
Die Wissenschaft ist in der Vertrauenskrise – so könnte man meinen, wenn man sich die Diskussionen um Pandemien, Klimawandel oder alternative Heilmethoden ansieht. Gleichzeitig gibt es zahlreiche Umfragen und Studien, die das „Vertrauen in die Wissenschaft“ messen. Die jüngste dieser Untersuchungen, erschienen in Nature Human Behaviour1, hat mit großem Aufwand das Vertrauen in Wissenschaft und Wissenschaftler in 68 Ländern erhoben. Deutschland rangiert dabei mit einem Wert von 3,49 unterhalb des gewichteten Medians von 3,62 (bei einer gemessenen Bandbreite von 4,2 bis 3,5 mit einer Standardabweichung zwischen 0.008 and 0.133) – ein Befund, der dem eher pessimistisch eingestellten Skeptiker spontan akzeptabel erscheint – bis man sich ansieht, welche Länder deutlich höhere Werte auch über dem Median erreichen. Deutschland wird dabei von Nationen glatt in den Schatten gestellt, denen man es beim besten Willen und ganz unvoreingenommen nicht zutrauen würde – ganz zu schweigen von den beiden führenden Nationen, die auch noch statistische „Ausreißer“ nach oben sind: Ägypten und Indien. Hier stellen sich Fragen nach der Repräsentativität und vor allem der Aussagekraft der Studie (Link zur Studiengrafik).
Stellen wir uns deshalb doch einmal die Frage: Was genau bedeutet „Vertrauen in die Wissenschaft“ denn eigentlich? Und was lässt sich aus einer solchen Zahl ableiten?
Eine Zahl ohne Kontext bleibt inhaltsleer
Eine auf diesem Blog früher schon einmal erörterte Untersuchung (Leseempfehlung), veröffentlicht im Journal of Experimental Social Psychology2, wirft erhebliche Zweifel an der isolierten Aussagekraft solcher Vertrauensmessungen auf. Die Studie zeigte, dass ein blindes Vertrauen in Wissenschaft ohne zumindest grundlegendes Verständnis der wissenschaftlichen Methodik oder ein Mindestmaß an Reflexionsfähigkeit eher problematisch als hilfreich ist. Menschen, die ein hohes Vertrauen in „die Wissenschaft“ angaben, waren paradoxerweise oft anfälliger für Pseudowissenschaften und Desinformation. Das klingt kontraintuitiv, macht aber Sinn: Wer ohne kritisches Hinterfragen alles glaubt, was im Namen und unter dem Anschein von Wissenschaft daherkommt, kann genauso leicht falschen oder verzerrten wissenschaftlichen Aussagen aufsitzen wie seriöser Forschung folgen.
Der begleitende Kommentar zur Studie auf Journalist’s Resource3 beschreibt dieses Phänomen anschaulich: Vertrauen ohne Wissen sei wie ein Auto ohne Bremsen. Es fehle an einer reflektierenden Instanz, die zwischen solider Wissenschaft und Pseudowissenschaft unterscheidet.
Die neue Vertrauensstudie: Mehr Umfang, aber auch mehr Erkenntnis?
Die Nature-Studie liefert nun eine beeindruckende Datenmenge. Doch stellt sich die Frage: Was genau sagen diese Zahlen aus? Wenn etwa ein Land ein besonders hohes Vertrauen in die Wissenschaft zeigt – bedeutet das, dass dort wissenschaftliche Erkenntnisse besonders gut verstanden und reflektiert werden? Oder ist es schlicht ein Ausdruck von sozioökonomischen Faktoren, Bildungsstrukturen oder gar politischer Propaganda?
Ein hohes Vertrauen in Wissenschaft ist nur dann ein Fortschritt, wenn es mit einem gewissen Maß an Urteilskompetenz einhergeht. Fehlt diese, bleibt es eine leere Größe – oder schlimmer: Es öffnet Tür und Tor für Missbrauch. Wenn Menschen zwar „der Wissenschaft“ vertrauen, aber gleichzeitig nicht zwischen fundierter Forschung und ideologisch motivierter Verzerrung unterscheiden können, dann wird Wissenschaftsvertrauen zur leichten Beute für Populismus und Manipulation.
Wissenschaftsvertrauen braucht Wissenschaftskompetenz
Anstatt nur zu messen, wie viele Menschen „der Wissenschaft“ vertrauen, sollten künftige Studien untersuchen, wie dieses Vertrauen sich mit Verständnis wissenschaftlicher Methoden, Skepsis gegenüber unhaltbaren Behauptungen und der Fähigkeit zur kritischen Reflexion verbindet. Vertrauen allein kann ebenso gut ein Zeichen von unkritischer Autoritätshörigkeit sein wie von fundiertem Wissen.
Der wahre Schlüssel liegt also nicht in einem abstrakten Vertrauensindex, sondern in der Fähigkeit zur informierten Urteilsbildung. Und die lässt sich nicht einfach per Umfrage messen.
Wieder mal die Sache mit dem kritischen Denken.
1 Cologna, V., Mede, N.G., Berger, S. et al. Trust in scientists and their role in society across 68 countries. Nat Hum Behav (2025). https://doi.org/10.1038/s41562-024-02090-5
https://www.nature.com/articles/s41562-024-02090-5
2 Thomas C. O’Brien, Ryan Palmer, Dolores Albarracin: Misplaced trust: When trust in science fosters belief in pseudoscience and the benefits of critical evaluation. Journal of Experimental Social Psychology, Vol. 96/2021, 104184, ISSN 0022-1031.
3 The Journalist’s Resource: Trusting science leaves people vulnerable to believing pseudoscience, new research finds.
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