
Hamburg, durchaus ein Vorreiter bei Reformen im öffentlichen Dienstrecht, beabsichtigt, Heilpraktikerleistungen aus der Beihilfefähigkeit für Beamte herauszunehmen. Ungefähr seit 300 Jahren überfällig, würde ich sagen.
Die Beihilfe ergänzt in unterschiedlichem Umfang – je nach Familienstand – die private Krankenversicherung – oder auch umgekehrt, wie mans nimmt. Ein mit Vor- und Nachteilen verbundenes System, je nach Sichtweise und Situation. Dass sich das eine oder andere, was sich für Außenstehende nach “Privileg” anfühlt, ganz schnell wieder relativiert – siehe weiter unten – kennt wohl jeder Beihilfeberechtigte, zu denen auch der Autor gehört. Der im Übrigen das Hamburger Modell einer Wahlfreiheit von Beamten zwischen Beihilfe-/PKV-Modell und Wechsel in die GKV (ggfl. plus Zusatzversicherung) für höchst begrüßenswert hält und auch dem Gedanken einer Bürgerversicherung nicht unbedingt abgeneigt ist.
Ein garantiert überflüssiges “Privileg” ist aber seit jeher die Erstattungsfähigkeit von Heilpraktikerleistungen und Homöopathie. Die HP-Leistungen sind natürlich ein gravierender Unterschied zur gesetzlichen KV (die aber diese nur deshalb nicht anbietet, weil sie befürchtet, dass dann alle Dämme des Anspruchsdenkens brächen, GKV-Kassen könnten das nach der derzeitigen Rechtslage nämlich durchaus im Rahmen von Satzungsleistungen!). Aber die Erstattung von HP-Leistungen im Rahmen der Beihilfe ist eben auch nicht mehr und nicht weniger als herausgeschmissenes Steuerzahler-Geld. Das sei klar gesagt.
Und was geschieht in Hamburg? Die örtliche Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ruft zu einer Unterschriftenaktion GEGEN die Streichung der HP-Leistungen auf… Offenbar ein Reflex aus Grundsatzopposition. Denn würde die GEW mal drüber nachdenken, käme sie auch auf die Idee, dass diese Forderung dem Gros der Beihilfeberechtigten wohl eher nicht zugute käme.
Warum?
Nun, jeder Beihilfeberechtigte wird einmal im Jahr per Zwangseinbehalt bei einer Erstattung mit einem “Kostendämpfungsbeitrag” zur Kasse gebeten, der mehrere 100 Euro betragen kann. Längere Krankenhausaufenthalte kosten ab dem Tag x Euro Zuzahlungen, die sich ordentlich summieren können. Und was es da im Detail noch so an Restriktionen gibt, die jede Zuzahlung beim durchschnittlichen GKV-Patienten deutlich übersteigen dürften.
Angesichts dessen ist es doch wohl kaum im allgemeinen solidarischen Interesse, einer bestimmten Klientel die HP-Wohlfühlsitzungen (im günstigsten Falle) aus Steuermitteln zu honorieren, so lange die Beihilfeleistungen an allen möglichen Stellen zu Lasten aller rationiert bis direkt gekürzt werden. Vertritt man wirklich das Allgemeininteresse seiner Klientel, müsste man den Hamburger Plänen nicht nur Beifall zollen, sondern auch noch die Homöopathie obendrauf packen – und gleichzeitig fordern, dass sich das aber bitte mal in der Höhe der “Kostendämpfungspauschale” für alle bemerkbar machen müsste. Das wäre a) sinnvoll und b) solidarisch! Stattdessen macht sich die GEW zum Anwalt – nicht des wohlverstandenen Interesses ihrer Mitglieder, sondern der Heilpraktikerlobby, die gerade aus dem Bereich der Beihilfeberechtigten, möglicherweise explizit aus dem Bereich der Lehrerschaft, sicherlich einiges an Klientel rekrutiert. Dass diese Klientel das für ihr “gutes Recht” halten mag, geschenkt, das bedarf nicht nur hier keiner Diskussion. Letztlich lässt sich die Aktion der GEW Hamburg durchaus mit Minister Spahns “so okay” zu zweistelligen Millionenbeträgen an GKV-Leistungen für Homöopathie vergleichen. Insofern, als Hüter des Allgemeininteresses sich zum Sprecher von – sinnbefreiten – Partikularinteressen machen.
Denn die Heilpraktikerlobby weiß natürlich genau, dass so eine Regelung wie in Hamburg mit einiger Sicherheit zu Umsatzeinbrüchen führen wird. Zahlen sind mir leider nicht bekannt, aber:
Arrow, Kenneth (1963): „Uncertainty and the Welfare Economics of Medical Care“, (American Economic Review, 53(5): 941 – 973), eines der Basic Papers der Gesundheitsökonomie, befasst sich mit der Frage, wie sich das individuelle Verhalten durch eine Versicherung verändert. Arrow, Mathematiker, Ökonom, Nobelpreisträger und US-Amerikaner, befürwortet generell eine soziale Absicherung gegen den Krankheitsfall. Er machte aber geltend, dass eine Absicherung im Krankheitsfall immer auch Einfluss auf das Verhalten der so Abgesicherten haben werde. Durch die Möglichkeit, Kosten für Gesundheitsleistungen auf die Allgemeinheit abzuwälzen, verändert sich das individuelle Verhalten: Der Versicherte nimmt Leistungen in Anspruch, die er nicht in Anspruch nehmen würde, wenn er selbst zahlen müsste. Nicht weil er es sich sonst nicht leisten könnte, sondern weil diese Maßnahmen es ihm sonst nicht wert wären: Der erwartete individuelle Nutzen ist zu gering, um für den Einzelnen die Kosten zu rechtfertigen. Die GKV-Kassen wissen das genau – deshalb – siehe oben – erstatten sie zwar als Marketingmaßnahme ärztliche Homöopathie, hüten sich aber, die Dämme bei Heilpraktikerleistungen brechen zu lassen.
Wir wissen inzwischen, dass dies schon auf einer sehr niedrigen Reizschwelle Auswirkungen hat. Denken wir nur an die vierteljährliche Zuzahlung in der Arztpraxis (Inkasso für die Krankenkassen) nicht weit zurückliegender Zeiten. Wo dabei eine unentwirrbare Gemengelage durch einen falschen ökonomischen Anreiz entstand, aber der Kern dieses Anreizes war ganz offen, die Leute von Arztbesuchen “zum Zeitvertreib” abzuhalten.
Genau die von Arrow beschriebenen Folgen werden mit einiger Sicherheit eintreten, fallen Erstattungen für HP-Leistungen (und anderes) weg. Vielen wird der Kostenaufwand für die Wellness-Therapie (nochmal: im günstigsten Falle) ohne das Zuckerbrot einer zumindest anteiligen Beihilfeerstattung die Sache nicht mehr wert sein. Genau das wird die Sorge der Heilpraktiker sein (die mit Schrecken daran denken werden, dass das Hamburger Beispiel bundesweit Schule machen könnte). Und GENAU DAS ist – neben der sachlichen Unvertretbarkeit – auch DAS Argument FÜR eine Streichung der HP-Leistungen (et al.) aus dem Katalog der beihilfefähigen Aufwendungen.
Und, liebe GEW Hamburg, damit auch ein Argument FÜR ein überlegtes solidarisches Eintreten im Sinne berechtigter Interessen der (aller) Beschäftigten und nicht für eine kurzsichtige Klientelpolitik, die zudem Dritten in die Hände spielt.
Bild von Steve Buissinne auf Pixabay
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