
Auf Twitter bekamen die Homöopathiekritiker in der vergangenen Woche dieses vernichtende Statement entgegengeschleudert:
„Liebe Skeptiker und schon wieder eine signifikant positive Studie zur Homöopathie bei Pubmed. Wenn ihr für die Homöopathie Kritik nicht bezahlt werdet, würde ich mir jetzt ein anderes Betätigungsfeld suchen, z.B. Impfkritik.“
Die Vielzahl von interessanten Implikationen und Schlussfolgerungen, die dieser eindrucksvolle Text enthält, wollen wir an dieser Stelle nicht weiter würdigen. Wichtiger ist: unser twitternder Freund aus der Zunft der Heilpraktiker verkennt unsere kritische Motivation. Wir warten doch darauf, dass endlich mal jemand mit etwas Handfestem zur Homöopathie um die Ecke käme (dann wäre es auch nicht mehr so langweilig). Sicher ist es für unseren Freund unvorstellbar, aber es ist so: Gäbe es endlich wirklich signifikante und klinisch relevante Nachweise für eine spezifische Wirksamkeit der Homöopathie, würden wir ohne Umschweife unsere Sachen packen und uns nach einer sinnvolleren Tätigkeit umschauen. (Impfkritik wäre das nicht, allenfalls Impfaufklärung.) Skepsis ist weder unverrückbare Überzeugung noch Allwissenheit, das verorten wir eher woanders.
Jetzt sind wir aber mal gespannt, worum es geht.
Es handelt sich um eine Anwendungsstudie zum Präparat Monopax der Firma Cassella, bei PubMed mit dem Abstract hier zu finden. Übrigens fängt es gleich schon mal gut an: „Die Studie beabsichtigt, die Überlegenheit von Verum (dem getesteten Mittel) gegenüber Placebo zu demonstrieren”.
Ach. Ich dachte immer, man solle keine Bestätigungsforschung betreiben. Und hier verbirgt man das nicht einmal, winkt also schon mal gleich mit der Fahne der Voreingenommenheit, des confirmation bias, des – hier schon offen zutage tretenden – Bestätigungsfehlers? Eine seriöse Studie hätte etwa getitelt „Es soll die Nullhypothese untersucht werden, dass keine Überlegenheit des zu prüfenden Mittels gegenüber Placebo gegeben ist“,
Kurz gesagt, wurden zwei Vergleichsgruppen mit „trockenem Husten“ gebildet, die eine bekam das Präparat, die andere ein Placebo. Sieben Tage wurde beobachtet, dann ein Fazit gezogen und „ausgewertet“. Schön. Aber schon bei einem oberflächlichen Blick auf den Abstract stellt man sich folgende Fragen:
- “Trockener Husten” als Begleitsymptom von “common cold”, also einem “grippalen Infekt” aka einer einfachen Erkältung, ist keine valide Diagnose, die eine Vergleichbarkeit der Patienten sichert. Primäre Diagnose? Bisherige Krankheitsdauer? Weitere Behandlungsformen? Weitere Krankheitszeichen? Zudem handelt es sich um eine klassische kurzfristig selbstlimitierende Erkrankung, die für den klinischen Nachweis einer spezifischen Intervention im Grunde ungeeignet ist – weil die erwartbare Selbstlimitierung jeden Effekt – auch einen tatsächlichen – überdecken wird.
- Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich binnen sieben Tagen (Beobachtungsdauer) von ganz allein (unspezifischer) “trockener Husten” als Begleitsymptom einer einfachen Erkältung zurückbildet? (Mit Behandlung eine Woche, ohne sieben Tage – was letztlich auch der Outcome dieser Studie ist.)
- Warum wurde das Testmittel mit Placebo verglichen und nicht mit einer nach medizinischem Standard behandelten Gruppe? Soll das ernsthaft heißen, die Hälfte der kleinen Patienten hat sieben Tage lang keine medizinische Behandlung bekommen? Welche Ethikkommission hat das genehmigt? Wäre es bei einem Vergleich Testmittel vs. Standardtherapie zu einem deutlichen Rückstand der Testgruppe gegenüber der Standardgruppe gekommen, beispielsweise zur Entwicklung einer infektiösen Bronchitis, hätte man abbrechen können (und müssen).
- Dies reicht eigentlich schon, um die Aussagekraft der „Studie“ gegen Null sinken zu lassen.
Aber es geht weiter:
- Es widerspricht homöopathischen Prinzipien, ein Mittel einem Symptom zuzuordnen und damit unterschiedslos Patientengruppen zu behandeln. Und das auch noch mit einem der von Hahnemann verteufelten Komplexmittel. Aber sowas spielt ja wohl heute keine Rolle mehr, eine Grundlage für etwas, das in sich schlüssig und konsistent als “Homöopathie” bezeichnet werden könnte, fehlt ohnehin. Man kann also schon deshalb mit guten Gründen bestreiten, dass hier Homöopathie geprüft wurde.
- Der Score (die Skalenmethode, nach dem der Husten „bewertet“ wurde) ist nicht validiert und referenziert (ein Score namens “CAS” ist in der Literatur nicht auffindbar und auch nicht in den Reviews zum Score-Thema enthalten; es gibt etliche Scores); gemeinhin gelten diese Scores als Referenz für Husten ohnehin nicht als sonderlich valide (die große Übersicht von Leconte et al. nennt nur eine einzige Score-Methode für Kinder als halbwegs valide für eine Bewertung des Outcomes von Studien – und das ist nicht die hier verwendete).
- Die „Signifikanz“ und damit das „positive Ergebnis“ des Mittels gegen Placebo wird aus sehr seltsamen Zahlen abgeleitet: Aus Veränderungen der Messskala von 5,2 (Verum) bzw. 3,2 (Placebo). Besser geworden ist es danach allemal, was bei einem Verlauf von sieben Tagen zu erwarten war.
- Aber: Auch für Nichtstatistiker ist erkennbar, dass Werte von 5,2 bzw. 3,2 mit einer Schwankungsbreite von +/- 2,6 (!) ein wenig – sagen wir mal – seltsam anmuten. Das sind ja Unsicherheitsraten von der Hälfte bzw. deutlich mehr als der Hälfte der angeblich gemessenen Effekte! Das bedeutet, dass eine – ja sogar für möglich bis wahrscheinlich gehaltene – Schwankung der Ergebnisse um einen Punkt jeweils bei Verum (-) und Placebo (+) ausreicht, um einen „Gleichstand“ der Messwerte herbeizuführen… und eine kleine weitere Änderung würde das „Ergebnis“ kopfstehen lassen.
Fehlerwerte sollen verhindern, dass Studienergebnisse nicht auf scheinbaren Sicherheiten aufgebaut werden. Genau das geschieht aber hier. Und das ist schon eine ganz schöne Chuzpe, die Fehlerwerte anzugeben und sie bei der Bewertung der Studie komplett unter den Tisch fallen zu lassen…
Und jetzt:
Geprüft wurde das Präparat Monapax. (Zwei der drei Studienautoren stehen im Dienste der Herstellerfirma Cassella med. Wie schön, aber das nur zur Abrundung.) Aber schauen wir uns jetzt einmal das Mittel genauer an.
Die pharmazeutische Fachinformation zu Monopax lässt uns wissen, dass vier (!) der Bestandteile als „Urtinktur“, also unverdünnt und „unpotenziert“ enthalten sind, der Rest als D4-Potenzen. (Wer nachschauen möchte: Die „0“ vor den Dosierungsangaben dort bedeutet „Ursubstanz“, eigentlich muss das Zeichen Ø sein.) Wobei sich die Frage erhebt: Was ist Homöopathie?
Nun, nach den rechtlichen Definitionen ist Homöopathie das, was nach homöopathischen Prinzipien hergestellt wurde. Gemeint ist damit vor allem das Potenzierungsprinzip (danke für diese klare Abgrenzung von wissenschaftsorientierter Medizin). Aber in der Praxis, und das kann man auch im homöopathischen Arzneibuch nachlesen, sind “Urtinkturen” auch Homöopathie -wenn sie denn nach den Herstellungsmonografien eben dieses homöopathischen Arzneibuches hergestellt werden (was allerdings genau nichts über den realen Wirkstoffgehalt aussagt). Hier kommen wir schon wieder tief in den Dschungel der inneren Widersprüche: Eine Urtinktur ist z.B. ein Pflanzenauszug, dessen Konzentration nicht standardisiert ist (wie in der pharmazeutischen Phytotherapie), also alle Schwankungen der Pflanzenzusammensetzung aufgrund von Boden- und Umwelteinflüssen sozusagen mitnimmt. Zudem ist die Löslichkeit der gewünschten Substanzen je nach Pflanze sehr unterschiedlich. Und das wird dann, auch mal angenommen, die Urtinktur würde den Anforderungen pharmazeutischer Phytotherapie entsprechen, auf Zuruf zur Homöopathie, also zu etwas, das nach homöopathischer Lehre in aller Regel eine ganz andere, nämlich die angeblich in den homöopathischen Arzneimittelprüfung gefundenen entfaltet? Das ist eines der großen Dilemmata der (bewusst) fehlenden Grenzziehung zwischen Homöopathie und Phytotherapie, die die Leute in die Irre führt.
Dass die Durchführenden der “Studie” selbst nicht an ihre „Homöopathie“ glauben, beweist zudem schlagend der letzte Satz der Zusammenfassung des Studienergebnisses: „Bei 15 Patienten (Verum: n=6; Placebo: n=9) wurden 18 Nebenwirkungen leichter oder mittlerer Intensität beobachtet.” Was sagt man dazu? Homöopathie ist doch nebenwirkungsfrei!
Kann fortgesetzt werden.
Ceterum censeo: Wir brauchen keine Forschung zur Homöopathie mehr. Wir brauchen noch weniger Forschung, die Homöopathie-Mimikry betreibt, um deren ramponiertes Ansehen zu stützen. Erst recht nicht, wenn die so schlecht gemacht wird wie diese Monapax-Studie, die mal wieder homöopathisches Studiendesign at its best vorführt.
Lieber Kritiker auf Twitter (der uns leider in der Argumentation nicht folgen mochte, sich dafür als Hardcore-Impf”kritiker” erwies), nein, wir brauchen uns kein neues Tätigkeitsfeld zu suchen. Und Ihnen empfehlen wir mehr Selbstkritik. Auf den erstbesten Zug aufzuspringen kann sich als ziemlicher Fehler erweisen.
Auf dem Blog von Prof. Edzard Ernst zu dieser Studie:
Bildnachweis: Fotolia_62171586
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