Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Schlagwort: Politik und Recht Seite 3 von 4

Abschied vom Paralleluniversum

In a mirror universe, from our perspective, time may run backwards from the Big Bang.
Image credit: NASA / WMAP Science Team

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“
und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.


Aus uralten Zeiten …

Da gibt es eine Geschichte, über 200 Jahre alt. Ein Gedankengebäude zur Medizin, eines unter vielen der damaligen Zeit. Diese Geschichte gewann ein gewisses Renommee, da sie viele Fehler bisheriger Methoden vermied und deshalb fälschlicherweise für „richtig“ gehalten wurde. Ihre Grundlagen waren aber eine Mischung aus vorwissenschaftlichen, teilweise mystischen Überlieferungen, garniert mit Hypothesen, die aber nicht mehr taten, als eine verführerische Schlüssigkeit und Einfachheit des Systems vorzugaukeln. Natürlich – wir sprechen von der Homöopathie.

Titelblatt des „Anti-Organon“ von 1825 (gemeinfrei)

Dieses Gedankengebäude konkurrierte zu seiner Zeit mit anderen, ähnlichen und ganz verschiedenen, und insbesondere mit der „überkommenen“ medizinischen Lehre, der „heroischen Medizin“ (so bezeichnet, weil es galt, diese zu überleben) auf der Basis der Humoralpathologie (der Vier-Säfte-Lehre nach Galen). Es gab zur ersten Blütezeit der Homöopathie schon ein erstes Wetterleuchten wissenschaftlicher Methodik am Horizont und damit eine ganze Reihe von kritisch eingestellten Menschen, die versuchten, der Methode auf den Zahn zu fühlen. Wobei sich schon zu Lebzeiten des „Erfinders“ der Homöopathie rein empirisch (also auf vergleichender Beobachtung beruhend) zeigte, dass Zweifel wohl mehr als angebracht waren. Ja, es gab auch schon gewichtige Stimmen, die den fehlenden inneren Zusammenhalt der Methode, also ihre innere Widersprüchlichkeit, ebenso wie viele Unvereinbarkeiten mit Erfahrungstatbeständen, die äußere Widersprüchlichkeit, darlegten. Das bedeutendste Werk dieser Art war wohl das „Anti-Organon“ von Johann Christian August Heinroth (1825)1, das eine umfassende Widerlegung zu Hahnemanns Lehre schon aus damaliger Sicht vorlegte und viele Erkenntnisse neuzeitlicher Homöopathiekritik vorwegnahm.

Deshalb erreichte die Methode auch nie den Status einer lege artis, einem durchweg anerkannten „Stand der medizinischen Kunst“, ja, es gab sogar behördliche Verbote. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass die Anhängerschaft durchaus zahlreich war, sie folgten ihrem Vordenker, der übrigens in aller Konsequenz dogmatisch auf der Bewahrung aller Einzelheiten seines Lehrgebäudes bestand, bedingungslos. Warum diese Gefolgschaft? Sicher wegen der Abkehr von den rabiaten bis schädlichen Methoden der heroischen Medizin, zudem war die schlichte Sicht auf Symptome statt auf komplexe Krankheiten für den Laien verführerisch, ferner das Versprechen, mit den Symptomen die Krankheit zu beseitigen. Zweifellos auch wegen der Einfachheit homöopathischer Medizin (damals gab es etwa 70 Mittel und das wars dann) und deren Herstellung, die Bequemlichkeit der Anwendung – das berühmte „sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei“, das ja auch heute noch seine Anziehungskraft entfaltet. Man wird das aus damaliger Sicht durchaus nachvollziehen können. Aber:

Fiat lux

Gar nicht so lange nach dem Auftreten der Homöopathie, etwa ein halbes Jahrhundert danach und nicht lange nach dem Tode Hahnemanns, kam es zu einem Paradigmenwechsel in der medizinischen Profession. Ein Paradigmenwechsel ist ein grundlegender Umsturz, eine Wende um 180 Grad in den bisherigen Grundlagen einer Wissenschaft. Ein Paradigmenwechsel kann nur geschehen, wenn nicht mehr zu übersehen ist, dass sich die Faktoren häufen, die gegenüber der bisher herrschenden Lehre einen Dammbruch erzwingen. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn spricht denn auch von einer „Krise“ einer alten Lehre, die durch eine starke „Häufung“ von „Anomalien“ zu einer „wissenschaftlichen Revolution“ mit Ersatz des alten Paradigmas „inklusive zentraler Begriffe“ münde2. Also nicht eine Revision in einem oder mehreren Einzelpunkten, sondern in der Ablösung eines kompletten Lehrgebäudes bzw. von dessen grundlegenden Prämissen.

Diese „kopernikanische Wende der Medizin“, dieses „fiat lux“ war in den 1850er Jahren der Durchbruch zu einem wissenschaftlichen Konzept, das die Bedeutung des zellulären Aufbaus für die Lebensfunktionen und damit auch für Krankheit und Gesundheit des Organismus belegte. Vorbei war die Zeit der Humoralpathologie, der Lehre vom „Gleichgewicht der vier Körpersäfte“, vorbei erst recht die Vorstellung Hahnemanns von einer „geistigen Lebenskraft“ als einem belebenden „Vitalismus“ in einem amorphen, nicht aus eigener Funktion heraus belebten Körper (die Leugnung des Vorhandenseins von „Krankheiten an sich“ im homöopathischen Lehrgebäude ist ein tiefer Ausdruck dieser Vorstellung).

Rudolf Virchow – Der Etablierer der Zellularpathologie
Credits: Famous Scientists. famousscientists.org. 15 Oct. 2015. Web. 10/24/2017 <www.famousscientists.org/rudolf-virchow/>

Die Zellularpathologie trat ihren Siegeszug an, der uns bis zu den heutigen Ergebnissen moderner Medizin geführt hat. Der Weg für eine Lehre von Krankheitsentstehung und -verlauf, die Ätiologie, war frei. Bald kamen Bakteriologie und Virologie dazu, später die Endokrinologie (die Lehre von der hormonellen Steuerung) und bis heute immer weiter differenzierende Teilgebiete. Die Grundlagen aber, die beim Paradigmenwechsel Mitte des 19. Jahrhunderts gelegt wurden, haben bis heute Bestand und bewähren sich täglich – damit war die Medizin zu einer „Wissenschaft des sicheren Ganges, die sich ihrer Grundlagen sicher ist“ im Kant’schen Sinne geworden und hatte das „blinde Herumtappen“ hinter sich gelassen. Vor allem aber war nun die Möglichkeit gegeben, aus rein empirischen Beobachtungen auf der Grundlage der anatomischen und physiologischen Erkenntnisse allgemeingültige Schlüsse zu ziehen – und umgekehrt frühere Fehlannahmen zu verwerfen, weil sie mit dem gewonnenen Erkenntnisbild nicht zu vereinbaren waren. Dies besiegelte das Schicksal nahezu aller vorwissenschaftlicher Methoden.

Scheintod und Wiederbelebung

Um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert war die Bedeutung der Homöopathie denn auch deutlich hinter die Erkenntnisse und Errungenschaften der sich entwickelnden wissenschaftlichen Medizin zurückgefallen, ungeachtet dessen, dass es hier und da durchaus homöopathische Praxen und auch Kliniken gab. Rudolf Virchow selbst war der Homöopathie zeitlebens deutlich entgegengetreten. Die Methode als solche wurde von den meisten Medizinern im Grunde gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Eine in den 1920er Jahren eingerichtete homöopathische Fakultät an der Berliner Universität überlebte nur überschaubare Zeit und wurde wegen „nachgewiesener Erfolglosigkeit“ geschlossen. Mit der Zeit des Dritten Reichs schien zunächst noch einmal die Zeit der Homöopathie gekommen, mit der Aussicht, sie als spezifisch deutsche Medizin als Gegenpol zu einer „jüdisch geprägten Schulmedizin“ etablieren zu können. Den Untersuchungen, die das Reichsgesundheitsamt über mehrere Jahre hinweg dazu durchführte, war jedoch ein teils spektakuläres Scheitern beschieden. Die Kriegswirren setzten dem ein Ende, so dass es zu einer systematischen Publikation der Ergebnisse nicht mehr kam, sie sind aber recht umfassend und vor allem unmissverständlich im sogenannten Donner-Bericht zur Homöopathie dokumentiert (durch Fritz Donner, einem damals führenden Homöopathen, der sich nach dem Krieg völlig von der Methode abwandte).

Ab dem Ende der 1960er Jahre entstand ein Trend, der die Homöopathie -dann unter der Führung von Frau Dr. Veronika Carstens, der Ehefrau des damaligen Bundespräsidenten- als etwas ganz Neues etablierte: Als sanfte, nebenwirkungsfreie Blümchenmedizin mit dem Image des Reinen und Natürlichen, gewollt in eine scheinbare Identität mit Naturheilkunde hinübergleitend (mit der sie nichts zu tun hat). Die Heilpraktikerszene bemächtigte sich der Homöopathie endgültig, auch, um sich deren positives Image als pseudoseriöses Aushängeschild für ihre sinn- und nutzenfreien Methoden außerhalb der evidenzbasierten Medizin nutzbar zu machen – dies geschieht bis heute. All das wurde noch gekrönt von der Adelung als eine der „besonderen Therapierichtungen“ durch den Gesetzgeber (Arzneimittelgesetz 1978) mit dem wirklich unfassbaren Privileg, keinen Wirkungsnachweis erbringen zu müssen – das Ergebnis der Bemühungen einer kleinen, aber einflussreichen Parlamentariergruppe, die aus dem Umfeld der Anthroposophie kam. Noch in den 1990er Jahren wurde das so etablierte irrationale System „mehrerer Medizinen“ kaum hinterfragt und in unangebrachter Toleranz sogar von Ärztefunktionären mit dem Euphemismus „Dualität in der Medizin“ bedacht und sogar 1997 noch zusätzlich im Sozialrecht (SGB V) etabliert. Eben in diesen Jahren setzte aber in der Medizin ein Umdenken ein, das immer klarer werden ließ, dass ein öffentliches Gesundheitswesen nur auf der Grundlage streng nachgewiesener Wirkungen und Plausibilitäten -der Evidenzbasierung- sinnvoll, wirtschaftlich und nachhaltig sein und ethisch gegenüber dem Patienten gerechtfertigt werden kann. Nicht zuletzt an den Auseinandersetzungen mit der Homöopathie seitdem, ihrer wissenschaftlichen Betrachtung und der Publizierung der daraus resultierenden Ergebnisse ist dieser Wandel konkret geworden. Dies ist der Erkenntnisstand heute – dem die Realität aber keineswegs entspricht.

Game over

Wir sind längst an einem Stand des Erkenntnisgewinns angekommen, eines weltweit vielfach verifizierten und dabei ebenso vielfach bestätigten Erkenntnisgewinns, dass man das Festhalten an der homöopathischen Lehre nur noch als Realitätsleugnung bezeichnen kann, als den Aufenthalt in einem Paralleluniversum. Die Verteidigungsversuche der homöopathischen Fraktionen beginnen Formen des Grotesken anzunehmen. Hochangesehene wissenschaftliche Gremien mit Spitzenwissenschaftlern von internationalem Format werden mit Diskreditierungsversuchen überzogen; ihnen wird böswillig-selektive Darstellung vorgeworfen; die Detailvorwürfe der Homöopathen sind alle längst widerlegt, werden aber trotzdem ständig wiederholt; es werden „Studien“ vorgelegt, bei denen beim besten Willen kein positives Ergebnis für die Homöopathie herausgelesen werden kann und diese als ultimative Beweise für die Methode dargestellt, scheinwissenschaftliche Nebelbomben gibt es zuhauf (bereits Prokop u. Prokop schrieben Ende der 1950er Jahre von den „gescheiterten wiederholten Versuchen, durch Angleichung der homöopathischen Systeme an die Schulmeinungen allgemeine Anerkennung zu erlangen“3) und auch die neueren Versuche, in wissenschaftstheoretischen Überlegungen einen „sicheren Grund“ zu gewinnen, sind nichts anderes als ein Rufen im Wald, das allenfalls die eigene überzeugte Anhängerschaft erreicht.

Nein, es ist längst vorbei mit der Homöopathie als einer irgendwie ernstzunehmenden medizinischen Methode. Das Verdikt der weltweiten Wissenschaftsgemeinde ist längst gesprochen – bestätigt von den führenden staatlichen und nichtstaatlichen Wissenschaftsorganisationen. Und nein, es geht dabei nicht um „Meinung“. Es geht um Fakten, um die Anwendung der rationalen Standards, ohne die unsere moderne Gesellschaft in vorwissenschaftliche Zeiten zurückfallen würde. Es erhebt ja auch niemand den Anspruch, das World Wide Web durch Telepathie abzulösen. Es gibt nichts mehr zu diskutieren in dieser Sache. Es gilt „nur noch“, den immer gleichen Desinformationen der pseudomedizinischen Szene entgegen zu treten, der Pseudomedizin ihre Verankerung im kollektiven Bewusstsein, ihre „soziale Reputation“ streitig zu machen. Nicht nur im Dienste einer wohlverstandenen und unverzichtbaren Rationalität, sondern auch als Beitrag zum demokratisch-gesellschaftlichen Diskurs.

Paralleluniversum

Und trotzdem – das pseudowissenschaftliche Paralleluniversum existiert, dominiert zwar von der Galaxie der Homöopathie, aber umgeben von einer Unzahl an unsinnigen bis gefährlichen Heilsversprechen. Ständig entstehen – um beim Bild des Universums zu bleiben – wie Sterne aus Gas aus Unwissen und Selbstüberschätzung neue „Methoden“ – und auch neue „Krankheiten“– in diesem Universum der Beliebigkeit. Vom Gesetzgeber unbehelligt bis geadelt und damit dem Publikum als vertrauenswürdig vorgeführt, gefällt sich dieses nahezu unangefochtene Universum in abgrundtiefer Selbstüberschätzung und kultiviert vielfach auch noch eine demonstrativ zur Schau gestellte Verachtung der „Schulmedizin“. Wie die Homöopathie die inhaltliche Verkörperung dieses Paralleluniversums ist (mit pseudomedizinischen Heilslehren aller Art im „Schlepptau“), ist es der Heilpraktikerstand personifizierte (wobei wir die Mitglieder der Ärzteschaft nicht unterschlagen wollen, die sich ebenfalls dazu verstehen, Pseudomedizin zu praktizieren). Dazu passt immerhin, dass die moderne Astrophysik Paralleluniversen für möglich hält, bei denen die Zeit rückwärts abläuft …

Wie lange will der Gesetzgeber der Diffamierung ernsthafter Wissenschaft und der Herabwürdigung der Anstrengungen der Ärzteschaft und eines jeden, der die Mühen eines Medizinstudiums auf sich nimmt, durch die Existenz dieses Medizin suggerierenden Paralleluniversums noch zusehen?

Bremswege

Woraus folgt, dass man den Verantwortlichen in Politik und Gesundheitswesen nicht nur nahelegen, sondern abfordern muss, diesen in vieler Hinsicht unsäglichen Zustand zu beenden. Auch dort gewinnen die Argumente langsam lächerlichen Charakter. „Die Leute wollen es aber“ – im Ernst, Wunschmedizin vor Effizienz? Längst ist ein Stand erreicht, wo die Krankenkassen Konsequenzen ziehen und ihre Erstattungen per Satzungsleistung für Homöopathie von sich aus beenden müssten. Denn auch die Erstattung für Kosten der besonderen Therapieeinrichtungen unterliegen dem Gebot, dass sie „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein müssen, um erstattungsfähig zu sein. Wie aber sollte eine unwirksame Methode, die nur noch durch Behauptungen am Leben gehalten wird, ausreichend und zweckmäßig sein? Wirtschaftlich ist sie, wie eine aktuelle Studie (durchgeführt mit einer großen Krankenkasse) zum wiederholten Male gerade erst ergeben hat, auch nicht. Also – wo bleiben die Konsequenzen? Wo das Eingeständnis der Gesundheitspolitik, hier lange Zeit einer massiven Fehlentwicklung freien Lauf gelassen zu haben? Selbst wenn man das Problem jetzt angehen würde, bliebe immer noch ein langer Bremsweg wie beim berühmten Öltanker. Aber jeder lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Und den Weg einzuschlagen ist, um mit einem vielbemühten, aber selten wirklich zutreffenden Begriff zu sprechen, hier wirklich alternativlos.


1Heinroth, Joh.Chr.Aug., Anti-Organon oder Das Irrige der Hahnemannischen Lehre im Organon der Heilkunst. C.H.F. Hartmann, Leipzig (1825)
Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp 13. Aufl. (1996)
Prokop, Otto u. Ludwig, Homöopathie und Wissenschaft, Ferdinand Enke, Stuttgart (1957)


Kleine Auswahl zum Weiterlesen:

Grundsätzliches: Ratgebernewsblog

Homöopathiegeschichte: „El Cid und die Homöopathie“

Neues Statement des Beirats der Wissenschaftlichen Akademien der EU: The Independent vom 23.9.2017

Heilpraktiker, Homöopathie & Co. – Politik als Kunst des Notwendigen

Die richtige Adresse

Immer dieser Wissenschaftskram!

In meinen Beiträgen zur Homöopathie- und zur Heilpraktikerdiskussion habe ich die Notwendigkeit betont, Gesundheitspolitik und Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen auf rationaler, will heißen, wissenschaftlich fundierter Basis zu betreiben und die vielfach offene Geringschätzung von Wissenschaftlichkeit und Rationalität als unvertretbar zurückzuweisen, ja, als Problem zu verstehen, dem entgegengetreten werden muss. Die wenigsten Entscheidungen im Gesundheitswesen sind Werte- bzw. Richtungsentscheidungen, müssen vielmehr systemisch faktenorientiert sein und einem intersubjektiven Begründungsanspruch standhalten.

In mancher Reaktion auch zu meinen Beiträgen musste ich zu meinem Bedauern und auch zu meinem Erschrecken feststellen, dass die darin liegende Botschaft offenbar nicht recht angekommen ist. Nicht die argumentativen Defizite der alternativmedizinischen Seite werden erkannt, ganz im Gegenteil wird eine Art Beweislastumkehr von den Kritikern und Skeptikern eingefordert, was die Situation einigermaßen auf den Kopf stellt. Dies, obwohl diese kritischen Argumente seit langem -und aktuell nochmals präzisiert und wiederholt– offenliegen und darauf warten, in einem sinnvollen faktenbasierten Diskurs betrachtet zu werden.

Offenbar ist es immer noch ein Problem, zu vermitteln, was eine faktenbasierte, wissenschaftlich belegte Position überhaupt ist und dass Nicht-Argumente wie Behauptungen, Whataboutism und teils persönliche Diskreditierung keine ernstzunehmenden Gegenpositionen sind. Man kann nur darauf hinwiesen, dass solche „Argumente“ sich außerhalb des Diskursuniversums bewegen und mehr als eine Entlarvung weder verdienen noch erfordern. Zumal, wenn das Grundsatzproblem – hier das der illusorischen Existenz von „zwei Medizinen“ im Heilpraktikerwesen, dort die Aufnahme der Scheinmethode Homöopathie in das Arneimittel- und das Sozialrecht – allein für sich schon evident ist.

Medizin und Gesundheitswesen sind in der allgemeinen Wahrnehmung ein durchaus heikles Thema. Was sich der Patient / Verbraucher wünscht, ist im Grunde die berühmte sanfte, nebenwirkungsfreie und gleichzeitig hoch wirksame Medizin – die es nur in der Vorstellungswelt der alternativen Szene gibt. Aber genau da, bei diesen Vorstellungen und Wünschen der Patienten / Verbraucher, haken die Versprechungen der Alternativmedizin ein und verstärken diese Grundhaltung. Was dazu führt, dass viele Verbraucher / Patienten den Verlockungen von sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei gern glauben und die gegenläufige Vorstellung entwickeln, pharmazeutische Medikamente seien weitgehend unwirksam, hochgiftig, viel zu teuer und dienten ja nur der Profitmaximierung einer düster imaginierten mafiaähnlichen Gesundheitsindustrie. Wissenschaftsfeindlichkeit und Misstrauen sind die Folge, Forschung und ärztliche Fachkunde werden diskreditiert. Zudem entsteht durch soziale Akzeptanz ein Schutzraum für die Versprechungen der alternativen Szene.

Dieses Misstrauen gegenüber der wissenschaftsorientierten Medizin wird durch große Unwissenheit über die Regeln zur Medikamentensicherheit, zum Zulassungsverfahren, über die Entwicklung und die Kontrolle von Medikamenten und über die Bedingungen, unter denen ärztliche Tätigkeit sich abspielt, befördert. Teilweise herrschen darüber abstruse Vorstellungen. Vorgänge wie gelegentliche Marktrücknahmen von Medikamenten werden beispielsweise nicht als Konsequenz genauer Beobachtung und Kontrolle gesehen, sondern als „Versagen“ der Pharmaindustrie und der Arzneimittelbehörden wahrgenommen.

Sichere Medikamente – wissenschaftliche Standards

Wie sieht die Wirklichkeit aus? Nach dem Contergan-Skandal der 1960er Jahre, der nicht der einzige war, hat sich (spät) die Einsicht durchgesetzt, dass der Staat in der Gewährleistung bestmöglicher Patientensicherheit eine eigene Aufgabe hat. Seitdem haben sich mehr und mehr Regeln und Instrumente etabliert, die die Patientensicherheit ebenso gewährleisten sollen wie die Wirtschaftlichkeit des Medikamenteneinsatzes im öffentlichen Gesundheitswesen. Das Arzneimittelgesetz ist ein Patientenschutzgesetz, das sollte man nicht vergessen.

Was die Sicherheit angeht, so gibt es ein komplexes Zulassungsverfahren im Zusammenwirken mehrerer Institutionen des Gesundheitswesens. Begehrt ein Hersteller die Zulassung eines neuen Medikaments, muss er mit dem entsprechenden Antrag eine hohen Qualitätsstandards entsprechende Wirksamkeitsstudie ebenso vorlegen wie Studienergebnisse zu Nebenwirkungen. Und nein – das genügt keineswegs. Vor der Zulassungsprüfung steht die Forderung nach mindestens einer weiteren, vom Hersteller personell und finanziell unabhängig durchgeführten Medikamentenstudie, die die Ergebnisse der ersten Studie bestätigt. All das wird -unter Umständen nach Beiziehung von noch mehr Studienmaterial- durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der die Zulassung ausspricht, begutachtet. Auch nach der Zulassung muss die Anwendung des Mittels systematisch beobachtet und bewertet werden, was dann eben gelegentlich die Grundlage für eine Marktrücknahme sein kann. Die Kosten für all dies trägt der Hersteller, der die Zulassung begehrt.

Ein Beispiel für den im Zulassungsverfahren ebenso im Fokus stehenden Aspekt der Wirtschaftlichkeit ist die Zulassung von Mitteln, für die bereits Behandlungsstandards auf dem Markt sind. Solche Mittel müssen gegenüber dem bisherigen Standard einen Mehrnutzen nachweisen. Es soll verhindert werden, dass -vor allem nach Ablauf der Patentfrist- Mittel nicht oder nur geringfügig verändert werden und sozusagen nur auf eine andere oder zusätzliche Indikation „umetikettiert“ eine neue Zulassung mit der Folge neuer Preisvereinbarungen erhalten. Diese Bewertung von Mehrnutzen ist so streng, dass für viele im Ausland durchaus erhältliche Nachfolgemittel in Deutschland gar nicht erst Zulassungsanträge gestellt werden.

Das Zusammenwirken des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist auf die Berücksichtigung der bestmöglichen wissenschaftlichen Standards ausgerichtet. Die Tätigkeit dieser Stellen ist völlig transparent. Interessenkonflikte von Gremienmitgliedern müssen offengelegt und veröffentlicht werden. Man darf feststellen, dass damit ein ausgefeiltes System des „Risikomanagements“ für den pharmazeutischen Teil des Gesundheitswesens etabliert ist.

Unabhängige Bewertung

Selbstverständlich stützen sich diese Institutionen auch auf den internationalen wissenschaftlichen Austausch und vernetzen sich mit den Arzneimittelbehörden anderer Länder. Die Europäische Union kennt inzwischen Regeln für ein gemeinsames Zulassungsverfahren, das es ermöglicht, Zulassungen in einzelnen Mitgliedstaaten auch für andere gelten zu lassen. Dass es auch immer einen wirtschaftlichen, ebenso einen medizinethischen und politischen Kontext neben dem wissenschaftlichen für diese Aufgaben gibt, ist einleuchtend. Maßgeblich ist gleichwohl für die Gutachten und Zulassungsentscheidungen ausschließlich die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnislage. Die Pharmaindustrie und diese staatlichen Institutionen stehen deshalb auch in einem natürlichen Konkurrenzverhältnis zueinander, das Märchen, dass „BigPharma“ die Gesundheitspolitik dominiere, ist insofern – ein Märchen.

Nicht nur Mittel, auch Methoden unterliegen vergleichbaren Zulassungsvoraussetzungen, die sich ebenso an den Grundsätzen der EbM, der evidenzbasierten Medizin, orientieren. Das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt – und als Kontrast zu den durchweg ohne Evidenz praktizierten Methoden der Alternativmedizin, denen es ja auch freistünde, sich in einem förmlichen Zulassungsverfahren zu bewähren..

Wissenschaft und Konflikte

Wissenschaftliche Bewertungen stellen die bestmöglichen Annäherungen an die Bedingungen der realen Welt zu einem gegebenen Zeitpunkt dar, sie nehmen keine „absolute Wahrheit“ für sich in Anspruch. Durch das ständige Ersetzen bisheriger Erkenntnisse durch neue, bessere erweitert sie ihren Horizont ständig. Wissenschaft stellt ihre Erkenntnisse der weltweiten wissenschaftlichen Gemeinde zur Kritik zur Verfügung, damit der Prozess der Beseitigung von Irrtümern und Unzulänglichkeiten fortschreiten kann. Ein äußerst wesentlicher Unterschied für angeblich belegte Mittel und Methoden der alternativmedizinischen Szene.

Gleichwohl treffen im medizinischen Sektor wissenschaftliche Ergebnisse auf andere Wertsysteme, moralische oder auch interessengeleitete. Der Schauplatz dieses Zusammentreffens ist in der Regel die Politik. Insofern kommt es auch zu Fehlentscheidungen. So haben wir erlebt, wie sich über das Heilpraktikerwesen unter den Augen und mit Duldung der Politik eine zweite Medizin, eine im Wesentlichen unwissenschaftliche Parallelwelt, herausbilden und verfestigen konnte. Ebenso gilt dies für die Verankerung unwissenschaftlicher Mittel der Homöopathie und der Anthroposophie unter dem euphemistischen Begriff der „besonderen Therapierichtungen“ im Arzneimittelrecht.

Nun ist die Wissenschaftlichkeit in einem Bereich wie der medizinischen Versorgung der Bevölkerung keine vernachlässigbare Größe. Von der Politik muss daher erwartet werden, dass sie der Einflussnahme anderer Größen bei der Ausgestaltung des öffentlichen Gesundheitssystems Grenzen setzt. Es geht hier nicht um Kompromisse, sondern um eine verlässliche Faktenbasis.

Und hier ist der Bogen zu schlagen zu der eingangs gegebenen Schilderung. Das falsche Bild in der Bevölkerung von Gesundheitswesen, dem zu misstrauen sei, was – befördert durch Wunschdenken – das Trugbild einer „anderen, besseren Medizin“ entstehen lässt, wird natürlich durch Fehler und unvertretbare Kompromisse der Politik noch befördert. Die bestehende Schieflage als Folge früherer Entscheidungen ist evident. Und hier liegt der Punkt für die Berechtigung, ja, die Notwendigkeit, von der Politik Korrekturen zu fordern, zu erwarten, dass die Wissenschaftsfundierung des öffentlichen Gesundheitswesens konsequent, zumindest ohne nicht tolerierbare Brüche durchgeführt wird. Wir sehen das Ergebnis von laissez-faire in der Vergangenheit: Eine breite soziale Akzeptanz von Scheintherapien wie der Homöopathie, eine durch Misstrauen gegenüber der „bösen Gesundheitsindustrie“ beförderte Affinität zu unhaltbaren Versprechungen, wie sie sich insbesondere in der Heilpraktikerszene manifestiert. Zudem arbeitet diese Situation generell gegen eine sinnvolle Akzeptanz von Wissenschaft. Wenn wissenschaftliche Schlussfolgerungen nicht mit politischen Meinungen oder gesellschaftlichen Wertvorstellungen übereinstimmen und deshalb übergangen oder ignoriert werden, führt das vielfach zu einer Diskreditierung der Vertreter der wissenschaftlichen Fraktion, von Organisationen und allzu oft auch Personen und zu einer Scheinrationalisierung der eigenen, subjektiven oder auf Partikularinteressen ausgerichteten Position („Studien sind doch nur Lügen“, „Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“, „Ergebnisse werden bezahlt“, “Wissenschaft ist doch auch nur ein Glaube” und mehr).

Politik gegen Fakten ist die Kunst des Unmöglichen

Wenn Fakten nicht recht zu einer politischen Agenda passen, werden leider allzu oft die Fakten zur Disposition gestellt und nicht die Agenda. Was im Gesundheitssektor besonders bedenklich und auch einigermaßen schizophren ist: wenn wissenschaftliche Institutionen, die die Politik selbst ins Leben gerufen hat und die ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig sind, ungehört bleiben oder nur als „Meinung“ unter vielen zur Kenntnis genommen werden. So etwas schädigt den Ruf solcher Institutionen in der Öffentlichkeit und sendet das Signal, dass es nur ausreichender Einflussnahme (Lobbyarbeit) bedarf, um diese Institutionen „unschädlich“ zu machen.


Anmerkung, August 2022:
Ein besonders krasses Beispiel ist aktuell der Versuch des baden-württembergischen Gesundheitsministers, die Entscheidung der Landesärztekammer zur Streichung von Homöopathie aus dem Weiterbildungskatalog offensiv zu attackieren und mehr oder weniger offen zu verkünden, dass sein Ziel sei, diese Entscheidung der LÄK zu Fall zu bringen. Hier wird eine klar subjektive Position zum Gegenstand öffentlicher Entscheidungsfindung erhoben und nicht einmal eine Scheinrationalisierung versucht. Glücklicherweise gibt es einen – auch politischen – Diskurs, der dem Minister sein Vorhaben schwer machen wird. Aber allein der Vorgang als solcher kann nur als Skandal bezeichnet werden.


Vor kurzem las ich die schöne Formulierung, dass es in der faktenbasierten Sachpolitik nicht darum gehen könne, sich „an post-faktischen Beliebtheitswettbewerben zu beteiligen“. Das Anbrechen des postfaktischen Zeitalters wird von der Politik selbst laut beklagt. Dann möge sie sich aber auch selbst klar positionieren im Konflikt zwischen Aufklärung und pseudo-alternativer Verunklarung: Auf der Seite der klaren Fakten.


Bildnachweis: gemeinfrei

Apothekenpflicht für Homöopathika – ein kleiner Debattenbeitrag

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“
und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.

Die Diskussion schlägt hohe Wellen, die Gemüter entzünden sich an der Initiative der Verbraucherschutzpolitikerin Mechthild Heil (CDU), Homöopathika aus der Apothekenpflicht herauszunehmen. An Frau Heil erst einmal einen großen Dank für den Mut, endlich einmal an einem Zacken der Krone der Pseudomedizin zu rütteln! Auf Twitter hat das Echo der kritischen Gemeinde dazu gar den Hashtag #Globokalypse hervorgebracht.

Wen wundert es, wenn Apothekenlobbyisten und Pharmaindustrie zusammen mit den Pharmaverbänden unisono dagegen tönen (mit gelegentlichen Backgroundsounds aus der Politik)? Ich brauche sicher nicht besonders zu erwähnen, was der Hintergrund dessen ist. Es sei nur beiläufig und ganz ohne Zusammenhang erwähnt, dass mit homöopathischen Mitteln der Apothekensektor im Jahr 2016 über 600 Mio. Euro umgesetzt wurden, davon auf der Grundlage von Verordnungen nur wenig mehr als 100 Mio. Euro.  Immerhin wird schlaglichtartig deutlich, wie lächerlich, ja grotesk es ist, den Kritikern der Homöopathie zu unterstellen, sie würden von der Pharmaindustrie bezahlt

Wo bleibt übrigens die Stimme der klassischen Homöopathen und ihres Verbandes, die an der reinen Hahnemannschen Lehre immerhin festhalten und von daher strikt gegen jede Selbstbehandlung mit Homöopathika und damit auch gegen den 500-Millionen-Euro-Umsatz „over the counter“ sein müssten? Aber das nur nebenbei.

Für den Autor dieser Zeilen ist natürlich völlig klar, dass Zucker nichts im Apothekenregal zu suchen hat. Wenn auf irgendwas das Bonmot von den „Apothekenpreisen“ zutrifft, dann auf den Verkauf von Homöopathika in den Offizin. Auf jeden Fall wäre eine Auszeichnungspflicht in deutscher Sprache und die Aufhebung des Apothekenvorbehaltes es ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich dahin, der Homöopathie ihre gesetzlichen Privilegien zu nehmen, zu denen neben der Einstufung als besondere Therapierichtung, der Befreiung vom Wirksamkeitsnachweis und der Möglichkeit der Kassenerstattung auch die Apothekenpflicht gehört.


Versuchen wir, ein wenig Ordnung in die etwas konfus gewordene Debatte zu bringen.

Gute, sehr gute Gründe sprechen dafür, die homöopathischen Mittel nicht mehr der Apothekenpflicht zu unterwerfen. Zu allererst der, dass der Homöopathie damit ein staatlicherseits völlig unverdient gewährter Vertrauensbonus gewährt wird. Was ist denn die erste Reaktion des Verbrauchers, wenn er Homöopathika in Betracht zieht? Dafür muss ich in die Apotheke – also muss das doch in Ordnung sein. Komme mir keiner mit dem mündigen Patienten. Denn der mündige Patient hätte schon längst die Homöopathie als spezifisch komplett unwirksame und unsinnige Scheintherapie ad acta gelegt.

Ein formaler Grund für die Apothekenpflicht liegt in den lateinischen Bezeichnungen der Mittel. Letztlich leitet man daraus ab, dass nur der Apotheker hierzu kompetent „beraten“ kann. Aber auch die hochtrabenden lateinischen Bezeichnungen für die Mittel (ich erspare uns hier Beispiele der grotesken Art) sind nichts anderes als eine Tarnkappe, eine respektheischende Mimikry, die den Konsumenten beeindrucken soll. Im Grunde achtzehntes Jahrhundert (passt ja).

Womit wir zwanglos schon bei den Argumenten der Befürworter einer weiteren Apothekenpflicht angekommen sind. Die sind -Entschuldigung- im Grunde so dünn wie eine C 200-Potenz.


Am lautesten erschallt der Ruf nach der unumgänglichen, unbedingt erforderlichen Beratung in der Apotheke. Nun weiß ich da nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Genauso könnte die Apotheke über heiße Luft beraten. Aber: Es ist hinreichend bekannt, und der Autor dieser Zeilen hat reichlich entsprechende Erfahrungen gemacht, dass die Apotheke nicht nur zu Homöopathika berät, sondern rät. Oft genug wird dem Kunden statt eines ordentlichen Arzneimittels „over the counter“ ungefragt ein Homöopathikum auf die Theke gestellt. Es soll sogar Fälle gegeben haben (die ein Skandal ersten Ranges wären, aber mir wurde so etwas auch schon berichtet), dass beim Vorweisen eines Rezeptes in der Apotheke versucht wurde, dem Kunden stattdessen ein homöopathisches Mittel aufzuschwatzen.

Nun muss man einen Unterschied machen zwischen Apotheken mit derartigen Fehlleistungen und denen, die sich zur Homöopathie zurückhalten und kein offensives OTC-Marketing betreiben. In Anbetracht der Auswirkungen auf den Umsatz ist eine solche Zurückhaltung allerdings ein Konkurrenzproblem, das ist ganz klar. Auch das bedarf im Grunde einer Lösung.

Geradezu erheiternd finde ich den Einwand, für manche Ursubstanzen gebe es aber gar keine deutschen Bezeichnungen. Bei bestimmten Pflanzen beispielsweise, aber auch bei Bakterien (!). Was für ein durchschlagendes Argument! Dann schreibt man eben „Pflanzenauszug C200 aus xx, Wirkung unbekannt“ oder „Bakterium yy C200, löst Krankheit zz im unverdünnten Zustand aus“. Finde ich gut.

Diesen Abschnitt können wir schon mal mit der Zwischenfrage schließen, wozu eine Apotheke bei unwirksamen Arzneimitteln denn wohl beraten soll?


Fragen wir uns umgekehrt einmal, was denn die Verbannung der Mittel aus den Apotheken in der Praxis bedeuten würde. Vermutlich würde diese nicht ernsthaft den Süßigkeitenabteilungen der Supermärkte, sondern den Drogerien und Drogerieketten einen ordentlichen Umsatzzuwachs bescheren. Die würden sich ohne Zweifel sofort als seriöse und fachlich aufgestellte Anbieter etablieren und alle Möglichkeiten der Werbung nutzen, die den Apotheken verwehrt waren. Wenn mich jemand fragt – auch nicht gerade eine besonders erquickliche Vorstellung. Aber zweifellos würde die Debatte doch nennenswert viele Menschen dazu bringen, ihre bisherige Einstellung zur Homöopathie zu hinterfragen, sicher ein großer Wert an sich, der die Inkaufnahme der einen oder anderen Unzulänglichkeit auf jeden Fall rechtfertigen würde. Aber vielleicht geht es noch besser…

Vorlaut, wie der Autor nun einmal so ist, hat er einen -völlig ernst gemeinten- alternativen Vorschlag parat. Der würde alle beabsichtigten Effekte ebenfalls erfüllen, sogar darüber hinaus gehen, und den einen oder anderen Nachteil vermeiden. Vor allem der Verbraucherschutzeffekt, um den es hier ja geht (der Verkauf unwirksamer Mittel ist mindestens genauso ein Verbraucherschutzproblem wie ein medizinisches) würde noch viel gravierender greifen.

Warum folgt man nicht der konsequenten Richtung, die die Russische Akademie der Wissenschaften in ihrem Memorandum „Homöopathie ist Pseudowissenschaft“ für den Umgang der Apotheken mit den Homöopathika vorgeschlagen hat (und die vom Gesundheitsministerium dort wohl auch umgesetzt werden wird)? Dabei handelt es sich um einige schlichte Punkte:

  • Geprüfte pharmazeutische Arzneimittel und Homöopathika dürfen nicht als gleichberechtigt dargestellt, beworben und vertrieben werden (das bedingt eine klare Auszeichnungspflicht im Sinne der amerikanischen Verbraucherschutzbehörde FTC).
  • Homöopathika dürfen nur in separaten Schränken / Behältnissen in der Apotheke aufbewahrt werden und nicht vom Kundenbereich aus frei sichtbar ausgestellt werden.
  • Eine aktive Beratung zu Homöopathika ist den Apotheken untersagt.
  • Verlangt der Kunde nach Homöopathika, dürfen sie nur unter dem ausdrücklichen Hinweis darauf abgegeben werden, dass es keinen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis für das Mittel gibt.

Ihren Verbraucherschutzauftrag der Beratung in gesundheitlichen Fragen könnten Apotheken auf diese Art und Weise effektiv wahrnehmen, die Verbraucherinformation wäre besser und nachhaltiger als bei einem Verkauf von Homöopathika durch Drogerieketten (und Süßwarengeschäfte) und die gegenseitige Konkurrenzsituation der Apotheken würde bliebe unbeeinflusst – ein Marketing pro Homöopathie wäre dann niemand mehr möglich.

Nur so als Idee. Ganz nebenbei müsste das doch den gerade so aktiven Befürwortern der Apothekenpflicht stark entgegenkommen, da sollte dann doch breiter Konsens zu erzielen sein…

Und wäre das nicht sogar eine Chance, die -etwas unausgegorenen- Gedanken der gesundheitspolitischen Sprecherin der LINKEN aufzunehmen, die eine „Esoterikblase außerhalb der Apotheken“ durch eine Beibehaltung der Apothekenpflicht „verhindern“ will? Denn mit diesem Vorschlag würde sogar die Esoterikblase innerhalb der Apotheken verhindert…

Ceterum censeo: Homöopathie als spezifische Arzneimitteltherapie hat keinerlei Wirksamkeit.


Bildnachweis: gemeinfrei


Aus den Kommentaren

23. Mai 2019

  1. S. SAMIERDE 5. August 2017 10:07AntwortenEndlich dreht sich der Wind.
    Sie können sich sicher nicht vorstellen, wie froh ich als Apothekerin bin, wenn dieser Pseudowissenschaft nun endlich die Maske heruntergerissen wird.
    Es ist für mich unerträglich, diesen Dreck zu verkaufen. Bei uns lagert eine kleine Auswahl versteckt in einer Schublade und keiner empfiehlt aktiv. Wer mich nach meiner Meinung fragt, dem rate ich ab.
    Leider haben wir sowohl eine Ärztin, als auch eine Heilpraktikerin im Hause, die häufig diesen Mist verordnen. Da heißt es dann, gute Miene zu bösem Spiel machen. Denn wir dürfen nicht in die Therapiehoheit eingreifen.
    Als besonders intensive Anhänger der Kügelchen habe ich übrigens die Hebammen ausgemacht. Alle jungen Eltern kaufen Globuli schon während der Schwangerschaft und auch später fürs Kind. Da sollte man auch mal ansetzen und schon in der Ausbildung aufklären. Klar schadet bisschen Hokuspokus (und Wirkung über die Zuwendung) nicht.
    Aber mein Erleben ist, dass gerade die jungen, intelligenten, gut ausgebildeten Eltern sich dann mit Verve in die Homöopathie stürzen, so dass die Sache dann besiegelt ist.
    Meine Erfahrung!
  2. RGL 5. August 2017 11:04
    Die Federal Trade Commission der USA (nicht die FDA!) schreibt vor:„“There is no scientific evidence that the product works.”
    “The product’s claims are based only on theories of homeopathy from the 1700s that are not accepted by most modern medical experts.”“
    • UDO ENDRUSCHEIT 5. August 2017 11:09 
      Dazu darf ich noch ergänzen, dass die ursprünglichen Vorstellungen noch weiter gingen. Der Vorschlag der FDA (Food and Drug Administration) an die FDC war, dass als „Inhalt“ Milchzucker (oder was auch immer als Globulimasse verwendet wird) deklariert werden sollte, die homöopathischen „Substanzen“ sollten nur unter der Überschrift „Bei der Herstellung verwendet:“ erscheinen. So weit ist die FDC dann nicht gegangen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
  3. ECHITNA 5. August 2017 12:34
    Lustig finde ich ja die Sache mit den deutschen Bezeichnungen. Wenn man mal die „Zutaten Liste“ von ganz normalen Shampoos z.B. an guckt. „Aqua“ kenn ich ja noch aber den Rest? Warum geht das bei shampoo und co. Aber nicht bei Homöopathika?
    • UDO ENDRUSCHEIT 5. August 2017 13:55 
      Das ist relativ einfach zu beantworten: Shampoos werden nicht als Heilmittel verkauft und beinhalten wohl kaum das Gefahrenpotenzial, dass ihretwegen z.B. eine Lungenentzündung nicht oder zu spät behandelt wird. Des weiteren können sie sich mit Shampoos durchaus die Haare waschen, sie erfüllen also in aller Regel das, wofür sie angepriesen und verkauft werden. Das ist bei Homöopathika nicht so. Sie sind als Arzneimittel unwirksam. Ich denke, das macht schon einen erheblichen Unterschied… Außerdem sollten Sie auch in Rechnung stellen, dass Produkte wie die von Ihnen genannten Shampoos auch einiges an vorgeschriebenen Verträglichkeitstests über sich ergehen lassen müssen, bevor sie auf den Markt kommen. Da sorgt schon der EU-Verordnungsgeber für. Die Homöopathika brauchen keinerlei Wirkungsnachweis zu erbringen, eine Qualitätskontrolle durchlaufen sie insofern, als dass bei ihnen qualitativ gesichert wird, dass es sich um ordentlichen Zucker ohne giftige Zusätze (resp. zu viel „Wirkstoff“) handelt und die Globuli auch schön gleichmäßig rund sind.
      Ein wenig bissig, aber Sie werden es mir verzeihen: Wenn in einem Shampoo nur Aqua drin und es damit fürs Haarewaschen einigermaßen ungeeignet wäre, würde ich mir auch Aufklärung in der Drogerie darüber wünschen.
      Danke für Ihren Kommentar!
  4. LISA 5. August 2017 13:16
    Ihr seit noch nicht reif für die Homöopathie. Die erfordert nämlich bewusstheit und Eigeninitiative. Man ist nicht nur kranker Tablettenschluckender Mensch sondern setzt sich mit entsprechenden Problemen die zu dieser Erkrankung geführt haben auseinander. Ich habe in 20 Jahren Selbstverständnis die Krankenkasse verschont weil ich mir selbst zu helfen wusste. Das lasse ich mir auch nicht nehmen.
    Ich bin es leid dass immer irgendwelche klugdaherredenden Leute mir vorschreiben wollen welchen Heilungsprozess ich gehen soll. Daß entscheide immer noch Ich selbst.
    • UDO ENDRUSCHEIT 5. August 2017 13:46 
      Danke auch für diese kritische Zuschrift. Mir ist aber wichtig, Sie auf einen ganz grundlegenden Irrtum hinzuweisen, dem Sie erliegen: Niemand, absolut niemand will ihnen vorschreiben, Homöopathie zu nutzen oder nicht. An keiner Stelle haben die Kritiker der Methode jemals ein „Verbot“ gefordert. Das Anliegen der Kritiker ist Aufklärung, denn sie wissen sehr gut, welche Verwüstungen 200 Jahre Homöopathiepropaganda auf dem Feld des klaren und kritischen Denkens hinterlassen haben. Nur vor diesem Hintergrund ist auch der obenstehende Artikel zu verstehen.

      Es wäre vielleicht schon sehr viel für die Versachlichung der Debatte gewonnen, wenn die Befürworter der Homöopathie nicht immer fälschlich davon ausgehen würden, die kritische Fraktion wolle etwas „vorschreiben“ oder „verbieten“. Es geht einfach darum, dass unwirksame Methoden keinen Platz im öffentlichen Gesundheitswesen haben dürfen – oder eben in dem von mir beschriebenen Sinne. Die Homöopathie-Hersteller und die homöopathischen Therapeuten sind es, die Ihnen etwas „vorschreiben“ – und sei es durch ihre Werbung.

      Und noch ein immer wiederkehrendes Fehlurteil, das mir in Ihrem Kommentar auffällt: Wieso kommen Sie darauf, dass die Alternative zur Homöopathie ein „Mehr an Tabletten“ sein soll/muss? Das ist völliger Unsinn. Allein schon deshalb, weil alles, was mit Homöopathie „geheilt“ wird, auch von alleine wieder verschwunden wäre. Aber um auf den Kern der Sache zurückzukommen: Niemand aus der kritischen Szene will Homöopathika durch pharmazeutische Mittel „ersetzen“. Die Kritik an der Homöopathie ist ein Teil dessen, dass sich die Skeptiker für eine insgesamt „bessere Medizin“ einsetzen, die keineswegs ein Mehr an Medikation beinhalten soll – im Gegenteil.

      Trotzdem -oder deshalb- möchte ich bei Ihnen dafür werben, sich einmal näher mit den Kritikpunkten an der Homöopathie auseinanderzusetzen. Da sie ja dieses Blog lesen, gehe ich davon aus, dass sie dafür durchaus offen sind. Wenn Sie sich einen fundierten Überblick über die wichtigsten Kritikpunkte verschaffen wollen, ohne allzuviel Lesezeit aufwenden zu müssen empfehle ich Ihnen: https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/faq


Wakefield nochmal: Wie sieht’s aus?

“Den Umständen entsprechend” ganz gut sieht es aus. Soweit zu erfahren war, erfreute sich die Veranstaltung im Salle Lumen in Brüssel eines gewissen internen Interesses. Um das mal so auszudrücken. Jedenfalls hat Wakefield sein Ziel, sich das EU-Parlament oder seine Institutionen dienstbar zu machen, offensichtlich um 100 Prozent verfehlt.

Aus einem VAXXED-Fanforum

Proteste hagelte es von allen Seiten. Die britischen Abgeordneten, die bestens mit der Wakefield-Story vertraut sind, waren sehr aktiv, ebenso die britische Wissenschaftsgemeinde. Der Präsident des Jenner-Instituts hat an den Fraktionsvorsitz der EU-Grünen geschrieben und nicht mit deutlichen Worten gespart. Irgendeinen bedeutungsvollen Pressebericht konnte ich ebenfalls nirgendwo finden, die Phalanx der Journalisten weiß offenbar wirklich längst, was sie von ihrem Wakefield zu halten hat.

Innerhalb der EU-Parlamentsgemeinschaft gab es viele Aufrufe, um Himmels Willen nicht an dieser Veranstaltung teilzunehmen, was offensichtlich Wirkung gezeigt hat. Stellvertretend hier der mir zugänglich gemachte Rundbrief des österreichischen EU-Abgeordneten Heinz Becker (ÖVP):


Dear friends and colleagues,

On invitation of MEP Michèle Rivasi Mr Wakefield will show his film Vaxxed in the European Parliament tomorrow morning. Mr Wakefield became infamous in the United Kingdom by publishing his flawed and misconducted study on the asserted relation between vaccination and autism in 1998 and is now prohibited from practicing medicine in the United Kingdom.

I urgently ask you to not take part this irresponsible campaign in order to avoid millions of deaths due to severe diseases!

All international reliable researchers confirm that vaccination is safe and one of the greatest health developments of the last century. Vaccines interact with the immune system to produce an immune response similar to that produced by the natural infecting. They do not cause the disease or put the immunized person at risk. In contrast, getting immunity through natural infection might be serious illnesses or even death. A gigantic number of deadly can now be prevented and hence, millions of children’s lives are saved.

Let me give some few examples:

  1. Smallpox ravaged and killed thousands of people in Europe in the 18th The survivors were left scarred or blinded. Thanks to vaccination it was officially wiped out in 1980. If it were still common, it would cause approx. 2 million deaths every year.
  2. Polio, incurable and deadly, has been eradicated from many parts of the world because of vaccination.
  3. Diphtheria led to more than 60,000 infections and 3,283 deaths in the UK in 1940. Blanket coverage of vaccinations almost eliminated the disease.

Today’s rareness of these diseases should not lead to an underestimation of the importance of vaccination for children nowadays. The infectious agents are still circulating in some parts of the world and can still infect anyone who is not protected. If children are not vaccinated the illness can return with vengeance.

The reactions to vaccinations are usually minor and temporary. Serious health events are extremely rare and are carefully monitored and investigated. Any serious injury or death caused by vaccines is one too many, but, the benefits of vaccination greatly outweigh the risk and many more injuries and deaths would occur without vaccines.

Let me therefore conclude by emphasising two key reasons to get vaccinated – to protect ourselves and to protect those around us. Successful vaccination programs depend on the cooperation of every individual to ensure the good for all.

I thank you for taking my wish into consideration NOT to participate in this event!

With kind regards,


Na, wenn das nichts ist?

Was die Abgeordnete Rivasi angeht: Auch sie persönlich wurde von vielen Protestlern um eine Stellungnahme gebeten. Alle berichten, dass sie niemals eine Antwort bekommen hätten. Mme Rivasi hat sich völlig eingemauert, wie es aussieht. Dass ich mit der Bitte, doch einmal die Scheuklappen abzulegen und die Fakten zur Kenntnis zu nehmen, sofort gelöscht und gesperrt worden war, hatte ich ja schon berichtet.

Übrigens -wie die Londoner Times berichtet, ist der Folgetermin, der für kommenden Dienstag (14.2.) in London geplant war, geplatzt. Nach heftigsten Protesten hat der einzige Kinobetreiber, der eine “private Vorführung” angekündigt hatte, einen Rückzieher gemacht. Offenbar ist Europa nach wie vor doch ein schlechtes Pflaster für Wakefield und seine Entourage. Dass er sich überhaupt traut, in England zu erscheinen, ist kaum zu begreifen. Naja, eigentlich, dass er sich überhaupt traut, öffentlich aufzutreten.

Was ihn nicht ungefährlich macht – er wird sich ohne jeden Zweifel jetzt an den US-Präsidenten halten. Was sich ja auch daran zeigt, dass er schon Vorträge für den Herbst über Veränderungen in der US-Impfpolitik ankündigt.

Also: Alle wachsam bleiben. Schließlich haben wir hier bei uns in Deutschland gerade genug Propagandisten, die Impfgegnerunsinn verbreiten und auch ein offenbar geneigtes Publikum, die jeden Unsinn in dieser Richtung aufnehmen wie ein Schwamm. Das Thema bleibt selbstverständlich auf der Agenda.

Ich danke allen, die sich in Sachen Wakefield engagiert haben, noch einmal ganz herzlich.


Wakefield-Alarm: Der TIMES-Artikel übersetzt

Wie versprochen, hier eine deutsche Fassung des Sunday-Times-Artikels vom 29. Januar. Zum selbst Lesen, Weiterverbreiten und Verlinken.

Zudem der Hinweis auf Dr. Norbert Austs Blog “Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie”, der sich in kompetenter Weise auch dagegen einsetzt, Wakefield und Co. in Brüssel die Ehre zu geben. Informativ und mit vielen Belegstellen für die Argumentation:

http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=2994

Nun aber:

Trump verschafft Anti-Impfstoff-Eiferer Rückenwind

The Times 29.01.2017, Trump gives anti-vaccine zealots a shot in the arm
Brian Deer and Josh Glancy


(Anm.: „a shot in the arm“ ist hier eine schöne Anspielung auf den Vorgang des Impfens; es bedeutet idiomatisch soviel wie „Rückenwind bekommen“ oder „einen gewaltigen Schritt nach vorne machen“. Brian Deer ist übrigens der Journalist, der seinerzeit Wakefields Studienfälschung in der TIMES publik machte.)

Der diskreditierte britische Arzt Andrew Wakefield hat einen mächtigen Verbündeten rekrutiert

Von Donald Trumps erster Nacht als Präsident wurde ein Video online veröffentlicht, das die medizinische und wissenschaftliche Welt schaudern ließ. Es zeigte einen Mann um die 60 mit schwarzer Krawatte bei Washingtons gefragtestem Inaugurationsball – einen der schärfsten Widersacher der amerikanischen National Health Agency.

Die wackligen Aufnahmen provozierten eine heftige, teilweise wütende Reaktion der medizinischen Gemeinschaft. So twitterten Ärzte und Wissenschaftler beispielsweise: “Ich brauche Medikamente gegen Übelkeit“ oder einfach kurz und knapp: „Bloody Hell“.

Man mag gar nicht hinschauen …

Gegenstand der Aufregung war Andrew Wakefield, ein diskreditierter ehemaliger Arzt, der im Vereinigten Königreich im Jahr 2010 für gefälschte Forschungsergebnisse zu einer angeblichen Verbindung von MMR-Impfstoffen (Masern, Mumps und Röteln) und dem Entstehen von Autismus aus der medizinischen Wissenschaftsgemeinde ausgestoßen worden war. Nach einer preisgekrönten Untersuchung von The Sunday Times wurde er vom britischen General Medical Council gerichtlich belangt, einschließlich einer Anklage wegen Betruges, diesen Vorwurf ließ er über seine Anwälte anerkennen. Und nun tauchte eben dieser Wakefield in Washington bei Trumps Amtseinführung auf.

Nachdem Wakefield Großbritannien mit seiner Frau und vier Kindern in Richtung USA den Rücken gekehrt hatte, zog er sich die scharfe Kritik der amerikanischen Medien zu. Das Time-Magazine gab ihm einen Platz in einer Story über “große Wissenschaftsbetrügereien”. Aber erneut und trotz alledem war es ihm gelungen, ängstliche Eltern und Verschwörungstheoretiker mit seinen kruden „Warnungen“ vor Impfungen zu vereinnahmen.

Und jetzt hat Wakefield anscheinend einen starken neuen Unterstützer – den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Vor vierzehn Tagen lud Trump Robert F. Kennedy Jr., den Neffen des ehemaligen Präsidenten und prominenten Impfskeptiker, in den Trump-Tower ein. Kennedy verlautbarte danach, er sei aufgefordert worden, eine neue Kommission für Risikobewertung von Impfstoffen zu leiten (obwohl eine Trump-Sprecherin später sagte, es sei noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden).

Trump interessiert sich seit langem für die Anti-Impf-Bewegung (“Anti-Vaxxer”). Im Dezember 2007 sagte er: “Meine Theorie [über Autismus] -und ich beschäftige mich damit, denn ich habe kleine Kinder- ist: Es sind die Impfungen. Wir geben diese massiven Injektionen, und ich denke wirklich, dass dies die Kinder schädigt“.

Im Jahr 2012 traf Trump auf Gary Kompothecras, einen Anti-Impf-Campaigner und reichen Sponsor der republikanischen Partei aus Florida. Trump twitterte daraufhin: “Massive kombinierte Impfungen für kleine Kinder sind die Ursache für den großen Anstieg der Autismusfälle”. Im August letzten Jahres wurde Wakefield im Rahmen der Kampagne mit Trump bekannt gemacht; sie ließen sich gemeinsam fotografieren.

Wakefield und andere Impfgegner haben durchaus ihre “Effekte” in Amerika erzielt. Die Zahl der nicht Geimpften in Texas, wo Wakefield lebt, stieg von 2.314 im Jahr 2003 auf 38.197 im Jahr 2013. Nach einem Masernausbruch in Kalifornien im Jahr 2015 wies die kalifornische Gesundheitsbehörde Wakefield persönlich einen Teil der Schuld zu.

Erin, eine 36-jährige Lehrerin aus New York, ließ ihre beiden Söhne nicht mehr impfen. Ursprünglich hatte sie vor, innerhalb eines längeren Zeitraumes impfen zu lassen (wg. Vorbehalten gegen den Kombinationsimpfstoff, in den USA ein im Vordergrund stehendes Thema, UE). Nachdem sie sich aber „informiert“ hatte, schreckte sie vor der MMR-Impfung aus Angst zurück, damit bei ihren Kindern Autismus zu verursachen.

“Ich könnte es mir nicht verzeihen, wo mein Junge doch so jung, gesund und munter ist, ihn dem Risiko dieser Injektion auszusetzen – und danach wäre er nicht mehr der Gleiche“, erklärte sie. Erin ist überzeugt, dass es eine Kampagne gegen Wakefield gibt, die systematisch wegen wirtschaftlicher Interessen der „Impfstoffindustrie“ geführt wird. “Er muss diskreditiert werden, denn sonst könnten die Pharmafirmen die Eltern nicht dazu bringen, ihre Produkte zu kaufen.“

Unter Trump ist die Bühne für Wakefields Ideen nun wieder neu bereitet worden, ganz offensichtlich, um diesen neuen Schub zu verleihen. Das beunruhigt Maranda Dynda, 23, aus Pittsburgh, die mit 19 eine Tochter bekam und sich schnell in der Anti-Vaxxer-Bewegung wiederfand. “Ich geriet online in eine Anti-Vax-Filterblase”, sagte sie. “Ich glaubte das alles dort, weil ich Angst um mein Kind hatte. Damit bist du so was von anfällig für alle verrückten Szenarien, die sich so auftun.“

Dynda impfte ihre Tochter bis zum Alter von zwei Jahren nicht. Sie begann aber, ihre Position zu überdenken: “Ich fing an zu bemerken, dass die Menschen in der Anti-Vaxxer-Bewegung auch an Dinge glaubten, die ich lächerlich fand – Dinge wie Aidsleugnung und die Flache-Erde-These”, erklärt sie. “Anstatt weiter auf Verschwörungswebsites und YouTube nur Selbstbestätigung zu suchen, sprach ich mit Ärzten und begann, mich in wirkliche wissenschaftliche Veröffentlichungen einzulesen.“

Als Dynda einen Blog veröffentlichte, der ihre Abkehr von der Impfgegnerszene erklären sollte, “war es wie das Verlassen einer Sekte,” sagte sie. “Ich bekam Morddrohungen, die Leute sagten mir, ich sei eine schreckliche Mutter. Ich habe die meisten meiner Freunde verloren.”

Dynda ist nicht wütend auf Eltern, die überzeugt davon sind, für ihre Kinder das Richtige zu tun. Aber Anti-Vaxxer und aktive Propagandisten wie Wakefield sind für sie eine andere Sache. “Diese Menschen frustrieren mich”, sagte sie. “Sie handeln einfach unverantwortlich.”

Trump versprach, dass er als Präsident “Mehrfachimpfungen nicht erlauben würde” und twitterte, dass Ärzte über Impfungen “gelogen” hätten. “So viele Menschen, die Kinder mit Autismus haben, haben mir gedankt”, teile er per Twitter mit.

Wakefield erkannte seine Chance. Nicht mehr Arzt -jede Approbation wurde ihm entzogen-, nennt er sich nun “Filmemacher” und „versorgt“ Trump mit seinem 91minütigen Dokumentarfilm namens „Vaxxed“. Der Film behauptet, eine angeblich schlecht gemachte Studie des Centre for Disease Control and Prevention (CDC) sei ein Beweis für eine Verschwörung der Regierung mit dem Ziel, Wakefields Thesen zu diskreditieren.

Er bezichtigt die Wissenschaftler des CDC „Verbrechen, schlimmer als die von Stalin, Pol Pot und Hitler“ zu begehen und weist ihnen Verantwortung für „eine Million geschädigter Kinder“ zu.

Wakefield hat seine Unterstützer von seiner Opferrolle überzeugt, davon, dass er von Politik und Wissenschaft zum Schweigen gebracht wurde. “Sie stellen einfach Behauptungen über mich auf”, erzählt er dem Publikum bei seinen Veranstaltungen. “Sie haben keine Argumente, sie haben nichts, als zu behaupten: Liebe Eltern, dieser Mann ist ein Lügner, und, liebe Ärzte und Wissenschaftler, wenn Sie sich daran beteiligen, die Impfstoffsicherheit zu hinterfragen oder gar den Zusammenhang von Autismus und Impfungen zu untersuchen, werden Sie genauso dastehen“.

Nicht nur Trump ist offenbar anfällig für die Anti-Vaxxer-Bewegung. Letzte Woche räumte der Kongressabgeordnete Tom Price, Kandidat für den Chefposten im amerikanischen Gesundheitsministerium, in seiner Senatsanhörung ein, es sei „Ansicht der Wissenschaft”, dass Impfstoffe nicht für Autismus ursächlich seien. Aber auf die ergänzende Frage, ob die Eltern den empfohlenen Impfplänen folgen sollten, wich Price einer Antwort aus.

Seit der Nacht auf Trumps Inaugurationsball geht von Wakefield ein Trommelfeuer von Nachrichten auf seine Anhänger nieder. Der Plan ist offenbar, die Trump-Berater mit Anekdoten von Eltern zu bombardieren, die deren Kinder angeblich nach einer Impfung „nicht mehr die gleichen waren”.

“Eure Botschaften gehen an jemanden, der viel bewegen kann“, feuerte der ehemalige Arzt in der vergangenen Woche seine Anhänger an. “Es gibt jetzt etwa sechseinhalbtausend Fälle, wir brauchen aber mindestens 10.000 Geschichten von Impfschäden oder mehr.”

Es ist eine ähnliche Methode wie die in den 1990er Jahren, die zum Ende seiner wissenschaftlichen und ärztlichen Laufbahn geführt hatte. Engagiert und bezahlt von einer Anwaltsfirma, durchforstete er systematisch Anti-Vaxx-Gruppen und rekrutierte Eltern, die MMR-Impfungen für das Unglück ihrer Kinder verantwortlich machten. Als ihre Anekdoten analysiert wurden, unter Einbeziehung der medizinischen Unterlagen zu diesen Fällen, schmolzen sie weg wie Schneebälle im Sonnenschein.

Tom Price ist ein ehemaliger orthopädischer Chirurg und vermutlich nicht vollständig immun gegen Fakten. Seine Behörde wird ihm von den abgeschlossenen Rechtsstreitigkeiten aufgrund von mehr als 5.000 Eingaben beim Bundesgericht berichten, seit Wakefield zuerst in Großbritannien auftauchte. Und in nicht einem Fall – wie das Gericht selbst erklärt – war ein Anhalt dafür gefunden worden, dass ein Impfstoff Autismus verursachen könnte. Aber das allein wird Wakefield wohl in seinem neuen Anlauf nicht aufhalten.

“Es war wunderbar, es war großartig, er hat enorme Unterstützung der Administration für das, was er tut”, sagte er über Trump nach dem Inaugurationsball. “Er hat sehr gute Leute“.

So ist nun auch noch zu vielen anderen Ungewissheiten die Frage getreten, welchen Einfluss Trumps Sieg bei den Präsidentschaftswahlen auf das Impfwesen haben wird. Amerika wird abwarten und sich einstweilen fragen müssen, ob der neue Präsident auch Infektionskrankheiten „will make great again“.


Wakefield-Alarm: Mitmachen!

Bild: dreamstime_xs_69305092

Ich empfehle folgenden Text, nach eigenem Gusto natürlich auch abgewandelt / gekürzt, für einen Mailprotest an die Europa-Abgeordneten eurer Region bzw. eures Bundeslandes (Infos am Schluss):


Präsentation des Anti-Impf-Films „Vaxxed“ von Andrew Wakefield in Brüssel & Pressekonferenz beim Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) @ Europäisches Parlament

Sehr geehrte Frau … / Sehr geehrter Herr …

Bitte machen Sie Ihren gesamten Einfluss geltend, um die Präsentation des Anti-Impf-Films „Vaxxed“ von Andrew Wakefield am 9. Februar 2017 in Brüssel bei der Pressekonferenz beim Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) zu verhindern. Bei dem Film handelt es sich um ein manipulatives, keineswegs dokumentarisches Werk ohne jeglichen wissenschaftlichen Hintergrund und ohne journalistische Qualitäten. Der Film verbreitet Desinformationen, die potenziell eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen.

Detaillierte Begründung:

Das Masernvirus zählt zu den größten Killern junger Kinder.  Im Jahr 2015 starben mehr als 134.000 Menschen an Masern, das entspricht 15 Toten pro Stunde.  Und das obwohl es eine sichere und günstige Impfung gibt. Die WHO schätzt, dass die Masernimpfung seit dem Jahr 2000 mehr als 20 Millionen Leben gerettet hat.  Eines der erklärten Ziele der WHO ist, die Masern bis zum Jahr 2020 auszurotten (siehe auch http://who.int/mediacentre/factsheets/fs286/en/).

Doch in Europa lassen immer weniger Eltern ihre Kinder impfen. Damit rückt das in den Vereinigten Staaten bereits erreichte (jedoch stets gefährdete) Ziel, die Masernerkrankung auszurotten, unnötigerweise in immer weitere Ferne. Eine der Ursache für dieses Entstehen einer „Impfmüdigkeit“ ist das verantwortungslose Treiben sogenannter Impfgegner, in den angelsächsischen Ländern „Anti-Vaxxer“ genannt.

Herr Andrew Wakefield ist Mitbegründer und Speerspitze der Impfgegner/Anti-Vaxx-Bewegung.  1998 veröffentlichte er eine Arbeit in der angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift The Lancet. An 12 Kindern (eine lächerlich geringe Kohorte für ein Forschungsvorhaben) zeigte er vermeintlich, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung Autismus verursacht. Journalistische Nachforschungen und die langjährige Untersuchung des General Medical Councils (britische Ärztekammer) bewiesen, dass Herr Wakefields im Zuge seiner Arbeit mit den Kindern unethische Forschungsmethoden angewandt, die Daten eines jeden einzelnen Patienten manipuliert oder wichtige Daten unterschlagen hatte und dass er von Anwälten finanziert wurde, die Klagen gegen Impfhersteller vorbereiteten und damit ein explizites Interesse an seinen Forschungsergebnissen hatten. Fast alle Co-Autoren wandten sich von Herrn Wakefield ab. Die britische Ärztekammer entzog ihm die Berufslizenz und The Lancet zog die Veröffentlichung zurück (siehe auch http://www.bmj.com/content/342/bmj.c5347).

Epidemiologische Studien an hunderttausenden von Kindern konnten Wakefields „Ergebnisse“ nicht reproduzieren. Wakefields gefakte Studie gilt heute als einer der großen Medizinskandale des 20. Jahrhunderts. Nichts weist darauf hin, dass Impfungen Autismus verursachen können. Im Gegenteil: Mit der größtmöglichen wissenschaftlichen Evidenz kann heute die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Impfungen und Autismus verneint werden. Dies ist nicht nur das Ergebnis einzelner Wissenschaftler, sondern das abschließende Urteil der weltweit renommierten Cochrane Collaboration, einer unabhängigen Institution, deren Aufgabe die Prüfung und Bewertung der Evidenzlage medizinisch-wissenschaftlicher Forschungen ist. Das abschließende Review der Cochrane Collaboration kann jedermann unter http://www.cochrane.org/CD004407/ARI_using-combined-vaccine-protection-children-against-measles-mumps-and-rubella einsehen.

Doch nun verbreitet Herr Wakefield seinen gefährlichen Irrglauben nicht mehr als Mediziner, sondern als Filmregisseur. „Vaxxed – From Cover-Up to Catastrophe“ ist eine einseitige und manipulative Verschwörungstheorie und-Anti-Vaxx-Propaganda, bar jeglicher wissenschaftlichen Fakten. Wakefield propagiert das Nicht-Impfen und spielt manipulativ mit den Ängsten, die alle Eltern um ihre Kinder haben. Deshalb ist Wakefields-Anti-Vaxx-Kampagne außerordentlich gefährlich.

Überall in Europa rebellieren Wissenschaftler und Interessenvertreter autistischer Kinder gegen die Vorführung dieses manipulativen, unwissenschaftlichen „Dokumentarfilms“. In den USA stieß Wakefield bislang ebenfalls auf Widerstand, so wurde die geplante Vorführung seines Films auf dem renommierten Tribeca-Festival, das unter der Mitverantwortung des bekannten Schauspielers Robert de Niro steht, aufgrund zahlreicher Proteste abgesagt.

Angesichts dessen bin ich zutiefst entsetzt darüber, zu erfahren, dass Herr Wakefield mit seinem Film am 9. Februar 2017 die Möglichkeit zu einer Vorführung vor Mitgliedern des Europäischen Parlaments gegeben wird. Ausweislich der Vorankündigung ist ihm die Gelegenheit hierzu gar von einem ordentlichen Mitglied des Europäischen Parlaments geboten worden, Frau Michèle Rivasi (Frankreich).

Dies ist in meinen Augen in hohem Grade verfehlt und unverantwortlich. Wenn der Lobby der Impfgegner, die mit ihrer ständigen Propaganda ohnehin schon Tag für Tag Schaden an Leben und Gesundheit der Bevölkerungen anrichtet, gestattet wird, sich bei einem so hochrangigen Organ wie dem Europäischen Parlament Gehör zu verschaffen, dann ist dies ein verheerendes Signal.

Ich bitte Sie daher eindringlich, Ihren gesamten Einfluss geltend zu machen, damit Herrn Andrew Wakefield, einem aus der Wissenschaftsgemeinschaft wegen unethischen und unredlichen Handelns ausgeschlossenen Propagandisten, dieses Forum nicht zur Verfügung gestellt wird. Bitte nutzen Sie Ihre Kontakte, damit die Veranstaltung des ENVI – sollte sie nicht mehr zu verhindern sein – auf möglichst breiter Basis boykottiert wird. Möglicherweise wäre auch eine deutliche Presseerklärung einer Gemeinschaft von kritisch-aufgeklärten EU-Parlamentariern hilfreich, die den Bemühungen von Wakefield, die EU vor seinen Karren zu spannen, eine deutliche Grenze setzt.

Es wird Ihnen möglicherweise nicht entgangen sein, dass die Vorstellungen von Herrn Wakefield beim neu gewählten US-Präsidenten auf fruchtbaren Boden zu fallen scheinen. Beide Herren sind persönlich miteinander bekannt und haben auch Austausch miteinander gepflegt. Umso mehr kommt es darauf an, Wakefield in Europa Grenzen zu setzen. Hierzu berichtet bereits die Londoner Times unter
http://www.thetimes.co.uk/article/trump-gives-anti-vaccine-zealots-a-shot-in-the-arm-lwtbhdcgq ,
eine deutsche Übersetzung des Artikels findet sich hier.

Hinter diesem Anliegen dürften neben der ganz überwältigenden Mehrheit der weltweiten Wissenschaftsgemeinde auch alle Gesundheitsbehörden der Mitgliedsländer der EU stehen. Es wäre eine Desavouierung all dieser Personen und Institutionen, wenn es Herrn Wakefield gelingen würde, das Ansehen und die Autorität des EU-Parlaments auch nur in geringstem Maße für seine Zwecke zu nutzen. Bitte bleiben Sie nicht untätig!

Mit Dank und mit freundlichen Grüßen

(Name)


Hier findet man die Kontaktdaten der deutschen EU-Parlamentsabgeordneten. Das Foto anklicken, dann öffnet sich eine Seite für den/die einzelne/n Abgeordnete/n, in der ein Email-Kontakt angeklickt werden kann.

Hier die Übersicht nach Bundesländern (Eine direkte lokale Zuständigkeit der EU-Parlamentarier gibt es eigentlich nicht, die unterste Ebene der Vertretung ist offiziell das Bundesland. Deshalb wäre zu empfehlen, alle Abgeordneten des jeweiligen Bundeslandes anzumalen – die Zahl ist letztlich überschaubar, für das Bundesgebiet insgesamt gibt es 96 Abgeordnete). Die Links führen auf die individuellen Webseiten der Parlamentarier, die in aller Regel auch einen Menüpunkt “Kontakt” haben.

Wer twittert? Eine liebe Leserin hat an den ENVI (Gesundheits- und Umweltausschuss des EU-Parlaments, die eigentliche Veranstalterin) bereits unter @Verorth getwittert. Wer mag das aufgreifen / folgen / selbst twittern?

Danke an alle!


Nachtrag am 29.01.2017, 23.00 Uhr: Auch bei der Impfgegnerschaft scheint Trump ernst zu machen.

Nachtrag am 03.02.2017, 17.30 Uhr: Dies hier ist die originale Ankündigungsseite von Wakefields Veranstaltung. (Link erloschen) Sie gehört der französischen Impfgegnerorganisation “Surete Vaccins”, die wohl mit Mme Rivasi, der Organisatorin in Brüssel, verbunden ist.


Aus den Kommentaren

Gedanken zu „Wakefield-Alarm: Mitmachen!“

Andysagt:

Ich habe gerade noch eine Antwort von einer meiner Abgeordneten bekommen: Die Vorführung des Films wurde abgesagt.

WolfgangMsagt:

Also hier die “Gedanken” von Bert Ehgartner zu verschiedenen Impfthemen und Viren- Ehgartner hat ja auch schon wie Wakefield beim Milchwirt`s Impfgegnerkongress einen Vortrag gehalten.https://keineahnungvongarnix.com/2017/01/17/nachtrag-zum-impfthema/comment-page-1/#comment-419

WolfgangMsagt:

Danke, ich hab auf dem “Nachtrag zum Impfthema” einige Zitate von Bert Ehgartner gepostet. Ist noch nicht freigeschaltet- bitte verlinken. Und der ehemalige Gesundheitssprecher der Grünen in Österreich hat mir versprochen, die EU-Abgeordnete der Grünen Österreichs Ulrike Lunacek in dieser Sache zu kontaktieren – sie ist ja auch Vizepräsidentin des EU Parlaments.

Udo Endruscheitsagt:

Alles klar. Daumen hoch und danke!Antworten

WolfgangMsagt:

C. Exley ist ja in der Impfgegnerszene der Aluminium-Adjuvans Guru, der überall Aluminium in biologischen Proben misst- leider ohne Qualitätssicherung (Verwendung von internationalen Al-Standards ist nicht ersichtlich in seinen Publikationen, oder rein-Raum Technologie) – und da misst er auch viel Mist.
So wurden Frauen medial durch den Impfgegner Bert Ehgartner verunsichert, Aluminium in Antitranspirantien würde Brustkrebs verursachen, Exley fand in den lateralen Quadranten bei Mamma-Karzinom Patienten mehr Aluminium als in den medialen Quadranten- und flugs wurde da die Story draus Al- verursacht Brustkrebs. Eine weitere Studie von Exley mit einer anderen Methode zeigte jedoch eine Gleichverteilung von Al über alle vier Quadranten der weiblichen Brust. Nur diese Publikation, die konträr zur ersten ist, wird medial totgeschwiegen.

Und hier eine neuere Publikation von Exley- ein sog letter:http://www.thelancet.com/pdfs/journals/laninf/PIIS1473-3099(16)30546-1.pdf

Das ist ein letter von C Exley – dem Aluminium “Spezialisten” der Anti-Vaxxer, da gehts gegen den HPV-Impfstoff von GSK. Nur beim conflict of interest (coi) schreibt er: [ coi =das ist eine Erklärung der Verfasser ob es möglicherweise Umstände gibt, die das Ergebnis beeinflussen könnten. So muss man angeben, ob man oder seine Partnerin Aktien von Pharmafirmen haben, ob es in den letzten Jahren Zuwendungen zB für Vorträge, Kongressreisen etc gab]“I declare no competing interests. I have received grants from the UK Medical Research Council and the Children`s Medical Safety Research Institute”. Das Children`s Medical Safety Research Institute ist ein “Forschungsinstitut” der Dworkin Family Foundation – einer reichen Anti-Vaxxer Bewegung. C Exley wird von dieser wissenschaftsfeindlichen Dworkin Family Foundation hoch gesponsert.. Also ein klarer coi, nur sagt ers nicht- ein klarer Fall schweren wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Bad science.

Irgendwie angefangen hat das hier http://vaccinesafetyconference.com/ ´hochgesponsert von der Dwoskin Family Foundation- Exley war dort (Aluminium is an antigen !!!)Natürlich auch Wakefield. Die haben 2016 bei dem Autoimmunity Kongress in Leipzig ein Symposium über Vaccines veranstaltet- wiederum gesponsert von der Dworkin Family Foundation. Claire Dworkin hatte den Vorsitz.

Ein Punkt der Plenary Discussion war: Warum sagen die Behörden die Unwahrheit? Und es ging auch um HPV-Impfstoffe. Klar, Verschwörungstheorien brauchen das: alle Behörden der Welt lügen- muss ja so sein, sonst wärs keine Verschwörungstheorie. Wakefield ist angekündigt beim nächsten Impfgegnerkongress vom Milchwirten Tolzin Vortragstitel: Dr. med. Andrew Wakefield
Acht Monate Trump: Was hat sich an der Impfpolitik der USA bisher verändert? Findet man hier: http://www.impf-report.de/symposium2017.html

Udo Endruscheitsagt:

Danke für diese umfangreichen Infos! Man kommt gar nicht mehr nach… Wird aber auch noch verarbeitet.
Exleys Epigone Ehgartner ist ja im Moment auch eher auf der Autismus-Schiene unterwegs als mit der alten Alu-Geschichte. Kann man ja auch hier in der Kommentarspalte bei “Nachtrag zum Impfthema…” nachlesen, das lässt womöglich tief blicken.
Eine Hydra. Und dann auch noch der Milchbauer…

Naneasagt:

Ich war ein bisschen auf Twitter unterwegs, habe u.a. Michèle Rivasi und die Grünen im EP direkt kontaktiert. Einige andere auch, in der Hoffnung, dass das hilft.

Thomas Hülsebergsagt:

So, Udo…klasse Text von Dir. Meinen Beitrag an die Abgeordneten aus dem Bundesland Niedersachsen habe ich sehr gerne geleistet. Hoffe es wirkt… 😉 Beste Grüße, Thomas

Norbert Austsagt:

So, hier sind meine zwei Cent: http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=2994Da ich aus einer früheren Aktion noch den Verteiler habe, geht dies an alle (!) deutschen Abgeordnete im Europaparlament. Norbert

Udo Endruscheitsagt:

Trommelfeuer ist angesagt. Wie die TIMES berichtet, lässt Wakefield derzeit seine Anhänger trommelfeuerartig angebliche Impfanekdoten an die ganze Trump-Administration twittern und mailen…
Danke!

Dalek Sandersagt:

Moin!
Danke für die Textvorlage. Auch schon, leicht abgeändert, an die stolzen Drei von Schleswig-Holstein gemailt. Darunter eine Dame von der ALPHA-Partei.

Vielleicht wäre es ob der Textmenge sinnvoll, am Anfang das Anliegen kurz darzulegen (“Betreff” ist für die Betreffzeile der Mail etwas überdimensioniert):—
Sehr geehrte/r Frau/Herr …!Bitte machen Sie Ihren gesamten Einfluss geltend, um die Präsentation des Anti-Impf-Films „Vaxxed“ von Andrew Wakefield am 9. Februar 2017 in Brüssel bei der Pressekonferenz beim Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) zu verhindern. Bei dem Film handelt es sich um ein manipulatives, keineswegs dokumentarisches Werk ohne jeglichen wissenschaftlichen Hintergrund und ohne journalistische Qualitäten. Der Film verbreitet Desinformationen, welche für die Gesellschaft potenziell gefährlich sind.Detaillierte Begründung:
—(weiter wie in der Vorlage)Nur meine ganz persönliche Idee. Viele Grüße

Udo Endruscheitsagt:

Schöne Einleitung, gefällt mir sehr gut! Füge ich -Deine Zustimmung mal vorausgesetzt- in meine Mustervorlage ein.
Sie ist ja ziemlich lang, aber da die meisten Adressaten keinen Bezug zum Thema haben, geht es wohl nicht anders.
Danke!

WolfgangMsagt:

Danke, man sollte hinzufügen, dass Kinder ein Recht auf höchstmögliche Gesundheit nach der Kinderrechtskonvention haben- und damit auf Impfungen. Sagt zumindest UNICEF und WHO seit vielen Jahren.
“Jedes Kind hat ein Recht auf Impfung gegen verhütbare Krankheiten. Die Routineimpfung von Kindern ist notwendig, um das Recht der Kinder auf Gesundheit zu gewährleisten.”Und in Lehrbüchern der Kinderheilkunde und auch in Leitlinien ist der Begriff der Kindesmisshandlung klar definiert. Eine Unterbegriff ist die sog Vernachlässigung, die sich wiederum in verschiedenen Formen darstellt. Eine Form ist unzureichende Zahnpflege oder keine oder unvollständige Impfungen. Daher sind ungeimpfte/teilgeimpfte Kinder vernachlässigte Kinder, eine Form der Kindesmisshandlung. Und das geht doch gar nicht im EU-Parlament -oder?Quellen: 1) Tabelle beachten http://www.kindesmisshandlung.de/mediapool/32/328527/data/VN-KJA-2005.pdf2) nur als Auswahl Kapitel B2-5: https://www.unicef.de/blob/9440/8ef23b406f69bbe10009ece63799e0ed/praxis-buch-kinderrechte-komplett-2010-pdf-data.pdf3) UNICEFRecht auf Impfung Presseaussendung https://www.unric.org/html/german/kinder/presse/7.htm

Udo Endruscheitsagt:

Sie haben natürlich völlig Recht. Die Art und Weise, wie Wakefield & Co. Ängste und Unsicherheiten schüren, ist schlicht kriminell. Dafür habe ich gar keine andere Bezeichnung.
Nun ist ja der Mustertext eh schon lang genug… Ich habe überlegt, ob man Politikern überhaupt so einen umfangreichen Text schicken kann, aber er enthält schon die Dinge auf den Punkt gebracht in der nötigen Prägnanz, denke ich. Nehmen Sie aber gerne in Ihre persönliche Eingabe auch den Hinweis der offensichtlichen Kindesmisshandlung im Sinne der Kinderrechtskonvention auf, da liegen Sie natürlich vollkommen richtig.

Wir stehen gerade bei der Impfgegnerschaft vor einem komplexen Phänomen. Die Vorgeschichte von Wakefield ist ebensowenig in weiten Kreisen bekannt wie die schlagende Evidenz für das Impfen – und die völlige Haltlosigkeit der Autismus-Geschichte. Journalisten sind ebenso wie Politiker immer geneigt, nicht unbedingt Impfgegnerpropaganda direkt zu promoten, aber immer eine falsche “Ausgewogenheit” in Berichterstattung und Beratung anzustreben. Eine Ausgewogenheit dabei kann es aber natürlich nur bei vergleichbaren Evidenzen zweier Standpunkte geben und nicht beim Kampf zwischen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen und haltlosen Behauptungen. Diese leider immer wieder anzutreffende Neigung zur Ausgewogenheit ist eines der am weitesten geöffneten Einfallstore für Bullshit. Leider. Hier hilft nur Information.Eine ganz andere Klasse sind dann natürlich noch die Leute, die ihren Propagandisten nachlaufen wie Hippies ihrem Guru. Dazu wird es demnächst hier auf dem Blog auch noch etwas zu lesen geben.

Einstweilen vielen Dank für Ihre Hinweise – und nicht vergessen, EU-Abgeordnete informieren!

Wakefield-Alarm!

via Psiram

Liebe Leserinnen und Leser, ich kann euch noch nicht aus dem leidigen Impfthema entlassen. Im Gegenteil.

Nun wird auch noch eine Promotion-Veranstaltung des unsäglichen Andrew Wakefield für seinen noch unsäglicheren Film “Vaxxed” bei der EU in Brüssel vor dem Europaparlament angekündigt – eingefädelt und promoted von der französischen Europaabgeordneten Michèle Rivasi, Fraktion der Grünen!

Wir erinnern uns: In den USA war es gerade noch gelungen, die Vorführung dieses Films auf Robert de Niros Tribeca-Filmfestival zu verhindern. Wie ich erfahre, hat Wakefield eine Europa-Tournee mit dem Film und Veranstaltungen dazu geplant. In Italien und im Vereinigten Königreich (dass er die Stirn hat, das ausgerechnet da überhaupt zu versuchen…) ist er nach meinen Informationen damit gescheitert. Nun will er sich offenbar mit Unterstützung der EU, unter welcher Flagge auch immer, Rückenwind verschaffen.

Was tun? Derzeit wird eine eMail-Protestaktion vorbereitet, die ich empfehle und zu der ich Einzelheiten -Mustertext und Mailanschrift- schnellstmöglich hier publizieren werde. Ansonsten empfehle ich -und das werde ich selbst heute abend noch tun-, dass jeder seine/ihre Europaabgeordneten darauf hinweist, dass das EU-Parlament hier dabei ist, einem Menschen ein Forum für seine unhaltbaren, gemeingefährlichen Thesen zu geben, der wegen massivsten Fehlverhaltens, Bestechlichkeit und manipulativer Darstellung von Forschungsergebnissen aus der ärztlichen Gemeinschaft in seinem Heimatland Großbritannien ausgeschlossen worden ist. Und dessen Thesen einhellig von der weltweiten Wissenschaftsgemeinde zurückgewiesen werden und Unterstützung allenfalls bei Liebhabern alternativer Fakten genießt.

Übrigens – eine Privataudienz bei President elect Trump hatte Wakefield auch schon. Wen wunderts? Es muss ja daran gearbeitet werden – Amerika darf nicht masernfrei bleiben!

Danke erstmal.


PS Honi soit qui mal y pense? Wie man ja auch auf diesem Blog in der Kommentarspalte nachlesen kann, ist derzeit der nicht unbekannte Bert Ehgartner in Foren und Kommentarspalten sehr aktiv – nicht mit seinem alten Aluminiumthema, sondern -welch Zufall- ausgerechnet mit Wakefields altem Thema Autismus.


Heilpraktikerwesen: Gesetzgebung in homöopathischer Hochpotenz!

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Nach meinen diversen Zwischenrufen zum Handlungsbedarf in Sachen Heilpraktikerwesen ist wieder etwas zu vermelden. Und zwar wenig Erfreuliches.

Wie in einem aktuellen Beitrag in der Deutschen Apotheker-Zeitung online berichtet wird, sieht alles danach aus, als sei -trotz aller öffentlichen Aufregung, trotz vieler Stellungnahmen aus fachlicher Sicht- das Thema einer höchst notwendigen durchgreifenden Reform des Heilpraktikerwesens vom Tisch. Allen Ernstes hat Gesundheitsminister Gröhe die lächerliche Änderung, dass

künf­tig eine Erlaubnis auch dann versagt werden können [soll], wenn die Überprüfung ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für jeden einzelnen Pa­tienten (statt bisher “nur” für die Volksgesundheit) bedeuten würde” 

als Wurmfortsatz an das “Dritte Pflegestärkungsgesetz” angehängt – so beschlossen vom Deutschen Bundestag, ohne dass auch nur das Wort “Heilpraktiker” irgendwo im Reichstagsgebäude gefallen wäre.

Ich habe mir schon früher erlaubt, dies als belangloses Wortgeklingel abzutun. Diese Regelung ist, zumal in der Form, in der sie jetzt Gesetzeskraft erlangt hat, wirklich nicht mehr als eine in homöopathischer Hochpotenz verabreichte, demgemäß wirkungslose Beruhigungspille.

Nun ja, das Ministerium steht unter dem Dach dieser höchst umwälzenden Änderung jetzt in der Pflicht, bis Ende 2017 “Leitlinien” für die Heilpraktikerprüfung auszuarbeiten.  Nun könnte man ja sagen, das ist doch schon mal was (zumal hier der Bund endlich einmal seine zentrale Befugnis wahrnimmt und nicht gleich alles an die Länder abschiebt), aber es seien die folgenden -nicht neuen- Fragen gestattet:

  • Wird es wirklich nicht für notwendig gehalten, den Stand des “Heilpraktikers” auch im Hinblick auf seine historische Entstehung grundsätzlich neu zu definieren und ihm einen angemessenen und vertretbaren Platz im Gesundheitswesen zuzuweisen? Anders gefragt: Werden die offen zutage liegenden und vielfach deutlich benannten Probleme nicht verstanden oder schlicht ignoriert?
  • Was sollen Prüfungsleitlinien ohne festgelegte Berufs-, Qualifikations- und Ausbildungsregeln?
  • Wie soll ohne neue Grundsatzregelungen eine Eindämmung der de-facto-Therapiefreiheit von Heilpraktikern, einem der Hauptprobleme, erreicht werden?
  • Weshalb wird weiterhin suggeriert, es gebe eine “Medizin” unterhalb der Schwelle der akademischen, der Evidenz verpflichteten Medizin, die sich mit irgendeinem Recht “alternativ” oder “komplementär” nennen könnte? Wird immer noch nicht verstanden, dass es mehrere Medizinen ebenso wenig geben kann wie mehrere Physiken, Biologien, Chemien … ?
  • Ist -und das ist die Kernfrage- der Bundesregierung und dem Bundestag der Patientenschutz im Gesundheitsbereich so unwichtig? Gegen die hier zu schließenden Untiefen nehmen sich doch “Schutzmaßnahmen” anderer Art, die der Gesetzgeber, oft gar die EU-Bürokratie, für notwendig gehalten hat, eher marginal aus! Vielleicht nicht in der Quantität, sicher aber in der Qualität.

Für mich folgt daraus: Ich muss mich korrigieren. In aller Form nehme ich hiermit den früher geäußerten Vorwurf zurück, die Gesundheitspolitik sei postfaktisch. Das ist sie nicht. Sie ist kontrafaktisch.

Ich kann nur hoffen, dass die öffentliche und die fachliche Diskussion zum Thema nicht verebbt, sondern durch sie weiter Druck auf die Entscheidungsträger ausgeübt wird, sich dem Handlungsbedarf zu stellen.

Vielleicht ist noch die folgende Information interessant.

In der öffentlichen Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern (sog. Lobbyliste) des Deutschen Bundestages findet sich eine eigene Kategorie folgenden Namens:

“Allgemeines Gesundheitswesen, speziell alternative Heilweisen, hier Homöopathie und Heilpraktiker”.

Unter diesem Label finden sich die großen Dachverbände der Homöopathen und Heilpraktiker. Das ist ja ok. Etwas blümeranter wird es, wenn man sieht, dass nach den zugänglichen Informationen darüber hinaus folgende Organisationen über Hausausweise der Fraktionen von SPD, Grünen und Linken verfügen, die einen jederzeitigen und ungehinderten Zugang zum Bundestag und seinen Einrichtungen ermöglichen:

Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände e.V. (DDH) und Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland e.V.

Nur so, als reine Information.

Ach ja, welche Hausausweise die CDU/CSU-Fraktion ausgegeben hat, ist nicht bekannt. Noch nicht.

Zu Wahrsagern, Astrologen und sonst vergleichbaren Berufsgruppen konnte ich allerdings in den Lobby- und Hausausweisverzeichnissen keine Einträge finden. Immerhin.


Deutsches Ärzteblatt zum Heilpraktikerproblem

Mal wieder nur ganz kurz, mit Dank an das Ärzteblatt:

Nur Kosmetik …
Bild von kinkates auf Pixabay

Deutlichste Worte zum Thema Duldung von “Heilpraktikern” im Sinne meiner Beiträge auf diesem Blog:

http://www.aerzteblatt.de/archiv/183771/Heilpraktiker-Kosmetische-Aenderungen

und eine fundierte Lesermeinung dazu:

http://www.aerzteblatt.de/forum/119041

Dem ist nicht das Geringste hinzuzufügen. Außer, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, wenn die gesamte organisierte Ärzteschaft auf der Grundlage der beschriebenen Fakten und Argumente geschlossen Druck auf die Politik ausüben würde. Unter Inkaufnahme der Verärgerung der Schwurbel- und Experimentalfraktion. Das müsste doch möglich sein! Und ist dringend nötig, denn inzwischen hüllt man sich in dieser Sache mal wieder allseits in beredtes Schweigen. Dieses Schweigen ist allerdings weder Gold noch Silber. Nicht mal Bronze.


Och nee… Schon wieder Heilpraktiker(reformen)…

Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay

Neues von der Heilpraktikerreformfront. Wie das Ärzteblatt berichtet, ist man in Berlin offenbar dabei, einen gewaltigen Anlauf zu einer grundlegenden Reform des Heilpraktikerwesens zu nehmen (zum Thema in diesem Blog siehe hier, hier und auch noch hier.

Worauf dürfen sich nun Skeptiker und Kritiker freuen, die in den letzten Wochen vielfach fundierte Kritik am Heilpraktikerwesen, diesem Wurmfortsatz am öffentlichen Gesundheitswesen, geäußert haben? Nun, ich zitiere das Ärzteblatt

“Die Gesundheitsämter können die Erlaubnis versagen, „wenn sich aus einer Überprü­fung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten wür­de“, heißt es in den Leitlinien. Gemäß Änderungsanträgen von Union und SPD soll künf­tig eine Erlaubnis auch dann versagt werden können, wenn die Überprüfung ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für jeden einzelnen Pa­tienten bedeuten würde.”

Aha. Soso. Darum geht’s. Ich erlaube mir mal, das als belangloses Wortgeklingel abzutun. Doch halt: Der juristische Instinkt in mir spürt: Hier stimmt doch was nicht…

Rein sprachlogisch: Wie soll denn festgestellt werden, dass jemand für jeden einzelnen Patienten, den er in Zukunft haben wird, eine Gefahr darstellt? Das ist doch kompletter Unsinn. Ungefähr der umgekehrte Fall des alten Problems, wie man feststellt, warum eine bestimmte Einrichtung einen gewaltigen Besucherschwund aufweist: Gar nicht, denn die Leute, die weg sind, kann man ja nicht mehr fragen. Und: Es liegt ja auf der Hand, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Wohlfühl-Patienten erscheinen werden, die entweder gar keine oder eine selbstlimitierende, harmlose Erkrankung haben und denen ein paar Globuli oder eine Pendelsitzung, meinetwegen auch eine anthroposophische Kräutermischung, sicher nicht gefährlich werden. Damit könnte dieser Ausschlussgrund niemals wirklich zum Tragen kommen.

Vollends als Scheingefecht erweist sich dieser Reformvorschlag angesichts der Tatsache, dass in den Leitlinien des BMG aus dem Jahr 1992 zur Heilpraktikerprüfung bereits steht: “Die Überprüfung dient der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit einzelner Bürger und der Bevölkerung.” Sic! Hat wohl keiner im Gedächtnis gehabt …

Damit ist die geplante “Neuregelung” schon mal eine unnötige und unwirksame Leerformel. Vermutlich schielt der Bund mit einem Auge darauf, dass die Länder per Durchführungsbestimmung dieses schöne Produkt intensiven gesetzgeberischen Nachdenkens schon noch irgendwie mit Inhalt füllen werden. Nur: Siehe den vorhergehenden Absatz. Der Unterschied zwischen Leerlauf und Stillstand besteht lediglich im Energieverbrauch, für die Fortbewegung ist er unwesentlich.

Wie soll vor einem solchen Hintergrund eine rechtssichere, einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren standhaltende “Prüfung” stattfinden? Eine derart unsinnig-verquaste Regelung wird eher dazu führen, dass die Prüfenden, da ihnen die Kriterien entgleiten, mit Aussicht auf unfruchtbare Widerspruchs- und Rechtsmittelverfahren eher mal Fünfe gerade sein lassen als bisher. Und das wäre schlimm, sehr schlimm.

Fazit: Ich gehe mal in wohlwollendem Zweifel davon aus, dass das nicht alles sein kann, was den Fraktionen zur “Reform” des Heilpraktikerwesens einfällt. Das hier ist allerdings schon mal eine klassische Nullnummer.

Ich stelle fest: Keinen Schritt vor, einen halben zur Seite.


Den Begleitchor zu den aktuellen “Reformbestrebungen” gibt unter anderem der Verband klassischer Homöopathen Deutschlands e.V. (VKHD), der übrigens unter dem Motto “ganz Homöopathie – ganz Heilpraktiker” steht und damit einmal mehr beweist, dass Homöopathie und Heilpraktiker symbiotisch zusammengehören. Klar, ist doch die Homöopathie schon deshalb im Schatzkästlein der Heilpraktiker und als Aushängeschild unverzichtbar, weil sie – zu Unrecht – vergleichsweise am Wenigsten im Ruf einer halbseidenen esoterischen Methode steht.

Die aktuelle Pressemitteilung des VKHD ist betitelt mit “Viele Gesetze regeln den Heilpraktikerberuf  – Heilpraktiker bereichern das Gesundheitswesen und unterliegen strengen gesetzlichen Regelungen”. Klar, man möchte der letztlich doch beunruhigenden Erkenntnis entgegenwirken, dass der Heilpraktikerstand mehr oder weniger ungeregelt vor sich hinwerkelt. Was finden wir hier außer den üblichen Beteuerungen zur Wichtigkeit, ja Unverzichtbarkeit und Seriosität des Heilpraktikerstandes?

“Das Behandlungsspektrum von Heilpraktikern wird zum Beispiel durch den sogenannten Arztvorbehalt eingeschränkt, wie es u.a. im Infektionsschutz-, Arzneimittel-, Zahnheilkunde- und Betäubungsmittelgesetz geregelt ist. So darf ein Heilpraktiker beispielsweise weder Zahnheilkunde ausüben noch bestimmte übertragbare Erkrankungen behandeln oder rezeptpflichtige Arzneien verordnen.

Heilpraktiker müssen sich auch an die Vorgaben des Patientenrechtegesetzes, des Medizinprodukterechts und Arzneimittel- sowie des Infektionsschutz- und Heilmittelwerbegesetzes halten. Der öffentliche Auftritt eines Heilpraktikers wird darüber hinaus noch durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geregelt. Zudem gelten auch für sie dieselben Haftungs-, Sorgfalts-, Aufklärungs-, Dokumentations- und Fortbildungspflichten wie für Ärzte. Neben der Schweigepflicht müssen Heilpraktiker auch die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften, die gängigen Anforderungen an Hygiene (RKI-Hygienerichtlinie) und an Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 250) einhalten.”

Ah ja. Wie mir scheint, eher eine quantitative Aufzählung. Dazu sei die Bemerkung erlaubt, dass sich Otto Normalstaatsbürger noch einer weitaus größeren Menge an zu beachtenden Regelungen gegenübersieht, vom Strafgesetzbuch bis zur örtlichen Lärmschutzregelung. Auch der Bäckermeister, der Kfz-Mechaniker, der Maurerpolier sehen sich einer vergleichbaren Regelungsfülle gegenüber. Aber: All das sind Rahmen- und Ordnungsregeln. Nicht mehr. Wo aber finde ich hier das Gebot, dass die Heilpraktiker ausschließlich im Rahmen wissenschaftlicher Standards “behandeln” dürfen? Wo finde ich eine Positiv- oder Negativliste zugelassener bzw. ausgeschlossener Mittel und Methoden? Wo finde ich etwas zum “Heilen” oder zur “Praxis”? Zudem wage ich zu bezweifeln, ob all diese aufgezählten Einzelaspekte tatsächlich praktische Bedeutung für den Heilpraktiker entfalten. Gerade der Aspekt der Haftungs-, Sorgfalts-, Aufklärungs- und Dokumentationspflichten würde für sich einer eingehenden Betrachtung bedürfen. Und Fortbildungspflicht? Es gibt ja nicht einmal eine Ausbildungspflicht, geschweige denn Ausbildungsinhalte, an die eine Fortbildung anknüpfen könnte! Die Beliebigkeitsfortbildung, wie sie die Heilpraktikerschulen anbieten, soll doch wohl nicht mit der Pflichtfortbildung der Ärzteschaft gleichgesetzt werden…

Potemkinsche Dörfer. Kulisse, die das Eigentliche verdeckt, nämlich die unter dem Begriff der “Therapiefreiheit” weitestgehende Beliebigkeit bei der Ausübung der “Heilkunde” durch nicht wissenschaftlich ausgebildete Menschen.


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