Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Schlagwort: Reviews

Homöopathie international: Die Reviews / die Statements / die Maßnahmen

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I.

Übersicht über die indikationsübergreifenden Reviews / Metaanalysen zur Homöopathie seit 1991

Kleijnen (1991) 

„Derzeit sind die Nachweise aus klinischen Studien positiv, aber sie sind nicht ausreichend, endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen, weil die Methodik in den meisten Studien von geringer Qualität ist und der Einfluss des „Publication bias“ unbekannt ist.“

Kleijnen J et al: Clinical trials of homeopathy, BMJ 1991; 302:316-23


Linde (1997) 

„Das Ergebnis unserer Meta-Analyse liefert keine Bestätigung für die Hypothese, die klinischen Effekte der Homöopathie bestünden alleine aus einer Placebowirkung. Wir fanden in diesen Studien jedoch nur unzureichende Nachweise dafür, dass die Homöopathie auch nur bei einem einzigen Krankheitsbild wirksam wäre.“

Linde K et al.: Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A metaanalysis of placebo-controlled trials, The Lancet 1997;350:834-43 


Linde (1998) 

„Die Ergebnisse der vorliegenden randomisierten kontrollierten Studien deuten darauf hin, dass die Homöopathie eine über Placebo hinausgehende Wirkung aufweist. Die Nachweise sind jedoch wegen methodischer Schwächen und Widersprüchlichkeit nicht überzeugend.“

Linde K et al: Randomized controlled trials of individualized homeopathy: A state-of-the-art review, Journal of Alternative and Complementary Medicine 1998; 4(4):371-388 


Cucherat (2000) 

„Es gibt ein paar wenige Nachweise dafür, dass homöopathische Therapien wirksamer sind als Placebos; die Aussagekraft dieser Nachweise ist wegen der nur geringen methodischen Qualität der Studien nur gering. Studien von höherer methodischer Qualität waren eher ungünstiger als solche mit geringer Qualität.“

Cucherat M et al.: Evidence of clinical efficacy of homeopathy, Eur. J Clin Pharmacol 2000;56:27-33 


Shang (2005) 

„… es zeigten sich schwache Nachweise für einen spezifischen Effekt der homöopathischen Arzneien (…) Die Ergebnisse bestätigen den Eindruck, dass es sich bei den klinischen Effekten der Homöopathie um Placeboeffekte handelt.“

Shang A et al. Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homeopathy and allopathy, Lancet 2005;366:726-32 

Die Shang-Studie, von der Schweizer Bundesregierung zur Evaluation komplementärmedizinischer Methoden in Auftrag gegeben, führte zu dem Lancet-Editorial vom „Ende der Homöopathie“ und in der Folge zu langandauernden Kontroversen um die Arbeit (die noch heute gelegentlich aufflackern). Auch von Homöopathiekritikern wurden einzelne Punkte bemängelt, jedoch ist es nie gelungen, die Endaussage zu Lasten der Homöopathie zu Fall zu bringen. Einen Überblick über die Diskussion zur Shang-Studie gibt es hier und hier.


Mathie (2014) 

„Arzneien, die als Homöopathika individuell verordnet wurden, haben vielleicht einen kleinen spezifischen Effekt. (…) Die generell niedrige und unklare Qualität der Nachweise gebietet aber, diese Ergebnisse nur vorsichtig zu interpretieren.“

Mathie RT et al.: Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis, Systematic Reviews 2014;3:142 

Mathie 2014 ist die wohl am häufigsten als Beleg pro Homöopathie herangezogene zusammenfassende Arbeit. Nahezu regelhaft lässt sich beobachten, dass aus dem vorstehenden Fazit nur der erste Satz zitiert und der zweite, der das ohnehin schwache Ergebnis nochmals stark relativiert, so gut wie nie angeführt wird.


NHMRC (2015) 

„Es gibt keine zuverlässigen Nachweise dafür, dass die Homöopathie bei der Behandlung von Gesundheitsproblemen wirkungsvoll wäre.“

National Health and Medical Research Council. 2015. NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions. Canberra: NHMRC;2015 


Mathie (2017) 

„Die Qualität der Nachweise als Ganzes ist gering. Eine Meta-Analyse aller ermittelbaren Daten führt zu einer Ablehnung unserer Nullhypothese [dass das Ergebnis einer Behandlung mit nicht-individuell verordneten Homöopathika nicht von Placebo unterscheidbar ist], aber eine Analyse der kleinen Gruppe der zuverlässigen Nachweise stützt diese Ablehnung nicht. Meta-Analysen für einzelne Krankheitsbilder ergeben keine zuverlässigen Nachweise, was klare Schlussfolgerungen verhindert.“

Mathie RT et al.: Randomised, double blind, placebo-controlled trials of nonindividualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis, Systematic Reviews 2017;6:663


Mathie (2018) 

„Aufgrund der geringen Qualität, der geringen Anzahl und der Heterogenität der Studien lassen die aktuellen Daten einen entscheidenden Rückschluss auf die Wirksamkeit von IHT (individualisierten homöopathischen Therapien) nicht zu. Die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse wird durch die insgesamt identifizierte variable externe Validität eingeschränkt […]. Künftige OTP-kontrollierte Studien (Anm: other than placebo, also gegen Standardtherapien oder ganz ohne Behandlung getestet) in der Homöopathie sollten so weit wie möglich darauf abzielen, sowohl die interne Validität als auch die externe Validität zu fördern.“

Mathie RT et al.: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled, Trials of Individualised Homeopathic Treatment. Homeopathy 2018; DOI: 10.1055/s-0038-1667129 


Antonelli /Donelli (2018) 

„Wenn die Wirksamkeit der Homöopathie mit einem Placebo vergleichbar ist und eine Behandlung mit Placebo bei manchen Beschwerden wirksam sein kann, dann kann man die Homöopathie insgesamt als Placebotherapie ansehen. Die Interpretation der Homöopathie als Placebotherapie definiert Grenzen und Möglichkeiten dieser Lehre.“

Die Arbeit vergleicht Homöopathie mit sogenanntem „offenen Placebo“, also Behandlungen, bei denen den Patienten mitgeteilt wird, dass sie ein Placebo erhalten. Das Ergebnis stellt fest, dass die Wirksamkeit der Homöopathika der offenen Placebobehandlung entspricht.

Es scheint Intention dieser Arbeit zu sein, die Homöopathie als Placebotherapie zu „legitimieren“, was ein Kurswechsel in dem Bemühen wäre, eine Wirksamkeit der Homöopathie mit den Methoden der Evidenzbasierten Medizin nachzuweisen. Es muss allerdings der Tendenz entgegen getreten werden, auf diese Weise Homöopathie als Teil von Medizin zu rechtfertigen, was inzwischen sogar von der klinischen Placeboforschung ausdrücklich hervorgehoben wird (so Benedetti F, The Dangerous Side of Placebo Research: Is Hard Science Boosting Pseudoscience?, Clinical Pharmacology & Therapeutics Vol 106 No 6 Dec 2017).

Antonelli M, Donelli D: „Reinterpreting homeopathy in the light of placebo-effects to manage patients who seek homeopathic care: A systematic Review“, Health Soc Care Community (2018). doi: 10.1111/hsc.12681


Mathie (2019) 

„Die aktuellen Daten lassen eine entscheidende Aussage über die vergleichbare Wirksamkeit von NIHT (Nichtindividualisierte homöopathische Therapie, Behandlung mit Standardmitteln) nicht zu. Die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse wird durch die insgesamt festgestellte begrenzte externe Validität (Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse) eingeschränkt. Die höchste intrinsische Qualität wurde in den Äquivalenz- und Nichtunterlegenheitsstudien von NIHT beobachtet.“

Auch diesmal kommt Mathie, was die Qualität der von ihm betrachteten Studien angeht, zu einem vernichtenden Ergebnis: Von 17 eingeschlossenen Arbeiten war keine einzige mit einem „low risk of bias“, also einer ausreichenden Qualität und Aussagekraft, zu bewerten. 13 davon waren gar mit einem „high risk of bias“ einzustufen. Was dies bedeutet, ist nachstehend in der Gesamtbewertung der Studienlage erläutert.

Mathie RT et al.: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled, Trials of Non-Individualised Homeopathic Treatment. 
Homeopathy 2019 Jan 30. doi: 10.1055/s-0038-167748


Bewertung der Gesamtevidenz aus den indikationsübergreifenden Reviews im Zeitraum von 1991 bis 2019

Reviews / Metaanalysen stellen die zuverlässigste Quelle für die Beurteilung von Evidenz dar und repräsentieren so in der Hierarchie von Evidenz die höchste Stufe. Sie fassen Einzelstudien bzw. vorherige Analysen unter Berücksichtigung der Qualität und Validität ihrer Ergebnisse zusammen und ermöglichen so eine Gesamtschau auf die Evidenzlage zu medizinischen Methoden / Mitteln.

Die Ergebnisse der großen indikationsübergreifenden Reviews zur Homöopathie ergeben durchweg ein einheitliches Fazit: Man erhält auf den ersten Blick den Eindruck, dass es einen gewissen Nutzen geben könnte. Aber bei der – elementar wichtigen – Einbeziehung der Qualität der Aussagen in die Betrachtung oder bei dem Versuch, konkret festzustellen, für wen sich unter welchen Bedingungen sich ein Nutzen ergibt, verschwindet der positive Eindruck und zeigt sich als Trugschluss.

Zusammengefasst: Die Gesamtevidenz zur Homöopathie stellt sich so dar, dass es keinen belastbaren Nachweis dafür gibt, dass Homöopathie stärker wirkt als Placebo / Kontexteffekte. Alle zitierten Arbeiten kommen zu dem gleichen Schluss, sowohl die von homöopathischer Seite heftig kritisierten Arbeiten von Shang und des NHMRC als auch die Arbeiten Mathies, der seine vier Reviews der Gesamtstudienlage für das Homeopathy Research Institute durchgeführt hat, das zu den ständigen Kritikern der nicht von Homöopathen erstellten Reviews gehört. Die vielfach euphemistisch-ausweichend formulierten „Conclusions“ der von homöopathischer Seite durchgeführten Reviews dürfen über die nirgends belegte Evidenz für die Homöopathie nicht hinwegtäuschen, nicht zuletzt, weil sie Vertretern der Homöopathie in Diskussionen die Möglichkeit bieten, scheinbar positive Aussagen (selektiv) zu zitieren.

Die stets konstatierte mangelnde Qualität der untersuchten Studien darf nicht fälschlich als Relativierung des für die Homöopathie negativen Ergebnisses verstanden werden. Fehler und methodische Unzulänglichkeiten in Studien und Studiendesign wirken sich nahezu zwangsläufig in Richtung des sogenannten Alpha-Fehlers, also eines falsch-positiven Ergebnisses, aus und nicht umgekehrt.

Dies wird auch dadurch bestätigt, dass unter Einbeziehung der qualitativ besten Arbeiten die positiv erscheinenden Effekte sich nicht verstärken, sondern tendenziell verschwinden. Dies zeigen auch viele der hier angeführten Reviews immer wieder.

In einzelnen Reviews ist sogar zu bemängeln, dass methodisch gute Studien mit einem negativen Ergebnis für die Homöopathie gänzlich unberücksichtigt geblieben sind (z.B. bei Mathie 2014, wo bei Einbeziehung dieser Arbeiten das schwache Ergebnis zugunsten der Homöopathie vollends obsolet gewesen wäre).


II

Stellungnahmen von wissenschaftlichen Organisationen und staatlichen Stellen zur Homöopathie

Russische Akademie der Wissenschaften, 2017 
Deutsche Übersetzung: Informationsnetzwerk Homöopathie (2017)

„Dieses Memorandum stellt fest, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft Homöopathie heute als Pseudowissenschaft betrachtet. Ihre Verwendung in der Medizin steht im Gegensatz zu den grundlegenden Zielen der nationalen Gesundheitspolitik […].

Somit basiert die Homöopathie auf theoretischen Positionen, die in großen Teilen direkt grundlegenden wissenschaftlichen Prinzipien und Gesetzen der Physik, Chemie, Biologie und Medizin widersprechen. Keinerlei empirische Daten aus unabhängigen, hochqualitativen klinischen Studien bestätigen die klinische Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln.“


National Health and Medical Research Council, Australien (2015)

„Die Homöopathie sollte nicht zur Behandlung chronischer, ernster oder schwerwiegender Gesundheitszustände eingesetzt werden. Menschen, die sich für die Homöopathie entscheiden, können ihre Gesundheit gefährden, wenn sie Behandlungen ablehnen oder verzögern, für die es gute Beweise für Sicherheit und Wirksamkeit gibt.“


Ungarische Akademie der Wissenschaften

Homöopathische Mittel erfüllen nicht die Kriterien der evidenzbasierten Medizin.


Schwedische Akademie der Wissenschaften

Die Aufnahme anthroposophischer und homöopathischer Produkte in die schwedische Arzneimittelrichtlinie würde mehreren Grundprinzipien für Arzneimittel und evidenzbasierte Medizin zuwiderlaufen. Es ist grob irreführend, Homöopathika als Medikamente zu bezeichnen.


US Food and Drug Administration (FDA)

Wir empfehlen Eltern und Betreuungspersonen, Kindern keine homöopathischen Kinderzahntabletten und -gele zu geben und sich von ihrem Arzt beraten zu lassen, um sichere Alternativen zu finden.


NCCIH (Nationales Zentrum für komplementäre und integrative Gesundheit), USA

Verwenden Sie die Homöopathie nicht als Ersatz für eine bewährte konventionelle Behandlung oder um den Besuch bei einem Arzt wegen eines medizinischen Problems zu verschieben.


Von der US-amerikanischen Verbraucherschutzbehörde FTC geforderte Standardkennzeichnung homöopathischer Mittel, 2016

„Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass das Produkt wirkt
Die Erklärungen zum Produkt basieren ausschließlich auf den Theorien der Homöopathie aus dem 18. Jahrhundert, die von der Mehrzahl der heutigen medizinischen Fachleute nicht akzeptiert werden.“


The House of Commons, Science and Technology Committee, 2009

Homöopathische Mittel sind nicht besser als Placebos, und die Prinzipien, auf denen die Homöopathie beruht, sind wissenschaftlich nicht plausibel.
Schlussfolgerung: Homöopathie sollte nicht vom National Health Service unterstützt werden und die MHRA (Arzneimittel-Zulassungsbehörde) sollte die Lizensierung homöopathischer Produkte beenden.


National Health Service, Vereinigtes Königreich

Es gibt keine qualitativ hochwertigen Belege dafür, dass die Homöopathie als Behandlung für irgendeine medizinische Indikation wirksam ist. Homöopathie ist im besten Falle Placebo.


Royal Pharmaceutical Society, Großbritannien, 2017

„Die Royal Pharmaceutical Society (RPS) unterstützt die Homöopathie als Behandlungsform nicht, da es weder eine wissenschaftliche Grundlage für die Homöopathie noch Belege für eine klinische Wirksamkeit homöopathischer Produkte über den Placebo-Effekt hinaus gibt.

Die RPS unterstützt keine Verschreibung homöopathischer Produkte im Rahmen des NHS (inzwischen erledigt mit der Übernahme der NHS-Empfehlungen zur Homöopathie durch sämtliche englischen Regionalorganisationen).

Apotheker sollten sicherstellen, dass Patienten die Einnahme ihrer verschriebenen konventionellen Medikamente nicht einstellen, wenn sie ein homöopathisches Produkt einnehmen oder dies in Erwägung ziehen.

Apotheker müssen sich darüber im Klaren sein, dass Patienten, die nach homöopathischen Produkten fragen, schwere, nicht diagnostizierte Krankheiten haben können, die die Inanspruchnahme eines Arztes erfordern.

Apotheker müssen Patienten, die ein homöopathisches Produkt in Betracht ziehen, über dessen mangelnde Wirksamkeit über Placeboeffekte hinaus beraten.“


Ministerium für Gesundheit, Spanien

„Die Homöopathie hat ihre Wirksamkeit in keiner bestimmten Indikation oder klinischen Situation endgültig bewiesen.“


Oberster Medizinischer Rat (NRL) der Nationalen Ärztekammer, Polen

„Die Anwendung der Homöopathie verstößt gegen die Grundsätze der medizinischen Ethik.“


Prof. Maciej Latalski, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates des polnischen Gesundheitsministers, Vorsitzender der Konferenz der Rektoren der medizinischen Universitäten in Polen (2006)

“(…) Homöopathie hat nichts mit Medizin zu tun (außer dem Phänomen des Placebos), und ihre therapeutischen Prinzipien basieren auf der pseudowissenschaftlichen Prämisse, dass “Ähnliches mit Ähnlichem behandelt werden kann.“


Federaal Kenniscentrum voor de Gezondheidszorg, Belgien / Englischsprachiger Teil

„Aus rein klinischer Sicht bleibt festzuhalten, dass es keinen gültigen empirischen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie (evidenzbasierte Medizin) über den Placeboeffekt hinaus gibt.“


European Academies Science Advisory Council (EASAC)

„Wir erkennen an, dass ein Placebo-Effekt bei einzelnen Patienten auftreten kann, aber wir stimmen mit früheren umfangreichen Evaluierungen überein, die zu dem Schluss kommen, dass es keine bekannten Krankheiten gibt, für die robuste, reproduzierbare Beweise existieren, dass Homöopathie über den Placebo-Effekt hinaus wirksam ist.“


Akademie der medizinischen Wissenschaften, Frankreich

„Homöopathie ist eine Methode, die vor zwei Jahrhunderten auf der Grundlage von a-priori-Konzepten ohne wissenschaftliche Grundlagen entwickelt wurde.“


Nationaler Rat der französischen Ärztekammern
zur Homöopathie-Debatte 2018 in Frankreich

Ohne die Freiheit kritischer oder divergierender Meinungen jedes Einzelnen im öffentlichen Raum in Frage zu stellen, fordert der Nationalrat der Ärztekammer:

  • dass der Begriff „Medizin“ als Voraussetzung für jedes therapeutische Vorgehen als erstes einen medizinischen Prozess der klinischen Diagnose beinhaltet, der gegebenenfalls durch zusätzliche Untersuchungen unter Hinzuziehung kompetenter Dritter ergänzt wird;
  • dass jeder Arzt Medizin nach wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen und Daten sowohl bei der Erstellung der Diagnose als auch beim Therapievorschlag praktizieren muss.

Oberste französische Gesundheitsbehörde: Erneute Evaluation der Studienlage zur Homöopathie (2019)

Insgesamt zeigten keine belastbaren Studien die Überlegenheit homöopathischer Arzneimittel gegenüber konventionellen Behandlungen oder dem Placebo in Bezug auf die Wirksamkeit.


Zentrale Ärztekammer der Region Madrid (ICOMEM)

„Über homöopathische Produkte: [Die Ärztekammer …] sieht es insofern als unethisch an, dass Methoden, aber auch Verschreibungen von Arzneimitteln als wirksame Therapien dargestellt und vorgeschlagen werden, bei denen wissenschaftliche Grundlagen fehlen, denen illusionäre Vorstellungen zugrunde liegen oder die sich praktisch unzureichend bewährt haben.

Aus diesen Gründen wird die Verantwortung des Arztes öffentlich eingefordert und an seine Pflichten gegenüber dem Patienten und dem Berufsstand gegenüber erinnert.


Was den europäischen Bereich betrifft, so ist – abgesehen natürlich von den Ländern, bei denen Homöopathie in den Gesundheitssystemen ohnehin keine Rolle spielte – Deutschland das einzige Land, das nach der Veröffentlichung des als Empfehlung an die Regierungen und die EU-Kommission gedachten Statements zur Homöopathie keinerlei Veränderungen im Arzneimittel- und Sozialrecht vorgenommen hat. Damit kann mit Fug und Recht festgehalten werden, dass Deutschland in dieser Hinsicht die europäische „Rote Laterne“ innehat – hinten am letzten Waggon mit der Bremsanlage.


III

Gesundheitspolitische / staatliche Maßnahmen
zur Homöopathie im Gesundheitswesen

USA – Federal Trade Commission (US-Verbraucherschutzbehörde) – 2016

Die FTC fordert in einem „Enforcement Policy Statement on Marketing Claims for OTC Homeopathic Drugs“ vor dem Hintergrund, dass ein Vertrieb als Arzneimittel ohne Evidenznachweise nicht hingenommen werden könne, eindeutige Kennzeichnungen von homöopathischen Präparaten.

Statements der zugehörigen Pressemitteilung:

„Diese Irreführung der Kunden (Verkauf als Arzneimittel ohne wissenschaftlichen Wirkungsnachweis) könne dadurch beseitigt werden, dass die Hersteller in ihren Begleitmaterialien („marketing materials“) angeben, dass es

  • keine wissenschaftlichen Belege dafür gäbe, dass das Produkt wirkt und dass sich
  • die Angaben lediglich auf die Theorien der Homöopathie, die aus dem 18. Jahrhundert datieren, abstützen, die von den meisten modernen medizinischen Fachleuten nicht akzeptiert werden.“

Russische Föderation, Russische Akademie der Wissenschaften / Gesundheitsministerium – 2017

Die „Kommission zur Bekämpfung von Pseudowissenschaften“ am Präsidium der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAS) hat 2017 ein Memorandum „Über die Pseudowissenschaft Homöopathie“ herausgegeben. Die RAS hat auf der Grundlage eines interdisziplinären Fachgutachtens die Homöopathie als Pseudomedizin eingestuft und erklärt, dass künftige Erkenntnisse, die dies revidieren könnten, nicht zu erwarten sei (deutsche Übersetzung hier). Die Homöopathie soll aus allen Ebenen des öffentlichen Gesundheitswesens entfernt werden. Als Maßnahmen wurden dem Gesundheitsministerium zur Umsetzung u.a. vorgeschlagen:

  • […] Die postgraduale Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte hat darauf abzuzielen, diese mit den Grundannahmen pseudowissenschaftlicher Methoden – einschließlich Homöopathie – und der Kritik daran, die zur Einstufung als Pseudowissenschaft führt, vertraut zu machen.
  • Versicherungen haben sich an die gängige Praxis zu halten, die keine Leistungserbringung für Homöopathie vorsieht.
  • Kein gleichberechtigter Apothekenverkauf von Arzneimitteln und homöopathischen Präparaten. Homöopathische Medikamente sollten in einer separaten Vitrine vorgehalten werden.
  • Keine Beratung von Patienten mehr zu homöopathischen Mitteln. Pflichtberatung in Apotheken bei Patienten, die homöopathische Mittel verlangen, dahingehend, dass die Homöopathie nach wissenschaftlichen Kriterien keinen Wirkungsnachweis erbringen konnte.
  • Verpflichtung der Ärzte zur Information von Patienten über die Wirkungslosigkeit der Homöopathie und ihre Einstufung als Pseudomedizin. Keine Zusammenarbeit mit Organisationen, die weiterhin Homöopathie fördern und verbreiten. Eine Verschreibung homöopathischer Mittel ist als unethisch anzusehen, und zwar auch dann, wenn nur der Placebo-Effekt erreicht werden soll. […]

Australien, Gesundheitsministerium und Verband der Versicherungsanbieter / Pharmaceutical Society of Australia) – 2017

Homöopathie wurde bislang nur innerhalb von privaten Zusatzmodulen zur gesetzlichen Krankenversicherung angeboten. Das australische Gesundheitsministerium und die Versicherungsträger haben sich 2017 darauf geeinigt, Homöopathie-Erstattungen (neben anderen Methoden ohne Wirkungsnachweis) auch im Bereich der privaten Zusatzversicherung nicht mehr zuzulassen. Damit wurde einer Empfehlung des Royal Australian College of General Practitioners (der Allgemeinärzteorganisation Australiens) als Konsequenz aus dem NHMRC-Review von 2015 gefolgt. Die Entscheidung wurde 2019/20 nochmals evaluiert und blieb unverändert.

Gesundheitsministerium und Apothekerverband haben als Fazit einer gemeinsamen Begutachtung erklärt, dass „diese Produkte (Homöopathika) keine Evidenzbasis hätten und ausreichende Beweise für ihre Nichtwirksamkeit bestünden, um aus ethischen Gründen ihren Verkauf in öffentlichen Apotheken auszuschließen. Die Pharmaceutical Society of Australia und andere Berufsvereinigungen haben ergänzend erklärt, dass sie den Verkauf und das Vorhalten von Homöopathika in öffentlichen Apotheken nicht unterstützen.

Nachtrag: Inzwischen hat sich dies im offiziellen PSA Code of Ethics for Pharmaceutics niedergeschlagen. Aufgrund dessen hat die PSA nun Werbetreibenden und Einkaufsgemeinschaften des pharmazeutischen Bereichs dringend empfohlen, in keiner Form für Homöopathika zu werben.


Vereinigtes Königreich, National Health Service – 2017

Der National Health Service (NHS), der Träger des Gesundheitssystems in Großbritannien, hat die Verschreibungsfähigkeit von Homöopathika (und 17 weiteren Mitteln, durchweg pflanzliche Remedia) beendet. Die Regionalorganisationen des NHS erhielten entsprechende „Blacklists“. Der Schritt erfolgte wegen „geringer klinischer Wirksamkeit“ und/oder „geringer Kosteneffizienz“. Speziell die Homöopathie sei „im besten Fall Placebo”.

Der NHS folgt damit einer bereits aus dem Jahre 2009 stammenden Empfehlung des Science and Technology Committee des House of Commons: „Homeopathy should not be funded on the NHS and the MHRA should stop licensing homeopathic products… We conclude that the Government’s policies on the provision of homeopathy through the NHS and licensing of homeopathic products are not evidence-based“).


Spanisches Gesundheitsministerium – 2017

Die spanische Gesundheitsministerin hat den Regionen per Erlass die Erstattung von Homöopathie im Krankenversicherungssystem ausdrücklich untersagt und wiederholte Verstöße der Regionen gegen die entsprechende bisherige Weisung gerügt. Noch bestehende Genehmigungen für Homöopathika-Erstattungen in der Region Valencia (nach dem sog. Königl. Dekret 1/2015) wurden zurückgezogen.


Food and Drug Administration, USA – 2017

Die Food and Drug Administration (FDA), die US-amerikanische Arzneimittelbehörde, hat in einer Pressemitteilung vom 18.12.2017 erstmals Regulationsvorschriften für den Vertrieb und Verkauf von Arzneimitteln ohne Wirkungsnachweis, insbesondere der Homöopathie, angekündigt. Sie erkennt damit ausdrücklich die Risiken an, die damit verbunden sind, dass Patienten Mitteln ohne Wirkungsnachweis auch bei schwereren Erkrankungen vertrauen könnten. Aus der Pressemitteilung:

„Bis vor relativ kurzer Zeit war die Homöopathie ein kleiner Markt für Spezialprodukte. Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist der Markt für homöopathische Arzneimittel exponentiell gewachsen. Dies hat eine Industrie mit einem Volumen von fast 3 Milliarden US-Dollar hervorgebracht, was entsprechend mehr Patienten den potenziellen Risiken aussetzt, die mit der Verbreitung von unbelegten, nicht getesteten Produkten und unbegründeten gesundheitsbezogenen Angaben verbunden sind. […]

Der Leitlinienentwurf ist ein wichtiger Schritt in der Arbeit der Agentur zum Schutz der Patienten vor unbewiesenen und potenziell gefährlichen Produkten. […]“


Schweiz – Einführung der Erstattungsfähigkeit von Homöopathie als „politischer Kompromiss“ ohne Wirksamkeitsnachweis – 2017

Die Situation in der Schweiz stellt einen Sonderfall dar. Derzeit ist die allgemeine Krankenversicherung ermächtigt, Kostenerstattungen für fünf „komplementärmedizinische Methoden“ (darunter die Homöopathie) zu leisten. Dies geschieht jedoch nicht aufgrund von Evidenznachweisen.

Parallel zu einer ersten „probeweisen“ Einführung der Kostenerstattung für fünf „komplementäre“ Methoden (darunter Homöopathie) wurde 1999 in der Schweiz ein Programm zur Evaluation gestartet, von dem die zukünftige Handhabung abhängen sollte (PEK – Programm Evaluierung Komplementärmedizin). Bezüglich der Homöopathie führte dieses Programm zu der unter I.5 gelisteten Studie Shang et al. Diese erbrachte (ebenfalls) keinen belastbaren Wirkungsnachweis für die Homöopathie (sie verursachte jahrelang massive Kontroversen in der Fachwelt, ist bis heute noch Gegenstand von Diskussionen, die Richtigkeit der Gesamtaussage konnte jedoch niemals erschüttert werden). Daraufhin wurde die Erstattungsfähigkeit der fünf Verfahren – einschließlich der Homöopathie – in der Schweiz wieder beendet.

Per Volksentscheid „Für den Erhalt von Komplementärmedizin“ wurde dessen ungeachtet erreicht, die Komplementärmedizin als Teil der Gesundheitsfürsorge in der schweizerischen Verfassung zu verankern. Die Umsetzung dieser Entscheidung nahm erhebliche Zeit in Anspruch und endete in einem politischen „Kompromiss“: In einem „Vertrauensbonus“ für die Komplementärmedizin. Ungeachtet der nach wie vor nicht belegten Evidenz der Wirksamkeit werden seit dem 01.07.2017 pauschal die in Rede stehenden fünf Therapien in den Leistungskatalog aufgenommen und erst dann, wenn Ärzte- oder Patientenorganisationen einen Antrag auf Überprüfung stellen, sollen diese im Einzelfall „auf ihren therapeutischen Nutzen“ untersucht werden.

Die derzeit bestehende Kostenerstattungsfähigkeit für Homöopathie im Schweizer Gesundheitssystem ist also keineswegs ein Beleg für eine anerkannte Evidenz der Methode, wie oft und gern behauptet wird. Die derzeitige Situation in der Schweiz ist mit den Ergebnissen der eigenen Evaluation (Arbeit Shang et al.) unvereinbar.

Die ganze Geschichte dieses langjährigen Prozesses beschreibt das Informationsnetzwerk Homöopathie hier.

Die Neue Zürcher Zeitung hat zu den wiederholten Versuchen deutscher Homöopathie-Organisationen, das „Schweizer Modell“ als Beleg pro Homöopathie darzustellen, einen umfassenden klarstellenden Artikel veröffentlicht.


Spanisches Gesundheitsministerium – 2018

Die spanische Gesundheitsministerin hat sich im Interview mit La Vanguardia , klar zur Homöopathie als Pseudowissenschaft positioniert:

„Die Homöopathie ist eine „alternative Therapie“, die wissenschaftlich nicht belegt ist.

Gesundheitseinrichtungen haben die Pflicht, Produkte mit nachgewiesener Wirkung zu verwenden, d.h. Medikamente, die strengen klinischen Studien und Kriterien unterzogen wurden. Wenn homöopathische Arzneimittel wissenschaftliche Nachweise erbringen, werden sie als solche angesehen. Das ist nicht mehr der Fall.

Wir arbeiten mit dem Wissenschaftsministerium an einer Strategie zur Bekämpfung der Pseudowissenschaften. Sobald diese Strategie vorliegt, werden wir Maßnahmen zu einzelnen Methoden / Mitteln vorlegen, aber es ist klar, dass es vordringlich ist, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und aufzuzeigen, welche Produkte für die Gesundheit nützlich sind und welche nicht, und den Schaden zu erklären, den die Entscheidung für eine alternative Therapie anrichten kann.“


Ungarisches Nationales Institut für Pharmazie und Lebensmittelgesundheit (OGYÉI) – 2020

„Ab dem 1. Juli (2020) darf ein homöopathisches Arzneimittel nur dann mit einer therapeutischen Indikation vermarktet werden, wenn die Wirksamkeit der Behandlung durch klinische Studien bestätigt wurde. Solche Mittel existieren derzeit jedoch nicht.

Ab dem Stichtag können homöopathische Arzneimittel nur in Ungarn ohne “therapeutische Indikation” vermarktet werden, da ihre Indikation für die auf dem Markt befindlichen Produkte durch eine klinische Studie nicht bestätigt wurde.

Die Werbung für marktfähige homöopathische Arzneimittel wird daher ab dem 1. Juli 2020 möglicherweise nur noch den Etikettentext des Produkts und keine zusätzlichen Informationen enthalten.“

Durch die Änderung des Gesetzes zur Änderung der Rechtsvorschriften über Humanarzneimittel und anderer Rechtsvorschriften zur Regulierung des Pharmamarkts (in Kraft getreten zum 01.01.2020) hat Ungarn das Zulassungsregime für homöopathische Mittel, die mit einer Indikation auf den Markt kommen wollen, verschärft. Solche Mittel müssen nun ausnahmslos mit klinischen Studien auf wissenschaftlicher Basis ihre Wirksamkeit nachweisen. Die zum Stichtag auf dem Markt befindlichen Mittel mit Indikation genießen keinen Bestandsschutz. Im Ergebnis ist nach dem 01. Juli 2020 in Ungarn kein homöopathisches Mittel mehr auf dem Markt, das mit einer Indikationsangabe versehen ist oder werben darf.

In Deutschland würde dies einer Abschaffung des Kerns des Binnenkonsens entsprechen, indem der Kommission D beim BfArM die Möglichkeit genommen würde, indikationsbezogene Zulassungen auf der Grundlage „homöopathischen Erkenntnismaterials“ nach selbstgesetzten Kriterien auszusprechen.


Die Zusammenstellungen unter II und III erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Von der Neugier zur Langeweile – Prof. Paul Glasziou zum NHRMC-Review

Reviews – looking behind the doors

Der größte Hoax, den Homöopathen (bis auf die Homöopathie selbst) jemals losgetreten haben, ist wohl das jahrelange Schmierentheater um den angeblich unterdrückten “ersten Bericht” des australischen NHMRC, der dem offiziellen Bericht von 2015 vorausgegangen und in der Tonne gelandet sei, weil er angeblich positiv für die Homöopathie ausgefallen war. Nachdem der NHMRC den “First Draft” vor einem Jahr dann veröffentlichte, um dem Unsinn ein Ende zu machen, gab es zunächst weltweit groteske Fehldeutungen und Jubel in der homöopathischen Szene (drastische Demonstrationen des confirmation bias), bis das Ganze dann nach und nach sozusagen verdunstete.

In Deutschland allerdings hielt und hält sich die Behauptung, sinistre Kräfte steckten hinter dem NHMRC-Review und das Ganze sei eine “Täuschung der Öffentlichkeit” nach wie vor. Erst vor wenigen Tagen geriet ich in eine Diskussion mit einem praktizierenden Homöopathen, der die ganze Geschichte mit dem “First Draft” für sich protokolliert hatte – aus Homöopathensicht. Wirklich kaum zu glauben, wie sehr sich sein Protokoll der causa von dem meinen unterschied. Durchaus Anlass genug, die eigene Position nochmals zu prüfen – und sie für tragfähig zu befinden.

Im Zusammenhang mit dem NHMRC-Review bin ich auf einen kurzen Blogbeitrag von Prof. Paul Glasziou von der Bond-Universität in Australien gestoßen, der seinerzeit der Leiter der Arbeitsgruppe war, die den Bericht zusammengestellt hatte. Er stammt aus der Zeit (2016), als der Review schon eine Weile in der Welt war und sich die “Opposition” dagegen deutlich zu regen begann. In seiner nüchternen Klarheit finde ich ihn bemerkenswert, auch deshalb, weil Prof. Glasziou ganz offensichtlich sehr unvoreingenommen und nicht einmal mit umfassendem Vorwissen über Homöopathie an die Untersuchung herangegangen war. Nachstehend meine deutsche Übersetzung.

Paul Glasziou: Immer noch keine Beweise für die Homöopathie
16. Februar 2016 / thebmjopinion
http://blogs.bmj.com/bmj/2016/02/16/paul-glasziou-still-no-evidence-for-homeopathy/

Als der Bericht des Nationalen Gesundheits- und Medizinischen Forschungsrates (NHMRC) über die Homöopathie zu dem Schluss kam, dass “es keine zuverlässigen Beweise aus der Forschung am Menschen gab, dass die Homöopathie irgendwo bei der Bandbreite der betrachteten Krankheitsbilder wirksam ist”, waren nur wenige in der konventionellen Medizin überrascht, die Homöopathie-Gemeinschaft aber war empört. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die den Bericht erstellt hat, war ich einfach nur erleichtert, dass der beschwerliche Weg der Sichtung und Synthese der Beweise zu Ende war. Ich hatte die Reise mit einer “Ich weiß es nicht” Haltung begonnen, neugierig darauf, ob diese unwahrscheinliche Methode jemals funktionieren könnte. Allerdings, wer hätte früher geglaubt, dass Bakterien Magengeschwüre verursachen oder dass Impfstoffe gegen Krebs zur Routine werden würden? Also vielleicht doch? … Aber ich habe das Interesse verloren, nachdem ich die 57 systematischen Übersichtsarbeiten (zu 68 Indikationen), die 176 Einzelstudien enthielten, durchgesehen und keine überzeugenden Effekte jenseits von Placebo erkennen konnte.

Natürlich würden wir bei 176 Studien rein zufällig ein paar p-Werte unter 0,05 erwarten: 1/20 von 176 ist etwa 9, die Anzahl, die reiner Zufall als “statistisch signifikant” erscheinen lassen würde. Wir haben uns auf Replikationen und systematische Übersichtsarbeiten gestützt, um solche falsch positiven Ergebnisse zu vermeiden. Das NHMRC replizierte nicht selbst alle 63 systematischen Übersichtsarbeiten (was jeweils über 50.000 AU$ gekostet hätte), sondern bewertete die vorhandenen Übersichtsarbeiten und benutzte sie als Fenster zur Gesamtevidenz (“body of evidence“) . Obwohl dieser body of evidence in Größe und Qualität heterogen war, ergab sich aus den qualitativ höherwertigen Studien kein klares Signal für eine Wirksamkeit.

Eine Überraschung war für mich das Spektrum der Erkrankungen, bei denen die Homöopathie untersucht worden war, darunter rheumatoide Arthritis, Radiodermatitis, Stomatitis (Mundentzündung) infolge einer Chemotherapie und die Infektion mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV). Was mich später noch mehr schockierte, war, dass es Organisationen gibt, die die Homöopathie bei Infektionskrankheiten wie AIDS in Afrika oder Malaria propagieren. Angesichts der derzeit vorhandenen wirksamen Behandlungen scheint das eine sehr zweifelhafte Aktivität zu sein und ist ein weiteres Beispiel, das die Aussage des NHMRC rechtfertigt, dass “Menschen, die sich für die Homöopathie entscheiden, ihre Gesundheit gefährden können, wenn sie Behandlungen ablehnen oder verzögern, für die es gute Beweise für Sicherheit und Wirksamkeit gibt”.

Es überrascht nicht, dass es von Verwendern und den Vertreibern homöopathischer Arzneimittel erheblichen Gegenwind gegeben hat. Tatsächlich initiiert der International Council for Homeopathy derzeit ein Fundraising – jedoch nicht, um bessere Forschung zu finanzieren, sondern um das NHMRC-Dokument anzugreifen. Ich kann gut verstehen, warum Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, mit dem Stand der medizinischen Praktiken des 18. Jahrhunderts, wie Aderlass und Schröpfen, unzufrieden war und versuchte, eine bessere Alternative zu finden. Aber ich vermute, er wäre enttäuscht über das kollektive Versagen der Homöopathie, die, statt seine damals durchaus innovativen Untersuchungen weiterzuführen, weiterhin eine therapeutische Sackgasse verfolgen.


Paul Glasziou ist Professor für evidenzbasierte Medizin an der Bond-Universität in Queensland und nebenberuflich Allgemeinmediziner.


Ein interessanter Einblick am Rande. Ceterum censeo: Homöopathie ist eine spezifisch unwirksame Scheintherapie, die im Gesundheitswesen keinen Platz haben kann und deren Privilegierung im Arznei- und Sozialmittelrecht eine perpetuierte Verantwortungslosigkeit ist. Und was Prof. Glaszious Vergleich mit der Entdeckung des Helicobacter pylori oder der Entwicklung des HPV-Impfstoffs betrifft: damit war jedenfalls nichts postuliert worden, was gegen naturgesetzliche Gegebenheiten verstoßen hätte. Diese Entdeckungen, solange sie noch unbekannt waren, existierten latent im Raum des potenziell Möglichen. Anders als die Hypothesen der Homöopathie, die, nach den Worten von Prof. Otto Prokop, Spekulationen “außerhalb der Grenzen der realen Welt” darstellen. Der Vergleich macht aber deutlich, wie unvoreingenommen – als strenger Evidenzler – Prof. Glasziou an die Sache herangegangen ist.


Zum Weiterlesen – die wichtigsten Veröffentlichungen des Informationsnetzwerks Homöopathie zum NHMRC-Review und der “First Draft”-Debatte:

Stellungnahme des Informationsnetzwerks Homöopathie zur Beschwerde des HRI über das Review des australischen Gesundheitsministeriums (NHMRC)

Offener Brief des INH zum Interview mit Dr. Tournier (HRI) auf „Homöopathie online“

Unendliche Geschichte(n) – noch einmal zum Homöopathie-Review des NHMRC

Der „unterdrückte erste Report“ des NHMRC – Quelle von „Ermutigender Evidenz“?


Bild von Arek Socha auf Pixabay

Der Preis ist heiß!

    Krems an der Donau

    Die folgende Passage aus einer Pressemitteilung der Fa. Peithner, Österreich, verdient unser Augenmerk:

    Wien (pts005/28.03.2018/08:00) – Die Homöopathie erfüllt alle Kriterien der evidenzbasierten Medizin! Zu diesem Ergebnis kommt die Allgemeinmedizinerin Dr. Melanie Wölk, die im Rahmen ihrer Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Abschlusses Master of Science im Universitätslehrgang Natural Medicine, Donau-Universität Krems, die Frage untersucht hat, ob die Homöopathie den Regeln der Evidence based Medicine (EbM) entspricht. Für diese Arbeit wurde Wölk mit dem Dr. Peithner Sonderpreis für Forschung in der Homöopathie ausgezeichnet.

    Das ist ja mal eine Sensation ersten Ranges, sicherlich höherer Würden wert als der eines schnöden Masterabschlusses und eines lumpigen 3000-Euro-Schecks vom Homöopathie-Fabrikanten Peithner (wie die DHU zum Konzern Willmar Schwabe gehörig). Finde ich übrigens auch ziemlich knausering, in Anbetracht eines derartigen Durchbruchs. Naja, auch Blinddärme können durchbrechen…

    Ich gestehe meine tiefe persönliche Betroffenheit. Denn immerhin habe ich mir die Mühe gemacht, die negative Evidenzlage zur Homöopathie aufgrund der großen indikationsübergreifenden Reviews zu belegen. Vertan? Wir werden sehen. Zweifellos wird der Zentralverein in Anbetracht der neuesten akademischen Weihen für dieses Statement die Korken knallen lassen…

    Also, irgendwo scheint es ja hier einen Dissens zu geben… Habe ich mich dermaßen vergaloppiert? Wenn hier mit akademischen Weihen und Auszeichnungen nahe dem Medizinnobelpreis gegen meine Position gehalten wird, muss ich mich ja wohl damit auseinandersetzen. Also auf gehts.

    Aber wohin? Suche in allen Datenbanken und wichtigen Publikationen ergab sowohl zu der Person der Preisträgerin als auch zu der genannten Hochschule – exakt null. Ebenso ist die preisgekrönte Arbeit nicht auffindbar – sie stammt bereits aus 2016, also wäre Zeit genug für eine Veröffentlichung gewesen. Dies lässt mich einerseits erst einmal feststellen, dass hier wohl der bekannte Schubladeneffekt (publication bias) gleich mal zum Prinzip erhoben wurde und zum anderen bin ich deshalb hier auf die Führung eines Indizienprozesses angewiesen. (Update – siehe unten!)

    Klar, dass der Kredit für die Autorin und für die Sache schon sehr geschrumpft ist, wenn hier mit akademischer Autorität gewunken wird, ohne dass irgendwelche Publikationen, weder von der Person noch von der Institution, auffindbar sind. Aber wir wollen gar nicht allein deswegen den Stab über die Sache brechen sondern schauen, welchen Honig wir vielleicht noch aus der Sache saugen können.

    Wie kommt die Preisträgerin zu ihrem Schluss? Durch Literatur- und Datenbankrecherche, wie man erfährt, durch eine Auswahl von Reviews, die mir ein wenig willkürlich erscheinen will – aber seis drum. Das Verfahren als solches ist legitim und normal für die Durchführung eines systematischen Reviews. Richten wir unser Augenmerk nur einmal darauf, dass der große Review der Australischen Gesundheitsbehörde NHMRC auch in den Materialien enthalten ist, aus der der Schluss abgeleitet wird, die Homöopathie sei evidenzbasierte Medizin. Eine mehr als kühne Schlussfolgerung. Denn bekanntlich kommt diese bislang umfangreichste Betrachtung der Studienlage zur Homöopathie zu dem – nicht neuen – Ergebnis, dass es keine einzige Indikation gibt, für die eine belastbare Evidenz zugunsten der Homöopathie vorliegt. Exakt wie die anderen großen indikationsübergreifenden Reviews, insbesondere derer von Robert Mathie (2014 und 2017), einer kritischen Haltung zur Homöopathie wirklich unverdächtigen Herrn, die seltsamerweise keinen Eingang in die preiswürdige Literatur- und Datenbankrecherche gefunden haben.

    Es liegt angesichts dessen auf der Hand, dass es mich brennend interessiert, auf welche Weise die Schlussfolgerungen der Preisträgerin aus den beigezogenen Studien und sonstigen Arbeiten abgeleitet wurden. Nun, ich glaube, das werde ich wohl nicht erfahren. Aber die Zielrichtung ist schon mal ganz klar, denn verlautbart wird in bekannter Manier:

    “Die Diskussion über die Existenzberechtigung der Homöopathie scheint nicht auf einer vorurteilsfreien und fairen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik zu beruhen, sondern ein irrationaler und höchst emotionaler Streit um Weltbilder zu sein.”

    Also, ich würde solch einen Satz ja aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in eine Arbeit mit wissenschaftlichem Anspruch schreiben. Aber wenn schon: dann zieht euch dieses harsche Urteil mal an, liebe Homöopathen! Oder sollte das gar nicht auf euch gemünzt sein… Zudem fällt mir auf: wie kann jemand, der beabsichtigt, die Evidenzbasierung der Homöopathie zu belegen, angesichts des ideologiefreien und voraussetzungslosen pragmatischen Ansatzes der EbM überhaupt so einen Satz schreiben? Das ist doch von vornherein ideologiebesetzt und damit zu Prinzipien der EbM inkompatibel.

    Ich sehe das daher schon einmal als Ankündigung nicht einer Untersuchung nach den Prämissen der EbM, sondern als Sortierarbeit nach „Weltanschauungen“ an. Bis zum Beweis des Gegenteils. Was das nun aber mit der Conclusio einer evidenzbasierten Homöopathie zu tun haben soll, das weiß man wahrlich nicht. Und auch aus der Laudatio des Preisstifters lässt sich außer dem üblichen Mimimi nichts weiter entnehmen, was man in die Nähe einer wissenschaftlichen Aussage rücken könnte:

    “Für die Homöopathie ist das eine sehr wichtige Arbeit, die wieder zeigt, was wir in der ärztlichen Praxis täglich erleben, nämlich dass homöopathische Arzneimittel wirken. Wölks Untersuchung zeigt weiters deutlich, dass es sehr wohl hochqualitative Homöopathie-Studien gibt und es an der Zeit ist, die Hexenjagd zu beenden, mit der eine wirksame medizinische Therapie diskreditiert werden soll. Konventionelle Medizin und Homöopathie sollten endlich Hand in Hand arbeiten – zum Wohle der Patientinnen und Patienten.”

    Nun, da steht der Rezensent ratlos davor und kann bei allem guten Willen einfach keinen Knoten finden, mit dem er die Informationen zur Masterarbeit (Wölk, Melanie: Eminenz oder Evidenz: Die Homöopathie auf dem Prüfstand der Evidence based Medicine. Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Abschlusses Master of Science im Universitätslehrgang Natural Medicine. Donau-Universität Krems, Department für Gesundheitswissenschaften und Biomedizin. Krems, Mai 2016) mit der prämierten Aussage verknüpfen kann, die Evidenzbasierung der Homöopathie “stehe fest”. Eine solche Absolutaussage ist, wir wissen es, keine, die nach den Prinzipien der wissenschaftlichen Forschung getroffen werden sollte. Es ist eher ein Werturteil auf einer verbal-definitorischen Ebene. Aber immerhin falsifizierbar – und den Gegenbeweis glaube ich, fern aller akademischen Weihen, im oben schon verlinkten Beitrag auf diesem Blog erbracht zu haben.

    Wenn ich irgendwo mit allergrößter Mühe so etwas wie eine Schlussfolgerung in der ganzen Sache vermuten soll, dann ist es allenfalls die, dass die Preisträgerin herausgefunden hat, dass es Pro und Contra zur Homöopathie gibt – und daraus den oben zitierten Schluss ableitet, nämlich den, dass man dieses Pro und Contra nach jeweils dahinter vermuteter Weltanschauung trennen müsse, um zur einzig wahren Wahrheit zu gelangen. Sie führt uns allerdings dabei einen confirmation bias vor, der offenbar mehr Einfluss hat als das Magnetfeld der Erde. Aber bitte – das ist nur eine wohlmeinende Vermutung. Ernstgemeinte Frage: Ist das hier wirklich weit entfernt von der “Heilpraktiker-Forschung”, die auf dem Blog “Onkel Michaels kleine Welt” so trefflich kommentiert worden war?

    Was bleibt? Ein Propagandastück allerersten Ranges, eine Selbstbeweihräucherung vom Allerfeinsten. Zur Selbstbestätigung und für den Applaus des ohnehin geneigten Publikums. Ich darf als Fazit eine kleine Anleihe bei Prof. Edzard Ernst machen, der zu dieser Sache meint:

    A pseudo-prize for pseudo-research into pseudo-medicine.

    In der Tat.

    Ich wünsche weiter fröhliches Bestätigungsforschen. Ach, übrigens: Ich nehme kein Wort meiner Widerlegung der “Evidenzbehauptung” im Blogbeitrag zum Münsteraner Memorandum Homöopathie zurück. Keine Silbe, keinen Buchstaben. Ich nehme an, das überrascht niemanden.

    Update (30.03.2017, 15.00 Uhr)

    Inzwischen liegt mir der Text der Masterarbeit vor. Ich möchte dem zumindest in Kürze gerecht werden, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, meine einzige Kritikquelle sei die Peithner-Pressemitteilung.

    Letztlich bestätigt sich die oben ausgeführte Kritik. Der confirmation bias schlägt zu. Man bedenke, dass große wissenschaftliche Gesellschaften weltweit, von der Russischen Akademie der Wissenschaften über das Science and Technology Committee des House of Commons (das seine vernichtende Stellungnahme bezeichnenderweise unter dem Titel “Evidence Check Homeopathy” veröffentlicht hat) bis hin zum Wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Akademien (EASAC) auf exakt der gleichen verfügbaren Studienlage zu Schlüssen gelangen, die das glatte Gegenteil des Ergebnisses der preisgekrönten Arbeit sind. Nun ist das Autoritätsargument zwar kein Argument, mag man sagen, aber darum geht es nicht: Es geht um sorgfältige Bewertungen durch die wissenschaftliche Community, die wohlbegründet sind. Kann die Masterarbeit hier dagegenhalten?

    Dazu nur ein paar Indizien.

    Der erste Eindruck ist durchaus der einer wortreichen Fleißarbeit, ohne Frage, aber von der ersten bis zur letzten Seite vom confirmation bias geprägt. Ein Blick in die Kurzzusammenfassung enthüllt bereits den folgenden Kernsatz:

    “Die analysierten Reviews, Metaanalysen und Studien der Evidenzklasse Ia und Ib weisen mehrheitlich die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien nach.”

    Krasser kann man die Position der Wissenschaftscommunity nicht mehr auf den Kopf stellen. Man ahnt schon, worauf die Endaussage, Homöopathie sei evidenzbasiert, gestützt werden wird: Auf die (Vor-)Selektion der passenden Studien und der Fehlwahrnehmung der nicht passenden nach vorgeblich „weltanschaulichen“ Kriterien. Auf “Abzählen”, wie wir es auch schon in anderen Zusammenhängen bei Vertretern der Homöopathie gefunden und kritisiert haben.

    Und in der Tat. Die Umdeutung des zunächst korrekt referierten Sackett’schen Begriffs der Evidenzbasierten Medizin und die Definition der Evidenzklassen in die Berechtigung, Cherrypicking zu betreiben, wo man Evidenz sieht, spricht dann auch für sich. Grob gesagt, verdeckt die Autorin mit großem rhetorischem Aufwand, dass sie nur das als evidenzbasiert ansieht, was ihre Auffassung von Homöopathie bestätigt. Darauf läuft letztlich alles weitere hinaus.

    Und tatsächlich: Schaut man sich in der Arbeit die Beurteilung der gegen die spezifische Wirksamkeit Homöopathie sprechenden Reviews an, so findet man eine unverkennbare Tendenz zur Umdeutung, wenn nicht zur diffamierenden Abwertung. Zum Review des NHMRC, zweifellos der bedeutendsten Überblicksarbeit zur Homöopathie überhaupt, ist zu allem Überdruss lang und breit die vielfach widerlegte “Kritik” der homöopathischen Szene zu finden, mit einer derart deutlich erkennbaren Tendenz zur Abwertung, dass man kaum weiterlesen mag. Mehr Voreingenommenheit geht nicht.

    Das setzt sich fort. Wie sie aus Mathie 2014 ein “pro Homöopathie” herausliest, bleibt ein Rätsel (na, das ist eher rhetorisch gemeint, denn wir wissen ja, dass gerade diese Arbeit den Pokal der Homöopathen für selektives Zitieren immer wieder gewinnt). Und dann kommen doch die Einzelstudien – obwohl vorher des Langen und Breiten die Bedeutung systematischer Reviews für die Beurteilung der Evidenz dargelegt wurde. Nun, die meisten Einzelstudien, die die Arbeit anführt, sind in den großen Reviews gar nicht oder mit einem hohen “risk of bias” enthalten – und deshalb sicher ungeeignet, eine Evidenz gegenüber den Reviews zu begründen (zumal sie alle durchweg nicht repliziert wurden). Zu einem Ergebnis wie dem hier publizierten kann man nur kommen, wenn man diese Arbeiten wirklich “einzeln” betrachtet und schlicht den Schlussfolgerungen der Autoren folgt.

    Die Arbeit gibt sich zwar nicht die Blöße, die vielfache Kritik z.B. an Shang et al., Frass (Sepsis) und Linde zu unterschlagen. Wie voreingenommen sie damit aber umgeht, verdeutlicht sehr krass diese Passage:

    “Sowohl die homöopathiekritischen Arbeiten von Shang et al. (2005) und Ernst (2002), als auch die homöopathiebefürwortenden Publikationen von Frass et al. (2005) und Linde et al. (1997) wiesen methodische Schwächen auf, welche die Autoren oder deren wissenschaftlich-publizistischen Unterstützerinnen oder Unterstützer oft einander vorhalten ohne die Problematik der eigenen Position einzugestehen. Die Vorwürfe gingen von Ahnungslosigkeit über Unwissenschaftlichkeit bis zu bewusster Manipulation.” (Ich kann mir die Anmerkung nicht verkneifen, dass Linde 1997 keineswegs die Homöopathie „befürwortete“, was Klaus Linde in einer Erklärung zu seiner Arbeit aus dem Jahre 1999 ausdrücklich bekräftigte – was Frau Wölk nicht bekannt gewesen zu sein scheint.)

    Überhaupt schon von “homöopathiekritischen” und “homöopathiebefürwortenden” Arbeiten zu sprechen, ist ein weiteres klares Zeichen für Bestätigungsforschung. Was sonst ist Sinn und Aufgabe der wissenschaftlichen Community, als Veröffentlichungen auf Herz und Nieren zu prüfen und zu kritisieren? Die Kritiker haben z.B. die Schwächen von Shang et al. vielfach selbst offengelegt, aber auch gezeigt, dass diese keinen Einfluss auf die Endaussage des Reviews hatten. Und Frass’ Sepsisstudie ist schon so oft zerlegt worden – und wurde niemals repliziert (glücklicherweise – was sie aber letzttich wie viele andere im Sinne einer Evidenzbegründung wertlos macht).

    Und wo der „Vorwurf bewusster Manipulation“ seitens der Kritiker gemacht wurde, das würde mich sehr interessieren.

    Auch hier wird deutlich, wie die Autorin zu der These von dem “emotional und irrational geführten Streit um Weltbilder” kommt. Sie ist selbst in hohem Maße außerstande, Argumente, die nicht ins Bild passen, anders als emotional-irrationale Verirrungen wahrzunehmen.

    Weiter oben habe ich ja schon etwas zum “Ergebnis” gesagt: Wer eine derartige absolute Formulierung (“steht fest”) als Ergebnis seiner “Forschung” postuliert, der zeigt damit in aller Deutlichkeit, dass er Bestätigungsforschung betrieben hat und damit unwissenschaftlich operiert.

    Die Antwort auf diese Arbeit wäre im Großen und Ganzen deckungsgleich mit der Antwort auf die “Kritik an der Homöopathiekritik” des britischen Homeopathy Research Institute, wie sie das INH auf seiner Webseite systematisch aufgenommen hat. Es fällt auf, dass selbst das HRI, das nun sicher über einigermaßen gewiefte Fachleute verfügt, weit zurückhaltender mit den “Evidenzbelegen” für die Homöopathie ist als unsere preisgekrönte Arbeit.

    Insofern gibt es von der ersten Beurteilung aufgrund der Peithnerschen Pressemitteilung nichts zurückzunehmen.


    Nachtrag, 16.03.2022

    Um die Ehre der Donau-Universität Krems zu wahren, soll nicht übergangen werden, dass sie eine verdienstvolle Arbeit hervorgebracht hat, die der homöopathischen Forschung bescheinigt, in weiten Teilen ein Problem mit guter Publikationspraxis zu haben: https://www.donau-uni.ac.at/de/aktuelles/news/2022/mangelhafte-forschungspraxis-bei-homoeopathie.html

    So, wie ich das sehe, ist damit ein weiterer Sargnagel in die preisgekrönte Arbeit zur „Evidenzbasierung der Homöopathie“ eingeschlagen worden. I rest my case.


    Bilder von Norbert Pietsch und PDPics auf Pixabay

    Skandal! Verschwörung gegen Homöopathie! … Oder doch nicht?

    Aus gegebenem Anlass stelle ich diesem Beitrag mal ein Zitat des guten alten Francis Bacon voran, einem der Vorreiter moderner Wissenschaft, der manches, was heute zum Standard des Wissenschaftsbegriffs gehört, vorwegnahm. Das Zitat stammt aus seinem 1621 erschienenen Hauptwerk “Novum Organum” (nach der Oxford-Ausgabe 1889):

    “Wenn eine Überzeugung einmal feststeht, unternimmt der menschliche Verstand alles, immer zusätzliche Unterstützung und Bestätigung für sie zu gewinnen: Und obwohl zahlreiche zwingende Fakten dagegen sprechen können, beachtet er sie entweder nicht oder wertet sie ab oder stößt sie durch vorurteilsbehaftete unsachgemäße Umdeutung ab und weist sie zurück, viel eher, als dass er die Autorität seiner eigenen ersten Schlussfolgerungen opferte.”

    Was ist der Anlass für dieses bemerkenswerte Zitat? Nun, für Bacons Erkenntnis gibt es ein höchst aktuelles Beispiel, das den homöopathisch orientierten Blätter- und Webseitenwald derzeit erheblich rauschen lässt. Der Zentralverein homöopathischer Ärzte berichtet:

    “ Australische Homöopathie-Studie: „Eine Täuschung der Öffentlichkeit“

    Berlin, 12. April 2017. Der Direktor des Londoner Homeopathy Research Institut (HRI), Dr. Alexander Tournier, erhebt schwere Vorwürfe gegen den staatlichen Forschungsrat Australiens und wirft ihm ‘Täuschung der Öffentlichkeit’ vor. Der Nationale Rat für Gesundheit und medizinische Forschung (National Health and Medical Research Council, NHMRC) hatte vor zwei Jahren eine Übersichtsstudie (Review) zur Homöopathie mit dem Ergebnis veröffentlicht, Homöopathie wirke nicht besser als Placebo. Diese Aussage ging auch in Deutschland durch viele Medien und wurde als ein Beleg für die angebliche Unwirksamkeit der Homöopathie angeführt. ‘Die Ungenauigkeiten im Bericht des NHMRC sind so extrem’, erklärt Tournier, ‘dass wir uns dazu entschlossen haben, eine gründliche Untersuchung durchzuführen, die die Hintergründe aufdeckt’.  Das HRI hat eine Beschwerde bei einer offiziellen Commonwealth-Stelle eingelegt und aktuell erste Ergebnisse seiner Recherche veröffentlicht. ‘Es ist ungeheuerlich, dass mit derart verzerrten Daten weltweit politische Meinungsbildung betrieben wird“, sagt Cornelia Bajic, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ)’. ” …

    Donnerwetter. Jetzt sind wir schon bei politischer Meinungsbildung.  Immerhin ist das Review der Australischen Gesundheitsbehörde die Referenz schlechthin, was die Beurteilung der Wirksamkeit von Homöopathie auf der Grundlage von Studienergebnissen angeht. Erst vor kurzem hat sich auch die Russische Akademie der Wissenschaften nach eingehender Prüfung das Ergebnis der Australier zu eigen gemacht. Zudem darf man auch deswegen ein wenig überrascht sein, weil gerade die Arbeit der Australischen Gesundheitsbehörde auf Studien beruhte, die die Britische Homöopathische Gesellschaft selbst als Referenzen anführt, unter Einbeziehung etlicher homöopathischer Autoritäten durchgeführt wurde und vor der endgültigen Veröffentlichung der gesamten homöopathischen Gemeinschaft Australiens für Kritik und Anmerkungen zur Verfügung stand. Was denn jetzt? Wer hat denn hier nicht aufgepasst?

    Gemach. Überflüssig wohl, vorauszuschicken, dass selbst ein hundertprozentiger Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen immer noch nicht zu einer Evidenz für die homöopathische Methode führen würde – sie widerspricht nun doch leider allzu sehr naturwissenschaftlichen Grundlagen. Aber Geduld gehört zu den Tugenden im Diskurs. Deshalb wollen wir einen näheren Blick auf diese Anschuldigungen ruhig riskieren.


    Prof. Edzard Ernst hat in seinem Blog zu den Vorwürfen bereits Stellung genommen, ich erlaube mir hier einmal, eine Übersetzung seiner Ausführungen anzuschließen. Anmerkungen zum Verständnis, die von mir stammen, stehen kursiv in Klammern:

    Ombudsmann untersucht “fehlerhafte” homöopathische Studie

    Veröffentlicht am Samstag, 15. April 2017 / von Edzard Ernst

    “What Doctors don’t Tell You” (WDDTY, wo die Vorwürfe gegen die NHMRC zuerst publiziert wurden) hat schon öfter mit der Wahrheit auf Kriegsfuß gestanden (es folgen Verweise). Jetzt haben sie einen Artikel mit dem Titel “Ombudsman untersucht ‘fehlerhafte’ homöopathische Studie, die behauptet, dass die Methode unwirksam ist” veröffentlicht. Er greift in unzweideutiger Weise die “NHMRC-Erklärung über Homöopathie / NHMRC Informationspapier – Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie zur Behandlung von Gesundheitsstörungen” aus dem Jahr 2015 an – von der ich mit guten Gründen denke, dass sie eine solide Bewertung der Homöopathie darstellt und die ich deshalb wiederholt auf meinem Blog herangezogen habe. Hier folgt, was WDDTY postuliert:

    ZITAT ANFANG

    Ein großer und einflussreicher Review zur Homöopathie kam zu dem Schluss, dass die umstrittene Therapie keine Wirksamkeit aufweist – aber das Review war derart mit Irrtümern und schlechter Wissenschaft durchsetzt, dass eine offizielle Ombudsmann-Untersuchung veranlasst wurde. [Gemeint ist der Ombudsmann für Beschwerden jeglicher Art bezüglich öffentlicher Angelegenheiten innerhalb des Commonwealth of Nations. Eine interessante Art und Weise, einen wissenschaftlichen Diskurs zu führen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.]

    Weltweit berichteten die Medien, die Homöopathie sei Betrug, nachdem das National Health and Medical Research Council (NHMRC) im Jahr 2015 veröffentlicht hatte, dass “es keine medizinischen Indikationen gibt, bei denen eine zuverlässige Evidenz für die Wirksamkeit von Homöopathie existiert”.

    Doch jetzt untersucht der Commonwealth-Ombudsmann die Verfahren, mit denen das Review der NHMRC durchgeführt wurde – nach Erhalt von Berichten über Ungenauigkeiten, Missachtung von Belegen und Interessenkonflikten.

    Die Überprüfung wurde von der Australischen Homöopathischen Vereinigung (AHA) ausgelöst, unterstützt durch das homöopathische Forschungsinstitut (HRI), das begonnen hatte, die Review-Verfahren zu hinterfragen, nachdem mehrere solide Studien gezeigt hatten, dass Vorteile der Homöopathie übergangen worden waren.

    Das NHMRC-Review-Team berücksichtigte willkürlich nur Studien, die mehr als 150 Probanden betrafen – und forderte Standards, die selbst bei Arzneimittelstudien nur selten zu erreichen sind. Aufgrund dieser Anforderungen reduzierte man die Anzahl der als qualifiziert [für das Review] angesehenen Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 einzelnen Untersuchungen [Unsinn – gemeint sind hier die Angaben des NHMRC in einer frühen Pressemitteilung von rd. 1.800 gesichteten Literaturbelegen und zusätzlich eingereichten Unterlagen, nicht Reviews bzw. Studien – die hieraus als verwertbar für das Projekt bewertete Zahl an Reviews betrug 57, diese wiederum bezogen sich auf 176 Studien, s. unten – Zusatz UE) – und keine von diesen zeigte dann eine Wirksamkeit der Homöopathie.

    Einer der NHMRC-eigenen Rezensenten produzierte einen geheimnisvollen ersten Bericht, der noch nie veröffentlicht und trotz der Gesetze zur Informationsfreiheit nicht freigegeben wurde.  [Ja und? Wenn überhaupt, war das eine Vorversion, so was soll es tatsächlich geben … VERSCHWÖRUNG!!! – Zusatz UE]

    Ferner hat die AHA aufgedeckt, dass Prof Peter Brooks, Vorsitzender des untersuchenden NHMRC-Komitees, nie erklärt hat, dass er Mitglied der Anti-Homöopathie-Lobby-Gruppe “Friends of Science in Medicine” war.  [Was nicht zutrifft. Prof. Brooks war nur kurzzeitig Mitglied dieser Gruppe und hat außerdem genau deswegen den Vorsitz des Ausschusses an Prof. Paul Glasziou abgegeben. – Zusatz UE]

    Es gebe solide Studien, die eine Wirksamkeit der Homöopathie gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen belegen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Probanden, erklärte HRI-Chef Rachel Roberts. “Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, dass es qualitativ hochwertige Studien gibt, die eine Wirkung der Homöopathie für einige medizinische Indikationen belegen – Informationen, die nur wegen des irreführenden Umgangs des NHMRC mit der Beleglage untergegangen sind.”

    Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “sich nicht sicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.

    ZITAT ENDE

    Wie es eben so ist, stehe ich in Kontakt mit dem Hauptautor des kritisierten Berichts, Paul Glasziou, nicht zuletzt, weil er ein freundliches Vorwort für mein Buch Homeopathy – The Undiluted Facts geschrieben hat. Also haben in unserer Korrespondenz die neuesten Schmähungen von WDDTY diskutiert. Aufgrund dessen bin ich jetzt in der Lage, einiges geradezurücken (ich hoffe, Paul hat nichts dagegen):

    ANMERKUNG 1: – Das NHMRC-Reviewteam legte willkürliche Parameter fest, nach denen nur Studien mit mehr als 150 Personen einbezogen wurden und setzte Standards, die selbst Arzneimittelstudien nur selten erreichen.

    Die Wahrheit ist, dass der Bericht sich gar nicht auf einzelne Studien, sondern auf bereits vorliegende systematische Reviews von Studien bezieht [Das Review der NHMRC ist also ein Meta-Review] – Anm. UE]. Die 57 betrachteten systematischen Reviews umfassten 176 Einzelstudien, die 61 Indikationen umfassten: durchschnittlich etwa 3 Indikationen pro Studie. Aber einige Studien beinhalteten nur eine Indikation, und ein einzelner Versuch würde normalerweise natürlich nicht als vernünftige Grundlage für zuverlässige Schlussfolgerungen betrachtet werden. GRADE – der internationale Standard für die Beurteilung von Evidenzen – schlägt vor, “wenn Gruppengrößen kleiner als 400 sind, sollten Autoren und Leitfadenentwickler die darin liegende Ungenauigkeit bei der Bewertung berücksichtigen”. Daher wäre das Kriterium von 150 sogar wesentlich milder als die aktuelle GRADE-Richtlinie. [Ein starkes Entgegenkommen (!) gegenüber der Homöopathie – die eh immer wieder das Problem hat, kaum Studien mit der von GRADE eigentlich geforderten Größenordnung bereitzustellen. – Anm. UE]

    ANMERKUNG 2 – Diese Anforderungen reduzierten die Anzahl der qualifizierenden Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 – und keine von ihnen zeigte, dass die Homöopathie wirksam war.

    Das ist einfach nicht richtig. Der Bericht des NHRMC beinhaltet 57 systematische Reviews, die sich auf 176 Einzelstudien beziehen, nicht 5. Diese 176 Studien zu 61 Indikationen bildeten die Evidenzgrundlage für die Schlussfolgerungen des NHMRC-Berichts. [Insgesamt wurden 225 Arbeiten berücksichtigt, einschließlich der von Homöopathen zusätzlich im Rahmen der öffentlichen Auslegung eingereichten.]

    ANMERKUNG 3 – Es gibt solide Studien, die zeigen, Homöopathie ist wirksam gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Menschen, sagte HRI-Chef Rachel Roberts.

    Der NHMRC-Bericht konzentrierte sich auf systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen abdeckten. Angesichts des recht konventionellen p-Wertes von 0,05 [der p-Wert ist ein statistischer Wert, der für den Grad der Wahrscheinlichkeit steht, mit der angenommen werden kann, dass es sich um Zufallsergebnisse handelt]. würde man erwarten, dass eine von 20 Einzelstudien “falsch positiv” sei.  Bei 176 Versuchen erwarten wir demnach etwa 9 “falsch positive” Ergebnisse. Aber systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen kombinieren, reduziert dieses Risiko falsch positiver Ergebnisse. Die meisten nationalen Beweisprüfungsgremien fordern für eine Evidenz mehr als eine Studie, z. B. die FDA [Food and Drug Administration der USA] fordert zwei positive Studien, während viele andere gar keine einzelnen Studien, sondern bereits ein systematisches Review unter Einbeziehung von mindestens zwei Studien [für die Annahme eines Evidenznachweises] verlangen. Die Reproduktionsfähigkeit der Befunde ist offensichtlich ein Eckpfeiler der Wissenschaft.

    ANMERKUNG 4 – Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “unsicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.

    Die Wahrheit ist, dass das Cochrane Center mit einer unabhängigen Überprüfung den gesamten Prozess der NHMRC-Untersuchung begleitet hat. Es kam zu dem Schluss, dass ‘insgesamt die aus dem Review gezogenen Schlussfolgerungen aufgrund der vorgelegten Evidenz gerechtfertigt erscheinen.’

    Ende meines Plädoyers.”

    Danke, Prof. Ernst.


    Zum besseren Verständnis noch ein paar Anmerkungen meinerseits:

    Sehen wir einmal von den offensichtlichen Unwahrheiten ab, die von den Homöopathen vorgetragen werden (Missdeutung der Untersuchungsbasis des NHMRC, unzutreffende Angaben zur Bewertung des Reviews durch Cochrane, völlig unsinnige und auch unzutreffende Hinweise auf “Interessenkonflikte”) –obwohl allein dies eigentlich die ganze Befassung mit dieser Geschichte schon obsolet machen würde. Auch mal abgesehen davon -wie oben schon erwähnt-, dass es mir sehr eigenartig vorkommt, dass neuerdings ein wissenschaftlicher Diskurs auf dem Wege einer Beschwerde beim Ombudsmann für Fehlleistungen öffentlicher Stellen, also dem öffentlichen Kummerkasten für Bürgerbeschwerden, ausgetragen wird. Aber ich vergaß – Frau Bajic wies ja ausdrücklich darauf hin, dass es um politische Meinungsbildung gehe. Also nicht um wissenschaftlichen Diskurs. Sorry.

    Also: Die 176 über vorliegende Reviews einbezogenen Studien sind nur geringfügig weniger als die Zahl, die die British Homeopathic Society selbst an belastbaren Arbeiten führt – im Zeitpunkt der Studie waren dies 189. Es wurden keine Reviews / Studien vom NHMRC einbezogen, die von Homöopathen abgelehnt worden wären. Vielmehr kamen aufgrund der Öffnung der Studie für zusätzliche Hinweise noch Arbeiten hinzu, so dass der endgültigen Bewertung 225 Arbeiten aus 57 Reviews zugrunde lagen.

    Schon die Projektierung des Reviews wurde vom australischen Cochrane Center überprüft, ebenso die tatsächliche Durchführung und die Einhaltung der Planungsvorgaben. Den Bericht haben im Entwurf mehrere Gutachter erhalten, die auf dem Gebiet der Komplementärmedizin selbst tätig waren. Die Stellungnahmen dieser Gutachter wurden mit dem Review veröffentlicht und können jederzeit nachgelesen werden. Danach wurde der Entwurf offengelegt und der gesamten homöopathischen Gemeinde Australiens ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, Stellung zu nehmen und auch Arbeiten / Studien zu benennen, die nach ihrer Meinung berücksichtigt werden sollten – was auch geschah.

    Angesichts dessen muss man sich schon fragen, welche Chuzpe bei AHA, HRI und WDDTY dazu führt, der australischen Behörde eine voreingenommene Studienauswahl vorzuwerfen, zu unterschlagen, dass es sich um ein Meta-Review und nicht um ein Review einzelner Studien handelte und dann auch noch mit falschen Zahlen zu operieren. Um nicht zu sagen, glatt zu lügen. Was der Zentralverein Homöopathischer Ärzte dann einfach aufgreift und verbreitet (und dabei auch noch falsch zitiert).

    Es ist über die Ausführungen von Prof. Ernst hinaus auch noch einmal wichtig, zu verdeutlichen, dass es keineswegs zutrifft, Studien mit weniger als 150 Probanden seien außer Acht gelassen worden. Schon im Overview-Report des NHMRC kann man sich davon überzeugen, dass dies nicht wahr ist, dazu braucht man die fast 1.000 Seiten des unglaublich ausführlichen Reviews nicht komplett zu lesen. Ansonsten wäre es wohl kaum dazu gekommen, dass nahezu alle von der British Homoeopathic Society geführten Studien im Meta-Review erfasst sind.

    Was den Hinweis auf die berühmten Studien mit angeblich echter Evidenz für die Homöopathie angeht (Anmerkung 3) – Prof. Ernst will mit seinen Ausführungen zur Signifikanz von Studienergebnissen verdeutlichen, dass einzelnen, zumal mit kleinen Probandengruppen durchgeführten Studien im Vergleich zu Reviews oder gar Meta-Reviews keine Bedeutung zukommen kann. Und dass jede Einzelstudie mindestens einmal unter gleichen Bedingungen reproduzierbar gewesen sein muss, bevor man sie überhaupt als relevant zur Kenntnis nehmen kann. Hier wird die Position der Homöopathen nochmals deutlich: Sie nehmen gern in Anspruch, auf Studienergebnisse nach ihrem Gusto zu verweisen, erkennen aber die wissenschaftlichen Standards für die Aussagefähigkeit solcher Studien nicht an. Es mutet schon sehr seltsam an, die Aussagekraft des größten Meta-Reviews, das je zur Homöopathie durchgeführt wurde, mit einzelnen (Klein-)Studien zu Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen (alles selbstlimitierende oder periodisch auftretende Gesundheitsstörungen) aushebeln zu wollen.

    Das ist einfach grotesk. Dazu passt, dass das Ganze auch gleich noch mit Verschwörungstheorien garniert wird, indem eine nicht näher bezeichneter geheimnisvolle Arbeit eingeführt wird, die niemand kennt, da sie nie veröffentlicht wurde. Informationsgehalt: Null. Frage an die Homöopathie-Fraktion: Quelle dieser Information? Einzelheiten? Namen? Inhalte? Möglicherweise ist auch nur eine Vorversion gemeint, deren Nichtveröffentlichung natürlich ein unverzeihliches Vergehen gegen die Homöopathie wäre …

    Und ist es wirklich ein “Interessenkonflikt”, wenn ein wissenschaftlich tätiger Mediziner, auch wenn er an einem Review (also einer methodischen Bestandsaufnahme, nicht einmal einer klinischen Studie) über Homöopathie mitwirkt, keine positive Meinung von der Homöopathie hat? Und dazu die Unverschämtheit hat, einem Klub anzugehören, der sich allen Ernstes “Friends of Science in Medicine” nennt? Ja, das wäre schon toll, wenn nur überzeugte Homöopathen Studien und deren Reviews durchführen dürften… Homöopathen bei Homöopathiestudien sind kein Interessenkonflikt? Dürfen die Homöopathie-Gegner jetzt eh jede Studie ablehnen, an der ein ausgewiesener Homöopath teilgenommen hat? Keine Sorge, tun sie nicht – ist bekanntlich gar nicht nötig…

    Eine glatte Unwahrheit ist – wie schon erwähnt – dass Prof. Brooks Vorsitzender der Kommission war – er war als solcher vorgesehen, hat aber selbst auf einen möglichen Interessenkonflikt hingewiesen und danach als einfaches Mitglied mitgearbeitet.

    Wirklich bemerkenswert an dieser Geschichte ist eigentlich nichts. Außer dem Umstand, dass die Homöopathen neuerdings den Bürger-Kummerkasten ihrer Majestät für die Klagen über die unbelehrbaren Kritiker ihrer Methode benutzen. Sie haben mein Mitgefühl, Mr Obudsman.

    Und meine Reverenz an Lord Bacon. You were right.


    Nachtrag und Fazit, 2022

    Im Rückblick erscheint diese erste Analyse uneingeschränkt zutreffend. Über Jahre hinweg hat das Homeopathy Research Institute im Grunde nichts anderes getan als die Geschichte von einem „unterdrückten ersten Entwurf“ zu einer weltweit verbreiteten Verschwörungstheorie auszubauen. Nie hat es das immer wieder angekündigte Analysepapier zum NHMRC-Report vorgelegt. Auf Anfrage (die es ganz direkt sogar in einem Austausch in den Sozialen Medien gab) ist man jede Antwort nach dem Warum schuldig geblieben. Stattdessen hat man das NHMRC, immerhin eine hochrangige Dienststelle der Australischen Bundesregierung, mit Manipulationsvorwürfen überzogen und dazu auch noch eine weltweite Petition gestartet.

    All das ist erwartungsgemäß krachend gescheitert. 2019 veröffentliche das NHMRC dann, um der Sache ein Ende zu machen, den nicht mehr weiterverfolgten „First Draft“ des Reviews mit zahlreichen Anmerkungen zu dessen Mängeln, wegen derer er nicht weiterverfolgt wurde. Die Leiterin des NHMRC, Prof. Anne Kelso, veröffentlichte dazu einen Disclaimer. der den Sachverhalt klarstellte. Selbst danach versuchten Homöopathievertreter noch, aus dem „First Draft“, also einem Dokument aus dem Papierkorb, „Belege“ für ihre Verschwörungstheorien abzuleiten. Unsäglich.

    Und das gleiche Homeopathy Resarch Institute (das vorher auch mit dem Versuch gescheitert war, Evidenzbelege für die Homöopathie durch eine Analyse der gesamten Studienlage zutage zu fördern – siehe zu den Arbeiten von Robert Mathie in diesem Blogbeitrag – tut so, als sei nichts gewesen, denkt nicht daran, seine massive Fehlleistung gegenüber dem NHMRC einmal einzugestehen und betreibt nach wie vor Homöopathielobbyismus in der vordersten Reihe. Neuerdings unterhält das HRI gar eine Filiale (oder wie man das nennen mag) in Berlin, von wo es die hiesige Homöopathielobby mit allerlei Statements und Studien versorgt, die sich meist schon beim ersten Blick als obsolet erweisen. Insbesondere HRI-Direktorin Rachel Roberts hat kein Problem damit, zu behaupten, dass gerade die qualitativ besten Studien homöopathische Wirkungen über Placebo hinaus belegen würden. Sie weiß genau, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn das kann sie im zusammenfassenden Bericht über Robert Mathies Ergebnisse auf der Webseite ihres eigenen Instituts nachlesen.

    Unfassbar eigentlich. Aber sehr interessant und durchaus lohnend, zu solchen älteren Blogbeiträgen einmal den Gang der Dinge nachzutragen.

    Mehr zu der Geschichte um den „First Draft“ beim Informationsnetzwerk Homöopathie und bei der Homöopedia. Außerdem interessant: dieser Text des NHMRC-Studienleiters Prof. Paul Glasziou zur Arbeit am Review.

    Was allerdings fassungslos macht, ist, dass der Ombudsman in Australien immer noch nicht zu einem abschließenden Urteil gekommen ist. Das NHMRC trägt es mit Fassung und weist auf seiner eigenen Webseite darauf hin – und darauf, dass er vorbehaltlos mit dem Ombudsmann zusammenarbeite. Was sonst. Letztlich bleibt für mich persönlich die Frage, ob der Ombudsmann womöglich tatsächlich der Ansicht ist, dass ein Diskurs über eine wissenschaftliche Arbeit in die Zuständigkeit einer Bürger-Beschwerdestelle fällt … ?!?


    Bild von Markus Winkler auf Pixabay

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