
Auf der Webseite homoeopathie-online.info des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte wird derzeit ein Artikel aus dem Jahre 2015 promoted, der den ganzen Jammer der Homöopathie-Fraktion über die hinterhältigen Vernichtungsstrategien der Rationalisten auf den Punkt bringt. Jens Behnke beklagt darin ebenso wort- wie tränenreich, welch schlechte, falsche und auch ungerechte Behandlung die Homöopathie im Online-Lexikon Wikipedia erfährt. Und zwar aufgrund hinterhältiger Verschwörungen der Skeptiker-Szene.
Da mich Ungerechtigkeiten stets auf den Plan rufen, habe ich aktuell noch einmal den Wikipedia-Artikel zur Homöopathie eingehend studiert. Wobei ich allerdings keine Anzeichen für irgendwelche Parteilichkeit feststellen konnte. Zweifellos haben im Zeitraum von Februar 2015 – Datum von Herrn Behnkes Artikel – bis zuletzt am 30.10.2016 etliche Änderungen stattgefunden, aber laut Versionsvergleich kein “Umschreiben” des Artikels, ich darf deshalb mit Recht davon ausgehen, dass ich in etwa den gleichen Beitrag gelesen habe, der so harsch vom DZVhÄ kritisiert wird.
Der Homöopathieartikel hat bei Wikipedia im Übrigen seit 2010 das Prädikat “lesenswert”, aber das nur am Rande. Für mich jedenfalls ist er ein Musterbeispiel eines sachlich-neutralen Beitrags. Er stellt über rund zwei Drittel seines Umfangs in mustergültiger Neutralität das Gedankengebäude der Homöopathie, basierend auf Hahnemanns Verlautbarungen und unter Einbeziehung wesentlicher “Lehrmeinungen”, dar. Aber dann… dann kommt es, woran sich der Eifer des DZVhÄ entzündet: Die Ziffern 7 (Kritik an der Homöopathie) und 8 (Risiken der Homöopathie). Na, die hätte man doch wohl weglassen können!
Eigentlich könnte ich hier Schluss machen, denn damit ist im Grunde das Verschwörungsgezeter der Homöopathiefraktion für jeden, der sich ganz einfach selbst überzeugt (siehe Link oben), bereits als Propaganda deutlich geworden. Um die Denkweise des Zentralvereins aber einmal näher kennenzulernen, gehen wir auf einige Aussagen im Artikel von homoeopathie-online doch noch ein.
Gleich oben im Teaser steht der Satz
Was geschieht, wenn wissenschaftliche Fakten auf Weltanschauungen treffen?
Ganz einfach: Dann kommen solche Artikel wie der von Herrn Behnke heraus. Oder sollte womöglich Herr Behnke etwa der Meinung sein, die Homöopathie stehe auf der Seite der wissenschaftlichen Fakten und die Kritik auf der Seite der Weltanschauungen!? Das mag einen wahren Kern haben, da umgekehrt auch die Kritik das Verhaftetsein in der Homöopathie als eher weltanschaulich-ideologisch begründet ansieht, da sie sich dem kritisch-rationalen Wissenschaftsbegriff verweigert. So, wie Herr Behnke es hier meint, im Sinne einer „falschen“ Weltanschauung der Kritiker, ist das aber nun doch sehr, sehr hoch gegriffen und überfordert deutlich mein allgemeines Vertrauen in die Tatsachen des Lebens. Da muss schon mehr kommen (kommt aber nicht). Um mit Bertrand Russell zu sprechen: Sir, why did you not give me better evidence?
Der Beitrag beginnt mit einer höchst selektiven Zitatwahl.
Kein Wunder, soll doch der nachfolgenden Verschwörungstheorie der Boden bereitet werden. Einige einleitende Sätze zur den Kapiteln 7 und 8 aus der Wikipedia – zu Kritik und Risiken – werden demonstrativ angeführt und damit die Kapitel 1 bis 6, die sich ausführlich mit dem homöopathischen Lehrgebäude -in gebotener Neutralität und großer Ausführlichkeit- befassen, einfach unterschlagen. Das bezeichne ich mal als unredlich und manipulativ – genau das, was dem Wikipedia-Artikel -zu Unrecht, wie ich meine- vorgeworfen wird.
Das Hohelied der Konsensbildung
… folgt anschließend. Mal eben im Vorbeigehen wird erläutert, dass außerhalb “unstrittiger Themen” die Wikipedia letztendlich ausgewogene Informationen bereitstellen soll; die Urteilsbildung werde dem Leser überlassen. Es wird beklagt, dass eben dies nicht geschehe. Breit wird entfaltet, wie die Homöopathie-Gegner genau diesen Artikel bei der Wikipedia unterlaufen haben und sogar die Administratoren ganz offensichtlich zu den Mitverschwören gegen die Zuckerkugelindustrie gehören. Unterfüttert mit der Behauptung, dass sogar der Artikel “eingefroren” worden sei, d.h. für weitere Bearbeitung gesperrt. Was allerdings an der Versionsgeschichte auf der Wikipedia nicht erkennbar ist – wie dem auch sei, bleibt offen, wer und warum eine solche Sperrung ausgelöst haben mag.
Was nun die Forderung nach Konsens bei umstrittenen Themen angeht – ist Wikipedia wirklich eine Plattform zur Aushandlung von Kompromissen? Widerspricht doch schon der zitierten Aussage, dass “die Urteilsbildung dem Leser überlassen bleibe” (was selbstverständlich ebenfalls Unsinn ist). Und “ausgewogene ” Darstellung ist zweifellos eher eine Untugend, die im Journalismus weit verbreitet ist und mit der die Propaganda für Unsinn gern verbrämt wird. Ein wissenschaftlicher Anspruch, wie er von den Homöopathen so gern -auch hier- reklamiert wird, fordert die Darstellung der Lehrmeinung bzw. der Ausgangshypothese unter Anführung von abweichenden Standpunkten. Genau dem folgt der Wikipedia-Artikel – geradezu formvollendet.
Es folgt das große Mimimi:
“Wikipedia ist in Bezug auf die Homöopathie eine Plattform, auf der eine Gruppe von Menschen ihre persönliche Überzeugung unter dem Deckmantel der Wissenschaft vorträgt. Mutmaßlich handelt es sich hierbei um Mitglieder der sog. „Skeptikerbewegung“, einer Organisation, die in dogmatischer Art und Weise eine materialistische Weltanschauung verficht und sämtliche Phänomene zu leugnen versucht, die sie mit ihr im Konflikt sieht. Für die aus den USA stammende Ursprungsbewegung sind zudem Verbindungen zur Pharmaindustrie aufgezeigt worden.”
Umgekehrt wird ein Schuh draus. Kein weiterer Kommentar. Höchstens, dass alle Plattformen, auf denen die Homöopathie gepriesen wird, Musterbeispiele für das Vortragen persönlicher Überzeugungen unter dem Deckmantel der Wissenschaft sind. Siehe auf diesem Blog -auch zur Vermeidung von Wiederholungen- beispielsweise hier. Und immerhin ist bemerkenswert, dass die Homöopathiehersteller -in den USA wie auch hier – Bestandteil der Pharmaindustrie sind, allen ihren Vereinigungen und Verbänden angehören und -wie kürzlich zu vernehmen war- diese Verbände und Vereinigungen sich deutlich GEGEN eine Einschränkung der Homöopathie als Kassenleistung aussprechen… Honi soit qui mal y pense. Hier wird nun wahrlich einiges von den Füßen auf den Kopf gestellt von Herrn Behnke. Er scheint das – wie auch andere Ereignisse zeigen – wirklich zu glauben.
Danach wird es richtig langweilig.
Das Studienthema wird wieder aufgewärmt, selbst der “homöopathische Arzt Dana Ullman” beklage deren miese Beachtung in der Wikipedia. War das nicht derjenige, der vor kurzem ernsthaft versuchte, eine “Studie” zu promoten, die in Höchstpotenzen “Nanopartikel” nachgewiesen haben wollte…? All diese Studien sind -wie auf diesem Blog schon mehrfach erläutert wurde- wertlos für einen evidenten Wirkungsnachweis der Homöopathie. Und wenn sie, wie Herr Behnke erwähnt, in “Fachkreisen” hoch gehandelt werden, so handelt es sich bei diesen “Fachkreisen” um weniger als ein Prozent der weltweiten Wissenschaftsgemeinde.
Ganz sachlich: Die geäußerte Ansicht, auch der darstellende Teil des Wikipedia-Artikels sei manipulativ, falsch dargestellt und weitgehend belegfrei, teile ich nicht. Der Artikel verweist auf sage und schreibe 265 Einzelnachweise, dazu auf Literatur und Quellen erheblichen Umfanges, darin die homöopathischen Lobbyverbände. Man könnte es auch viel kürzer machen, was vielleicht bei unerfahrenen Lesern viel eher zu einer kritischen Haltung gegenüber der Homöopathie führen würde als die vorliegende umfangreiche Darstellung. Aber nein, man ist einfach mit nichts wirklich zufrieden…
Kurz gesagt, halte ich den Artikel auf homoeopathie-online geradezu für eine Verleumdung der Wikipedia, bei der natürlich nicht alles Gold ist, was glänzt. Aber das hier…
Versöhnlicher Ausklang?!?
Nun, zum Schluss kann man lesen:
“Glücklicherweise scheint die Meinungsmache im Internet keinen bedeutenden Einfluss auf die Patienten zu haben: Die Homöopathie steigt nach wie vor in der Beliebtheit der Bevölkerung. [15] Kein Wunder, denn ihre Heilerfolge lassen sich nicht wegdiskutieren!”
Ja, wie schön! Und was soll das Ganze dann? Es ist der Ruf nach wissenschaftlicher Reputation, danach, den hier schon oft zitierten “scheinwissenschaftlichen Anstrich” doch noch in eine anständig haftende Deckschicht zu verwandeln. Der menschliche, durchaus allzu menschliche Ruf nicht nur nach Erfolg, sondern auch nach Anerkennung. Wird aber nichts draus.
Wenn wir schon bei versöhnlichen Schlussworten sind, auch eines von mir, das Motto dieses Blogs:
„Es ist immer dasselbe: Wenn Paramediziner von ‚Wissenschaft‘ reden, meinen sie in Wahrheit ihren eigenen Aberglauben.“
Prof. Dr. med. Dr. med.h.c.mult. Otto Prokop
Ach ja, einen Änderungsvorschlag hätte ich auch noch für die Wikipedia: Bitte ersetzt doch durchgängig den Begriff “Alternativmedizin” durch “Pseudomedizin”.
Schreibe einen Kommentar