Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Schlagwort: Politik und Recht Seite 1 von 4

„Richterin Saleschs größter Fall“ – Zum Rechtsverständnis im deutschen TV

Lädierte TV-Justizia (Microsoft Copilot)

Man lacht. Oder man schüttelt den Kopf. Oder beides.
Was RTL diese Woche (Anfang Juni 2025) als „größten Fall“ von Richterin Salesch zur besten Sendezeit in Spielfilmlänge angekündigt hatte, war nicht nur eine neue Folge dieser pseudo-juristischen Unterhaltungssendung – es war ein mediales Trauerspiel. Und es zeigt, wie weit sich Unterhaltung vom Anspruch entfernt hat, wenigstens nicht aktiv zu verdummen.

Denn diese Produktion, mit Dialogen wie aus einem schlechten Schüleraufsatz, Zombie-Schauspielern und einer Dramaturgie, die selbst bei Jura-Erstsemestern keine Gnade finden würde, leistet nicht einmal mehr den Versuch, die Abläufe einer Gerichtsverhandlung auch nur zu skizzieren.

Der Zuschauer wird systematisch irregeführt.

Er lernt: Gerichte klären Sachverhalte wie die Kripo oder gern auch mal im Stile von Detektiven (die polizeilichen Ermittlungen müssten zumeist von Volltrotteln durchgeführt worden sein), Zeugen dürfen auf Zuruf dazwischengrätschen und werden bei Bedarf einfach aus dem Hut gezogen, emotionale Ausbrüche sind Alltag, im Gerichtssaal entstehen aus Schreiorgien gar gelegentlich Handgreiflichkeiten – und der „Richter“ klärt das Ganze dann mit einem moralisch angereicherten Schlusswort.

Es sind nicht nur inhaltliche Fehler – es ist die Grundhaltung dieser Formate, die problematisch ist. Wer derartiges regelmäßig konsumiert, entwickelt ein Bild der Justiz, das mit der rechtsstaatlichen Realität nichts zu tun hat. Und das schlägt durch: in Talkshows, in Leserbriefen, in Gerichtssälen, im Smalltalk. In einem Klima, in dem Vertrauen in Institutionen ohnehin schwindet, ist das Gift.

Fiktion darf alles?

Nicht, wenn sie sich ins Gewand der Wirklichkeit kleidet und vorgibt, „Realität“ zu zeigen oder zumindest als „Infotainment“ realitätsnah zu agieren. Dann wird sie zur Simulation, zur semantischen Täuschung, zum performativen Realitätsersatz – und genau da liegt das Problem.
Das ist dann nicht mal mehr Justiztheater. Es ist ein Spiegelbild kultureller Verantwortungslosigkeit.

Fazit

Es geht nicht um Geschmack. Es geht um Haltung, um Linie, um die Bewahrung eines basalen Alltagsrealismus in einer Welt der „Infodemie“. Und darum, ob wir als Gesellschaft dulden wollen, dass selbst unsere Grundinstitutionen im Fernsehen zu Pappmaché werden – in Formaten, die unter dem Deckmantel des Entertainments das Vertrauen in Recht und Aufklärung unterminieren.

Und die Folgen?

Sind Menschen, die einen regelrechten Kulturschock erleben, wenn sie tatsächlich einmal als Beteiligte oder Zuschauer in einem echten Gerichtssaal sitzen. Die „Einspruch!“ von der Besucherbank rufen, vergeblich auf eine allfällige Rangelei warten und ganz allgemein davon enttäuscht wird, dass es bedauerlicherweise am Sex and Crime-Effekt weitestgehend fehlt. Die Spannung wird vor Gericht nun mal reduziert, wenn die Kripo vorher ihre Arbeit gemacht und den Sachverhalt geklärt hat und das nicht – wie im TV – dem Gericht selbst obliegt.

Übertrieben? Mitnichten.

Wer sich fragt, warum Schockanruf-Betrüger so erfolgreich sind, sollte sich einmal vor Augen führen, was mediale Fehlprägung bewirken kann – in diesem Falle sogar die von amerikanischen Krimiserien. Eine angebliche Polizistin am Telefon, die wegen eines Verkehrsunfalls eine Kaution zur Vermeidung von Untersuchungshaft verlangt – das klingt für viele inzwischen völlig plausibel. Dank täglicher Fernsehgewöhnung. Um es hier noch einmal deutlich klarzustellen: Es gibt in Deutschland keine Kautionen, die einen vor richterlich angeordneter Untersuchungshaft bewahren können. Entweder liegt ein Haftgrund vor (Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr) oder nicht, was der Untersuchungsrichter binnen einer kurzen Frist zu entscheiden hat.

Selbst das Verhalten in deutschen Gerichtssälen verändert sich, wie man hier und da hört – nicht aus Böswilligkeit, sondern wegen schlichter Desorientierung. Fernsehen wie dieses leistet seinen Beitrag dazu. Und zwar nicht als harmloser Unsinn – sondern als unterschätzte Quelle struktureller Verblödung.



Anhang: Als Justiz im Fernsehen noch ernst genommen wurde

Die Kritik an den inszenierten Gerichtsshows des Privatfernsehens – ob Barbara Salesch, Alexander Hold oder jüngere Formate – richtet sich nicht primär gegen Unterhaltung an sich, sondern gegen die Verzerrung eines sensiblen gesellschaftlichen Bereichs: der Rechtsprechung. Umso wichtiger ist es, daran zu erinnern, dass Justiz im deutschen Fernsehen einst anders dargestellt wurde – differenzierter, respektvoller, oft sogar pädagogisch wertvoll.

1. Ehen vor Gericht (ZDF, 1970er–80er)

Diese Serie behandelte fiktive Scheidungs- und Familienrechtsfälle mit dem Anspruch, das Familienrecht verständlich zu machen. Die Inszenierung war zurückhaltend, der Fokus lag auf der juristischen Argumentation und den sozialen Implikationen. Kein Spektakel, sondern Recht als gesellschaftlicher Rahmen.

2. Das Verkehrsgericht (ARD, 1983–2001)

Eine lange Zeit erfolgreiche Reihe, die den Alltag juristisch reflektierte: Verkehrsunfälle, Alkohol am Steuer, Fahrerflucht – verhandelt vor Gericht, realitätsnah und ohne Schauprozess-Ästhetik. Was heute nach unspektakulärem Bildungsfernsehen klingt, war damals Publikumserfolg. Und heute – zusammen mit Ehen vor Gericht – ein Youtube-Hit.

3. Tatbestand (ZDF, 1970–1983)

Basierend auf echten Kriminalfällen, mit Fokus auf den Weg vom Ermittlungsverfahren bis zur richterlichen Entscheidung. Keine Action, kein CSI-Glamour – stattdessen: glaubwürdige Erzählung, rechtsstaatliches Verfahren, realistische Komplexität.

4. Streit um drei (ZDF, 1966–1995)

Nicht ausschließlich gerichtszentriert, aber geprägt vom juristischen Konflikt. Diese Dramaserie setzte auf plausible Alltagskonflikte mit nachvollziehbaren rechtlichen Hintergründen. Ihre lange Laufzeit spricht für die Nachhaltigkeit des Konzepts.


Das Medium als Mitgestalter von Rechtsbewusstsein

All diese Formate hatten gemein, dass sie das Justizsystem nicht entstellten, sondern erklärten. Sie trugen zur Rechtsbildung bei – ein Bildungsauftrag, der heute im Unterhaltungsmodus fast völlig verloren gegangen ist. Sie akzeptierten das Recht als etwas, das nicht schreit, sondern abwägt.

Im Kontrast dazu steht das Privatfernsehmodell der 2000er Jahre, das immerhin so erfolgreich war, dass es heute teilweise in neuen Produktionen mit den alten Protagonisten wieder aufgewärmt wird (Das Strafgericht, Richterin Barbara Salesch): Gericht als Bühne, Urteil als Gag, Publikum als moralischer Ersatzrichter. Und heute? Noch groteskere Varianten im Netz, auf YouTube und TikTok, wo „Gericht“ oft nur Kulisse für dramatische Selbstvermarktung ist.


Deutscher Justizfilm nach 1945 – selten, aber stark

Auch im Kino wurde das Thema Justiz in Deutschland selten, aber mit Anspruch behandelt. Besonders hervorzuheben sind:

  • Der Fall Fritz Bauer (2015) – Über den Staatsanwalt, der die Auschwitz-Prozesse ermöglichte
  • Das schreckliche Mädchen (1990) – Über institutionellen Selbstschutz in der Nachkriegsjustiz
  • Terror – Ihr Urteil (2016) – Über das ethische Dilemma zwischen Recht und Moral
  • In Sachen Kaminski (1983) – Über Machtmissbrauch und politische Justiz

Diese Filme zeigen, dass Justiz auch im Film kein Spektakel sein muss – sondern ein moralischer Prüfstein für Gesellschaften.


Fazit: Wer heute über Barbara Saleschs größten Fall spricht, sollte wissen:
Die Justiz im Fernsehen war nicht immer so. Und sie muss es auch nicht bleiben. Besser geht immer.


Welcome Idiocracy!

NY Times, Breaking News 04.02.2024, 17:01 MEZ

Nach zweitägiger Anhörung im vorbereitenden Senatsausschuss hat dieser nun eine Empfehlung zur Bestätigung des Impfgegners und Hirnwurmträgers Robert F. Kennedy Jr. als US-Gesundheitsminister abgegeben. 14 zu 13 Stimmen, wenigstens das. Entlang der Parteigrenzen, wie die NYT schreibt. Kein Zweifel, dass der Senat nun die Nominierung durchwinken wird.

Ich will mich hier gar nicht aufregen (ich versuche es jedenfalls). Aber man wird festhalten müssen, dass wir hier etwas erleben, das in höchstem Grade absurd und irreal ist. Ich gestehe, dass ich mich unter keinen Voraussetzungen irgendwie in die Abgeordneten hineinversetzen kann, die RFK jun. tatsächlich für geeignet halten, als Gesundheitsminister der größten Industrienation der Welt zu fungieren. Ich verfolge RFK’s „Karriere“ schon lange, aber dass es einmal dazu kommen könnte, das kam in meinen schlimmsten Albträumen nicht vor.

Dabei sah es zeitweilig während der Anhörung (die ich zu großen Teilen live verfolgt habe) danach aus, als würde Kennedy in echte Bedrängnis geraten. Immer wenn es um das Impfthema ging, verlor er den Boden unter den Füßen – und ähnlich wie sein Kumpel Andrew Wakefield (genannt Fakefield, der als der größte Medizinbetrüger des 20. Jahrhunderts gilt), gab er zu Protokoll, er sei ja gar kein Impfgegner. Es gelang seinen Sidesteps aber immer wieder, die Anhörung auf sozusagen neutrales Terrain zu verlagern – so nahmen Kennedys Ideen zu Ernährungsfragen breiten Raum ein. Auch hier gab er ziemlichen Unsinn von sich, was aber offenbar zu keiner Beunruhigung im Anhörungsausschuss führte. Der Vorsitzende, Mr. Cassidy, selbst Arzt, setzte ihm auch ordentlich zu. Allein – vergebens.

Nun, seine Eskapaden, die ihn als einen der krassesten Impfgegner des Planeten überführen, würden ein Buch füllen. Deshalb hier nur ein Hinweis auf einen Artikel hier auf diesem Blog – und eine Story, deren genaue Einzelheiten offenbar bis vor kurzem unbekannt waren.

Die wüste Geschichte, dass die WHO mit Impfungen in Afrika beabsichtigt habe, im großen Stil Sterilisierungen von Frauen durchzuführen, habe ich hier ausführlich beschrieben. Bob und Andy haben hier zusammengewirkt – manipulativ, voller Lügen und mit der offensichtlichen Absicht, Impfen generell und die WHO gleich mit zu diskreditieren. Und auf was für eine Art und Weise! Zudem billig. Früher haben sie noch ihre eigenen Lügen verbreitet, bei dieser Geschichte haben sie nur eine uralte urban legend aufgewärmt. Alles beschrieben in meinem Blogpost.

Robert F. Kennedy Jr. und der Masernausbruch in Samoa

Im Jahr 2018 erlebte das kleine Samoa einen schweren Masernausbruch, bei dem zahlreiche Menschen, hauptsächlich Kinder, starben. Die Tragödie wurde durch niedrige Impfraten verschärft, die teilweise auf Impfstoff-Skepsis zurückzuführen waren. Katastrophal war zusätzlich, dass zwei Kleinkinder während der Impfaktion verstarben. Es stellte sich zwar heraus, dass dies durch die Unachtsamkeit von zwei Krankenschwestern veursacht war (beide wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt). Die erste Reaktion war jedoch, dass die Skepsis gegenüber dem Impfstoff weiter zunahm. Die Impfungen wurden zunächst ausgesetzt, eine Weile später zwar wieder aufgenommen, aber so gut wie gar nicht nachgefragt.

Robert F. Kennedy Jr. besuchte im Juni 2019 Samoa und traf sich mit lokalen Impfgegnern, darunter Taylor Winterstein und Edwin Tamasese. Er nutzte die tragischen Todesfälle der beiden Säuglinge im Jahr 2018, um noch mehr Zweifel an der Impfsicherheit zu säen. Diese Desinformationskampagne führte zu einem weiteren drastischen Rückgang der Impfraten und bereitete den Boden für den nächsten Masernausbruch 2019 (erwartbar bei einer Durchimpfungsrate bei Kindern um die 30 Prozent), bei dem 83 Menschen, hauptsächlich Kinder, starben. Kennedys Handeln wurde vielfach als besonders verwerflich kommentiert, da er bewusst falsche Informationen verbreitete und die öffentliche Gesundheit gefährdete, was zu vermeidbaren Todesfällen führte. Er bezeichnete die Situation als eine Gelegenheit, die Auswirkungen von Impfungen und Nicht-Impfungen zu beobachten. Also als einen „Feldversuch“ mit menschlichen Probanden – so ziemlich der unterste Sumpf unverantwortlichen und unethischen Handelns. Er versuchte offenbar, die Verantwortlichen auf Samoa von seiner „Idee“ zu überzeugen, einer Idee, die er auch schon in den USA propagierte. Medizinethische Grundsätze trat er dabei mit Füßen, ohne schamrot zu werden.

Braucht es noch mehr, um zu belegen, dass RFK jun. einer der gefährlichsten Impfgegner auf diesem Planeten ist? Details finden sich hier bei den NBC News vom 24. Januar 2025.

Noch ein bisschen Dystopie

Was genau macht eine Ernennung von RFK jun. zum Gesundheitsminister so brisant?

Sein tiefes Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Institutionen und sein Hang zu Verschwörungstheorien könnten in einer solchen Position immensen Schaden anrichten. Sein Bild von Gesundheitsinstitutionen scheint stark von ideologischen Feindbildern geprägt zu sein, anstatt von realistischen Einschätzungen über deren Funktion und Bedeutung.

Das NIH (National Institutes of Health) beispielsweise ist in erster Linie ein Forschungsinstitut und keine bürokratische Behörde. Es ist eines der weltweit führenden Zentren für biomedizinische Forschung und hat entscheidend zur Entwicklung von Impfstoffen, Krebstherapien und anderen medizinischen Durchbrüchen beigetragen. RFK Jr.s mehrfach geäußerte Vorstellung, dass es sich dabei um eine Art Verwaltungsapparat handelt, den man „aufräumen“ könne, zeigt eine erschreckende Unkenntnis und legt nahe, dass er nicht einmal eine realistische Vorstellung davon hat, welche Arbeit dort geleistet wird.

Seine mögliche Strategie des „Lahmlegens“ der Gesundheitsinstitutionen könnte massive Folgen haben – von einer Verzögerung in der Medikamentenentwicklung bis hin zu einer möglichen Destabilisierung von Impfprogrammen und der Pandemievorsorge. Das erinnert an Trumps ersten Gesundheitsminister Tom Price, der als erklärter Feind von „Big Government“ das Gesundheitsministerium von innen heraus geschwächt hat – aber RFK Jr. geht ideologisch noch deutlich weiter.

Die Ironie dabei ist, dass Trump selbst vor der COVID-19-Pandemie oft für seine Nähe zu Impfgegnern kritisiert wurde, aber dann mit Warp Speed eine beispiellose Impfkampagne gestartet hat. Ein Gesundheitsminister RFK jun. würde das möglicherweise nicht nur wissenschaftliche Institutionen schwächen, sondern auch ein riesiges politisches Eigentor für ihn selbst bedeuten – denn massive Krankheitsausbrüche und eine verschlechterte Gesundheitsversorgung werden auch seine Wähler nicht kaltlassen.

Die Frage ist nur: Wie viele Kollateralschäden wird es bis dahin geben? Versuchen wir einen Ausblick.

Kurzfristig (innerhalb der ersten Monate)

Institutionelles Chaos: Falls RFK Jr. tatsächlich Minister wird, könnte er innerhalb kurzer Zeit wichtige Führungsposten mit Gleichgesinnten besetzen oder Experten entlassen, die er für Teil der „korrupten Elite“ hält. Das könnte das NIH, die CDC oder die FDA lähmen und zu Verzögerungen bei wichtigen Maßnahmen führen.
Symbolische Anti-Establishment-Entscheidungen: Er könnte beispielsweise Forschungsgelder für Impfprogramme oder Pandemievorsorge kürzen, während er gleichzeitig Pseudowissenschaftler fördert.

Mittelfristig (nach 1-2 Jahren)

Einbruch der Impfquoten: Wenn RFK Jr. weiterhin Anti-Impf-Rhetorik betreibt oder Impfprogramme de-priorisiert, könnte das dazu führen, dass weniger Menschen Impfungen in Anspruch nehmen – insbesondere gegen Masern, Grippe oder COVID-19. Erste Krankheitsausbrüche könnten auftreten.
Abwanderung von Experten: Falls Gesundheitsinstitutionen durch politischen Druck geschwächt werden, könnten hochkarätige Wissenschaftler in andere Länder oder in den Privatsektor abwandern, was langfristige Schäden für die US-Gesundheitsforschung hätte.

Langfristig (3-4 Jahre oder mehr)

Wiederaufleben von vermeidbaren Epidemien: Falls Anti-Impf-Narrative weiter gefördert werden, könnten Masern, Keuchhusten und andere vermeidbare Krankheiten wieder auf dem Vormarsch sein – mit Todesopfern, die man hätte verhindern können.
Regress in der Pandemievorsorge: Sollte es eine neue Pandemie oder eine besonders gefährliche Virusvariante geben, könnte ein durch Fehlinformationen gelähmtes Gesundheitssystem schlechter darauf reagieren, was unnötig viele Menschenleben kosten würde.

Die Ironie ist, dass die härtesten Konsequenzen meist erst dann eintreten, wenn es zu spät ist, um den Schaden einfach rückgängig zu machen. Deshalb ist es so gefährlich, wenn jemand mit wissenschaftsfeindlicher Agenda systematisch Institutionen untergräbt. Eine gestrichene Forschungsförderung kann oft wieder aufgenommen werden – aber verlorenes Vertrauen in Wissenschaft und Medizin ist viel schwerer zurückzugewinnen.

Wird es Auswirkungen all dessen auch international geben?

Die USA sind einer der größten Geldgeber für weltweite Impfinitiativen wie Gavi (die Impf-Allianz), die WHO-Impfkampagnen und Programme gegen Polio, Masern und andere Infektionskrankheiten.
Falls RFK Jr. als Gesundheitsminister Mittel für solche Programme streicht oder umleitet, könnte das in Entwicklungsländern direkt dazu führen, dass weniger Kinder geimpft werden. Besonders betroffen wären Afrika und Südasien.
Ein negatives Beispiel ist die Trump-Administration, die 2020 die WHO-Finanzierung gekappt und dies gerade wiederholt hat – schon seinerzeit mit spürbaren Folgen.

Stärkung der Anti-Impf-Bewegung in Europa
RFK Jr. ist bereits eine Ikone für Impfgegner in Europa. Seine Ernennung wäre ein massiver Legitimationsschub für die Szene.
Viele europäische Impfgegner haben die Corona-Pandemie genutzt, um eine allgemeine wissenschaftsfeindliche und staatskritische Haltung zu etablieren. Ein prominenter Impfgegner in einer so hohen Position könnte ihre Radikalisierung weiter fördern. Gerade in Ländern wie Deutschland, Frankreich und Österreich, wo Impfmüdigkeit ohnehin ein Problem ist, könnten RFK Jr.s Aussagen gegen mRNA-Impfstoffe (und Impfstoffe allgemein) als „amtliche Bestätigung“ missverstanden werden.

Rückhalt für pseudomedizinische Strömungen weltweit
RFK Jr. ist nicht nur gegen Impfungen, sondern auch ein Verfechter anderer pseudomedizinischer Ansätze, die er als „natürliche Heilmethoden“ verkauft. In Ländern mit starken Alternativmedizin-Lobbys (z.B. Deutschland mit der Homöopathie-Industrie oder Indien mit Ayurveda) könnte seine Ernennung als Argument für eine Gleichstellung von Pseudomedizin mit evidenzbasierter Medizin dienen.
Das könnte sich auf politische Entscheidungen auswirken – z.B. dass Homöopathie weiterhin von Krankenkassen erstattet wird oder dass Alternativmedizin verstärkt in medizinische Curricula einfließt.

Wissenschaftsfeindliche Narrative als US-Export
Die USA haben durch Hollywood, Social Media und Nachrichtenmedien eine immense globale Meinungsführerschaft. Ein Gesundheitsminister, der wissenschaftsfeindliche Positionen vertritt, würde diese in den Mainstream heben und ihnen eine staatliche Glaubwürdigkeit verleihen.
In vielen Ländern könnten Medien und Politiker auf den Zug aufspringen, um eigene politische Agenden zu pushen.

Fazit

Die Gefahr ist real und global. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein politisches Ereignis in den USA extremistische oder verschwörungsideologische Bewegungen weltweit verstärkt. Dabei geht es um weit mehr als um schlichten Populismus. RFK Jr. würde konkret die Gesundheitspolitik einer Supermacht beeinflussen, mit direkten Auswirkungen auf Impfprogramme, Wissenschaftspolitik und das globale Vertrauen in evidenzbasierte Medizin.

Das Risiko ist also nicht nur theoretisch, sondern könnte in einigen Jahren ganz praktisch Menschenleben kosten – auch außerhalb der USA.

2017 O-Ton Robert F. Kennedy Jr.

Das BVerfG zu Tierheilpraktikern und Homöopathie: Nur Probleme, keine Lösungen

I’m not amused…

Die homöopathische Welt glaubt einmal wieder, Anlass zur Freude zu haben. Vor wenigen Tagen traf das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung, die dort als „Sieg“ gefeiert wird. Und in der Tat, auf eine gewisse Weise ist sie das auch, wenn ich auch glaube, dass die meisten Feiernden den genauen Inhalt des Urteils nicht wirklich realisiert haben. Man könnte nämlich, recht betrachtet, durchaus sagen, dass die Homöopathie allenfalls als „Beiwerk“ Gegenstand des Urteils ist.

Ich bin weit entfernt von Richterbashing, als jemandem, der mal eine Menge über Jura, Gesetzgebung und Rechtsprechung gelernt hat, ist mir das fern. Aber es ist legitim, aufzuzeigen, wo auch Entscheidungen des obersten Gerichts vielleicht einen zu niedrigen Horizont, einen allzu begrenzten Radius einbeziehen und damit verfehlen, ein in der Gesamtschau „richtiges“ Urteil zu erreichen. So bitte ich meine nachfolgenden Ausführungen zu verstehen.

Worum geht es?

Das Tierarzneimittelgesetz 2022

Im Februar 2022 ist das neue Tierarzneimittelgesetz (TAMG) in Kraft getreten. Im Wesentlichen ist es eine Umsetzung von Regelungen der neuen EU-Biorichtlinie und der EU-Tierarzneimittelrichtlinie. Einer der Kernpunkte der EU-Regelungen ist das Gebot, dass Arzneimittel in der Haltung von Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, nur noch auf tierärztliche Verordnung hin verabreicht werden dürfen (sog. Tierarztvorbehalt). Da Homöopathika bekanntlich auch Arzneimittel im Sinne des Gesetzes sind, bedeutet das das Aus für das Herumpfuschen von Tierhaltern und Tierheilpraktikern mit Homöopathie im Viehstall. Dass auch Tierärzten hier rechtlich enge Grenzen gesetzt sind, habe ich auf diesem Blog schon näher erklärt.

Der deutsche Gesetzgeber hat den Regelungen der EU-Richtlinien, die es umzusetzen galt, noch ein Detail hinzugefügt: er hat nämlich Haltern und Tierheilpraktikern (also Laien) auch für den Bereich der Nicht-Nutztiere grundsätzlich untersagt, Homöopathika, die nicht explizit als Veterinärarzneimittel ausgewiesen sind (das sind die allermeisten) ohne tierärztliche Verordnung zu verabreichen. Das ist üblich (was schert dabei die Unmöglichkeit, nach homöopathischen Grundsätzen zu therapieren) und nennt sich „Umwidmung“. Es geht also, kurz gesagt, um die Ausdehnung des Tierarztvorbehalts auf Tiere, die keine Nutztiere mit dem Ziel der Lebensmittelgewinnung sind. Hund, Katz, Pferd und Maus also. Und Koikarpfen nicht zu vergessen, ein bekanntes Tätigkeitsfeld für Tierheilpraktiker.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Nun ist Tierhomöopathie ja eh nichts anderes als das Absurde im Absurden. Aber lassen wir diese Kleinigkeit erst einmal beiseite und fragen uns, was das jetzt mit dem Bundesverfassungsgericht zu tun hat.

Nun, es handelt sich um eine Klage von TierheilpraktikerInnen gegen den eben beschriebenen „speziellen“ Teil des TAMG, den Tierarztvorbehalt auch bei Nicht-Nutztieren, der sie in ihrer Berufsausübungsfreiheit einschränke. Die Formulierung war wohl, die Regelung „käme faktisch einem Berufsverbot gleich“.

Nun kann man sehr wohl darüber streiten, ob dies a) nicht durchaus wünschenswert und b) der Tierheilpraktiker überhaupt ein „Beruf“ sei. Leider hat in der Rechtsprechung die frühere Rechtsfigur des Berufs mit Ausbildung, Fachkunde, in der Regel auch dem Nachweis einer Qualifikation unter einem Prüfungsregularium längst einer Sicht Platz gemacht, die mehr oder weniger als „Beruf“ alles anerkennt, was auf dem gleichsinnigen Zusammenschluss einiger Überzeugter beruht und über mehr als ein paar Wochen oder Monate tatsächlich gegen Entgelt ausgeübt wird. Im ersteren Sinne wäre der „Tierheilpraktiker“ also ein Nicht-Beruf, allenfalls eine Tätigkeit. Das Bundesverfassungsgericht sah aber in seinem hier besprochenen Urteil kein Problem darin, Tierheilpraktikern den Schutz der Berufsausübungsfreiheit nach dem Grundgesetz zuzuerkennen und sie damit als „Beruf“ de facto rechtlich anzuerkennen. Was eine sehr unangenehme Sache ist, wie wir noch sehen werden.

Unter dieser offensichtlich nicht weiter hinterfragten Prämisse untersuchte das Gericht, ob das „Homöopathie-Verbot“ des TAMG für Nicht-Tierärzte im Nicht-Nutztierbereich (man muss es so präzise ausdrücken) tatsächlich verfassungswidrig sei. Und bejahte diese Frage. Mit der Folge, dass der angegriffene „Spezialteil“ des TAMG als von Anfang an nichtig gilt und nicht anzuwenden ist.

Das Gericht befand, das uneingeschränkte Verbot der Anwendung von Humanhomöopathika an Nicht-Nutztieren durch Halter und Tierheilpraktiker sei vom Gesetzgeber nicht ausreichend gegenüber dem damit verbundenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit abgewogen worden. Die Einstufung der Tierheilpraktiker als Beruf nehme ich mal als Fakt hin, so sehr es mir widerstrebt – siehe oben. Aber die Sache mit der Abwägung, da hakt es bei mir gewaltig.

Der Gesetzgeber hat vor dem Hintergrund, dass die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch als gering einzuschätzen ist und durch die Einführung einer Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse im Bereich der Tierheilkunde weiter gemindert werden kann, keinen verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich vorgenommen.

Pressemitteilung vom 16.11.2022 zum Beschluss vom 29. September 2022
1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21

Gut, das entspricht dem ehernen Grundsatz, dass Eingriffe in Rechte, zumal Grundrechte (wie hier in die Berufsausübungsfreiheit) notwendig, angemessen und so milde wie möglich sein müssen. Nähere Ausführungen dazu in der Gesetzesbegründung hat das Gericht vermisst. Es ist also erst einmal folgerichtig, wenn es diesen Punkt in den Fokus nimmt.

Ich kenne die großen Linien der Verfassungsgerichtsrechtsprechung einigermaßen gut, zurück bis in die Anfänge. Da hat sich mit der Zeit einiges verändert – oder besser gesagt, neu verortet. Das ist eigentlich eine gute Sache und sollte viel öfter Gegentand der Rechtsprechung sein, die ja in gewissen Grenzen ein Spiegelbild der realen gesellschaftlichen Verhältnisse und keine sture Rechtsanwendung sein soll. So fordert das BVerfG selbst von der gesamten Rechtsprechung. „das geltende Recht an veränderte Verhältnisse anzupassen“ (so in der Entscheidung des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 918/10 -).

Zu den weniger gutzuheißenden Entwicklungen in der Verfassungsrechtsprechung gehört aber, dass solche konkreten Aussagen zu Prämissen und Kriterien wie im vorliegenden Fall früher so nicht getroffen worden wären. Hier aber sieht man, wie das Gericht praktisch Prämissen „unverrückbar“ festschreibt und sie dem Gesetzgeber als konkrete Abwägungskriterien regelrecht vorgibt. Früher hätte sich das Gericht wohl auf die Feststellung beschränkt, es fehle an einer schlüssigen Darlegung und Abwägung des Pro und Contra eines solchen Grundrechtseingriffs.

Was das BVerfG hier tut und was nicht von mir allein kritisiert wird, das nennt man „Einschränkung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers“. Damit ist gemeint, dass der Gesetzgeber weitgehend frei darin ist, die Gründe für und gegen eine Gesetzesregelung abzuwägen und dabei auch selbst zu entscheiden, welchen Gründen er dabei den Vorrang einräumt. Verfassungsgerichtlicher Nachprüfung obliegt – das ist doch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung eine Selbstverständlichkeit – nur noch, ob eine solche Abwägung überhaupt stattgefunden hat oder ob sie auf gänzlich sachfremden Erwägungen beruht. Die Einschätzungsprärogative ist von der Rechtsprechung so „großzügig“ wie nur immer vertretbar auszulegen. Danach könnte der Urteilsspruch nur lauten, dass das eine (fehlende Abwägung) oder das andere (elementar fehlerhafte Abwägung) vorliegt und nicht, nach welchen konkreten Prämissen der Gesetzgeber hätte verfahren müssen bzw. bei einer Revision des Gesetzes verfahren solle.

Die sachliche Schieflage

Und genau in dieser kritikwürdigen Ausdehnung des Rahmens der Rechtsprechung liegt die Crux und zeigt auf, warum es elementar ist, gegenüber dem Gesetzgeber nicht „zu konkret“ zu werden. Denn:

Nach meiner bescheidenen, aber m.E. wohlbegründeten Ansicht liegt das Gericht daneben, wenn es von einer „geringen Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und einer Schädigung der Gesundheit von Mensch und Tier“ ausgeht. Das ist der Widerhall jahrzehntelanger Homöopathie-Propaganda von „sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei“, die sich ganz offensichtlich sogar in den Köpfen von Richtern als unhinterfragbar einen Platz erobert hat. Nur ist das erstens falsch, zweitens falsch und außerdem – falsch.

Natürlich hat man seinerzeit, beim Arzneimittelgesetz 1978, den Homöopathen und Anthroposophen nach deren Gezeter auch deshalb ihren Willen gelassen, weil man ihre verdünnten Eso-Pillen und -Tinkturen für jedenfalls „harmlos“ hielt. Das war aus der damaligen Sicht irgendwie ja noch nachvollziehbar (Betonung auf „irgendwie“). Aber heute ist das eine absolut unhaltbare Position und ein zentraler Punkt der wissenschaftsbasierten Homöopathiekritik. Das Projekt „Globukalypse“ des Informationsnetzwerks Homöopathie zielt genau darauf ab, vor allem Entscheidungsträgern in Gesundheitswesen und Politik die vielfältigen Schadenspotenziale von Homöopathie zu verdeutlichen.

Es lässt sich eigentlich auf einen sehr kurzen Extrakt verkürzen: Homöopathie ist spezifisch unwirksam, daher kommt eine „Behandlung“ damit einer Nichtbehandlung gleich. Dass eine Nichtbehandlung a priori schadenbehaftet ist, liegt auf der Hand. (Und dass eine Behandlung mit Homöopathie nicht mit dem Placeboeffekt zu rechtfertigen ist – was die Homöopathen auch gar nicht wollen – das wurde schon oft erklärt.) Von einem geringen bis nicht vorhandenen Schadenpotenzial der Homöopathie auch im vorliegenden „Spezialfall“ auszugehen, ist schlicht verfehlt. Das ist auch von der medizinwissenschaftlichen Seite (u.a. dem Weltärztebund) längst als relevant anerkannt.

Daraus folgt dann aber auch, dass die homöopathische „Behandlung“ von Haustieren tierschutzrelevant ist. Immerhin ist der aktive Tierschutz auch ein Verfassungsgebot. Tiere durch faktische Nichtbehandlung leiden lassen, Krankheiten bei der Chronifizierung zuzusehen oder gar die Tiere sterben zu lassen ist tierschutz- und damit gesetzeswidrig.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber gerade das glatte Gegenteil dessen als Prämissen angenommen und dies für eine Abwägung dem Gesetzgeber mehr als nahegelegt – das ist der Part, dem hier entschieden widersprochen werden muss. Schlimm genug, dass das Gericht den Tierheilpraktiker als „Beruf“ zementiert und dem Gesetzgeber gar vorschlägt, diesen durch einen Regelungsrahmen auch noch zu legitimieren. Schon das Urteil selbst bedeutet eine Festigung des Tierheilpraktiker-Unwesens, kommt es erst zu einer gesetzlichen Regelung gleich welchen Inhalts, wäre das eine Festlegung für die Ewigkeit. Selbst die Humanheilpraktiker würden davon profitieren, wenn eine ihnen analoge Entität im Tierbereich regelrecht installiert werden würde. Das alles unter die Annahme zu stellen, es gehe hier um eine Marginalie ohne nennenswertes Schadenspotenzial, das ist schlicht – verfehlt.

Und den Tierheilpraktikern eine „Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse im Bereich der Tierheilkunde“ aufzuerlegen, hat mit der Realität auch wenig bis nichts zu tun. Erstens, weil man sich die Diagnostik und Therapie beim Tier eher noch komplexer vorstellen muss als in der Humanmedizin, was jeder Absolvent einer tierärztlichen Hochschule bestätigen wird. Und zweitens, weil eine solche Anforderung nicht einmal an die Zulassung als Humanheilpraktiker gestellt wird. Dort geht es lediglich darum, ob der Kandidat einigermaßen seine Grenzen kennt – die berühmte Prüfung „zur Abwehr von Gefahr für die Volksgesundheit“. Die Formulierung des Gerichts für Tierheilpraktiker geht absurderweise klar darüber hinaus. Das würde dann wieder dazu führen, dass die Tierheilpraktiker sich in ihrer Berufsausübungsfreiheit gegenüber den Humanheilpraktikern … und der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung … äh … lassen wir das mal beiseite, denn das könnte man noch viel weiter ausführen.

Fazit: Keine Lösungen, nur zusätzliche Probleme

An der Legitimation der Homöopathie als Arzneimittel, dem Grundproblem, ändert sich ersichtlich – nichts. Das Urteil unterstreicht im Gegenteil sozusagen noch einmal die Rolle der Homöopathie als Arzneimittel im Sinne des Gesetzes. Und zeigt damit – wie schon erwähnt – die enorme Wirkkraft der jahrzehntelang verbreiteten Homöopathie-Propaganda, die der Methode den Ruf einer realen Therapieoption in den Augen der Allgemeinheit verschafft hat.

Das zu ändern, ist das Anliegen der „Globukalypse“.


Kleiner FunFact zum Schluss: Nach der Veröffentlichung des Urteils und diversen Presseartikeln dazu fanden sich in den Sozialen Medien die „Betroffenen“ zusammen – und waren zu großen Teilen baß erstaunt, dass es die Regelung, die das Gericht nun gekippt hat, überhaupt gegeben hat. Was ein bezeichnendes Licht auf die „Professionalität“ der „Ausübenden der Tierheilkunde ohne Approbation“ wirft. Jahrelange Vorlaufzeiten und Diskussionen über die EU-Regelungen und ihrer Umsetzung in nationales Recht ist offenbar an diesen Profis ebenso vorbeigegangen wie eine Petition der eigenen Verbandschaft und die durchaus in der Presse berichtete Klageeinreichung. Wollte ich nur kurz angemerkt haben.


Meine Empfehlung zum Thema Tierheilpraktiker:

Colin Goldner: Tierheilpraktische Quacksalberei (beim Humanistischen Pressedienst)


Bild von Anja auf Pixabay

Trust it, this is science!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“
und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.

Peter Teuschel erinnerte vor einiger Zeit daran, wozu sich die AutorInnen des „Erdblogs“ damals (2017)zusammengefunden hatten: um dem erwartbaren Gegenwind für Ratio und Wissenschaft, den ein „unexpected POTUS“ namens Trump jenseits des Atlantiks mit einiger Sicherheit mit sich bringen würde, halb präventiv, halb kurativ etwas entgegenzusetzen. Auf unseren vergleichsweise begrenzten, aber für die Menschen sehr relevanten Gebieten der Medizin und der Psychologie.

Der genannte POTUS ist nun schon eine ganze Weile überstanden. Ist es deshalb an der Zeit, durchzuatmen, den Staub von den Kleidern zu klopfen und mit einem „wir sind noch einmal davongekommen“ zur Tagesordnung überzugehen? (Das wurde geschrieben, als man sich eine Wiederkehr von Trump auf den Thron kaum bis nicht vorstellen konnte.)

Ersichtlich nicht. Eher sind viele Tendenzen, von denen das Zerrbild eines Präsidenten namens Trump nur ein Teil war, zu einer neuen Qualität von Irrationalität und Faktenleugnung, zu einer post-postfaktischen Situation emergiert. Neue Qualitäten der Irrationalität, der Negation von Fakten, der Vergötzung der eigenen Meinung als sehr bewusst zur Schau getragener „Gegenpol“ zum Reich der Fakten sind entstanden und fast alle haben eine gesellschaftlich-politische Dimension bekommen.

Die Pandemie—Situation hat deutlich werden lassen, wie recht Popper mit seiner Diagnose hatte, der Mensch sei noch längst nicht aus der geschlossenen, der kollektivistischen Gesellschaft in die offene, individuelle übergetreten, die ihn sowohl mit Freiheit wie mit Verantwortung konfrontiert, ja, ihm diese abverlangt. Verschwörungstheorien werden zu Ersatzreligionen, haben eine Sinnlücke zu füllen, mit der viele Individuen überfordert sind. Fakten und Ratio mit ihren oft unausweichlichen Implikationen bleiben bei einem vermeintlichen Kampf gegen angebliche übermächtige globale Kräfte auf der Strecke und werden nur als aufoktroyierte Zwänge gesehen. Die Aufklärung gerät unter die Räder. Antiaufklärerische Tendenzen beginnen, sich in der Politik zu etablieren, flankiert von einer gewissen Hilflosigkeit, die auch in Kommunikationsproblemen ihren Ausdruck fand.

Wie ein Brennglas hat die Pandemie gezeigt, welche grotesken Zerrbilder fanatische Irrationalität erzeugen kann. Proponenten der Impfgegnerschaft sind auf der Bildfläche erschienen, die sich nicht einmal mehr die Mühe scheinwissenschaftlicher Tarnung ihrer Argumentationen machen, bei denen man sich ernstlich nach den Mechanismen fragt, die solche Karikaturen der Fakten hervorbringen, wie sie dann von einem buchstäblich gläubigen Publikum tatsächlich breit rezipiert und weitergetragen werden. Andere traten mit der Autorität von akademischen Titeln auf den Plan und forderten – gleich, ob damit nun Expertise verbunden war oder nicht, damit Glaubwürdigkeit ein. Viele Menschen meinten, Pseudo-Gurus ihrer unverbrüchlichen Gefolgschaft versichern zu müssen, was teils groteske Formen annahm. Vertrauen, in einer wissensbasierten Gesellschaft unverzichtbar, wird nicht mehr den wirklichen Experten, sondern den Opponenten derselben entgegengebracht. Aufklärung geriet an Grenzen, wiewohl sie dadurch nicht in Frage gestellt wird. Nicht einmal die normative Kraft des Faktischen konnte eine Vielzahl Irregeleiteter überzeugen. Keine tausenden von Toten auf den Straßen, keine genmanipulierten Zombies in den U-Bahnen der Republik, keine offensichtliche Gedankenkontrollen durch verimpfte Chips von Gates, Soros und Co. – und gleichwohl …

Die post-postfaktischen Gruppen werden kleiner, aber auch lauter und radikaler, sie wenden sich längst beliebigen Themen zu und scheren sich gar nicht mehr um die verbrannte Erde, die sie woanders hinterlassen haben. Und zu diesem weiten Feld der verbrannten Erde gehören auch die Themenbereiche, deren wir uns in der Hoffnung auf künftig bessere Zeiten vor gut fünf Jahren angenommen hatten: die der Medizin und der Psychologie.

Scheinbar dagegen stehen Untersuchungen, die von einem unter der Pandemie gewachsenen Vertrauen in die Wissenschaft berichten – und der Ansicht vieler, dass die Politik sich stärker nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten auszurichten habe. Ich gestehe, dass meine (völlig unmaßgebliche) „persönliche Erfahrung“ konträr zu diesen Ergebnissen steht, aber ich bin nicht verblendet genug, um nicht zu wissen, dass dies auch der Innensicht meiner kritisch-skeptischen „Blase“ geschuldet sein mag.


Aber nehmen wir einmal diese vergleichsweise große Zustimmung zur „Wissenschaft“. Im September 2019, also vor Ausbruch der Pandemie, gaben 46 Prozent der Befragten an, sie hätten Vertrauen in die Wissenschaft. Kurz nach Beginn der Pandemie, im April 2020, zeigte das Barometer einen Wert von 73 Prozent. Der sank zwar bis November 2020 auf 61 Prozent ab, was aber immer noch mehr war als die Zustimmungsrate vor der Pandemie.

Gut und schön. Reine Zahlen allerdings, die vielleicht einer vorsichtigen Hinterfragung bedürfen. Denn was heißt schon „Zustimmung zur Wissenschaft“? Ist das wirklich durchweg mehr als ein Lippenbekenntnis? Sind die Menschen, die sich so äußern, überhaupt bereit und in der Lage, dies auch auf konkrete Fragen des eigenen Lebens, auf die Alltagserfahrung, in unserem Interessenbereich auf die Gesundheitskompetenz konkret anzuwenden? Was verstehen die Menschen überhaupt unter „der Wissenschaft“? Ich habe da schon so meine Zweifel aus etlichen Jahren mit vielen Diskussionen rund um dieses Thema.

Es gibt eine interessante Studie, die sich in erster Linie mit dem „Vertrauen“ befasst und die man bei der Bewertung dieser doch deutlich positiven Zustimmungswerte „pro Wissenschaft“ mit betrachten sollte. Die eben erwähnte Fragestellung, was die Menschen überhaupt unter „Wissenschaft“ verstehen, spielt hier stark hinein. Die Autoren kommen nämlich zu dem Ergebnis, dass „blindes“ Vertrauen in „die Wissenschaft“, ein unsicherer Boden sein kann. Sie zeigen auf, dass Vertrauen ohne eine gewisse Urteilsfähigkeit bzw. Kompetenz in der Sache wenig wert ist.

„Wer nichts weiß, muss alles glauben“, wussten schon die Science Busters. Und ja, „nur“ Vertrauen, das kann dazu führen, dass auch „offensichtlicher Quatsch“ als „Wissenschaft“ geglaubt und dieser Glaube sich selbst gegenüber mit „Vertrauen“ gerechtfertigt wird. Die Pandemie hat uns das vor Augen geführt – wie viele Leute setzen die Äußerungen von Leuten wie Wodarg, Bhakdi, Schiffmann mit „Wissenschaft“ gleich? Viele, sage ich mal. Dass Leute mit dem Ruf des Wissenschaftlers sich derart in den Wald der unbewiesenen Behauptungen verirren können, ist kein grundsätzlich neues Phänomen, aber eines, das in der Pandemie das Narrativ des „Vertrauens in die Wissenschaft“ schon einigermaßen verbiegt.

Die genannte Studie näherte sich dem Problem, indem die Forscher in vier getrennten Tests die Rezeption pseudowissenschaftlicher Botschaften (ein neues Virus sei als Biowaffe geschaffen worden, Verschwörungserzählungen zu Covid-19 und die angeblich nachgewiesene krebserregende Wirkung von genetisch veränderten Organismen) bei Personengruppen evaluierten, die grundsätzlich positiv, aber unterschiedlich differenziert zu Wissenschaft eingestellt waren.

Teilnehmer, bei denen ein eher allgemeines Vertrauen (!) in die Wissenschaft festgestellt wurde, akzeptierten falsche Behauptungen umso eher, wenn diese wissenschaftliche Referenzen enthielten und sich einer wissenschaftlichen Terminologie bedienten (die sogenannte Wissenschaftsmimikry). Wir sehen das Glatteis, auf das man sich mit dem Abfragen einer reinen „Zustimmung zur Wissenschaft“ begibt.

Zweitens macht es einen Unterschied, ob die kritische Haltung der Probanden sich recht konkret im Wissen um die Bedeutung einer kritischen Bewertung von Aussagen manifestierte – dies verringerte den „Glauben“ an falsche Behauptungen – oder eher in einem allgemeinen Vertrauen (!) in die Wissenschaft – dies führte interessanterweise keineswegs zu einer verminderten Akzeptanz von pseudowissenschaftlichen Behauptungen. Was eine Bestätigung des ersten, eher allgemeinen Ergebnisses darstellt.

In Summa konstatierten die Autoren, dass „Vertrauen in die Wissenschaft“ allein die Menschen geradezu anfällig für pseudowissenschaftliche Behauptungen machen kann. Es scheint bereits eine wissenschaftliche Terminologie oder eine lange Referenzliste auszureichen, um Menschen, die sich selbst für Anhänger der Wissenschaft halten, unkritisch werden zu lassen.


Eine der Mitautorinnen stellte in einem Interview zur Studie fest:

„Die Lösung für die Leugnung des Klimawandels, für irrationale Ängste vor Genfood oder für das Zögern beim Impfen ist nicht, Vertrauen in die Wissenschaft zu predigen. (Was auf einen reinen Appell im Sinne von „Trust me, I’m a scientist“ hinauslaufen würde.) Das Vertrauen in die Wissenschaft spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die wissenschaftliche Bildung zu verbessern und vertrauenswürdige von nicht vertrauenswürdigen Quellen zu unterscheiden. Vertrauen in die Wissenschaft behebt jedoch nicht alle Übel und kann zu Anfälligkeit für Pseudowissenschaft führen, wenn Vertrauen bedeutet, nicht kritisch zu sein.“

Und hier kommen nehmen mir die Autoren sozusagen die Worte aus dem Mund: sie sehen eine nachhaltigere Lösung zur Eindämmung von Fehlinformationen darin, so früh wie möglich wissenschaftliche Grundkompetenz („methodologische Kompetenz“) zu vermitteln. Also bereits in der Schule, und m.E. nicht erst in der gymnasialen Oberstufe: Was ist Wissenschaft? Was ist Wissenschaft nicht? Was für einen Anspruch stellt sie selbst an sich – und welchen nicht? Und später: was ist die wissenschaftliche Methodik und auf welchen Prämissen beruht sie? Was ist ihre Bedeutung für unser Leben? Was sind die Kriterien, an denen man aussagefähige wissenschaftliche Erkenntnisse identifiziert?

Bildung ist die Währung und das Menschheitskapital der Zukunft und vor allem das Lebenselixier demokratischer Strukturen auf humanistischem Boden. Es ist jämmerlich, welchen Stellenwert dieser einzigartige und herausragende Gesichtspunkt in der angeblichen „Bildungsrepublik Deutschland“ (Angela Merkel) einnimmt, ideell wie materiell. Musste auch mal gesagt werden.

Wir halten fest: Die Sache mit dem Vertrauen (der „Zustimmung“) ist ein wahrlich schlüpfriger Boden, solange sie nicht von kritisch-skeptischen Grundkompetenzen flankiert wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich mein – wie gesagt, unmaßgebliches – Bauchgefühl vielleicht noch einigermaßen mit dem Befund, immerhin die Mehrheit äußere „Zustimmung zur Wissenschaft“, in einen gewissen Einklang bringen.


Was ist die schlimmste Homöopathie?

ch will es euch verraten.

Lesekompetenz? Ein Problem für Tierhomöopathen …

Zuerst kommt die “Behandlung” von kranken Kindern  mit unwirksamen Zuckerkugeln.

Danach kommt, gesunde Kinder mit Globuli-Scheinmedizin vollzustopfen, ihnen damit die Möglichkeit zu rauben, ein gesundes Körpergefühl und ein Empfinden dafür zu entwickeln, wo Befindlichkeit aufhört und Krankheit beginnt und sie womöglich lebenslang auf den Griff zum Mittelchen “in allen Lebenslagen” zu konditionieren.

Als drittes kommt bei mir die Tierhomöopathie. Ihr merkt schon, welche Kriterien ich für das Ranking zugrunde lege: die der fehlenden Möglichkeit der Selbstbestimmung, dem Ausgeliefertsein an pseudomedizinische Verblendung.

Danach kommt noch so einiges mehr. Aber heute wenden wir ums einmal einem besonderen Aspekt der Tierhomöopathie, einem speziellen Auswuchs der Kategorie III, zu.

Tiermedizinische Behandlung im Recht der Europäischen Union

Die tiermedizinische Behandlung mit Arzneimitteln ist schon lange Gegenstand europarechtlicher Regelungen:

Für landwirtschaftliche Betriebe (die Produkte erzeugen, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind) regelte ursprünglich Ziff. 5.4 lit. a der EU-Verordnung 2092/91, dass homöopathische Erzeugnisse dann einer medizinischen Behandlung vorzuziehen sind,

sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirkung auf die betreffende Tierart und die zu behandelnde Krankheit haben.

Immerhin recht eindeutig. Im Zuge eines langwierigen Revisionsprozesses der “alten” EU-Bio-Verordnung wurde zunächst die sogenannte EU-Öko-Basisverordnung 834/2007 vom 28. 06. 2007 “über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen” erlassen.  Darin findet sich folgende Formulierung:

Tierarzneimittel einschließlich Antibiotika dürfen erforderlichenfalls unter strengen Bedingungen verwendet werden, wenn die Behandlung mit phytotherapeutischen, homöopathischen und anderen Erzeugnissen ungeeignet ist.

Die stärkere ideologische Einfärbung ist offensichtlich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Regelungsinhalt sich nicht geändert hat: nach wie vor ist Voraussetzung für den Einsatz von Homöopathika ihre reale Eignung. Was hier mit “anderen Erzeugnissen” gemeint sein mag, will ich lieber gar nicht wissen.

Die “neue” EU-Bio-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 889/2008) stellte ab dem 01.01.2009 die alte Regelung sprachlich sozusagen auf den Kopf, siehe  § 24 (2):

Phytotherapeutische und homöopathische Präparate, Spurenelemente und die Erzeugnisse gemäß Anhang V Teil 3 sowie Anhang VI Teil 1.1 sind gegenüber chemisch-synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln oder Antibiotika bevorzugt zu verwenden, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist.

Jetzt gehts aber richtig los! Sicher glaubt ihr mir, wenn ich versichere, dass die Formulierung “chemisch-synthetische allopathische Tierarzneimittel” in einer Rechtsquelle der EU mir mehrfachen Brechreiz verursacht. Was Spurenelemente hier verloren haben, mag das Geheimnis der EU-Bürokratie bleiben. Die Phytotherapie, der auch in diesem Zusammenhang mal wieder bitter Unrecht getan wird, lassen wir mal raus aus unseren Betrachtungen.

Die sich ständig steigernden Verrenkungen, dem Bemühen geschuldet, es den Öko-Fans nur ja recht zu machen, sind offensichtlich. Aber inhaltlich hat sich wiederum nichts geändert, man möge sich nicht blenden lassen!

Hinter allen Formulierungen steht eindeutig – bei allen sprachlichen Kratzfüßen vor den “natürlichen” Heilmitteln – die Absicht des Verordnungsgebers, die „Eignung“ von Homöopathie und Co. zur Behandlung erkrankter Tiere ex ante (also “im Vorhinein”, als zwingende Voraus-Setzung – man nehme diesen Begriff wörtlich!) von der “Gewährleistung” realer therapeutischer Wirkung abhängig zu machen. Offensichtlich waren sich zumindest einige der Verantwortlichen für die Verordnungstexte klar darüber, dass der Schutz von Tieren vor unwirksamen Behandlungen bewahrt werden musste.

Nun gut, trotz sprachlich auf den Kopf gestellter Logik kann man das als den Niederschlag eines überzogen ideologisch gefärbten  Natürlichkeitsverständnisses ansehen, letztlich zurückzuführen auf eine entsprechend wirkmächtige Lobby. Damit könnte man noch leben. Aber:

Wie mir mehrere VeterinärmedizinerInnen versicherten, sieht in Kreisen der Tiermedizin gelegentich die Anwendung dieser Vorschriften so aus, dass zu “chemisch-synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln einschließlich Antibiotika” – also nachgewiesen wirksamer Medizin – in der Praxis erst dann gegriffen wird, wenn eine Behandlung mit homöopathischen und/oder anthroposophischen Mitteln sich im Einzelfall als vergeblich erwiesen hat. Man legt also die Verordnungen dahin aus, dass es “Try and Error”-Behandlungen im konkreten Behandlungsfall überlassen bleiben soll, die gesetzliche Voraussetzung der “Eignung” von Homöopathie und Co. zu erweisen. Danach könne man ja dann -scheinbar gesetzeskonform – immer noch zu wirksamen Mittel greifen.

Ich konnte das erst kaum glauben, habe es aber mehrfach  bestätigt bekommen. Wer pseudomedizinisch verblendet ist, liest also auch Gesetzestexte im Zweifel so, wie es der vorgefassten Meinung entspricht. Keine Entschuldigung  ist, dass die Formulierung der Richtlinie beinahe dazu einlädt – wir reden hier von Menschen, die die Tiermedizin als Profession ausüben.

Denn dieses Vorgehen ist ein krasser Verstoß gegen Wortlaut und Intention der EU-Verordnungen, wie sie auch immer unwirksamen Mitteln in ihren euphemistischen Formulierungen das Wort reden mögen. Die “Eignung”  homöopathischer Mittel für eine tiermedizinische Behandlung ist klar als ex-ante-Voraussetzung (… gewährleistet IST), nicht als ex-post-Bedingung  geregelt. VOR jeder Behandlung muss also die “Eignung” von Homöopathika nach objektiven, belegbaren Maßstäben feststehen. Für einen “Versuch am lebenden Objekt” (eine “Anbehandlung” mit Homöopathika nach dem Motto: mal schauen, ob es wirkt), gibt KEINE der Formulierungen der Richtlinien Raum, weder aktuelle noch frühere. Alles andere wäre geradezu  ein Aberwitz. Rechtliche Regelungen müssen stets auf intersubjektiven Prämissen beruhen, sonst würden sie ihrem Zweck, nämlich der verbindlichen Regelung gleichartiger Umstände, nicht gerecht werden können. Darauf beruht ja auch die Annahme, dass es auch bei “unbestimmten Rechtsbegriffen” nur EINE richtige Anwendungsweise geben könne, weil ansonsten die Voraussetzung der Intersubjektivität gebrochen würde – Alltag für Juristen und Gegenstand der Grundvorlesung Verwaltungsrecht.

Das anders auszulegen, zeugt von einer erschreckenden Unkenntnis der Grundlagen der eigenen Profession und generell von einer voreingenommenen Denkweise, die mich schaudern lässt. Gesetze und Verordnungen regeln in den allerseltensten Fällen Einzelfälle (eigentlich nie) sondern beschreiben Tatbestände und ihre Voraussetzungen. Keine Art der Gesetzesauslegung  (weder die am Wortlaut orientierte noch die teleologische, die nach dem “Zweck” der Regel fragt) der EU-Verordnungen lässt hier eine andere Sichtweise auch nur denkbar  erscheinen. Einer Rechtsnorm zu unterschieben, sie regele die Möglichkeit, Tatbestandsvoraussetzungen  im Einzelfall und zudem ex ante (nachdem das Rind in den Brunnen gefallen ist) subjektiv festzustellen, ist eine Absurdität sondergleichen.

Conclusio: Die “Freiräume”, die die EU-Verordnungen der Anwendung von Homöopathika und Anthroposophika scheinbar einräumen, sind keine. Es sind inhaltsleere Formulierungen, letztlich (gefährliche) Zugeständnisse an eine unwissenschaftliche Denkweise, was aus der  schlichten Tatsache folgt, dass für keines dieser Mittel jemals ein auf wissenschaftlichen Grundsätzen beruhender valider Wirkungsnachweis erbracht wurde – und damit eben ex ante auch nicht vorhanden ist.

Fazit: Sofern es tatsächlich TiermedizinerInnen gibt, die glauben, die Eignungsvoraussetzungen für den Einsatz von Homöopathika und Anthroposophika im “Tierversuch” ex post feststellen zu dürfen, bewegen sich diese nicht nur auf dünnem Eis. Sie sind bereits eingebrochen – und verletzen geltendes Recht. Die Konsequenzen zu bewerten, ist nicht mein Geschäft. Es sollte der Hinweis reichen, dass auch die EU-Verordnungen unmittelbar tierschützenden Charakter haben und somit eine tatsächliche und rechtliche Verbindung zum  deutschen Tierschutzrecht besteht.

Ich kanns immer noch nicht glauben…

Und vielleicht stimmt ihr mir darin zu, dass das Ranking der schlimmsten Homöopathie-Anwendungen vielleicht noch weiter differenziert werden muss.


Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heilpraktikerleistungen in der Beihilfe? – Laut GEW Hamburg unverzichtbar!

Heilkohle.

Hamburg, durchaus ein Vorreiter bei Reformen im öffentlichen Dienstrecht, beabsichtigt, Heilpraktikerleistungen aus der Beihilfefähigkeit für Beamte herauszunehmen. Ungefähr seit 300 Jahren überfällig, würde ich sagen.

Die Beihilfe ergänzt in unterschiedlichem Umfang – je nach Familienstand – die private Krankenversicherung – oder auch umgekehrt, wie mans nimmt. Ein mit Vor- und Nachteilen verbundenes System, je nach Sichtweise und Situation.  Dass sich das eine oder andere, was sich für Außenstehende nach “Privileg” anfühlt, ganz schnell wieder relativiert – siehe weiter unten – kennt wohl jeder Beihilfeberechtigte, zu denen auch der Autor gehört. Der im Übrigen das Hamburger Modell einer Wahlfreiheit von Beamten zwischen Beihilfe-/PKV-Modell und Wechsel in die GKV (ggfl. plus Zusatzversicherung) für höchst begrüßenswert hält und auch dem Gedanken einer Bürgerversicherung nicht unbedingt abgeneigt ist.

Ein garantiert überflüssiges “Privileg” ist aber seit jeher die Erstattungsfähigkeit von Heilpraktikerleistungen und Homöopathie. Die HP-Leistungen sind natürlich ein gravierender Unterschied zur gesetzlichen KV (die aber diese nur deshalb nicht anbietet, weil sie befürchtet, dass dann alle Dämme des Anspruchsdenkens brächen, GKV-Kassen könnten das nach der derzeitigen Rechtslage nämlich durchaus im Rahmen von Satzungsleistungen!). Aber die  Erstattung von HP-Leistungen im Rahmen der Beihilfe ist eben auch nicht mehr und nicht weniger als herausgeschmissenes Steuerzahler-Geld. Das sei klar gesagt.

Und was geschieht in Hamburg? Die örtliche Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ruft zu einer Unterschriftenaktion GEGEN die Streichung der HP-Leistungen auf… Offenbar ein Reflex aus Grundsatzopposition. Denn würde die GEW mal drüber nachdenken, käme sie auch auf die Idee, dass diese Forderung dem Gros der Beihilfeberechtigten wohl eher nicht zugute käme.

Warum?

Nun, jeder Beihilfeberechtigte wird einmal im Jahr per Zwangseinbehalt bei einer Erstattung mit einem “Kostendämpfungsbeitrag” zur Kasse gebeten, der mehrere 100 Euro betragen kann. Längere Krankenhausaufenthalte kosten ab dem Tag x Euro Zuzahlungen, die sich ordentlich summieren können. Und was es da im Detail noch so an Restriktionen gibt, die jede Zuzahlung beim durchschnittlichen GKV-Patienten deutlich übersteigen dürften.

Angesichts dessen ist es doch wohl kaum im allgemeinen solidarischen Interesse, einer bestimmten Klientel die HP-Wohlfühlsitzungen (im günstigsten Falle) aus Steuermitteln zu honorieren, so lange die Beihilfeleistungen an allen möglichen Stellen zu Lasten aller rationiert bis direkt gekürzt werden. Vertritt man wirklich das Allgemeininteresse seiner Klientel, müsste man den Hamburger Plänen nicht nur Beifall zollen, sondern auch noch die Homöopathie obendrauf packen – und gleichzeitig fordern, dass sich das aber bitte mal in der Höhe der “Kostendämpfungspauschale” für alle bemerkbar machen müsste. Das wäre a) sinnvoll und b) solidarisch! Stattdessen macht sich die GEW zum Anwalt – nicht des wohlverstandenen Interesses ihrer Mitglieder, sondern der Heilpraktikerlobby, die gerade aus dem Bereich der Beihilfeberechtigten, möglicherweise explizit aus dem Bereich der Lehrerschaft, sicherlich einiges an Klientel rekrutiert. Dass diese Klientel das für ihr “gutes Recht” halten mag, geschenkt, das bedarf nicht nur hier keiner Diskussion. Letztlich lässt sich die Aktion der GEW Hamburg durchaus mit Minister Spahns “so okay” zu zweistelligen Millionenbeträgen an GKV-Leistungen für Homöopathie vergleichen. Insofern, als Hüter des Allgemeininteresses sich zum Sprecher von – sinnbefreiten – Partikularinteressen machen.

Denn die Heilpraktikerlobby weiß natürlich genau, dass so eine Regelung wie in Hamburg mit einiger Sicherheit zu Umsatzeinbrüchen führen wird. Zahlen sind mir leider nicht bekannt, aber:


Arrow, Kenneth (1963): „Uncertainty and the Welfare Economics of Medical Care“, (American Economic Review, 53(5): 941 – 973), eines der Basic Papers der Gesundheitsökonomie, befasst sich mit der Frage, wie sich das individuelle Verhalten durch eine Versicherung verändert. Arrow, Mathematiker, Ökonom, Nobelpreisträger und US-Amerikaner, befürwortet generell eine soziale Absicherung gegen den Krankheitsfall. Er machte aber geltend, dass eine Absicherung im Krankheitsfall immer auch Einfluss auf das Verhalten der so Abgesicherten haben werde. Durch die Möglichkeit, Kosten für Gesundheitsleistungen auf die Allgemeinheit abzuwälzen, verändert sich das individuelle Verhalten: Der Versicherte nimmt Leistungen in Anspruch, die er nicht in Anspruch nehmen würde, wenn er selbst zahlen müsste. Nicht weil er es sich sonst nicht leisten könnte, sondern weil diese Maßnahmen es ihm sonst nicht wert wären: Der erwartete individuelle Nutzen ist zu gering, um für den Einzelnen die Kosten zu rechtfertigen. Die GKV-Kassen wissen das genau – deshalb – siehe oben – erstatten sie zwar als Marketingmaßnahme ärztliche Homöopathie, hüten sich aber, die Dämme bei Heilpraktikerleistungen brechen zu lassen.

Wir wissen inzwischen, dass dies schon auf einer sehr niedrigen Reizschwelle Auswirkungen hat. Denken wir nur an die vierteljährliche Zuzahlung in der Arztpraxis (Inkasso für die Krankenkassen) nicht weit zurückliegender Zeiten. Wo dabei eine unentwirrbare Gemengelage durch einen falschen ökonomischen Anreiz entstand, aber der Kern dieses Anreizes war ganz offen, die Leute von Arztbesuchen “zum Zeitvertreib” abzuhalten.

Genau die von Arrow beschriebenen Folgen werden mit einiger Sicherheit eintreten, fallen Erstattungen für HP-Leistungen (und anderes) weg. Vielen wird der Kostenaufwand für die Wellness-Therapie (nochmal: im günstigsten Falle) ohne das Zuckerbrot einer zumindest anteiligen Beihilfeerstattung die Sache nicht mehr wert sein. Genau das wird die Sorge der Heilpraktiker sein (die mit Schrecken daran denken werden, dass das Hamburger Beispiel bundesweit Schule machen könnte). Und GENAU DAS ist – neben der sachlichen Unvertretbarkeit – auch DAS Argument FÜR eine Streichung der HP-Leistungen (et al.) aus dem Katalog der beihilfefähigen Aufwendungen.

Und, liebe GEW Hamburg, damit auch ein Argument FÜR ein überlegtes solidarisches Eintreten im Sinne berechtigter Interessen der (aller) Beschäftigten und nicht für eine kurzsichtige Klientelpolitik, die zudem Dritten in die Hände spielt.


Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

Der Gesetzgeber und die Anklagebank in Krefeld

I.

Das Urteil im Krefelder Landgerichtsprozess gegen den Heilpraktiker Klaus R. aus Brüggen-Bracht ist gesprochen. Das Gericht befand ihn der fahrlässigen Tötung schuldig und verhängte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dies ist nach der Beweiswürdigung und unter den Regeln der Strafzumessung korrekt und entspricht bei Ersttätern einer solchen Straftat (wie beispielsweise auch für Verursacher schuldhafter Autounfälle mit Todesfolgen) gefestigter Rechtsprechung. Insofern habe ich keine Kritik am Schuldspruch und an der Strafzumessung zu üben.

Der Prozessführung durch das Gericht ist, soweit man sie der Berichterstattung entnehmen kann, Anerkennung auszusprechen (ich stütze mich hier auf Claudia Rubys exzellente Berichte auf MedWatch). Das Gericht war sich offensichtlich der Implikationen des Falles, die über die reine individuelle Tatfeststellung und Strafzumessung hinausgehen, durchaus bewusst.

Und diese Implikationen sollen hier auch noch Gegenstand einer kurzen Betrachtung sein, die an die inzwischen recht zahlreichen Artikel zum Heilpraktikerthema auf diesem Blog anknüpfen. Dabei gehe ich – anders als noch vor einiger Zeit – davon aus, dass seitens der Politik eine wirkliche Reform der Heilpraktikerproblematik wieder auf Eis gelegt wurde.

Das Gericht konnte einen konkreten Tatvorwurf nur an den Umstand knüpfen, dass R. die Bemessung / Dosierung des experimentellen Mittelns 3-Bromopyrovat (3-BP) mittels einer ungeeigneten Waage und ohne angemessenes Problembewusstsein für die Gefährlichkeit einer falschen Dosierung vorgenommen hatte. Der Tod der drei Patienten wurde auch – was in solchen Verfahren keineswegs selbstverständlich ist – von den Gutachtern als unmittelbare Folge der falschen Applizierung des Mittels eingestuft. Nicht Gegenstand des Urteils war, dass R. hier zu einem Mittel griff, das weder als Arzneimittel zugelassen ist noch zu dem wissenschaftlich fundierte Anwendungsrichtlinien bestehen. Er hantierte hier also mit einem Mittel, dessen Anwendung einem niedergelassenen Arzt verwehrt, einem klinischen Arzt nur unter strengsten Auflagen nach Freigabe durch die zuständige Ethikkommission unter sorgfältigster Protokollierung von Vorbereitung und Durchführung der Anwendung erlaubt wäre.

Ob damit ein Verstoß gegen Rechtsnormen für die Heilpraktikertätigkeit vorlag, war während des gesamten Prozesses auch in der Fachwelt strittig. Und tatsächlich hat das Gericht aus der reinen Anwendung des Mittels keine strafrechtliche Relevanz abgeleitet. Auch der Umstand, dass R. die Herstellung der Fertigarznei aus dem 3BP entgegen den Bestimmungen der Aufsichtsbehörde nicht angezeigt hat, dürfte marginal, vermutlich nicht einmal per Strafgesetzbuch zu ahnden gewesen sein.

Irgendeine grundsätzliche Kompetenzüberschreitung konnte das Gericht hier also nicht feststellen. Weil der Rechtsrahmen für Heilpraktiker eine solche nicht hergibt. Schon früh zeichnete sich demgemäß im Prozess ab, dass der strafrechtlich relevante Kernvorwurf sich auf die Sache mit der Waage kaprizieren würde, was sich bestätigt hat. Jedoch:

Empfindet irgendjemand diese Groteske mit der Waage als den entscheidenden Punkt in dieser Sache? Doch wohl nicht!
Aber mehr war vor Gericht nicht „drin“. Und das heißt im Umkehrschluss: Das, was jeder redlich Denkende hier als den Kern der Sache empfindet, nämlich dass jemand völlig außerhalb seiner Kompetenz und offenbar auch seiner Fähigkeit zur Selbstkritik in Gesundheitsfragen agiert und Menschen zu Tode bringt, ist rechtlich nicht angreifbar!

Eben daraus ergibt sich, dass es der Gesetzgeber offenbar willentlich und wissentlich zulässt, dass Menschen weit außerhalb ihrer Kompetenz und ihres Einsichtsvermögens im Bereich der Gesundheit anderer tätig werden. Denn DAS ist der Punkt, um den es im Grunde bei dem Krefelder Verfahren ging. Aber der ist als solcher nicht justiziabel – q.e.d.

Nebenbei sei angemerkt, dass die Konsequenz, die der Gesetzgeber aus dem Vorfall zog, sich darauf beschränkt, dass nunmehr für die eigene Herstellung verschreibungspflichtiger Mittel durch Heilpraktiker die bisherige Anzeige- durch eine Genehmigungspflicht ersetzt wurde.

II.

Ich will mir hier aus zweiter Hand kein abschließendes Urteil erlauben. Aber es sei die Anmerkung gestattet, dass der Angeklagte doch wohl objektiv weit außerhalb seiner Kompetenz und seiner Urteilsfähigkeit agiert hat. Zweifellos ist sein Bedauern, das er den Angehörigen der Verstorbenen ausgedrückt hat, redlich und ehrlich gemeint. Aber hat er Einsicht in die Einordnung seines Handelns über den reinen strafrechtlichen Vorwurf hinaus?

Hier ist die Frage berechtigt: Ist nicht in gewisser Weise auch Klaus R. dem Irrsinn zum Opfer gefallen, dass der Staat mit seinem Prädikat des Heilpraktikers nicht nur dem Patienten, sondern auch dem Therapeuten Kompetenz suggeriert, wo es keine gibt? Vieles aus dem Prozessverlauf deutet darauf hin, dass Klaus R. in die Blase einer Scheinkompetenz hineingewachsen ist, an deren Anfang die amtliche Zulassung als Heilpraktiker stand. Und da ist er mit Sicherheit nicht der einzige – das Problem ist systemisch.

Ceterum censeo: Der Staat trägt hier ganz unmittelbare Mitschuld. Und keine geringe.

III.

Einer der Gründe, weshalb 1939 das Heilpraktikergesetz als “Auslaufgesetz” mit dem Ziel herauskam, den Ärztevorbehalt zu verwirklichen, war die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts. Das hatte nämlich den Rechtsgrundsatz entwickelt, je weniger ein “Heiler” wisse und je weniger er “einsichtsfähig” sei, desto weniger sei ihm strafrechtlich ein Vorwurf zu machen. Man kann heute noch in den Reichsgerichts-Entscheidungssammlungen nachlesen, in welchem Maße damals Prozesse gegen Laienheiler geführt wurden und in welchem Maße es nach diesem Grundsatz zu Freisprüchen kam. Man wollte dem ein Ende machen.

Der Leitsatz aus der Entscheidung RSt. Bd. 67, 20 (sog. „Diphteriefall“) lautete:
“Doch kann von einem nichtärztlichen Heilbehandler nicht dasselbe Maß von allgemeiner Ausbildung und Fortbildung erwartet werden, wie vom approbierten Arzt, es bedarf auch hier der Prüfung, ob und wie weit der Heilkundige nach seinen persönlichen Verhältnissen und Erkenntnis zur Erfüllung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und zur Erkenntnis der ursächlichen Bedeutung seines Verhaltens imstande war.”

Heute bekommen wir demonstriert, dass wir wieder in exakt der gleichen Situation sind.

IV.

Nochmals sei in aller Deutlichkeit betont, dass das Bild vom eigenverantwortlichen mündigen Patienten ein Trugbild ist, das zur Selbstberuhigung einer untätigen Politik dient. Exemplarisch zeigen dies auch die Prozessberichte bei MedWatch. Insofern ist es geradezu zynisch, die Unantastbarkeit des Heilpraktikerwesens mit dem Argument einer Wahrung der Patientenautonomie zu begründen. Niemand bestreitet einem Patienten das Recht, selbst über die Art und Weise seiner Behandlung oder auch eine Nichtbehandlung zu bestimmen. Diese Patientenautonomie ist wohl das höchste Gut, das in der Entwicklung der Medizin der letzten 30 Jahre erreicht worden ist. Das hindert den Staat aber eben gerade nicht, Schutzpflichten wahrzunehmen, wie er es in gegenüber Gesundheitsfragen vergleichsweise marginalen Dingen doch ständig tut.

Im Gegenteil. Der Staat selbst wirkt derzeit ganz wesentlich daran mit, dass das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zum Opfer von mangelnder Kompetenz und leider auch Unlauterkeit und die Patientenautonomie zur Sackgasse wird.

Was heißt das in Bezug auf unser Ausgangsthema, den Krefelder Prozess?

Wir haben gesehen, dass es nicht generell justiziabel ist, dass Klaus R. Dinge angefasst hat, die objektiv außerhalb seiner Kompetenz und seines Verständnisses liegen, gleichwohl offenbar innerhalb seines Selbstbildes keinen Zweifeln unterlagen.

Ich halte das gleichwohl für vorwerfbar. Aber auf einer grundsätzlicheren Ebene als der einer falsch benutzten Waage. Und diese Ebene ist die des Gesetzgebers, der dies nicht nur zulässt, sondern noch mit einer Art staatlichem Gütesiegel befördert. Deshalb saß eben dieser Gesetzgeber in Krefeld mit auf der Anklagebank.


Bild von Hermann Traub auf Pixabay

Ein Einzelfall! – Ein Einzelfall?

Mal wieder hat ein Presseorgan der Heilpraktikerszene Gelegenheit zur Selbstdarstellung in einem redaktionellen Beitrag gegeben. Zugegeben, als “ausgewogene” Replik zu einer kürzlich am gleichen Ort erschienenen Kritik.

Ein Verbandsvertreter kam zu Wort, mit der Attitüde der “besseren Medizin” und des guten (besseren?), empathischen Heilkünstlers, selbstverständlich. Dementsprechend auch mit den üblichen Whataboutisms und den Vorwürfen gegen die Ärzteschaft, es gehe ihr bei der Kritik an den HP nur um die Sicherung eigener Pfründe, ja, es sei eine “Hexenjagd” zu konstatieren. Nun, dazu braucht man nichts mehr zu sagen, die Würdigung dieser immer wiederkehrenden, “sachbezogenen” Sprechblasen findet sich z.B. hierhier und hier.

In dem Zusammenhang wurde der selbst praktizierende Verbandsobere mit der Bemerkung zitiert, er sei kein Guru, sei der Schulmedizin (sic!) verbunden und habe keine esoterische Ader.

Nun, wollen wir mal sehen.

Die Praxishomepage des Herrn offenbart uns sein Angebotsspektrum, zunächst eine Auslese aus den Diagnostiken:

– allgemeine, sowie klassische homöopathische Anamnese
– körperliche Untersuchung incl. Osteopathie / Chiropraktik
– Antlitzdiagnose
– chin. Zungendiagnostik und Pulsdiagnose
– Segment und Reflexzonendiagnose
– I-health Akupunktur-Meridiandiagnostik
– Irisdiagnostik Computergestützt
– Elektroakupunktur nach Voll
– Dunkelfelddiagnostik nach Enderlein (Blutdiagnostik)

Der Vollständigkeit halber aus dem Therapieangebot:

– Chiropraktik
– Osteopathie
– Homöopathie
– ausleitende Verfahren Schröpfen, Baunscheidtieren, Blutegel
– Ozontherapie
– Sauerstoffmehrschrittherapie
– Akupunktur/Akuinjektion Ohrakupunktur
– Darmsanierung
– Neuraltherapie Behandlung akuter und chronischer Schmerzen und Funktionsstörungen mit Procaininjektionen
– Colon-Hydro-Therapie
– SCENAR Therapie (Regulationstherapie des körpereigenen Energie- und Nervensystems)
– V-sonic Vital-Wellen-Therapie (Schmerztherapie)
– Magnetfeldtherapie
– ihealth Therapie
– Leber- und Gallenblasenreinigung nach Andreas Moritz

Das ist ein Berg von Unsinn ohne jeden Benefit für den Patienten (außer dem Gefühl, ihm sei etwas ganz Tolles widerfahren). Eine größere kognitive Dissonanz zwischen diesen evidenzbefreiten Angeboten und der Beteuerung, man sei ü-ber-haupt nicht esoterikgeneigt und der Schulmedizin verbunden, geht kaum.

Mir geht es aber gar nicht um eine Kritik oder Erörterung all dieser Unsinnigkeiten (die sich so oder ähnlich auf unzähligen Heilpraktiker-Webseiten wiederfinden, ruhig mal ausprobieren). Mir geht es ein weiteres Mal darum, einen Blick auf das Selbstbild von Heilpraktikern zu werfen. Klar, ein Einzelfall, aber nach meiner Erfahrung eben auch nicht. Und hier präsentiert sich der Herr ja als Repräsentant der Szene, als Verbandsvertreter, der sich in dieser Rolle über einen kritischen Artikel empört, der kurz zuvor im gleichen Blatt zum Thema erschienen war. Da muss er sich schon mal gefallen lassen, als Teil für das Ganze zu stehen (wie ich ansonsten zur Evidenz von Einzelfällen stehe, dürfte ja kein Geheimnis sein).

Hier tritt jemand mit dem Aplomb auf, seine “gute Sache” zu verteidigen – und merkt nicht einmal, dass er das Urteil in dieser Sache gleich selbst spricht. Eine Dokumentation von “Parallelmedizin” par excellence. Und, worauf es ankommt: Der potenzielle oder gar bereits vorhandene Patient hat praktisch keine Möglichkeit, das System unsinniger Parallelmedizin hinter all diesen Euphemismen und Überheblichkeiten, hinter dem falschen Selbstbild und dessen Präsentation zu erkennen. Und ceterum censeo: Der Patient hat im Grunde auch gar keinen Anlass dazu, weil es ja hier nicht um einen Jahrmarkt-Scharlatan, sondern um einen “Ausübenden der Heilkunde” geht, der gesetzlich dazu privilegiert ist und einen – zweifellos seinem eigenen Selbstbild entsprechenden – seriösen Eindruck vermittelt.

Die Diskrepanzen sind offensichtlich. Sie wirken in das verzerrte und überhöhte Selbstbild sich selbst für völlig seriös und teils sogar für überlegen haltenden Heilpraktiker ebenso hinein wie in die Wahrnehmung der Patientenschaft. Um dies zu verdeutlichen, habe ich mir hier einmal eine “Einzelfallbetrachtung” erlaubt. Ich bin mir sehr sicher, dass er für wesentliche Teile des Ganzen steht.

Seitdem das Münsteraner Memorandum Heilpraktiker erschienen ist, haben die Heilpraktiker nur eines getan: Belege dafür geliefert, dass ihnen das Memorandum mit dem Vorschlag des “Fachheilpraktikers” vermutlich viel zu weit entgegengekommen ist. Sie sägen laufend an ihren eigenen Stühlen. Ceterum censeo: Der Heilpraktikerstatus gehört abgeschafft.


PS Dieser exzellente rechtshistorische Beitrag auf Legal Tribune Online verdeutlicht präzise und unter Vermeidung immer wieder zu hörender Fehldeutungen die Geschichte des Heilpraktikergesetzes und der Entwicklung der Causa in der Bundesrepublik. Noch Fragen?


Bildnachweis: by silviarita on Pixabay

Deklaration *) Homöopathie” – wirklich eine Gegenposition?

Eine Reihe von Personen, größtenteils mit akademischer Reputation, zusammen mit verschiedenen Institutionen, verbunden durch vitales Interesse an der Homöopathie, haben unter der Federführung von Prof. P.F. Matthiessen eine “Deklaration Homöopathie 2019” veröffentlicht (erschienen zuerst in der “Zeitschrift für Onkologie” dort noch als “Stellungnahme”, nun auch, betitelt als “Deklaration”, auf der Webseite des Zentralvereins homöopathischer Ärzte).

Kurz gesagt, beinhaltet dieses Papier, das seltsamerweise trotz seiner deutlich offensiven Grundhaltung von der “Ärztezeitung” als “Beitrag zur Deeskalation” (der Debatte um Homöopathie) gedeutet wird, drei Aspekte:

  • Erstens die Behauptung, die Homöopathie sei evidenzbasiert belegt,
  • zweitens den Versuch, eine Erweiterung oder gar Änderung (“Paradigmenwechsel”) des gültigen Wissenschaftsbegriffs (der kritisch-rationalen Methode) unter der Flagge eines “Wissenschaftspluralismus” einzufordern und
  • drittens, dabei auf den Wissenschaftsfreiheitsbegriff des Grundgesetzes zu rekurrieren und eine angebliche “Verengung” des Wissenschaftsbegriffs auf das, was die Epistemologie als “gültige Erkenntnis” beschreibt (nämlich die Übereinstimmung mit den Tatsachen, die Korrespondenztheorie) zum politischen, ja gesellschaftlichen Skandalon zu erklären und daraus den Vorwurf gegen die Kritiker der Homöopathie abzuleiten, diese seien auf dem Wege zu freiheitsbeschränkenden, ja totalitäten Zielen. Deeskalation?

Nicht zum ersten Male werden derartige Gedankenkonstruktionen an die Öffentlichkeit getragen. Auf diesem Blog ist eine solche vor fast genau einem Jahr erschienene Veröffentlichung schon Gegenstand deutlicher Gegenkritik gewesen, siehe hier. Die Thesen zum umdefinierten Wissenschaftsbegriff, um den “Paradigmenwechsel” gar unter Berufung auf Thomas S. Kuhn, wurden noch früher schon im Zusammenhang mit dem großen Interview mit Dr. Jens Behnke auf heilpraxisnet.de erörtert, siehe hier.

Nichts Neues im Westen, möchte man sagen. Aber die Attacken und die Schärfe in der aktuellen „Deklaration“ befremden inzwischen nicht weniger als die damit offenbar verfolgte Absicht, der Homöopathiekritik eine massive Gegenoffensive entgegen zu setzen. Natürlich mit der Absicht, hier einen Öffentlichkeits- und Autoritätsbonus einfahren zu können.

Das Informationsnetzwerk Homöopathie, dem ich mich – kein Geheimnis – zurechnen darf, hat hierzu eine Stellungnahme veröffentlicht, die sich auf den Kern der Sache beschränkt und die ich hier im Wortlaut wiedergebe:

„Eine Deklaration, eine Deklaration!“ (frei nach Loriot)

Eine Deklaration ist üblicherweise ein wichtiges Stück Papier in dem die Verfasser grundlegende Dinge festhalten. Man denke an die Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen oder an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung („Declaration of Independence“). So viel vorweg: Für die im Februar 2019 vom Vorsitzenden des Sprecherkreises des Dialogforums veröffentlichte Homöopathie-Deklaration [1] wirkt dieser Titel etwas anmaßend.

Da haben sich eine Reihe namhafter Personen, bisweilen mit klingendem akademischem Titel, sowie eine Reihe von Verbänden zusammengetan, um ihre Pfründe zu verteidigen, derer sie verlustig gehen könnten, wenn sich die Sichtweise der Homöopathiekritiker in der Politik und in der Öffentlichkeit weiter durchsetzen würde. Insofern ist diese Reaktion verständlich.

Man kann seinen Kritikern sicher Ignoranz oder bewusste Stimmungsmache vorwerfen und ihnen fehlende Seriosität unterstellen indem sie eine angebliche reale Datenlage unterdrücken. Nur sollte man dies dann auch untermauern können, sonst wirkt so etwas eher wie das Pfeifen im nächtlichen Wald, eher darauf abzielend, sich selbst und seinen Anhängern Mut zu machen anstatt den Leser von der Stichhaltigkeit der Argumentation zu überzeugen.

Eigentlich, wenn die Homöopathie eine über Placebo hinaus wirksame Therapie wäre, der konventionellen Medizin ebenbürtig oder gar überlegen, könnte Matthiessen doch sehr einfach argumentieren: Seht her, hier ist die unzweideutige Evidenz, dass die Homöopathie unter diesen oder jenen Bedingungen bei dieser oder jener Indikation einen unbezweifelbaren Nutzen aufweist. Darauf kann er nicht verweisen, weil solche Belege nicht existieren. Stattdessen muss er sich darauf verlegen, Schwachstellen in der Argumentation der Kritiker zu suchen, was ihm sichtlich schwerfällt.

Eine akribische Analyse der publizierten Evidenz lieferte in den nunmehr 10 vorliegenden systematischen Reviews eben nicht, dass die therapeutische Wirksamkeit durch qualitativ hochwertige Studien wohlbegründet sei, auch wenn der Autor dies wie viele seiner Kollegen immer wieder beschwört. Selbst der Homöopathie nahestehende Forscher wie Robert T. Mathie vom englischen Homeopathy Research Institute fanden von den bislang 118 untersuchten klinischen Studien ganze zwei, die als „low risk of bias“, also als hochwertig eingestuft werden konnten [2 bis 4]. Die von den Autoren der vorliegenden Reviews selbst gelieferten zusammenfassenden Schlussfolgerungen sprechen deutlich gegen alle Versuche, die Tatsache des Scheiterns von Evidenznachweisen pro Homöopathie abzuleugnen oder schönzureden.

Auch eine gebetsmühlenartige Wiederholung immer der gleichen Argumente macht sie nicht wahrer:

  • Nein, die Einführung der Komplementärmedizin in den Leistungskatalog der Schweizer Gesundheitsversorgung erfolgte eben nicht aufgrund einer gründlichen Evaluation, sondern aufgrund eines Volksentscheids, wobei ausdrücklich betont wird, dass der Nutzen besonders der Homöopathie nicht nachgewiesen werden könne [5].
  • Hahn hat völlig Recht, man muss 90 % der Studien ausschließen, um zum wahren Sachverhalt vorzudringen, nämlich die Studien, die infolge unzureichender Qualität wahrscheinlich einen Effekt überzeichnen. Das sind, siehe Mathie, sogar weit über 90 % der Studien [6].
  • Wenn man schon auf der oftmals zitierten Behauptung herumreitet, bei der großen NHMRC-Studie seien alle Studien unter 150 Teilnehmern nicht berücksichtigt worden, müsste es doch ein Leichtes sein, eine Indikation aufzuzeigen, bei der sich ein anderes Ergebnis gezeigt hätte, wenn man anders vorgegangen wäre [7]. Dies wird aber sicher nicht geschehen, denn auch Mathie, dem niemand ein Fehlverhalten vorwirft, kommt in seinen Reviews im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis: Berücksichtigt man die miserable Qualität der Studien – zu einem Drittel sind das sogar nur Pilotstudien – dann ist die Evidenz für die Homöopathie nicht belastbar.

Nun, stattdessen kann man sich auf die Freiheit von Forschung und Wissenschaft im Grundgesetz berufen, man kann eine „vollorchestrierte Gesundheitsversorgung“ fordern – was immer das auch sein soll. Und nein, es kann nicht angehen, den international anerkannten Wissenschaftsbegriff, beruhend auf der kritisch-rationalen Methode, mit der Einführung eines „Wissenschaftspluralismus“ für Beliebigkeiten zu öffnen. Welchen Nutzen das Gesundheitssystem daraus ziehen soll, dass unwirksame Therapien integriert werden, das bleibt wohl das Geheimnis der Autoren dieses Papiers, das wohl deshalb „Deklaration“ heißt, um über den dürftigen Inhalt hinwegzutäuschen.


Literatur:

[1] Matthiessen PF.: Homöopathie-Deklaration: Professoren und Ärztegesellschaften unterstreichen die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie – und kritisieren einseitige Darstellungen; Erstveröffentlichung Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018;50:172-177; Link: https://www.homoeopathie-online.info/homoeopathie-deklaration-2019/, abgerufen 11.02.2019

[2]  Mathie RT, Lloyd SM, Legg LA et al.: ”Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis”, Systematic Reviews 2014;3:142

[3]  Mathie RT, Ramparsad N, Legg LA et al.: ”Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis”, Systematic Reviews 2017;6:663

[4] Mathie RT, Ulbrich-Zürni S, Viksveen P et al.: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled Trials of Individualised Homeopathic Treatment; Homeopathy (2018) 107;229-243

[5] Hehli S: Die Schweiz ist ein Eldorado für deutsche Globuli-Fans; Neue Züricher Zeitung vom 23.05.2018

[6] Hahn RG: ”Homeopathy: Meta-Analyses of Pooled Clinical Data”,Forsch Komplementärmed(2013);20:376-381

[7]  National Health and Medical Research Council. 2015. ”NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions”, Canberra: NHMRC;2015


https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/standpunkte/303-homoeopathie-deklaration-2019-das-inh-nimmt-stellung

Soweit das INH. Mehr als nur einen Hinweis in diesem Zusammenhang verdient außerdem der Beitrag von Joseph Kuhn bei den Scienceblogs, der unter dem Titel “Jura in Kürze – Wissenschaftsfreiheit und Homöopathie: Methodisch evident Unvertretbares” konstatiert:

“Das Argument des Wissenschaftspluralismus ist in diesem Zusammenhang junk epistemology.”

Eine pointierte Positionsbestimmung zum Thema findet sich zudem bei DocCheck

Auch der Münsteraner Kreis hat auf die „Deklaration reagiert.


Auf Hintergründe und Historie des Begriffs “Wissenschaftspluralismus” werde ich wohl über kurz oder lang in einem besonderen Beitrag noch einmal eingehen müssen. Zudem bedarf es zweifellos auch noch einiger Ausführungen dazu, dass sich die Vertreter der CAM zunehmend bemüßigt fühlen, den Begriff der “Evidenz” in das System ihrer Behauptungen zu integrieren – dies scheint mir von besonderer Wichtigkeit.

Es sei nur die – zugegeben rhetorische – Frage gestellt, wie die von Matthiessen et al. gewünschte pluralistische Öffnung mit diesem Statement hier vereinbar sein soll – oder ob sie nicht geradezu dem ins Gesicht schlägt:

„Es wird übrigens für die Wissenschaften eine immer massivere Herausforderung, überzeugend die Grenze zu Nichtwissenschaft oder auch zu Pseudowissenschaft zu ziehen. Diese Frage gehört zu denjenigen, die mich am allermeisten interessieren.“ – Prof. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, im WELT-Interview am 16.03.2014.

Ein kleiner Ratschlag zum Schluss für die so aktive homöopathische Gemeinde:

“Do not try to explain something until you are sure there is something to be explained.”
Ray Hyman, Psychologieprofessor, Kognitionsforscher und erster Deuter des “cold reading”.


*) Eine Fußnote – na, sagen wir ein Erratum – bin ich noch schuldig.

Herr Professor Matthiessen macht in seiner Antwort auf die Stellungnahme des INH darauf aufmerksam, dass der Originalartikel in der Deutschen Zeitschrift für Onkologie nicht als “Deklaration”, sondern als eine “Stellungnahme” erschienen ist. Die Bezeichnung als “Deklaration” ist offenbar eine Ergänzung des DZVhÄ, der den Artikel über seine Vereinswebseite einem weiten Publikum zugänglich macht. Ich bitte daher – auch für das INH – um Nachsicht für die Benutzung einer offenbar nicht adäquaten Sekundärquelle, in diesem Falle der Webseite des Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Dass sich hierdurch sachinhaltlich nichts Anderes ergibt, ist selbstredend.

Ansonsten reduziert sich die Antwort von Prof. Matthiessen auf die wenig pluralistisch klingende Feststellung, dass uns Homöopathiekritikern die Fähigkeit oder auch nur der Wille zu einer sachlichen Betrachtung abgesprochen wird. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Prof. Matthiessen sieht das INH von einer Veröffentlichung ab

Heilpraktikerdebatte: Eine kleine Hilfestellung

Noch einmal Heilpraktikerdebatte. Ich komme auf des Pudels Kern zurück: Auf die Existenz einer “zweiten Medizin”, deren Vorhandensein weder materiell-inhaltlich noch rein logisch mit der Tatsache vereinbar ist, dass ansonsten die „Ausübung der Heilkunde“ an ein Hochschulstudium und umfangreiche Nachweise von medizinischem Wissen und ebensolcher Erfahrung gebunden ist.

Ein Arzt ist verpflichtet, seinem Patienten die jeweils beste Behandlung für seinen Krankheitsfall zukommen zu lassen. Dazu ist eine breite Evidenz- und Wissensbasis nötig, um mit dem Kanon der indikationsbezogenen Mittel und Methoden der Medizin umgehen zu können. Ansonsten gerät der Arzt in Konflikt mit den “Regeln der ärztlichen Kunst”, gegen die er, wie ich immer gern anführe, schon verstoßen kann, wenn er eine notwendige Überweisung zu einem fachärztlichen Kollegen in falscher Einschätzung seiner eigenen Fähigkeiten unterlässt. Ein Ausübender der Heilkunde ohne ärztliche Vollausbildung, der ein Sammelsurium evidenzfreier oder -armer Methoden mehr oder weniger unbefangen nebeneinander wie aus einem Bauchladen anbietet, kann diesen Anforderungen zwangsläufig nicht gerecht werden. Wird er ihnen deshalb auch gar nicht unterworfen?

Die Unsinnigkeit und Unhaltbarkeit dieser “falschen Dualität” der Zwei-Ebenen-Medizin wirklich in Diskussionen deutlich zu machen und zu vermitteln, ist nach meiner Erfahrung erstaunlich schwierig. Deshalb möchte ich heute einmal in die historische Kiste greifen.

Im Jahre 1925 hielt der damals scheidende Präsident der Medical Society of London, Sir H.J. Waring, auf Bitten seines Nachfolgers einen Abschiedsvortrag zu einem Thema, das sich mit elementaren Problemen des medizinischen Standes beschäftigen sollte. Sir Waring wählte die die damals im Vereinigten Königreich sehr aktuelle Problematik der Einordnung von Osteopathen und Chiropraktikern in die Medizin als “Aufhänger” für die Frage des Umgangs mit der Zulassung zur “Ausübung der Heilkunde”. Der Spezialfall Osteopathen / Chiropraktiker soll hier gar nicht weiter interessieren. Der Vortrag enthält aber elementare Aussagen, die für die richtige Einordnung der nach wie vor diffusen Debatte zur Heilpraktikerproblematik erhellend sein mögen.

Sir Warings Vortrag erschien als “Presidential Address” an die Medical Society of London in der Ausgabe des British Medical Journal vom 17. Oktober 1925. Ich erlaube mir die nachstehende auszugsweise Übersetzung:

“Die Zahl der Osteopathen, Chiropraktiker und Vertreter anderer “Heilkulte” in diesem Land ist beträchtlich. Da sie alle nach einer Lizensierung für die Ausübung ihrer Art der “Heilkunde” verlangen, erscheint es mir unausweichlich, staatliche Regulierungen auf alle auszuweiten, die die Verantwortlichkeit für das Leben und die Gesundheit anderer in Händen halten und dass dabei jedermann, dem die Ausübung der Heilkunde in irgendeiner Form gestattet wird, den gleichen Anforderungen an Wissen und Erfahrung unterworfen sein muss. Eine solche Regulation bzw. Lizensierung des Zugangs zur Ausübung der Heilkunde ist nicht nur im Interesse der medizinischen Praktiker, sondern im Interesse der gesamten Bevölkerung. Der gesellschaftliche Fortschritt verlangt ein hohes Maß an Aufmerksamkeit hinsichtlich der Gesundheit der Bevölkerung. Der Staat sollte sich daher beim Schutz und Erhalt von Leben und Gesundheit all seiner Bürgerinnen und Bürger entschieden positionieren.

Im Wissen um all die bekannten Fakten zur Pathologie und zu den Ursachen von Krankheiten ist es vor dem Beginn von Behandlungen am Menschen essentiell, dass der Heilkundeausübende vor allem anderen in der Lage sein muss, eine Diagnose zu stellen, auch, um klar zu erkennen, ob der Patient überhaupt an einer Krankheit leidet, die einer Behandlung bedarf, oder nicht. Wenn nicht, ist der Behandler ja redlicherweise gar nicht in der Position, den Patienten mit irgendeiner Methode sinnvoll zu behandeln und zu betreuen. Darüber hinaus ist es notwendig, dass er über Kenntnisse der verschiedensten therapeutischen Maßnahmen und materiellen Voraussetzungen verfügt, die bei der Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden, damit jeder einzelne Patient richtig und angemessen behandelt werden kann.

Was die Ausübung der Heilkunde betrifft, so wird von manchen die Auffassung vertreten, die Krankheit des Einzelnen sei seine eigene Angelegenheit und er habe das uneingeschränkte Recht, jeden, ob ausgebildet oder nicht, zur Behandlung heranzuziehen. (Die vielbeschworene “Patientenautonomie”. Es folgt nun richtigerweise die “andere Seite der Medaille”, Anm. UE.) Es kann aber doch kein Zweifel daran bestehen, dass es nichts anderes als gefährlicher Betrug ist, sich dem Ratsuchenden als qualifiziert für die Behandlung von Krankheiten und die Betreuung von Kranken darzustellen, indem man fälschlich behauptet, man sei im Besitz von entsprechendem Wissen und Erfahrung. Niemand hat das Recht, eine solche Täuschung zu begehen. Es sollte doch wohl die Pflicht des Staates sein, solche gefährlichen Täuschungen und Irreführungen zu verhindern, insbesondere wenn sie nicht nur eine einzelne Person, sondern potenziell auch andere Menschen betreffen.

Mir scheint es für das Wohl der Gesellschaft deshalb essentiell zu sein, dass alle Personen, denen die Ausübung der Heilkunde erlaubt wird, über die gleiche medizinische Grundausbildung verfügen müssen, was auch die Absolvierung praktischer Abschnitte beinhaltet. Nur eine solche geregelte Ausbildung kann zur Vergabe von Diplomen oder akademischen Graden führen. (Zu Sir Warings Zeiten, vor fast 100 Jahren, war diese Mindestanforderung im Vereinigten Königreich schon ein fünfjähriges Studium, für das Vorprüfungen in Allgemeinwissen und speziell in elementarer Physik und Chemie Zulassungsvoraussetzungen warenAnm.UE.)

(…) Die einzige zufriedenstellende Methode, die Gesellschaft vor Täuschungen und Irreführungen im Zusammenhang mit Krankheit zu schützen, scheint mir, sicherzustellen, dass jede Person, die Krankheiten behandelt, hierzu nur die Erlaubnis erhalten kann, wenn er oder sie einen angemessenen Ausbildungsgang zufriedenstellend abgeschlossen hat. … Auch kann es nicht in Frage kommen, irgendwie “limitierte” Zulassungen für die Ausübung der Heilkunde zu vergeben, die gesetzlichen Regelungen sollten dies ausschließen, um die Gesellschaft nicht dem Risiko auszusetzen, dass sich auf einer solchen Grundlage unqualifizierte Scharlatane oder Quacksalber breitmachen.”


Soweit Sir Waring hier bei uns, obwohl der Vortrag noch weit mehr Essentielles zu diesem Problem enthält. Insbesondere weist er auch darauf hin, dass ein gleicher Maßstab für alle Ausübenden der Heilkunde insbesondere dann unumgänglich ist, wenn diese den Anspruch erheben, mit ihrer Methode den ganzen humanmedizinischen Formenkreis zu behandeln. Und von solchen Methoden haben Heilpraktiker bekanntlich meist gleich mehrere (miteinander unvereinbare) im Portfolio.


Schon wieder viel zu lang. Ich verzichte aber nicht auf mein ceterum censeo zum Heilpraktikerthema, einem Zitat von Prof. Dr. Otto Prokop, der als langjährig erfahrener Gerichtsgutachter wusste, wovon er sprach:

“Wenn zum Beispiel darauf hingewiesen wird, es gebe für Ärzte einen höheren Voraussehbarkeitsgrad als für Heilpraktiker, also könne man letzteren nicht so schnell einen Schuldvorwurf machen wie etwa Ärzten, die den gleichen Fehler machen, so ergibt sich aus dieser Interpretation, dass es der Staat, der Personen zu solchen Praktiken ohne Auflagen zulässt, mit der Gesundheit seiner Bürger nicht ernst nimmt”.


Und eine Bitte noch zum Schluss. Hört auf mit dem Whataboutism. Ja, im ärztlichen Bereich wie im Gesundheitssystem insgesamt ist nicht alles eitel Sonnenschein. Und ja, es gibt wohlmeinende und empathische Heilpraktiker. Beiden Argumenten ist gemeinsam, dass sie am Grundproblem der “zwei Medizinen” rein gar nichts ändern.


Bildnachweis: British Virgin Islands Postage

Seite 1 von 4

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén