
Es tut sich so einiges medial bei Homöopathie-Propaganda und Homöopathie-Kritik im Moment. Wenn man nicht gerade weghört, kann man sich den Beiträgen in den Medien derzeit kaum entziehen – und erstaunt registrieren, dass aktuell der Punktsieg klar auf Seiten der Kritiker sein dürfte.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Was aber deutlich auffällt, ist ein bestimmtes Argumentationsmuster der Homöopathie-Verteidiger, ob bei den Krankenkassen (!) oder auch bei den Spitzenpropagandisten:
- Homöopathie wirkt! Das zeigen unzählige Einzelerfahrungen!
- Wir wissen nicht wie, das ist aber auch egal, denn sie wirkt!
- Außerdem wissen wir aber doch, wie sie wirkt, hat doch Hahnemann erklärt, nur die Wissenschaft kann es nicht erklären!
- Und ihr könnt die Nichtwirksamkeit nicht beweisen! Ätsch! Und hundertprozentig sowieso nicht!
So etwa sind derzeit die “Argumentationen” aus dem zuckerumhüllten Universum zu verorten.
Na denn:
Homöopathie wirkt nicht. Das zeigen alle großen Reviews von Einzelstudien zur Homöopathie, die jemals durchgeführt wurden. Scheinbar positive Ergebnisse einzelner Studien sind entweder methodische Fehler, statistische Artefakte oder regelrechte Fehldeutungen.
Eine einzelne Studie zählt zudem nicht viel. Einen Anhalt für einen Beleg liefert sie erst, wenn sie einem strengen Review unterzogen wurde, mehr als nur einmal reproduziert wurde und alle Versuche zur Falsifizierung fehlgeschlagen sind. Maßgeblich sind die großen Reviews und Metastudien, die die Fehler und Unzulänglichkeiten von Einzelstudien herausfiltern.
Warum ist das so? Schutzbehauptungen der Homöopathiegegner? Nein, klares Denken in Übereinstimmung mit dem, was man weltweit unter wissenschaftlicher Methodik versteht.
Nein, ein Haufen von Einzelerfahrungen ist noch lange kein Beleg, überhaupt nicht. Es ist nämlich das glatte Gegenteil von Wissenschaft, Einzelerfahrungen zum Maßstab zu erheben. Das ist die “Störche bringen Babys”-Argumentation. Auch hier: Ursache und Wirkung – ein Fehlschluss. Darüber lachen wir – weil es für uns offensichtlich ist (für Kinder, die die Zusammenhänge noch nicht kennen, aber nicht). Warum lachen wir bei den Behauptungen der Pseudomedizin nicht? Weil wir nicht Offensichtliches nicht genug hinterfragen, weil wir “wie Kinder” denken – zu linear, zu unkritisch.
Sicher können wir das nicht immer leisten, aber: Fragen Sie im Zweifel jemanden, der etwas davon versteht!
Zu einer solchen Denke gehören auch Suggestivfragen der Art: Können hundert Nobelpreisträger sich irren? Klar können sie. Tun sie auch. Das einzusehen, scheint eines der ganz großen Probleme der Apologeten der Homöopathie zu sein.
Eine der elementarsten Grundlagen wissenschaftlicher Redlichkeit ist es, Einzelerfahrungen niemals zur Grundlage allgemeingültiger Aussagen zu machen. Im medizinischen Bereich zieht man daraus die Konsequenz, Studien nach klaren Regeln durchzuführen. Sie beruhen auf
- einer möglichst große Zahl von Probanden,
- mit vergleichbarer Ausgangssituation (Krankheitsgeschichte, Alter, Allgemeinzustand…),
- unter Ausschaltung aller störenden, insbesondere subjektiven Faktoren bei Probanden UND Prüfern (doppelt verblindete Studien)
- mit einem definierten Studienziel, einer konkreten Fragestellung, die mit der Studie beantwortet werden soll (damit nicht hinterher aus irgendeinem Nebenaspekt doch noch ein “Erfolg” konstruiert wird),
- der Aufteilung in Vergleichsgruppen mit gleichen Startbedingungen (deshalb die große Zahl, damit sich das bei der Zufallsaufteilung ausgleichen kann) und
- vergleichenden Tests zwischen diesen Gruppen vorzugsweise einerseits mit dem zu testenden Mittel und andererseits mit der nach derzeitigem Stand bestmöglichen Therapie (wenn es nicht anders geht, mit dem zu testenden Mittel gegen ein Placebo).
Übersteht eine solche Studie zunächst kritische Reviews (die schon Voraussetzung überhaupt für eine Veröffentlichung sind) und anschließend Reproduktionsversuche und Falsifizierung, gibt es eine reelle Chance, belastbare Aussagen über ursächliche Wirkungen von Mitteln und Methoden zu machen.
Das ewige Anführen von unzähligen einzelnen “Erfahrungen” von Therapeuten und Patienten, die meinen, aufgrund ihrer individuellen Erfahrungen eine spezifische Wirkung der Homöopathie behaupten zu können, ist ein Schlag ins Gesicht wissenschaftlichen Denkens. Noch schlimmer wird es, wenn in Statements oder Interviews ein Nachweis der Wirkung und der Nachweis eines Wirkungsmechanismus wild durcheinander geht – wie auch aktuell wieder besichtigt werden kann. Wie hier im Zentralorgan des Hochglanzboulevards.
Jetzt, liebe Leser, werden Sie mich wahrscheinlich für endgültig verrückt halten, wenn Sie sehen, was ich nach diesem Absatz verlinke. Es ist nämlich ein Video des bekannten und geschätzten Wirtschaftspsychologen Prof. Kanning, der darin die Graphologie als Pseudowissenschaft entlarvt. Er tut das genau anhand der wissenschaftsmethodischen Merkmale, die die Homöopathiekritik auch immer wieder für die Einstufung der Homöopathie als Pseudowissenschaft anführt: Einzelfallbehauptungen, zu wenige Probanden, keine wirklichen oder gar keine Kontrollgruppen, Behauptungen, Fehlschlüsse, unzulässige Verallgemeinerungen…
Ein Lehrstück in Wissenschaftsmethodik und ein Beleg dafür, dass die Homöopathiekritiker nicht im luftleeren Raum nach eigenem Gusto, sondern auf gesichertem Grund argumentieren. Bitte mal versuchen, das Wort “Graphologie” in diesem auch per se interessanten Beitrag des geschätzten Prof. Kanning beim Hören durch “Homöopathie” ersetzen. Sie werden staunen:
Das Tollste, finde ich, ist die Sache mit dem “Nachfahren” einer Handschrift in der Luft durch den Graphologen, womit Persönlichkeitsmerkmale des Schreibers “geistig” auf den Analysten übergehen sollen… ein schönes Analogon zur Übertragung von “geistigen Kräften” bei der Potenzierung, nicht wahr?
Jetzt aber komplett zurück zur Homöopathie.
Zu dieser verflixten Vermischung von Wirkungsnachweis und Wirkungsmechanismus, mit dem die Verteidiger der Homöopathie dem geschätzten Publikum so gern Sand in die Augen streuen, halten wir einmal logisch fest: Wird über belastbare Studien eine Wirkung nachgewiesen, ist es erst einmal sekundär, ob eine genaue Beschreibung des Wirkungsmechanismus gelingt. In der Tat ist das nicht bei jedem pharmazeutischen Medikament der Fall. Die Homöopathie meint aber, den umgekehrten Weg gehen zu können: Sie weist nicht einmal eine Wirksamkeit nach, glaubt aber, über Wirkmechanismen reden zu können. Das ist schlicht grotesk. Dass der Einstiegssatz “Wir wissen, dass es wirkt, aber nicht wie” von vornherein nicht stimmt, erwähnten wir schon. Meist geht es aber kurz nach diesem Statement munter drunter und drüber mit der Argumentation.
Zur Logik gehört zudem, dass nur ein positiver Beweis zählt. Etwas Nichtvorhandenes ist potenziell nicht beweisbar, wie schon Bertrand Russell mit seinem berühmten Teekesselbeispiel verdeutlicht hat. Das bei der WELT offenbar so unbekannt ist, dass ein Bezug hierauf in der TK-Debatte mit dem Verdikt des “ins Lächerliche ziehen” bedacht wird.
Merke: Die Homöopathie hält wissenschaftlichen Kriterien in keiner Weise stand. Und: Wer die moderne wissenschaftliche Methodik ablehnt und heute noch einen eigenen Wissenschaftsbegriff zur Rettung seines Krempels reklamiert -und genau das tun die Homöopathen, explizit wie unausgesprochen- der muss auch für das gleichberechtigte Nebeneinander von Astronomie und Astrologie, von Chemie und Alchemie, von Psychologie und Voodoo und von Biologie und Vitalismus eintreten. Und dabei bitte unter sich bleiben. Viel Vergnügen.
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