
Bei Univadis ist ein Beitrag zu einer (weiteren) Akupunktur-Studie aus China erschienen, in dem darüber gerätselt wird, warum bloß in dieser Arbeit so signifikante Unterschiede zwischen Kontroll- und Behandlungsgruppe zugunsten der Letzteren ausgewiesen werden. Das weckt ein durchaus berechtigtes Misstrauen. Aber die rein medizinstatistisch-numerische Betrachtung des Outcomes führt die Hardcore-Evidenzler und die Medizinstatistiker leicht in den Wald, in dem man die Bäume nicht mehr sieht.
Dabei genügt ein kritischer Blick in das Abstract der Studie, um zu erkennen, dass es sich nicht nur mal wieder um eine “typische” Akupunktur-Studie ohne Beweiswert handelt (Steven Novella hat bei Science Based Medicine schon oft solche “typischen” Designs beschrieben, ebenso Edzard Ernst auf seinem Blog), sondern sogar um eine, die gegen die Akupunktur spricht. Dabei will ich gar nicht den Aspekt einbeziehen, dass bekanntermaßen Studien zu TCM und Co. aus China große Reserviertheit entgegengebracht werden muss – weil solche Studien nahezu ausschließlich positive Ergebnisse produzieren. Das deutet darauf hin, und das ist nicht nur meine Ansicht, dass hier mindestens ein gewaltiger Publication bias am Werke sein muss (nicht genehme Arbeiten bleiben schlicht in der Schublade, statt veröffentlich zu werden – deshalb auch drawer problem genannt).
Und was ist nun die Sicht auf den Wald und nicht die Bäume? Ganz einfach!
Es wurde auf der einen Seite klassischer Akupunktur (mit dem ganzen Meridian- und Punktezauber, der vor kurzem erneut als Schimäre entlarvt wurde) und Sham-Akupunktur (scheinbare Nadelsetzungen an beliebigen Punkten, die diesmal besonders aufwändig und “unauffällig” für den Patienten ausgeführt wurden) mit einer sogenannten “Standardbehandlung” andererseits verglichen. Die bestand zu meinem nicht geringen Erstaunen nicht etwa in bewährten Medikamentengaben wie Triptanen, sondern schlicht und einfach in Lebensführungsratschlägen. Echt. Und was da geratschlagt wurde, das darf ich mir gar nicht ausmalen… Keine Schokolade? Kein Rotwein? Keine Schwalbennester zum Frühstück…? Egal.
So. Nun kam man erst einmal zu dem Ergebnis, dass klassische und Scheinakupunktur zu den gleichen Ergebnissen führten (korrekter: dass es dort keine signifikanten Unterschiede gab). Zitat: “No significant difference was seen in the proportion of patients perceiving needle penetration between manual acupuncture and sham acupuncture (79% v 75%; P=0.891)“. Dass passiert andauernd in Akupunktur-Studien und ist eigentlich Anlass, an dieser Stelle aufzuhören und zu sinnvoller Forschungstätigkeit zurückzukehren. Warum?
Nun, ganz einfach, das ist der letztlich nichts anderes als ein Beleg dafür, dass Akupunktur nichts Spezifisches als Methode, die über Kontexteffekte hinausgeht, leistet. Dass ihr, wie z.B. auch der Homöopathie, eine “intrinsische” Wirkung nicht zugesprochen werden kann. Speziell auch, dass der ganze Meridian- und Punktezauber Hokuspokus ist, denn das soll ja gerade das “Spezifische” an der Akupunktur sein, damit steht und fällt sie per definitionem. Und dass die These, Akupunktur sei “Theatrical Placebo”, sich ein weiteres Mal bestätigt. Sogar ganz massiv, weil hier ja besondere Mühe auf die patientenseitige Verblindung der Sham-Akupunktur gelegt wurde, was eindrucksvoll die Validität der “gleichwertigen” Ergebnisse bestätigt. Unbestritten sind die Kontexteffekte (darunter Placebo) bei einem so intensiven “Setting” wie bei der Akupunktur besonders ausgeprägt. Wobei noch dazu kommt, dass im asiatischen Kulturkreis die positive Erwartungshaltung gegenüber solcher Behandlung wohl noch weit höher ausgeprägt ist als im westlichen Kulturkreis.
Was tut man nun, wenn die eigene Studie mal wieder bei dieser Trivialität gelandet ist? Wie rettet man seine Arbeit und rechtfertigt eine Veröffentlichung?
Man vergleicht das Ergebnis (interessanterweise das zusammengefasste Ergebnis aus “echter” und Schein-Akupunktur) mit einer “Kontrollgruppe”, die schlicht und einfach – gar nichts zur Behandlung bekommen hat. Was man hier “Standardbehandlung” nennt, ist nämlich: gar nichts. Die Standardbehandlung bei der Migräneprophylaxe ist heute wahrlich nicht eine “Lebensstilberatung” – das ist ein Begleitaspekt, der auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse die belegte Wirkung von Mitteln zur Akutbehandlung (z.B. Triptane) wie (in Grenzen, derzeit intensiv beforscht) zur Prophylaxe ergänzt. *) Mehr nicht.
Und auf dem doch logischerweise klar erwartbaren “Unterschied” im Outcome einmal der Summe der beiden Akupunkturgruppen mit ihren üblichen, aber unspezifischen Effekten und auf der anderen Seite einer “Nichtbehandlung”, darauf beruht das so eindrucksvoll erscheinende “starke” Ergebnis dieser Studie. Was für eine Spiegelfechterei. Mal wieder, ist man geneigt, als Leser sehr vieler Akupunktur-Studien zu seufzen. Denn das ist ein alter Hut.
So bleibt es dabei – der Outcome der Studie ist wertlos als Wirkungsnachweis für Akupunktur, aber wertvoll, weil er einmal mehr die Unspezifität der Nadelstecherei nachweist. Aber den “Vergleich” mit einer als “Standardtherapie” ausgewiesenen Nichtbehandlung als Krücke dafür, einen scheinbar bemerkenswerten Output zu produzieren – das finde ich schon dreist.
Diese Arbeit ist also nichts anderes als – Sham Research. Ach halt – kann man ja so auch nicht sagen. Sie spricht bei richtiger Betrachtung gegen eine spezifische Wirkung der Akupunktur. Aber dazu hätte es dieser Arbeit nicht bedurft. Und liebe Medizinstatistiker und Hardcore-Evidenzler ohne Sicht auf Gesamtevidenz und Plausibilität – ihr seid schon auf der richtigen Fährte mit den allzu großen Effekten, die euch hier zu denken geben. Ihr müsst aber auch richtig abbiegen.
Prof. Edzard Ernst hat noch mehr zu dieser “Studie” zu sagen:
https://edzardernst.com/2020/03/does-acupuncture-prevent-migraine-attacks/
… und Steven Novella bei Science Based Medicine zerlegt sie auch:
https://sciencebasedmedicine.org/acupuncture-for-migraine-unconvincing/
Bleibt vernünftig und gesund und ärgert euch nicht über all den Unsinn!
*) Präzisiert nach Hinweis durch Kommentatorin Andrea. Vielen Dank!
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
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