
Es lässt mir keine Ruhe. Ich muss doch noch einmal auf die 318.000 Treffer zum Begriff “Quantenheilung” zurückkommen, die Google allein für den deutschsprachigen Raum auswirft. Was mich besonders fassungslos macht, ist der Umstand, dass dort reihenweise Menschen mit akademischer Ausbildung ihre Heildienste, ihre “Ausbildungen” und ihre literarischen Ergüsse feilbieten. Und das ist nicht auf den engen Bereich der Quantenheilung beschränkt, sondern meist querbeet mit allerlei anderen Absonderlichkeiten verbunden.
Den letzten Anstoß zu diesen erneuten Gedanken gab mir ein aktueller Artikel bei DocCheck, eigentlich eher einige der Kommentare dazu. Man mag über den Beitrag, der einen Seufzer über esoterisch mehr als angehauchte Apothekenkundschaft darstellt, lächeln. Das dürfte auch dessen tieferer Sinn gewesen sein, zumal bei einer Veröffentlichung auf einem Fachportal. Wohl kaum dürfte die Absicht gewesen sein, eine Kontroverse pro und contra Esoterik auszulösen. Was aber dort einige der Fachbesucher, teilweise mit akademischen Titeln ausgestattete Kommentatoren, pro Eso absondern, das hat mich ein weiteres Mal daran zweifeln lassen, ob Opposition gegen den grassierenden Blödsinn überhaupt noch einen Sinn macht.
Ist es möglich und denkbar, dass unsere universitäre Ausbildung versagt bei der Vermittlung ihres Grundanliegens, der Verpflichtung auf objektive Wissenschaftsprinzipien, auf die Kausalität der realen Welt, der Vermittlung der Fähigkeit, zwischen diskussionswürdigen und von vornherein auszuschließenden Thesen zu unterscheiden? Bei der Vermittlung dessen, was Wissenschaftlichkeit im aufklärerischen Sinne überhaupt ist? Versinken Teile der Wissenschaftsgemeinde tatsächlich im Sumpf der Beliebigkeit? Haben unsere Universitäten überhaupt noch einen ausreichenden Bezug zum Humboldtschen Bildungsideal? (Fragen Sie, lieber Leser, bitte nicht, was ich vom Bologna-Studium halte.) Zu der vom reinen Wissen weit entfernten “Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen soll“ ?
Zweifel sind angebracht.
Unlängst habe ich hier im Zusammenhang mit der Ringvorlesung zu “therapeutischen Ansätzen” der Homöopathie berichtet, die der DZVhÄ in der medizinischen Fakultät der LMU München durchführt. Das kritische Echo war erheblich, was allerdings keineswegs dazu geführt hat, dass diese Veranstaltungsreihe etwa abgesagt worden wäre. Ich möchte diese Sache noch einmal als ein besonders perfides Beispiel dafür anführen, auf welche Weise der Aspekt des “Wissens von etwas” über das “Wissen über etwas” gestellt wird. Hier wird ja keineswegs ein medizinhistorischer Abriss über die Homöopathie geboten, auch nicht eine Darlegung ihrer Methodenprinzipien, auch keine kritische Betrachtung. Nein, stattdessen geht man gleich in medias res und stellt praktische Anwendungen, Therapien, in den Vordergrund, ohne dass der potenziellen Hörerschaft vorher das Grundwissen, das für eine Einordnung dieser “Therapien” von größter Bedeutung ist, vermittelt wird. Ich bezeichne das als Indoktrination – was hat das an einer medizinischen Hochschule zu suchen?
Wenn Sie, lieber Leser, nun glauben, das sei ein auf die LMU beschränktes Vorkommnis – da muss ich Sie leider enttäuschen.
Haben Sie schon gewusst, dass die Carstens-Stiftung Natur und Medizin unter Einsatz ihrer finanziellen und personellen Ressourcen ein umfangreiches Programm betreibt, mit dem sie studentische Studienkreise zur Homöopathie fördert und zudem ein eigenes Promotionsförderungsprogramm betreibt? Hier wird nicht, wie bei der LMU, die Reputation der Hochschule für Pseudomedizin in Anspruch genommen, nein, hier wird direkt auf der Ebene der Studierenden, der noch nicht ausreichend mit kritischem Hintergrundwissen Ausgestatteten, angesetzt. Nachwuchsförderung der besonderen Art. Auch hier ist wieder -und erst recht- der Begriff Indoktrination angebracht. Auch nur mal als Beispiel für die arme, unterdrückte und ohnehin am Bettelstab daher wandernde Homöopathie, die ja über gar keine Lobby verfügt…
Wie die einschlägige Webseite mitteilt, werden solche Arbeitskreise derzeit an 13 (dreizehn) medizinischen Fakultäten (Stand Oktober 2022: acht (!), die Webseite gibt sich insgesamt inzwischen sher viel zurückhaltender) im Bundesgebiet gefördert, teilweise an hochrenommierten. Mir wäre nicht bekannt, dass an irgendeiner dieser Stellen einmal seitens der Fakultätsleitungen kritisch nachgehakt worden wäre. Aber ich weiß ja auch nicht alles. Jedenfalls bestehen diese Studienkreise und werden zweifellos mit Leben erfüllt.
Ist das weniger zu kritisieren als die Ringvorlesung bei der LMU? Nein, noch viel mehr. Weil sich hier die Homoöpathielobby nicht einmal öffentlich zeigt wie im Vorlesungsverzeichnis der LMU, sondern sich an die schwächste Stelle, die Studierenden der Hochschulen, heranwanzt und sozusagen parallel zum Studium bei diesen Proselytenmacherei betreibt. Was, davon hörte ich allerdings, in der Studentenschaft erfreulicherweise keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stößt.
Wie kann so etwas sein? Eine Methode, die weltweit als Irrlehre gilt, auf eine katastrophale Studienlage blickt (nachdem man überhaupt die Freundlichkeit hatte, zu ihr Studien, Metaanalysen und Reviews durchzuführen), teilweise in ihren Grundannahmen Naturgesetzen widerspricht und nur noch von Lobbyisten und Proponenten betrieben wird, die ihre Diskurs- und Kritikunfähigkeit beharrlich unter Beweis stellen, kann sich derart präsentieren? Wenn das Ausdruck von pluralistischem Wissenschaftsverständnis ist und womöglich auch noch mit der Freiheit von Forschung und Lehre gerechtfertigt werden soll, dann mal weiter abwärts auf der schiefen Ebene des intellektuell-wissenschaftlichen Verfalls. Dann wird das Gefasel von Quantenheilung demnächst auch noch mit einem Förderpreis für interdisziplinäre Wissenschaftsarbeit ausgezeichnet werden.
Was könnte man, außer beharrlicher Kritik und dem Schaffen von Öffentlichkeit, denn tun? Eine kleine Idee hätte ich noch.
Wir brauchen, nicht nur in der Medizin, sondern in allen Studienfächern und an allen Hochschulen, ein Studium generale. Eine geistesgeschichtliche und methodische Einführung, eine Anleitung zum kritisch-methodischen Denken und einen Gesamtüberblick über die wichtigsten Wissensgebiete. Erst dann die Spezialisierung.
Und: Solange Fakultäten Umtriebe pseudomedizinischer Interessenverbände an ihren Einrichtungen tolerieren oder gar begrüßen, trifft die Kritik natürlich genau deren Vorstände. Nicht die Studierenden.
Wenn ein modernes naturwissenschaftliches Studium nicht gegen absoluten Schwurbelkram immunisieren kann, dann ist schon viel verloren. Lasst uns das nicht akzeptieren.
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
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