum) sei in der Therapie wenig bekannt, noch weniger die Verbindung mit Bryonia. Aus der homöopathischen Erfahrung sei aber gerade Zinn bei enormer Erschöpfung in Verbindung mit schweren Lungenerkrankungen sowie Geschmacks- und Geruchsstörungen – drei zentralen Symptomen von Corona – wirksam.

Bryonia hingegen sei das Mittel schlechthin für den schmerzhaften Husten und Kopfschmerz. „Faktisch ist mit dieser Kombination eine erste Arznei zumindest für die Folgen einer Corona-Erkrankung gefunden.“

Netzfund. O-Ton eines klinischen Praktikers, gar ärztlichen Direktors einer integrativen Reha-Klinik für Geriatrie, der sich zur Anthroposophie bekennt. Veröffentlicht in einem einschlägig bekannten Magazin, das nicht zum ersten Mal zum Zwecke des Lobpreises von hochverdünntem Nichts zur Behandlung der schwersten Pandemie-Erkrankung der letzten 100 Jahre angetreten ist.

Pillen…

Dass er hier auch noch die Schüßler-Salze ins Spiel bringt, ist nur ein weiteres Highlight. Aber was solls – in einem Rutsch gleichzeitig Homöopathie, Anthroposophie und Schüßler zu vermischen, alles “Heilmethoden”, die sich in ihren Ansätzen und ihren Krankheitsentstehungstheorien unvereinbar unterscheiden, das nenne ich mal Pragmatismus! Oder doch besser Pseudopragmatismus?

Ich möchte dem Zitierten nicht persönlich nähertreten, da er für mich ohnehin nur exemplarisch für eine Spezies steht, die ich – parallel zum Begriff Pseudomedizin – als Pseudoexperten bezeichnen möchte. Ja, es gibt auch den Begriff der Imperten, also derer, die das vorgebliche Wissen “aus sich heraus” produzieren. Aber der Pseudoexperte ist davon noch eine Überhöhung. Denn er hätte aufgrund seiner Ausbildung das Rüstzeug, eben NICHT pseudowissenschaftlichem Unsinn zu verfallen, sich eben NICHT anzumaßen, er sei über seine spezielle Profession wirklich kompetent, etwas zur Covid-19-Erkrankung im wissenschaftlichen Sinne zu sagen, eben NICHT dem grundlegenden Irrtum zu verfallen, persönliche “Erfahrungen”, die seit Äonen als das Fehleranfälligste schlechthin in der menschlichen Wahrnehmung erkannt sind, zur Weisheit zu erheben.

Der Artikel spannt den Bogen des Lobpreises alternativer Corona-Behandlungen noch weiter und führt dabei allerlei Pseudobelege an, um das geschätzte, meist ohnehin geneigte Publikum zu beeindrucken. Etliche teils exotische Namen werden genannt, als Experten vorgestellt, die in fernen Ländern – bevorzugt Indien – größte Erfolge erzielt haben sollen. Irgendwie belegbar nachzuvollziehen ist das natürlich nicht. Das Pharma-Bashing darf natürlich nicht zu kurz kommen, ganz im Gegenteil, es wird zur allesverschlingenden Medusa hochstilisiert, selbst Harvard muss mit seiner – verdienstvollen – Studie über den Einfluss wirtschaftlicher Interessen auf die Medikamentenzulassung herhalten (wobei übersehen wird, dass davon sehr stark gerade die Länder betroffen waren, deren Loblied hier gesungen wird). Dass das indische Gesundheitsministerium z.B. sich von den Kollegen vom AYUSH, dem seit 2014 existierenden Schwurbelministerium, längst massiv distanziert hat – auch und gerade zu Homöopathie und Covid – sagt uns dort niemand. Auch nicht, dass das “richtige” indische Gesundheitsministerium gerade ein großes wissenschaftliches Programm zur Förderung von Infektiologie und Epidemiologie aufgelegt hat.

Selbst von Studien ist irgendwann die Rede – ein Herr Dr. XYZ stelle sie auf Youtube vor, man möge sich dort informieren… No comment. Dazu kommt noch der Verweis auf die unsäglichen UnitedToHeal-Kongresse, angebliche hochbedeutende medizinische Weltereignisse, ihrer Bedeutung allenfalls dem Milleniumstreffen der Nobelpreisträger gleichzustellen… (das war übrigens im Jahre 2000 in Lindau).

Nimmt man das alles mal zusammen, so wird hier einmal mehr nichts weniger entworfen als eine veritable Verschwörungstheorie des “medizinischen Establishments” gegen sanfte, natürliche, preiswerte, nebenwirkungsfreie, vielfach gesegnete, von lupenreinen Philanthropen der Menschheit auf dem Jadetablett feilgebotene einzig wahre Medizin. Engelsrein und nahe dem Elysium. So was aber auch.

Das ist viel, viel schlimmer als jeder Laienirrtum, als jede unsinnige Käseblattwerbung für irgendwelche ins Nichts hinein verdünnte Substanzen, denen das Odium natürlicher Pflanzenheilkunde angeheftet wird, ja selbst als eine Falschberatung zur Homöopathie in einer Apotheke. Ich möchte es als Pseudoexpertisen-Expertise bezeichnen (in Anlehnung an den schönen Begriff der Kompetenz-Kompetenz, der im Staatsrecht die Befugnis von Organen meint, sich selbst neue Kompetenzen geben zu können). Es ist Gefährdung ratsuchender Menschen. Und das geht auch an die Adresse von Hochglanzmagazinen wie “Natur & Medizin”, die alledem einen optisch sehr ansprechenden Rahmen geben und damit die Scheinseriösität solchen Unsinns noch unterstreichen.

Dass unser Netzfund mit einem herzzerreißenden Appell an die Allopathen und Schulmediziner endet, diese großartigen Erfolge von Homöopathie und Anthroposphie wenigstens mal auszuprobieren – NICHT geschenkt. Wenn diese Leute nur einen Schimmer einer Ahnung hätten, dass sie damit zu Verstößen gegen grundlegende medizinische Ethik auffordern… aber nein. Homöopathische ärztliche (!) Verbände hierzulande, angeblich bedeutend und einflussreich (was im Auge des Betrachters liegt…) fordern ja auch den Einlass von Homöopathen in die Intensivstationen. All das unter der freundlichen Wärme des Schutzschirmes, den der Gesetzgeber mit dem Binnenkonsens im Arzneimittelgesetz aufgespannt hat.

… und Pülverchen

Ein etwas anders gelagertes Kapitel ist der Vertrieb einer TCM-Kräutermischung durch eine nicht unbekannte Apotheke im süddeutschen Raum, die selbst über Youtube-Videos beworben wird und ihren Weg durch das Internet längst angetreten hat. Das ist immerhin real und fassbar und nicht im Bereich bloßer Kopfgeburten (aka Hirngespinste) wie Homöopathie und Anthroposophie anzusiedeln. Immerhin eine reale Substanz. Zu ordentlichen Preisen…

Was ist dazu zu sagen? Dieses Mittel fungiert nicht als Arzneimittel im Sinne des deutschen Arzneimittelrechts. Dazu hätte ein wissenschaftlich fundierter Wirkungsnachweis mit einem Zulassungsantrag nach dem Arzneimittelgesetz vorlegen müssen. Die medizinischen Datenbanken allerdings spucken zu dieser TCM-Mischung tatsächlich die eine oder andere Studie aus. Schaut man sich die an, findet man viel – aber einen klinischen Wirksamkeitsnachweis nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin nicht. Dafür Erstaunliches. Z.B. dass es (mindestens) eine umfangreiche Untersuchung gibt, welche Gensequenzen des Menschen mit Covid-19-Symptomen zusammenhängen und welche Gensequenzen irgendwie mit den Wirkungen der verwendeten Substanzen des TCM-Gemisches zusammenhängen.

Ach.

Interessant.

Nur eben klinisch ohne Bedeutung.

Angst vor mRNA-Impfungen. Aber in die Apotheke laufen, sich zu 100-g-Preisen nahe der 500-Euro-Grenze Kräutermischungen unbekannter Wirkung kaufen, für die es Studien gibt, die nahelegen, dass die “über die Gene” wirken? Nur am Rande – nach meinen Recherchen wird auf chinesischen Versandseiten im Internet die gleiche Menge Zubereitung für wenig mehr als 30 Euro angeboten. Nun, jedem unbenommen. Zweifellos gibt es Menschen, die sich über dieses großartige Angebot freuen, vor allem die auf der anderen Seite der Verkaufstheke. Und solche, die sich damit in falscher, jedenfalls unbelegter Sicherheit wiegen… Würde man derartigen Angeboten das Misstrauen entgegenbringen, das z.B. dem mRNA-Impfstoff noch vor kurzer Zeit entgegenschlug, dann könnte die Apotheke ihr Pülverchen in die Tonne werfen. Ist aber offenbar nicht so…

Eine antivirale Wirkung mag das Zeug haben, das will ich gar nicht mal bestreiten. Aber das haben auch Zitronensaft, Knoblauch und – wie der unvergleichliche Randall Munroe sagte – ein Pistolenschuss auf eine Petrischale mit Virenkulturen. Die Frage ist eben nur, ob das im menschlichen Körper funktioniert, nachvollziehbar und reproduzierbar. Diese Frage beantwortet uns die wissenschaftliche Forschung, leider nicht der vertreibende Apotheker. Auf Anfrage teilt er mit, er “berate” dazu nicht. Na dann.

Sorry. Das ist natürlich sehr plakativ. Und das hier ist ein kleiner Rant und kein wissenschaftlicher Fachbeitrag. Aber ich will mit beiden Beispielen nur ein weiteres Mal verdeutlichen, wie mit dem Vertrauen – und den Ängsten – der Menschen Schindluder getrieben wird, auch von Menschen wie promovierten Medizinern und Apothekern, die die Pseudoexperten geben.

Und ehrlich? All dies, was ja nur herausgegriffene Beispiele für so vieles sind, widert mich an. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Und ihr wisst: hauptsächlich wegen der Gefahr, dass Menschen durch solche “Heilsversprechen”, die Lockung einfacher Antworten auf ein komplexes Problem, dazu gebracht werden, der wissenschaftlichen Medizin zu misstrauen. Skepsis im Sinne von Hinterfragen und Informieren ist gut und nützlich, aber Misstrauen und darauf aufbauende Pseudoskepsis aka Rezeption nur von dem, was zu den eigenen Vorurteilen, Ängsten und Wünschen passt, nicht. Und: Ohne Vertrauen in wirkliche Experten, in wirkliche Expertise geht es nicht. Wir müssen alles, wirklich alles dagegen unternehmen, dass unsere wissenschaftliche Medizin und ihre unglaublichen Errungenschaften der letzten 150 Jahre nicht in einem Wust von Lügen, Verschwörungstheorien und – ja! – skrupelloser Geschäftemacherei unter die Räder kommen. Eigentlich – ja, eigentlich kommen dabei Menschen unter die Räder. Schon jetzt. Jeden Tag.

Und die Sache mit den Bildungsdefiziten, die erspare ich mir heute. Hier geht es nicht um die Rezipienten, sondern um die Proponenten des Irrsinns.


Verwandtes:

https://www.derstandard.at/story/2000123528551/homoeopathischer-corona-impfersatz-aus-der-apotheke

Was macht die Homöopathie zum großen Problem?

Der Drache des confirmation bias vor der Höhle der Erkenntnis

Vor kurzem postete das Informationsnetzwerk Homöopathie in den Sozialen Medien:

“Homöopathiekritik ist weder Hass noch Hetze.
Es ist einfach eine rationale Kritik an einer irrationalen Methode”.

Besser und kürzer kann man viele Aspekte des Umgangs mit der Homöopathie gleichzeitig wohl kaum auf den Punkt bringen. Und in der Tat braucht man es eigentlich auch gar nicht.

Die Homöopathie selbst wird fortexistieren, ein Aspekt, den jeder ernsthafte Homöopathiekritiker nicht bestreiten, ja, als Selbstverständlichkeit akzeptieren wird. Es wäre von daher seinerseits irrational, etwa ihre “Abschaffung” oder gar ein “Verbot” zu fordern und ein solches unsinniges Ziel gar mit “Hass” und “Hetze” zu verfolgen. Solches wird man deshalb in den Stellungnahmen von ernstzunehmenden, auf wissenschaftlichem Fundament stehenden Kritikern nirgends finden. Diese zielen auf die verzerrte Wahrnehmung und die ungerechtfertigte Rolle der Homöopathie in der Gegenwart ab, insbesondere auf ihre Position innerhalb von Medizin und Gesundheitswesen und den falschen Wissenschaftlichkeitsanspruch.

Zum Objekt von “Hass” und “Hetze” wird die Homöopathie nur in der Wahrnehmung ihrer Verteidiger. Dies mag kognitiv sogar verständlich sein, geht es doch ganz offensichtlich nicht um eine Schicht rationaler, durch Argumente zugänglicher Wahrnehmung. Die Homöopathie sitzt bei der Mehrzahl ihrer Verteidiger “tiefer”, wird zum Teil eines Überzeugungssystems, unter Umständen zu einem Teil der Selbstwahrnehmung und damit für rationale Argumente immer unzugänglicher. Sie wäre längst dahin als Staub der Medizingeschichte, wäre das nicht so. Stattdessen legt sich der “confirmation bias” in all seinen Ausprägungen als Wächterdrachen vor die Wahrnehmung der Realität. Und dessen Stärke zu unterschätzen hieße eine große Macht zu unterschätzen.

Speziell in der Medizin hat uns der confirmation bias schon Fehlschlüsse und Irrtümer nicht marginalen Charakters wie die Vier-Säfte-Lehre und viele ihrer “Therapiemethoden” über 1.000 Jahre und mehr beschert. Es wäre daher wiederum irrational, sein Wirken bestreiten zu wollen. Jedoch: Kenne Deinen Feind! Die moderne Wissenschaft verwendet große Teile ihrer Werkzeuge und Ressourcen darauf, den confirmation bias in der Gewinnung von Erkenntnis zu entlarven und so gut wie möglich zu eliminieren. Das manifestiert sich in ihrem Anspruch auf Intersubjektivität, also der Nachvollziehbarkeit ihrer Ergebnisse unabhängig von Ort, Zeit und Person. Dieser Weg hat uns inzwischen bis zur Evidenzbasierten Medizin geführt.


Worüber also diskutieren wir eigentlich?

Homöopathie hat sich bei ihrer wissenschaftlichen Validierung als Musterbeispiel der Subjektivität entpuppt – und – abgesehen von der Unvereinbarkeit von Grundprämissen mit gesichertem naturwissenschaftlichem Wissen – außerdem einer strengen intersubjektiven Prüfung auf Wirksamkeit als spezifische Methode (ihrer “zweiten Chance”) nicht standgehalten. Dies ist weitestgehender Konsens, bis zu einem validen Beweis des Gegenteils (zu dem wahrlich einiges gehören würde) der belegte Stand der Dinge und auf der Basis der vorhandenen Erkenntnis nicht mehr diskursfähig.


Dass dies vielen Laien nicht klar ist, liegt auf der Hand – beklagenswerterweise wissen sie es nicht besser, können es im Grunde nicht wissen durch den äußeren Schein, die allgemeine Reputation, die die Homöopathie genießt. Hier ist durch Fehlinformation, plakative Beeinflussung (gesetzlicher Schutz, Apothekenpflicht, von Ärzten angewandt) und durch das Bestärken falscher Haltungen bereits viel verloren, einziges Mittel ist jedoch Aufklärung und immer wieder Aufklärung. Ist es der Homöopathie gelungen, die Methode als “sanft, wirksam, nebenwirkungsfrei” in den Köpfen durch beständige Wiederholung zu verankern, ist es auch möglich, den wahren Fakten durch beständige Wiederholung Eingang in das allgemeine Bewusstsein zu verschaffen. Nach einer Sentenz von Dr. Natalie Grams muss und wird es möglich sein, dass Homöopathie und die Berufung auf sie als medizinische Methode gesellschaftlich-sozial in eine Rolle gelangt wie heute das Rauchen. Daran arbeitet die Aufklärung und darf sich darin nicht beirren lassen.


Der homöopathisch tätigen Ärzteschaft sei jedoch entgegengehalten: Es kann kein ärztliches Angebot geben, das gleichzeitig auf wissenschaftlicher Intersubjektivität und auf dem Ignorieren derselben beruht. Der Versuch, beides gleichzeitig zu praktizieren, trägt die Entwertung wissenschaftlich-rationalen Denkens in sich.

Dies bedarf der Richtigstellung durch die ärztliche Profession selbst. Es gibt Fortschritte – wie mühsam das ist, erfahren alle Landesärztekammern, die die Streichung der Homöopathie aus ihren Länderfortbildungsordnungen betreiben. Noch lange sind wir nicht so weit, dass die Ärzteschaft mit einer Stimme spricht. Dass es der studentische Nachwuchs ist, der sich klar und eindeutig positioniert, ist mehr als zu begrüßen. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Evidenzbasierte Medizin dabei ist, bei der aufwachsenden Medizinergeneration die ihr zukommende Rolle tatsächlich einzunehmen.


Aber ist nicht der Hinweis auf Wahrnehmungsfehler und daraus – bedauerlicherweise – resultierenden Inkonsistenzen des Handelns in Sachen Homöopathie allein nicht eine geradezu verharmlosende Betrachtungsweise? Muss nicht deutlich ausgesprochen werden, dass gerade (ausgerechnet) die evidenzbasierte Medizin, die ein notwendiges, vielleicht irgendwann einmal hinreichendes Moment der Rationalität in die Medizin einbringen will, von der Homöopathie (und anderen Pseudomethoden) geradezu missbraucht wird?

Man möge zunächst nochmals realisieren, dass die Evidenzbasis der Homöopathie klar und so weit wie möglich belegt ist: Belastbare Belege für eine spezifische Wirkung der Methode existieren nicht, das ist das durchgängige Ergebnis der Arbeiten des höchsten Evidenzlevels, der Reviews und Metaanalysen. Es kann also erst einmal nicht so getan werden, als gebe es “Spielräume”, die auch die evidenzbasierte Medizin bei unzureichender Datenlage anerkennt und wo sie der “reinen Erfahrungsmedizin” ein gewisses Recht einräumt. Es sei klar festgestellt: In der Homöopathie gilt dies nicht. Hier ist Meinung von Wissen durch valide Evidenzprüfung hinreichend separiert. Worauf nun beruhen all diese ständigen Debatten und das Beharren auf einer invaliden, unter Umständen schädlichen Methode?

Es handelt sich dabei um eine Strategie oder, wenn mal will, um einen Mechanismus, den man im amerikanischen Sprachgebrauch “Denialism” nennt, also “Leugnung”. Er stammt aus der US-amerikanischen Bloggerszene und meint über die allgemeine Bedeutung hinaus etwas Speziellesdas systematische, wiederholte und dauerhafte Leugnen und Bestreiten der bestehenden Evidenz zu einer wissenschaftlichen Thematik. An einer so klar definierten Eingrenzung des Problems scheint es im deutschsprachigen Raum bislang zu fehlen. Ändern wir das.

Diethelm/McKee (2009) haben im Zusammenhang mit der inzwischen weithin bekannten und geächteten Kampagne der Tabakindustrie zur wissenschaftlich verbrämten Leugnung der Schädlichkeit des Rauchens (kein Journal nimmt noch Papers an, die im Zusammenhang mit der Tabakindustrie stehen) Kriterien für ein solches “Denialism”, die systematisch betriebene Leugnung vorhandener Evidenz, definiert. Als da wären:

  • Identification of conspiracies (also die “Aufdeckung” angeblicher Verschwörungstheorien): Der wissenschaftliche Konsens sei nur ein scheinbarer, lediglich Ergebnis einer Verschwörung, bevorzugt der Pharmaindustrie, des selbstreferenzierenden wissenschaftlichen Mainstreams, bezahlter Propagandisten, auch und vor allem der skeptikerbewegungsgesteuerten Wikipedia und gar von sinistrer Einflussnahme auf Regierungen. Die wahren Belege würden einfach nicht zur Kenntnis genommen. Alltag in der Homöopathie, die Beispiele sind nahezu Legion. Wir haben dies – zweifellos in vollem Ernst – von Herrn Hevert (Hevert Arzneimittel) im Zusammenhang mit dem Abmahnungsversuch gegenüber Dr. Grams (2019) vernehmen können. Eine prominente, aber längst nicht die einzige Stimme, die Derartiges verlauten lässt. Solche Thesen erscheinen auf “Homöopathie online”, der Webseite des Zentralvereins Homöopathischer Ärzte, in gewisser Regelmäßigkeit und sind überhaupt ein ständiges Ostinato, geradezu ein Kennzeichen fast aller Verteidigungen der Homöopathie.
  • Fake Experts (also Scheinexperten): Ein breites Spektrum, das von um Selbstbestätigung bemühten Lobbyisten bis hin zu sinnfreien Testimonials reicht, wofür einfache Verwender ebenso herhalten müssen wie “Promis” (Goethe, Feldmarschall Radetzky, Gandhi, Yehudi Menuhin und neuerdings auch Chopin stehen oben auf der Liste). Ganze Werbekampagnen der einschlägig interessierten Industrie beruhen darauf. Man schaue sich nur einmal die “Zitate zur Homöopathie” an, die die Deutsche Homöopathie Union (DHU) in jüngster Zeit zum Gegenstand einer PR-Kampagne auf Twitter gemacht hat. Hierzu gehört auch der Umstand, dass die Apologeten der Homöopathie durchweg deren Lobby zuzurechnen sind, die allgemeine Wissenschaft nimmt hiervon so gut wie keine Notiz, weil sie das Thema nicht mehr für diskursfähig hält.
  • Selectivity (also Selektivität, auch Cherry-Picking genannt): Eine “Königsdisziplin” der Homöopathie, immer wieder aufs Neue demonstriert. Die eigenen negativen Reviews werden bis auf Satzebene selektiv zitiert, vermutlich sogar, ohne dass das dies vom Zitierenden überhaupt in allen Fällen realisiert wird (Stichwort confirmation bias). Die Versuche, gegenüber der feststehenden Gesamtevidenz mit einzelnen Studien und Veröffentlichungen zu punkten, ja, aus einzelnen Reviews gar Detailergebnisse als Beleg pro Homöopathie zu exzerpieren, sind sämtlich Ausprägungen der “Selectivity”. Unter keinen Umständen wird die im Falle der Homöopathie gesicherte negative Gesamtevidenz anerkannt – jeder Winkelzug, jedes Scheinargument muss dafür herhalten.
  • Impossible expectations (das Verlangen des Unmöglichen, ein “Überdehnen” des Wissenschaftsbegriffs): Ein prominentes Beispiel ist das – offene oder implizite – Verlangen, man möge “die Unwirksamkeit der Homöopathie beweisen”. Diese Umkehrung der Beweislast vom Behauptenden zum Zweifelnden ist ein immer wiederkehrendes Argumentationsmuster. In anderer Ausprägung wird dies als Aussage den Kritikern unterstellt und dann mit Widerlegungsversuchen ein Scheinangriff geführt. Auch die Ausdehnung des Wissenschaftsbegriffs ins Spekulative, wie es manche angeblich auf wissenschaftlichem Boden stehende Apologeten der Homöopathie einfordern, gehört hierhin, ebenso die Sentenz, man wisse noch nicht, wie Homöopathie wirke, jedoch man sehe, dass sie wirke.
  • Misrepresentation and logical fallacies (Irreführung und Trugschlüsse): Hier sammelt sich das ganze fast unüberschaubare Spektrum innerer und äußerer Inkonsistenzen der Homöopathie, die – man kann vieles davon auf diesem Blog nachlesen – nachgerade ein konstituierendes Merkmal der Methode sind: von den schon in Hahnemanns Urlehre vorhandenen Widersprüchen bis hin zum Zerfall der Lehre in eine Unzahl von sich z.T. in Kernpunkten widersprechenden “Varianten”. Auch das gesamte “Whataboutism” gegenüber der wissenschaftsbasierten Medizin und die Vorhaltungen gegen die Kritiker, sie würden sich mit deren Unzulänglichkeiten nicht befassen (eine Unwahrheit) gehören hierher. Ebenso die Uminterpretation der Homöopathiekritik zu einer vorgeblich reinen Kritik an den theoretischen Grundlagen, eine Reduzierung auf Plausibilitätskritik, was nicht den Tatsachen entspricht: primär beruht die wissenschaftliche Homöopathiekritik auf dem fehlenden Nutzennachweis nach den Kriterien der Evidenzbasierten Medizin.

Alle Kriterien des “Denialism” nach dieser Definition werden von der Homöopathie mithin erfüllt. Hier liegen die Potenziale dafür, weshalb der Denialismus der Homöopathie geeignet ist, die wissenschaftlichen Prinzipien zur Annäherung an eine möglichst genaue Beschreibung der Wirklichkeit zu untergraben.

Daher ist die Verteidigung der Homöopathie auf allen Ebenen Denialismus reinsten Wassers: die Leugnung der unzweifelhaft fehlenden Evidenz. Dies ist zwangsläufig in unterschiedlichen Graden vorwerfbar. Keine oder nur sehr geringe Vorwürfe sind den Anwendern zu machen, die außerstande sind, die Probleme der “eigenen Erfahrung” zu erkennen und einzuordnen und der Homöopathie-Lobby allzu oft auch noch als willfährige Propagandisten zunutze sind. Zur Einordnung der Vertreter der homöopathischen Szene habe ich mich bereits an anderer Stelle ausführlich geäußert. Spoiler: Auch hier zeigen sich gravierende Auswirkungen des confirmation bias, allein durch Opportunismus, den es geben mag, ist die Existenz des homöopathischen Universums wohl kaum erklärbar.

Außerhalb dieses Universums wird man etwas andere Maßstäbe anlegen müssen. Manche Vertreter von Wissenschaft und medizinischer Praxis erliegen offensichtlich teils selbst Fehlwahrnehmungen, teils einer unbegründeten Toleranz, jedenfalls allzu viele einer noch weit weniger begründeten Gleichgültigkeit gegenüber einer scheinbaren Marginalie wie der Homöopathie. Und noch anders sieht es in der Politik und beim Gesetzgeber aus, die sich aus offensichtlich opportunistischen Gründen dazu bewegen lassen, die Bedeutung intersubjektiver Kriterien für allgemeine Regelungen zu missachten und einer widerlegten Methode den außergewöhnlichen Kredit einer Sonderrolle im Gesundheitswesen zu erhalten.

Homöopathie mag als solche im Gesamtkontext der heutigen Probleme eine Marginalie sein. Der politische, teils der wissenschaftliche und auch der gesellschaftliche Umgang mit ihr erweitert sie aber zu einem nicht marginalen Skandalon und zu einem unübersehbaren Fanal des Umgangs mit Rationalität, Wissenschaftlichkeit und allgemeiner Bildung. Wann wird dies dazu führen, dass die (medizinische) Wissenschaft sich endlich mit klaren und an den Patienten gerichteten Worten gegen die Komplizenschaft in ihren Reihen mit pseudowissenschaftlichen Mitteln und Methoden, allen voran der Irrlehre Homöopathie, wendet? Wann vor allem wird die Politik die Bedeutung dieses Skandalons erkennen und das “Beliebtheitsargument” zugunsten von gesamtgesellschaftlicher, nicht nur gesundheitspolitischer Verantwortung verwerfen? Ich sehe hier eine lange überfällige ethische wie intellektuelle Pflichtaufgabe für alle Entscheidungsträger und Gestalter, deren Erledigung es einzufordern gilt. Das „Memorandum Wissenschaftliche Medizin“ des “Münsteraner Kreises” zur Pseudomedizin in der ärztlichen Profession fokussiert genau diesen Gesichtspunkt und verdient Aufmerksamkeit – der MK wendet sich nach seinem Selbstverständnis ja nicht an Berufsgruppen, sondern tritt davon unabhängig gegen die Verbreitung pseudomedizinischer Methoden ein.

Subjektivismus als Folge von Opportunismus oder von scheinbar wohlfeilem Pragmatismus ist ein dünnes Eis für die Entscheidungen eines demokratischen Gemeinwesens. Kants Kategorischer Imperativ, der unausgesprochen der Leitstern aller republikanisch-demokratischen Systeme ist, postuliert die Notwendigkeit von Rationalität und Intersubjektivität in aller Deutlichkeit.  Das Staatsziel von Kant und der Aufklärer, das „Wohlergehens möglichst vieler“ erfordert einen auf den Primat von Ratio und Intersubjektivität gestützten Abwägungs- und Entscheidungsprozess. Wir sollten uns dem verpflichtet fühlen.

Ich hege die Hoffnung, dass die während der Coronakrise – nach anfänglicher Zurückhaltung – nicht unerwartet gezeigte Hybris der Homöopathie, “zum Problem Corona beitragen zu können”, zu gegebener Zeit als zusätzlicher Augenöffner dienen wird.

Nachtrag, Oktober 2022: Es ist nicht so, dass die Entscheidungsträger selbst etwa Konsequenzen aus der Rolle der Pseudomedizin in der Corona-Krise, insbesondere der „gesetzlich geschützten“ Homöopathie, ziehen würden. Gleichwohl hat sich viel getan und tut sich viel. Besonders die klare Position von 13 Landesärztekammern und der Bundesärztekammer zur Streichung der Homöopathie aus den ärztlichen Weiterbildungsordnungen ist mehr als ein starkes Signal, das sich natürlich auch an den Gesetzgeber richtet. Das Informationsnetzwerk Homöopathie unterstützt die Information der Entscheidungsträger seit September 2022 mit der konkret auf den Handlungsbedarf gerichteten Webseite „globukalypse.org„. Immerhin!


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Hochpotenzen, Ratten und eine Menge Unsinn

Aufmerksame Leser dieses Blogs werden sich noch an den Namen Oleg Epstein erinnern können. Richtig, das ist der “Pharmaunternehmer” aus Russland, der mit verschwurbelten Bezeichnungen irgendwelche ominösen “Hochpotenzen” bevorzugt in den USA zum Patent einreicht, daraus Fantasiemittelchen produziert und die passenden Studien mit ein paar Kumpels aus der wissenschaftlichen Szene gleich auch noch selbst verfasst. Den ursprünglichen Artikel dazu hatte ich mit “Fake – Homöopathie – Fake” betitelt.

Es gibt den nächsten einigermaßen spektakulär-lächerlichen Fall, bei dem eine “Studie” von Epstein und Kollegen retracted, also vom veröffentlichenden Journal zurückgezogen wurde. Darin ging es um so unfassbar elementare Dinge wie “Auswirkungen einer chronischen Behandlung mit dem eNOS-Stimulator Impaza auf die Penislänge und das Sexualverhalten bei Ratten mit einem hohen Ausgangswert an sexueller Aktivität” (Effects of chronic treatment with the eNOS stimulator Impaza on penis length and sexual behaviors in rats with a high baseline of sexual activity). Der inkriminierte “Bestandteil ohne Moleküle” nennt sich hier “Affinity-purified antibodies to the C-terminal fragment of eNOS at ultra-low doses” – ein wenig Blauäugigkeit muss man den Reviewern angesichts dessen schon bescheinigen. Nun gut, man ist aufgewacht.

Ich sag da mal nichts weiter zu – aber klar ist, dass diese Studie der Promotion von “Impaza” (Handelsname) dient, das längst von Epsteins Firmengruppe in Russland als Potenzmittel vertrieben wird. Es ist ganz offensichtlich als “Alternative” zu Sildenafil (Viagra) gedacht, auch die Studie vergleicht die beiden Präparate miteinander. Wobei wir die positiven Aspekte nicht unterschlagen wollen: Das Zeug ist nebenwirkungsfrei und selbst bei Überdosierung unschädlich, heißt es in der Produktinfo. Das bezweifle ich nicht! Und das ist wahrhaftig ein Unterschied zu Sildenafil.


Lassen wir mal alles Absurd-Skurrile beiseite und konzentrieren wir uns auf den wesentlichen Punkt. Nämlich auf den Kern der Begründung des Retracting durch das Journal International Journal of Impotence Research (eine Tochterpublikation von – immerhin! – Springer Nature). Die Veröffentlichung datiert schon von März 2013, es sieht ganz so aus, als sei man Herrn Epsteins Beiträgen zur medizinischen Forschung inzwischen gezielt auf den Fersen. Wer sich einen Überblick über die bisherigen “Retractions” im Zusammenhang mit Herrn Epsteins Forschungsaktivitäten verschaffen will, kann das über die Datenbank von Retraction Watch tun.

Das Journal schreibt:

“Der Herausgeber hat diesen Artikel zurückgezogen, weil es Bedenken hinsichtlich der wissenschaftlichen Validität der Studie gibt. Insbesondere wird das Reagens über den Punkt hinaus verdünnt, bis zu dem noch das Vorhandensein aktiver Moleküle zu erwarten ist, und es gibt keine molekulare Analyse, die das Vorhandensein von Molekülen in diesen Verdünnungen belegt. Diese Bedenken haben dazu geführt, dass der Herausgeber kein Vertrauen mehr in die Zuverlässigkeit der Ergebnisse hat.”

Wir konstatieren: Ein weiteres Journal weigert sich, Publikationen, die von über die Avogadro-Grenze hinaus verdünnten Mitteln handeln, als wissenschaftlich valide anzusehen und zu veröffentlichen. Ganz grundsätzlich. Wahrhaftig ein großer Schritt nach vorn, um der Pseudomedizin die Schlupflöcher zu stopfen, die ihnen die evidenzbasierte Medizin mit ihrem rein auf den “Outcome” fokussierten Pragmatismus geöffnet hat. Wissenschaftliche Basics und Plausibilitäten scheinen wieder etwas zu zählen bei seriösen Publikationen! Eine gute Nachricht.


PS
Alle Verfasser der Studie haben dem Retract heftig widersprochen. Der korrespondierende Autor, Anders Ågmo von der University of Tromsø (The Arctic University of Norway) wurde von Retraction Watch mit dem ganzen Zeugs, was bisher zu diesen Geschichten rund um Epstein bekannt geworden ist, konfrontiert. Seine Stellungnahme:

Es ist sicherlich möglich, dass das Medikament keinen klinischen Nutzen hat. Ich habe keine Daten gesehen, die einen solchen Nutzen untermauern. Ich sehe jedoch a priori keinen Grund, den russischen Kollegen oder der russischen Arzneimittelzulassung zu misstrauen.” (Er nimmt dabei Bezug auf den Umstand, dass Impaza in Russland in der Tat ein “registriertes Arzneimittel” ist – siehe PPS.)

Nach dem Motto: Mir doch egal, wer was mit meinen halbseidenen Studien anfängt! Und: a priori vielleicht nicht. Das würde sich auf 2013 beziehen. Aber wie wäre es mit a posteriori, Herr Ågmo?


PPS

Trotz der eindeutigen Aufforderung der Russischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2017, flächendeckend Homöopathie aus dem Gesundheitssystem zu verbannen, scheint es immer wieder “Löcher” zu geben. Tatsächlich hat das russische Gesundheitsministerium ein homöopathisches Produkt zur Behandlung von zeckeninduzierter Enzephalitis (!) empfohlen, und eine ähnliche Substanz gehörte mit einem Umsatz von 3,8 Milliarden Rubel im Jahr 2017 (62 Mio. USD) zu den 20 umsatzstärksten Medikamenten des Landes.

In diesem Zusammenhang ist eine Meldung bemerkenswert, die nahelegt, es gebe eine neuerliche Regulationsinitiative zur Homöopathie seitens der Russischen Akademien der Wissenschaften (RAS). Edzard Ernst berichtet auf seinem Blog. Inhaltlich, teils bis in die Wortwahl hinein liest sich das allerdings genauso wie die Statements von 2017. Die einzige Quelle weltweit (das ist auch die von Prof. Ernst) ist die indonesische Nachrichtenquelle “Manila Bulletin”, die hierzu am 13.07.2020 berichtete. Ich zweifle deshalb im Moment daran, ob es sich hier überhaupt um eine aktuelle Nachricht handelt. Auf den Webseiten der RAS findet sich nichts dazu. Russland bleibt bei mir im Fokus.


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Können Homöopathen “zur Behandlung von Covid-19 beitragen”?

Argumentative Wüste

Bei „Homöopathie online“, dem Portal des Zentralvereins homöopathischer Ärzte, ist ein längerer Beitrag mit dem Titel “Wir können zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen beitragen” erschienen. Es handelt sich um ein Interview mit dem homöopathischen Arzt Dr. Wolfgang Springer (1).

Ich habe früher schon darauf hingewiesen, dass es eine Frage der Zeit sei, bis die Vertreter der Homöopathie mit etwas Derartigem an die Öffentlichkeit treten würden, wenn es auch schon hier und da eher vorsichtige, nichtsdestoweniger obsolete Vorstöße gab. Auch diesem Interview wird vorangestellt, dass zuvörderst die Empfehlungen des RKI in der Corona-Krise Maßstab für ärztliches Handeln sein müssten. Was nach anfänglicher – sagen wir mal, Verwirrung in der homöopathischen Szene dann letztlich doch erst einmal zum vorläufigen Konsens erhoben wurde. Nun, man hätte ja auch schlecht etwas anderes schreiben können. Diese Einleitung ist jedoch in Bezug auf die sich inzwischen abzeichnende Entwicklung irrelevant und leicht als taktisches Schutzschild auszumachen.

Warum? Weil sich z.B. der Beitrag beim Zentralverein auf ein Feld kapriziert, das mit den RKI-Empfehlungen wahrlich wenig bis nichts zu tun hat: Die „homöopathische Behandlung“ von Covid-19. Genauer, das “Beitragen” dazu, auch als “komplementär anzuwenden” übersetzbar, man behalte das im Kopf.

Es ist nun mal eine homöopathische Spezialität, in Bereichen die Homöopathie anzudienen, bei denen es keine Maßstäbe für eine Behandlung und deren Kontrolle gibt. Und somit auch nicht dafür, Effekte konkret auf eine bestimmte Intervention zurückzuführen. Selbstredend wird “hinterher” mit angeblichen Erfolgen renommiert. Wenn man recht hinschaut, wird kaum noch behauptet, dass Homöopathie „allein“ Krankheiten heilen könne – dies ist inzwischen offenbar doch allzu diskreditiert. Es hat seine Gründe, weshalb man sich auf „komplementär“ und neuerdings „integrativ“ kapriziert. Zu diesen Gründen habe ich hier mehr geschrieben.

Nun zu den wesentlichen Inhalten des Interviews bei Homöopathie online. Ich möchte es kurz machen (ob es gelingt, werden wir sehen), denn im Kern gibt’s gar nicht so viel zu sagen. Es geht nur um zwei Punkte: Um die Beschwörung der Homöopathie als “Erfahrungsmedizin” mit allen Mitteln und um eine Demonstration von inneren Widersprüchen der Lehre par excellence.

Die großen Erfolge der Homöopathie bei Epi- und Pandemien – schon (fast) immer! Echt?

Der Interviewte bemüht sich, den Eindruck zu vermitteln, als habe die Homöopathie im 19. Jahrhundert gerade wegen ihrer Erfolge bei Epidemien eine Hochzeit erlebt. Diese Erfolge seien „medizinisch gut dokumentiert“ – was ich bezweifle. Erstens, weil mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen ist, dass auch damals die Homöopathie jeder spezifischen Wirkung entbehrte und von der Selbstbestätigung der homöopathischen Community und den Effekten und Wahrnehmungsfehlern von Scheinbehandlungen lebte. Das ist es, was “dokumentiert” wurde. Darf man wirklich annehmen, dass Erfolge, wie sie hier für die Homöopathie reklamiert werden, spurlos an der wissenschaftlichen Medizin vorbeigegangen wären? Ohne irgendwelche Konsequenzen für die Forschung und die Praxis der Medizin? Das impliziert eine Verschwörungstheorie zur Unterdrückung der Homöopathie von einer Dauer und einer Größenordnung, mit der so leicht keine andere dürfte mithalten können. Sie müsste bis heute andauern und praktisch alle in der wissenschaftlichen Medizin Tätigen einschließen…

Dr. Norbert Aust hat gerade erst die stets hoch aufs homöopathische Schild gehobenen „Erfolge“ bei der Cholera-Epidemie in Wien 1831/32 analysiert (Video – ca. 17 Min.). Bei der Homöopedia des Informationsnetzwerks Homöopathie findet sich darüber hinaus ein breit angelegter Artikel zum Thema, der Epidemien einbezieht, für die schriftliche Quellen im Zusammenhang mit Homöopathie vorliegen. Ergebnis dieser “gut dokumentierten” Geschichte der Homöopathie bei Epidemien: Auf so manches waren Erfolge zurückzuführen, nur nicht auf die Homöopathie (im Falle der Leipziger Choleraepidemie kam groteskerweise gar keine Homöopathie zum Einsatz).

Bemerkenswert ist, dass der Interviewte bei der Spanischen Grippe 1919/20 eher zurückhaltend ist (die er übrigens fälschlich allein „in Kriegszeiten“ verortet – die pandemische Hochphase, heute würden wir sagen, die “zweite Welle”, spielte sich aber in den Nachkriegsjahren 1919/20 ab). Diese Zurückhaltung mag darauf zurückzuführen sein, dass auch homöopathische Forscher noch auf dem LHMI-Kongress 2017 davor warnten, „Erfolge“ der Homöopathie als Referenz zu nutzen. Ein Paper zum LHMI Homeopathic World Kongress 2017 führte aus:

„Die Behandlung durch Homöopathen war nicht eindimensional, sondern es handelte sich um ein komplexes polytherapeutisches Vorgehen. Die Behandlungsresultate differierten sehr (Schwerstkranke/Kliniken versus früher Behandlungsbeginn/ambulant sowie abhängig von Zeit und Ort). Einige Auswertungen deuten darauf hin, dass es beeindruckende Erfolge gab. In Frage gestellt werden muss, ob diese als Belege taugen. Generell waren Forschungsbegriff/-kriterien weniger stringent als heute.“

Vortragende zum Thema beim LHMI-Kongress 2017 war Stefanie Jahn, die zum Thema auch die Arbeit “Spanische Grippe und Homöopathie: die Behandlung der Pandemie im internationalen Vergleich“ (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte“, Band 21) veröffentlicht hat. (Details und Quellen dazu auf der Corona-Mythen-Seite der GWUP unter “Homöopathie / Spanische Grippe / Cholera”).

Der Interviewte greift auch den Aspekt der uneinheitlichen Therapien bei der Spanischen Grippe auf, ihm dürfte Frau Jahns homöopathieinterne Relativierung bekannt sein. Immerhin – Widerlegungen oder Richtigstellungen aus der eigenen Szene lässt man gelten, was allerdings auch dem Bemühen geschuldet sein kann, sich keiner internen Uneinigkeit bezichtigen zu lassen.

Dies aber führt mich zu einem kleinen Exkurs am Rande: Gerade einmal 100 Jahre ist es her, dass die Spanische Grippe wütete. Die ist also wegen der gänzlich anderen Zeitläufte, anderer Begriffe von Wissenschaftlichkeit, nicht ausreichender Quellenlage und einigem mehr nach Ansicht von Homöopathen obsolet und nicht brauchbar als Referenz – aber weit ältere, weit weniger “dokumentierte” und unter noch ganz anderen Lebensverhältnissen abgelaufene Epidemien sollen als Referenz dienen können? Der Bruch in der Argumentation ist evident.

Wie dem auch sei, all diese „Erfolge“ vergangener Zeiten bei Epi- und Pandemien sollen letztlich nur das „Kernargument“ des Beitrags beim DZVhÄ stützen. Und das ist einmal mehr die „Erfahrung“ der Homöopathen, diese ominöse Mischung aus Selbst- und Fremdtäuschung, die den Kern der Selbstrechtfertigung der homöopathischen Szene ausmacht. Hier zudem vorgetragen mit der Autorität der ärztlichen Homöopathen. Was aber nicht mehr als ist das hochgehaltene Schild mit der Aufschrift: „Trust me, I’m a Homeopath!“ Immerhin bezieht sich die wissenschaftliche Medizin ja auch nicht auf die Aufzeichnungen von Ignaz Semmelweis, um die Verfahren der klinischen Hygiene zu begründen, sondern erklärt und begründet sie auf der Grundlage neuester mikrobiologischer Forschung (was Semmelweis keinen Abbruch tut, im Gegenteil). Etwas Vergleichbares – einen bestätigenden und den Horizont ständig erweiternden Fortschritt – kann die Homöopathie nicht vorweisen, was sie zu Versuchen zwingt, Legitimation in Tradition und Geschichte zu suchen statt in wissenschaftlich belegbaren Erkenntnissen.

Die wissenschaftlich fundierte Homöopathiekritik legt immer wieder dar, dass die (reine, individuelle, nicht systematisch erfasste und um nicht intersubjektive Bestandteile bereinigte*) Erfahrung kein gültiger Maßstab für eine allgemeine Aussage ist, wie beispielsweise die, dass eine bestimmte medizinische Intervention gerechtfertigt, weil valide sei. Der Rekurs auf Erfahrungsheilkunde allein, wie er auch hier sehr wortreich mit Rückgriff auf die Historie bemüht wird, sticht nicht. Zumal im Falle der Homöopathie noch die fehlende Plausibilität der Grundannahmen, ferner das Fehlen valider Ergebnisse aus der empirischen Forschung hinzukommen (wobei letzteres klar zeigt, dass es gar kein relevantes Erfahrungswissen gibt, das die Homöopathie stützen könnte *).

Der Eiertanz um den “Genius epidemicus”

Dass die Homöopathie durch ihre ständigen inneren Widersprüche ausgezehrt wird wie Prometheus’ Leber durch den Adler, belegt einmal mehr die im Interview dargelegte Sicht auf die Mittelfindung in Zeiten der Pandemie. In ihren Repertorien können sie nur sehr bedingt nachschauen, denn es gibt bei einer so neuen Erscheinung keine repertorisierten, durch Arzneimittelprüfung am Gesunden ermittelten Arzneimittelbilder. Hahnemann war sich dieses Dilemmas bewusst – und ganz offensichtlich auch dessen, dass ihn dies von der Individualität des homöopathischen Ansatzes mit Macht weg zu zwingen schien. Er beschrieb dann auch – gegen das Individualitätsprinzip der homöopathischen Behandlung und gegen sein Postulat, es gebe keine überindividuellen Krankheiten (Krankheit sei nur über das Symptombündel im einzelnen Patienten erkennbar) – in den Paragrafen 100 ff. des „Organon“, dass in einem solchen Falle der „Genius epidemicus“ aufzuspüren sei. Und das ist interessant.

In § 100 des Organon baut Hahnemann erst einen Schutzwall gegen den zu erwartenden Vorwurf, er werfe sein Individualitätsprinzip über Bord – indem er die Individualität auf die Epidemie und nicht auf den Patienten bezieht:

Bei Erforschung des Symptomen-Inbegriffs der epidemischen Seuchen und sporadischen Krankheiten, ist es sehr gleichgültig, ob schon ehedem etwas Aehnliches unter diesem oder jenem Namen in der Welt vorgekommen sei. Die Neuheit oder Besonderheit einer solchen Seuche macht keinen Unterschied weder in ihrer Untersuchung, noch Heilung, da der Arzt ohnehin das reine Bild jeder gegenwärtig herrschenden Krankheit als neu und unbekannt voraussetzen und es von Grunde aus für sich erforschen muß, wenn er ein ächter, gründlicher Heilkünstler sein will, der nie Vermuthung an die Stelle der Wahrnehmung setzen, nie einen, ihm zur Behandlung aufgetragenen Krankheitsfall weder ganz, noch zum Theile für bekannt annehmen darf, ohne ihn sorgfältig nach allen seinen Aeußerungen auszuspähen; und dieß hier um so mehr, da jede herrschende Seuche in vieler Hinsicht eine Erscheinung eigner Art ist und bei genauer Untersuchung sehr abweichend von allen ehemaligen, fälschlich mit gewissen Namen belegten Seuchen befunden wird; – wenn man die Epidemien von sich gleich bleibendem Ansteckungszunder, die Menschenpocken, die Masern u.s.w., ausnimmt. (Hahnemann, Organon, 5 Auflage, § 100)

Das ist schon ein rechter Eiertanz, möchte man sagen – dass er seine „individuellen Epidemien“ vom damals schon bekannten „Ansteckungszunder“ zu unterscheiden bemüht ist, macht es nicht besser – wirft aber einen bezeichnenden Blick darauf, mit welchem Kenntnisstand damals gearbeitet werden musste. Medizinhistorisch interessant, immerhin. Allerdings – hier würde sich ein wirklich logischer Ansatz dafür bieten, die Idee des Genius epidemicus zu verwerfen: nämlich deshalb, weil wir heute wissen, dass Epidemien sämtlich “Ansteckungszunder” sind…

In § 102 aaO kommt Hahnemann dann zur Sache und überträgt das für die Homöopathie doch konstituierende therapeutische Individualitätsprinzip schlanker Hand auf die Epidemie selbst:

Bei Niederschreibung der Symptome mehrer Fälle dieser Art wird das entworfene Krankheitsbild immer vollständiger, nicht größer und wortreicher, aber bezeichnender (charakteristischer), die Eigenthümlichkeit dieser Collectivkrankheit umfassender; die allgemeinen Zeichen (z. B. Appetitlosigkeit, Mangel an Schlaf u.s.w) erhalten ihre eignen und genauern Bestimmungen und auf der andern Seite treten die mehr ausgezeichneten, besondern, wenigstens in dieser Verbindung seltnern, nur wenigen Krankheiten eignen Symptome hervor und bilden das Charakteristische dieser Seuche. (Hahnemann, Organon, 5. Auflage, § 102)

Am interessantesten ist aber, dass der für Homöopathie online interviewte homöopathische Arzt seinerseits die ganze Sache mit dem Genius epidemicus praktisch verwirft:

Hinzu kommt bei der Betrachtung heutiger Patienten ein Ausmaß an individualisierten Lebensformen, dass allein schon deshalb die Suche nach einem Genius Epidemicus einen Widerspruch darstellen würde zu dem womöglich elementarsten aller Wesensmerkmal unserer Epoche: Eben dem der Individualisierung. 

Oha! Hier wird das Allerheiligste der Homöopathie, Hahnemanns Organon, bis heute niemals revidiert und Opus summum jedes Homöopathen, offen in Frage gestellt! Der Genius epidemicus wird als eine Art Verirrung Hahnemanns dargestellt, es sei doch ersichtlich so zu verfahren wie stets: homöopathische Anamnese anhand des individuellen Symptomenbündels! Dass dabei schon mal Covid mit einem grippalen Infekt in der Behandlung gleichgestellt wird, da die Symptomenbündel sich ähneln – geschenkt, das ist eben Homöopathie!

Nun haben wir aber keinen Anlass, diese Sensation als mehr zu betrachten als ein Narrativ innerhalb der homöopathischen Welt. Und da ist es immerhin bemerkenswert, dass sich das Interview frontal gegen eine Reihe von Homöopathen positioniert, die längst emsig dabei sind, dem Genius epidemicus nachzustellen, also die Suche nach “dem” Mittel betreiben, dass nicht dem individuellen Patienten, sondern der Pandemie angepasst ist.

Praktizierende Homöopathen, die auf ihren Webseiten mit unbestreitbarem Fleiß “Ergebnisse” der Suche nach dem genius epidemicus zusammentragen, werden sich sicher über dieses Statement freuen. Auch die österreichische Gesellschaft für homöopathische Medizin sogar schon über einen Katalog “wirksamer” Mittel verfügt, die aus der weltweiten Beobachtung des Genius epidemicus erwachsen sind … der allerdings mit anderen Angaben nicht so recht übereinstimmen will. Mal ganz abgesehen davon, dass die Sektion Bayern des nämlichen Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, der das hier besprochene Interview veröffentlicht, auf seiner eigenen Homepage vor nicht allzu langer Zeit schrieb, man harre darauf, dass “Daten über tatsächliche schwere Corona-Verläufe vorliegen, um ausreichend sicher einen Genius epidemicus im homöopathischen Sinne erkennen zu können“. Sic! Der Verfasser dieser Zeilen dürfte vermutlich auch nicht gerade ein Büropraktikant des DZVhÄ gewesen sein.

Die weiteren Ausführungen enthalten das (eigentlich nur auf das Verwerfen des Genius epidemicus bezogene) Zugeständnis, dass viele andere Faktoren für „Heilungen“, auch im Falle epidemischer Erkrankungen, maßgeblich sein können. Was für eine argumentative Rutschbahn. Denn wie will dann (wir kommen auf den Anfang zurück) die Homöopathie nachweisen, ob und welchen spezifischen Beitrag sie leisten kann? Antwort: Sie kann es nicht. Sie wird es nicht können. Sie konnte es nie. Gleichwohl stellt sie Behauptungen auf, die sie nur mit Rückgriff auf ihre Denkfehler, Irrtümer, Widersprüche und kognitiven Selbsttäuschungen wird wieder bemänteln können. Was, bitte, hat das alles mit solider, unvoreingenommener Wissenschaft zu tun?

Bitte – ist das an Selbstwidersprüchlichkeiten und verquerem Denken noch zu überbieten? Wenn man recht hinschaut, wird im Interview hier das Hahnemannsche Problem des individuellen Behandlungsansatzes mit dem Genius epidemicus durchaus erkannt – nur wird es einerseits verworfen und andererseits verteidigt. Das muss man erst einmal schaffen. Hahnemann hätte das wohl nicht gefallen, letztlich ist das ja eine ganz offene Infragestellung des “Organon”, wenn auch nur unter dem Druck der diesen Paragrafen schon seit Hahnemann innewohnenden Widersprüchlichkeit. Man sollte eben nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben wollen.

Im Grunde: die alte Leier

Und insofern bleibt zu konstatieren, dass dieser Vorstoß bei Homöopathie online, der – erwartbar – nach einer Phase öffentlicher Zurückhaltung wieder Relevanzanspruche erhebt, nicht mehr enthält, als den hier mit vielen Worten vorgetragenen Anspruch, als „Erfahrungsheilkunde“ Teil der Medizin sein zu wollen. Als „Erfahrungsheilkunde“, die ihre Selbstwidersprüchlichkeiten ungeniert vorführt, die die fehlende kritisch-rationale empirische Bestätigung ihrer “Erfahrungen” nicht schert, ohne die es nun mal seit Beginn des wissenschaftlichen Zeitalters nicht geht und die, was die Grundlagen ihrer Methode anbelangt, reinem Wunderglauben anhängt. Nämlich dem, dass Naturgesetze ausgerechnet für die Homöopathie eine Ausnahme machen würden. Wie sehr die Homöopathie außerhalb des Kontextes soliden wissenschaftlichen Vorgehens steht, kann kaum offensichtlicher demonstriert werden als hier von ihr selbst.

Ich hege die Hoffnung, dass die hierin liegende Anmaßung und die Entfernung von jeglichem konsistenten Denken, die die homöopathischen Ärzte mit dieser Veröffentlichung demonstrieren, dazu beitragen wird, beizeiten (wenn Corona nicht mehr allein im Fokus steht), die Entscheidungsträger ernsthaft zum Nachdenken darüber zu bewegen, ob so etwas innerhalb des öffentlichen Gesundheitssystems wirklich weiterhin einen geschützten Platz beanspruchen darf.

Es bleibt dabei: Homöopathie hat weder eine mit gesichertem Wissen vereinbare Grundlage noch war sie imstande (und die Chance hatte sie) einen belastbaren Nachweis nach wissenschaftlichen Kriterien für eine Wirkung über Kontexteffekte hinaus zu erbringen.


(1) Dr. Springer ist in der Homöopathie-Szene kein Unbekannter. Er praktiziert lange als Allgemeinarzt und Homöopath, ist in homöopathischen Interessenverbänden aktiv und erhielt 2012 vom bayerischen Gesundheitsminister das Bundesverdienstkreuz am Bande, ausdrücklich für seinen “Einsatz für die Homöopathie in Deutschland” (ich hoffe, zumindest das würde heute nicht mehr durchgehen). Ich erwähne das nur, weil ich Dr. Springer als Person hier gar nicht nähertreten will, was aber andererseits auch bedeutet, dass mich Argumente auf Autoritätsbasis nicht interessieren. Es geht um die Homöopathie und das, was diese Lehre hervorbringt.


*) Update, 25.05.2020: Einschübe zur Klarheit, ich danke dem Leser 2xhinschauen für die konstruktive Kritik!


Bisherige Beiträge zu Homöopathie und Corona auf diesem Blog:

Bodensatz der Verblendung – Homöopathie in Corona-Zeiten

Homöopathie wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus – sagt wer…?


Bildnachweis: Marion auf Pixabay

Homöopathie wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus! – sagt wer … ?

Dass es (inzwischen) allerorten Distanzierungen homöopathischer Vereinigungen von einer Behandlung (oder gar Prophylaxe) von Covid-19 mittels Homöopathie gibt, ist hinreichend bekannt. Dass es aber immer noch genug Verblendete gibt, die sich in ihrem Scheinwissen dem überlegen fühlen, wurde z.B. im letzten Blogbeitrag hier dokumentiert.

Belastbar …?

In diesem vorigen Beitrag habe ich schon erklärt, dass ich so etwas wie grundsätzliche Einsicht in den Distanzierungen durchaus nicht erkennen kann, die Wortwahl ist allzu verräterisch. Und dieser Illusion sollte man sich auch wahrlich nicht hingeben. Der Bundesverband Patienten für Homöopathie hat dankenswerterweise auf seiner Homepage entsprechende “relativierende” Statements zusammengetragen.

Wir wollen uns hier einmal eines dieser Statements anschauen, auch vor dem Hintergrund, dass bei Twitter bereits darüber geklagt wurde, dass die Homöopathiekritiker angesichts der aktuellen Krise keine Zeit / Lust / Möglichkeit hätten, “gegen Homöopathie zu hetzen”. Wirklich? Nun, wir wollen ja niemand enttäuschen!

Nehmen wir als, allerdings eindringliches, pars pro toto einmal die Ausführungen auf der Webseite des Landesverbandes Bayern des Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Dort äußert man sich wie folgt (nachdem man die nachfolgenden Ausführungen vorab als “keinen Stoff für Diskussionen in der Öffentlichkeit” qualifiziert hat):

“Diese Klarstellung bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir als homöopathische Ärzt*innen diese Pandemie nicht aufmerksamst verfolgen, eventuellen Patienten begleitende, homöopathische Behandlung anbieten, Therapieverläufe protokollieren, sammeln und untereinander austauschen sowie mit zurückliegenden Epidemien und historischen homöopathischen Behandlungsergebnissen vergleichen sollten. Das setzt aber zunächst voraus, dass ein medizinisch und homöopathisch hochkarätiges Expertengremium die fachlichen Grundlagen schafft und analysiert, welche der aktuell bereits auf dem „Markt der Möglichkeiten“ gehandelten Optionen tatsächlich plausibel und stringent nachvollziehbar sind oder wo unter Umständen noch Bedarf besteht für weitere „Hausaufgaben“. In diesem Zusammenhang sollten beispielsweise auch genügend Daten über tatsächliche schwere Corona-Verläufe vorliegen, um ausreichend sicher einen Genius epidemicus im homöopathischen Sinne erkennen zu können. Solche Bemühungen gibt es bereits, es handelt sich aber soweit erkennbar um Einzel-Meinungen. Auch die flächendeckende homöopathische Kompetenz in der Anwendung passender homöopathischer Arzneien wäre vielleicht erst noch zu prüfen.”

Einen genius epidemicus im homöopathischen Sinne! Lassen wir mal die Erheiterung des “Unverständigen” beiseite und fragen uns, was soll das denn sein? Das ist nichts anderes als der Versuch, ohne Arzneimittelprüfungen am Gesunden (komisch, ich bin sicher, dass die Leitsymptome einer SARS-CoV2-Infektion in irgendeinem Repertorium doch zu finden sein müssten…) über das Zusammentragen von Fallberichten herauszufinden, wo der “homöopathische Angriffspunkt”, der “Geist der Epidemie” liegen könnte. Und wann wäre das? Offenbar, wenn die Einzel-“Meinungen” sich zur Mehrheits-“Meinung” verdichten… Was die sozusagen zielgerichtete Anwendung des “post hoc ergo propter hoc”-Fehlschlusses erfordert, also dass aus einer “Heilung” zeitlich nach der Einnahme irgendeines Homöopathikums (unter Umgehung der Arzneimittelprüfung) auf die spezifische Wirksamkeit des Mittels geschlossen und es in Repertorien bzw. Materiae medicae aufgenommen wird.

Ich kann mir an dieser Stelle einfach nicht verkneifen, hierzu ein wenig abzuschweifen. Viele solcher “Ergebnisse” sind nur einmal und häufig unter geradezu grotesken Umständen aufgetreten und trotzdem in den Materiae medicae gelandet. Eines der Beispiele liefert uns Fritz Donner, der Chronist der Überprüfungen der Homöopathie durch das Reichsgesundheitsamt zwischen 1936 und 1939, als vorher überzeugter homöopathischer Arzt ein unverdächtiger Zeuge.
Donner berichtet die Geschichte der “Karriere” des gar nicht so unbekannten Mittels “Lac caninum” (Hundemilch), angeblich ein bewährtes Mittel u.a. gegen Diphterie. Und wie kam man darauf? Nach Donner geht dies zurück auf eine Amerikanerin, die ein paar Globuli Lac caninum CM (also eine Verdünnung von 1:1001.000  !)  eingenommen hatte, danach zwei Jahre an Delirium tremens litt (was wir nun nicht diesen Globuli zuschreiben wollen) und einmal während dieser Zeit leichte Halsschmerzen hatte, die von einem Arzt als Diphtherie diagnostiziert worden waren. Das reichte aus, um Lac caninum als homöopathisches Mittel gegen Diphterie einzustufen. Als weitere Beispiele kann man auch diejenigen Mittel ansehen, die höchst erstaunlicherweise als “allopathische” UND als homöopathische Mittel in gleicher Richtung wirksam sein sollen, das bekannteste dieser Beispiele ist sicher Arnica.

Und auf eine vergleichbare “Erkenntnis” (aka Mehrheitsmeinung) wartet man offenbar beim Zentralverein homöopathischer Ärzte, der – wie das nun mal bei Homöopathen so ist – Kausalität Kausalität sein lässt und dem notfalls nicht einmal eine Korrelation wichtig ist, kommt es nur zu irgendwelchen vordergründigen “Erfolgen”, die dann dem “genius epidemicus” zugeschrieben werden.

Einmal mehr ein Verstoß gegen konstituierende Teile von Hahnemanns Lehre, der die Arzneimittelprüfung als unabdingbar innerhalb seines Systems, als “Evaluierung” des Ähnlichkeitsprinzips für den Fall des einzelnen Mittels, postuliert hat.  Es gibt manche Variante der Homöopathie, die sich wenig bis nicht um das Gebot der Arzneimittelprüfung schert. Ist Derartiges aber nicht zu allerletzt zu erwarten von ärztlichen Homöopathen, die sich der Hahnemannschen Lehre und ihren zentralen Postulaten doch besonders verpflichtet sehen? Aber ich scheine mir da immer noch Illusionen über die Pragmatismusfähigkeit der Homöopathen zu machen.

Aber richtig interessant wird es erst mit dem darauffolgenden Schlussabsatz:

“Diese und ähnliche Überlegungen sind sicher kein Stoff für Diskussionen in der Öffentlichkeit, sondern sollten zunächst einem engeren Kreis kompetenter Kollegen*innen im Sinne der Konsensfindung vorbehalten sein. Sollte sich dann zeigen, dass Homöopathie womöglich auch bei schweren Fällen als „Super-Placebo“ wirkt und Leben retten kann, dann könnte man im nächsten Schritt auch darüber nachdenken, ob Corona tatsächlich einer Placebo-Therapie zugänglich sein könnte oder ob Homöopathie nicht doch „über den Placebo-Effekt hinaus“ Wirkung entfalten kann… .”

Nun, was soll ich da noch kommentieren? Wie anders als das komplette Zugeständnis, dass Homöopathie eben NICHT über den Placebo-Effekt hinaus wirkt, soll man den Satz verstehen “… ob Homöopathie nicht doch „über den Placebo-Effekt hinaus“ Wirkung entfalten kann… .”? (Ganz zu schweigen von dem Hinweis auf ein “Super-Placebo – das mag die Homöopathie durchaus sein – und der Abschweifung, “oder” ob Corona einer Placebo-Therapie zugänglich sein könne.) Und nein, das kann ich nicht als Ironisierung sehen. Drei Punkte nach einem Text dienen dazu, um etwas als Möglichkeit im Raum stehen zu lassen – eben die vorher getätigte Aussage, dass künftig vielleicht herauskommen könnte, dass Homöopathie über Placebo hinaus wirkt. Es hätte schon Anführungszeichen und eines Zwinkersmileys bedurft, mindestens, um dieser Aussage den Anstrich von Ironie oder Sarkasmus zu geben. Deshalb nehme ich sie so, wie sie dort steht, und bedanke mich für die Einsicht.


Bild von Mario Hofer auf Pixabay

Bodensatz der Verblendung – Homöopathie in Corona-Zeiten

In der gegenwärtigen Situation, geprägt vom Diskurs zu SARS-CoV19 / Covid-19, tun sich Abgründe der Pseudomedizin auf, die man angesichts der aktuellen Zurückhaltung führender homöopathischer Vereine und Verbände eigentlich nicht mehr erwartet hätte. Nachdem anfänglich haarsträubende Statements aus vielen Quellen die Runde machten, bei denen homöopathische Mittel zu Prophylaxe und Behandlung von Covid-19 “empfohlen” wurden, gab es eine Reihe von Kurskorrekturen. So wurde die frühere Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte, die in einer “Patientenmitteilung” zu Arsenicum album C30 gegen das Virus geraten hatte, von ihrem eigenen Verein komplett desavouiert, indem dieser kurz darauf mitteilte, dass eine homöopathische Behandlung oder Prävention dieser neuen Erkrankung nicht angezeigt sei.

Ähnliche Kehrtwenden kann man bei den Verlautbarungen des Verbandes klassischer Homöopathen Deutschlands – VKHD – (in dem vorwiegend homöopathisch tätige Heilpraktiker organisiert sind) beobachten. Ein aktuelles Statement spricht nunmehr davon, dass “auch die Homöopathie auf keine validen Daten verweisen [kann], die auf eine zuverlässig zu erzielende Heilung dieser Krankheit mit potenzierten Arzneimitteln hinweisen. Dass es in der Vergangenheit glaubwürdige Berichte über die erfolgreiche homöopathische Bekämpfung von epidemisch verlaufenden Krankheiten gab, ändert an der aktuellen Situation nichts.” Und o Wunder – die Deutsche Homöopathie Union (DHU) twittert dieses Statement sogar…

Ich liebe solche Formulierungen in ihrer stringenten Selbstentlarvung. Denn

  • erstens hat die Homöopathie zu rein gar nichts valide Daten vorzuweisen,
  • zweitens ist das “auch” in dem ersten Satz natürlich als Seitenhieb auf die “hilflose Schulmedizin” zu verstehen,
  • drittens wird gleich wieder eingeschränkt insofern, als es “glaubwürdige Fallberichte” über die homöopathische Bekämpfung von epidemisch verlaufenden Krankheiten gebe; damit sind z.B. Hahnemanns Erfolge bei der Leipziger Choleraepidemie 1813 gemeint, wo ohne Zweifel mehr homöopathisch “behandelte” Patienten überlebten, weil Hahnemann auf Hygiene achtete und den Patienten ausreichend zu trinken gab, während die damalige Mainstream-Medizin mit der Verweigerung von Trinken, der Gabe von Brech- und Abführmitteln und erbärmlichen hygienischen Verhältnissen ihren Patienten den Rest gab – nur hatte das mit einer spezifischen Wirkung der Homöopathie nichts zu tun (mehr zu Homöopathie und Epidemien hier),
  • was “durch die Blume” nichts anderes heißen soll, als dass man das Potenzial von Homöopathie in Bezug auf Covid-19 eben “noch nicht” entdeckt habe – das gleiche hilflose Narrativ, das auch immer für die Homöopathie im Großen vorgebracht wird.

Der Versuch, schlüssig zu erklären, dass eine Methode ohne Wirksamkeitsnachweis für eine bestimmte Anwendung über keinen Wirkungsnachweis verfügt, ist schon ein wenig halsbrecherisch. Man muss dann nur richtig lesen. Immerhin scheuen die genannten Vereinigungen sichtlich davor zurück, sich Ärger einzuhandeln und / oder sich ordentlich zu blamieren. Immerhin. Eine gewisse Anerkennung dafür sei ihnen nicht versagt.

Das heißt aber noch lange nicht, dass nicht genug Selbstberufene bar jeglicher Einsicht weiterhin das Informationsuniversum bevölkern, um das, was sie als “Naturheilmethoden” zu bezeichnen pflegen (einschließlich Homöopathie natürlich) propagieren. Nun, wir sind ein freies Land und niemand kann sie daran hindern. Auch wenn es wehtut zu sehen, wie Menschen auf diese Art und Weise einmal mehr mit dem Narrativ des Sanften und Natürlichen in eine antiwissenschaftliche Haltung gelockt und dazu noch mit dem schönen Schein der autonomen Patientenentscheidung verführt werden. Zumal in Zeiten ohnehin großer Verunsicherung.


Soweit ich das sehe, ist Spitzenreiter in dieser Liga wohl der derzeit (vom 19. bis zum 23.03.2020) laufende “Corona Virus Congress – Der homöopathisch gesunde Umgang mit Krankheiten der heutigen Zeit“ (Webseite inzwischen erloschen / überschrieben), eine Online-Veranstaltung, zu dem man sich zu dem Zweck anmelden kann, täglich mit sogenanntem Infomaterial aus “Expertenhand”, nämlich mit online abrufbaren Interviews der versammelten Expertenschaft, versorgt zu werden (dauerhafter Zugriff ist gegen einen gewissen Obulus möglich). Dabei darf man sich darauf freuen, “eine Medizinwende zu unterstützen, in der die Allopathie und die Komplementärmedizin ihren Platz nebeneinander finden dürfen – zum Wohle der Menschheit und unseres Planeten”. (Kleiner gings wohl nicht. Und zum x-ten Male: Allopathie existiert nicht mehr, das war die Bezeichnung für die “konventionelle” Medizin zu Hahnemanns Zeiten, die völlig anders charakterisiert war als die heutige wissenschaftliche Medizin. Und was bitte ist Komplementärmedizin – eine ewige Frage?)

Dort versammelt sich eine illustre Gesellschaft von Vertretern der homöopathischen Glaubensrichtung. Bekannte wie auch Unbekanntere. So mancher Bewohner des Psiram-Universums findet sich dort (Wolfgang Scheel, das Ehepaar Michaela Dane und Miguel Corty Friedrich, bekannt durch ihre “Heptopathie” , Rosina SonnenschmidtJeremy SherrRavi Roy und Carola Lage-Roy und der omnipräsente Rolf Kron). Manch künftiger Anwärter auf einen Psiram-Eintrag dürfte unter den restlichen Experten sein. Eine gewisse Krönung erfährt der “Online Kongress” zudem durch Prof. Dr. E.S. Rajendran, zu dem uns die Kongress-Webseite mitteilt:

“Sensation, endlich lassen sich die Inhaltsstoffe in sämtlichen Homöopathieschen Mitteln nachweisen. Prof. Rajendran, der bekannte Lehrer, Praktiker und Wissbegieriger Forscher, hat sich über die wahre Natur der homöopathischen Potenzen erkundigt und der Welt die Wahrheit der Homöopathie offenbart.” (Orthografie wie im Original)

Hm. Ich beschäftige mich wirklich reichlich mit der Homöopathie, mir ist aber dergleichen bislang nicht untergekommen. Besonders würde mich interessieren, wo der Herr Professor Doktor sich denn über die wahre Natur der homöopathischen Potenzen erkundigt hat? Also ehrlich, das bewegt mich jetzt schon sehr! Ob er einen Blick in die Akasha-Chronik erhascht hat … ?

Aber Sarkasmus beiseite – natürlich weiß ich, was mit dieser verschwurbelten Mitteilung über die Verdienste von Prof. Rajendran gemeint ist: Er gehört zu den “High Dilution-Forschern”, unter diesen zu der besonderen Spezies, die glauben, die Wirksamkeit von homöopathischen Hochpotenzen durch den Nachweis von Nanopartikeln in diesen Dilutionen erbracht zu haben. Mehr zum Nanopartikel-Irrweg gibt es hier und hier.

Homöopathie ist das beherrschende Thema des “Kongresses”, sie bildet allerdings in der Gesamtschau mit allerlei anderen Methoden aus dem pseudomedizinischen Universum ein eklektizistisches Kaleidoskop, das Hahnemann vermutlich die Zornesröte ins Antlitz getrieben hätte. Von Alchemie über Spagyrik, fernöstlichen Einschlägen und Ernährungsmythen bis eben zur High Dilution-Forschung findet man alles Mögliche und Unmögliche. Woher und wohin der Wind weht, zeigt sich zudem am Themenspektrum:

  • Epidemien aus epigenetischer Sicht (Naja, fängt eben beides mit “epi” an…)
  • Wie die indische Gesundheitspolitik mit dem Coronavirus umgeht? (Spoiler zum Link: Das unsägliche AYUSH-Ministerium ist nicht “die indische Gesundheitspolitik)
  • Was wir tun können, um uns nicht von der Hysterie (!) und von anderen Menschen anzustecken?
  • Die wichtigsten homöopathischen Arzneien, die bei einer Corona-Ansteckung helfen können (siehe Einleitung – der Verblendungs-Indikator schlechthin)
  • Die homöopathische Grippeprophylaxe (es gibt keine homöopathische Prophylaxe – auch nicht für “Grippe” – vermutlich mal wieder keine Differenzierung zwischen Influenza und grippalem Infekt)
  • Die 10 wichtigsten homöopathischen Grippe(?)mittel (samt und sonders ohne jeden belegbaren Wirkungsnachweis)
  • Ansteckungskrankheiten aus “ganzheitlicher” Sicht (Buzzword, das nicht fehlen darf)
  • Der Sinn von Epidemien (Oha – hier dürfte die Anthroposophie und / oder andere Esoterik hereinspielen)
  • Der (sic!) Coronavirus als Entwicklungschance? (wie vor, kein Zweifel)
  • Naturheilkundliche Ergänzungsmöglichkeiten (sehr pauschal, aber geben wir dem mal Kredit)
  • Orthomolekulare Medizin als Stärkung des Immunsystems (OM – “a parody of nutritional science”)
  • Was schwächt unser Immunsystem? (zum Beispiel das Durchmachen von unbehandelten (= homöopathisch behandelten) und nicht durch Impfung verhinderten Infektionskrankheiten)
  • Stärkende Lebensmittel und Pflanzen für ein kraftvolles Immunsystem (Schön wärs) 
  • Banerji Methoden zur viralen Behandlung (auch das noch…)
  • Paracelsus Methoden für die Prävention von Atemwegserkrankungen (Paracelsus war der große Medizinreformer der Renaissance, der mit der seit der Antike angewendeten Vier-Säfte-Lehre (Galen) ins Gericht ging – was seine eigenen vorwissenschaftlichen Methoden und Mittel nicht richtiger macht).

Die Fragen genügen, auf die Antworten der Kongressexperten können wir wohl verzichten.

Wir sehen hier eine illustre Versammlung von Homöopathen jeglicher Couleur, die nicht einmal von den offiziellen Stellungnahmen des Zentralvereins homöopathischer Ärzte und des Verbandes klassischer Homöopathen zu SARS-CoV19 beeindruckt ist und aus dem aktuellen Anlass gleich die Bandbreite auf die gesamte Virologie und Epidemiologie ausweitet. Das gibt schon wieder einmal zu denken.


Viele der hier Versammelten sind Heilpraktiker. Die Behandlung von Infektionskrankheiten ist ihnen verboten (worauf der VKHD in seinem oben verlinkten Statement nachdrücklich hinweist). Es sei die Frage erlaubt, ob ihnen damit Ratschläge zu Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten nicht auch untersagt sein müssten? Nicht nur in diesem Fall stößt man immer wieder auf Webseiten und vor allem Vortragsveranstaltungen von Heilpraktikern, die sich mit Infektionskrankheiten befassen. Kürzlich habe ich versucht, in einem solchen Fall zu intervenieren (es handelte sich um einen auf der Webseite einer Gemeinde angekündigten Heilpraktiker-Vortrag für Familien zum Thema Borreliose, offenbar ein Lieblingsthema der Zunft – irgendeine Antwort habe ich nicht bekommen.)

Es schmerzt, auf der einen Seite (bedingungslos) für die Meinungsfreiheit einzutreten und auf der anderen Seite zu realisieren, dass man gegen einen solchen Irrsinn wie beispielsweise diesen “Online Corona Kongress” nicht wirklich etwas unternehmen kann. Es bleibt die Aufklärung – die hat aber offensichtlich nach wie vor im pseudomedizinischen Paralleluniversum einen schweren Stand… Ja, die Meinungsfreiheit. Sie wird zum Problem, geht es in die Richtung, dass durch ihre Inanspruchnahme Schäden bei anderen Menschen provoziert werden.

Manchmal bin ich schon einigermaßen verzweifelt, nach Jahren der Pseudomedizinkritik mit dem Schwerpunkt Homöopathie. Deshalb ist – man möge mir verzeihen – dieser Beitrag wieder mal zu einem Rant geronnen. Ein Ausweg? Ich würde mir endlich, endlich wünschen, dass die medizinische Gemeinschaft nicht mehr nur müde und desinteressiert abwinkt, wenn von Homöopathie und Co. die Rede ist, sie womöglich auf wirtschaftlichen Druck hin in der Praxis oder der Klinik sogar noch einführt. Natürlich ist die Homöopathie wissenschaftlich erledigt, das muss aber mit der Autorität der medizinischen Szene auch einmal deutlich verlautbart werden! Ich würde mir wünschen, dass – ähnlich wie dies in Frankreich vor wenig mehr als zwei Jahren geschehen ist – sich die praktische wie die forschende Medizin endlich einmal zu Wort meldet und der Öffentlichkeit unmissverständlich klarmacht, wo die Grenze zur Pseudomedizin liegt. Bitte, liebe Mediziner, liebe Fachgesellschaften, liebe AWMF, liebe Ärztekammern, macht das zuerst für die Homöopathie. Denn sie ist nicht nur das “Zugpferd” der Pseudomedizin, das oft in noch schlimmere Untiefen führt, sondern die Sachlage ist selten klar: es gibt bei der Homöopathie keine Grauzone – sie ist jeden Beweis für eine spezifische Wirksamkeit schuldig geblieben. Beherzigt endlich einmal das Statement des EuroScience Open Forum (ESOF) aus dem Jahre 2018, das mit wünschenswerter Deutlichkeit verlautbarte:

“Homöopathie ist die absurdeste von allen alternativen Methoden der Medizin”.


PS – Darf man verblüfft sein, unter den “Partnern” des Online-Kongresses ausgerechnet den oben vorsichtig lobend erwähnten Verband klassischer Homöopathen Deutschlands zu finden? Wie das, angesichts des eingangs angeführten Statements zu SARS-CoV19? Kognitive Dissonanz scheint eine Voraussetzung für die Ausübung der Homöopathie zu sein…  

UPDATE: Der VKHD twitterte am 20.03.2020 um 11.06 Uhr: “Unser Logo wurde in diesem Fall ohne unser Einverständnis und offenbar aufgrund einer Nachlässigkeit verwendet und nach unserer Intervention mittlerweile (genauer: heute vormittag) entfernt.” 

Weniger verblüfft bin ich, unter den Partnern auch den nicht unbekannten Bundesverband Patienten für Homöopathie vorzufinden, der sich mit Kritik an den Homöopathiekritikern (ich sage es mal nett) seit einiger Zeit ebenso hervortut wie mit intensiver politischer Lobbytätigkeit. (Soweit mir bekannt ist, hat der BPH sich bislang nicht zu dieser “Partnerschaft” geäußert. Ggf. folgt natürlich auch hier ein Update.)

UPDATE: Ach so, und die Homöopathen ohne (jede) (Scham)Grenzen, die präsentieren sich natürlich auch als “Partner” der Veranstaltung. Ganz vergessen…
Und damit es nicht so leer aussieht, setzt der Veranstalter auch noch Unterdomains seiner eigenen Website als “Partner” ein, die nur einen 404-Error erzeugen. Versucht mal, unter https://unitedtoheal.com/www.gluecksknirpse.de oder über den “Glücksknirpse”-Link auf der Veranstalterseite ganz unten (Links erloschen bzw. überschrieben).

Hier übrigens erfahren wir mehr zum Veranstalter der ganzen Sache. Ich bin nicht geneigt, ihm seine auf der Seite zum Ausdruck kommende empathische Einstellung abzusprechen. Vielmehr bedauere ich, dass jemand mit solchem Potenzial und solcher Zielstrebigkeit ausgerechnet auf den Pfad sinnbefreiter Pseudomedizin geraten ist.


Bild von ΓΙΑΝΝΗΣ ΚΟΡΕΝΤΖΕΛΟΣ auf Pixabay

Der Gesetzgeber und die Anklagebank in Krefeld

I.

Das Urteil im Krefelder Landgerichtsprozess gegen den Heilpraktiker Klaus R. aus Brüggen-Bracht ist gesprochen. Das Gericht befand ihn der fahrlässigen Tötung schuldig und verhängte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dies ist nach der Beweiswürdigung und unter den Regeln der Strafzumessung korrekt und entspricht bei Ersttätern einer solchen Straftat (wie beispielsweise auch für Verursacher schuldhafter Autounfälle mit Todesfolgen) gefestigter Rechtsprechung. Insofern habe ich keine Kritik am Schuldspruch und an der Strafzumessung zu üben.

Der Prozessführung durch das Gericht ist, soweit man sie der Berichterstattung entnehmen kann, Anerkennung auszusprechen (ich stütze mich hier auf Claudia Rubys exzellente Berichte auf MedWatch). Das Gericht war sich offensichtlich der Implikationen des Falles, die über die reine individuelle Tatfeststellung und Strafzumessung hinausgehen, durchaus bewusst.

Und diese Implikationen sollen hier auch noch Gegenstand einer kurzen Betrachtung sein, die an die inzwischen recht zahlreichen Artikel zum Heilpraktikerthema auf diesem Blog anknüpfen. Dabei gehe ich – anders als noch vor einiger Zeit – davon aus, dass seitens der Politik eine wirkliche Reform der Heilpraktikerproblematik wieder auf Eis gelegt wurde.

Das Gericht konnte einen konkreten Tatvorwurf nur an den Umstand knüpfen, dass R. die Bemessung / Dosierung des experimentellen Mittelns 3-Bromopyrovat (3-BP) mittels einer ungeeigneten Waage und ohne angemessenes Problembewusstsein für die Gefährlichkeit einer falschen Dosierung vorgenommen hatte. Der Tod der drei Patienten wurde auch – was in solchen Verfahren keineswegs selbstverständlich ist – von den Gutachtern als unmittelbare Folge der falschen Applizierung des Mittels eingestuft. Nicht Gegenstand des Urteils war, dass R. hier zu einem Mittel griff, das weder als Arzneimittel zugelassen ist noch zu dem wissenschaftlich fundierte Anwendungsrichtlinien bestehen. Er hantierte hier also mit einem Mittel, dessen Anwendung einem niedergelassenen Arzt verwehrt, einem klinischen Arzt nur unter strengsten Auflagen nach Freigabe durch die zuständige Ethikkommission unter sorgfältigster Protokollierung von Vorbereitung und Durchführung der Anwendung erlaubt wäre.

Ob damit ein Verstoß gegen Rechtsnormen für die Heilpraktikertätigkeit vorlag, war während des gesamten Prozesses auch in der Fachwelt strittig. Und tatsächlich hat das Gericht aus der reinen Anwendung des Mittels keine strafrechtliche Relevanz abgeleitet. Auch der Umstand, dass R. die Herstellung der Fertigarznei aus dem 3BP entgegen den Bestimmungen der Aufsichtsbehörde nicht angezeigt hat, dürfte marginal, vermutlich nicht einmal per Strafgesetzbuch zu ahnden gewesen sein.

Irgendeine grundsätzliche Kompetenzüberschreitung konnte das Gericht hier also nicht feststellen. Weil der Rechtsrahmen für Heilpraktiker eine solche nicht hergibt. Schon früh zeichnete sich demgemäß im Prozess ab, dass der strafrechtlich relevante Kernvorwurf sich auf die Sache mit der Waage kaprizieren würde, was sich bestätigt hat. Jedoch:

Empfindet irgendjemand diese Groteske mit der Waage als den entscheidenden Punkt in dieser Sache? Doch wohl nicht!
Aber mehr war vor Gericht nicht „drin“. Und das heißt im Umkehrschluss: Das, was jeder redlich Denkende hier als den Kern der Sache empfindet, nämlich dass jemand völlig außerhalb seiner Kompetenz und offenbar auch seiner Fähigkeit zur Selbstkritik in Gesundheitsfragen agiert und Menschen zu Tode bringt, ist rechtlich nicht angreifbar!

Eben daraus ergibt sich, dass es der Gesetzgeber offenbar willentlich und wissentlich zulässt, dass Menschen weit außerhalb ihrer Kompetenz und ihres Einsichtsvermögens im Bereich der Gesundheit anderer tätig werden. Denn DAS ist der Punkt, um den es im Grunde bei dem Krefelder Verfahren ging. Aber der ist als solcher nicht justiziabel – q.e.d.

Nebenbei sei angemerkt, dass die Konsequenz, die der Gesetzgeber aus dem Vorfall zog, sich darauf beschränkt, dass nunmehr für die eigene Herstellung verschreibungspflichtiger Mittel durch Heilpraktiker die bisherige Anzeige- durch eine Genehmigungspflicht ersetzt wurde.

II.

Ich will mir hier aus zweiter Hand kein abschließendes Urteil erlauben. Aber es sei die Anmerkung gestattet, dass der Angeklagte doch wohl objektiv weit außerhalb seiner Kompetenz und seiner Urteilsfähigkeit agiert hat. Zweifellos ist sein Bedauern, das er den Angehörigen der Verstorbenen ausgedrückt hat, redlich und ehrlich gemeint. Aber hat er Einsicht in die Einordnung seines Handelns über den reinen strafrechtlichen Vorwurf hinaus?

Hier ist die Frage berechtigt: Ist nicht in gewisser Weise auch Klaus R. dem Irrsinn zum Opfer gefallen, dass der Staat mit seinem Prädikat des Heilpraktikers nicht nur dem Patienten, sondern auch dem Therapeuten Kompetenz suggeriert, wo es keine gibt? Vieles aus dem Prozessverlauf deutet darauf hin, dass Klaus R. in die Blase einer Scheinkompetenz hineingewachsen ist, an deren Anfang die amtliche Zulassung als Heilpraktiker stand. Und da ist er mit Sicherheit nicht der einzige – das Problem ist systemisch.

Ceterum censeo: Der Staat trägt hier ganz unmittelbare Mitschuld. Und keine geringe.

III.

Einer der Gründe, weshalb 1939 das Heilpraktikergesetz als “Auslaufgesetz” mit dem Ziel herauskam, den Ärztevorbehalt zu verwirklichen, war die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts. Das hatte nämlich den Rechtsgrundsatz entwickelt, je weniger ein “Heiler” wisse und je weniger er “einsichtsfähig” sei, desto weniger sei ihm strafrechtlich ein Vorwurf zu machen. Man kann heute noch in den Reichsgerichts-Entscheidungssammlungen nachlesen, in welchem Maße damals Prozesse gegen Laienheiler geführt wurden und in welchem Maße es nach diesem Grundsatz zu Freisprüchen kam. Man wollte dem ein Ende machen.

Der Leitsatz aus der Entscheidung RSt. Bd. 67, 20 (sog. „Diphteriefall“) lautete:
“Doch kann von einem nichtärztlichen Heilbehandler nicht dasselbe Maß von allgemeiner Ausbildung und Fortbildung erwartet werden, wie vom approbierten Arzt, es bedarf auch hier der Prüfung, ob und wie weit der Heilkundige nach seinen persönlichen Verhältnissen und Erkenntnis zur Erfüllung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und zur Erkenntnis der ursächlichen Bedeutung seines Verhaltens imstande war.”

Heute bekommen wir demonstriert, dass wir wieder in exakt der gleichen Situation sind.

IV.

Nochmals sei in aller Deutlichkeit betont, dass das Bild vom eigenverantwortlichen mündigen Patienten ein Trugbild ist, das zur Selbstberuhigung einer untätigen Politik dient. Exemplarisch zeigen dies auch die Prozessberichte bei MedWatch. Insofern ist es geradezu zynisch, die Unantastbarkeit des Heilpraktikerwesens mit dem Argument einer Wahrung der Patientenautonomie zu begründen. Niemand bestreitet einem Patienten das Recht, selbst über die Art und Weise seiner Behandlung oder auch eine Nichtbehandlung zu bestimmen. Diese Patientenautonomie ist wohl das höchste Gut, das in der Entwicklung der Medizin der letzten 30 Jahre erreicht worden ist. Das hindert den Staat aber eben gerade nicht, Schutzpflichten wahrzunehmen, wie er es in gegenüber Gesundheitsfragen vergleichsweise marginalen Dingen doch ständig tut.

Im Gegenteil. Der Staat selbst wirkt derzeit ganz wesentlich daran mit, dass das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zum Opfer von mangelnder Kompetenz und leider auch Unlauterkeit und die Patientenautonomie zur Sackgasse wird.

Was heißt das in Bezug auf unser Ausgangsthema, den Krefelder Prozess?

Wir haben gesehen, dass es nicht generell justiziabel ist, dass Klaus R. Dinge angefasst hat, die objektiv außerhalb seiner Kompetenz und seines Verständnisses liegen, gleichwohl offenbar innerhalb seines Selbstbildes keinen Zweifeln unterlagen.

Ich halte das gleichwohl für vorwerfbar. Aber auf einer grundsätzlicheren Ebene als der einer falsch benutzten Waage. Und diese Ebene ist die des Gesetzgebers, der dies nicht nur zulässt, sondern noch mit einer Art staatlichem Gütesiegel befördert. Deshalb saß eben dieser Gesetzgeber in Krefeld mit auf der Anklagebank.


Bild von Hermann Traub auf Pixabay

Fake-Homöopathie-Fake

In Russland gibt es eine Firma namens OOO NPF Materia Medica Holding, unter Führung eines gewissen Oleg Epstein, die homöopathische Produkte herstellt. Wie nun offenbar wurde, stellte Epstein gleich auch die für diese Produkte passenden Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journalen mit her. Und nicht nur das.

2018 hat PLOS ONE (Public Library of Science, ein Open-Access-Online-Journal) eine Arbeit von Epstein et al. mit dem Titel “Novel approach to activity evaluation for release-active forms of anti-interferon-gamma antibodies based on enzyme-linked immunoassay” zurückgezogen. Für den Nichtfachmann ein Buch mit sieben Siegeln, dieser Titel. Jedoch, die Erklärung zum Retract von PLOS ONE hatte es in sich:

“Nach der Veröffentlichung dieses Artikels wurden Bedenken hinsichtlich der wissenschaftlichen Validität der Studie sowie eines potenziellen Interessenkonfliktes geäußert, […] … ziehen wir diesen Artikel zurück, da wir Bedenken hinsichtlich der wissenschaftlichen Gültigkeit der Forschungsfrage, des Studiendesigns und der Schlussfolgerungen haben.
Insbesondere sind wir besorgt über das Gesamtdesign der Studie, das darauf abzielt, die Auswirkungen eines Reagens zu erkennen, das so weit verdünnt ist, dass nicht zu erwarten ist, dass die Lösung biochemisch relevante Mengen an Antikörpern enthält.”

Kleiner Zwischenhalt. Wir merken uns an dieser Stelle, dass hier ein Journal – meines Wissens zum ersten Mal – an dem Postulat Anstoß nimmt, ultrahoch verdünnte Lösungen könnten eine biochemische Wirkung haben. Damit wird nicht nur auf die statistischen Methoden und Daten der Studie (die Ergebnisse im Sinne der evidenzbasierten Medizin) rekurriert, sondern auf die wissenschaftliche Grundplausibilität, die in diesem Fall dagegenspricht, dass allfällige Ergebnisse aus dem Datenmaterial überhaupt irgendeine Relevanz haben können. Ausgedrückt in dem Term von der “wissenschaftlichen Gültigkeit der Forschungsfrage”.

Weiter heißt es zum Retract:

“Die konsultierten Experten äußerten auch Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit und Strenge des in der Studie verwendeten Immunoassay-Systems. Der verwendete enzymgebundene Immunosorbent-Assay (ELISA) wurde so eingestellt, dass er kaum nachweisbare Signale liefert, was den Assay besonders anfällig für Störungen macht. In Anbetracht dieser Fragen sind wir der Ansicht, dass der Artikel keine ausreichenden oder zuverlässigen Beweise für die Schlussfolgerungen liefert.
Andere Probleme sind nicht deklarierte Interessenkonflikte […].”

Noch ein Zwischenhalt. Hier wird zusätzlich der Vorwurf erhoben, das Messsystem sei so kalibriert worden, dass Messartefakte (ersichtlich, um diese dann als positive Messsignale deuten zu können) geradezu provoziert wurden. Das muss man sich einmal vorstellen. Und hier wird auch deutlich, wie sich diese Mittel eine Mimikry zulegen, die sie von “Alltagshomöopathie” unterscheiden soll: Nicht schlichte “gewohnte” Grundstoffe wie Sulphur oder Belladonna machen die nichtvorhandenen Wirkstoffe aus, es wird hier mit hochkomplexen “Ursubstanzen” (anti-interferon-gamma antibodies based on enzyme-linked immunoassay) und der Bezeichnung “release-activated forms” (also ungefähr “freisetzend-aktivierte Medikamente”, offenbar ein Euphemismus für homöopathisch potenzierte Substanz) ein gänzlich unzutreffender Eindruck seriöser biochemischer Forschung erweckt.


PLOS ONE wurde tätig aufgrund von Kommentaren eines russischen Skeptikers, Alexander Panchin, auf deren Webseite. Panchin forscht an der Russischen Akademie der Wissenschaften zu molekularer Evolution und ist – kaum verwunderlich – erklärter Gegner der Homöopathie.

Panchin sieht die verschleiernde Bezeichnung “Release-active drugs (RADs)” für solche Mittel – zutreffend – schlicht als Synonyme für Homöopathie an. Diese Präparate würden bereits in Mexiko, Vietnam, der Mongolei, Weißrussland, der Ukraine und anderen Ländern verkauft.
Derzeit ist Panchin auf der Fährte weiterer solcher Veröffentlichungen in weiteren Journalen.

Panchin hat in BMJ EBM zu dieser “russischen Homöopathie” einen Fachartikel veröffentlicht (Panchin AY, Khromov-Borisov NN, Dueva EV: Drug discovery today: no molecules required BMJ Evidence-Based Medicine 2019;24:48-52). Darin heißt es:

…. diese innovativen “Medikamente” enthalten keine aktiven Moleküle und können als eine neue Spielart der Homöopathie angesehen werden. Dies deutet auf eine von zwei Möglichkeiten hin: Entweder stehen wir kurz vor einer Revolution in der Medizin oder es ist etwas schief gelaufen mit der Forschung und ihren Veröffentlichungen in zahlreichen wissenschaftlichen Journalen. Wir halten dafür, dass die letztgenannte Erklärung wahrscheinlicher ist und dass diese Schlussfolgerung schwerwiegende Auswirkungen auf die Unternehmen und Organisationen im Wissenschafts- und Gesundheitssektor hat. Das Opfer war diesmal Antiviral Research, eine Zeitschrift von Elsevier, die zwei Artikel von Epstein und Kollegen zurückgezogen hat. Eines davon trug im Juni 2017 den Titel ‘Wirksamkeit neuartiger antikörperbasierter Medikamente gegen Rhinovirusinfektionen’: In vitro und in vivo Ergebnisse.’

Dieser Beitrag ließ nicht erkennen, dass die auf antivirale Aktivität getesteten Produkte in Wirklichkeit ‘homöopathisch aktivierte Formen von Antikörpern’ waren, wie im US-Patent 8,535,664 B2 beschrieben, das von O. I. Epstein und anderen eingereicht wurde.

Die Homöopathie ist eine veraltete Therapieform, die von der modernen medizinischen Praxis nicht akzeptiert und von der modernen Wissenschaft abgelehnt wird. Wenn das bei Antiviral Research eingereichte Manuskript die Art der zu prüfenden Materialien als homöopathische Produkte identifiziert hätte, wäre es abgelehnt worden. Nachdem der Chefredakteur nun von diesen Informationen Kenntnis hat und die Frage ausführlich mit anderen Experten diskutiert hat, hat er beschlossen, diesen Artikel offiziell zurückzuziehen.

Die andere, “Aktivität von extrem niedrigen Dosen von Antikörpern gegen Gamma-Interferon gegen die tödliche Influenza A(H1N1)2009 Virusinfektion bei Mäusen”, erschien 2012. Auch hier blieb unerwähnt, dass es sich bei den getesteten Produkten um “homöopathisch aktivierte Formen von Antikörpern” im Sinne des schon erwähnten US-Patentes handelte.”

Was für eine Spiegelfechterei. Da lässt sich jemand “homöopathisch aktivierte Antikörper” in den USA patentieren, im Patent ganz offen bezugnehmend auf homöopathische Potenzierung (von 10^23 bis 10^99, also de facto wirkstofffrei), stellt “Medikamente” (mehrere “unterschiedliche”!) auf dieser Basis her, vertreibt sie in Schwellen- und Entwicklungsländern und hat zudem auch noch die Stirn, die passenden Anwendungsstudien dazu selbst zu verfassen und – neben der Vorspiegelung, es handele sich um moderne biochemische Präparate – darin mit keinem Wort zu erwähnen, dass sie auf den “homöopathisch aktivierten Formen” im Sinne des US-Patentes beruhen. Ganz abgesehen von der Unverfrorenheit, die massiven Interessenkonflikte (massiver geht nicht mehr) auch nur anzudeuten. Dem peer review der Journale stellt dieser Vorgang allerdings auch ein vernichtendes Zeugnis aus.

Und um Kleinigkeiten geht es nicht. Epstein bewirbt seine “Mittel” als Beitrag gegen Antibiotikaresistenzen (sic!), aber auch zur Behandlung von allerlei Kleinigkeiten, die einem den Atem stocken lassen. Homöopathika in 10^24 und höher, wohlgemerkt. Für starke Nerven hier ein Link zu einer deutschsprachigen Werbeseite eines der Präparate mit einer Indikationsliste.

Und wäre das nicht alles schon genug Tricksen, Täuschen und Tarnen: Die hier in Rede stehenden Präparate lehnen sich auch noch namentlich an die hochwirksamen – und sehr teuren – Interferon-Präparate an, betreiben also auch hier noch Trittbrettfahrerei. Im Preis, soweit ich das recherchieren konnte, allerdings nicht – ein Interferon-Präparat kostet in der Regel vierstellig, das “Trittbrettpräparat” aus Russland ist für wenige Euro zu haben, hat aber – soweit bekannt – dem Hersteller bereits hohe zweistellige (Euro-)Millionenumsätze erbracht. Nun ja, in den Indikationsangaben stehen sie echten Interferonpräparaten ja auch kaum nach…

Panchin berichtete gegenüber Retraction Watch, ihm seien drei Klagen von Homöopathieherstellern gegen Kritiker bekannt. Zwei gegen die Russische Akademie der Wissenschaften wegen einer Veröffentlichung, die Behauptungen, Homöopathie sei zur Behandlung von Krankheiten geeignet, als unhaltbar zurückwies. Diese Klagen scheiterten.

Eine weitere, noch nicht entschiedene Klage stammt von Epsteins Firma Materia Medica gegen die russische (fundraisingfinanzierte) Wissenschaftspublikation “Troitsky Variant – Nauka” und drei Autoren (Mitglieder der Kommission gegen Pseudowissenschaften der Russischen Akademie) wegen eines kritischen Artikels über die Firma Materia Medica, ihre “Medikamente” und ihren Gründer Epstein.


Und was hat das alles mit der Homöopathie in Deutschland zu tun?

Wie ich finde, eine ganze Menge. Beispielsweise trägt das unbeirrte Festhalten an Homöopathie im deutschen Gesundheitssystem auch dazu bei, deren falsche Reputation in der Welt, besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern zu befördern. Letztlich wird auch den “Medikamenten” von Epsteins Materia Medica Holding in den Absatzländern der Weg geebnet. Ich zweifle nicht daran, dass Deutschland mehr oder weniger offen als eine Art internationale Referenz pro Homöopathie “vermarktet” wird, solange es eine Insel der Zuckerkugeltherapie darstellt. Und das ist mehr als ein Unding.

Ein Grund mehr für eine klare Positionierung des deutschen Gesundheitssystems, der Ministerial- und der Parlamentsebene gegen die Scheinmethode Homöopathie.

Worüber ich mich ehrlich freue: Dass die Chefredaktion einer wissenschaftlichen Publikation sich offen auf den Standpunkt gestellt hat, dass jedenfalls “Forschungen” zu homöopathischen Hochpotenzen den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht erfüllen, die zur Veröffentlichung in einem peer-reviewten Journal Mindestvoraussetzungen sind.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

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