Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

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Wissenschaftliche Integrität – quo vadis?

Spreu und Weizen – wer macht sich ans Sortieren?

Ich bin ja nur ein kleiner Blogger, der allerdings auch selbst schon wissenschaftlich veröffentlicht und ein Auge auf Tendenzen im Wissenschaftsbetrieb hat. Letzteres ist nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Warum – dazu stelle ich heute einmal einen wichtigen Teilaspekt vor, die wissenschaftliche Publikationspraxis. Da sehe ich allerlei Düsternis.

Ich erspare mir hier, die – immer noch nicht ausgestandene – Geschichte um die Studie Frass et al. (2020) auszubreiten, bei der nicht nur ein unsinniges und unplausibles Forschungsthema behandelt, sondern mit großer Expertise akribisch herausgearbeitet wurde, dass die Ergebniss nicht auf realen Daten beruhen können. Jede Intervention beim veröffentlichenden Journal, dem Oncologist, blieb bislang erfolglos, ja, führte sogar zu einer Verhärtung der Fronten, weil sich das Journal nun auch noch selbst hinter die Studie stellte. Mehr dazu beim Humanistischen Pressedienst hier und zur Kritik an der Studie im Detail beim Informationsnetzwerk Homöopathie hier.

Ein krasser Fall – ein Einzelfall? Nun da lege ich mich nicht endgültig fest, es ist eben ein Fall, der aufgefallen ist. Was unwahrscheinlich genug war.

Was aber sehenden Auges selbst bei renommiertesten Wissenschaftsorganisationen geschieht, darauf bin ich vor einigen Tagen aufmerksam geworden. Und das verschiebt nach meiner Ansicht die ganze Problematik noch einmal um ein gehöriges Stück. Was ist geschehen?

Cochrane auf Irrwegen

Hilda Bastian, Gründungsmitglied von Cochrane, beschreibt in ihrem Blogbeitrag vom 24. Januar 2025 einen Vorfall innerhalb der Cochrane Collaboration bezüglich eines Reviews zu Bewegungstherapien bei Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Dieser Review, dessen letzte vollständige Aktualisierung im Jahr 2015 stattfand, empfahl Bewegungstherapie als Behandlung für ME/CFS. Seitdem hat sich das Verständnis der Erkrankung jedoch erheblich weiterentwickelt, insbesondere hinsichtlich der Bedeutung der Post-Exertional Malaise (PEM) als Leitsymptom. Internationale Leitlinien, darunter die des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) im Vereinigten Königreich und der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA, raten inzwischen von standardisierten Bewegungstherapien für ME/CFS-Patienten ab.

Aufgrund anhaltender Kritik von Patientenvertretern und Wissenschaftlern initiierte Cochrane eine vollständige Überarbeitung des Reviews und setzte eine unabhängige Beratungsgruppe (Independent Advisory Group, IAG) ein, der auch Bastian angehörte. Im März 2020 wurde bekannt gegeben, dass das ursprüngliche Autorenteam zurückgetreten war und ein neues Team zusammengestellt werden sollte. Im Dezember 2024 jedoch erhielt die IAG eine kurze Mitteilung, dass die geplante Aktualisierung des Reviews abgesagt wurde. Öffentliche Berichte der IAG wurden ohne Vorankündigung von der Cochrane-Website entfernt. Kurz darauf veröffentlichte Cochrane eine neue „Version“ des Reviews mit einem redaktionellen Hinweis, der die Absage der Aktualisierung bekannt gab und gleichzeitig die veralteten Empfehlungen bestätigte.

Diese Ereignisse haben zu erheblichem Unmut in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und bei Patientenvertretern geführt. Die Entscheidung, die Überarbeitung abzubrechen und den veralteten Review erneut zu veröffentlichen, wird als inakzeptable Fehlentscheidung angesehen, die das Vertrauen in Cochrane untergräbt. Angesichts der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und der potenziellen Schäden, die durch ungeeignete aktivierende Bewegungstherapien bei ME/CFS-Patienten entstehen können, ist diese Entwicklung besorgniserregend. Ein gültiges, gar mit aktuellem Datum versehenes Paper in der Publikation, das eine längst als falsch und schädlich erkannte Therapieoption befürwortet? Mit dem Namen der renommiertesten Autorität in der evidenzbasierten Medizin? Was erlaube Cochrane, um einmal Giovanni Trappatoni zu paraphrasieren!

Für die ME/CFS-Forschungsgemeinschaft in Deutschland um die führende Expertin Prof. Carmen Scheibenbogen (Charité), ist es von großer Bedeutung, diese Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich ist entscheidend, dass klinische Leitlinien und Empfehlungen auf dem neuesten Stand der Wissenschaft basieren und die Bedürfnisse und Sicherheit der Patienten im Vordergrund stehen. Es ist unerlässlich, dass wissenschaftliche Gesellschaften transparent agieren und Kritik ernst nehmen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Fachwelt zu bewahren.

Eine besorgniserregende Entwicklung

Dass das Publikationssystem strukturelle Schwächen hat, ist nichts Neues – wirtschaftliche Interessen, Publikationsdruck und Intransparenz sind als Problemursachen bekannt. Aber dieser Vorgang bei Cochrane (und letztlich auch der ersterwähnte bei The Oncologist) geht über diese bekannten Probleme hinaus: eine offenbar zunehmende Gleichgültigkeit oder sogar aktive Verteidigung wissenschaftlich fragwürdiger Inhalte durch etablierte Journale und Organisationen. Und ausgerechnet die Cochrane Collaboration, die weltweit als Gralshüter der Prinzipien der evidenzbasierten Medizin gilt, handelt dem zuwider?

In der Tat ist der Fall, den Hilda Bastian schildert, besonders alarmierend, weil Cochrane nach eigenem Selbstverständnis den „Goldstandard“ der evidenzbasierten Medizin verkörpert. Dass eine längst überfällige Revision eines problematischen Reviews per ordera mufti nicht nur sabotiert, sondern die überholte Version aktiv erneut veröffentlicht wird, ist eine Form institutionalisierter mangelnder Fehlerkultur: Man hält an einer überholten, deshalb potenziell schädlichen Empfehlung fest, statt wissenschaftliche Korrektheit walten zu lassen. Das ist nicht nur intellektuell unehrlich, sondern kann in diesem Fall auch gesundheitliche Folgen für ME/CFS-Patienten haben.

Obwohl anders gelagert, kommt einem dabei der Fall Peter Gøtzsche vor einigen Jahren in den Sinn. Gøtzsche veröffentliche damals als Gründungsmitglied und leitender Mitarbeiter von Cochrane auf eigene Faust eine harsche Kritik an einem Review von Cochrane, das sich mit dem HPV-Impfstoff Gardasil befasste. Worauf er nicht nur seinen Job bei Cochrane (Leiter des Nordic Cochrane Centre) verlor, sondern gleich auch noch aus der Organisation ausgeschlossen wurde. Diese spezielle Sache wurde aufgearbeitet, mit dem Ergebnis, dass Gøtzsche nur so etwa zu 5 Prozent Recht hatte. Hinzu kam, dass er sich zusätzlich dadurch diskreditierte, dass er einen ausgesprochenen Impfgegner mit ins Boot genommen hatte. Aber die institutionellen Mechanismen, die ihn schon vorher bei Cochrane zum Außenseiter machten, sind nie wirklich beleuchtet wurden. War die Sache mit dem HPV-Review Grund oder nur eine willkommene Gelegenheit, Gøtzsche loszuwerden? Cochrane hatte Zusagen auf Klärung, die auf Drängen der wissenschaftlichen Community gemacht wurden, nie eingehalten.

Zweifellos war Gøtzsche seit jeher ein Opponent, der vor allem die zunehmende Kooperation von Cochrane mit der pharmazeutischen Industrie kritisierte. Der offizielle Grund, ihn vor die Tür zu setzen, war laut Cochrane „bad behaviour“, also schlechtes Benehmen … Na. Ich habe mich seinerzeit mit dieser Geschichte intensiv beschäftigt und auch dazu geschrieben, aber nicht veröffentlicht. Heute finde ich keine deutschsprachige Quelle, die nach meiner Einschätzung die Facetten des Konfliktes einigermaßen neutral wiedergibt, deshalb biete ich hier keinen deutschsprachigen Link an. Wer mehr erfahren will, den verweise ich auf den Blog „Skeptical Raptor“ des geschätzen US-Bloggerkollegen Michael Simpson.

Liegt darin eine generelle Tendenz? Namlich die, dass Institutionen sich gegen Kritik verteidigen oder sie ignorieren, anstatt wissenschaftliche Debatten offen zu führen? Und das ist die eigentliche Gefahr: Wenn sich Journale und Organisationen primär selbst schützen, statt als Korrektiv für Wissenschaftsfehler zu dienen, dann untergraben sie ihre eigene Glaubwürdigkeit.

Die Kombination aus wirtschaftlichen Zwängen, Publikationsdruck und mangelnder Fehlerkultur könnte langfristig die wissenschaftliche Integrität aushebeln. Es wird immer mehr darum gehen, Kritik abzuwehren oder zu ignorieren, anstatt sich ihr konstruktiv zu stellen. Und das ist eine schiefe Ebene, die – wenn nicht gegengesteuert wird – fatale Folgen haben kann.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Welche Mechanismen müssten sich ändern, damit sich wissenschaftliche Journale nicht nur dem Peer-Review-Prozess verpflichtet fühlen, sondern auch einer echten Fehlerkultur?

Wer bin ich, für dieses Riesenproblem eine Lösung anbieten zu wollen. Aber einige DInge liegen schlicht auf der Hand, sind in kritischen Kreisen längst Konsens, sind aber trotzdem weit von einer Verwirklichung entfernt.

Ganz elementar sind zwei Dinge. Das sind zunächst die heutigen Selektionsmechanismen der Journale. An Einreichungen zur Veröffentlichung mangelt es nicht, was auch auch dadurch belegt wird, dass selbst mit dem wissenschaftlichen (oder auch unwissenschaftlichen) Bodensatz noch Geschäfte gemacht werden, indem sich Journale etablieren, die nach außen hin ein seriöses Bild abgeben, aber nichts anderes tun als ein peer review nur vorzutäuschen (oder ganz darauf zu verzichten) und gegen klingende Münze jedem „Wissenschaftler“ die Gelegenheit zu einer Journalveröffentlichung zu geben.

Bei den seriösen Journalen wäre zunächst die offensichtliche Fixierung auf spektakuläre Ergebnisse zu nennen. Diese führt nicht nur zu einer Verzerrung des wissenschaftlichen Diskurses (Publication Bias), sondern untergräbt auch das Selbstkorrektiv der Wissenschaft. Replikationsstudien, die essenziell für die Validierung von Erkenntnissen sind, haben es schwer, veröffentlicht zu werden.

Das Peer Review In der aktuellen Form ist oft intransparent und unzureichend – manche Reviewer leisten hervorragende Arbeit, andere überfliegen das Paper nur. Es wäre essenziell, dass nicht nur die Namen der Reviewer, sondern auch ihr konkreter Prüfbereich klar ist. Wer hat sich mit der Methodik befasst? Wer mit der statistischen Auswertung? Wer mit der Plausibilität der Hypothese? Und ja, faire Bezahlung für Peer Reviews wäre ein wichtiger Schritt.

Darüber könnte man lange schreiben. Ich will aber mal etwas riskieren in diesem Beitrag: Ich werde Sciene Fiction-Autor. Warum nicht?

Visionen

Meine Vision: Ein weltumspannendes Rechenzentrum, in das jeder Forschende seine Ergebnisse ablegen kann – kostenlos, getragen von der wissenschaftlichen Community mit Rückendeckung der staatlichen und halbstaatlichen Forschungsinstitute. Aber nicht ohne Hürden – ein mehrstufiges Beurteilungsverfahren bis hin zu einem genauen Review durch menschliche Mitarbeiter wäre durch eine entsprechend leistungsfähige und spezialisierte KI zu leisten. Die auch die Diskussionen der Community moderieren und im Sinne einer unvoreingenommenen Fehlerkultur handeln könnte …

Das wäre jedenfalls eine Lösung, die das Problem an der Wurzel packt. Denn solange Verlage die Wissenschaft als Geschäftsmodell betreiben, wird sich an den grundlegenden Problemen wenig ändern. Ein von der Wissenschaftscommunity selbst kontrolliertes System, das KI-gestützte Qualitätskontrolle mit menschlicher Expertise kombiniert, könnte Transparenz, Fehlerkultur und Effizienz drastisch verbessern. Und das alles werden wir in Zukunft noch weit mehr brauchen als ohnehin schon.

Natürlich bleibt die Frage, ob und wie sich so etwas realisieren ließe – insbesondere angesichts des Widerstands kommerzieller Verlage und der politischen Trägheit. Aber die Alternative ist ein weiteres Abrutschen in eine wissenschaftliche Publikationslandschaft, die mehr von Prestige und wirtschaftlichen Interessen als von Wahrheitsfindung geleitet wird. Man sieht, ich gehöre nicht zu denen, die bei Visionen die Einschaltung eine Arztes empfehlen. Sondern ein Nachdenken, wie man einer solchen Idee praktisch näher kommen könnte.

Die Journale sind aber natürlich nur ein Teil des Systems – die Wissenschaftler selbst sind oft gezwungen, mitzuspielen. Sei es durch den Publikationsdruck, der sie dazu bringt, möglichst viele „interessante“ Ergebnisse zu produzieren (statt solide, aber unspektakuläre Forschung zu betreiben), oder durch ideologische Scheuklappen, die dazu führen, dass sie eigene Fehler nicht erkennen (oder nicht zugeben wollen). Nicht zu vergessen die Verschwendung von Ressourcen bei problembewussten Wissenschaftlern, die oft viel Zeit aufwenden, die genannten Tendenzen zu bekämpfen. Wobei zusätzliche Aspekte wie Papermills („Wissenschaft auf Bestellung“) noch gar nicht angesprochen sind.

Wenn sich Leichtfertigkeit und Laissez-faire auf allen Ebenen ausbreitet – von Forschern über Peer Reviewer bis zu den Journals –, dann haben wir ein echtes Problem mit der wissenschaftlichen Integrität. Und wenn Institutionen wie Cochrane und bislang sehr renommierte Journale wie The Oncologist, die eigentlich für höchste Standards stehen sollten, sich dem auch noch anpassen, dann ist das ein echtes Warnsignal.

Aber was zum … schreibe ich hier … ich bin doch nur ein kleiner Blogger. Der aber seit gut zehn Jahren die Augen aufhält.


Maskentragen und die Empirie

Spiegel online - Teaser

SPIEGEL online berichtet über eine systematische Arbeit von Cochrane zum Effekt des Maskentragens. Kurz gesagt, kommt Cochrane zu dem Ergebnis, dass weder für noch gegen Effekte des Maskentragens bei Infektionsereignissen solide Evidenz vorliegt.

Es handelt sich um eine statistische Metaanalyse, die die Daten aus verschiedenen Einzeluntersuchungen aggregiert und insgesamt auswertet. Neben den systematischen Review ist dies eine der Methodiken für zusammenfassende Arbeiten im Bereich der Empirie.

Für beide Methoden gilt, dass sie prinzipiell nur so gut sein können wie die zugrunde liegenden Einzelstudien. Bei Metaanalysen kommt hinzu, dass diese – anders als bei systematischen Reviews – für das Gesamtergebnis nicht weiter qualitativ bewertet werden. Es wird „nur“ nach der methodischen Eignung der Datenbestände für eine Zusammenführung zum Zweck gemeinsamer statistischer Auswertungen geschaut.

Hier lagen Cochranes Analyse (die eine Ergänzung früherer Arbeiten zum Thema darstellt) keine klinischen randomisierten placebokontrollierten Studien zugrunde – natürlich nicht. Dies ist bei der Aufgabenstellung, Effekte des Maskentragens zu eruieren, wohl auch kaum möglich. Problem: „Goldstandard“ sind die sogenannten RCT deshalb, weil sie die maximalen Möglichkeiten bieten, Störeinflüsse verschiedenster Art (v.a. verzerrte und subjektive Wahrnehmungen) auszuschließen und damit einen möglichst unverzerrten Blick auf die zu untersuchenden Effekte zu ermöglichen. Cochranes eigene Bewertungskriterien helfen dabei, in Reviews qualitative Bewertungen der Einzelstudien einfließen zu lassen („Critical appraisal“). Metaanalysen sind ein rein mengenstatistisches Instrument.

Im vorliegenden Fall wurden die Daten im Wesentlichen dadurch erhoben, dass lokal Masken mit der Empfehlung zum Tragen an die Bevölkerung verteilt wurden und im Nachgang das dortige Infektionsgeschehen mit Regionen verglichen wurde. bei denen es keine solchen gezielten Aktionen gab. Man kann sich leicht vorstellen, wie „weak“ solche Vergleichsergebnisse sind und sehr weit entfernt von den Standards, die gut gemachte RCT zu liefern imstande sind. Das ist kein Vorwurf. Man kann eben nur die Standards erreichen, die die konkrete Untersuchungssituation zulässt und muss seine Methodik an dem ausrichten, was diese eben hergibt. Nur hat das eben Folgen für die Einordnung der Ergebnisse, was den meisten Menschen nicht bewusst ist, die vielmehr „Studien“ entweder für die wahre Wahrheit oder aber für interessengeleitet halten – je nach eigener Einstellung zum Thema …

Es gibt jede Menge Einflussfaktoren, die den statistischen Vergleich verzerren und zu einem Zufallsergebnis machen können. Das liegt auf der Hand. Sowohl auf der Seite der Ausbreitung des Virus als auch auf der Seite von Verhaltensmerkmalen. Es ist nicht einmal bekannt, ob tatsächlich viele Menschen aufgrund der Empfehlung und des kostenlosen Verteilens ihr Verhalten geändert haben oder – umgekehrt – ohnehin Maskentragen als angemessenes Verhalten angesehen wird und insofern eine Verhaltensänderung obsolet war (z.B. in den asiatischen Ländern).

Leider wird hier ein von Cochrane völlig zutreffend beschriebenes Ergebnis einer Analyse in der Öffentlichkeit (z.B. in der Kommentarspalte von SPON) sofort tendenziell bewertet, was wohl keineswegs Cochranes Absicht war. Die Maskengegner schließen sofort darauf, dass ja der Nutzen nicht „bewiesen“ sei, ohne zu wissen, was im wissenschaftlichen Sinne „bewiesen“ heißt und ohne zu berücksichtigen, dass Cochrane eine rein medizinstatistische Bewertung vorgenommen hat, die Aspekte wie Plausibilität in keiner Weise berücksichtigt. Insofern habe ich bei SPIEGEL Online diesen Kommentar hinterlassen (SPON selbst berichtete durchaus korrekt, vielleicht mit etwas zu wenig Erklärungspotenzial):

In die Analyse sind vor allem Studien eingeflossen, deren Methodiken mit randomisierten kontrollierten klinischen Studien (dem „Goldstandard“) wenig zu tun haben. Es sind im Wesentlichen Feldbeobachtungen, die so vielen Einflussfaktoren unterliegen, dass die Feststellung von Kausalitäten nahezu unmöglich ist. Analysiert wurde deshalb eine wenig valide Datenbasis.

Dass dabei weder ein Ja noch ein Nein herauskommt, verwundert nicht. Ebenfalls verwundert nicht, dass daraus in der Öffentlichkeit gleich wieder der Zweifel am Maskentragen (aka die Maskenpflicht war falsch einsdrölf!!!) erwächst.

Die Endaussage von Cochrane geht völlig in Ordnung. Dieses „belegt scheint weder das eine noch das andere“ muss mit nüchternen Augen gesehen werden und ist keine Wertung. Cochrane ist knochentrocken in seinen Analysen. Plausibilitäten berücksichtigt Cochrane NICHT; sie sind die Hohepriester der empirischen Evidenz, die nur und ausschließlich auf Medizinstatistik schaut. Deshalb kommt sie auch bei Absurditäten wie Homöopathie gelegentlich zu dem Ergebnis, es gebe „positive Effekte. die aber für eine Erstlinienempfehlung nicht ausreichten“ (so zum homöopathischen Fantasiepräparat Oscillococcinum, dessen a-priori-Plausibilität bei Null liegt). Um das richtig einzuordnen, muss man den Ansatz von Cochrane richtig verstehen (den ich insgesamt persönlich durchaus für zu kurz gegriffen halte).

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind Wahrscheinlichkeitsaussagen, deren „Wertigkeit“ sich aus den Gesamtkriterien der jeweiligen Untersuchung ergibt. Das gilt auch – wenn auch im besten Falle in deutlich geringer4em Maße – für systematische Zusammenfassungen. Man muss einiges über Cochranes Ansatz, Medizinstatistik, Studienmethodik und überhaupt über Wissenschaft wissen, um Schlüsse aus solchen Untersuchungen zu ziehen – oder auch nicht. In diesem Fall muss man, wegen der „methodischen Schwäche“ der Empirie, zwingend die physikalische Plausibilität des Maskentragens „hinzurechnen“.


Man wird Rezeptionen von „Studien“ als jeweilige Bestätigung eigener Vorannahmen nie verhindern können. Aber dieser Vorgang ruft einmal wieder mein ceterum censeo auf den Plan:

Wissenschaftslehre und Wissenschaftsmethodik auf die Lehrpläne der Schulen! Ich weiß noch genau, dass wir ganze zwei Schuljahre im Biologieunterricht mit Anatomie und Funktion des Tiefseeschwamms verbracht haben (in anderen naturwissenschaftlichen Fächern wäre vergleichbares zu berichten, der Tiefseeschwamm ist mir nur nachhaltig im Gedächtnis geblieben). Von wissenschaftlichen Erkenntnisgrundlagen kein Wort.


Ebenfalls zum Thema:

MedWatch:
Von Kirschenpflückern und verkomplizierten Zusammenhängen

Medscape:
Maskengegner sehen sich durch Cochrane Review bestätigt


Bildnachweise: Spiegel online (Screenshot) / Cochrane

Schüßler-Salze, Bachblüten, Homöopathie – ja was denn nun?

Heute war ich beim Podcast „Grams‘ Sprechstunde“ bei der sehr geschätzten Dr. Natalie Grams zu Gast – zu meiner Freude schon zum dritten Mal. Heute ging es – nach Zuhörerwunsch – um Schüßler-Salze und Bach-Blüten, ihre Einordnung aus medizinwissenschaftlicher Perspektive und vor allem um ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede untereinander und im Verhältnis zur Homöopathie. Ja, mir ist durchaus bekannt, dass beide „Medizinen“ in den Apotheken gut nachgefragt sind und über die Theke gehen. Ohne dass dort hinreichende Klarheit geschaffen wird. Deshalb!

Bild von Mohamed Hassan auf Pixabay

Und das in einer halben Stunde …? Wir haben es versucht. Mir ist dabei klar geworden, dass ich dazu auch einmal etwas aufschreiben muss. Also dann!


Was vermutlich zunächst überrascht, denn dies vermitteln einem weder die Bekannten mit den „guten Erfahrungen“ noch erfährt man (in der Regel) dazu etwas in der Apotheke: Weder Bach-Blüten noch Schüßler-Salze kann man als Homöopathie bezeichnen und jedenfalls klassische und genuine Homöopathen (die, die noch halbwegs nach Hahnemanns Lehre arbeiten und noch nicht vollends ins Reich der Fantasie abgedriftet sind) werden das auch weit von sich weisen.

Beiden fehlen die tragenden Aspekte von Hahnemanns Homöopathie. Schüßler und Bach berufen sich weder auf Ähnlichkeitsprinzip noch auf rituelle Potenzierung (also die Kombination von Verdünnen und Schütteln und die damit einhergehende „Wirkungsverstärkung“). Bach immerhin setzt auf „Schwingungen“ und ist damit nicht so weit weg von Hahnemanns „geistiger Arzneikraft“ – Schüßler braucht die nur an einer einzigen Stelle seiner Lehre (wir kommen darauf zurück) – und verstand das damals durchaus nicht als esoterisch.

Oha!?

Ja, tatsächlich. Und es kommt noch toller.

Denn Schüßler-Salze gelten als Arzneimittel, woraus folgt, dass sie ausschließlich in der Apotheke erhältlich sind. Bach-Blüten dagegen sind rechtlich als Lebensmittel eingestuft!

Bitte???

Wilhelm Schüßlers „Biochemische Methode“

Ja, tatsächlich. Nach der EU-Arzneimittelrichtlinie ist Homöopathie alles, was nach homöopathischen Prinzipien hergestellt ist. Offensichtlich wird das weit ausgelegt – nur, weil die Schüßler-Salze als D6- und D12-Dilutionen (also Verdünnungen) angeboten werden, sind sie – was offenbar sogar Apothekerkammern manchmal nicht wissen – im Auge des Gesetzes Homöopathie. Der Begriff „Potenzen“ im homöopathischen Sinne ist aber ja gar nicht angebracht! Denn hier bei den Salzen sind es ja tatsächlich nur Verdünnungen, wie es Schüßler umfangreich beschrieb und begründete – und Schüßler bezweckte damit auch etwas ganz anderes als die Freisetzung einer „immer stärker werdenden geistigen Arzneikraft“, was der Sinn der eigentlichen homöopathischen „Potenzierung“ ist. Er sagte auch ganz klar, seine Methode sei „keine homöopathische“.

Man mag also durchaus an der Berechtigung zweifeln, den Schüßler-Salzen als „nach homöopathischen Grundsätzen hergestellten“ Mitteln die Arzneimitteleigenschaft zuzugestehen. Gleichwohl ist eine D6 – bis auf drei von Schüßlers 12 Mitteln die Regel – schon eine Verdünnung von 1 zu einer Million und damit die Grenze, an der die natürlichen Verunreinigungen in selbst für Laborzwecke aufgereinigten Lösungsmitteln (im Falle Schüßlers durch Verreibungsschritte mit Milchzucker) den Rest des Urstoffes übersteigt. Interessanterweise gab es den eigentlich daraus folgenden Einwand, es müssten daher stets auch (alle) anderen Mineralstoffe in etwa D6 bis D8 in seinen Salzen stecken, eingebracht durch das Lösungs- bzw. Verreibungsmittel, schon zu Schüßlers Zeiten. Er bemüht sich in seinem Büchlein wortreich, das als irrelevant hinzustellen, was es aber durchaus nicht ist.

Mit seiner von ihm selbst als „Biochemie“ bezeichneten Heilweise entfernte er sich unterm Strich also maximal von homöopathischen Grundsätzen. Obwohl er als Homöopath begonnen hatte (ein wenig zwangsweise, denn seine ärztliche Zulassung nach einem abgebrochenen Studium war einigermaßen dubios und er erhielt sie nur für eine homöopathische Praxis). Dann aber begann er, sich von der Homöopathie zu lösen – sie war ihm zu kompliziert. Eigentlich wollte er nur „weniger Mittel“ haben. Als er dann aber das Ähnlichkeitsprinzip verneinte und sich für Hahnemanns Potenzierungsidee (Wirkungszunahme durch Rituale während des Verdünnens) nicht die Bohne interessierte, wurden die Homöopathen einigermaßen ungehalten und kritisierten ihn scharf. Sie waren nicht bereit, Schüßlers „Biochemie“ als Homöopathie anzuerkennen. Die Sache eskalierte ordentlich und endete damit, dass Schüßler aus dem Zentralverein homöopathischer Ärzte austrat. Er war – nicht nur in diesem Fall – als ein streitlustiger Herr bekannt, der keine Gelegenheit ausließ, auf seinen Kritikern herumzuhacken.

Gleichwohl kann man aus vielen seiner Äußerungen entnehmen, dass er seine Methode als eine Art Bindeglied zwischen Homöopathie (die er nicht etwa gänzlich verwarf) und der sich gerade entwickelnden wissenschaftlichen Medizin ansah. Ursprünglich bezeichnete Schüßler seine Methode ja auch als eine „abgekürzte Homöopathie“ – er empfand sich wohl tatsächlich gleichzeitig in der Nachfolge Hahnemanns und als Jünger Rudolf Virchows, des Entdeckers der Zellularpathologie. Der wird sich gefreut haben …

Was die wissenschaftliche Beleglage angeht: es gibt überhaupt keine wissenschaftlichen Studien zu Schüßler-Salzen und ihrer Wirksamkeit. Keine einzige. Nichts zu finden in den medizinischen Datenbanken. Da müssen wir schon mal zurückgehen bis ins Jahr 1904, als das Preußische Ministerium für Medizinal-Angelegenheiten eine Begutachtung von Schüßlers Methode beauftragte. Die fiel ziemlich verheerend aus und der Gutachter hatte kein Problem damit, anzudeuten, dass es sich hier entweder um einen Scharlatan oder einen „Schwachsinnigen“ handeln müsse. So stand es drin. Wir wollen da nicht urteilen, skurrile Methoden gab es damals wie Sand am Meer, zumal seit 1869 in den Ländern des Deutschen Bundes und ab 1871 dann im Deutschen Reich die „Kurierfreiheit“ galt, also jedermann ungehindert „Heilkunde“ ausüben konnte. Ärzten schien man allerdings durchaus auf die Finger geschaut zu haben.

Interessant ist für uns vor allem, wie populär die Methode noch heutzutage ist. Wozu vielleicht auch beiträgt, dass heute die Bezeichnung „Biochemie“ eine Nähe zur wissenschaftlichen Biochemie suggeriert, was aber wieder eine Sache für sich ist. Zu Schüßlers Zeiten steckte das, was heute als Biochemie bezeichnet wird, gerade mal in den Kinderschuhen und nannte sich „physiologische Chemie“. Durch den Namenswandel dieser Disziplin geriet Schüßlers „Biochemie“ irgendwie in deren Nähe, obwohl er sich in seinem Büchlein von der „Biochemischen Heilweise“ selbst wiederum von der „physiologischen Chemie“ abgrenzte. Was wohl nur dem Wunsch geschuldet war, etwas Eigenes, Originales geschaffen zu haben. Näheres gleich, erstmal kurz zu Edward Bach, dessen Namen die bekannten Mittelchen tragen, die haben also mit Blüten an Bächen nur vielleicht rein zufällig mal was zu tun.

Edward Bachs Blütenessenzen

Bach kam auch von der Homöopathie. So richtig überzeugt davon scheint er aber nie gewesen zu sein. Er suchte wohl zeitlebens nach der „einen“ Krankheitsursache und einem „universellen“ Heilmittel (Schwurbelalarm!) und neigte dabei Mystizismus und Pseudopsychologie zu. Nachdem er ein Jahr lang zu Nosoden (homöopathische Zubereitungen aus pathogenem Material) „geforscht“ hatte, eröffnete er eine Landarztpraxis. Aber auch die schloss er ziemlich bald wieder (offenbar konnte er sich das erlauben) und machte sich künftig nur noch auf die Suche nach seiner universellen Heilmethode. Seine Überzeugung, dass alle (!) Krankheiten nur Folge psychologischer Befindlichkeiten und Zustände seien, hatte er da bereits gefasst. Von der Homöopathie war er da schon weit weg.

Das „universelle Heilmittel“ – und zwar nicht gegen die Krankheiten, sondern gegen die „eine Ursache“, die Störung des seelischen Gleichgewichts – fand er in den „Schwingungen“ von Blütenessenzen. Wie kam er nun darauf? Nun, rein „intuitiv“, oder anders ausgedrückt: er hat sich das mit erheblicher Fantasie so ausgedacht. Wozu passt, dass er selbst nie auch nur auf die Idee kam, einen Wirkungsnachweis für seine Mittelchen zu führen,

Wie kam er nun auf die Zuordnung von Pflanzen zu Zuständen von Psyche und Gemüt und von da aus zu Krankheitsbildern? Wie seine damalige Assistentin berichtete (und er selbst auch in seinem Buch „Zwölf Heiler“ beschrieb) spürte er bei der „Begegnung“ mit Pflanzen selbst ganz deutlich die Art von Verstimmung, gegen die diese geeignet sein würden. Im Zweifel legte er sich ein Blütenblatt oder ein anderes kleines Stück der Pflanze auf die Zunge und damit war dann die Forschung abgeschlossen. Mehr Esoterik geht allenfalls noch in der Anthroposophie.

Bach stellte seine Pflanzen in einem Wasserkübel entweder eine Weile in die Sonne oder – im Falle von eher holzigen und festen Pflanzenteilen – kochte er sie schlicht ab. Anfänglich sammelte er den Morgentau von den Blüten, das erwies sich für ein größer angelegtes Geschäftsmodell allerdings als schwierig … Und Achtung! Was finden wir hier wieder im Hintergrund mitschwingen? Das Wassergedächtnis …

Die Sache mit den Tautropfen ist schon länger passé …
Bild von Gabi auf Pixabay

Er verdünnte diesen Pflanzensud (der letztlich qualitativ und quantitativ undefinierbare Stoffe zum Inhalt hatte) zur Hälfte mit Cognac oder Brandy. Tja … es sei aber angemerkt, dass er damit keinen medizinischen Zweck verfolgte, sondern wohl nur eine Art Keimfreimachen. Irgendwas mit Potenzen gabs bei ihm nicht, vor allem keine definierten Potenzstufen. Und das ist der Punkt, der ihn aus der Definition von Homöopathie herausfallen ließ. Daran ändert auch nichts die Anweisung, diese dann als „Bach Stockbottles“ vertriebenen Lösungen zur Einnahme nochmal mit einigen Tropfen auf ein Glas Wasser zu verdünnen. So ist man ohnehin auf jeden Fall schon in der Größenordnung jenseits jeder physiologischen Wirksamkeits-Wahrscheinlichkeit angekommen. Aber das ist ja egal, es geht ja nur um die Schwingungen!

stux, Pixabay (Lizenz CC0)

Eine andere Sache ist, dass es Menschen gibt, die sich an die Sache mit den paar Tropfen nicht halten – und bei wiederholter gering oder gar nicht verdünnter Einnahme oder gar dem Konsum ganzer Stockbottles eine gewisse Menge Alkohol zu sich nehmen. Der Alkoholanteil von Bachblütenessenzen liegt etwa bei 27 Volumenprozent. Nicht schlecht! Oktoberfestbier hat etwa sechs Volumenprozent. Ein Fall eines bösen Alkoholiker-Rückfalls dadurch ist tatsächlich dokumentiert.

Für Kinder – insbesondere Säuglinge und Kleinkinder – würde ich persönlich allein wegen des Alkoholgehaltes Bach-Blüten gar nicht in Erwägung ziehen (abgesehen davon, dass ich das ohnehin nicht tun würde). Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt schon lange, Neugeborenen und Kindern bis zu 2 Jahren überhaupt keine „pflanzlichen“ Mittel auf alkoholischer Basis zu verabreichen sowie dies bei Älteren zu minimieren. Es gibt eine Absichtserklärung der EU-Kommission, dazu auf Sicht eine europäische Harmonisierung mit dem Endziel anzustreben, Alkohol generell aus Medikationen für Kinder und Heranwachsende zu verbannen. Warum, glaubt ihr wohl, ist vor einigen Jahren das jahrzehntelang „beliebteste Erkältungsmittel Deutschlands“, Meditonsin-Tropfen, plötzlich auch als Globuli auf den Markt gekommen?

Die hauptsächliche Parallele Bachs zu Hahnemann ist also das Setzen auf eine Art „geistigen“, jedenfalls „immateriellen“ Agens als Grundlage einer Wirkung. Ob das nun „Energie“ oder „Schwingung“ oder „feinstofflich“ heißt (Bezeichnungen, die heute auch „modern“ für Hahnemanns „geistige Arzneikraft“ verwendet werden), läuft auf das Gleiche hinaus, Denn diese Begriffe werden entweder nicht im klar definierten physikalischen Sinne verwendet (Energie, Schwingung) oder sind leere Worte (feinstofflich). Und an dieser Stelle wird klar, dass insofern Bach dem guten alten Samuel Hahnemann eigentlich nähersteht als Schüßler (der „Feinstofflichkeit“ nur als Erklärung braucht, wie die Mineralsalze in die Zelle gelangen sollen), obwohl wiederum anders als dessen Salze Bachs Essenzen rechtlich nicht als Homöopathie und damit auch nicht Arzneimittel … alles klar?!?

Ich sag ja, Gemengelage. Gepflegter Irrsinn, möchte man fast sagen.

Para- und Pseudowissenschaft

Beide Methoden balancieren auf der Grenze zwischen Para- und Pseudowissenschaft. Was uns Gelegenheit gibt, auch zu diesen Begriffen einmal Klarheit zu schaffen: Pseudowissenschaft nimmt für sich Wissenschaftlichkeit in Anspruch, ohne dafür die notwendigen Belege beibringen zu können (und meist ohne die „Spielregeln“ der Wissenschaft zu akzeptieren). Eine Pseudowissenschaft in diesem Sinne ist klassischerweise die Homöopathie oder auch die sogenannte „ernsthafte“ Astrologie.

Eine Parawissenschaft dagegen ist der klassische „Schwurbel“, der sich in Spekulationen und kühnen Behauptungen ergeht, aber gar nicht den „Ehrgeiz“ hat, das auf eine Ebene von Wissenschaftlichkeit zu heben – oder Wissenschaft glatt ablehnt. Wahrsagerei und Hellsehen zum Beispiel. So wie auch manches auf dem sogenannten „grauen Gesundheitsmarkt“, der dank eines lahmenden und hinkenden Verbraucherschutzes im Gesundheitswesen hierzulande sozusagen hinter jeder Ecke anzutreffen ist. Bach hatte offensichtlich keinen Ehrgeiz, sich wissenschaftlich zu etablieren, der wäre also ein formvollendeter Parawissenschaftler. Schüßler sah das zwar anders, aber er genügte sich wohl selbst in seinem Bewusstsein, sowohl Jünger von Hahnemann als auch von Virchow zu sein – bei ihm kommt ja auch noch das Fehlen jeglichen Versuches dazu, seine Methode nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu belegen. Andererseits wird er durch die Einbeziehung in den rechtlichen Begriff der homöopathischen Mittel wieder auf eine gewisse Ebene gehoben …

Sicher ist klar geworden, warum ich beide in der Grauzone zwischen Para- und Pseudowissenschaft verorte. Aber das nur zur Klärung nebenbei.

Jetzt aber noch ein wenig Wissenswertes zu den Therapievorschlägen beider Herren.

Schüßler setzte sich dadurch von den Homöopathen ab, indem er das Ähnlichkeitsprinzip durch seine biochemischen Überlegungen ersetzte und eine Wirkungszunahme durch Potenzierung nicht brauchte, nicht einmal irgendwo erwähnte, sondern mit umfangreichen physiologischen Begründungen auf „Verdünnung“ (bzw. auf Verreibung) „bis zur 6. Decimalstufe“) setzte. Schüßler selbst benutzte nie den Begriff „Potenzierung“, er interessierte sich offensichtlich nicht dafür.

Verdünnungen!!!
Quelle: Digitalisat der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) 

Gleichwohl liest man überall auf Schüßler-Infoseiten von „Potenzierung“, doch ist das ein von der Homöopathie mit einem bestimmten Bedeutungsinhalt geprägter Begriff (Verdünnen unter gleichzeitigem rituellem Schütteln, was eine „Wirkungszunahme der geistigen Arzneikraft“ bewirken soll), der bei Schüßler-Salzen durchaus unangebracht ist. Möchte man hier eine Nähe zur Homöopathie suggerieren? Oder wird das gar nicht mehr reflektiert?

Wichtig zu wissen ist, dass Schüßler mit seinen Salzen gar nicht direkt supplementieren, also Mineralstoffmängel ausgleichen wollte. Nein, obwohl er seine Lehre – anders als Hahnemann – auf gerade einmal 80 Druckseiten niederlegen konnte, war es schon etwas komplizierter. Er stellte sich vor, dass die Aufnahmefähigkeit für die essenziellen Mineralstoffe in den Zellen gestört sei, was zu einem zellulären Mangel führe und damit Krankheitserscheinungen aufrechterhalte. Aufrechterhalte? Ja, denn Auslöser dieser „Störung“ sei gerade die zu behandelnde Krankheit selbst, weil ihr pathogener „Reiz“ dazu führe, dass sich die Zellen sozusagen verausgaben und damit ihren Mineralstoffvorrat verlieren würden. Schüßlers Mittel bezwecken dabei aber nur, auf die Zellen einen gegenteiligen Reiz auszuüben, einen Anstoß, damit sie wieder ordentlich ihre Pflicht tun und die notwendigen Stoffe aus der Nahrung wieder aufnehmen. Er präzisierte dabei sogar, dass dazu die Zellen genau 26 Moleküle des Salzes aufnehmen müssten. Niemand weiß, wie er darauf kam und weshalb er annahm, genau dies werde exakt durch seine D6 – oder D12-Verdünnungen erreicht. An dieser Stelle kommt auf einmal beim so rationalen Schüßler doch wieder die „Feinstofflichkeit“ ins Spiel mit ihren „Schwingungen“ – damit erklärt er nämlich, wie die Moleküle ins Innere der Zellen gelangen sollen. Gar nicht mal so unkompliziert, oder?

Nun, wie dem auch sei. Jedenfalls durchaus folgerichtig schrieb Schüßler, damit dieser „Anstoß“ für die Zellen auch seinen Zweck erreicht, nach der Einnahme seiner Salze eine spezielle Diät vor, die dann die eigentliche Supplementierung (den Mangelausgleich) über die nun „aufnahmebereiten Zellen“ vornehmen solle. Erfährt man das in irgendeiner Apotheke? Weiß man das dort überhaupt? Oder lässt man die Leute in dem Irrglauben, sie würden allen Ernstes einem Mineralstoffmangel entgegenwirken?

Leider wohl ja – Natalie Grams brachte in unserem Gespräch das Beispiel, dass etliche SportlerInnen Magnesiummangel auszugleichen oder vorzubeugen glauben, wenn sie Schüßlers Salz Nr. 7 (Magnesiumphosphat) einnehmen … Und die so beliebte „heiße Sieben“? Genauso wenig wirksam wie alle anderen Stoffe Schüßlers, sie ist wohl irgendwie „populär“ geworden, weil die Nr. 7 das einzige Präparat war, bei dem Schüßler ein Auflösen in Wasser vorgeschrieben hat. Alle anderen Salze sollen schon direkt über die Mundschleimhaut, spätestens über die Schleimhaut der Speiseröhre aufgenommen werden. Schüßler befürchtete, dass seine „26 Moleküle“ im Verdauungstrakt Schaden nehmen oder chemisch ungewollt zu anderen Verbindungen reduziert werden könnten. Auch dazu habe ich bislang in Apotheken noch nie etwas gehört ….

Schüßler hat also ein ganzes Therapiesystem geschaffen, bei dem es – selbst angenommen, es sei richtig – absurd wäre, sich auf die Einnahme der Salze zu beschränken. Zudem muss – Therapie setzt Diagnose voraus – erst einmal festgestellt werden, an welchem „Mangel“ im Schüßler’schen Sinne der Patient oder die Patientin denn eigentlich leiden. Auch dafür hat Schüßler seine spezielle Methode: die Antlitzanalyse. Man soll tatsächlich am Gesicht erkennen können, was Sache ist. Diese großartige Idee wurde übrigens von einem ehemaligen Polizeisekretär namens Kurt Hickethier aufgenommen, der zwei „Genesungsanstalten“ betrieb und die Antlitzanalyse zu einen ausgetüftelten „System“ namens „Sonnerschau“ entwickelte. Und die findet sich noch heute im Diagnostikrepertoire manches Heilpraktikers wieder, durchaus auch ganz unabhängig von Schüßlers System.

Hand aufs Herz, liebe Schüßler-Fans: wann hat zuletzt jemand in der Apotheke durch einen längeren Blick in euer Antlitz gecheckt, ob ihr auch nach dem richtigen Schüßler-Salz verlangt? Na? Obwohl ich schon weiß, dass es so etwas hier und da in Apotheken, die dem „Alternativen“ zugeneigt sind, als „Kundenservice“ durchaus gibt, oft ganz ohne Zusammenhang mit Schüßler-Salzen.

Noch einen obendrauf: Schüßler meinte, die Antlitzanalyse sei rein intuitiv und könne nicht durch Beschreibungen oder Schaubilder erlernt werden. Was Hickethier nicht weiter scherte. So ist das nun mal im Paralleluniversum.


Noch genug Kondition für ein bisschen Bachblütenkunde?

Vielleicht ist schon mal aufgefallen, dass man die Blütenessenzen mit den Stockbottles auch nur in Apotheken bekommt (und bei bestimmten, meist in England beheimateten Versandhändlern). Wie das? Liegt daran, dass der Originallieferant mit Lizenz der Bach-Stiftung, die Firma Nelsons, nur an Apotheken exportiert – kein schlechter Schachzug. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von „Derivaten“, also von Bachs Essenzen „abgeleiteten“ Präparaten, von Alpenblüten bis zu Himalayablüten, die aber nicht die Bezeichnung Bach-Blüten führen dürfen. Die Optik der bekannten Original-Stockbottles mit dem Bach-Schriftzug tut das Übrige in Sachen Kundenbindung.

Werfen wir noch einen Blick auf einen fundamentalen Unterschied zwischen Hahnemann und Bach. Und zwar auf die Hahnemannsche und die Bachsche Ätiologie, also die jeweilige Lehre von der Ursache und der Entstehung von Krankheiten. Hahnemann vermied zeitlebens eine Kategorisierung von „Krankheit“ und lehnte ein Konzept überindividuell gleichförmig auftretender Krankheiten ab – er sprach ja nur davon, dass von „Krankheit“ nicht mehr zu erkennen sei als die außen wahrnehmbare individuelle Symptomatik. Daraus folgt Hahnemanns Postulat einer individuellen „verstimmten geistigen Lebenskraft“, der eine „geistige Arzneikraft“ mit der Auslösung einer auslöschenden „Kunstkrankheit“ entgegenwirken soll. Was dann wiederum die Basis für die vielgepriesene „Individualität“ der homöopathischen Therapie bildet und ebenso die Grundlage für die stetige abstruse Behauptung, die „Schulmedizin“ behandle keine Ursachen, sondern Symptome.

Bei Bach findet sich davon nichts. Dessen „Ätiologie“ zeichnet sich gegenüber Hahnemann (bei dem wir den Stand des Wissens in der ersten Hälfte des 19. Jh. zugrunde legen müssen) immerhin in den 1930er Jahren (!) durch ausufernd subjektive, damit inkonsistente reine Annahmen aus, bei der er gar nicht erst den Versuch unternahm, diese zu validieren (also auf ihre Belastbarkeit zu überprüfen). Zwar war seine These, alle Krankheiten hätten ihre Ursache in seelischen Verstimmungszuständen („unharmonischen Schwingungen“), damals irgendwie so etwas wie ein Zeitgeistphänomen, wenn nicht gar ein Hype, aber gegenüber Hahnemanns Zeiten war die wissenschaftliche Medizin einschließlich der Ätiologie schon weit entwickelt. Bach scheint das – obwohl studierter Mediziner – gleichgültig gewesen zu sein, typisch Paramediziner.

Die Ausschließlichkeit aber, mit der Bach diese These allein psychische Ursachen für sämtliche Krankheitszustände in Anspruch nahm, diskreditierte seine Ätiologie aber schon damals. Sein nächster Schritt führte nun vollends ins Unbelegt-Subjektive. Schlicht aufgrund seiner „Intuition“ ordnete er „seelische Verstimmungszustände“ einzelnen Pflanzen zu. Und nicht nur das. Als Grundfolie der „Verstimmungszustände“ verwendete er die Archetypenlehre von C.G. Jung eine sehr vom – heute als unwissenschaftlich qualifizierten – Übervater Freud beeinflussten Psychologie (bei der Archetypenlehre z.B. spielt die Lehre vom „Unbewussten“ noch eine wesentliche Rolle). Möglicherweise sah er in dem einer gewissen Mystik (Traumlehre) durchaus zugeneigten Jung so etwas wie einen ideellen Partner …

Gerade der Anspruch, seelische, psychopathologisch einzuordnende Zustände und Befindlichkeiten nach „Archetypen des kollektiven Unbewussten“ mit den Blütenessenzen per „Schwingungsausgleich“ beeinflussen und damit die aus den Verstimmungszuständen erst folgenden Krankheiten kurieren zu wollen, ist das so Bedenkliche an der Pseudomethode Bach-Blüten. Man schaue sich nur einmal die Auswüchse an, die sich inzwischen auch in Apotheken zeigen; Bachblüten-Drops oder Gummibonbons gegen Schulangst … ich erspare uns hier weitere Beispiele. Zu suggerieren, regelrechte psychopathologische Krankheitszustände (teils deutlich über alltägliche Befindlichkeitsstörungen hinaus, die einen Griff zu Medikationen ohnehin gar nicht rechtfertigen) als eigentliche Krankheitsursache beheben zu können, macht die Bach-Blüten zu potenziell sehr kritischen und auch unethischen Mitteln. Hier wird suggeriert, dass es nur geringen Aufwandes bedarf, um wieder „in Ordnung zu kommen“ – fatal bei der ohnehin stark empfundenen Hemmschwelle, fachliche psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das ist der eigentlich wirklich fatale Punkt an der ganzen Bachblütengeschichte.

Man wird festhalten müssen, dass Bach ein Sonderling war, der – bei allen Unterschieden von der Homöopathie mitgeprägt – über den Weg einer esoterisch fundierten Naturverklärung zu seinen völlig subjektiven Thesen kam, die er selbst nie irgendwie empirisch prüfte und die auch in späteren Zeiten rigoroser empirischer Prüfung nicht standhielten. Es gibt trotz Bachs Desinteresse an wissenschaftlichen Belegen einiges an Studien (anders als bei den Schüßler-Salzen), sogar einige systematische Reviews der Studienlage. Erwartungsgemäß kommt keine dieser Arbeiten auch nur in die Nähe eines Belegs für eine medizinisch relevante Wirksamkeit.

Es verwundert auch nicht, dass Bachs mystisch-esoterisch zu verortende „Blütentherapie“ nach seinem Tode erst einmal schnell in Vergessenheit geriet und irgendwann (als sich ein Geschäftsmodell in der „New-Age-Ära“ der 1970er Jahre abzeichnete) recht plötzlich wieder das Tageslicht erblickte. Dass Bach-Blüten rechtlich Lebensmittel sind (und um ein Haar als alkoholische Getränke eingestuft worden wären) wissen die wenigsten Konsumenten. Damit ist die Werbung mit allzu konkreten gesundheitsbezogenen Aussagen sehr beschränkt, es ist nicht mehr möglich als das, was die Health-Claim-Verordnung der EU zulässt (z.B. allgemeine Aussagen zur Stärkung des Immunsystems, was ich auch schon für problematisch halte – und was arzneimittelrechtlich in Bezug auf Homöopathie schon untersagt wurde). Andererseits wirkt dann natürlich wieder der Verkauf in Apotheken vertrauensbildend. Über Inhalt und Qualität der Beratung dort wollen wir nicht spekulieren.

Übrigens wurde für das populärste aller Bach-Mittel, die sogenannten Rescue-Tropfen (Kombination aus fünf Einzelmitteln, die sozusagen als Expressmedikament für und gegen fast alles wirken sollen) vor nicht langer Zeit durch den Europäischen Gerichtshof diese Bezeichnung untersagt. In dem Wort „Rescue“ sahen die Richter eine gesundheitsbezogene Aussage, die die Schwelle der Health-Claim-Verordnung überschreite. Woraufhin Nelsons aus der Not eine Tugend machte, eine Werbekampagne startete und den neuen Begriff „Rescura“ massiv bewarb. So geht das!

Jetzt ist es aber genug …

Jetzt wisst ihr so ungefähr Bescheid, Bach und Schüßler sind im Grunde schöne Beispiele für die Zeitgebundenheit früherer medizinischer Ideen. Wir wollen uns allerdings nicht davon freisprechen, dass möglicherweise das, was wir heute für das Nonplusultra wissenschaftlicher Erkenntnismethoden halten, in den Augen späterer Generationen auch irgendwann mal „zeitgebunden“ erscheinen mag. Ein Kernpunkt heutiger wissenschaftlicher Methodik ist aber, die hemmungslose Subjektivität (man könnte auch sagen: Fantasie), wie sie sowohl bei Schüßler als auch bei Bach zum Ausdruck kommt, systematisch aus der empirischen Untersuchung (natur)wissenschaftlicher Fragen auszuscheiden. Das ist eine große Errungenschaft, die jedes „mir hat es aber geholfen“ obsolet macht – und wesentliche Grundlage moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnis insgesamt. (Edit 13.11.2022: präzisiert nach Hinweis im Kommentar von Joseph Kuhn).

Geschichten rund um diese Mineral- und Blüten-Absurditäten gibt es noch weit mehr, zum Beispiel zur Bedeutung beider in der sogenannten alternativen Tiermedizin, aber es ist hier eh zu lang geworden. Merken wir uns einfach: Schüßler-Salze und Bach-Blüten sind ohne Homöopathie in der Vita ihrer Erfinder zwar nicht denkbar, unterscheiden sich aber ungeachtet ihrer unterschiedlichen rechtlichen Einordnung beide gravierend von dieser – und untereinander. Gemeinsam ist allen drei „Therapiemodellen“ die nie nachgewiesene medizinische Wirksamkeit.



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Homöopathie international: Die Reviews / die Statements / die Maßnahmen

Beitrag oben halten

I.

Übersicht über die indikationsübergreifenden Reviews / Metaanalysen zur Homöopathie seit 1991

Kleijnen (1991) 

„Derzeit sind die Nachweise aus klinischen Studien positiv, aber sie sind nicht ausreichend, endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen, weil die Methodik in den meisten Studien von geringer Qualität ist und der Einfluss des „Publication bias“ unbekannt ist.“

Kleijnen J et al: Clinical trials of homeopathy, BMJ 1991; 302:316-23


Linde (1997) 

„Das Ergebnis unserer Meta-Analyse liefert keine Bestätigung für die Hypothese, die klinischen Effekte der Homöopathie bestünden alleine aus einer Placebowirkung. Wir fanden in diesen Studien jedoch nur unzureichende Nachweise dafür, dass die Homöopathie auch nur bei einem einzigen Krankheitsbild wirksam wäre.“

Linde K et al.: Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A metaanalysis of placebo-controlled trials, The Lancet 1997;350:834-43 


Linde (1998) 

„Die Ergebnisse der vorliegenden randomisierten kontrollierten Studien deuten darauf hin, dass die Homöopathie eine über Placebo hinausgehende Wirkung aufweist. Die Nachweise sind jedoch wegen methodischer Schwächen und Widersprüchlichkeit nicht überzeugend.“

Linde K et al: Randomized controlled trials of individualized homeopathy: A state-of-the-art review, Journal of Alternative and Complementary Medicine 1998; 4(4):371-388 


Cucherat (2000) 

„Es gibt ein paar wenige Nachweise dafür, dass homöopathische Therapien wirksamer sind als Placebos; die Aussagekraft dieser Nachweise ist wegen der nur geringen methodischen Qualität der Studien nur gering. Studien von höherer methodischer Qualität waren eher ungünstiger als solche mit geringer Qualität.“

Cucherat M et al.: Evidence of clinical efficacy of homeopathy, Eur. J Clin Pharmacol 2000;56:27-33 


Shang (2005) 

„… es zeigten sich schwache Nachweise für einen spezifischen Effekt der homöopathischen Arzneien (…) Die Ergebnisse bestätigen den Eindruck, dass es sich bei den klinischen Effekten der Homöopathie um Placeboeffekte handelt.“

Shang A et al. Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homeopathy and allopathy, Lancet 2005;366:726-32 

Die Shang-Studie, von der Schweizer Bundesregierung zur Evaluation komplementärmedizinischer Methoden in Auftrag gegeben, führte zu dem Lancet-Editorial vom „Ende der Homöopathie“ und in der Folge zu langandauernden Kontroversen um die Arbeit (die noch heute gelegentlich aufflackern). Auch von Homöopathiekritikern wurden einzelne Punkte bemängelt, jedoch ist es nie gelungen, die Endaussage zu Lasten der Homöopathie zu Fall zu bringen. Einen Überblick über die Diskussion zur Shang-Studie gibt es hier und hier.


Mathie (2014) 

„Arzneien, die als Homöopathika individuell verordnet wurden, haben vielleicht einen kleinen spezifischen Effekt. (…) Die generell niedrige und unklare Qualität der Nachweise gebietet aber, diese Ergebnisse nur vorsichtig zu interpretieren.“

Mathie RT et al.: Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis, Systematic Reviews 2014;3:142 

Mathie 2014 ist die wohl am häufigsten als Beleg pro Homöopathie herangezogene zusammenfassende Arbeit. Nahezu regelhaft lässt sich beobachten, dass aus dem vorstehenden Fazit nur der erste Satz zitiert und der zweite, der das ohnehin schwache Ergebnis nochmals stark relativiert, so gut wie nie angeführt wird.


NHMRC (2015) 

„Es gibt keine zuverlässigen Nachweise dafür, dass die Homöopathie bei der Behandlung von Gesundheitsproblemen wirkungsvoll wäre.“

National Health and Medical Research Council. 2015. NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions. Canberra: NHMRC;2015 


Mathie (2017) 

„Die Qualität der Nachweise als Ganzes ist gering. Eine Meta-Analyse aller ermittelbaren Daten führt zu einer Ablehnung unserer Nullhypothese [dass das Ergebnis einer Behandlung mit nicht-individuell verordneten Homöopathika nicht von Placebo unterscheidbar ist], aber eine Analyse der kleinen Gruppe der zuverlässigen Nachweise stützt diese Ablehnung nicht. Meta-Analysen für einzelne Krankheitsbilder ergeben keine zuverlässigen Nachweise, was klare Schlussfolgerungen verhindert.“

Mathie RT et al.: Randomised, double blind, placebo-controlled trials of nonindividualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis, Systematic Reviews 2017;6:663


Mathie (2018) 

„Aufgrund der geringen Qualität, der geringen Anzahl und der Heterogenität der Studien lassen die aktuellen Daten einen entscheidenden Rückschluss auf die Wirksamkeit von IHT (individualisierten homöopathischen Therapien) nicht zu. Die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse wird durch die insgesamt identifizierte variable externe Validität eingeschränkt […]. Künftige OTP-kontrollierte Studien (Anm: other than placebo, also gegen Standardtherapien oder ganz ohne Behandlung getestet) in der Homöopathie sollten so weit wie möglich darauf abzielen, sowohl die interne Validität als auch die externe Validität zu fördern.“

Mathie RT et al.: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled, Trials of Individualised Homeopathic Treatment. Homeopathy 2018; DOI: 10.1055/s-0038-1667129 


Antonelli /Donelli (2018) 

„Wenn die Wirksamkeit der Homöopathie mit einem Placebo vergleichbar ist und eine Behandlung mit Placebo bei manchen Beschwerden wirksam sein kann, dann kann man die Homöopathie insgesamt als Placebotherapie ansehen. Die Interpretation der Homöopathie als Placebotherapie definiert Grenzen und Möglichkeiten dieser Lehre.“

Die Arbeit vergleicht Homöopathie mit sogenanntem „offenen Placebo“, also Behandlungen, bei denen den Patienten mitgeteilt wird, dass sie ein Placebo erhalten. Das Ergebnis stellt fest, dass die Wirksamkeit der Homöopathika der offenen Placebobehandlung entspricht.

Es scheint Intention dieser Arbeit zu sein, die Homöopathie als Placebotherapie zu „legitimieren“, was ein Kurswechsel in dem Bemühen wäre, eine Wirksamkeit der Homöopathie mit den Methoden der Evidenzbasierten Medizin nachzuweisen. Es muss allerdings der Tendenz entgegen getreten werden, auf diese Weise Homöopathie als Teil von Medizin zu rechtfertigen, was inzwischen sogar von der klinischen Placeboforschung ausdrücklich hervorgehoben wird (so Benedetti F, The Dangerous Side of Placebo Research: Is Hard Science Boosting Pseudoscience?, Clinical Pharmacology & Therapeutics Vol 106 No 6 Dec 2017).

Antonelli M, Donelli D: „Reinterpreting homeopathy in the light of placebo-effects to manage patients who seek homeopathic care: A systematic Review“, Health Soc Care Community (2018). doi: 10.1111/hsc.12681


Mathie (2019) 

„Die aktuellen Daten lassen eine entscheidende Aussage über die vergleichbare Wirksamkeit von NIHT (Nichtindividualisierte homöopathische Therapie, Behandlung mit Standardmitteln) nicht zu. Die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse wird durch die insgesamt festgestellte begrenzte externe Validität (Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse) eingeschränkt. Die höchste intrinsische Qualität wurde in den Äquivalenz- und Nichtunterlegenheitsstudien von NIHT beobachtet.“

Auch diesmal kommt Mathie, was die Qualität der von ihm betrachteten Studien angeht, zu einem vernichtenden Ergebnis: Von 17 eingeschlossenen Arbeiten war keine einzige mit einem „low risk of bias“, also einer ausreichenden Qualität und Aussagekraft, zu bewerten. 13 davon waren gar mit einem „high risk of bias“ einzustufen. Was dies bedeutet, ist nachstehend in der Gesamtbewertung der Studienlage erläutert.

Mathie RT et al.: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled, Trials of Non-Individualised Homeopathic Treatment. 
Homeopathy 2019 Jan 30. doi: 10.1055/s-0038-167748


Bewertung der Gesamtevidenz aus den indikationsübergreifenden Reviews im Zeitraum von 1991 bis 2019

Reviews / Metaanalysen stellen die zuverlässigste Quelle für die Beurteilung von Evidenz dar und repräsentieren so in der Hierarchie von Evidenz die höchste Stufe. Sie fassen Einzelstudien bzw. vorherige Analysen unter Berücksichtigung der Qualität und Validität ihrer Ergebnisse zusammen und ermöglichen so eine Gesamtschau auf die Evidenzlage zu medizinischen Methoden / Mitteln.

Die Ergebnisse der großen indikationsübergreifenden Reviews zur Homöopathie ergeben durchweg ein einheitliches Fazit: Man erhält auf den ersten Blick den Eindruck, dass es einen gewissen Nutzen geben könnte. Aber bei der – elementar wichtigen – Einbeziehung der Qualität der Aussagen in die Betrachtung oder bei dem Versuch, konkret festzustellen, für wen sich unter welchen Bedingungen sich ein Nutzen ergibt, verschwindet der positive Eindruck und zeigt sich als Trugschluss.

Zusammengefasst: Die Gesamtevidenz zur Homöopathie stellt sich so dar, dass es keinen belastbaren Nachweis dafür gibt, dass Homöopathie stärker wirkt als Placebo / Kontexteffekte. Alle zitierten Arbeiten kommen zu dem gleichen Schluss, sowohl die von homöopathischer Seite heftig kritisierten Arbeiten von Shang und des NHMRC als auch die Arbeiten Mathies, der seine vier Reviews der Gesamtstudienlage für das Homeopathy Research Institute durchgeführt hat, das zu den ständigen Kritikern der nicht von Homöopathen erstellten Reviews gehört. Die vielfach euphemistisch-ausweichend formulierten „Conclusions“ der von homöopathischer Seite durchgeführten Reviews dürfen über die nirgends belegte Evidenz für die Homöopathie nicht hinwegtäuschen, nicht zuletzt, weil sie Vertretern der Homöopathie in Diskussionen die Möglichkeit bieten, scheinbar positive Aussagen (selektiv) zu zitieren.

Die stets konstatierte mangelnde Qualität der untersuchten Studien darf nicht fälschlich als Relativierung des für die Homöopathie negativen Ergebnisses verstanden werden. Fehler und methodische Unzulänglichkeiten in Studien und Studiendesign wirken sich nahezu zwangsläufig in Richtung des sogenannten Alpha-Fehlers, also eines falsch-positiven Ergebnisses, aus und nicht umgekehrt.

Dies wird auch dadurch bestätigt, dass unter Einbeziehung der qualitativ besten Arbeiten die positiv erscheinenden Effekte sich nicht verstärken, sondern tendenziell verschwinden. Dies zeigen auch viele der hier angeführten Reviews immer wieder.

In einzelnen Reviews ist sogar zu bemängeln, dass methodisch gute Studien mit einem negativen Ergebnis für die Homöopathie gänzlich unberücksichtigt geblieben sind (z.B. bei Mathie 2014, wo bei Einbeziehung dieser Arbeiten das schwache Ergebnis zugunsten der Homöopathie vollends obsolet gewesen wäre).


II

Stellungnahmen von wissenschaftlichen Organisationen und staatlichen Stellen zur Homöopathie

Russische Akademie der Wissenschaften, 2017 
Deutsche Übersetzung: Informationsnetzwerk Homöopathie (2017)

„Dieses Memorandum stellt fest, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft Homöopathie heute als Pseudowissenschaft betrachtet. Ihre Verwendung in der Medizin steht im Gegensatz zu den grundlegenden Zielen der nationalen Gesundheitspolitik […].

Somit basiert die Homöopathie auf theoretischen Positionen, die in großen Teilen direkt grundlegenden wissenschaftlichen Prinzipien und Gesetzen der Physik, Chemie, Biologie und Medizin widersprechen. Keinerlei empirische Daten aus unabhängigen, hochqualitativen klinischen Studien bestätigen die klinische Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln.“


National Health and Medical Research Council, Australien (2015)

„Die Homöopathie sollte nicht zur Behandlung chronischer, ernster oder schwerwiegender Gesundheitszustände eingesetzt werden. Menschen, die sich für die Homöopathie entscheiden, können ihre Gesundheit gefährden, wenn sie Behandlungen ablehnen oder verzögern, für die es gute Beweise für Sicherheit und Wirksamkeit gibt.“


Ungarische Akademie der Wissenschaften

Homöopathische Mittel erfüllen nicht die Kriterien der evidenzbasierten Medizin.


Schwedische Akademie der Wissenschaften

Die Aufnahme anthroposophischer und homöopathischer Produkte in die schwedische Arzneimittelrichtlinie würde mehreren Grundprinzipien für Arzneimittel und evidenzbasierte Medizin zuwiderlaufen. Es ist grob irreführend, Homöopathika als Medikamente zu bezeichnen.


US Food and Drug Administration (FDA)

Wir empfehlen Eltern und Betreuungspersonen, Kindern keine homöopathischen Kinderzahntabletten und -gele zu geben und sich von ihrem Arzt beraten zu lassen, um sichere Alternativen zu finden.


NCCIH (Nationales Zentrum für komplementäre und integrative Gesundheit), USA

Verwenden Sie die Homöopathie nicht als Ersatz für eine bewährte konventionelle Behandlung oder um den Besuch bei einem Arzt wegen eines medizinischen Problems zu verschieben.


Von der US-amerikanischen Verbraucherschutzbehörde FTC geforderte Standardkennzeichnung homöopathischer Mittel, 2016

„Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass das Produkt wirkt
Die Erklärungen zum Produkt basieren ausschließlich auf den Theorien der Homöopathie aus dem 18. Jahrhundert, die von der Mehrzahl der heutigen medizinischen Fachleute nicht akzeptiert werden.“


The House of Commons, Science and Technology Committee, 2009

Homöopathische Mittel sind nicht besser als Placebos, und die Prinzipien, auf denen die Homöopathie beruht, sind wissenschaftlich nicht plausibel.
Schlussfolgerung: Homöopathie sollte nicht vom National Health Service unterstützt werden und die MHRA (Arzneimittel-Zulassungsbehörde) sollte die Lizensierung homöopathischer Produkte beenden.


National Health Service, Vereinigtes Königreich

Es gibt keine qualitativ hochwertigen Belege dafür, dass die Homöopathie als Behandlung für irgendeine medizinische Indikation wirksam ist. Homöopathie ist im besten Falle Placebo.


Royal Pharmaceutical Society, Großbritannien, 2017

„Die Royal Pharmaceutical Society (RPS) unterstützt die Homöopathie als Behandlungsform nicht, da es weder eine wissenschaftliche Grundlage für die Homöopathie noch Belege für eine klinische Wirksamkeit homöopathischer Produkte über den Placebo-Effekt hinaus gibt.

Die RPS unterstützt keine Verschreibung homöopathischer Produkte im Rahmen des NHS (inzwischen erledigt mit der Übernahme der NHS-Empfehlungen zur Homöopathie durch sämtliche englischen Regionalorganisationen).

Apotheker sollten sicherstellen, dass Patienten die Einnahme ihrer verschriebenen konventionellen Medikamente nicht einstellen, wenn sie ein homöopathisches Produkt einnehmen oder dies in Erwägung ziehen.

Apotheker müssen sich darüber im Klaren sein, dass Patienten, die nach homöopathischen Produkten fragen, schwere, nicht diagnostizierte Krankheiten haben können, die die Inanspruchnahme eines Arztes erfordern.

Apotheker müssen Patienten, die ein homöopathisches Produkt in Betracht ziehen, über dessen mangelnde Wirksamkeit über Placeboeffekte hinaus beraten.“


Ministerium für Gesundheit, Spanien

„Die Homöopathie hat ihre Wirksamkeit in keiner bestimmten Indikation oder klinischen Situation endgültig bewiesen.“


Oberster Medizinischer Rat (NRL) der Nationalen Ärztekammer, Polen

„Die Anwendung der Homöopathie verstößt gegen die Grundsätze der medizinischen Ethik.“


Prof. Maciej Latalski, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates des polnischen Gesundheitsministers, Vorsitzender der Konferenz der Rektoren der medizinischen Universitäten in Polen (2006)

“(…) Homöopathie hat nichts mit Medizin zu tun (außer dem Phänomen des Placebos), und ihre therapeutischen Prinzipien basieren auf der pseudowissenschaftlichen Prämisse, dass “Ähnliches mit Ähnlichem behandelt werden kann.“


Federaal Kenniscentrum voor de Gezondheidszorg, Belgien / Englischsprachiger Teil

„Aus rein klinischer Sicht bleibt festzuhalten, dass es keinen gültigen empirischen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie (evidenzbasierte Medizin) über den Placeboeffekt hinaus gibt.“


European Academies Science Advisory Council (EASAC)

„Wir erkennen an, dass ein Placebo-Effekt bei einzelnen Patienten auftreten kann, aber wir stimmen mit früheren umfangreichen Evaluierungen überein, die zu dem Schluss kommen, dass es keine bekannten Krankheiten gibt, für die robuste, reproduzierbare Beweise existieren, dass Homöopathie über den Placebo-Effekt hinaus wirksam ist.“


Akademie der medizinischen Wissenschaften, Frankreich

„Homöopathie ist eine Methode, die vor zwei Jahrhunderten auf der Grundlage von a-priori-Konzepten ohne wissenschaftliche Grundlagen entwickelt wurde.“


Nationaler Rat der französischen Ärztekammern
zur Homöopathie-Debatte 2018 in Frankreich

Ohne die Freiheit kritischer oder divergierender Meinungen jedes Einzelnen im öffentlichen Raum in Frage zu stellen, fordert der Nationalrat der Ärztekammer:

  • dass der Begriff „Medizin“ als Voraussetzung für jedes therapeutische Vorgehen als erstes einen medizinischen Prozess der klinischen Diagnose beinhaltet, der gegebenenfalls durch zusätzliche Untersuchungen unter Hinzuziehung kompetenter Dritter ergänzt wird;
  • dass jeder Arzt Medizin nach wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen und Daten sowohl bei der Erstellung der Diagnose als auch beim Therapievorschlag praktizieren muss.

Oberste französische Gesundheitsbehörde: Erneute Evaluation der Studienlage zur Homöopathie (2019)

Insgesamt zeigten keine belastbaren Studien die Überlegenheit homöopathischer Arzneimittel gegenüber konventionellen Behandlungen oder dem Placebo in Bezug auf die Wirksamkeit.


Zentrale Ärztekammer der Region Madrid (ICOMEM)

„Über homöopathische Produkte: [Die Ärztekammer …] sieht es insofern als unethisch an, dass Methoden, aber auch Verschreibungen von Arzneimitteln als wirksame Therapien dargestellt und vorgeschlagen werden, bei denen wissenschaftliche Grundlagen fehlen, denen illusionäre Vorstellungen zugrunde liegen oder die sich praktisch unzureichend bewährt haben.

Aus diesen Gründen wird die Verantwortung des Arztes öffentlich eingefordert und an seine Pflichten gegenüber dem Patienten und dem Berufsstand gegenüber erinnert.


Was den europäischen Bereich betrifft, so ist – abgesehen natürlich von den Ländern, bei denen Homöopathie in den Gesundheitssystemen ohnehin keine Rolle spielte – Deutschland das einzige Land, das nach der Veröffentlichung des als Empfehlung an die Regierungen und die EU-Kommission gedachten Statements zur Homöopathie keinerlei Veränderungen im Arzneimittel- und Sozialrecht vorgenommen hat. Damit kann mit Fug und Recht festgehalten werden, dass Deutschland in dieser Hinsicht die europäische „Rote Laterne“ innehat – hinten am letzten Waggon mit der Bremsanlage.


III

Gesundheitspolitische / staatliche Maßnahmen
zur Homöopathie im Gesundheitswesen

USA – Federal Trade Commission (US-Verbraucherschutzbehörde) – 2016

Die FTC fordert in einem „Enforcement Policy Statement on Marketing Claims for OTC Homeopathic Drugs“ vor dem Hintergrund, dass ein Vertrieb als Arzneimittel ohne Evidenznachweise nicht hingenommen werden könne, eindeutige Kennzeichnungen von homöopathischen Präparaten.

Statements der zugehörigen Pressemitteilung:

„Diese Irreführung der Kunden (Verkauf als Arzneimittel ohne wissenschaftlichen Wirkungsnachweis) könne dadurch beseitigt werden, dass die Hersteller in ihren Begleitmaterialien („marketing materials“) angeben, dass es

  • keine wissenschaftlichen Belege dafür gäbe, dass das Produkt wirkt und dass sich
  • die Angaben lediglich auf die Theorien der Homöopathie, die aus dem 18. Jahrhundert datieren, abstützen, die von den meisten modernen medizinischen Fachleuten nicht akzeptiert werden.“

Russische Föderation, Russische Akademie der Wissenschaften / Gesundheitsministerium – 2017

Die „Kommission zur Bekämpfung von Pseudowissenschaften“ am Präsidium der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAS) hat 2017 ein Memorandum „Über die Pseudowissenschaft Homöopathie“ herausgegeben. Die RAS hat auf der Grundlage eines interdisziplinären Fachgutachtens die Homöopathie als Pseudomedizin eingestuft und erklärt, dass künftige Erkenntnisse, die dies revidieren könnten, nicht zu erwarten sei (deutsche Übersetzung hier). Die Homöopathie soll aus allen Ebenen des öffentlichen Gesundheitswesens entfernt werden. Als Maßnahmen wurden dem Gesundheitsministerium zur Umsetzung u.a. vorgeschlagen:

  • […] Die postgraduale Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte hat darauf abzuzielen, diese mit den Grundannahmen pseudowissenschaftlicher Methoden – einschließlich Homöopathie – und der Kritik daran, die zur Einstufung als Pseudowissenschaft führt, vertraut zu machen.
  • Versicherungen haben sich an die gängige Praxis zu halten, die keine Leistungserbringung für Homöopathie vorsieht.
  • Kein gleichberechtigter Apothekenverkauf von Arzneimitteln und homöopathischen Präparaten. Homöopathische Medikamente sollten in einer separaten Vitrine vorgehalten werden.
  • Keine Beratung von Patienten mehr zu homöopathischen Mitteln. Pflichtberatung in Apotheken bei Patienten, die homöopathische Mittel verlangen, dahingehend, dass die Homöopathie nach wissenschaftlichen Kriterien keinen Wirkungsnachweis erbringen konnte.
  • Verpflichtung der Ärzte zur Information von Patienten über die Wirkungslosigkeit der Homöopathie und ihre Einstufung als Pseudomedizin. Keine Zusammenarbeit mit Organisationen, die weiterhin Homöopathie fördern und verbreiten. Eine Verschreibung homöopathischer Mittel ist als unethisch anzusehen, und zwar auch dann, wenn nur der Placebo-Effekt erreicht werden soll. […]

Australien, Gesundheitsministerium und Verband der Versicherungsanbieter / Pharmaceutical Society of Australia) – 2017

Homöopathie wurde bislang nur innerhalb von privaten Zusatzmodulen zur gesetzlichen Krankenversicherung angeboten. Das australische Gesundheitsministerium und die Versicherungsträger haben sich 2017 darauf geeinigt, Homöopathie-Erstattungen (neben anderen Methoden ohne Wirkungsnachweis) auch im Bereich der privaten Zusatzversicherung nicht mehr zuzulassen. Damit wurde einer Empfehlung des Royal Australian College of General Practitioners (der Allgemeinärzteorganisation Australiens) als Konsequenz aus dem NHMRC-Review von 2015 gefolgt. Die Entscheidung wurde 2019/20 nochmals evaluiert und blieb unverändert.

Gesundheitsministerium und Apothekerverband haben als Fazit einer gemeinsamen Begutachtung erklärt, dass „diese Produkte (Homöopathika) keine Evidenzbasis hätten und ausreichende Beweise für ihre Nichtwirksamkeit bestünden, um aus ethischen Gründen ihren Verkauf in öffentlichen Apotheken auszuschließen. Die Pharmaceutical Society of Australia und andere Berufsvereinigungen haben ergänzend erklärt, dass sie den Verkauf und das Vorhalten von Homöopathika in öffentlichen Apotheken nicht unterstützen.

Nachtrag: Inzwischen hat sich dies im offiziellen PSA Code of Ethics for Pharmaceutics niedergeschlagen. Aufgrund dessen hat die PSA nun Werbetreibenden und Einkaufsgemeinschaften des pharmazeutischen Bereichs dringend empfohlen, in keiner Form für Homöopathika zu werben.


Vereinigtes Königreich, National Health Service – 2017

Der National Health Service (NHS), der Träger des Gesundheitssystems in Großbritannien, hat die Verschreibungsfähigkeit von Homöopathika (und 17 weiteren Mitteln, durchweg pflanzliche Remedia) beendet. Die Regionalorganisationen des NHS erhielten entsprechende „Blacklists“. Der Schritt erfolgte wegen „geringer klinischer Wirksamkeit“ und/oder „geringer Kosteneffizienz“. Speziell die Homöopathie sei „im besten Fall Placebo”.

Der NHS folgt damit einer bereits aus dem Jahre 2009 stammenden Empfehlung des Science and Technology Committee des House of Commons: „Homeopathy should not be funded on the NHS and the MHRA should stop licensing homeopathic products… We conclude that the Government’s policies on the provision of homeopathy through the NHS and licensing of homeopathic products are not evidence-based“).


Spanisches Gesundheitsministerium – 2017

Die spanische Gesundheitsministerin hat den Regionen per Erlass die Erstattung von Homöopathie im Krankenversicherungssystem ausdrücklich untersagt und wiederholte Verstöße der Regionen gegen die entsprechende bisherige Weisung gerügt. Noch bestehende Genehmigungen für Homöopathika-Erstattungen in der Region Valencia (nach dem sog. Königl. Dekret 1/2015) wurden zurückgezogen.


Food and Drug Administration, USA – 2017

Die Food and Drug Administration (FDA), die US-amerikanische Arzneimittelbehörde, hat in einer Pressemitteilung vom 18.12.2017 erstmals Regulationsvorschriften für den Vertrieb und Verkauf von Arzneimitteln ohne Wirkungsnachweis, insbesondere der Homöopathie, angekündigt. Sie erkennt damit ausdrücklich die Risiken an, die damit verbunden sind, dass Patienten Mitteln ohne Wirkungsnachweis auch bei schwereren Erkrankungen vertrauen könnten. Aus der Pressemitteilung:

„Bis vor relativ kurzer Zeit war die Homöopathie ein kleiner Markt für Spezialprodukte. Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist der Markt für homöopathische Arzneimittel exponentiell gewachsen. Dies hat eine Industrie mit einem Volumen von fast 3 Milliarden US-Dollar hervorgebracht, was entsprechend mehr Patienten den potenziellen Risiken aussetzt, die mit der Verbreitung von unbelegten, nicht getesteten Produkten und unbegründeten gesundheitsbezogenen Angaben verbunden sind. […]

Der Leitlinienentwurf ist ein wichtiger Schritt in der Arbeit der Agentur zum Schutz der Patienten vor unbewiesenen und potenziell gefährlichen Produkten. […]“


Schweiz – Einführung der Erstattungsfähigkeit von Homöopathie als „politischer Kompromiss“ ohne Wirksamkeitsnachweis – 2017

Die Situation in der Schweiz stellt einen Sonderfall dar. Derzeit ist die allgemeine Krankenversicherung ermächtigt, Kostenerstattungen für fünf „komplementärmedizinische Methoden“ (darunter die Homöopathie) zu leisten. Dies geschieht jedoch nicht aufgrund von Evidenznachweisen.

Parallel zu einer ersten „probeweisen“ Einführung der Kostenerstattung für fünf „komplementäre“ Methoden (darunter Homöopathie) wurde 1999 in der Schweiz ein Programm zur Evaluation gestartet, von dem die zukünftige Handhabung abhängen sollte (PEK – Programm Evaluierung Komplementärmedizin). Bezüglich der Homöopathie führte dieses Programm zu der unter I.5 gelisteten Studie Shang et al. Diese erbrachte (ebenfalls) keinen belastbaren Wirkungsnachweis für die Homöopathie (sie verursachte jahrelang massive Kontroversen in der Fachwelt, ist bis heute noch Gegenstand von Diskussionen, die Richtigkeit der Gesamtaussage konnte jedoch niemals erschüttert werden). Daraufhin wurde die Erstattungsfähigkeit der fünf Verfahren – einschließlich der Homöopathie – in der Schweiz wieder beendet.

Per Volksentscheid „Für den Erhalt von Komplementärmedizin“ wurde dessen ungeachtet erreicht, die Komplementärmedizin als Teil der Gesundheitsfürsorge in der schweizerischen Verfassung zu verankern. Die Umsetzung dieser Entscheidung nahm erhebliche Zeit in Anspruch und endete in einem politischen „Kompromiss“: In einem „Vertrauensbonus“ für die Komplementärmedizin. Ungeachtet der nach wie vor nicht belegten Evidenz der Wirksamkeit werden seit dem 01.07.2017 pauschal die in Rede stehenden fünf Therapien in den Leistungskatalog aufgenommen und erst dann, wenn Ärzte- oder Patientenorganisationen einen Antrag auf Überprüfung stellen, sollen diese im Einzelfall „auf ihren therapeutischen Nutzen“ untersucht werden.

Die derzeit bestehende Kostenerstattungsfähigkeit für Homöopathie im Schweizer Gesundheitssystem ist also keineswegs ein Beleg für eine anerkannte Evidenz der Methode, wie oft und gern behauptet wird. Die derzeitige Situation in der Schweiz ist mit den Ergebnissen der eigenen Evaluation (Arbeit Shang et al.) unvereinbar.

Die ganze Geschichte dieses langjährigen Prozesses beschreibt das Informationsnetzwerk Homöopathie hier.

Die Neue Zürcher Zeitung hat zu den wiederholten Versuchen deutscher Homöopathie-Organisationen, das „Schweizer Modell“ als Beleg pro Homöopathie darzustellen, einen umfassenden klarstellenden Artikel veröffentlicht.


Spanisches Gesundheitsministerium – 2018

Die spanische Gesundheitsministerin hat sich im Interview mit La Vanguardia , klar zur Homöopathie als Pseudowissenschaft positioniert:

„Die Homöopathie ist eine „alternative Therapie“, die wissenschaftlich nicht belegt ist.

Gesundheitseinrichtungen haben die Pflicht, Produkte mit nachgewiesener Wirkung zu verwenden, d.h. Medikamente, die strengen klinischen Studien und Kriterien unterzogen wurden. Wenn homöopathische Arzneimittel wissenschaftliche Nachweise erbringen, werden sie als solche angesehen. Das ist nicht mehr der Fall.

Wir arbeiten mit dem Wissenschaftsministerium an einer Strategie zur Bekämpfung der Pseudowissenschaften. Sobald diese Strategie vorliegt, werden wir Maßnahmen zu einzelnen Methoden / Mitteln vorlegen, aber es ist klar, dass es vordringlich ist, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und aufzuzeigen, welche Produkte für die Gesundheit nützlich sind und welche nicht, und den Schaden zu erklären, den die Entscheidung für eine alternative Therapie anrichten kann.“


Ungarisches Nationales Institut für Pharmazie und Lebensmittelgesundheit (OGYÉI) – 2020

„Ab dem 1. Juli (2020) darf ein homöopathisches Arzneimittel nur dann mit einer therapeutischen Indikation vermarktet werden, wenn die Wirksamkeit der Behandlung durch klinische Studien bestätigt wurde. Solche Mittel existieren derzeit jedoch nicht.

Ab dem Stichtag können homöopathische Arzneimittel nur in Ungarn ohne “therapeutische Indikation” vermarktet werden, da ihre Indikation für die auf dem Markt befindlichen Produkte durch eine klinische Studie nicht bestätigt wurde.

Die Werbung für marktfähige homöopathische Arzneimittel wird daher ab dem 1. Juli 2020 möglicherweise nur noch den Etikettentext des Produkts und keine zusätzlichen Informationen enthalten.“

Durch die Änderung des Gesetzes zur Änderung der Rechtsvorschriften über Humanarzneimittel und anderer Rechtsvorschriften zur Regulierung des Pharmamarkts (in Kraft getreten zum 01.01.2020) hat Ungarn das Zulassungsregime für homöopathische Mittel, die mit einer Indikation auf den Markt kommen wollen, verschärft. Solche Mittel müssen nun ausnahmslos mit klinischen Studien auf wissenschaftlicher Basis ihre Wirksamkeit nachweisen. Die zum Stichtag auf dem Markt befindlichen Mittel mit Indikation genießen keinen Bestandsschutz. Im Ergebnis ist nach dem 01. Juli 2020 in Ungarn kein homöopathisches Mittel mehr auf dem Markt, das mit einer Indikationsangabe versehen ist oder werben darf.

In Deutschland würde dies einer Abschaffung des Kerns des Binnenkonsens entsprechen, indem der Kommission D beim BfArM die Möglichkeit genommen würde, indikationsbezogene Zulassungen auf der Grundlage „homöopathischen Erkenntnismaterials“ nach selbstgesetzten Kriterien auszusprechen.


Die Zusammenstellungen unter II und III erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Evidenzbasierte Medizin und Homöopathie (II) -Den Horizont erweitern

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Wir haben im ersten Teil dieses Beitrags gesehen, wie sehr die Pseudomedizin davon profitiert, dass sich die evidenzbasierte Medizin (EbM) weithin auf den reinen empirischen Outcome konzentriert – und dass dies zwar eine unter vielen Aspekten hervorragende Idee ist, aber eben keine Beurteilung einer Evidenz in einer wissenschaftlichen Gesamtschau leistet. Sie ist eine notwendige, aber nach Ansicht vieler keine zwingend hinreichende Bedingung für die Begründung von Evidenz.

Empirieblindheit

Die EbM hat dazu geführt, dass viele Mediziner “empirieblind” (im Sinne von “schneeblind”) geworden sind, also die Reduzierung auf reine Empirie (fast) nicht mehr hinterfragen und nur auf den statistischen Outcome starren. Pseudomediziner nutzen dies für sich, denn an einem weiteren Hinterfragen wie auch immer zustande gekommener Empirie sind sie nicht interessiert. Leider profitieren sie davon, dass es schon beinahe als anrüchig gilt, eine Studie nur wegen der Unplausibilität ihrer Grundannahmen zu verwerfen. 

Was tun? Lassen wir Steven Novella (1) noch einmal zu Wort kommen und sein Beispiel mit dem “verdünnten Nichts” Oscillococcinum nochmals aufgreifen:

Eine vollständig wissenschaftsbasierte Medizin (Science Based Medicine, SbM in Erweiterung der EbM, wie Novella es nennt) würde einen anderen Ansatz verfolgen. […]
Eine wissenschaftlich fundierte Bewertung würde ausdrücklich die vorherige wissenschaftliche Plausibilität berücksichtigen und unser Verständnis von Physik, Chemie und Biologie zum Tragen bringen, die einen weitaus größeren und zuverlässigeren Bestand an wissenschaftlichen Erkenntnissen darstellen als die wenigen klinischen Studien mit Oscillococcinum. (!) Es würde auch die Gesamtheit der Homöopathieforschung im Kontext unseres derzeitigen Verständnisses von Evidenzmustern in der medizinischen Literatur berücksichtigen.

Wobei man unter „Evidenzmuster“ getrost auch die Tatsache verbuchen kann, dass die Homöopathie zwar gelegentlich “signifikante” (wir kommen darauf zurück), aber nur sehr schwache, meist klinisch nicht relevante (für den Patienten nicht erfahrbare) Effekte zutage gefördert hat. Wenn dies über einen langen Zeitraum und in vielen Studien immer wieder so ist, wäre der Schluss legitim, dass der gesuchte Effekt schlicht real nicht existiert (s. Review Antonelli / Donelli 2018). Stattdessen wird uns jedes kritisch zu hinterfragende Studienergebnis als der ultimative Beweis für gleich die gesamte Homöopathie präsentiert. Was auch verkennt, dass nach Carl Sagan außergewöhnliche Behauptungen außergewöhnliche Belege erfordern – und das sind reine statistische Signifikanzen sicher nicht.

Eine SbM-Prüfung würde zu dem Schluss kommen, dass die wissenschaftliche Grundlage für die Existenz von Oscillococcinum gelinde gesagt nicht überzeugend ist und tatsächlich eine Rangordnung der Pseudowissenschaften analog zu den N-Strahlen (hierzulande wenig bekannt, in den USA noch heute ein Symbol für wissenschaftliche Fehlleistungen – Anm. UE) aufweist. Die Homöopathie selbst gilt auch als Pseudowissenschaft, weil sie im Widerspruch zu unserem grundlegenden Verständnis von Physik und Chemie steht. Darüber hinaus ist die Gesamtheit der existierenden klinischen Forschung zur Homöopathie am besten mit der Beforschung einer Therapie beschreibbar, die keine Wirkung hat (siehe oben).

Woraus Novella als allgemeinen Schluss ableitet:

Es ist nicht verwunderlich, dass Befürworter zweifelhafter Therapiemethoden das Konzept der Plausibilität nicht mögen. Sie sonnen sich im Licht der EbM, wo sie sich nicht für extreme wissenschaftliche Unplausibilität verantworten müssen [..].

CAM-Fürsprecher versuchen, Plausibilität als bloße Verzerrung darzustellen, die uns nur von einer effektiven Behandlung abbringen wird. […] CAM-Fürsprecher neigen dazu, mit der Überzeugung zu beginnen, dass ihre Behandlungen funktionieren, und versuchen, eine wissenschaftliche Begründung zu finden, die ihnen hilft, ihre Behandlung zu vermarkten. (Bestätigungsforschung – Anm. UE) Ich habe noch kein einziges Beispiel für eine CAM-Modalität gefunden, die von ihren Befürwortern wegen mangelnder Wirksamkeit aufgegeben wurde. (Wie auch, wenn doch die alternative Szene für ihre Methoden praktisch ausschließlich positive Studien hervorbringt – Anm. UE)

Methodik, Statistik, Freiheitsgrade

Der erweiterte wissenschaftliche Medizinbegriff erkennt an, dass klinische Beweise knifflig, kompliziert und oft mehrdeutig sind. Es gibt gute Belege für diese Position. John Ioannidis hat eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die sich mit Mustern in der klinischen Forschung befassen. Er stellte fest, dass die meisten Schlussfolgerungen in veröffentlichten Studien tatsächlich von einer starken falsch-positiven Verzerrung beeinflusst sind (Ioannidis 2005). (3) Dieser Effekt wird im Verhältnis zur Unplausibilität der klinischen Fragestellung noch verstärkt.

Das ist “der ganze methodisch-statistische Kram, den jede Studie wie eine Reihe scheppernder Blechdosen hinter sich herzieht”, wie sich einer meiner Diskussionspartner zu diesem Thema einmal ausdrückte. 

Simmons et al. haben schön gezeigt, dass durch die Nutzung von “Freiheitsgraden” in der Forschung fast jeder Datensatz statistisch signifikant erscheinen kann (Simmons et al. 2011). Mit anderen Worten, es ist möglich, die Daten zu manipulieren, auch völlig ohne sinistre Absichten, nur durch Entscheidungen darüber, wie man die Daten sammelt und analysiert, die zu einem falsch statistisch signifikanten Ergebnis führen können. Das ist einer der Gründe für die Unzuverlässigkeit von Einzelstudien. Daten sind nur dann wirklich zuverlässig, wenn sie unabhängig repliziert werden, insbesondere in einer Weise, die die Freiheitsgrade beseitigt. 

Der “heilige” p-Wert

Die “allgemeine” Empirieblindheit fokussiert sich sogar noch in einem besonderen Aspekt.  Nämlich in einem statistischen Wert, der heute verbreitet als Nonplusultra für die “Richtigkeit” empirischer Ergebnisse herhalten muss, obwohl er gar nicht das aussagen kann, was man ihm schon beinahe reflexartig zuschreibt. Es geht um den in den 1920er Jahren unter ganz anderen Prämissen als den heutigen entwickelten “p-Wert”. 

Der p-Wert ist ein Maß für die statistische Signifikanz eines empirisch ermittelten Ergebnisses unter ganz bestimmten Vorannahmen (dem Zutreffen der Nullhypothese). Signifikanz bedeutet dabei lediglich das Maß, in dem das jeweilige empirische Ergebnis auch durch Zufall hätte zustande kommen können. Sehr einfach ausgedrückt. Wir hörten eben schon, dass der Wert durch die Auswahl und Modellierung der Daten und die Größe einer Studie (stark) beeinflusst wird. Das “p-Hacking”, diese Beeinflussung des Signifikanzwertes, ist per se schon eine ziemlich üble Sache, ganz unabhängig ob es absichtlich oder unabsichtlich geschieht. Kritisch wird es dadurch, dass es sich eingebürgert hat, die “Aussagekraft” einer Studie auf den Signifikanzwert zu stützen (insofern, als dass der p-Wert als “Wahrheitswert” missverstanden wird).

Dies geht aber völlig fehl, in den seltensten Fällen steht der p-Wert in einem linearen Zusammenhang mit der Effektstärke eines Ergebnisses. Mit der “Signifikanz” einer Studie werden also nicht nur Laien in die Irre geführt, indem man auf das Alltagsverständnis von “Signifikanz” spekuliert. Man darf wohl auch mit Recht sagen, dass Forscher sich mit ihren Signifikanzwerten und deren falschem Verständnis selbst Sand in die Augen streuen. Besonders heikel dann, wenn Ergebnisse niemals repliziert wurden (wobei, wie Novella zu Recht sagt, die “Freiheitsgrade” der ursprünglichen Studie, also einschränkende Datenauswahl und -modellierung, vermieden werden sollten). Was in der Homöopathie erstaunlicherweise selbst bei den wenigen Studien, die eine positive Tendenz aufzuweisen scheinen, in aller Regel nicht geschieht, was auf misslungene Replikationen (publication bias) hindeutet. (Für ein genaueres Verständnis des p-Wertes empfehle ich den ausgezeichneten Artikel “Was der P-Wert (nicht) kann” auf dem Blog “Ein Glas Rotwein”.) 

Man beachte, wie sehr homöopathische Forschungsergebnisse mit dem ständigen Hinweis auf eine “Signifikanz” präsentiert werden. Was nach meiner Beobachtung z.B. verheerende Auswirkungen darauf haben kann, welche Relevanz pseudomedizinische “Erkenntnisse” aus Studien bei der Abfassung von EbM-Leitlinien für die medizinische Praxis erhalten (als Rechtfertigung einer “Evidenz”, die es nicht gibt). Nicht umsonst ist die Diskussion über den p-Wert und seine inzwischen allzu schrägen Interpretationen in der Wissenschaftsgemeinschaft längst in Gang gekommen. 

Steven Novella dazu:

In einem Kommentar bei “Nature” beschreibt Regina Nuzzo das so genannte “p-Hacking”, das im Wesentlichen auch Gegenstand bei Simmons et al. war (Nuzzo 2014, deutsche Version bei spektrum.de – wichtig!). Nuzzo kritisiert insbesondere, dass die Interpretation von Studien übermäßig abhängig von p-Werten ist, die das statistische Maß dafür sind, ob Daten signifikant sind oder nicht und ob sie insofern ernst genommen werden sollten. Die p-Werte sind jedoch nicht so aussagefähig, wie viele annehmen.

Ein p-Wert von 0,01, von dem viele fälschlicherweise glauben, dass der untersuchte Effekt eine Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent hat, real zu sein, hat nur eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent dafür, mit neuen Daten repliziert zu werden. So ist sogar ein Wert, den viele als soliden Beleg nehmen, wirklich nur ein Münzwurf, wenn man die Statistiken richtig versteht. Das Problem der übermäßigen Abhängigkeit von p-Werten zeigt der Statistiker Geoff Cummings in einem Video, das er auf YouTube veröffentlicht hat (Cummings 2009unbedingt mal ansehen – Cummings zeigt, wie der p-Wert in Replikationen allein mit anderen Gruppengrößen variiert (“tanzt”), was belegt, dass er für die Gültigkeit eines einzelnen Studienergebnisses keine isolierte Aussage treffen kann – Anm. UE).

Eine Lösung für die Schwächen der p-Werte besteht darin, diese Art der statistischen Analyse durch eine andere Art, die Bayes’sche Analyse, zu ergänzen oder sogar zu ersetzen. Die Bayes’sche Analyse berücksichtigt formal die vorherige Plausibilität. Sie betrachtet die Daten so, wie es der gesunde Menschenverstand verlangt: Wie sehr beeinflussen die neuen Daten die vorherige Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte wissenschaftliche Hypothese zutrifft?

Woraus Novella mit Recht folgert:

Die Kernphilosophie von SbM (wissenschaftsbasierter Medizin) ist es, die bestmögliche Schlussfolgerung zu ziehen, die die Wissenschaft derzeit bei klinischen (auch regulatorischen) Entscheidungen zu bieten hat. Dazu gehören selbstverständlich auch möglichst strenge klinische Studien. Sie muss aber auch die präklinische und grundlagenorientierte Wissenschaft berücksichtigen – alle wissenschaftlichen Informationen, die vernünftigerweise auf die jeweilige Fragestellung anwendbar sind. […]

Klinische Beweise stehen vor vielen Herausforderungen, einschließlich des confirmation bias der Forscher und der hieraus folgenden Verzerrung von Publikationen sowie der Neigung zum “Vagabundieren” bei statistischen Analysen. Die meisten durchgeführten Studien sind unvollkommen; zum Beispiel können sie zu klein sein, nicht alle real vorhandenen Variablen ausreichend berücksichtigen, können Verblindungsfehler aufweisen und es müssen in ihrem Rahmen viele Entscheidungen getroffen werden (z.B. welche Ergebnisse gemessen und verglichen werden sollen), die das Ergebnis beeinflussen können. […]

Es dauert oft Jahrzehnte, bis die klinische Forschung so weit fortgeschritten ist, dass wir sehr strenge und endgültige Studien haben (eine valide Gesamtevidenz, Anm. UE) . In der Zwischenzeit müssen wir Entscheidungen auf der Grundlage unvollkommener Belege treffen. Die Plausibilität der wissenschaftlichen Grundlagenforschung hilft, die klinischen Belege in den gesamtwissenschaftlichen Kontext zu stellen und verbessert unsere Fähigkeit, zuverlässige Entscheidungen auf der Grundlage vorläufiger klinischer Daten zu treffen. Deshalb glaube ich, dass sich die evidenzbasierte Medizin in Richtung einer wissenschaftsbasierten Medizin entwickeln sollte. 

Scientabilität und weitere Forschung

Nun könnte man die Ansicht vertreten, die Gesamtschau aus Plausibilität und Empirie sei in Sachen Homöopathie so klar, dass jede weitere Forschung reine Ressourcenverschwendung sei – es fehle an einer wissenschaftlich fassbaren Grundlage, die allein weitere Forschung legitimieren könnte. Dies ist die allgemeine Umschreibung des Begriffs der Scientablität. Unsere Überlegungen führen logisch hierher, das Thema soll deshalb auch nicht ausgespart bleiben.

Ich möchte nicht dahin verstanden werden, dass ich den Begriff der Scientabilität im Sinne von Weymayr (Weymayr 2013) übernehmen will. Diese Definition ist darauf gerichtet, jegliche empirische Forschung wegen fehlender Scientablität a priori zu verwerfen – kurz gesagt also, eine dogmatische Barriere innerhalb des explizit undogmatischen Erkenntnissystems moderner Wissenschaft einzuziehen. So zwingend das erscheinen mag, ist dies doch nicht unproblematisch. Eine solche Konsequenz aus fehlender Plausibilität ist mir zu apodiktisch und kommt für mich dem absoluten Wahrheitsbegriff eines Francis Bacon, den die kritisch-rationale Methode ja aus guten Gründen verwirft, einfach zu nahe. Dann lieber die nächsten kruden Homöopathie-Studien! Dass diese nicht erforderlich sind angesichts der Gesamtevidenz, dem könnte ich zustimmen. 

Setzen wir auf Verbesserung und Verfeinerung des Erkenntnisrahmens der evidenzbasierten Medizin bis hin zu einer wissenschaftsbasierten Medizin in Novellas Sinne. Selbstverständlich entwickelt sich auch die EbM längst weiter. Die Diskussion um den Stellenwert des p-Wertes, der Signifikanz, zeigt dies ja auch. Dass auch verfeinerte, ggf. dem Untersuchungsgegenstand angepasste Kriterien für die Studienauswahl in systematischen Reviews hier ein Weg sein können, zeigt Dr. Nobert Aust eindrucksvoll in seiner Erörterung der Shang-Egger Studie auf und schlägt eine Erweiterung der Ordnungskriterien für die Auswertung der Studien vor, die eben genau Verzerrungen des Ergebnisses zumindest abmildern sollten.

Pseudomedizin und EbM – die Schräglage

Fraglos hat die homöopathische Fraktion längst die evidenzbasierte Medizin als ein bei geschickter Handhabung ihr höchst dienliches Instrument entdeckt. Vielleicht haben sie Steven Novellas Beitrag ja gelesen und ihre eigenen Schlüsse daraus gezogen…

Das hieraus nicht ungeschickt abgeleitete ständige Offenhalten an sich klarer Erkenntnis, die „never ending stories“ als Bestätigung für sich selbst, die Community und als Verunsicherungsstrategie für die Allgemeinheit ist ohne Zweifel ein Ärgernis – unter dem Aspekt wissenschaftlicher Redlichkeit. Die Ausnutzung der “Fairness” der EbM, die sozusagen nicht nach der Eintrittskarte der Plausibilität fragt, ist darüber hinaus eine Verächtlichmachung von wissenschaftlicher Erkenntnissuche.

Dabei ist auch die EbM keineswegs „blind“ für Plausibilitäten, sie ist mehr als die Konzeption, Durchführung und Auswertung klinischer Trials. Die EbM stellt keineswegs in Frage, dass z.B. bei der Entwicklung neuer Medikamente im Vorfeld (Präklinik) klinischer Wirkungsuntersuchungen an menschlichen Probanden Plausibilitätsaspekte zur Anwendung kommen – eine medizinethische Selbstverständlichkeit (2).  Die EbM ist eben „nur“ eine Fokussierung, ein Ausschnitt auf einen bestimmten Aspekt von Wissenschaftlichkeit: den der Gewinnung und Bewertung empirisch-klinischer Erkenntnisse, eben notwendig und verdienstvoll, aber nicht unbedingt hinreichend. 

Momentaufnahme

Diese Fokussierung ist es, die der Pseudomedizin in die Hände spielt. Sie ist es, die vom Alpha-Fehler (der Quote falsch-positiver Ergebnisse im statistischen Zufallsbereich) profitiert. Jeder Mangel in Studiendesign und -durchführung wirkt sich zwangsläufig in Richtung einer steigenden Rate von Alpha-Fehlern aus – d.h. lässt mehr Arbeiten aus einer Gesamtheit „positiv“ („statistisch signifikant“) erscheinen, als es den Tatsachen entspricht. Zudem steigt, worauf u.a. Ioannidis zutreffend hinweist, nicht nur mit Qualitätsmängeln, sondern auch mit der Unplausibilität der Forschungsfrage die Rate der “falsch Positiven”. Dies belegen ja auch deutlich die großen Reviews zur Homöopathie, die bei qualitativer Bewertung der eingeschlossenen Arbeiten einzelne positive Effekte in der Gesamtschau durchweg nicht mehr nachweisen konnten.

Ich fasse – etwas pointiert – zusammen: Die EbM gibt den Pseudomedizinern, insbesondere der homöopathischen Fraktion, in ihrer jetzigen Ausprägung Gelegenheit, hinter einem scheinwissenschaftlichen Schleier zu agieren und mit der Terminologie ernsthafter Wissenschaft – und neuerdings der Epistemologie – eine Mimikry von Wissenschaft aufzuführen. Dabei kommt der Pseudomedizin die oben beschriebene “Empirieblindheit” in weiten Kreisen der Medizin, die Überfokussierung auf die Empirie, besonders zugute. Nein, Wissenschaft ist mehr als Empirie und sollte dieses Mehr auch kommunizieren.

Der Grundplausibilität eines wissenschaftlich zu beurteilenden Sachverhalts muss deshalb im medizinischen Bereich wieder ein angemessener Platz eingeräumt werden. Die Marginalisierung von Plausibilität im Sinne einer Vereinbarkeit mit dem gesicherten Wissenskanon zugunsten der puren Empirie war sicher von den Vätern und Müttern der EbM um David Sackett nicht so intendiert. Sie werden sich nicht vorgestellt haben, dass die Kritiker von Pseudomedizin sich ständig mit „Studien“ herumplagen müssen, um deren Inkonsistenz nachzuweisen, während die Grundannahmen der untersuchten Methode (im Besonderen: der Homöopathie) eklatant unvereinbar mit vielfach gesichertem naturwissenschaftlichem Wissen sind. 

Um nicht missverstanden zu werden – ich schätze die EbM nicht gering! Sie ist, wie auf diesem Blog schon mehrfach hervorgehoben, tatsächlich ein unschätzbarer Paradigmenwechsel in der Medizin, dem modernen Wissenschaftsverständnis und auch der kritisch-rationalen Methode gemäß. Aber ist sie mit ihrem Prinzip des  „unbeschriebenen Blattes“, des “leeren Spielfeldes” nicht geradezu genau der „Pluralismus“ aus den Träumen der Pseudowissenschaftler? Besteht dabei nicht sogar die Gefahr, dies werde über eine Überfokussierung auf das Empirische zu einer Regression, einer Rückentwicklung des Wissenschaftsverständnisses in der Medizin zu einer idealistischen statt einer rational-kritischen Sicht führen? Immerhin haben wir immer noch täglich eine der Manifestationen einer solchen idealistischen Sicht auf die Wissenschaft vor uns: den Binnenkonsens des Arzneimittelgesetzes. Der hier und da sogar Begehrlichkeiten verwandter Interessensphären weckt.

Wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik

Ist die Homöoopathiekritik vielleicht allzu fair, zu zurückhaltend? Lässt sie sich den Diskurs über Studien in der Sicht der EBM vielleicht allzu sehr aufzwingen? Der letztlich dem Ziel der Aufklärung der Öffentlichkeit nur einen Bärendienst erweist, weil er letztlich für diese nur einen undurchschaubaren „Schlagabtausch“ liefert? Lassen wir uns auf die Ebene einer im Sinne einer vollständig wissenschaftsbasierten Betrachtung sinnlosen Detaildebatte herunterziehen? Aber – haben wir eine Wahl?

Die Wahrnehmung des Publikums ist von dem wahrlich ärgerlichen Schlagwort geprägt, Homöopathie sei “umstritten”: Ich bin mir allerdings klar darüber, dass über einen engeren Kreis hinaus kein Blumentopf damit zu gewinnen ist, wenn man über Detailergebnisse von Studien diskutiert, die kaum jemand im Original zu lesen, geschweige denn zu verstehen in der Lage ist. Was Dr. Norbert Aust zu diesem Thema an Analysen und Bewertungen auf seinem Blog zusammengetragen hat, sollte ja allein ausreichen, um das Studienthema im Zusammenhang mit Homöopathie ein für alle Mal zu beenden. Allein, dies geschieht eben nicht. Und eine Haltung wie „Ach, diese Studien – die einen sagen so, die anderen so“ ist hochgefährlich, wenn sie sich bei den Zweifelnden und Unentschlossenen und vor allem bei Entscheidern und Multiplikatoren festsetzt. Und man hört und liest sie – täglich.

Die Homöopathen versorgen uns mit einer Art Beschäftigungstherapie – nach wie vor. Mit Unsinn wie der Blasenstudie des Dr. Pannek oder der Geschichte von den fünfmal acht Ratten. Selbst einzelnen Journalen wird die Sache langsam zu dubios. Aber gleichwohl ist es nicht angezeigt, das hier beschriebene Problem der “homöopathischen Wissenschaftsmimikry” seitens der Kritik zu ignorieren. Im Gegenteil. Wenn auch die Botschaft, dass die Homöopathie wissenschaftlich längst ein Nicht-Thema und die Einigkeit über ihre medizinische Irrelevanz Fakt ist, im Vordergrund der aufklärerischen Botschaft stehen sollte. 

Und warum wohl kommen nun die akademischen Homöopathiefans mit der ganz großen Keule der gesellschaftlich relevanten, ganz enorm wichtigen und von uns Kritikern ganz falsch verstandenen Wissenschaftstheorie und Epistemologie, mit dem immer wieder zu vernehmenden Ruf nach “Pluralismus in der Medizin“? (Was soll das sein – außer einem weit geöffneten Scheunentor für Beliebigkeit?) Weil sie genau wissen, auf welch tönernen Füßen ihre ganze “Empirie” steht. Und weil sie ihren Behauptungen zur Evidenzbasierung der Homöopathie gern etwas „Nachhaltiges“ an die Seite stellen wollen, etwas Beeindruckendes, das sowohl Kritiker als auch Zweifler – insonders in der Politik – verstummen lässt: „Seht her, unsere Methode ist nicht nur evidenzbasiert™, sondern kann auch epistemologische™ und gar gesellschaftspolitische™ Legitimität in Anspruch nehmen!“ Nein. Diese grotesken Appelle gehen fehl und sind irrelevant. Die Antwort kann nur sein, das Problem Homöopathie in einer gesamtwissenschaftlichen Sicht redlich und ehrlich zu beurteilen.

Wenn die Homöopathen Forschung auf eigene Rechnung weiter betreiben wollen – bitte. Dies kann und soll ebenso wenig „verboten“ werden wie die Homöopathie selbst. Es gilt Freiheit von Forschung und Lehre. Allerdings: nicht alles, was von einschlägig Interessierten zu Wissenschaft erklärt wird, ist das auch. Und kann auch nicht durch Umdefinieren des Wissenschaftsbegriffs dazu gemacht werden.

Abschließend ein Zitat aus dem Memorandum „Homöopathie ist Pseudowissenschaft“ der Russischen Akademie der Wissenschaften, die sich auch und gerade zur Plausibilitätsfrage klar positioniert hat:

„Die Prinzipien der Homöopathie stehen im Gegensatz zu den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin, die auf den Ergebnissen medizinischer und anderer naturwissenschaftlicher Forschungen basieren: Chemie, Physik, Biologie und Physiologie und ihre Verzweigungen wie Biochemie, Biophysik, Immunologie, Molekularbiologie, pathologische Physiologie und Pharmakologie. Homöopathische Diagnose und Behandlung sind pseudowissenschaftlich und haben keine Funktion.

Die vielen im Laufe der Zeit vorgeschlagenen theoretischen Erklärungen der möglichen Wirkmechanismen der Homöopathie stehen im Widerspruch zu etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Struktur der Materie, Physiologie, Ätiologie und der biochemischen Wirkweise von Medikamenten. Die a priori postulierten “Prinzipien der Homöopathie” sind einer spekulativen Dogmatik zuzurechnen, derer man sich in vorwissenschaftlichen Zeiten bediente. […]

Der Abgleich des „externen (eigenen) Szientismus“ der Homöopathie auf der einen Seite mit dem gemeinsamen System der heutigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis auf der anderen Seite ermöglicht es uns aber, die Homöopathie als eine pseudo-wissenschaftliche Disziplin zu qualifizieren.“

Die Gesamtevidenz der Homöopathie, die keine spezifische Wirkung feststellt, fußt einerseits auf Plausibilitätsüberlegungen (die keinen empirischen Wirkungsnachweis erwarten lassen) und andererseits auf empirischen Ergebnissen, die dem exakt entsprechen (die die Hypothese einer Nicht-Wirkung bestätigen). Das Musterbeispiel eines wissenschaftlichen Vorgehens – die Bestätigung einer auf naturwissenschaftlichen Grundprämissen beruhenden Vorhersage durch das Experiment. Kein „Irrtum“, keine „unangemessene Methodik“, sondern eine glänzende Bestätigung der wissenschaftlichen Methode. Es ist durchaus berechtigt, festzustellen, dass eine so gut abgesicherte und klare Evidenzlage für eine medizinische Intervention – nur hier eben im negativen Sinne – eher selten ist. Die Gesamtevidenz spricht geradezu vernichtend gegen die Homöopathie. 

Zum Abschluss

Nun, lassen wir es dabei, es ist ohnehin mal wieder viel zu lang geworden. Aber ich musste es einmal aufschreiben. Ich habe auch bewusst die praktische Seite einer “gesamtwissenschaftlichen” Bewertung von Studienergebnissen hier außen vor gelassen, es hätte den Rahmen vollends gesprengt. Es ist in den Zitaten von Novella schon erwähnt, dass die Vertreter der SbM die Bayes’sche Statistik (Methode der bedingten Wahrscheinlichkeit) in Evidenzbewertungen befürworten. Damit käme allerdings ein in der strengen Empirie verpöntes subjektives Element ins Spiel …  Aber klammern wir das an dieser Stelle erst einmal aus.

Kommen wir aber noch einmal ganz auf den Anfang des ersten Teils zurück, wo ich die Studie Frass et al. (2020) zur Verbesserung von Überlebenszeit und Lebensqualität von LungenkrebspatientInnen durch Homöopathie als Motivation für diesen Beitrag benannt habe. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf den Hinweis, dass diese Arbeit möglicherweise ein schlagendes Beispiel für all die Schräglagen und falschen Schlussfolgerungen aufgrund einer missbrauchten evidenzbasierten Methodik ist, wie ich sie zu beschreiben versucht habe. Wir werden sehen, wie es mit ihr und den gegen sie vorgetragenen Einwänden weiter geschieht und ob es gelingt, das ganze Dilemma einmal publikumswirksam zu verdeutlichen. Es wäre sehr zu wünschen.

Ceterum censeo: Homöopathie wirkt auch mit p-Hacking nicht über den Placeboeffekt hinaus.


Nachtrag, 09.08.2021

Wie die Einvernahme des Evidenzbegriffs in der Praxis aussieht, wurde soeben freundlicherweise von den Homöopathen schlagend demonstriert. Die neue S3-Leitlinie “Komplementäre Onkologie” erwähnt die Homöopathie bei einem von 32 Kriterien, der Lebensqualität, der subjektivsten und “weichsten” Kategorie schlechthin, als “kann in Erwägung gezogen werden”. Schon jubelt das ganze homöopathische Universum. Evidenz!

Und damit liegen sie gleich mehrfach völlig falsch.

  • Erstens bedeutet eine Erwähnung in einer Leitlinie keine Evidenz, gleich aus mehreren Gründen. Vor allem deshalb, weil Leitlinien in der EbM deshalb selbst keine Evidenz begründen, weil sie eine Zusammenfassung und Auswertung bereits belegter und daher vorhandener Evidenz sind. Wenn es Lobbyisten gelingt, sich ein Eckchen in einer Leitlinie zu erobern, weil sie den anderen Mitgliedern der Kommission dieses Zugeständnis mit welchen Mitteln auch immer abtrotzen, ist das eben nur ein Zeichen für eine höchst kritikwürdige Präsenz von Vertretern der Pseudomedizin innerhalb der EbM.
  • Einem zusätzlichen Irrtum (der die Ursache des ersten Punktes ist) unterliegen der Zentralverein homöopathischer Ärzte und die DHU, indem sie feiern, es gehe darum, “der Homöopathie” (…) sei Evidenz der Klasse IIb “zugesprochen” worden.
    Dies zeugt von massiver Unkenntnis dessen, wie Evidenz im Sinne der Cochrane-Kriterien zustande kommt. Hierzu ein Zitat aus der Arbeit “Homöopathie – Eine Therapieoption in der Praxis?” von Dr. Christian Lübbers et al.:
    “Als ersten Maßstab für die Validität des jeweiligen Erkenntnismaterials kennt die EbM eine Evidenzhierarchie. Dabei geht es um die Einordnung von Materialien nach ihrer erwartbaren Validität auf der Grundlage ihrer jeweiligen Methodik und noch nicht um systematische konkrete Bewertungen. Die Hierarchien geben aber einen ersten Aufschluss darüber, welche Materialien vorrangig für eine Evidenzbegründung in Betracht kommen. Maßgeblich sind dabei stets diejenigen höherer Evidenzstufen. Das Heranziehen einer Quelle ohne Berücksichtigung ihrer Position in der Hierarchie ist irrelevant.”
    Bei der Einstufung IIb (einfach randomisierte Studie oder Beobachtungsstudie mit dramatischem Effekt) handelt es sich also nicht um mehr als die Kategorisierung der herangezogenen (übrigens ziemlich mängelbehafteten) Studie von Frass (2015). Auch diese Einstufung begründet keine Evidenz, sie vermutet sie nur, denn die Einstufung in das System der OCEBM Levels of Evidence 2 bedeutet noch keine Bewertung einer Quelle nach ihren Inhalten (critical appraisal). Es ist mehr so wie das Einsortieren in unterschiedlich beschriftete Postfächer.
  • Homöopathen neigen dazu, Evidenz dort zu vermuten, wo irgendetwas an “Erkenntnismaterialien” zur Homöopathie schlicht auf dem Tisch liegt – oder eben in einem “Postfach” der Evidenzklassen. Ganz im Sinne eines renommierten Pharmakologie-Professors und Verteidigers der Homöopathie, der sich zu ihrer Evidenz tatsächlich durchgängig auf die “vielen dicken Bücher” zu berufen pflegt, in denen “die Homöopathie niedergelegt sei”. Sehr illustrativ. Aber genau so muss man sich das vorstellen.

    In gleicher Argumentation auch Prof. Edzard Ernst:
    https://edzardernst.com/2014/08/why-many-results-of-alternative-medicine-research-are-wrong/
    und
    https://edzardernst.com/2013/09/can-one-design-a-trial-which-inevitably-produces-a-positive-result/


    Zum neuesten “Evidenznachweis” das INH beim Humanistischen Pressedient:
    Homöopathie – neuerdings evidenzbasiert?

    Und ja es ging weiter mit der Studie Frass et al. (2020), die der Auslöser für diese viel zu langen Ausführungen war – gesammtelt nachzulesen beim Informationsnetzwerk Homöopathie:
    https://netzwerk-homoeopathie.info/category/studienkritik-frass-et-al-2020/

    Und im Sinne des grundsätzlichen Anliegens dieses Beitrages hier ein guter Beitrag wiederum beim Humanistischen Pressedienst:
    Homöopathie; Von der Vorzeigestudie zu „may be not reliable“


    Referenzen:

    [1] https://www.csicop.org/si/show/its_time_for_science-based_medicine

    (2) Aufgrund der bindenden Bestimmungen der “Helsinki-Erklärung”, die die Voraussetzungen für medizinische Studien am Menschen beschreibt. Es wäre interessant, die Frage zu erörtern, ob es sich die Ethikkommissionen bei homöopathischen Trials nicht zu leicht machen – denn die Helsinki-Kommission verlangt auch, dass Versuche am Menschen nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn von ihnen reale Erkenntnisse zu erwarten sind. Hier schließt sich wieder der Kreis zum Begriff der Scientabilität.

    (3) Ich hoffe, ich brauche der Leserschaft hier nicht besonders zu erklären, dass Ioannidis’ abseitige Positionen in der Corona-Krise seine früheren verdienstvollen, teils bahnbrechenden Arbeiten zur Validität klinischer Studien in keiner Weise diskreditieren. 


    Evidenzbasierte Medizin und Homöopathie (I) – Die “reine Empirie”

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    Wir beginnen mit einem Zitat (es werden noch mehr folgen):

    “Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass die durchweg wissenschaftlich ausgebildeten Verfasser “positiver” homöopathischer Studien ein grundsätzlich taugliches wissenschaftliches Werkzeug unter Ausnutzung dessen Schwachstellen diskreditieren. Ein aus wissenschaftlicher Sicht nicht zu akzeptierendes Verhalten.”

    So der stets auf den Punkt zielende Excanwahn, ein Freund offener Worte, auf seinem Bullshit-Blog. Genau darum soll es in diesem Beitrag gehen. Durchaus nicht ohne konkreten Anlass:

    Einführung

    Im Oktober 2020 hat eine Forschergruppe um Prof. Michael Frass (ehemals MedUni Wien) eine auf den ersten und sogar auch noch auf den zweiten Blick unanfechtbar scheinende Studie vorgelegt, die postulierte, dass mit komplementärer individueller homöopathischer Behandlung Verbesserungen bei den Überlebenszeiten und der Lebensqualität von PatientInnen mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs erreicht worden seien.

    Dabei handelte es sich keineswegs um die üblichen marginalen (Schein-)Effekte, die sich meist auf eine knappe “Signifikanz” beschränken. Nein, die hier vorgestellten Effekte waren – wenn sie denn real sind – sogar höchst relevant für die PatientInnen.

    Angesichts von über 200 Jahren vergeblicher Versuche, eine solche Wirkung belastbar zu belegen, scheint dies “zu schön um wahr zu sein”. Anders ausgedrückt: Gerade wegen dieses Ergebnisses MUSS dieser Arbeit die notwendige Skepsis entgegengebracht werden.

    Eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Informationsnetzwerks Homöopathie (D) und der Initiative Wissenschaftliche Medizin (Ö) hat sich daher intensiv mit dieser Studie beschäftigt. Die Veröffentlichung eines ersten Analyseberichts scheint zu bestätigen: Die Arbeit von Frass et al. steht unter begründetem Verdacht, keineswegs so valide zu sein, wie es zunächst den Anschein haben mochte. Hier wird es vermutlich noch einigen Fortgang geben.

    Dem Analysebericht ist hier nichts hinzuzufügen, diese Angelegenheit gibt mir aber Anlass zu einigen Grundsatzbemerkungen zum Verhältnis homöopathischer Forschung zur evidenzbasierten Medizin. 

    EbM und Pseudomedizin

    Die Homöopathie gilt in breitem wissenschaftlichem Konsens aufgrund ihrer Gesamtevidenz als spezifisch unwirksame Methode – “The debate about homeopathy is over” – so Prof. Edzard Ernst schon 2015. Aus Gründen. In der Realität ist ersichtlich die Debatte aber nicht “over”, das Thema und seine Diskussion sind viral. 

    Wie ist es der homöopathischen Fraktion überhaupt möglich, eine scheinbar wissenschaftliche Position einzunehmen, darüber eine Dauerdebatte zu befeuern und dabei auch noch in der allgemeinen Wahrnehmung zu punkten? Einfache Antwort: Durch einen regelrechten Missbrauch der Prämissen der evidenzbasierten Medizin – siehe Eingangszitat.

    Zunächst ein Zitat aus einem früheren Beitrag auf diesem Blog, der sich übrigens auf eine andere Form der Pseudomedizin bezog:

    „Wie auch bei anderen pseudomedizinischen Methoden ohne Grundplausibilität zeigt sich …, wie sehr die evidenzbasierte Methode (die Schaffung belastbarer Evidenz durch Studien) ein Einfallstor für ihr glattes Gegenteil sein kann: für die Scheinlegitimation von Pseudomedizin.

    Die vielfach nicht belastbaren Outcomes einzelner Studien oder auch von schlecht durchgeführten Reviews dienen den Proponenten pseudomedizinischer Methoden als wohlfeile Argumentationsgrundlagen, um ihren Methoden den Anstrich des Evidenzbasierten zu geben. Was der normale Rezipient schlicht nicht nachprüfen kann.“

    Der nachfolgende Beitrag ist sozusagen die “Langfassung” dieses sehr knapp gefassten Grundgedankens. Etwas ausführlicher vorbereitet habe ich diese Gedanken im Artikel “Das Heu im Nadelhaufen?“, der als eine Art Vorab-Zusammenfassung des Nachfolgenden (und des 2. Teils) gelesen werden kann.

    Versuch einer Vereinnahmung

    Viele Statements zeigen, wie sehr die homöopathische Sphäre bestrebt ist, sich den Begriff der evidenzbasierten Medizin zu eigen zu machen. Natürlich ist das auch das Ziel der erwähnten Studie von Frass et al. (2020). Auch hier zeigt die homöopathische Interessensphäre ihre Janusköpfigkeit. Einerseits hat sie insofern ein gebrochenes Verhältnis zu kritisch-rationaler Wissenschaft, als sie den breiten wissenschaftlichen Konsens nicht anerkennt, der ihrer Methode keine spezifische Wirksamkeit zuspricht. Andererseits will sie mit ihren eigenen Studien (ein Widerspruch in sich, da es oft heißt, die kritisch-rationale Methode sei der Homöopathie nicht angemessen) die EbM vereinnahmen, sich auf ihre Definitionen und  Kriterien berufen und “Evidenz” zu einem Aushängeschild für sich machen. 

    Homöopathische Bemühungen zielen dabei auf so etwas wie eine “Schwachstelle” der EbM, anders gesagt, sie nutzen vor allem die strenge Fokussierung auf die reine Empirie aus. Ja, es trifft zu, dass die EbM einen evidenten Nachweis von klinischer Wirksamkeit einer Intervention ausschließlich an den Ergebnissen, am Outcome rein empirischer Forschung zur konkreten Problemstellung festmacht, ohne den Kontext gesicherten Wissens im „Umfeld“ des Problems zu berücksichtigen.

    Und wirklich ist bei der Bewertung von Evidenz der EbM Plausibilitätsdenken nicht inhärent. Die Feststellung eines klinischen Nutzens, der Evidenz, stützt sie allein auf empirisch-statistische Verfahren. Die EBM setzt grundlegende wissenschaftliche Überlegungen (methodisch-physiologische Überlegungen, Plausibilität) auf eine untere Stufe ihrer Evidenzleiter, noch vor der Expertenmeinung.

    Zweifellos hat diese Ausrichtung auf den realen Nutzen einer medizinischen Intervention ihre Meriten. Beispielsweise macht die EbM damit das nach wie vor zu vernehmende Gerede von den “zwei Welten”, die zur Medizin einen “unvergleichbaren Zugang” haben und deshalb “ihr Bestes” nebeneinander koexistieren sollte, obsolet. In meinen Augen ist das einer ihrer größten Vorteile, dass sie derartigen Verirrungen von Wissenschaftsphilosophen oder solchen die glauben, es zu sein, die letztlich einen Angriff auf die Wissenschaft darstellen, die Grundlage entzieht.

    Damit scheint jedoch der Sinn für grundlegende Plausibilität, die sich aus elementaren wissenschaftlichen Erkenntnissen ableitet, zu einem großen Teil verloren gegangen zu sein. Reine, reinste Empirie über alles. Die Auswirkungen dieser Entwicklung in eine einzelne Richtung wird gerade deutlich daran, dass die Diskussion über Homöopathie (allzu sehr) auf der Grundlage von “Studien” geführt und “die Evidenzbasierung der Homöopathie” beschworen wird, ohne dass irgendwo jemand ruft, der Kaiser sei doch nackt? Fast ist es schon anrüchig, einfach auf die  Unplausibilität der Homöopathie zu verweisen.

    Tatsächlich scheint es schwierig zu sein, zu verstehen, dass die EBM sozusagen systembedingt aus dem Gleis laufen kann, wenn es um Pseudomedizin geht. Warum? Man könnte beinahe sagen, weil sie zu gutmütig ist.

    EbM und die Plausibilität

    Darüber haben klügere Leute als ich schon nachgedacht. Ich neige der Deutung zu, dass die Begründer der EBM schlicht davon ausgingen, Mittel und Methoden würden eh nie das Stadium großer (und teurer) RCTs erreichen, wenn sie sich nicht zuvor durch präklinische Evidenz, in Laborstudien, Tierversuchen und Studien der Pathologie als plausibel erwiesen hätten. Was ja der normale Gang z.B. einer Medikamentenentwicklung ist (bei der allerdings auch unter EBM-Bedingungen – eine “biologische Plausibilität” ganz am Anfang der Präklinik steht, was medizinethischen Geboten geschuldet ist). Unter dieser Perspektive kam es den Göttern der EbM einfach nie in den Sinn, dass etwas so Absurdes wie die Homöopathie überhaupt dahin kommen könnte, in RCTs “geprüft” zu werden – sie erlagen dabei dem “Plausibilitätsbias”, also einer gefühlten Selbstverständlichkeit, die ihnen verwehrte, so etwas überhaupt für möglich zu halten. Vermutlich waren sie sogar der Ansicht, dass insofern die EBM eine wirksame Barriere für das Eindringen unplausibler Methoden in die Medizin sei. Weit gefehlt. Die Homöopathie nahm die Chance wahr und sprang – ohne “Präklinik” – mit ihrem fertigen Gebäude mitten hinein in das Zauberreich der RCTs und ihrer Vielzahl von Problemen. Die man für sich zu nutzen verstand.

    Pointiert ausgedrückt wäre zu konstatieren, dass der reine Wirksamkeitsnachweis nach den Kriterien der EbM eine zwar notwendige, aber durchaus nicht hinreichende Bedingung für die Beurteilung der Evidenz einer medizinischen Intervention ist.

    Denn trotz aller Meriten dieser Methodik verstellt sie doch allzu leicht den Blick darauf, dass eine im wissenschaftlichen Sinne umfassende Gesamtbeurteilung auch die äußere Konsistenz von Erkenntnissen (die Vereinbarkeit mit anderem gesichertem Wissen), das was wir hier auch als “Plausibilität” bezeichnet haben, einbeziehen muss.

    Ich könnte es niemals besser ausdrücken als Steven Novella, der zu diesem Thema längst wesentliche Beiträge geleistet hat. Hier in meiner Übersetzung einige wichtige Passagen aus seinem Grundsatzbeitrag „It’s Time for Science Based Medicine“:

    … überall können Sie über Schlangenölheilmittel, zweifelhafte Gesundheitsversprechen, fragwürdige Praktiken und auch über ineffektive Regulierungen und Mängel der Mainstream-Medizin lesen. All dies geschieht […] in der Ära der so genannten “evidenzbasierten Medizin”, deren Zielsetzung es war, den medizinischen Beruf auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen, um jedem Patienten die bestmögliche Versorgung zu bieten. […]

    Die EBM hatte zwei Hauptziele: Erstens, die Evidenzbasis für jede klinische Entscheidung zu bewerten und systematisch zu charakterisieren und zweitens, diese Informationen den Praktikern zur Verfügung zu stellen […] EBM ist großartig, soweit sie reicht, aber sie hat einige bemerkenswerte Schwachstellen und hat eindeutig nicht genug dazu beigetragen, Pseudowissenschaften und zweifelhafte Praktiken aus der Medizin zu verbannen. […]

    Die größte Schwäche der evidenzbasierten Medizin besteht darin, dass sie sich, wie der Name schon sagt, ausschließlich auf klinische Belege (reine Empirie) stützt, um festzustellen, ob eine Behandlung angemessen ist oder nicht. Das mag vordergründig vernünftig klingen, aber es lässt bewusst einen wichtigen Teil der wissenschaftlichen Beweisführung aus: die Plausibilität.

    Als die EBM zum ersten Mal vorgeschlagen wurde, war die Idee, dass Ärzte keine Behandlungen anwenden sollten, nur weil diese nach der Erfahrung „Sinn machen“. Wir brauchen Belege, die zeigen, dass die Behandlungen tatsächlich sicher und wirksam sind. Das ist vernünftig, aber der Lösungsansatz der EBM war, das “Sinn machen”  aus der Gleichung komplett zu eliminieren. Jede denkbare Behandlung wurde konzeptionell als „unbeschriebenes Blatt“ unter gleichen Wettbewerbsbedingungen betrachtet – das Einzige, was zählt, sollten die Belege aus der klinischen Erprobung sein.

    Durch die Nivellierung der „Spielfelder“ hat die EBM den Haupteinwand gegen die meisten (meist lange bekannten) CAM-Modalitäten gleich mit beseitigt: dass sie höchst unplausibel sind. Vermutlich ist den frühen EBM-Befürwortern gar nicht in den Sinn gekommen, dass jemand ernsthaft eine völlig unplausible Behandlung vorschlagen und versuchen würde, sie wissenschaftlich zu untersuchen. CAM-Befürworter aber waren begeistert von der EBM, weil es ihnen die Möglichkeit gab, ihre Behandlungen mit einem Anstrich von wissenschaftlicher Legitimität zu präsentieren. Sie neigen zu einer Interpretation von EbM in der Weise, dass, wenn man auf irgendwelche Belege verweisen kann (egal wie schwach und widersprüchlich), man für seine Praxis das Etikett “evidenzbasiert” in Anspruch nehmen kann. 

     […] Mein Lieblingsbeispiel ist ein Cochrane Review von Oscillococcinum für Grippe / grippale Infekte (Vickers und Smith 2009). Oscillococcinum ist de facto eine Schimäre (“imaginary”), der „Urstoff“ beruht mit größter Sicherheit auf einem Beobachtungsirrtum, und Homöopathie ist völliger Unsinn, so dass die Behandlung damit sozusagen einer mit Feenstaub ähnelt, der bis zum Nichtvorhandensein (out of existence) verdünnt wurde. Wenn etwas mit einer Anfangsplausibilität von Null eingestuft werden müsste, dann dies. Doch die Autoren kamen zu dem Schluss:

     ‚Obwohl die Daten vielversprechend waren, waren sie nicht stark genug, um eine allgemeine Empfehlung für die Verwendung von Oscillococcinum zur First-Line-Behandlung von Grippe und grippeähnlichen Syndromen abzugeben. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, wobei jedoch die Kohortengrößen erheblich sein müssten. Die aktuellen Erkenntnisse stützen keine präventive Wirkung von oscillococcin-basierten homöopathischen Arzneimitteln bei Grippe und grippeähnlichen Syndromen. (Vickers und Smith 2009)

    Eigentlich wird klar gesagt, dass die Beleglage negativ ist. Dies charakterisieren die Cochrane-Autoren aber sprachlich als “vielversprechend” und empfehlen “weitere Forschung”.

    … und niemand ruft “Der Kaiser ist doch nackt!”

    Perspektivenkorrektur

    Wie  legitim und scheinbar einfach wäre es, mit Hinweis auf die Gesamtevidenz bei homöopathischer Forschung auf die begründete negative Gesamtevidenz zu verweisen und zur Tagesordnung überzugehen! Allein, dies tun die Kritiker so nicht. Sie befassen sich wieder und wieder mit den homöopathischen Studien und Forschungsergebnissen, werden nicht müde, diese im Detail zu analysieren und zu widerlegen. Was bringt sie dazu?

    Neben der eigenen Redlichkeit bei der kritischen Arbeit vor allem, dass dieses einfache Zurückweisen schlicht nicht funktioniert. Die Homöopathie ist nun einmal ein wirkmächtiges Phänomen, das trotz aller Widerlegungen als solches fortexistiert. Was nicht heißt, dass die Aufklärung zur Homöopathie sich nicht auch der Wirrnis des homöopathischen Gedankengebäudes annehmen und es kritisieren kann (und soll). Im Gegenteil, die fehlende innere und äußere Konsistenz der Lehre ist elementar und vielleicht sogar der wesentlichste Punkt bei der Aufklärungsarbeit. Der “Streit um die Studien” erreicht von Ausnahmen abgesehen ohnehin nicht den / die DurchschnittspatientIn. Der Strom homöopathischer Forschung hört aber  nicht auf,  so lange es damit gelingt, die öffentliche und auch die politische Reputation dieser längst obsoleten Pseudomedizin zu schützen und zu bewahren. Die kritischen Aufklärer  brauchen in ihrem Bemühen, Vernunft und Rationalität Gehör zu verschaffen, ab einem gewissen Punkt die “Entsatzarmee” des Gesetzgebers und des Gesundheitssystems, von denen allein die entscheidenden Schritte kommen können, um der Groteske einer weithin als medizinisch relevant angesehenen Pseudowisseenschaft die Grenzen aufzuzeigen. 


    Nebelkerzen, Euphemismen und Abzählen

    An dieser Stelle rechtfertigt sich ein kleiner Einschub. Es sei auf die von mir schon mehrfach als „euphemistisch” in Richtung pro Homöopathie charakterisierten Zusammenfassungen großer Reviews bzw. Metaanalysen verwiesen, die immer wieder genau im eben von Novella beschriebenen Sinne das einzig zu ziehende Ergebnis vernebeln – was sich dann in den Augen derer, die nach Bestätigung lechzen, auf wundersame Weise in Evidenznachweise verwandelt (siehe die Zusammenfassung zu Teil I im generellen Blogartikel zu den Reviews).

    Es geht darum, in den Conclusios der Untersuchungen eine klare Antwort darauf zu geben, ob die Ausgangshypothese bestätigt wurde oder nicht. Es geht nicht um Rumgeeier – gleichwohl findet man solches überall. (Sogar in Cochrane-Reviews, wie wir eben gesehen haben.) Allerdings findet man Euphemismen in besonders ziseliert-kunstvoller Weise vor allem in den Arbeiten von Homöopathen. Die ja bekanntlich nicht einmal davor zurückschrecken, im Vergleich von Studien zur Homöopathie und zur wissenschaftlichen Medizin durch „Abzählen“ positiver, negativer und „unentschiedener“ Resultate eine Art „Wer hat gewonnen“-Spiel um die Krone der Evidenz zu veranstalten. So beispielsweise das Homeopathy Research Institute, nach eigenem Selbstverständnis so etwas wie die Speerspitze der Wissenschaftlichkeit in der Homöopathie. Das ist per se Unsinn – fällt aber wie ein Kartenhaus zusammen, bedenkt man, was dabei wohl mit „unentschiedenen“ Studien gemeint sein soll, wo doch die Antwort aus einer Studie nur lauten kann, ob sich die Ausgangshypothese bestätigt hat oder nicht…? Und gekrönt wird dies meist auch noch mit dem Ruf nach „mehr Forschung“ – wir werden noch davon hören.


    Dies zunächst als Einstieg ins Thema – ich weiß, lang. Aber wichtig. Fortsetzung hier.


    Das Heu im Nadelhaufen?

    Vernebelt …

    n jüngster Zeit sind mir wieder Studien bzw. gar zusammenfassende Arbeiten aus dem homöopathischen Universum zu Augen gekommen, die unverdrossen das Lied der Wirksamkeit, ja gar der evidenzbasierten Homöopathie singen. Business as usual, ja. Aber irgendwann…

    Gleich zu Beginn die ketzerische Frage: Wozu machen Homöopathen eigentlich ihre Studien? Scheren sie sich um deren wissenschaftliche Bewertung? Nehmen sie zur Kenntnis, dass ihre “Ergebnisse” keinerlei Auswirkungen auf die medizinische Praxis außerhalb des homöopathischen Universums haben? Ja, ziehen sie überhaupt selbst Konsequenzen aus den Ergebnissen ihrer eigenen Studien und Reviews?

    Die Antwort ist meiner Ansicht nach auf alle diese Fragen: Nein. Gehen wir die genannten Punkte einmal exemplarisch durch:

    • Der Versuch von Robert T. Mathie, im Auftrage des Homeopathy Research Institute in den Jahren von 2014 bis 2019 die gesamte Studienlage zur Homöopathie zu reviewen, mündete in einen kümmerlichen Artikel auf der Webseite des HRI, der versucht, die Atemöffnung über der Wasserlinie zu halten, aber dabei in denkbarem Gegensatz zu den meisten (allen?) anderen Statements aus gleichem Hause steht, die der Homöopathie medizinische Relevanz mindestens der wissenschaftlichen Medizin gleichwertig zuschreiben wollen. Aber hier: Kein Jubel, keine Einreichung eines Fazits, eines zusammenfassenden Reports von Mathies Arbeit bei einem der großen medizinischen Journale. Nichts dergleichen, zu einer ganzen Reihe von Arbeiten, die den Anspruch erheben, die gesamte Studienlage zur Homöopathie zusammenzufassen und zu bewerten.
    • Die Bemühungen der homöopathischen Szene, Therapeuten und Kliniken (und Universitäten / Studierende) für die sanfte, nebenwirkungsfreie und durchschlagende Methode aus ihrem Portfolio zu begeistern, beruhen weit eher auf den Zuwendungen aus diversen Stiftungstöpfen als auf der Überzeugungskraft wissenschaftlich solider Belege pro Homöopathie. Woraus wiederum Renommee und in der Folge wieder die berühmte “Beliebtheit” der Methode als politisches “Argument” abgeleitet werden kann.
    • Für die homöopathische Praxis sind die teils höchst aufwändig dargelegten, mit großem wissenschaftlichem Apparat daherkommenden Forschungsergebnisse durchweg bedeutungslos. Ein überragendes, aber kein solitäres Beispiel ist die “Münchner Kopfschmerzstudie” aus dem Jahre 1997, konzipiert, durchgeführt und ausgewertet von einer Reihe handverlesener Homöopathie-Experten. Ergebnis: Vernichtend, insofern, als dass Placebo und individuelle Homöopathie keine signifikanten Unterschiede zeigten. Szenenwechsel: Kopfschmerzen sind, ein Blick ins Internet genügt, noch heute unverändert eine der hauptsächlichen “Indikationen” für Homöopathie.

    Angesichts dessen sei die Frage erlaubt: Was sind klinische Studien zur Homöopathie denn dann überhaupt (wobei wir hier nicht Beobachtungsstudien meinen, die für Wirkungsnachweise ohnehin nicht geeignet sind)? Wie “wissenschaftlich” sind sie ganz grundsätzlich und wie muss man sie redlicherweise verorten?

    Als Co-Autor schrieb ich an anderer Stelle bereits einmal:

    “[,,,] Homöopathie erfüllt entscheidende Kriterien für eine als wissenschaftlich anzusehende Methode nicht. Da sie gleichwohl einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, präsentiert sie sich mit einem scheinwissenschaftlichen Anstrich. Sie tut dies mit einer gewissen Virtuosität, was sich darin zeigt, dass einerseits die weltweite Wissenschaftsgemeinschaft sich über die wissenschaftliche Wertlosigkeit der Methode einig ist, andererseits jedoch die scheinwissenschaftliche Mimikry mit Forschung, Studien, Therapiemodellen, Pseudo-Qualifikationen, der Adaption wissenschaftlicher Terminologie und dergleichen ihren Eindruck auf das mit wissenschaftlichen Grundannahmen, ja dem Wissenschaftsbegriff selbst nicht vertraute Publikum nicht verfehlt.

    Was nichts anderes heißt, als dass Forschung zur Homöopathie und ihre Ergebnisse – die Studien – unter einem generell wissenschaftskritischen Aspekt betrachtet werden müssen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der evidenzbasierten Medizin.

    Das dabei grundsätzlich aufscheinende Problem für die Kritik an der Homöopathie sei gleich zu Anfang aufgezeigt, und zwar wiederum mit einem Zitat aus einer Veröffentlichung von Mitgliedern des Informationsnetzwerks Homöopathie:

    Dadurch (durch das ständige Erscheinen immer neuer Homöopathie-Studien und die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit diesen) wird allerdings auch – im Sinne interessierter Kreise – eine Diskussion über die Wirksamkeit der Homöopathie stets neu befeuert und in der Öffentlichkeit als wissenschaftlicher Streit um gleichwertige Positionen wahrgenommen.

    Dies kann sich als besonderes Problem der Kritik darstellen, da einerseits diese vorgeblichen Belege pro Homöopathie nicht einfach ignoriert werden können, andererseits durch die Gegenvorstellungen seitens der Kritik dem erwähnten Eindruck einer „Debatte auf Augenhöhe“ ungewollt auch ein gewisser Anschein von Glaubwürdigkeit verliehen wird.

    Ergo: Jede Studie zur Homöopathie, ja, jeder Review, egal welchen Inhalts, hält im Publikum den Irrtum aufrecht, es ginge um ein wissenschaftlich valides Thema, das “noch offen”, “umstritten” und dergleichen sei. Man muss nur ein wenig Öffentlichkeitsarbeit betreiben… fast ist man an den alten Spruch der Werbetreibenden erinnert, dass es negative PR gar nicht gebe. Und wenn es mal nicht so gut läuft, vorzugsweise mit Veröffentlichungen von renommierter und neutraler Seite, so starte man eine Glaubwürdigkeitskampagne und bezichtige die Urheber und deren Umfeld sinistrer Absichten – wie dies in wahrlich bemerkenswertem Umfang mit dem Review des australischen NHMRC geschehen ist, das mit einer jahrelangen Unsinnskampagne über den angeblichen “First Draft” überzogen wurde, der wegen noch angeblicherer positiver Ergebnisse zur Homöopathie “unterdrückt” worden sei.


    Ausgerechnet die Methodik der Evidenzbasierten Medizin, die grundsätzlich vom “blank sheet” ausgeht, also unabhängig von Plausibilitäten und Unvereinbarkeiten allein nach dem empirischen “Outcome” klinischer Studien fragt (und damit “jedem eine Chance” gibt), kommt den forschenden Homöopathen dabei entgegen.

    Die Homöopathen (gerechterweise: nicht als einzige) missbrauchen die EBM. Denn die Empirie der EBM beruht auf Statistik, und zwar auf keiner trivialen. Allein diese erzeugt eine lange Reihe von Unwägbarkeiten, denen methodische Probleme bei Konzeption und Durchführung von Studien noch vorausgehen. All dies bleibt dem Publikum, dem hinterher mit “der neuen Studie” triumphierend zugewunken wird, verborgen. Dass Studien lediglich “statistische Messinstrumente” sind und ihren Anteil an der “Wahrheit” oft verbergen und nur höchst widerwillig preisgeben, das weiß das – meist ohnehin schon geneigte – Publikum nicht. Und außer diesen ewigen Skeptikern erklärt es ihnen auch niemand. Also wird „nach EBM-Kriterien geforscht“, was das Zeug hält. Und damit Material fürs Cherry-Picking produziert. Aber keine ernsthafte ergebnisoffene Forschung betrieben.

    Dabei berufen die Homöopathen sich auch noch explizit auf Sacketts Definition der EBM (deuten sie allerdings z.B. so, dass – was stimmt – schon Expertenmeinungen und Fallstudien “Evidenz” sein können, aber eben nicht, wenn wie in unserem Falle Ergebnisse auf höheren Evidenzstufen vorliegen) und rufen „die evidenzbasierte Homöopathie“ aus. Steven Novella schrieb einmal, kein Mensch sei bei der Konzeption der EBM auf die Idee gekommen, dass sich Proponenten unplausibler Heilslehren erdreisten könnten, überhaupt die Methode des „blank sheet“, der völlig unvoreingenommenen Empirie in der EBM, für ihre Heilslehren in Anspruch zu nehmen.

    Ein Irrtum, wie wir heute wissen. Leider ist in der Tat mit der “reinen Empirie” der EBM die wissenschaftliche Plausibilität allzu sehr in den Hintergrund geraten, was aber m.E. vielen Forschern langsam dämmert. Denn die Nichtberücksichtigung von inneren wie äußeren Unvereinbarkeiten (Inkonsistenzen) und Unplausibilitäten ist eine wohlbegründete Methodik innerhalb der EBM, aber doch kein Freibrief, diese in einer wissenschaftlichen Gesamtbeurteilung völlig auszublenden.

    Natürlich schreckt man aus Gründen der wissenschaftlichen Redlichkeit davor zurück, irgendetwas völlig von der Forschung auszuschließen. Aber ebensowenig ist es akzeptabel, die EBM so auf Empirie einzuengen und dabei auch noch alle methodischen und statistischen Möglichkeiten und Grauzonen so zu nutzen, dass es mühsamer Nachschau durch die wissenschaftliche Homöopathiekritik (und ganz gelegentlich der Wissenschaftsgemeinde, wenn die Homöopathen den Fehler machen, in einem wirklich großen Journal zu veröffentlichen) bedarf, um immer wieder darzulegen, dass auch reine Empirie die Homöopathie nicht als wirksam erweist.

    Steven Novella und David Gorski (sciencebasedmedicine.org) schlagen z.B. vor, in die statistische Bewertung nicht nur lineare, auf die jeweils einzelne Studie bezogene Faktoren aufzunehmen, sondern auch nach der Bayesschen Methode (Theorem der bedingten Wahrscheinlichkeit) die bisher vorliegende Gesamtevidenz in die Einzelbewertung einfließen zu lassen. Was in der Tendenz zu einem immer realistischeren Bild der Evidenz in wissenschaftlicher Sicht führen müsste (aber auch methodisch wie statistisch korrekte Forschung und deren offene Kommunikation voraussetzt). Dies aber an dieser Stelle nur als Ausblick auf einen Folgebeitrag dazu.


    Wir halten fest: Homöopathische klinische Forschung hat per se etwas von einem Ärgernis. Sie dient nicht medizinischer Praxis, erhält fälschlich den allgemeinen Eindruck, Homöopathie habe wissenschaftlich durchaus noch nicht abgewirtschaftet und befördert die Selbsttäuschung der Praktiker, Anwender und Fürsprecher der Homöopathie.

    Zur homöopathischen Grundlagenforschung an Hochpotenzen ist bereits an anderer Stelle alles Notwendige gesagt, sei noch hinzugefügt.


    Bild von ulieitner auf Pixabay

    Von der Neugier zur Langeweile – Prof. Paul Glasziou zum NHRMC-Review

    Reviews – looking behind the doors

    Der größte Hoax, den Homöopathen (bis auf die Homöopathie selbst) jemals losgetreten haben, ist wohl das jahrelange Schmierentheater um den angeblich unterdrückten “ersten Bericht” des australischen NHMRC, der dem offiziellen Bericht von 2015 vorausgegangen und in der Tonne gelandet sei, weil er angeblich positiv für die Homöopathie ausgefallen war. Nachdem der NHMRC den “First Draft” vor einem Jahr dann veröffentlichte, um dem Unsinn ein Ende zu machen, gab es zunächst weltweit groteske Fehldeutungen und Jubel in der homöopathischen Szene (drastische Demonstrationen des confirmation bias), bis das Ganze dann nach und nach sozusagen verdunstete.

    In Deutschland allerdings hielt und hält sich die Behauptung, sinistre Kräfte steckten hinter dem NHMRC-Review und das Ganze sei eine “Täuschung der Öffentlichkeit” nach wie vor. Erst vor wenigen Tagen geriet ich in eine Diskussion mit einem praktizierenden Homöopathen, der die ganze Geschichte mit dem “First Draft” für sich protokolliert hatte – aus Homöopathensicht. Wirklich kaum zu glauben, wie sehr sich sein Protokoll der causa von dem meinen unterschied. Durchaus Anlass genug, die eigene Position nochmals zu prüfen – und sie für tragfähig zu befinden.

    Im Zusammenhang mit dem NHMRC-Review bin ich auf einen kurzen Blogbeitrag von Prof. Paul Glasziou von der Bond-Universität in Australien gestoßen, der seinerzeit der Leiter der Arbeitsgruppe war, die den Bericht zusammengestellt hatte. Er stammt aus der Zeit (2016), als der Review schon eine Weile in der Welt war und sich die “Opposition” dagegen deutlich zu regen begann. In seiner nüchternen Klarheit finde ich ihn bemerkenswert, auch deshalb, weil Prof. Glasziou ganz offensichtlich sehr unvoreingenommen und nicht einmal mit umfassendem Vorwissen über Homöopathie an die Untersuchung herangegangen war. Nachstehend meine deutsche Übersetzung.

    Paul Glasziou: Immer noch keine Beweise für die Homöopathie
    16. Februar 2016 / thebmjopinion
    http://blogs.bmj.com/bmj/2016/02/16/paul-glasziou-still-no-evidence-for-homeopathy/

    Als der Bericht des Nationalen Gesundheits- und Medizinischen Forschungsrates (NHMRC) über die Homöopathie zu dem Schluss kam, dass “es keine zuverlässigen Beweise aus der Forschung am Menschen gab, dass die Homöopathie irgendwo bei der Bandbreite der betrachteten Krankheitsbilder wirksam ist”, waren nur wenige in der konventionellen Medizin überrascht, die Homöopathie-Gemeinschaft aber war empört. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die den Bericht erstellt hat, war ich einfach nur erleichtert, dass der beschwerliche Weg der Sichtung und Synthese der Beweise zu Ende war. Ich hatte die Reise mit einer “Ich weiß es nicht” Haltung begonnen, neugierig darauf, ob diese unwahrscheinliche Methode jemals funktionieren könnte. Allerdings, wer hätte früher geglaubt, dass Bakterien Magengeschwüre verursachen oder dass Impfstoffe gegen Krebs zur Routine werden würden? Also vielleicht doch? … Aber ich habe das Interesse verloren, nachdem ich die 57 systematischen Übersichtsarbeiten (zu 68 Indikationen), die 176 Einzelstudien enthielten, durchgesehen und keine überzeugenden Effekte jenseits von Placebo erkennen konnte.

    Natürlich würden wir bei 176 Studien rein zufällig ein paar p-Werte unter 0,05 erwarten: 1/20 von 176 ist etwa 9, die Anzahl, die reiner Zufall als “statistisch signifikant” erscheinen lassen würde. Wir haben uns auf Replikationen und systematische Übersichtsarbeiten gestützt, um solche falsch positiven Ergebnisse zu vermeiden. Das NHMRC replizierte nicht selbst alle 63 systematischen Übersichtsarbeiten (was jeweils über 50.000 AU$ gekostet hätte), sondern bewertete die vorhandenen Übersichtsarbeiten und benutzte sie als Fenster zur Gesamtevidenz (“body of evidence“) . Obwohl dieser body of evidence in Größe und Qualität heterogen war, ergab sich aus den qualitativ höherwertigen Studien kein klares Signal für eine Wirksamkeit.

    Eine Überraschung war für mich das Spektrum der Erkrankungen, bei denen die Homöopathie untersucht worden war, darunter rheumatoide Arthritis, Radiodermatitis, Stomatitis (Mundentzündung) infolge einer Chemotherapie und die Infektion mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV). Was mich später noch mehr schockierte, war, dass es Organisationen gibt, die die Homöopathie bei Infektionskrankheiten wie AIDS in Afrika oder Malaria propagieren. Angesichts der derzeit vorhandenen wirksamen Behandlungen scheint das eine sehr zweifelhafte Aktivität zu sein und ist ein weiteres Beispiel, das die Aussage des NHMRC rechtfertigt, dass “Menschen, die sich für die Homöopathie entscheiden, ihre Gesundheit gefährden können, wenn sie Behandlungen ablehnen oder verzögern, für die es gute Beweise für Sicherheit und Wirksamkeit gibt”.

    Es überrascht nicht, dass es von Verwendern und den Vertreibern homöopathischer Arzneimittel erheblichen Gegenwind gegeben hat. Tatsächlich initiiert der International Council for Homeopathy derzeit ein Fundraising – jedoch nicht, um bessere Forschung zu finanzieren, sondern um das NHMRC-Dokument anzugreifen. Ich kann gut verstehen, warum Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, mit dem Stand der medizinischen Praktiken des 18. Jahrhunderts, wie Aderlass und Schröpfen, unzufrieden war und versuchte, eine bessere Alternative zu finden. Aber ich vermute, er wäre enttäuscht über das kollektive Versagen der Homöopathie, die, statt seine damals durchaus innovativen Untersuchungen weiterzuführen, weiterhin eine therapeutische Sackgasse verfolgen.


    Paul Glasziou ist Professor für evidenzbasierte Medizin an der Bond-Universität in Queensland und nebenberuflich Allgemeinmediziner.


    Ein interessanter Einblick am Rande. Ceterum censeo: Homöopathie ist eine spezifisch unwirksame Scheintherapie, die im Gesundheitswesen keinen Platz haben kann und deren Privilegierung im Arznei- und Sozialmittelrecht eine perpetuierte Verantwortungslosigkeit ist. Und was Prof. Glaszious Vergleich mit der Entdeckung des Helicobacter pylori oder der Entwicklung des HPV-Impfstoffs betrifft: damit war jedenfalls nichts postuliert worden, was gegen naturgesetzliche Gegebenheiten verstoßen hätte. Diese Entdeckungen, solange sie noch unbekannt waren, existierten latent im Raum des potenziell Möglichen. Anders als die Hypothesen der Homöopathie, die, nach den Worten von Prof. Otto Prokop, Spekulationen “außerhalb der Grenzen der realen Welt” darstellen. Der Vergleich macht aber deutlich, wie unvoreingenommen – als strenger Evidenzler – Prof. Glasziou an die Sache herangegangen ist.


    Zum Weiterlesen – die wichtigsten Veröffentlichungen des Informationsnetzwerks Homöopathie zum NHMRC-Review und der “First Draft”-Debatte:

    Stellungnahme des Informationsnetzwerks Homöopathie zur Beschwerde des HRI über das Review des australischen Gesundheitsministeriums (NHMRC)

    Offener Brief des INH zum Interview mit Dr. Tournier (HRI) auf „Homöopathie online“

    Unendliche Geschichte(n) – noch einmal zum Homöopathie-Review des NHMRC

    Der „unterdrückte erste Report“ des NHMRC – Quelle von „Ermutigender Evidenz“?


    Bild von Arek Socha auf Pixabay

    Gedanken zu IGeL

    Ich hasse Wortspiele …

    Wer ist ihnen nicht schon einmal begegnet, den IGeL-Angeboten in der Arztpraxis, den „individuellen Gesundheitsleistungen“, deren augenfälligster Aspekt erst einmal ist, dass man sie aus eigener Tasche bezahlen darf?

    Zu diesem Thema überraschte kürzlich der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) mit einer sehr deutlichen Pressemitteilung [1] zu seinem „IGeL-Report 2018“. Dort heißt es u.a.:

    „Jeder Zweite bekommt beim Arztbesuch Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) angeboten, die privat zu bezahlen sind. Der IGeL-Monitor hat in einer repräsentativen Umfrage erstmals die Top 10 der meistverkauften IGeL ermittelt. Fazit: In den Praxen werden häufig Früherkennungsuntersuchungen wie Ultraschall, Augeninnendruckmessung und Ähnliches verkauft. Viele der Topseller widersprechen Empfehlungen medizinischer Fachverbände, weil ihr Schaden den Nutzen überwiegt.“

    Harte Worte, die aber durch die Erhebungen des „IGeL“-Monitors [2] belegt werden, einer Einrichtung des MDS, der die in Arztpraxen angebotenen IGeL-Leistungen mit den Leitlinien der medizinischen Fachverbände abgleicht und die Maßstäbe der evidenzbasierten Medizin zugrunde legt. Das sind Fakten, die auch von den natürlich sofort erschallenden Gegenvorstellungen von Ärzteseite nicht ausgehebelt werden können.

    Das Fazit des Geschäftsführers des MDS, Dr. Peter Pick, fällt demgemäß ebenso vernichtend wie deutlich aus:

    „Unser Fazit ist: Die IGeL-Angebote orientieren sich nicht am nachgewiesenen medizinischen Nutzen, sondern an den Vorlieben einzelner Arztgruppen und an den Umsatzinteressen der Praxen. Zum Teil werden Patienten unter Druck gesetzt, damit sie solche Leistungen annehmen. Das ist nicht hinnehmbar.“

    Der Projektleiter des IGeL-Monitors, Dr. Christian Weymayr, wird gar mit der Anmerkung zitiert, dass mehr als jeder dritte Patient angegeben habe, dass er sich bedrängt oder unter Druck gesetzt fühlte, was sich auch in den Zuschriften an den IGeL-Monitor bestätige.

    Und schon sind wir mittendrin in einem Konglomerat von Interessen, von Evidenz und fehlender Evidenz, von Problemen im Leistungskatalog der Kassen und Problemen beim IGeL-Katalog der Ärzte.

    Verwerfungen gibt es schließlich keineswegs nur auf einer Seite. Vielmehr zeigt die längerfristige Betrachtung, dass es durchaus “Positionswechsel” zwischen IGeL und erstattungsfähigen Leistungen gab; immer wieder wurden IGeL-Leistungen einmal zu Regelleistungen der Kassen nach Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses. Ob der IGeL-Monitor wirklich immer dem Anspruch gerecht wird, nach der aktuellen Evidenzbasierung und den Leitlinien der Ärztegesellschaften zu urteilen, sei auch dahingestellt. Wir sehen hier eine typische “Gemengelage”, die zudem in ständiger Bewegung begriffen ist.

    Um aber auf das eigentliche Thema der IGeL-Leistungen zurückzukommen: Es geht mir hier nicht um die Lösung dieses gordischen Knotens, sondern um einen aus meiner Sicht bislang zu kurz gekommenen Gesichtspunkt: Nämlich, dass mit IGeL den Patienten auch suggeriert wird, die Versorgung durch die gesetzliche Krankenkasse sei lückenhaft, minderwertig, sei Arme-Leute-Medizin und man werde für seine hohen Beiträge mit Minimalversorgung abgespeist. Diese Haltung hört man ohnehin schon allzu oft. Natürlich ist es nicht die Intention von IGeL, aber diese Schlussfolgerung liegt nahe – und wird auch gezogen.

    Man mag über das deutsche Gesundheitssystem nun denken was man will, aber Tatsache ist, dass es eines der weltbesten ist. Vor allem deshalb, weil es keinerlei Unterschiede beim Zugang zu den zugelassenen Behandlungen macht. Ob es ein Antibiotikum gegen eine akute Infektion ist oder die Behandlung eines chronischen Diabetes, ein Transplantationseingriff oder die kurative Behandlung einer Hepatitis C (das gibt es inzwischen) – jeder hat ungeachtet seiner persönlichen Verhältnisse gleichermaßen Zugang dazu. Wenn – aus teils nicht medizinisch begründbaren Aspekten heraus – Einschränkungen gemacht werden (müssen), dann betreffen sie eben auch gleichermaßen alle Versicherten und verwirklichen damit immerhin auch das Solidarprinzip. Dass dies durch Fehlanreize wie IGeL aus dem Blickfeld der Patienten rückt, ist allein schon ein Grund, um über die Zukunft dieses Systems ärztlicher Zusatzangebote nachzudenken. Das Vertrauen der Patienten und Versicherten nicht nur in die Ärzte, sondern auch in das Gesundheitswesen selbst ist von elementarer Wichtigkeit.

    Die “Botschaft” an die Patienten, um die es mir hier geht, wird auch noch durch andere Gesichtspunkte verkompliziert. Leistungsausschlüsse der GKV, die allein wirtschaftlichen Überlegungen geschuldet sind – wie Nichterstattung von leitliniengerechten, jedoch nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten oder der Erstattung für Sehhilfen – haben eben nichts mit medizinfachlichen Gesichtspunkten zu tun und sind denn auch Gegenstand ständigen Ärgernisses bei den Versicherten. Es sind – Rationierungen in einem Mangelsystem, nichts anderes. Andererseits gibt es – Leser meines Blogs ahnen natürlich, was jetzt kommt – Erstattungen für Dinge wie Homöopathie und Anthroposophie, innerhalb der Satzungsleistungen auch für andere Dinge, die keinesfalls dort hingehören, da ihnen die Evidenz schlicht fehlt. Für Satzungsleistungen insgesamt wurden nach den letzten Zahlen von den Krankenkassen immerhin 1,5 Mrd. Euro (2016) aufgewendet [3]. Da wiederum trifft die vom Bundesversicherungsamt an den Kassen hierzu geübte Kritik eben auch völlig zu – und ist inhaltlich doch gar nicht groß etwas anderes als die Kritik des MDS an IGeL. Oder soll die Kritik der Kassen an IGeL womöglich von der Kritik des Bundesversicherungsamtes an ihren Satzungsleistungen ablenken?

    Die Frage sei erlaubt, ob IGeL nicht Fehlanreize auf allen Seiten setzt bzw. Schlussfolgerungen impliziert, die vor allem auf Patientenseite nicht gewollt und nicht wünschenswert sind. Dass wirtschaftliche Gesichtspunkte einen niedergelassenen Arzt nicht dazu nötigen dürfen, einen derartigen Bauchladen anzubieten, sollte selbstverständlich sein. Die Gemengelage Kassenleistungen / IGeL-Zusatzangebote enthält – darauf möchte ich hier nur hinweisen – einiges an Sand im Getriebe. Eine Frontstellung deswegen zwischen den GKV-Kassen und den Ärzteverbänden ist das Letzte, was man sich wünschen würde. Die Gesundheitspolitik muss sich des Puzzles aber einmal annehmen – als Teil auf einem Weg zu einer besseren Medizin.


    [1] https://www.mds-ev.de/presse/pressemitteilungen/neueste-pressemitteilungen/2018-05-03-pm-igel-report-2018.html

    [2] https://www.igel-monitor.de/

    [3] https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/krankenkassen/article/932760/satzungsleistungen-kassen-ausgaben-fast-verdoppelt.html


    Bild von Víťa Válka auf Pixabay

    Homöopathie – Wunderglaube?

    Die Homöopathieanhänger finden nichts dabei, einer Methode das Wort zu reden, die sich in ihrem eigenen Alltag ständig selbst widerlegt. Eine erstaunliche Form von Glaubensfestigkeit.

    Häufig weisen Kritiker darauf hin, dass Homöopathie als Methode vor allem deshalb schon a priori obsolet sei, weil ihre Grundlagen gegen naturgesetzliche Gegebenheiten, gegen wissenschaftlich erstklassig abgesicherte Erkenntnisse verstoßen, die sich täglich, stündlich, sekündlich in unser aller Alltag manifestieren – nur für die Homöopathie jedoch suspendiert sein sollen. Häufig kommt die Frage nach genauerer Erläuterung dieser Position. Wir wollen es im Folgenden versuchen.

    Hat Tante Jutta mal wieder den Kaffee zu stark für Oma Hilde gekocht, holt man heißes Wasser und gibt es für die Oma zum Kaffee dazu. Oma ist gerettet!

    Nimmt ein 90 kg-Mann eine Ibuprofen-Tablette mit 200 mg Wirkstoff, weil er unangenehme Kopfschmerzen hat, wird er keine Wirkung feststellen, weil die Wirkstoffmenge einfach nicht ausreicht. Also nimmt er sinnvollerweise noch eine.

    Was sollen nun diese Trivia in unserem Zusammenhang, wird man fragen. Eben – Trivia! Offenbar sind einem solche Selbstverständlichkeiten gar nicht recht präsent, wenn man geneigt ist, den Lehren der Homöopathie ein offenes Ohr zu schenken. Denn: Nach der Lehre der Homöopathie entsteht beim Verdünnen und Verschütteln eines Ausgangsstoffes ein „Mehr“, das nicht exakt definiert ist, von Hahnemann als „geistige Arzneikraft“ benannt, von seinen heutigen Exegeten meist als „Energie“ oder „Information“, allerdings keineswegs in der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Begriffe (eine bekannte pseudomedizinische Spezialität, die Differenz zwischen Sagen und Meinen). Aber ein „Mehr“ soll entstehen – und an „Stärke“ sogar noch mit jedem Verdünnungs- und Verschüttelungsschritt zunehmen – siehe Omas Kaffee. Zugleich soll eine Niederpotenz, die noch „viel“ vom (angeblichen) Wirkstoff enthalten kann, „zu schwach“ sein. Siehe unseren 90 kg-Mann.


    Dies führt dazu, dass der klassische Homöopath eine tiefe Ehrfurcht vor homöopathischen Hochpotenzen hat, denen nach der Lehre eine gewaltige Kraft innewohnen müsste, geeignet, Kranke nachhaltig zu kurieren, aber gleichzeitig Gesunde mit eben den Symptomen zu versehen, die beim Kranken geheilt werden sollen. Dies zu widerlegen, als blanken Unsinn zu entlarven, ist Sinn und Ziel der bekannten 10^23-Aktionen der Homöopathiekritiker (nach der Verdünnung in der 23. Zehnerpotenz fällt der Wahrscheinlichkeitswert für die Anwesenheit eines Moleküls der Ursubstanz statistisch unter Eins). Homöopathen bezeichnen diese „Selbstversuche“ als blanken Unsinn, begründet mit unterschiedlichen homöopathischen Spitzfindigkeiten, es bleibt jedoch der Umstand, dass diese Mittel erhebliche Wirkungen auf die Probanden haben müssten.

    Aber zurück zu den Grundlagen.

    Weniger wird zu irgendeinem „Mehr“ – dieses faktisch Wenige soll wiederum „stärker“ beim Kranken wirken als um etliche Zehner- oder gar Hunderterpotenzen geringer verdünnte Vorstufen des Mittels? Offensichtlich unvereinbar mit dem Fall unseres Kopfschmerzpatienten und dem von Oma Hildes Kaffeetasse. Fragen wir doch mal ganz naiv nach bei den Homöopathen, was sie dazu zu sagen haben.

    Nun, dann wird – wenn überhaupt – in aller Regel damit geantwortet, dass all dies ja „nur für die Homöopathie“ gelte. Nun möge man einmal erklären, bitte, wieso ausgerechnet für die Homöopathie andere Naturgesetze gelten sollen als am Kaffeetisch, in der Spülmaschine, in industriell-chemischen Prozessen, bei der Einnahme von pharmazeutischen Arzneimitteln oder gar Toxinen? Das ist gelebte Irrationalität, das partielle Außerkraftsetzen der naturgesetzlichen Grundlagen unzähliger Alltagsvorgänge durch höhere Mächte. Gesetzlich geschützt und beglaubigt durch Paragraf 38 des deutschen Arzneimittelgesetzes, der den Wunderglauben in der Tat als solchen bekräftigt, indem er Homöopathika von wissenschaftlichen Beweisführungen zu ihrer Wirksamkeit suspendiert und sie gleichwohl als Arzneimittel in den Markt gelangen lässt.


    Und im Detail weitergeführt: Jedes Lösungsmittel zur Herstellung homöopathischer Mittel (Laborwasser, Reinzucker zum Verreiben, Laboralkohol) enthält Verunreinigungen mit allen möglichen Stoffen, die homöopathischen Potenzierungen zwischen D4 und D8 entsprechen. Nach dem amtlichen „Homöopathischen Arzneibuch“ darf der Verdunstungsrückstand an Feststoffen bei Laborwasser 1 mg auf 100 ml betragen, was D5 entspricht. Schlichtes Leitungswasser entspricht z.B. vom Gehalt an Arsen ziemlich exakt dem homöopathischen Mittel Arsenicum album in der Potenz D8, ohne dass dies physiologische Wirkungen auslöst – auch dauerhaft nicht.

    Woher „weiß“ denn nun das Mittel, das der Homöopath als Ausgangsstoff ausersehen hat, dass es, und NUR es, sich in den Verdünnungsschritten „weiterpotenzieren“, „stärker“ werden soll? Und das soll nun auch noch gegenüber den Stoffen gelten wie dem genannten Arsen, die sich in gewisser Menge bereits im Lösungsmittel befanden? Diese Anteile sollen nun, obwohl chemisch identisch mit den vom Homöopathen „eingebrachten“ Molekülen, nicht an der wundersamen Metamorphose des Arsens zu einer starken „geistigen Arzneikraft“ teilhaben? Wobei beim Alkohol als Lösungsmittel noch eine Rolle spielen müsste, ob er seine Herstellung der Destillation aus Kartoffeln, Rüben, Trauben, Mais oder Zuckerrohr verdankt, was jeweils andere Reststoffe hinterlässt? Beim Laboralkohol beträgt der zulässige Verdampfungsrückstand 2,5 mg auf 100 ml, dazu kommen noch die flüchtigen Fremdstoffe – das zusammen entspricht einer homöopathischen Potenz von noch unter D4, also einer ausgesprochenen homöopathischen Niederpotenz. Und damit will man abermillionenfach größere Verdünnungen herstellen? Ab D8 bringt man ersichtlich – immer wieder nur mit dem Lösungsmittel auf Wasserbasis neue D8-Dilutionen ein und verdünnt nicht einmal mehr … .

    Dies ist – unmöglich. Spätestens hier zerschellt der ständige Einwand der Homöopathen, „die Wissenschaft“ sei „noch nicht so weit“, Homöopathie zu verstehen. O nein! Die Wissenschaft weiß sehr gut und mit hinreichender Gewissheit, dass die Homöopathie nicht bewiesen werden wird. Denn entweder wäre sie im buchstäblichen Sinne ein Wunder, eine selektive Außerkraftsetzung naturgesetzlicher Gegebenheiten (ist sie nicht, weil sie schon an allen Beweisversuchen für eine Wirksamkeit gescheitert ist, es gibt also gar kein zu erklärendes Phänomen) oder unser biologisches, physikalisches, chemisches Wissen wäre in vielfacher Hinsicht krass falsch oder mindestens massiv unvollständig.


    Letzteres würde dann aber nicht nur einfach eine Integration der Homöopathie in den Wissenschaftskanon bedeuten, so einfach ist das nicht. Es würde gleichzeitig erfordern, alle die Bereiche, die bislang als widersprüchlich ausgemacht wurden, in Biologie, Physik, Chemie durch andere, ebenso logisch konsistente neue Erklärungsmodelle zu ersetzen, die mit der Homöopathie und mit unseren Alltagserfahrungen gleichzeitig vereinbar wären. Ich erlaube mir an dieser Stelle nochmals das Statement, auch und gerade aus der Sicht von jemandem, der im Popperschen Sinne die Begrenzheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit in der Empirie (wegen des unlösbaren Induktionsproblems) anerkennt. Dies IST unmöglich (es ist ja kein emprischer Befund, sondern ein logisch aus Axiomen abgeleiteter). Hinweis am Rande: Es ist auch in der Empirie nicht eigentlich „unmöglich“, die „Wahrheit“ (besser: die ganze Realität) aufzuspüren. Nur können wir nicht wirklich wissen, ob und wann dies der Fall ist.


    Von der Wissenschaftslogik noch einmal zu einigen Details der konkreten Unvereinbarkeit homöopathischer Grundannahmen mit naturgesetzlichen Axiomen.

    Die Homöopathen können nicht erklären, WAS denn nun dasjenige sein soll, was als „verstärktes“ Agens am Ende bei der homöopathischen Potenzierung (aka Verdünnung) herauskommen soll. Hahnemann bezeichnete dies als „geistige Arzneikraft“ und wollte dies durchaus immateriell verstanden wissen. Übrigens glaubte er den ultimativen Beweis für die Immaterialität seiner Arzneikraft gefunden zu haben, als er auch noch dem „Magnetstab“ homöopathische Heilkraft zusprach. Er war sehr beeindruckt von Franz Anton Mesmer, dem Suggestivheiler par excellence, dem die Psychosomatik-Forschung noch heute einiges verdankt. Hahnemann nun dachte den “Magnetismus” Mesmers (der natürlich auch bei diesem keine Rolle bei seinen Heilerfolgen spielte) in seine homöopathischen Kategorien um und glaubte damit, gegen die schon damals zahlreich gegen ihn auftretenden „Atomisten“ (im heutigen Duktus der Verteidiger der Homöopathie sind das die „reduktionistischen Materialisten“) triumphieren zu können:

    Atomist! dich für weise in deiner Beschränktheit dünkender Atomist! sage an, welcher wägbare Magnettheil drang da in den Körper, um jene, oft ungeheuern Veränderungen in seinem Befinden zu veranstalten? Ist ein Centilliontel eines Grans (ein Gran-Bruch, welcher 600 Ziffern zum Nenner hat) nicht noch unendlich zu schwer für den ganz unwägbaren Theil, für die Art Geist, der aus dem Magnetstabe in diesen lebenden Körper einfloss? … (Hahnemann, Reine Arzneimittellehre, 2. Auflage, II. Teil, S. 212).

    Dies nur zur Illustration der damaligen Gedankengänge, die durch unser heute weit differenzierteres Wissen obsolet geworden sind. Homöopathen ist Hahnemanns Gleichsetzung des „Geistes aus dem Magnetstabe“ mit der arzneilichen Wirkung konkreter Stoffe allerdings recht peinlich – man hört so gut wie nie davon in ihren Kreisen und in ihren Fortbildungen, es ist ja in der Tat ein Punkt, der Zweifel an der Arzneimittellehre Homöopathie wecken könnte. Steht ja auch weit hinten in Hahnemanns „Organon der Heilkunst“, so weit liest ja eh keiner, ganz zu schweigen von der „Reinen Arzneimittellehre“ … außer den Kritikern. Obwohl – es gibt ja heute auch Mittel auf der Grundlage von Mondschein, Erdstrahlung etc. pp. …


    Wir erwähnten eben schon die berühmte 23. Zehnerpotenz als Grenze für einen letzten Gehalt an Wirkstoffmolekülen. Dieser Wert bestimmt sich nach der Avogadro-Konstante, die die Teilchenzahl in einem Mol einer Substanz angibt (welche Masse ein Mol bei gleich definierter Teilchenzahl hat, bestimmt sich nach dem Atomgewicht der jeweiligen Substanz). Das ist eine Konstante von n = 6,022 x 10 hoch 23. Bei homöopathischer „Potenzierung“ in Zehnerschritten (D-Potenzen) fällt nach der 23. Verdünnungsstufe von einem Mol der Ausgangssubstanz die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit eines Ursubstanz-Moleküls in der erreichten Lösung unter einen Wert von 1 (Avogadro-Grenze) und weiter asymptotisch gegen null. Dies sind statistisch zu verstehende Werte, eine faktische Freiheit von Restmolekülen der Ursubstanz kann in der Praxis aufgrund verschiedener Umstände bereits viel eher gegeben sein. Welcher Verdünnungsschritt genau bei welchem Stoff nun die Avogadrogrenze „erreicht“, ist abhängig von der Teilchenzahl der Ursubstanz/Urtinktur und der molaren Masse des verwendeten Stoffs, aber die sich vom Idealfall von genau einem Mol Ursubstanz zu Beginn der Potenzierung ergebenden Abweichungen sind nicht gravierend und stellen das Prinzip nicht in Frage, wie die Homöopedia erklärt.

    Es sei hier schon angemerkt, dass dies nicht mit der Grenze einer denkbaren pharmakologischen Wirksamkeit einer homöopathischen Potenz identisch ist; diese wird weit früher erreicht (wir kommen unten darauf zurück). Was die Homöopathen denn nun genau im Potenzierungsvorgang sehen, bleibt stets schwammig. Mal ist es doch etwas Materielles, mal Energie, mal Information, mal soll der Träger ein (vielfach widerlegtes) „Wassergedächtnis“ sein, mal müssen die „Erkenntnisse der Quantenphysik“ herhalten. Definiert oder gar nachvollziehbar erklärt wird – nichts.

    Jedenfalls erwarten die Homöopathen ein Spezifikum aus ihrer Verdünnung und Verschüttelung, das eine Wirkung auf die Physis des Patienten hat.

    Jedoch: Wo nichts ist, da kann nichts wirken. Und in Verdünnungen ab C12 / D24 ist nichts. Wer das bestreitet, schlägt sich auf die Seite des Wunderglaubens. Gerade die von der Homöopathie immer wieder bemühte Quantenphysik beweist, dass in der uns umgebenden Realität ohne energetische, das heißt materielle und somit prinzipiell messbare „Vermittlung“ keine Interaktion möglich ist. Ob Teilchen oder Welle, ob Verschränkung oder Superposition – ohne reale, mithin direkt oder indirekt messbare Vorgänge „läuft nichts“. Diese quantenphysikalischen Effekte sind völlig real, beobachtbar bzw. darstellbar, und sei es über ihre Auswirkungen. Wie sollten wir sonst etwas erfahren haben über die Phänomene der Quantenmechanik, ganz zu schweigen von ihren nicht mehr wegzudenkenden Nutzanwendungen? Für die behaupteten homöopathischen „Effekte“ gilt dies nicht. Irgendein Zusammenhang mit einem „noch nicht entdeckten homöopathischen Wirkprinzip“ sind Fantastereien und werden von Quantenphysikern „vom Fach“ klar zurückgewiesen.


    Ein „Herausreiben“ oder „Herausschütteln“ von „Energie“, auch noch einer anderen „Qualität“ und/oder „Stärke“, durch den bei der Homöopathie praktizierten „Potenzierungsprozess“ widerspricht den Gesetzen der Thermodynamik. Die wenige kinetische Energie, die der Lösung durch Verschüttelung zugeführt und in Wärme (Zunahme der Molekularbewegung) umgewandelt wird, reicht niemals aus, den energetischen Gesamtzustand der Lösung dauerhaft zu verändern. Die Lösung geht in kürzester Zeit wieder in einen energetischen Gleichgewichtszustand mit ihrer Umgebung über. Die Durchmischung mag den Entropiezustand der Lösung verändern, allerdings in Richtung höherer Entropie – und damit weniger und nicht mehr „Information“. Zur Verdeutlichung: Solange der Zucker am Tassenboden liegt, befindet sich das Gesamtsystem „Tee“ in einem Zustand hoher Ordnung („Information“) und niedriger Entropie, denn der Zucker ist in Ort, Menge und Verteilung gut lokalisierbar. Rühre ich um und bringe damit den Zucker in Lösung, ist die Information über Ort, Menge und Verteilung um Zehner-, wenn nicht Hunderterpotenzen uneindeutiger; damit wird ein Zustand hoher Entropie und niedriger Ordnung (geringerem Informationsgehalt) erreicht.

    Wir konstatieren an dieser Stelle: Die Annahme der Homöopathie, es werde so ein mehr an „Information“ oder „Energie“ bei immer mehr Verdünnungsstufen – mittels schlichter Verschüttelung – erreicht, postuliert das genaue Gegenteil dieser naturwissenschaftlich bestens belegten Fakten und verstößt damit gegen Naturgesetze. Also bleibt die Frage unbeantwortet, was in aller Welt mit dem Prozess von Verschütteln und Verrühren immer geringer konzentriert werdender Lösungen erreicht werden soll? Im Grunde wird in der Homöopathie erwartet, dass die uns aus dem Alltag geläufigen Verdünnungsprozesse irgendwie physikalisch „andersrum“ ablaufen sollen – auch die Unmöglichkeit dessen folgt aus den thermodynamischen Gesetzen. Entropie nimmt immer nur zu, nicht ab.

    Als Fazit können wir festhalten: Hochpotenzen werden nicht „hergestellt“, indem durch ein Verdünnungs- und Verschüttelungsritual eine „Energie“, „Information“ oder meinetwegen eine „geistige Arzneikraft“ in das Lösungsmittel hineinpraktiziert wird. Sie werden „hergestellt“, indem in einem zeitaufwendigen Prozess in kleinsten Schritten die Ursubstanz in den Ausguss geschüttet wird. Gut – ab der 24. Zehnerpotenz schließt sich für jeden nächsten Schritt noch die „Verdünnung“ von reinem Lösungsmittel mit reinem Lösungsmittel an.


    Betrachten wir zum Schluss noch die Niederpotenzen, die noch Reste der Ursubstanz beinhalten. Dass die Eignung durch Ähnlichkeitsprinzip und Arzneimittelprüfung „gefundener“ homöopathischer Mittel als Arzneimittel ohnehin in Frage steht, wollen wir dabei außer Acht lassen. Interessieren soll an dieser Stelle nur die Frage der Interaktion homöopathischer Mittel mit der menschlichen Physis (vor kurzem las ich gar, dass unterschiedliche Wirkungen von Tief-, Hoch- und Höchstpotenzen mit der „unterschiedlichen Metabolisierung“, also Verstoffwechselung, im Körper zusammenhängen sollen).

    Die Wirkungsschwellen von Mitteln im menschlichen Körper sind ein komplexes Thema der pharmazeutischen Wissenschaft. Als belegt gilt der Satz des Paracelsus, wonach die Dosis das Gift macht. Das heißt aber auch, dass die Wirkung zugeführter Substanzen einer elementaren Dosis-Wirkungs-Beziehung unterliegt, die – auch durch ihre Rückführung auf das Massenwirkungsgesetz – axiomatische Gültigkeit im naturwissenschaftlichen Sinne beanspruchen kann. Das Potenzierungsprinzip spricht dem Hohn.

    Was die quantitative Grenze der direkten Wirksamkeit von Stoffen angeht, so legt die Pharmazie in grober Näherung eine Menge von 1.000 Atomen bzw. Molekülen Wirkstoff je Körperzelle (!) fest. Man muss sich klar machen, dass das komplexe System “Mensch” in seiner Homöostase, den in einem Regelkreis von relativ engen Grenzwerten ablaufenden Lebensfunktionen in einem energetischen Gesamtzustand, eines ziemlich großen energetischen “Anstoßes” bedarf, damit zelluläre Vorgänge mit globaler Auswirkung angestoßen und in Gang kommen können. 1.000 Atome / Moleküle pro Körperzelle, in grober Näherung, abhängig vom Stoff, davon, ob Rezeptoren (Auslösen einer Wirkungskaskade) oder Acceptoren (Blockade von zellulären Funktionen) angesprochen werden oder ob eine unspezifische Wirkung angestrebt wird (z.B. Lähmung aller Umgebungsnervenenden bei lokaler Anästhesie).

    Homöopathie kann uns nicht sagen, welche Art von Aufnahme im Körper sie überhaupt annimmt, weil sie sich mit der pharmazeutischen Physiologie schlicht nicht beschäftigt. (Homöopathen berufen sich manchmal auch auf andere Randphänomene wie z.B. die Wirkungsbereiche von Hormonen – die aber nur Botenstoffe, nicht selbst Wirkstoffe sind – oder die Geruchsempfindlichkeit für extreme Stoffverdünnungen, was aber von hochspezialisierten lokalen Rezeptoren erledigt wird und nicht den Zellstoffwechsel des Körpers verändert, gelegentlich auch die sogenannte Hormesis, die Arndt-Schulzsche Regel, mehr dazu hier.)

    Da der menschliche Körper aus etwa 10^14 Zellen besteht, ergibt sich spätestens (!) ab einer Potenz von D8 bis – je nach Substanz – D10 die physikalisch-chemische Unmöglichkeit einer Wirkung. Tatsächlich muss man den Potenzgrad sogar noch niedriger ansetzen, in der Praxis wohl um D4 herum, aus zwei Gründen. Zum einen muss der Verlust durch die Aufnahme über den Verdauungstrakt und das metabolische System berücksichtigt werden, ein Faktor, der auch bei normalen pharmazeutischen Mitteln schon zu beachten ist. Zum anderen ergibt sich durch das Aufsprühen und Verdunsten der endgültigen Lösung in der gewünschten Potenz auf Zuckerkugeln (Globuli) bzw. das Einbringen in die für den Vertrieb bestimmte Lösung noch einmal eine Verringerung der Konzentration von etwa 1 : 100.

    Es ist also eine schwere Irreführung, wenn die Homöopathen sagen, wir wüssten leider, leider nur „noch“ nicht, „wie“ Homöopathie wirkt. Wir wissen recht gut, warum sie nicht wirken kann. Ganz abgesehen davon, dass bislang niemand belastbar (evident) belegt hat, dass sie überhaupt wirkt.

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    Bildnachweis: Phe Schlay auf Pixabay

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