Nachdem – wie erwartet – jedenfalls bislang die “Reformbemühungen” zum Heilpraktikerwesen in etwa die Wirkung einer homöopathischen Behandlung hatten (letzte kritische Stellungnahmen auf diesem Blog hier und hier), scheint nun doch auf der politischen Ebene Einiges in Gang zu kommen. Und zwar Grundsätzlicheres.
Es bedarf keiner erneuten langen und breiten Ausführungen zum Thema an sich. Es reicht der Verweis auf das Münsteraner Memorandum Heilpraktiker und vielleicht auf diesen und diesen Beitrag bei “Die Erde ist keine Scheibe”. Die letzteren dokumentieren die “Reaktionen” der Heilpraktikerszene, die es bislang nicht hinbekommen hat, sich einmal hinzusetzen und ein argumentatives Papier als Gegenposition zum Münsteraner Memorandum (und vielen anderen in die gleiche Richtung zielenden Statements) vorzulegen. Auch gehen sie auf den “Vorwurf” ein, mit Einschränkungen des Heilpraktikerwesens werde an den Grundfesten der Patientenautonomie und der Therapiefreiheit gerüttelt. Insgesamt: An dem in diesem Psiram-Beitrag dokumentierten Sachstand hat sich bislang nichts geändert.
Deshalb möchte ich der Politik (naja, ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass “die Politik” meinen Blog liest), aktuell nur drei Dinge mit auf den Weg geben für die allfällige, möglicherweise in Gang kommende Diskussion.
Erstens:
Ich neige bei einer Sache zu Unverständnis. Die Heilpraktiker selbst sind – wie eben kurz ausgeführt – offenbar entweder nicht willens oder nicht in der Lage (oder beides) auf argumentativer Basis der vielfältigen Kritik an der gesetzlich imaginierten “zweiten Medizin”, wie ich das Heilpraktikerwesen zu bezeichnen pflege, entgegenzutreten. Warum, bitte, sollte die Politik sich berufen fühlen (was ich gelegentlich zu registrieren glaube), ihnen diese Arbeit abzunehmen und Argumente “pro Heilpraktiker” ihrerseits zu suchen und zu diskutieren?
Zweitens:
Liebe Politiker, ich weiß sehr wohl, dass in vielen Hinterköpfen herumspukt, dass die Heilpraktiker ja nun faktisch eben doch ein Teil der Gesundheitsversorgung seien, bei deren Wegfall sich möglicherweise Engpässe im Vertragsärztesystem ergeben könnten. Nur ist die damit verbundene Vorstellung falsch, es gehe bei der so “versorgten” Klientel ja doch “nur” um Menschen mit allenfalls Befindlichkeitsstörungen, die ohnehin in einer Arztpraxis eher fehl am Platze seien. Das ist meiner Ansicht nach eine Fehleinschätzung. Der Grund dafür ist eine illusionäre Haltung der Patientenschaft zum Thema Heilpraktiker, die keineswegs die Annahme rechtfertigt, der mündige Bürger wisse schon, was er in einer Heilpraxis zu erwarten habe. Denn das Wissen der Bevölkerung darum, auf was sie sich mit dem Besuch in einer solchen Praxis potenziell einlassen, ist beklagenswert gering, was nicht zuletzt an der gesetzlichen “Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde” liegt, die vom Durchschnittspatienten ohne Umschweife als staatliches Gütesiegel wahrgenommen wird. Vielleicht ist auch schon mal aufgefallen, dass große Teile der Heilpraktikerszene sich unverblümt für die “bessere Medizin” halten und wenig Hemmungen haben, die wissenschaftliche Medizin und ihre Vertreter zu diskreditieren, offen oder eher subtil?
Und fragen sie mal die Vertreter der Ärzteschaft (nein, die sind nicht von Futterneid gegenüber den HP geprägt, das ist lächerlich – siehe dazu Dr. Christian Weymayr hier), was sie so erleben Tag für Tag mit Patienten, die aus HP-Praxen zu ihnen überwechseln…
Nein, der Hintergedanke des “Auffangnetzes” gegen eine Überlastung des ärztlichen Systems in der Gesundheitsversorgung ist falsch. Wäre er ernst zu nehmen, hätten die Befugnisse von Heilpraktikern längst massiv eingeschränkt werden müssen, z.B. durch eine Positivliste der ausschließlich erlaubten Interventionen.
Drittens:
Mir ist ebenso geläufig, dass bei vielen Politikern eine erhebliche Abneigung gegen “Verbote” besteht. Nun, genau die besteht bei mir auch. Ganz massiv sogar. Im Zusammenhang mit dem Heilpraktikerproblem geht es aber nicht um ein “Verbot”. Es geht um die Rücknahme ungerechtfertigter Privilegien, zu einem historischen Rückblick verweise ich an dieser Stelle auf die ausgezeichnete Darstellung bei Legal Tribune Online. Es geht um die in fast allen Industrieländern bestehende Selbstverständlichkeit, die Ausübung der Heilkunde an ein Hochschulstudium und die ärztliche Approbation zu binden. Also um den sogenannten Ärztevorbehalt. Diesen durch ein Ende des Heilpraktikerwesens herzustellen, würde ich nicht mit dem Buzzword “Verbot” belegen. Und er braucht auch keineswegs unter diesem Label kommuniziert zu werden.
Ergänzend weise ich noch einmal darauf hin, dass ein Rekurrieren auf die “Freiheit der Berufswahl und -ausübung” ebenfalls nicht durchgreifen dürfte, allenfalls, soweit eine völlige Abschaffung des „Heilpraktikers“ in Betracht gezogen werden sollte. Einschränkungen dagegen sind zweifellos möglich. Zum einen steht dieses Recht unter einfachem Gesetzesvorbehalt, kann also, wenn die Voraussetzungen der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit erfüllt sind, ohne weiteres einfachgesetzlich beschränkt werden. Selbst die Regelungen zur Gewerbeausübung mit Meisterqualifikation sind solche einfachgesetzlichen Einschränkungen und haben bislang jeder gerichtlichen Prüfung standgehalten. Wieviel unkritischer ist es, im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung den Heilpraktikerstand einschränkender als bislang zu regulieren?
Dazu sei mir gestattet, ein von mir schon öfter zitiertes Beispiel noch einmal hervorzuholen:
Die in Rechtsfragen beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes schützt der Gesetzgeber dadurch, dass er per Rechtsberatungsgesetz Laien und Privatpersonen, selbst Menschen, die beispielsweise Wirtschaftsjura studiert haben, bei Strafe von der rechtlichen Beratung von Mandanten ausschließt. Der laut Gesetzesbegründung damit verfolgte Zweck ist, die ratsuchenden Mandanten vor unzureichender Sachkunde im Zivilrecht (Vermögensschäden) wie im Strafverfahren zu schützen. Die in Fragen der Gesundheit beratende und handelnde Tätigkeit des Arztes schützt der Gesetzgeber vergleichbar – überhaupt nicht. Und damit vor allem nicht den in Sachen Gesundheit rat- und hilfesuchenden Patienten. Ist dem Gesetzgeber folglich das Vermögensinteresse eines Mandanten im Zivilprozess als Schutzgut wichtiger als die Gesundheit seiner Bürger?
So. Meine fünf Cent zur hoffentlich in Gang kommenden Debatte.
Bekanntlich ist die spanische Regierung dabei, auf dem Markt der Pseudomedizin so manchen Standplatz zu kündigen und ein Großreinemachen in Angriff zu nehmen. Die Homöopathie nimmt dabei – das wollen wir neidlos anerkennen – einen prominenten Spitzenplatz ein.
Und so hat im Nachgang zur offiziellen Mitteilung der spanischen Regierung an die EU-Kommission, dass sie gedenke, die Marktzugangs- und Werberegelungen für Homöopathie zu ändern, ein spanischer EU-Abgeordneter einige Fragen an die Kommission gerichtet, offenbar um auszuloten, ob Aussicht besteht, dass die EU ihrerseits die Regeln (Richtlinie 2001/83/EG) möglicherweise verschärft.
Nachfolgend leicht gekürzt (das genügt, Volltext hier) das Zentrale aus Frage und Antwort:
“Frage:
Die spanische Regierung hat der Kommission kürzlich mitgeteilt, dass sie die geltenden Rechtsvorschriften zur Homöopathie ändern sollte. Die Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel sieht als Hauptziel aller Vorschriften für die Herstellung, den Vertrieb oder die Verwendung von Arzneimitteln den Schutz der menschlichen Gesundheit vor.
Die spanische Regierung vertritt zur Homöopathie die Sichtweise, als sie homöopathische Produkte zwar als Arzneimittel betrachtet, aber gleichzeitig der Ansicht ist, dass die Öffentlichkeit über die Eigenschaften der Produkte verunsichert (confused) ist und dass dies ein immer größeres Risiko für die Gesundheit der Verbraucher darstellt.
Sind der Kommission ähnliche Mitteilungen von anderen Mitgliedstaaten über die Zweckmäßigkeit einer Änderung der geltenden Rechtsvorschriften zugegangen?
Plant sie, die derzeitigen Definitionen der Richtlinie 2001/83/EG für “Arzneimittel” und “homöopathische Arzneimittel” zu ändern und einen einheitlichen Rechtsrahmen zu verabschieden, der die Situation sowohl für das medizinische Fachpersonal als auch für die Öffentlichkeit klären würde?
Wird sie Werbung verbieten, in der die Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität homöopathischer Arzneimittel verkündet wird, für die es keine nachweisbaren Nachweise gibt?
Antwort:
Der Kommission sind keine ähnlichen Forderungen anderer Mitgliedstaaten nach einer Änderung der geltenden Rechtsvorschriften über homöopathische Arzneimittel bekannt. (Forderungen sicher nicht – auch die spanische Regierung hat dies von der EU nicht “gefordert”. Es ist aber schon ziemlich große diplomatische Kunst, mit diesem schlichten Satz zu verdrängen, dass sich England – noch als EU-Mitglied – vor nicht allzu langer Zeit positioniert hat und in Frankreich die Forderung nach einer entsprechenden Regelung offen auf dem Tisch liegt. Na gut.) […]
Die Richtlinie 2001/83/EG schreibt vor, dass homöopathische und konventionelle Arzneimittel hinsichtlich ihrer Herstellung, ihres Vertriebs und ihrer Pharmakovigilanz die gleiche Kontrolle haben müssen, und enthält spezifische Sicherheitsvorschriften für homöopathische Produkte ohne therapeutische Angaben. Es legt fest, welche Informationen für die Werbung für diese Produkte verwendet werden dürfen, und es erlaubt nicht die Verwendung von Informationen über die klinische Wirksamkeit.
Es liegt in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, zu überwachen, ob die Werbung für Medizinprodukte mit den Rechtsvorschriften übereinstimmt. Schließlich steht es den Mitgliedstaaten weiterhin frei, auf nationaler Ebene Maßnahmen zu ergreifen, um das Bewusstsein für die besonderen Merkmale homöopathischer Arzneimittel zu schärfen.”
Nun, das heißt schlicht und einfach, dass die EU von sich aus deshalb nichts unternehmen wird, weil es das Recht der Mitgliedstaaten ist, über den Rahmen der 1983er Richtlinie hinaus Regelungen zu treffen (der deutsche Binnenkonsens ist ja auch eine solche Regelung, nur in die falsche Richtung). Es war wohl kaum etwas anderes zu erwarten. So weit, so unspektakulär. Die Praxis zeigt dies ja auch, weder Spanien (mit seinen sehr weitgehenden Regulierungen), noch Frankreich (mit dem Erstattungsausschluss ab 2021) noch Ungarn (mit seiner Abschaffung des Binnenkonsens-Zulassungsverfahrens ohne wissenschaftlichen Wirkungsnachweis) sehen sich irgendwelchen Mahnungen oder Sanktionen wegen EU-Vertrags- oder RIchtlinienverletzungen gegenüber.
Aber nun verrate mir mal jemand, warum die (inzwischen ehemalige) Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte die protokollarische Veröffentlichung dieses Frage-Antwort-Spiels zum Anlass für einen Tweet nimmt, der – na sagen wir mal – Selbstgewissheit und Siegessicherheit ausdrücken soll. Oder so. Ok, sie ist ja geübt darin, in Nichts etwas hineinzuinterpretieren, wie sie ja auch bekanntlich nach dem Nichtstun des Ärztetages 2018 zur Zusatzbezeichnung Homöopathie einen Sieg auf ganzer Linie ausrief (und sich damit einen Beitrag in diesem Blog sicherte).
Dazu gibt es vernünftig betrachtet überhaupt keinen Anlass. Vor allem aus einem Grunde nicht: Frau Bajic nimmt die subtile Botschaft des allerletzten Satzes aus der Antwort der Kommission nicht wahr. Ich jedenfalls lese den Satz so:
“Läuft doch ohnehin in den großen Mitgliedstaaten, warum sollen wir uns da einmischen. So langsam werden alle klug. Und wir finden es ganz gut, wenn die Mitgliedstaaten das Bewusstsein für die besonderen Merkmale der Homöopathie schärfen, auch über die Richtlinie hinaus, weil diese Merkmale ja immerhin in ihrer spezifischen Wirkungslosigkeit liegen.”
Ich für meinen Teil entnehme der Antwort, dass die EU scharfen Neuregelungen zur Homöopathie auf nationaler Ebene nicht im Wege stehen wird. Und da wird die Stellungnahme der EASAC aus 2017, die unmissverständlich Hinweise zur Handhabung von Homöopathie in den Gesundheitssystemen gab, wohl durchaus eine Rolle spielen.
*) Übersetzungskorrektur: Arzneimittel, nicht Medizinprodukte. Danke dem aufmerksamen Kommentator!
Schon mal vom BPH gehört? Der “Bundesverband Patienten für Homöopathie e.V”. Gibts schon lange, dümpelte aber meines Wissens seit Äonen so vor sich hin, auch auf dem Webauftritt tat sich praktisch nichts. Offenbar hat sich jemand aus der homöopathischen Szene gefunden, der sich darangemacht hat, den Verein wiederzubeleben. Dabei wird mächtig auf die Tube gedrückt. Anlässlich der bayerischen Landtagswahl wurde ordentlich gelärmt, fast unvermeidlich wurde vor kurzem auch dort das Geraune um das Review des australischen NHMRC aufgewärmt, wo Herr Tournier, (inzwischen dort ausgeschieden, Anm. UE 09.2022) Chef des Homeopathy Research Institute, angebliches Insiderwissen zum “Stand der Dinge” von sich gab, von dem in Australien nichts bekannt ist… Naja.
Nun hat die Propagandaabteilung dort einen feinen Artikel veröffentlicht, der sich mit dem Thema des öffentlichen Angebots von Bullshit in überwiegend von Steuermitteln finanzierten Volkshochschulen befasst, also möchte, dass den “alternativen Heilmethoden” angemessener Raum in deren Angebot eingeräumt werde – speziell der Homöopathie, selbstredend. Der SPIEGEL-Titelbeitrag vom 18. August d.J. muss mal wieder herhalten als Zielscheibe der Empörung, speziell in der Person von Edzard Ernst. Dieser hatte es – nicht zum ersten Mal – dort unternommen, die Verbreitung von Blödsinn (sorry, Bullshit) in Einrichtungen, die “Hochschule” in der Bezeichnung führen, scharf zu kritisieren.
Was einen allerdings sprachlos zurücklässt, ist die Mitteilung im Artikel, dass der Deutsche Volkshochschulverband auf Anfrage bestätigt habe, dass er diesem Ansinnen (auch weiterhin) folgen werde. Tja, da kann ich den Ländern nur empfehlen, ihre Finanzierung der Volkshochschulen stärker an die Seriosität von deren Angeboten zu binden. Denn die Hauptfinanzierung kommt aus den Landestöpfen, der Rest aus kommunalen Mitteln und nur der kleinste Teil aus Kursgebühren. Und es gibt in den Ländern Volkshochschulgesetze, die meines Wissens nicht auf die Verbreitung von Blödsinn (aka Bullshit) zugeschnitten sind.
Der BPH “begrüßt” dies. Klar. Aber richtig sauer macht mich mal wieder, dass die Homöopathielobby in diesem Zusammenhang auch noch davon redet, es gehe um den mündigen und informierten Patienten. Wie bitte? Seit Jahrzehnten wird die Patientenschaft mit Fehl-, Des- und Nichtinformation zur Homöopathie überschüttet: Sie sei hoch wirksam, der Schulmedizin womöglich überlegen, sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei, altbewährt und ohne Chemie und was dergleichen Unsinn da noch mehr unter dem Schutz des Arzneimittelgesetzes den Leuten wie das berühmte Shakespearesche “Gift in Othellos Ohr” eingeträufelt wird. Deshalb, ceterum censeo: Wir brauchen endlich, endlich ein klares Statement von deutschen Institutionen des Gesundheitswesens, nach dem Beispiel des englischen NHS, der Russischen Akademie der Wissenschaften, der Ärztekammern Frankreichs und Spaniens, um nur die in letzter Zeit Aufgetretenen zu nennen. Sonst wird es nicht gelingen, das völlig ungerechtfertigte Vertrauen der Bevölkerung in das Lügengespinst der Homöopathie-Propaganda wirklich aufzubrechen.
Die kritischen Informationsangebote sind da und werden auch angenommen (was man ja an den hektischen Aktivitäten der Lobbyisten in Opposition hierzu sieht) – aber ohne die Beseitigung des gesetzlichen Schutzschildes über der Homöopathie wird der Bürger auch weiterhin eben darauf vertrauen, dass eine staatliche geadelte Methode doch nicht unwirksame Scheinmedizin sein könne. Wobei ich die Gelegenheit wahrnehmen möchte, dies auch gleich der organisierten Ärzteschaft ins Stammbuch zu schreiben, die mit der weiteren Duldung von Homöopathie als ärztlicher Therapieform per Adelung durch ärztliche Zusatzbezeichnungen ihren wissenschaftlichen Anspruch täglich weiter untergräbt (was sich angesichts inzwischen 13 von 17 Landesärztekammern und der Bundesärztekammer so unerwartet schnell wie bemerkenswert verändert hat – Anm. UE 09.2022). Ich nehme dabei natürlich die Ärzte aus, die gar keinen wissenschaftlichen Anspruch an ihre Tätigkeit stellen, selbstverständlich.
Was soll man dazu sagen? Der BPH – letztlich nur ein weiterer Lautsprecher der Homöopathie-Lobby, der in Stellung gebracht wird, nachdem man hier und da seine Felle langsam nass werden sieht. Was erstaunt, ist die hochtrabende Selbstüberzeugung, der Tenor, der am Rande ultimativer Forderungen entlangschrammt. Allerdings kam mir doch kurz der Gedanke, dass BPH möglicherweise für Bullshitschleuder pro Homöopathie stehen könnte… aber nein, gänzlich abwegig, es geht ja um die Patienten. Die selbstbestimmten, informierten. Für die man sogar Mitglied im Europäischen Patientenverband pro Homöopathie ist.
Achso, ja – einen Beleg für die erhaltene Auskunft führt die BPH-Seite nicht an. Angesichts des Umstandes, dass eine landesweite Vortragsreihe der Volkshochschulen im Verband Baden-Württemberg für 2020/2021 zur kritischen Betrachtung der Homöopathie nur angesichts der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnte, scheinen doch Zweifel an der Validität der Behauptung angebracht.
Zur Selbstbesinnung empfehle ich hier die Lektüre von Harry G. Frankfurts kleinem Bändchen “Bullshit”. Das kleine Büchlein eignet sich zum ständigen Trost für Skeptiker und kann ob seines kleinen Formates immer mit dabei sein.
Ende September kündigte das Bundesgesundheitsministerium an, dass es die sogenannten Wahltarife in der GKV für Homöopathie und teils andere „komplementäre Medizin“ abzuschaffen gedenke. Ob man dies als winzigen Schritt zur überfälligen Verbannung der Homöopathie aus der GKV werten kann, mag offenbleiben – es ist so oder so eine Marginalie. Betroffen sind keine 600 Versicherten bundesweit. Es geht dabei um Tarife aus grauer Vorzeit, als noch eine „Zusatzversicherung“ neben dem GKV-Regeltarif für solche Dinge möglich war. Mit dem 3. GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurde das ab dem 01.01.2012 (weitestgehend) überflüssig, denn ab diesem Zeitpunkt war der Weg für die Kassen frei, per Satzungsleistung generell die Erstattung von Homöopathie anzubieten. Was bekanntlich auf breiter Front geschah. Dass nun die Wahltarife den Weg alles Irdischen gehen sollen, kann man eigentlich als Routinearbeit des BMG verbuchen.
Selbst bei Homöopathiekritikern geriet diese kleine Episode eher in Vergessenheit – bis nun so etwas wie ein böses Erwachen folgte.
Denn gestern war zu vernehmen, dass sich gegen die Marginalie zur Abschaffung der letzten Wahltarife lautstark Widerstand erhebt und in diesem Zusammenhang gleich wieder grundsätzliche Statements abgegeben werden von der Sorte, dass die Schwarte kracht.
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Der Bundesrat hat auf Initiative der Landesregierung Baden-Württemberg die Empfehlung (mehr kann er nicht) an den Bundesgesundheitsminister gerichtet, von der Abschaffung der Wahltarife Abstand zu nehmen. Nun ist das erst einmal sachlich betrachtet überhaupt nicht nachvollziehbar. Selbst ein „Schutz“ der wenigen Betroffenen ist nicht notwendig und auch nicht sinnvoll. Gleichwohl wird ein solcher beschworen.
Man darf zur Kenntnis nehmen, dass der “Bundesverband Patienten für Homöopathie” (BPH), ein lange vor sich hindümpelnder, seit einiger Zeit aber wieder durchgängig beatmeter Verein mit dem Ziel politischen Lobbyismus, eine Benachteiligung ausmacht für „chronisch kranke Patienten, die über diesen Tarif etwa ihre homöopathischen Arzneimittel absichern“. So? Erstens – niemand braucht unwirksame Mittel, auch und gerade chronisch kranke Patienten nicht. Zweitens vermag ich nicht zu erkennen, wo der Nachteil gegenüber der Inanspruchnahme von Satzungsleistungen liegen soll (gut, die Obergrenze der jährlichen Erstattung mag eine Rolle spielen – geschenkt).
Und drittens gibt es (wenig bekannt) auch Regelungen zur Erstattung von Homöopathie und Co. ganz unabhängig von Wahltarifen und Satzungsleistungen. Laut Arzneimittelrichtlinie können nicht verschreibungspflichtige homöopathische und anthroposophische Arzneimittel unabhängig vom Alter des Patienten auf Kassenrezept verordnet werden, wenn sie bei bestimmten schweren Erkrankungen eingesetzt werden und die Mittel als Therapiestandard der Homöopathie und Anthroposophie gelten. Der G-BA hat dazu ein Verzeichnis vorgelegt (Anlage 1 zur Arzneimittelrichtlinie, sog. OTC-Übersicht), in dem auch chronische Krankheiten berücksichtigt sind. Eine Art Härtefallregelung also – ich möchte wetten, dass sie von einer größeren Zahl von Patienten in Anspruch genommen wird als es noch Wahltarifversicherte gibt. Mit diesem – selbstverständlich ebenfalls überflüssigen – Instrumentarium ist doch wohl das letzte „Argument“ vom Tisch, das gegen eine Abschaffung der Wahltarife sprechen könnte.
Könnte. Der BPH argumentiert sozusagen auf der Metaebene auch damit, dass die Satzungsleistungen ja keine „Garantie“ dafür seien, dass Homöopathie dauerhaft im Leistungsspektrum der Kassen bleibe, dies aber im Patienteninteresse absolut notwendig sei. Tja, da kommen wir wohl nicht zusammen, denn meinesteils wäre eine „Garantie“ für homöopathische Erstattungen das Letzte, was man sich wünschen sollte. Aber – registriere ich da eine leichte Besorgnis, die Homöopathie als Satzungsleistung könnte womöglich irgendwann generell kippen?
Aber es geht eigentlich um viel mehr. Wir sprachen ja schon davon, dass diese seltsame Kleinigkeit nicht nur den BPH auf den Plan gerufen hat. Mehr oder weniger ungefragt, dafür umso deutlicher, überbieten sich Vertreterinnen der großen Parteien in Kommentaren, die großenteils nichts anderes sind als ebenso bedingungs- wie kenntnislose Bekenntnisse zur Alternativ-, Komplementär-, Integrativ- und sonstige WünschDirWas-Medizin. Ausschnitte:
Sabine Dittmar (SPD) – selbst Ärztin – sagte, die SPD erkenne an, dass komplementärmedizinische Behandlungen von vielen Menschen gewünscht seien. „Wir begrüßen daher alle Maßnahmen, die zu einer stärkeren Evidenzbasierung und Weiterentwicklung der Qualitätssicherung von alternativen Behandlungsmethoden führen“, sagte sie. (Man beachte den astreinen Zirkelschluss.)
Karin Maag (CDU) hält „den Wahltarif bislang für eine gute Option für die Versicherten, die individuell ein solches Angebot ergänzend zur Schulmedizin wünschen“. (Schulmedizin. Aus gesundheitspolitischem Munde.)
Kordula Schulz-Asche (Grüne): „Ich begrüße es nicht, dass der Wahltarif der gesetzlichen Krankenkassen zur Übernahme der Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen abgeschafft wird, allerdings ist es vor dem Hintergrund der verschwindend geringen Nachfrage nachvollziehbar“. Zudem blieben die Leistungen bei der Mehrzahl der Krankenkassen über Satzungsleistungen erstattungsfähig. Versicherte, die sich diese Behandlungskosten weiterhin über einen Versicherungsschutz abdecken wollen, könnten zudem auf entsprechende private Zusatzversicherungen zurückgreifen.
Schulz-Asche betonte, „generell sollte die Entwicklung aber hin zu mehr komplementärer und integrativer Medizin gehen“. Ein reines Denken in Arzneimittelwirkstoffen werde den komplexen Heilungsmechanismen des menschlichen Körpers nicht gerecht. „Dort, wo Komplementärmedizin die Schulmedizin wirksam ergänzen können, sollte dies verstärkt fortgeführt werden und dabei weitere Evidenz geschaffen (SIC!) werden“, forderte (!) sie.
Man sieht, die rein technische Frage der Abschaffung der Wahltarife wird zum Trittbrett für grundsätzliche Statements – ihr wisst schon wofür. Man nutzt die Gelegenheit zur öffentlichen Positionierung. Und die ist bedenklich bis erschreckend. Letztlich läuft das Gesagte – einmal mehr – auf eine Diffamierung der wissenschaftlich fundierten Medizin hinaus, als vorgeblich defizitär, des “Ganzheitlichen” entbehrend, die Wünsche und Bedürfnisse “der Menschen” nicht ernst nehmend. Das aus dem Munde von Gesundheitspolitikerinnen, die offenbar vom Konzept der evidenzbasierten Medizin noch nicht allzuviel gehört und noch weniger verstanden haben.
Und genau das, was mir wirklich Sorgen macht, ist das hier zum Ausdruck kommende Verständnis von Evidenzbasierung. Die „alternativen“ Methoden sind eben deshalb kein Teil der Medizin, weil sie eben nicht evidenzbasiert sind! Der ganz überwiegende Teil dessen, was es auf dem Sektor an nicht gleich völlig Abstrusem gibt, ist längst untersucht. Was Evidenz nachweisen konnte, geht über in den Kanon der Medizin. Was keine Evidenz nachweisen konnte, bleibt draußen, setzt sich die alternative Kappe auf und ruft weiterhin laut nach Einlass.
Die Äußerungen von Frau Dittmar und ganz besonders von Frau Schulz-Asche lesen sich so (und sind vermutlich auch so gemeint), dass man eben so lange herumforschen müsse, bis die gewünschte Evidenz da ist. Nein, so geht das nicht. Wenn keine Evidenz vorhanden ist, dann kann man sie auch weder herbeireden noch herbeiforschen. Ist das die neueste Taktik? Immerhin versuchen ja auch führende Vertreter der Homöopathie seit geraumer Zeit, Evidenz „herbeizureden“. Wir forschen so lange, bis es passt!?! Von da bis zum von mir schon öfter kritisierten Ruf nach einem “Pluralismus in Wissenschaft und Medizin” ist es nicht weit.
Ich gebe höflich zu Protokoll, dass nach meiner Einschätzung keine dieser Stimmen hier sich überhaupt über die benutzten Begrifflichkeiten klar ist.
Ich verhehle nicht – das zum Abschluss – dass mich gerade der Umstand besonders deprimiert, dass ausgerechnet die Landesregierung Baden-Württemberg hier die Initiatorin war. Denn diese hat vor kurzer Zeit erst den Beschluss gefasst, einen Lehrstuhl für „Naturheilkunde und integrative Medizin“ an der Uni Tübingen einzurichten. Die daraufhin laut gewordenen Stimmen lassen befürchten, dass es erheblicher Wachsamkeit bedarf, hier ein Hogwarts am Neckar zu verhindern. Der Dekan der medizinischen Fakultät hat sich zwar deutlich gegen „Unwissenschaftlichkeit“ positioniert. Aber erstens ist die Frage, was man darunter versteht (die Homöopathie scheint er durchaus, die Akupunktur aber keineswegs zur “Unwissenschaftlichkeit” zu zählen, was die Problematik hinreichend illustriert). Und zweitens ist zweifellos entscheidend, welche Haltung der „Auftraggeber“, also die Landesregierung BW, letztlich dazu einnimmt. Das ist bislang durchaus nicht hinreichend klar, wie ich das sehe. Wenn der gestrige Sturm aus Anlass einer läppischen Marginalie dazu ein Vorgeschmack sein soll, dann stehen uns harte Zeiten bei dem Bemühen bevor, gegen Pseudomedizin und für eine bessere Medizin für alle einzutreten. (Was sich 2022 im politisch neu entflammten Streit um die Homöopathie in BW anlässlich der Streichung der Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung durch die Landesärztekammer bewahrheitet hat – Anm. UE 09.2022).
Ich verstehe das einfach nicht. Wie kann man so faktenresistent sein, solche Signale mehr oder weniger ohne Not absondern und damit Interesse und Begierde der Pseudolobby anstacheln? Warum? Das kann man doch schon nicht mehr mit Populismus erklären! So langsam fange ich an, die Sache persönlich zu nehmen.
Update 16.01.2019:
In Sachen “Erhalt des Wahltarifs Homöopathie” – wie oben dargelegt, ein klassisches Nicht-Thema – hat sich nun auch die “Hahnemann Gesellschaft klassischer homöopathischer Ärzte”, ein ebenso kleiner wie gelegentlich lautstarker Lobbyverein, mit einer Petition (!) zu Wort gemeldet, deren Wortlaut ich als fairer Blogger hier gern nachstehend veröffentliche. Offenbar wurde hier “Petition” mit “Petitesse” verwechselt, kann ja mal vorkommen.
“In der Gesetzesvorlage TSVG sieht das Bundesgesundheitsministerium vor, den Wahltarif für komplementärmedizinische Arzneimittel zu streichen. Dadurch wird die Verordnung homöopathischer, anthroposophischer und anderer komplementärmedizinischer Arzneimittel diskriminiert. Der Wahltarif ist fester Bestandteil der bisherigen Gesetzgebung und ermöglicht den Krankenkassen und den Behandlerinnen und Behandlern Arzneimittel zu verordnen, die den besonderen Therapierichtungen Homöopathie, Anthroposophische Medizin u.a. entsprechen. Als Wahltarif können die Krankenkasse frei entscheiden, ob sie bei entsprechender Berechnung der Versicherungsprämie die Kosten dieser Arzneimittel übernehmen. Eine Einschränkung dieser Wahlmöglichkeit stellt einen gravierenden Eingriff in die Therapiefreiheit dar und kann nicht hingenommen werden.”
Die Homöopathie muss vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Jedenfalls nach den Maßstäben, die dieser gerade erst in Sachen Grüne Gentechnik für die Frage angelegt hat, ob und wie das “Vorsorgeprinzip” in Anbetracht möglicher Risiken angewandt werden muss (d.h. der Staat zu Regulierungen verpflichtet werden kann).
Der EuGH hat sich dabei zu einer Art “bedingungslosem Vorsorgeprinzip” in Sinne von Verbraucher- und Umweltschutz bekannt. So reagieren beispielsweise Bündnis 90/Die Grünen so auf das Urteil, unter der Überschrift “ES GILT DAS BEDINGUNGSLOSE VORSORGEPRINZIP – EUROPAWEIT!”:
“Sie (die EU-Kommission) muss endlich den Prozess für eine überfällige politische Entscheidung in die Hand nehmen, die keinesfalls außer Acht lassen darf: Dass sich einmal in die Natur entlassene Gentechnik-Pflanzen – erst recht ohne gentechnikrechtliche Auflagen zu Risikobewertung und Freisetzung – unkontrolliert in unsere Ökosysteme und über Ländergrenzen hinweg ausbreiten und nie mehr zurückgeholt werden können.”
Nun werde ich hier keine Gentechnik-Diskussion beginnen (der Titel ist natürlich reines Clickbaiting™), obwohl ich dazu eine dezidierte Meinung habe. Denn das ist nicht mein, nicht unser Thema. Mir geht es vielmehr um die Maßstäbe, die der EuGH und alle die, die diesen Urteilsspruch bejubeln, an das Vorsorgeprinzip und an Regulierungserfordernisse anlegen und die sich aufdrängende Frage, ob sie das wohl auch für andere ähnlich einzustufende “Risiken” so sehen.
Nehmen wir die Homöopathie. Bei der wird ohnehin viel zu wenig vorausschauend gedacht, finde ich. Die stellt nämlich durch ihre Potenzierungen höchst gefährliche Stoffe her, die bei Gesunden extreme Krankheitszustände hervorrufen müssten, wäre die homöopathische Lehre wenigstens im Ansatz richtig. Das ist ja das Prinzip der “homöopathischen Arzneimittelprüfung”, einem der Standbeine der homöopathischen Lehre: Das Mittel, das in einer Arzneimittelprüfung am Gesunden bestimmte Symptome hervorruft – also eigentlich eine im Normalzustand befindliche Lebenskraft gezielt “verstimmt”, soll diese Symptome bei einem Kranken heilen – durch Hervorrufen einer “Kunstkrankheit”, die der “originalen” Krankheit entgegenwirkt und damit die “verstimmte geistige Lebenskraft” wieder geraderückt.
Also ist die homöopathische Arzneimittelprüfung offensichtlich eine recht heroische Sache, bedenkt man, dass z.B. Symptome von Arteriosklerose, Blutungen, Herzschwäche, Muskelkrämpfen, Ischias, Bronchitis, Kehlkopfentzündung, Ödemen, Nierenbeckenentzündung und Gallenkoliken bei Gesunden durch die Gabe homöopathischer Substanzen hervorgerufen worden sein müssten. Das nämlich ist eine kleine Auswahl der “Symptombilder”, für die die homöopathischen Brot-und-Butter-Mittel Arnika, Sulfur, Belladonna und Pulsatilla nach gängigen Repertorien einzusetzen sind. Von der Behauptung, noch viel schwerwiegendere Dinge mit Homöopathie “heilen” zu können (nachdem sie vorher durch Arzneimittelprüfungen “hervorgerufen” wurden), ganz zu schweigen.
Und der größte Teil dieser offenbar doch hochwirksamen Stoffe landet ja beim Potenzierungsvorgang im Ausguss, findet sich also in bereits hahnemannisch vorpotenzierter Form mit Sicherheit in unser aller Trinkwasser. Die entsorgten, nicht konsumierten Homöopathika (gibt es so etwas?) kämen in dem Maße, wie sie im Trinkwasserkreislauf landen, noch hinzu. Es wäre mithin zu erwarten, dass diese schon potenzierten und unter Umständen sozusagen “natürlich” (durch Fließwasser und Wellengang) weiterpotenzierten Mittel durch die tägliche Trinkwasseraufnahme die Bevölkerung weltweit einem ganzen Konglomerat sozusagen ständiger Arzneimittelprüfungen aussetzen. Nach homöopathischen Prinzipien kann ja eine “Harmlosigkeit durch starke Verdünnung” keine Ausrede sein, im Gegenteil! Wobei in der Tat die auf der Erde vorhandene Wassermenge sogar eine vergleichsweise moderate Grenze für die erreichbaren Potenzierungsgrade setzt, wie wir gleich sehen werden.
Sollten all unsere Theorien von Krankheitsentstehung bislang diesen Faktor nicht berücksichtigt haben und unser aller Gesundheit seit 200 Jahren von den inzwischen weltweit in den Gewässern verteilten potenzierten Mitteln beeinträchtigt sein, die bei Gesunden – im Sinne einer Arzneimittelprüfung – alle möglichen Krankheiten verursachen müssten? Allerdings nicht mit solchen extrem wirksamen Potenzen wie C30, denn dazu reichen die Wassermengen auf unserem Planeten lange nicht aus (bereits eine Verdünnung von D24 / C12 würde etwa die 100.000-fache Menge des Atlantik-Wassers benötigen). Und wir reden hier nur von den Substanzen, die tatsächlich bereits einer fachkundigen homöopathischen Potenzierung unterlegen haben und fantasieren keineswegs davon, dass die eh in den Weltmeeren enthaltenen Mittel durch Fluss und Wellengang potenziert und damit wirksam würden!
Und so stellt sich doch – die grundsätzliche Richtigkeit der homöopathischen Lehre immer vorausgesetzt – die Frage, ob wir es hier nicht mit einem menschengemachten Riesenproblem zu tun haben, gegen das die Entsorgungsfrage bei Atommüll gerade lächerlich unbedeutend erscheint? Und so lange die Homöopathen ihre Position hochhalten, es handele sich bei der Homöopathie um eine spezifische Arzneimitteltherapie auf der Grundlage von Ähnlichkeitsprinzip, Arzneimittelprüfung am Gesunden und Wirkungszunahme durch Potenzierung: wäre der EuGH angesichts dessen nicht dringend dazu aufgerufen, sich mit der Causa unter Anlegung der Maßstäbe anzunehmen, die er zum Vorsorgeprinzip gerade erst beim Gentechnik-Urteil so restriktiv angewandt hat? Dabei könnten ja nur zwei Dinge herauskommen:
Entweder der EuGH befasst sich mit der wissenschaftlichen Fundierung der Homöopathie (er könnte ja den EASAC fragen, dafür ist der da) und kommt zu dem Ergebnis, dass es keiner Regulierung bedarf, weil das Ganze ohnehin eine Schimäre ist. Damit würde ich mich durchaus zufriedengeben.
Oder aber die Mitgliedsstaaten der EU werden verpflichtet, schnellstens die Herstellung und den Vertrieb von Homöopathika aufs Schärfste zu regulieren und wissenschaftliche Untersuchungen dazu in Auftrag zu geben, welche Schäden bislang unter wessen Verantwortung bereits entstanden sind (und die ggf. nach dem Verursacherprinzip zu regulieren wären).
Ich sehe nichts dazwischen.
Gegebenenfalls könnte die Stellungnahme von Bündnis90/Die Grünen unter Austausch eines einzigen Begriffs für eine dann allfällige Pressemitteilung übernommen werden:
“Sie (die EU-Kommission) muss endlich den Prozess für eine überfällige politische Entscheidung in die Hand nehmen, die keinesfalls außer Acht lassen darf: Dass sich einmal in die Natur entlassene vorpotenzierte homöopathische Wirksubstanzen – erst recht ohne umweltrechtliche Auflagen zu Risikobewertung und Freisetzung – unkontrolliert in unsere Ökosysteme und über Ländergrenzen hinweg ausbreiten und nie mehr zurückgeholt werden können.”
Also bitte.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Dieser Beitrag hat nur für diejenigen einen satirischen Grundton, die sich über die Bedeutungslosigkeit der Homöopathie als spezifische Arzneimittellehre klar sind. Für alle anderen ist der Beitrag völlig ernst gemeint, denn er leitet sich konsequent logisch aus homöopathischen Grundprinzipien ab.
Der 121. Deutsche Ärztetag ist inzwischen Geschichte. Die novellierte Muster-Weiterbildungsordnung ist verabschiedet.
Warum das wichtig ist? Wir erinnern uns: Anfang März dieses Jahres veröffentlichte der Münsteraner Kreis sein „Münsteraner Memorandum Homöopathie“, auf diesem Blog wurde ausführlich dazu kommentiert. Es stellte einen wohlbegründeten Appell an den Ärztetag dar, bei der Novellierung der Musterweiterbildungsordnung die Streichung der „ärztlichen Zusatzbezeichnung Homöopathie“ zu beschließen. In einer auf Wissenschaftlichkeit verpflichteten Ärzteschaft könne eine nach nahezu einhelliger Auffassung der weltweiten Wissenschaftscommunity wissenschaftlich nicht begründbare Methode keinen Platz haben.
Dazu ist es nicht gekommen. Es gab auf dem Ärztetag keinen Beschlussantrag zu einer Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie, über den abzustimmen gewesen wäre. Es ist schlicht und einfach nichts anderes passiert, als dass die unverändert in der vorgelegten Beschlussvorlage enthaltene Zusatzbezeichnung unangetastet geblieben ist. Ich kann und will das an dieser Stelle nicht kommentieren und nicht bewerten – ich war nicht dabei und fühle mich nicht berufen, hierzu Interpretationen und Spekulationen zu liefern.
I.
Solche Zurückhaltung legt sich die homöopathische Fraktion nicht auf. Diese deutete die kommentarlose Beibehaltung des bisherigen Status quo nicht nur in einen Sieg um, sondern gleich gar in eine ausdrückliche Bestätigung der Homöopathie durch den Ärztetag und zeigte auch keine Neigung, damit hinter dem Berg zu halten. Favete linguis, also zurückhaltendes Schweigen? Keine Spur.
„Wir freuen uns, dass die deutsche Ärzteschaft den therapeutischen Nutzen und die ärztliche Weiterbildung in Homöopathie bestätigt hat“, erklärte Cornelia Bajic, Erste Vorsitzende des DZVhÄ. „Qualitativ hochwertige Studien belegen heute die Wirksamkeit der Homöopathie und haben dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet“, so Bajic.“
Es ist leider nicht bis zu mir durchgedrungen, dass „die deutsche Ärzteschaft den therapeutischen Nutzen und die ärztliche Weiterbildung in Homöopathie bestätigt hat“, denn das hätte in dieser Ausprägung doch zweifellos eine ausdrückliche Stellungnahme und ein deutliches Abstimmungsergebnis erfordert. Nichts dergleichen gab es. In Anbetracht des Zahlenverhältnisses von rund 7.000 Ärzten „mit Zusatzbezeichnung“ zu insgesamt rund 150.000 ambulant tätigen Ärzten in Deutschland ist die verbale Inanspruchnahme „der deutschen Ärzteschaft“ – sagen wir mal – mutig. Und mit der Position, „qualitativ hochwertige Studien belegen heute die Wirksamkeit der Homöopathie“, steht Frau Bajic der weltweiten Wissenschaftsgemeinde in einer fast bedauernswerten Weise allein gegenüber. Nein, das stimmt einfach nicht. Das kann die homöopathische Fraktion behaupten, so oft sie will, sie kann Einzelstudien anführen, so viel sie will (die sind eh nicht geeignet als Beleg und haben bei der Homöopathie durchweg die unangenehme Eigenschaft, nicht reproduziert worden zu sein) und mit dem ständigen Anführen von Versorgungsstudien kann sie nur das nicht informierte Publikum beeindrucken – wer den Unterschied zwischen Versorgungs- und Beobachtungsstudien einerseits und randomisierten kontrollierten Blindstudien andererseits kennt, geht dem nicht auf den Leim.
II.
Auf das Polemisieren homöopathischer Ärzte einzugehen, man dürfe sprechende Therapieformen nicht benachteiligen (nanu – führende Homöopathen wollen doch von Mini-Psychotherapie nichts wissen) spare ich mir an dieser Stelle (zur Problematik von “mehr Zeit” findet sich auch einiges in dem oben verlinkten Blogartikel zum Memorandum Homöopathie). Ebenso jeden Kommentar zu intellektueller Tieffliegerei bei Kommentaren in Pressepublikationen, die ihre Meinungsäußerung an dem so abgedroschenen wie falschen Argument des „Wer heilt hat Recht“ aufhängen und ernsthaft formulieren:
“Wahr aber ist, dass alle, die behaupten, nur allein zu wissen, was gesund macht, mit Vorsicht zu genießen sind. Viel vertrauenserweckender sind die Mediziner, die zugeben: “Wer heilt, hat recht“. Das können auch Homöopathen sein.”
Selbst Fachpublikationen bringen Erstaunliches hervor. In einem neueren Beitrag versteht sich Apotheke ad hoc selbst zu einer Deutung, für die es nicht den mindesten Anhaltspunkt gibt und bezieht damit auch redaktionell Position pro Homöopathie:
„Auf dem 121. Ärztetag in Erfurt hatte sich die Mehrheit der Ärzteschaft explizit zu dieser im Vorfeld umstrittenen Zusatzbezeichnung bekannt. Denn die Mehrzahl weiß aus der Erfahrung, dass etliche Patienten auch den ganzheitlichen Behandlungsansatz wünschen und dafür aus- und weitergebildete Mediziner benötigen.“
Unter „explizit bekennen“ verstehe ich nun wirklich etwas ganz anderes als die Tatsache, dass die Zusatzbezeichnung Homöopathie ein absolutes Nicht-Thema beim Ärztetag war. Das ist nicht nur eine unzutreffende Berichterstattung, sondern eine unzulässige Umdeutung. Von Seiten des Zentralvereins homöopathischer Ärzte immerhin irgendwie verständlich, von Seiten einer redaktionell betriebenen Publikation nach meiner bescheidenen Ansicht glatte Fake News. Ganz nebenbei hätte man auch darauf kommen können, dass die Zusatzbezeichnung Homöopathie nicht nur „im Vorfeld“ des Ärztetages „umstritten“ war. Sie ist es nach wie vor. Übrigens ist eigentlicher Gegenstand dieses interessanten Artikels, dass der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie ebenfalls die Fortexistenz der Zusatzbezeichnung Homöopathie bejubelt. Aber auch das wird die Gegner der Homöopathiekritik nicht von der chronischen Fehlleistung kurieren, die Kritiker seien Büttel der pöhsen Pharmaindustrie, da bin ich sicher.
III.
Jedoch: Was der Ärztetag beschlossen hat, ist die Musterweiterbildungsordnung, die nur empfehlenden Charakter für die verbindlichen Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern hat. Ob die stattgefundene und sicher auch anhaltende Debatte über die Zusatzbezeichnung ihre Wirkung bei den in der Praxis weit bedeutsameren Landesärztekammern tun wird, das bleibt zumindest abzuwarten. (Update Stand 02.10.2022: Tatsächlich haben 13 von 17 Landesärztekammern die Homöopathie aus ihren Weiterbildungsordnungen gestrichen und der Bundesärztetag hat 2022 nun auch endlich gehandelt – was für ein Fortschritt! Damit bekommt dieser Beitrag nach dem Stand von Mai 2018 beinahe den Charakter eines historischen Dokuments.) Dort dürfte man sich auch durchaus darüber im Klaren sein, dass keineswegs halbstündige stehende Ovationen zugunsten der Homöopathie beim Ärztetag stattgefunden haben, wie uns der DZVhÄ im Verein mit unkritischen Publikationen suggerieren will. Dass man sich in den Länderorganisationen von der Bundesärztekammer und ihrer Führung nicht in jedem Fall repräsentativ vertreten sieht, fällt auch nicht gerade unter die Rubrik Geheimnisse.
Muss ich noch ergänzend etwas zur „Begründung“ bei Apotheke ad hoc pro Homöopathie und pro Zusatzbezeichnung sagen, die zum gefühlt hundertmillionsten Mal ein „Wünsch-Dir-Was“ von Patientenseite anführt? Ein „Argument“, das wir Kritiker übrigens nach vielen Erfahrungen in Aktionen auf Twitter und vielen Zuschriften, die uns zu unserer Kritik gerade im Hinblick auf die Kassenleistungen für Homöopathie erreicht haben, inzwischen sehr stark bezweifeln.
IV.
Eines sei noch zum beherrschenden “Argument” der homöopathischen Ärztefraktion im Vorfeld des Ärztetages angemerkt: Zur Behauptung, die Beibehaltung der “Zusatzbezeichnung Homöopathie” sei unabdingbar, um die “Patientensicherheit” zu gewährleisten. Zunächst einmal zweifle an diesem Aspekt ganz pragmatisch. Immer und überall stößt der Kritiker gerade auf ärztliche Statements, was alles erfolgreich mit Homöopathie behandelt werden könne und welche “persönlichen Erfahrungen” den homöopathischen Arzt zu diesem Urteil berechtigen würden. Zum einen wird da häufig das Spektrum ersichtlich allzu weit ausgedehnt, bis zur Behandlung chronischer und schwerer Krankheiten. Zum anderen ist das Anführen der berühmten “Erfahrungen” nur ein Alarmzeichen für einen stark ausgeprägten confirmation bias, einen Bestätigungsirrtum. Insofern müssen erhebliche Zweifel angebracht sein, ob in allen Fällen der überzeugt homöopathisch tätige Arzt wirklich die Grenzen erkennt, ab der eine wissenschaftlich fundierte Behandlung unabdingbar ist. Es will mir ganz persönlich einfach nicht einleuchten, weshalb ich mich überhaupt auf diese Fähigkeit bei einem Arzt verlassen soll, der kein Problem damit hat, eine unwissenschaftliche Methode neben wissenschaftlicher Medizin zu praktizieren. Warum nicht Patientensicherheit von vornherein – durch Verzicht auf Homöopathie?
Es geht aber noch um etwas anderes. Bei der Diskussion über die ärztliche Homöoapthie wird stets außer Acht gelassen, dass rund fünf Sechstel des Umsatzes an Homöopathika ohne Verordnung, zur Selbstmedikation, über die Apothekentheke gehen? Und dass vom verbleibenden Umsatz die Verschreibungen von Heilpraktikern auch noch abgezogen werden müssen? Was bleibt denn dann noch? Nur ein kleiner Anteil der gesamten homöopathischen Behandlungen im Lande, die “wegen der Patientensicherheit” den Ärzten vorbehalten bleiben! Wenn sich also dieses Argument nicht sofort als Scheinargument enttarnen soll, müssten die homöopathischen Ärzte konsequenterweise vom Gesetzgeber das sofortige Verbot des Freiverkaufs von Homöopathika verlangen und die Verschreibungspflicht einfordern. Tun sie das nicht, scheint ihnen die Patientensicherheit bei Heilpraktikern genauso gleichgültig zu sein wie die bei den Selbstbehandlungen, die bekanntlich laut Allensbach-Umfrage ganz überwiegend auf der “Empfehlung von Bekannten und Familienmitgliedern” beruhen. Die Reaktion der Heilpraktikerszene und der Homöopathiehersteller auf eine solche Forderung von Ärzteseite würde mich außerordentlich interessieren.
V.
Letzte Meldung: Die Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte hat nach dem Ärztetag im Überschwang ihres vorgeblichen Sieges eine Offensive zugunsten der Homöopathie angekündigt. Wir sind gespannt. Wenn die hier wiedergegebenen Äußerungen direkt nach dem Ärztetag dafür die Blaupause sein sollen oder gar die grandiose Werbekampagne, die die DHU kurz vor dem Ärztetag auf eine ungewisse Reise geschickt hat, dann bleibt es langweilig.
Und wenn sich nicht bald etwas Vernünftiges tut in Sachen Adelung von Pseudomedizin durch Gesetzgeber und Ärztetage, dann wird Deutschland zum größten gallischen Dorf aller Zeiten mutieren.
Am 9. März 2018 hat der “Münsteraner Kreis” sein zweites Grundsatzpapier, das “Münsteraner Memorandum Homöopathie” , veröffentlicht. Es stellt einen Appell an den im Mai 2018 stattfindenden 121. Deutschen Ärztetag dar, im Rahmen der dort anstehenden Diskussion über die Weiterbildungsregelungen der Ärzteschaft zu einer ersatzlosen Streichung der “Zusatzbezeichnung Homöopathie” zu kommen.
Ein wohlüberlegter Schritt, will mir scheinen. Da es ja -entgegen dem voraussehbaren “Verständnis” mancher – nicht um eine Abschaffung, ein Verbot der Homöopathie oder um eine “Einschränkung von Therapiefreiheit und Patientenautonomie” geht und von der Politik jedenfalls ein kurzfristiges Handeln nicht zu erwarten ist, sollte zumindest die der wissenschaftlichen Medizin verpflichtete Ärzteschaft endlich einsehen, dass ihr Selbstverständnis mit dem Festhalten an einer unwirksamen Scheintherapie längst nicht mehr vereinbar ist. Ganz sicher nicht auch noch mit der Privilegierung durch eine “ärztliche Zusatzbezeichnung”, die dem Patienten ja nicht nur eine besondere Qualifikation der Ärztin / des Arztes vermittelt, sondern auch die Validität und Seriosität der Methode mehr als suggeriert.
Die neomystisch angehauchten Zeiten der Beschwörung einer “Dualität” im Gesundheitswesen (Ärztepräsident Hoppe noch in den 1990er Jahren), dem “Zusammenführen des Besten aus verschiedenen Welten”, sind vorbei. Längst hat sich weltweit die Einsicht durchgesetzt, dass nachhaltige und zukunftsfähige Gesundheitssysteme nur auf einer konsequent wissenschaftsorientierten Basis möglich sind.
Dies korrespondiert mit dem Konzept der evidenzbasierten Medizin (EbM), als Synthese aus wissenschaftlicher Fundierung, ärztlicher Erfahrung und “Kunst” und der Berücksichtigung der berechtigten Patientenbelange. Evidenz”basiert”: Also soll der wissenschaftliche Erkenntnisstand die Grundlage bilden und durch die beiden anderen Aspekte ergänzt werden. Dieser Begriff wird, wie wir noch sehen werden, leider selbst in Medizinerkreisen missverstanden und fehlgedeutet.
Die “ärztliche Zusatzbezeichnung Homöopathie”
Es ist unleugbar: Diese ärztliche Zusatzbezeichnung ist ein wesentlicher Faktor für die völlig ungerechtfertigte Annahme in der Bevölkerung, wenn Ärzte dies als Sonderqualifikation anbieten und die Mittel apothekenpflichtig sind, müsse das doch gute Medizin sein! Damit liegt das ethische Problem offen zutage: Einer pseudomedizinischen Methode wird ein positiver Anstrich verliehen.
Es ist Konsens, dass die Gabe von Placebo grundsätzlich mit dem ärztlichen Ethos nicht vereinbar ist. Es wird so gut wie nie einen wirklichen “informed consent”, ein “informiertes Einverständnis” zwischen Arzt und Patient geben, was allenfalls als Voraussetzung für eine bewusste Placebogabe gelten kann. Nein, ganz im Gegenteil. Die an allen Ecken und Enden aufscheinende Adelung der Homöopathie als wirksame Arzneimitteltherapie lässt es als nahezu unmöglich erscheinen, zwischen Arzt und Patient einen solchen informed consent herzustellen. Eine tiefgehende Betrachtung der Problematik findet sich hier auf den Webseiten der Schweizer Skeptiker. Es gilt also auch, hier eine Frage der ärztlichen Ethik zu behandeln. Dieser Hintergrund scheint allzu wenig bekannt zu sein, auch bei der schreibenden Zunft, wie man gestern feststellen konnte.
An der Zusatzbezeichnung “Homöopathie” hängt darüber hinaus viel ganz konkret, unter anderem auch die Möglichkeit, über einen sogenannten Selektivvertrag mit der Marketinggesellschaft des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) homöopathische Behandlungen mit gesetzlichen Krankenkassen außerhalb des Budgets – und mit attraktiven Honorarsätzen – abrechnen zu können. Vielfach wird argumentiert, dass Ärzte “nur” deshalb die Zusatzbezeichnung führen, um “mehr Zeit” für die Patienten zu haben und damit das Problem der Zeitknappheit in der täglichen Praxis zu “lösen”.
Aber ist das eine Lösung? Nein, auf keinen Fall, darauf weist auch das neue Memorandum hin. Einmal – was ist das für eine “Lösung”, auf Kosten wissenschaftlicher Redlichkeit und der Beitragsgelder von Patienten, die zu Recht der Homöopathie ablehnend gegenüberstehen? Und ist das überhaupt eine Lösung für irgendetwas? Ich finde, nein, die Praxiszeit für die gesamte Patientenschaft wird ja nicht “mehr” dadurch, dass mehr Zeit für den homöopathieaffinen Patienten bezahlt wird. Im Gegenteil, richtig bedacht, geht so etwas erheblich zu Lasten der anderen Patienten, die keine homöopathischen Leistungen in Anspruch nehmen (wollen), denn für die steht ja dann im Saldo noch weniger Zeit zur Verfügung. Nur am Rande sei erwähnt, dass der eigentliche Zweck des gepriesenen homöopathischen Gesprächs ja nicht eine Mini-Psychotherapie ist, sondern lediglich die homöopathische Mittelfindung. Ärzte, die das rein “pragmatisch” sehen, im Grunde auf die Homöopathie pfeifen und sich einfach nur mehr Zeit verschaffen wollen, schaffen sich damit nur die nächste ethische Problemebene.
Man sieht: Die Verwerfungen und Unsinnigkeiten durch “offizielle Homöopathie” in der Arztpraxis sind zahlreich.
Echo
Noch am Tage der Veröffentlichung fand das “Memorandum Homöopathie” ein großes Presseecho – und Widerspruch von Seiten der Homöopathiefraktion. Darauf lohnt sich ein kurzer Blick. Die Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte wird in den Medien mit diesem Statement zitiert:
“Die von den Ärztekammern verliehene Zusatzbezeichnung Homöopathie hat sich seit Jahrzehnten in der deutschen Ärzteschaft bewährt. Mit Blick auf die Qualitätssicherung und die Patientensicherheit ist die Zusatzbezeichnung Homöopathie ein Garant für eine gute und sichere Versorgung der Patienten.
Aktuell führen rund 7000 Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen in Grund- und Regelversorgung die Zusatzbezeichnung Homöopathie. Die Nachfrage nach ärztlicher Homöopathie ist in den vergangenen 20 Jahren enorm gestiegen.
Darüber hinaus ist die Homöopathie im SGB V rechtlich verankert.
Die mit der Bundesärztekammer eng abgestimmten Lehrinhalte gewährleisten eine kompetente Behandlung der Patienten.”
Der Autor dieses Blogs hat dazu beim Ärzteblatt einen Kommentar hinterlassen, der den Kern der nachfolgenden Ausführungen bildet:
Der Nebel muss sich endlich lichten. Das Thema Homöopathie ist längst, längst erledigt. Spätestens mit den Erkenntnissen der Psychologie und Psychosomatik sowie mit der Placeboforschung wurden die “Erfolge” der Homöopathie erklärbar, und zwar – im Sinne von Ockhams Rasiermesser- einfach und zwingend und ohne das Gebirge von unbewiesenen und unbeweisbaren Hypothesen, die die Homöopathie um sich aufgehäuft hat. Das “Geheimnis” der Homöopathie, von Frau Bajic gern in der wiederkehrenden Sentenz “Wir wissen nicht, wie sie funktioniert, aber wir sehen, dass sie funktioniert”, vorgetragen, ist schon lange “entzaubert”. Und den Beweis, dass Nichts nichts bewirken kann, den gab es schon immer.
Frau Bajic kann außer subjektiven Ergebnissen der sogenannten Versorgungsforschung (“Beobachtungsstudien”), die überhaupt nicht für einen Wirksamkeitsnachweis von Mitteln oder Methoden bestimmt und geeignet sind, nichts vorweisen. Sie kleidet das in den Euphemismus vom “Therapeutischen Wert” der Methode, was dem unwissenden Publikum aber verborgen bleibt, ist, dass sie sich damit um das Kernproblem der fehlenden Nachweise spezifischer Wirksamkeit herumdrückt.
Der Rest ist Rhetorik. Beliebt sind auch Urlaubsreisen und Restaurantbesuche, zweifellos hängt auch dort die Nachfrage mit der Beliebtheit und umgekehrt zusammen. Aber was sagt das über einen objektiven Wert des “Beliebten” aus? Gar nichts. Dass der Anstieg des Interesses an der Homöopathie mit Defiziten im Gesundheitssystem zu tun haben mag, leugne ich nicht. Frau Bajic führt damit aber ein klassisches “Strohmannargument” an: Dieser Mangel muss zu entsprechenden Problemlösungen in eben diesem Gesundheitssystem führen, kann aber nicht die Aufrechterhaltung einer spezifisch unwirksamen Scheintherapie rechtfertigen.
Die gewachsene “Beliebtheit” hat aber auch mit massiver Lobbyarbeit zu tun – was erst zum arzneimittelrechtlichen Sonderstatus der Homöopathie (1978) und dann zu der Möglichkeit “kostenloser” Inanspruchnahme als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (2012) geführt hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn Frau Bajic nun gerade die Verankerung der Homöopathie im SGB V als Leumundszeugnis anführen will – ein Zirkelschluss zwischen Ursache und Wirkung. Das “Angebot” der Kassenleistung nimmt die affine Kundschaft natürlich gern mit – auf Kosten der nichtaffinen Kundschaft. Und 7000 Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Homöopathie – wow. Sehr eindrucksvoll, aber es wäre doch schön gewesen, wenn Frau Bajic dazu auch die Gesamtzahl der Ärzte in Deutschland genannt hätte: Rund 379.000 insgesamt, davon rund 152.000 ambulant tätig (31.12.2016, Quelle: Bundesärztekammer). Das lässt immerhin für den Ärztetag hoffen.
Wenn wenigstens ein Körnchen Wahrheit in dem Statement von der “Patientensicherheit” wäre, in dem Sinne, dass man sich wirklich darauf verlassen könnte, dass der homöopathisch tätige Arzt keinesfalls eine wirksame Behandlung verschleppt oder übersieht. Aber das ist durchaus nicht so. Schließlich halten die Homöopathen einerseits unbeirrt an der Wirksamkeit ihrer Kügelchen als Arzneimittel (also an einer pharmazeutischen Methode) fest und zum anderen daran, damit auch schwerere Erkrankungen behandeln zu können. Patientensicherheit? Beleg gefällig? Von der Praxiswebseite von Frau Bajic höchstpersönlich (abgerufen am 09.03.2018):
“Diese Methode erlaubt es, nicht nur akute Erkrankungen, wie z.B. grippale Infekte, Husten, Magen-Darm-Infekte, Mittelohrentzündungen etc…. schnell und sanft zu heilen (sic!), sondern ist auch eine Möglichkeit, schwere chronische Erkrankungen, wie z.B. Asthma, Rheuma, Neurodermitis, Bluthochdruck etc.… zu behandeln.”
Eine komplette Stellungnahme des Zentralvereins mit gleichem Inhalt findet sich auf dessen Webseite “Homöopathie online”. Dort versteigt sich Frau Bajic zusätzlich zu der Äußerung: “Die ärztliche Homöopathie ist wirksam und evidenzbasiert. Das ist durch zahlreiche Studien belegt. In ärztlicher Hand ist sie ein wichtiger Bestandteil einer Integrativen Medizin, die das Beste aus der konventionellen Medizin und der ärztlichen Homöopathie zum Wohle des Patienten verbindet.“
Zunächst finden wir hier das “Duale Denken” aus den 1990er Jahren wieder, das schon eingangs angesprochen wurde. Und wenn die Homöopathen wenigstens “das Beste”, nämlich die reine Zuwendung zum Patienten, mit der “konventionellen Medizin” (was ist das?) verbinden würden. Aber gerade dem verweigern sie sich doch beharrlich – was in jeder Auseinandersetzung mit homöopathiekritischen Positionen zum Ausdruck kommt. Sie beharren auf der Existenzberechtigung der Homöopathie als spezifischer Arzneimitteltherapie – und propagieren damit Esoterik. Und dass die Studienbehauptung so brüchig ist, dass ihr Aussprechen eigentlich rissige Lippen erzeugen müsste, brauche ich in diesem Blog wohl nicht besonders zu betonen.
Ich gebe nur kurz zu bedenken, wie sich wohl die Behauptung, Homöopathie gehöre zur evidenzbasierten Medizin, mit diesen Definitionen verträgt:
Externe klinische Evidenz führt zur Neubewertung bisher akzeptierter medizinischer Verfahren.
EbM ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten.
Die Zweige der klinischen Erfahrung des behandelnden Arztes, dem, was die “ärztliche Kunst” ausmacht, und der persönlichen Belange des Patienten überwiegen nicht die wissenschaftlichen Evidenzgrundlagen, sondern haben sie zur Grundlage. Deshalb heißt das ja auch “evidenzbasiert” und nicht “unter paritätischer Berücksichtigung der evidenten Studienlage”. Man kann sich die EbM als Dreieck mit der Basislinie der wissenschaftlichen Evidenz und den beiden aufstrebenden Linien der ärztlichen “Kunst” und der Patienteninteressen vorstellen, die im Gipfelpunkt zu einem Ergebnis zusammenlaufen.
Und wo verortet nun Frau Bajic die “aktuelle wissenschaftliche Evidenz” der Homöopathie in diesem Modell? In ihrer Vorstellung steht dieses Dreieck wohl eher auf der Spitze – auf einem dimensionslosen Punkt, ein schönes Sinnbild für die Homöopathie. Dann würde – dazu passend – die nun obenliegende Linie für eine ausgedehnte Beliebigkeit stehen und nicht, wie im umgekehrten Fall, ein in einem gemeinsamen Punkt zusammenlaufendes Ergebnis eine evidenzbasierte Therapieentscheidung, darstellen. Ein Witz. Ein schlechter.
Deshalb, aus Redlichkeit und im Patienteninteresse: Weg mit Esoterik aus den Arztpraxen!
Es sei noch hinzugefügt: Wie die Bundesärztekammer mit den Homöopathen Weiterbildungsinhalte abstimmen konnte, die der wissenschaftlichen Medizin – der Grundlage von medizinischem Studium und ärztlicher Praxis – diametral widersprechen und mit ihr völlig unvereinbar sind, das ist ein Rätsel, dessen Lösung ich gern dem anstehenden Ärztetag anvertrauen möchte.
Nachsatz:
Das Ärzteblatt berichtet, die Bundesärztekammer habe bereits erklärt, dass die Münsteraner Forderungen “in die Beratungen zur Gesamtnovelle der Musterweiterbildungsordnung einbezogen und intensiv diskutiert” würden. Das ist schon einmal gut zu hören.
Es wird allerhöchste Zeit. Ich wiederhole mich: Wenn sich hierzulande nicht langsam etwas bewegt in Sachen Homöopathie, macht sich das deutsche Gesundheitswesen weltweit zum Narren.
Nachsatz, 2022
Wer hätte damals zur Zeit der Abfassung dieses Artikels (Frühjahr 2018) für möglich gehalten, was bis heute geschehen ist, nämlich dass 13 von 17 Landesärztekammern (der Rest kommt schon auch noch …) und die Bundesärztekammer die Homöopathie aus den Weiterbildungsordnungen gestrichen haben! Ich jedenfalls nicht, aber ich habe mich natürlich gern überraschen lassen!
Bildnachweise: Screenshot Münsteraner Kreis / eigene Grafik
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“ und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.
Sicher sind den Lesern dieses Blogs noch die Beiträge aus dem vorigen Jahr in Erinnerung, die in der Folge des „Münsteraner Memorandums Heilpraktiker“ [1] die Reaktionen der Heilpraktikerszene aufgriffen, die im Wesentlichen aus zwei Faktoren bestanden: Zum einen aus „whataboutism“, also dem ebenso sachfremden wie befremdlichen Hinweis des „die da aber auch…“ und aus offener Diskreditierung der anderen Seite. Es kam, wie man sich erinnern kann, praktisch gar nicht zu einem Austausch von Argumenten, auch Diskurs genannt. [2] Die Heilpraktikerszene zog sich nämlich nach Verbrauch ihres rhetorischen Pulvervorrats mehr oder weniger schmollend auf die Beschwörung ihrer „unverzichtbaren Rolle als Bestandteil des öffentlichen Gesundheitswesens“ zurück und trat hier und da in Diskussionen mit weiterhin eher geringer argumentativer Durchschlagskraft in Erscheinung. Der Versuch, mit Business as usual zu punkten – wir werden sehen.
Nun, wir haben gute Nachrichten für die Heilpraktiker: Sie hätten sich aufgrund der -allerdings verdienten- Ehre, Gegenstand des ersten „Münsteraner Memorandums“ gewesen zu sein, gar nicht so wichtig nehmen müssen. Dem Münsteraner Kreis geht es nämlich, wie auch aus seiner Grundsatzerklärung ersichtlich ist, generell um evidenzfreie bis esoterische Methoden der CAM (der „komplementären und alternativen Medizin“) in allen Teilen des Gesundheitswesens – und nicht um die „Diskreditierung eines Berufsstandes“ (Standard“argument“).
Denn: Soeben ist das zweite Memorandum des Kreises erschienen, das „Münsteraner Memorandum Homöopathie“ [3]. Und anders, als zweifellos viele, ohne es gelesen zu haben, wieder einmal behaupten werden (da bin ich sicher) fordert diese Erklärung keineswegs die „Abschaffung“ oder ein „Verbot“ der Homöopathie – ein Schreckgespenst, mit dem die Homöopathen im Buhmann-Stil ständig die Homöopathiekritik zu diskreditieren versuchen. Vergeblich.
Nein, der zentrale Punkt ist die Forderung an den im Mai stattfindenden Deutschen Ärztetag, die unsägliche „Zusatzbezeichnung Homöopathie“ für approbierte Ärzte ersatzlos zu streichen – entsprechend dem Anliegen, der CAM innerhalb des Gesundheitswesens entgegenzutreten.
An dieser Zusatzbezeichnung hängt viel, unter anderem auch die Möglichkeit, über einen sogenannten Selektivvertrag mit der Marketinggesellschaft des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) die Tore für die Abrechnungsfähigkeit homöopathischer Behandlungen mit gesetzlichen Krankenkassen aufzustoßen. Mit anderen Worten -wie es auch das Memorandum ausführt – Defizite wie zu wenig Zeit im Praxisalltag auf Kosten wissenschaftlicher Redlichkeit und der Beitragsgelder von Patienten, die zu Recht der Homöopathie ablehnend gegenüberstehen, zu kompensieren. In Wirklichkeit wird das Defizit der fehlenden Zeit ja gar nicht kompensiert, die Praxiszeit für die gesamte Patientenschaft vermehrt sich ja nicht dadurch, dass mehr Zeit für den einzelnen Patienten bezahlt wird. Im Gegenteil, richtig bedacht, geht so etwas erheblich zu Lasten der Patienten, die keine homöopathischen Leistungen in Anspruch nehmen (wollen). Die Unsinnigkeit der Kompensation von Defiziten mit untauglichen, ja verwerflichen Mitteln hebt das Memorandum denn auch deutlich hervor.
Homöopathie ist Esoterik im Gesundheitssystem
Die Reputation, die der Homöopathie, einer nur auf Begleiteffekten beruhenden Scheinmethode, durch eine ärztliche Zusatzbezeichnung in den Augen der Patientenschaft verliehen wird, ist der entscheidende Faktor für die Forderung des neuen Memorandums. Falls man sich nicht zu einer Abschaffung verstehen könnte, würde ich empfehlen, ernsthaft darüber nachzudenken, dann auch Zusatzbezeichnungen „Astrologie“ [4] und „Radiästhesie“ [5] einzuführen. Die Unterschiede zur Homöopathie liegen mehr im Namen als in der Sache. Die große Gemeinsamkeit mit der Homöopathie ist nämlich, dass es sich durchweg um Esoterik handelt. Die Homöopathie hat den anderen „Methoden“ nur ihre öffentliche Reputation voraus, die von starkem Lobbyismus (auch befeuert von der Pharmaindustrie) und Desinformation der Konsumentenschaft profitiert.
Homöopathie ist Esoterik? Ja! Sie beruht in einem Maße auf „okkulten“ Aspekten, die der Esoterik immanent sind, dass dies nicht ernsthaft geleugnet werden kann. In der Wikipedia findet man zum Begriff „Okkultismus“ [6] Folgendes:
„Das Adjektiv „okkult” wurde schon im Mittelalter gebraucht. Im Rahmen der aristotelischen Naturphilosophie unterschied man damals wahrnehmbare Qualitäten der Dinge wie Farbe oder Geschmack von nicht wahrnehmbaren okkulten Qualitäten wie [u.a.] den Heilkräften verschiedener Substanzen, die nur indirekt über ihre Effekte erfahrbar sind.“
Und genau darum handelt es sich bei der Homöopathie. Die Homöopathen vertreten nach wie vor -und mit Nachdruck- dass die Wirkung der Globuli bekanntlich der von Hahnemann postulierten “geistartigen Kraft” zu verdanken ist, die dem Arzneimittel innewohne. (Stichworte “feinstofflich” oder “energetisch”). Genau das sind die „nur indirekt über ihre Effekte erfahrbaren“ Effekte okkulter Provenienz. Dem okkulten „Effekt“ steht dann noch die okkult-rituelle „Praxis“ der Potenzierung durch Verschüttelung zur Seite. Jeder Versuch, durch „Forschung“ diesen Gesichtspunkten das Odium des Okkulten zu nehmen, ist bislang gescheitert – und musste scheitern, da sich diese Dinge nicht mit naturgesetzlichen Gegebenheiten in Einklang bringen lassen. Die gleichwohl sorglose Verwendung der Hoch- und Höchstpotenzen in der homöopathischen Praxis belegt schlagend die Wissenschaftsferne und die Esoteriknähe auch der heutigen, sich womöglich als „modern“ verstehenden Homöopathen.
Die Homöopathie ist demnach ein Therapiesystem, das im Kern auf okkulten Lehren (“geistartige Kraft”) und Praktiken (“Potenzierung” durch Verdünnung und ritueller Verschüttelung) beruht und damit durchaus zur Esoterik gehört.
Und Esoterik hat auch unter dem scheinwissenschaftlichen Mäntelchen, das sich die Homöopathie mit sogenannter „Grundlagenforschung“ [7] und der wohlfeilen Umdeutung durchweg negativer Ergebnisse von klinischen Studien und deren Reviews [8] umzuhängen versucht, in Arztpraxen nichts zu suchen.
Übrigens im gesamten Gesundheitswesen nicht. Und das ist der Punkt.
Damit ist der Auftrag, der im Zusammenhang mit der Miniänderung durch das 3. Pflegestärkungsgesetz ergangen ist, der Form nach erfüllt. Und jetzt? Ist so ziemlich das eingetreten, was an dieser Stelle dazu prognostiziert worden ist.
Ich möchte mich hier auf einen, vielleicht den zentralen Kritikpunkt des Entwurfes beschränken, der allein für sich schon in grellem Licht zeigt, wie mangelhaft, mit wie wenig Problembewusstsein (oder ohne eine sinnvolle Idee für eine Neuregelung gehabt zu haben) diese grandiose “Reform” ausgearbeitet wurde.
Es ist nämlich durchgängig im Text keineswegs davon die Rede, dass objektive Kenntnisse und Fähigkeiten in diesen Bereichen vorliegen müssen. Keineswegs! Man beachte die verwendete Terminologie. Ständig heißt es “… die für den Heilpraktikerberuf … notwendigen Kenntnisse …”.
Zunächst mag man beeindruckt sein, was für Kenntnisse der Prüfling vorweisen können muss. Beim genauen Hinschauen zeigt sich eine Relativierung nach der anderen:
Die antragstellende Person verfügt über die für eine Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse in der medizinischen Fachterminologie.
Die antragstellende Person verfügt über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse der Anatomie, pathologischen Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie sowie Pharmakologie.
Die antragstellende Person verfügt über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse der allgemeinen Krankheitslehre sowie akuter und chronischer Schmerzzustände.
Die antragstellende Person verfügt über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse zur Erkennung und Behandlung von physischen und psychischen Erkrankungen bei Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen, insbesondere in den Bereichen von … (es folgt eine Aufzählung von 17 verschiedenen fachmedizinischen Bereichen, von hämatologischen und onkologischen bis hin zu geriatrischen und endokrinologischen Krankheitsbildern).
Und so weiter…
Nun, stünden diese Relativierungen nicht da, so müsste man schließen, dass neuerdings für den Heilpraktikerstand ein vollständiges Medizinstudium mit dem Erwerb der Zusatzbezeichnung “Heilpraktiker” angedacht wäre… Aber nein. Davon war man offensichtlich weit entfernt und hat mal wieder seine Zuflucht zu verbaler Akrobatik gesucht. Was sind denn diese “zur Ausübung des Heilpraktikerberufes notwendigen Kenntnisse”? Jurististisch gesehen, handelt es sich hier um unbestimmte Rechtsbegriffe, der aller Erfahrung nach in der Praxis noch viel Freude machen werden. Tatsächlich betrachtet, handelt es sich hier um die in juristische Begriffe gegossene “zweite Medizin”, deren Imaginierung durch den Gesetzgeber schon bisher das Hauptproblem war – und hier auch noch fortgeführt wird. Der Kardinalfehler wird noch überhöht und gleichzeitig mit Camouflage bedeckt: ist es vorstellbar, dass man einen Gesundheitsberuf zulässt, der explizit nicht das Wissen des umfangreichen Medizinstudiums haben muss, sondern „irgendeines“ darunter? Führt das nicht zwangsläufig dazu, dass der Heilpraktiker nicht über das Wissen verfügen kann, welche Möglichkeiten überhaupt der Stand der medizinischen Wissenschaft im einzelnen Behandlungsfall bietet? Und ist er dadurch nicht von vornherein daran gehindert, dem Patienten die, wie es die Rechtsprechung verlangt, für sein Leiden bestmögliche Therapie anzubieten?
Merkt eigentlich niemand, in was für einem Maße hier das eigentliche Hauptproblem des Heilpraktikerwesens, die “zweite Medizin” neben der wissenschaftlichen, in jahrelangem Studium gelehrten Medizin, geradezu festgeschrieben wird? Wie rechtfertigt der Gesetzgeber eine nun auch noch explizit als solche definierte “Medizin light” (im besten Falle!) als “Alternative” zur Ausübung der Heilkunde aufgrund eines akademischen langjährigen Studiums, vieler Prüfungen und der Verpflichtung zur ständigen Fortbildung? Das IST nicht zu rechtfertigen!
Und welchen Sinn hat es, in die Prüfungsrichtlinien derartige Spezifizierungen einzuführen, ohne dass dem eine präzise Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschaltet ist, die zunächst einmal den Ausbildungsgang regelt? Keinen! Es wird nur noch grotesker als vorher, wenn fachliche Kenntnisse in Gebieten wie Onkologie, Endokrinologie und Hämatologie zum Prüfungsgegenstand werden, die Ausbildung dafür jedoch ungeregelt, ja sogar der Autodidaktik überlassen bleibt!
Und deshalb ist dieser Richtlinienentwurf eine Beruhigungspille homöopathischen Ausmaßes für alle, die sich der Problematik des Heilpraktikerstandes wirklich bewusst sind. Er schreibt das Grundproblem fest, statt es zu lösen. Dass der Wille zu grundlegenden Schritten fehlt, zeigt sich ja schon darin, dass man die “Kräfte” auf den Teilaspekt der Prüfungsrichtlinien konzentriert statt sich mit der Grundsatzfrage auseinanderzusetzen, ob und vor allem wie man den Heilpraktikerstand überhaupt weiter rechtfertigen will.
Noch etwas zum Schluss: Welche Bedeutung überhaupt hat eine irgendwie an der wissenschaftlichen Medizin ausgerichtete Prüfung, wenn hinterher der Heilpraktiker ohnehin nach eigenem Gusto schalten und walten kann, ihm grundsätzlich jede Scharlatanerie offensteht, es keinen verbindlichen Handlungsrahmen gibt, auf die sich der Patient bei Fehlern berufen kann? Es gibt nach wie vor weder Regeln für die Beschränkung auf bestimmte Therapieverfahren (Positiv- oder Negativlisten), noch für eine Vorab-Diagnosepflicht durch einen Arzt, der Bund deutscher Heilpraktiker zeigt sich zudem hochzufrieden, dass am “Recht” zur Anwendung invasiver Verfahren durch Heilpraktiker nicht gerüttelt wurde. Angesichts dieses „Lobs“ sollte den Verantwortlichen für diese „Reform“ eigentlich angst und bange werden.
Deshalb von mir nur ein Wort für diesen neuen Richtlinienentwurf:
Spiegelfechterei.
Liebes Bundesgesundheitsministerium, vielen Dank für dieses Präsent zum Jahresabschluss. Nun steht jedenfalls fest, dass es weiterhin jeder Bemühung bedarf, diesen Zuständen ein Ende zu machen. Was die Heilpraktikerszene einschließlich ihrer Verbandsvertreter durch ihre Stellungnahmen im Nachgang zum Münsteraner Memorandum selbst deutlich unterstrichen hat, indem sie whataboutism und Diffamierung von Kritik auf ein neues Niveau gehoben haben.
Ein viel gebrauchtes Argument der homöopathischen Fraktion ist, dass die Methode ja von approbierten Ärzten auch in nicht unerheblichem Umfang angewendet werde. Woraus man bitte doch auf die Seriosität der Homöopathie zurückschließen möge, denn die Ärzte als akademisch-wissenschaftlich ausgebildete Fachleute würden das doch niemals, niemals tun, wenn sie nicht zutiefst von ihrer Richtigkeit und Evidenz überzeugt wären.
Gewisse Zweifel an dieser Konklusion hatte ich ja schon immer. Insofern fand ich es interessant, dass bei der Studiendatenbank PubMed eine Publikation eingestellt wurde, die sich genau mit diesem Thema befasst: “Beliefs, endorsement and application of homeopathy disclosed: a survey among ambulatory care physicians”, also “Glaube, Befürwortung und Anwendung der Homöopathie: Eine Umfrage unter Ärzten im ambulanten Bereich”.
Und was steht da so drin?
Befragt wurden alle Ärzte, die im Jahr 2015 im Schweizer Kanton Zürich ambulant tätig waren (n = 4072). Es ging um folgende Fragestellungen:
Zusammenhang der Verordnung von Homöopathie mit medizinischen Fachgebieten;
Welche Absichten mit den Verordnungen verfolgt wurden;
Inwieweit ergaben sich Übereinstimmungen mit bestimmten Einstellungen;
Ansichten zur Homöopathie einschließlich Erklärungsmodelle,
Bewertung der Evidenzbasis der Homöopathie;
Annahme der Eignung von Homöopathie bei bestimmten Indikationen,
Erstattungsfähigkeit der homöopathischen Behandlung durch die gesetzlichen Krankenkassen?
Die Teilnahmequote betrug 38%, das Durchschnittsalter 54 Jahre. 61 % der Befragten waren männlich. Bei 40 % handelte es sich um internistische Allgemeinärzte.
23% der Befragten verordneten Homöopathie mindestens einmal jährlich. Schwerpunktmäßig waren an medizinischen Fachgebieten besonders an den Verschreibungen die Bereiche Allgemeinmedizin (keine Spezialisierung), Pädiatrie und Gynäkologie/Geburtshilfe beteiligt.
Von den Verordnungen waren nur 50 % eindeutig dazu bestimmt, spezifische homöopathische Wirkungen hervorzurufen, nur 27 % der Verschreibenden hielten sich strikt an die homöopathische Verschreibungslehre (was ist das?) und nur 23 % glaubten, dass es wissenschaftliche Beweise für eine Wirksamkeit der Homöopathie gibt. Die Sicht auf die Homöopathie als Placebo-Methode fand die stärkste Zustimmung unter den Verordnern (!) und auch den Nichtanwendern (63% bzw. 74% Zustimmung). Eine Erstattung homöopathischer Heilmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung wurde von 61% aller Befragten abgelehnt (was immerhin im Hinblick auf die momentane Gesetzeslage in der Schweiz bemerkenswert ist).
Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass medizinische Fachgebiete die Homöopathie mit deutlich unterschiedlicher Häufigkeit anwenden und nur die Hälfte der Verordnungen dazu bestimmt war, homöopathie-spezifische Wirkungen erzielen zu wollen. Darüber hinaus erkennt die Mehrheit der Verordner (!) an, dass die Wirksamkeit der Homöopathie nicht bewiesen ist und misst ihren traditionellen Prinzipien wenig Bedeutung bei.
Bestimmte medizinische Spezialgebiete (wen wundert es, dass es sich dabei um Pädiatrie und Gynäkologie/Geburtshilfe handelt?) und die damit verbundenen Anforderungen der Patienten, aber auch die Offenheit der Ärzte gegenüber Placeboeingriffen können bei homöopathischen Verschreibungen eine Rolle spielen. Die ärztliche Fortbildung sollte daher nicht nur die Evidenzgrundlage der Homöopathie, sondern auch ethische Dilemmata mit Placebo-Interventionen thematisieren. Sehr richtig!
Man darf hiernach sicher festhalten, dass von einem Rückhalt der Homöopathie in der Ärzteschaft zumindest bei dieser Untersuchung keine Rede sein kann. Allerdings gibt es trotz dieses irgendwie ermutigenden Ergebnisses immer noch zu viel davon. Beispielsweise konzentriert in der Mitgliederschaft des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, was die Ärztekammern in die Lage versetzen könnte, Fortbildungen sehr gezielt anzubieten.
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