
Temu hat wieder zugeschlagen. Diesmal nicht mit Billigstpreisen, Datenhunger oder zweifelhaften Produktionsbedingungen – sondern mit einer Werbekampagne, die selbst hartgesottene Social-Media-Nutzer irritiert zurücklässt.
In den Clips, die derzeit durch TikTok, Insta und Co. geistern, wird für ein „kostenloses Tablet für Neukunden“ geworben. Der Weg dorthin? Eine Art aggressive Slapstick-Farce: Menschen geraten in Wut, schreien sich an, gehen teils sogar körperlich auf Temu-Vertreter los, weil sie angeblich den falschen Download erwischt haben und leer ausgehen. In einer neueren Version darf sogar der Temu-Chef persönlich das Opfer dieser Ausraster spielen.
Das Ganze endet zwar stets mit einem „Happy End“. Doch das bleibt wie eine schlecht platzierte Sahnekirsche auf einem verdorbenen Kuchen: Die negative Emotion der Aggression klebt im Kopf.
Aus Markensicht ist das eine erstaunliche Fehlkalibrierung. Denn während diese Art „überzeichneter Gewaltkomik“ in manchen asiatischen Märkten, wie mir bekannt ist, als harmloser Slapstick funktioniert, wirkt sie hierzulande schlicht unhöflich, enthemmt – und sozial unangepasst. Durchweg als negativer Trigger. Die Synchronisation verstärkt diesen Effekt noch. Zumal Temu ohnehin unter Imageproblemen leidet: Datenschutz? Zweifelhaft. Produktqualität? Fragwürdig. Produktionsbedingungen? Reden wir lieber nicht drüber.
Mein Sohn hat es mal getestet: Zwei Uhren bestellt. Sein Fazit: „Fabrikneuer Schrott.“
Wer so wirbt, signalisiert vor allem eines: Es geht nicht um Qualität, nicht um Kundenerlebnis, sondern um maximale Aufmerksamkeit – koste es, was es wolle. In der TikTok-Logik mag das als „mutig“ gelten. Im mitteleuropäischen Wertekontext – ein Eigentor?
Man sollte meinen, dass ein Konzern mit Milliardenbudget und globaler Marktstrategie die kulturellen Eigenheiten seiner Zielmärkte kennt. Aber vielleicht ist das gar nicht der Punkt – vielleicht geht es Temu nicht um Gefallen, sondern um maximale Sichtbarkeit. Selbst wenn diese Sichtbarkeit auf einem kollektiven ‚Was zur Hölle habe ich da gerade gesehen?‘ basiert. Wollen wir also mal nicht zuviel Kulturoptimismus verbreiten. Vielleicht überwiegt doch die Aussicht aufs kostenlose Tablet (das es wohl wirklich gibt) die Irritation.