
Man lacht. Oder man schüttelt den Kopf. Oder beides.
Was RTL diese Woche (Anfang Juni 2025) als „größten Fall“ von Richterin Salesch zur besten Sendezeit in Spielfilmlänge angekündigt hatte, war nicht nur eine neue Folge dieser pseudo-juristischen Unterhaltungssendung – es war ein mediales Trauerspiel. Und es zeigt, wie weit sich Unterhaltung vom Anspruch entfernt hat, wenigstens nicht aktiv zu verdummen.
Denn diese Produktion, mit Dialogen wie aus einem schlechten Schüleraufsatz, Zombie-Schauspielern und einer Dramaturgie, die selbst bei Jura-Erstsemestern keine Gnade finden würde, leistet nicht einmal mehr den Versuch, die Abläufe einer Gerichtsverhandlung auch nur zu skizzieren.
Der Zuschauer wird systematisch irregeführt.
Er lernt: Gerichte klären Sachverhalte wie die Kripo oder gern auch mal im Stile von Detektiven (die polizeilichen Ermittlungen müssten zumeist von Volltrotteln durchgeführt worden sein), Zeugen dürfen auf Zuruf dazwischengrätschen und werden bei Bedarf einfach aus dem Hut gezogen, emotionale Ausbrüche sind Alltag, im Gerichtssaal entstehen aus Schreiorgien gar gelegentlich Handgreiflichkeiten – und der „Richter“ klärt das Ganze dann mit einem moralisch angereicherten Schlusswort.
Es sind nicht nur inhaltliche Fehler – es ist die Grundhaltung dieser Formate, die problematisch ist. Wer derartiges regelmäßig konsumiert, entwickelt ein Bild der Justiz, das mit der rechtsstaatlichen Realität nichts zu tun hat. Und das schlägt durch: in Talkshows, in Leserbriefen, in Gerichtssälen, im Smalltalk. In einem Klima, in dem Vertrauen in Institutionen ohnehin schwindet, ist das Gift.
Fiktion darf alles?
Nicht, wenn sie sich ins Gewand der Wirklichkeit kleidet und vorgibt, „Realität“ zu zeigen oder zumindest als „Infotainment“ realitätsnah zu agieren. Dann wird sie zur Simulation, zur semantischen Täuschung, zum performativen Realitätsersatz – und genau da liegt das Problem.
Das ist dann nicht mal mehr Justiztheater. Es ist ein Spiegelbild kultureller Verantwortungslosigkeit.
Fazit
Es geht nicht um Geschmack. Es geht um Haltung, um Linie, um die Bewahrung eines basalen Alltagsrealismus in einer Welt der „Infodemie“. Und darum, ob wir als Gesellschaft dulden wollen, dass selbst unsere Grundinstitutionen im Fernsehen zu Pappmaché werden – in Formaten, die unter dem Deckmantel des Entertainments das Vertrauen in Recht und Aufklärung unterminieren.
Und die Folgen?
Sind Menschen, die einen regelrechten Kulturschock erleben, wenn sie tatsächlich einmal als Beteiligte oder Zuschauer in einem echten Gerichtssaal sitzen. Die „Einspruch!“ von der Besucherbank rufen, vergeblich auf eine allfällige Rangelei warten und ganz allgemein davon enttäuscht wird, dass es bedauerlicherweise am Sex and Crime-Effekt weitestgehend fehlt. Die Spannung wird vor Gericht nun mal reduziert, wenn die Kripo vorher ihre Arbeit gemacht und den Sachverhalt geklärt hat und das nicht – wie im TV – dem Gericht selbst obliegt.
Übertrieben? Mitnichten.
Wer sich fragt, warum Schockanruf-Betrüger so erfolgreich sind, sollte sich einmal vor Augen führen, was mediale Fehlprägung bewirken kann – in diesem Falle sogar die von amerikanischen Krimiserien. Eine angebliche Polizistin am Telefon, die wegen eines Verkehrsunfalls eine Kaution zur Vermeidung von Untersuchungshaft verlangt – das klingt für viele inzwischen völlig plausibel. Dank täglicher Fernsehgewöhnung. Um es hier noch einmal deutlich klarzustellen: Es gibt in Deutschland keine Kautionen, die einen vor richterlich angeordneter Untersuchungshaft bewahren können. Entweder liegt ein Haftgrund vor (Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr) oder nicht, was der Untersuchungsrichter binnen einer kurzen Frist zu entscheiden hat.
Selbst das Verhalten in deutschen Gerichtssälen verändert sich, wie man hier und da hört – nicht aus Böswilligkeit, sondern wegen schlichter Desorientierung. Fernsehen wie dieses leistet seinen Beitrag dazu. Und zwar nicht als harmloser Unsinn – sondern als unterschätzte Quelle struktureller Verblödung.
Anhang: Als Justiz im Fernsehen noch ernst genommen wurde
Die Kritik an den inszenierten Gerichtsshows des Privatfernsehens – ob Barbara Salesch, Alexander Hold oder jüngere Formate – richtet sich nicht primär gegen Unterhaltung an sich, sondern gegen die Verzerrung eines sensiblen gesellschaftlichen Bereichs: der Rechtsprechung. Umso wichtiger ist es, daran zu erinnern, dass Justiz im deutschen Fernsehen einst anders dargestellt wurde – differenzierter, respektvoller, oft sogar pädagogisch wertvoll.
1. Ehen vor Gericht (ZDF, 1970er–80er)
Diese Serie behandelte fiktive Scheidungs- und Familienrechtsfälle mit dem Anspruch, das Familienrecht verständlich zu machen. Die Inszenierung war zurückhaltend, der Fokus lag auf der juristischen Argumentation und den sozialen Implikationen. Kein Spektakel, sondern Recht als gesellschaftlicher Rahmen.
2. Das Verkehrsgericht (ARD, 1983–2001)
Eine lange Zeit erfolgreiche Reihe, die den Alltag juristisch reflektierte: Verkehrsunfälle, Alkohol am Steuer, Fahrerflucht – verhandelt vor Gericht, realitätsnah und ohne Schauprozess-Ästhetik. Was heute nach unspektakulärem Bildungsfernsehen klingt, war damals Publikumserfolg. Und heute – zusammen mit Ehen vor Gericht – ein Youtube-Hit.
3. Tatbestand (ZDF, 1970–1983)
Basierend auf echten Kriminalfällen, mit Fokus auf den Weg vom Ermittlungsverfahren bis zur richterlichen Entscheidung. Keine Action, kein CSI-Glamour – stattdessen: glaubwürdige Erzählung, rechtsstaatliches Verfahren, realistische Komplexität.
4. Streit um drei (ZDF, 1966–1995)
Nicht ausschließlich gerichtszentriert, aber geprägt vom juristischen Konflikt. Diese Dramaserie setzte auf plausible Alltagskonflikte mit nachvollziehbaren rechtlichen Hintergründen. Ihre lange Laufzeit spricht für die Nachhaltigkeit des Konzepts.
Das Medium als Mitgestalter von Rechtsbewusstsein
All diese Formate hatten gemein, dass sie das Justizsystem nicht entstellten, sondern erklärten. Sie trugen zur Rechtsbildung bei – ein Bildungsauftrag, der heute im Unterhaltungsmodus fast völlig verloren gegangen ist. Sie akzeptierten das Recht als etwas, das nicht schreit, sondern abwägt.
Im Kontrast dazu steht das Privatfernsehmodell der 2000er Jahre, das immerhin so erfolgreich war, dass es heute teilweise in neuen Produktionen mit den alten Protagonisten wieder aufgewärmt wird (Das Strafgericht, Richterin Barbara Salesch): Gericht als Bühne, Urteil als Gag, Publikum als moralischer Ersatzrichter. Und heute? Noch groteskere Varianten im Netz, auf YouTube und TikTok, wo „Gericht“ oft nur Kulisse für dramatische Selbstvermarktung ist.
Deutscher Justizfilm nach 1945 – selten, aber stark
Auch im Kino wurde das Thema Justiz in Deutschland selten, aber mit Anspruch behandelt. Besonders hervorzuheben sind:
- Der Fall Fritz Bauer (2015) – Über den Staatsanwalt, der die Auschwitz-Prozesse ermöglichte
- Das schreckliche Mädchen (1990) – Über institutionellen Selbstschutz in der Nachkriegsjustiz
- Terror – Ihr Urteil (2016) – Über das ethische Dilemma zwischen Recht und Moral
- In Sachen Kaminski (1983) – Über Machtmissbrauch und politische Justiz
Diese Filme zeigen, dass Justiz auch im Film kein Spektakel sein muss – sondern ein moralischer Prüfstein für Gesellschaften.
Fazit: Wer heute über Barbara Saleschs größten Fall spricht, sollte wissen:
Die Justiz im Fernsehen war nicht immer so. Und sie muss es auch nicht bleiben. Besser geht immer.