
Bild von Myriams-Fotos auf Pixabay
Liebe Leser, fast jeder kennt Meditonsin. Das am meisten verbreitete Scheinmedikament gegen Erkältung. Sogar für Säuglinge empfohlen, da eh ohne Wirkung und ohne Nebenwirkung. Zur Beruhigung quengelnder Erkältungskinder durchaus geeignet, da eine häufig wiederholte Gabe völlig problemlos möglich ist, sieht man einmal von der Wirkung der 6 % Volumenalkohol ab. Nur nebenher – die Ursubstanzen von Meditonsin sind Quecksilbercyanat, blauer Eisenhut und Tollkirsche. Unverdünnt genommen, bräuchte sich niemand mehr Sorgen um seine Erkältung zu machen.
Wohl im Zusammenhang mit der Markteinführung der Meditonsin-Globuli (bisher gab es nur Tropflösung) läuft eine Marketing-Offensive des Herstellers. Da kann man dann in regionalen Qualitätsblättern beispielsweise folgendes lesen (als redaktionellen Beitrag, nicht als Anzeige):
” … Um die Wirksamkeit eines der bekanntesten Homöopathika gegen Erkältungskrankheiten (Meditonsin, rezeptfrei in Apotheken) zu bestätigen, untersuchten Mediziner des Forschungsinstituts HOT Screen aus Reutlingen unter Einsatz modernster Zellkultur-Technik dessen Wirkung auf das menschliche Immunsystem. Die Ergebnisse waren eindeutig. Schon geringste Konzentrationen des enthaltenen homöopathischen Trikomplexes (darunter verstehen Experten drei sich ergänzende… homöopathisch aufbereitete Naturstoffe) reichten aus, um eine ausgeprägte Aktivierung bestimmter für die Immunabwehr wichtiger Botenstoffe zu bewirken. Der Körper hilft sich auf diese Weise selbst, eingedrungene Erkältungsviren schneller und effektiver anzugreifen und auszuschalten. Der untersuchte Trikomplex ist das bei weitem am häufigsten verwendete homöopathische Erkältungsmittel in Deutschland und steht seit Kurzem auch in Form homöopathischer Erkältungs-Globuli (Streukügelchen) zur Verfügung …”.
Hä? Komplexmittel? Viren ausschalten? Wirkung auf das Immunsystem? Sollten wir den Durchbruch der Homöopathie zur hochwirksamen Medizin erleben dürfen?
Gemach.
Auf die Bitte an das genannte Forschungsinstitut, eine Kopie der Studie zur Verfügung zu stellen bzw. eine Fundstelle dafür anzugeben, teilt die Firma -ein durchaus seriöses Haus, das sei ausdrücklich angemerkt- mit, es habe sich um eine Auftragsstudie gehandelt, die wegen der Rechte des Auftraggebers daran nicht an Dritte weitergegeben werden könne. Man habe weder Einfluss auf noch Kenntnis darüber, ob und in welcher Form der Auftraggeber die Studie für seine Zwecke nutze. Nun gut, da kann man nichts machen. Außer Zweifel hegen, natürlich. Die keineswegs geringer werden durch diese Auskunft.
Nun findet sich allerdings in der Pharmazeutischen Zeitung online, immerhin einem Fachblatt, ein “Originalbeitrag” unter dem Titel ” Anwendungsbeobachtung: Meditonsin bei Erkältung und grippalem Infekt”.
Auch dieser Artikel preist das Remedium mit Superlativen, die den Eindruck erwecken, über dieses Erkältungsmittel sei nun endlich, endlich der wissenschaftliche Durchbruch für die Homöopathie erreicht… So taucht auch hier wieder die Aussage auf, dass …
“ … aktuelle Daten dafür sprechen, dass dieser homöopathische Tri-Komplex gegen die typischen Erkältungssymptome wirkt und durch das ganzheitliche homöopathische Wirkprinzip die körpereigenen Abwehr- und Selbstheilungskräfte unterstützt.”
Aber damit gibt sich die Arbeit hier nicht zufrieden. Sie will mit den Ergebnissen einer “Anwendungsbeobachtung” diese bemerkenswerten, aber leider nicht nachvollziehbaren Angaben stützen.
Und genau dabei gerät sie aufs Glatteis, der Jahreszeit angemessen.
Was hat man sich nun hier unter einer Anwendungsstudie vorzustellen? Lassen wir sie selbst sprechen:
“Bundesweit wurden insgesamt 1173 Patienten in 188 Apotheken rekrutiert. Davon konnten die Fragebögen von 1115 Patienten ausgewertet werden. Knapp 70 Prozent dieser Patienten waren Frauen, circa 30 Prozent Männer. Das durchschnittliche Alter ± Standardabweichung (SD) betrug 40,2 ± 16,6 Jahre. Der jüngste Studienteilnehmer war ein Jahr alt, der älteste 88 Jahre. Für die meisten Patienten waren die »gute Wirkung« (81,3 Prozent) und die »gute Verträglichkeit« (74,4 Prozent) wichtige Gründe, warum sie sich für die Anwendung des Komplexhomöopathikums entschieden hatten. Insgesamt 723 der 1115 Patienten (64,8 Prozent) gaben an, Meditonsin bereits in der Vergangenheit eingenommen zu haben.”
Aha. Die “Studie” bestand also darin, in Apotheken Fragebögen an Schnupfenpatienten zu verteilen und wieder einzusammeln. Und zwar solche, die ganz offensichtlich bereits zugunsten des Mittels Meditonsin prädisponiert waren (immerhin hatten sie sich aus “wichtigen Gründen” selbst für Meditonsin “entschieden”). Zudem unstrukturiert, weder nach Alter, Geschlecht und insbesondere nicht nach (diagnostiziertem) Krankheitszustand vergleichbar. Zudem auf der Basis einer Selbsteinschätzung, also ohne jeden objektivierenden Aspekt. Und wo sind die Leute von der Vergleichsgruppe, die bei gleicher Symptomatik kein Meditonsin nahmen, mit ihren Fragebögen? …
Was da wohl herauskommen mag, fragt man sich. Aber eigentlich liegt es auf der Hand:
“Die apothekenbasierte Beobachtungsstudie bestätigt die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Meditonsin im Alltag, was sich in einer hohen Patientenzufriedenheit widerspiegelt. Alle Erkältungsbeschwerden zeigten eine deutliche Besserung im Verlauf der Erkrankung. Dabei verbesserten sich die Leitsymptome im Schnitt bereits ab dem zweiten Tag nach Beginn der Behandlung. Das Prüfpräparat wurde durchschnittlich über einen Zeitraum von 6,4 Tagen eingenommen. Die Einnahme wurde meist deshalb beendet, weil die Symptome »ausreichend gebessert« waren oder weil sich die Patienten wieder »gesund« fühlten. Die Studienmedikation war sehr gut verträglich. Es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf.”
Lässt man mal den ganzen Detailkram drumherum weg und berücksichtigt man, dass der Einnahmebeginn nach Angaben der “Studie” zwischen einem und drei Tagen nach Symptombeginn lag, ist das Ergebnis so was von eindeutig. Aber so was von:
Ohne Behandlung dauert die Erkältung eine Woche. Mit Behandlung etwa sieben Tage.
Unglaublich, echt. Da soll mal einer was gegen die Wissenschaft sagen… Die “Original-Veröffentlichung” in der Pharmazeutischen Zeitung stammt übrigens vom Hersteller selbst.
Nun mal ganz ernsthaft: Ein eigentlich unglaubliches Beispiel, wie dem Publikum heiße Luft als Werbung für heiße Luft um die Ohren geblasen wird.
Nachtrag:
Nach entsprechender Kommentierung im eingangs erwähnten Regionalblatt führte der Versuch, den Artikel und die (erfreulicherweise ganz überwiegend kritischen) Kommentare erneut aufzurufen, zu folgendem Ergebnis:

Und wer gern noch erfahren möchte, welche Kreise dieser kleine Beitrag letztlich noch gezogen hat, der findet die ganze Geschichte bei „Susannchen braucht keine Globuli„, der Familienseite des Informationsnetzwerks Homöopathie!