Grillenzirpen und Nebelhörner – visualisiert von Microsoft Copilot

Manchmal hilft die Natur bei der Beschreibung des Politischen. Grillen zum Beispiel. Sie zirpen. Unermüdlich. Und ganz gleich, was ringsum passiert – das Zirpen bleibt gleich. Es hat keinen Bezug zur Wirklichkeit, sondern scheint eine Art akustischer Selbstberuhigung zu sein. Und damit wären wir bei der SPD.

Denn wer, wie CDU-General Carsten Linnemann, derzeit unablässig verkündet, Deutschland stehe „vor einem Herbst der Reformen“ – und wer darin radikale Eingriffe ins soziale Gefüge sieht: Kürzungen, Repressionen, Entlastungen für Vermögende, Bürokratisierung statt Hilfe – der muss sich fragen: Warum hört man von der SPD dazu nichts außer dem vertrauten Zirpen?

In seinem FAZ-Meinungsnewsletter vom 7. August greint Daniel Deckers über das angeblich gebrochene Versprechen eines „Reformherbstes“. Als verhinderten Reformminister ohne Amt zeichnet er Linnemann, das Bild eines Getriebenen, dem bloß der Koalitionspartner SPD (sic!) den Weg bei seinen grandiosen Reformideen zur Sozialpolitik verstellt. Dass dieser Koalitionspartner längst stillschweigend so gut wie alle rechtlich fragwürdigen, realitätsfernen und unsozialen Narrative der Union mitträgt, bleibt unerwähnt. Stattdessen mimt Deckers den enttäuschten Chronisten einer SPD, die sich „nicht mehr aufraffen“ könne.

Tatsache ist: Es gibt keine Reform, die sich bislang an einer humanen, sozial gerechten Wirklichkeit orientiert hätte. Stattdessen erleben wir den Versuch, im Grunde längst delegitimierte Diskurse noch weiter in Richtung autoritären Sozialabbaus zu verschieben. Was nicht als Leistung „verwertbar“ ist, gilt plötzlich als staatszersetzend. Und währenddessen deckt die FAZ mit ihrer klassenpolitischen Kommentierungsmoral den Mantel der intellektuellen Anständigkeit über ein durch und durch regressives Denken.

Doch was dabei vergessen wird: Nicht jeder gesellschaftspolitische Furor landet automatisch im Gesetzblatt. Spätestens wenn die Ministerialbürokratie prüft, was sich tatsächlich umsetzen ließe, stößt der Klassenkampf von oben auf einen Widerstand, den die FAZ gerne als „Verwaltungshindernis“ verunglimpft: die rechtsstaatliche Prüfung, das Grundgesetz, die Verhältnismäßigkeit, das Sozialstaatsprinzip. Die Frage ist, von welcher Bedeutung dies auf Dauer ist, in einer Zeit, wo an der Rechtstreue von Regierungsmitgliedern gezweifelt werden muss.

Auch Adenauer oder Erhard, bei allem Unterschied, hätten sich bei mancher „sozialpolitischen Idee“ der aktuellen CDU wohl am Kopf gekratzt.

Und die SPD?
Sie zirpt. Leise. Anhaltend und wirkungslos.
Während die Angriffe auf das Soziale längst mit Nebelhörnern geführt werden.

Deckers irrt, wenn er aus einer erstaunlichen Perspektive heraus ausgerechnet der Koalitions-SPD die Bremserrolle, also sozialpolitische Verantwortung, zuschreibt. Das mag in Teilen der Partei und der Fraktion noch leise flackern, das Bollwerk gegen Pläne zur Herabwürdigung der Bedürftigsten in der Koalition ist sie wohl nicht.