
Vor kurzem veröffentlichte Werner Bartens, unermüdlicher Kritiker von Schwachstellen im Gesundheitssystem (nicht nur der Pseudomedizin), einen kritischen Beitrag zum “20 Mio. Euro-Statement” von Minister Spahn in der Süddeutschen Zeitung.
Dies nun hat jetzt eine Beschwerde beim Presserat zur Folge, von seiten der homöopathischen Fraktion, einer auch in diesem Blog schon erwähnten Vereinigung, die mit dem Anspruch einer “Patientenvertretung” auftritt. Was dazu zu sagen ist, hat Joseph Kuhn beim Gesundheits-Check bereits gesagt. (Nachtrag: Natürlich hat der Presserat die Beschwerde als unbegründet verworfen.)
Geschenkt also. Jedoch werfen auch wir noch einen Blick auf die Causa. Es ist einfach zu schön …
Bartens’ Aussage, Homöopathie habe keine Wirkung (selbstverständlich ist eine spezifische medizinische Wirkung gemeint) wird mit dem Argument angegriffen, Homöopathie habe sehr wohl eine Wirkung – sie sei nämlich durchaus geeignet, im Falle der “richtigen” Ursubstanzen und bei ordentlicher Überdosierung / längerer Einnahme toxische Wirkungen hervorzurufen. Als Replik, gar Widerlegung von Bartens’ Statement zur Wirksamkeit hat das etwa die Aussagekraft des Satzes, dass es nachts kälter sei als draußen und dass dies der Grund dafür sei, warum Häuser draußen stehen. Und natürlich schon etwas – Lächerliches.
Da sind wir doch wirklich mal wieder sprachlos. Würde es sich nicht um den Inhalt einer Pressebeschwerde handeln, wäre das wohl nur als Realsatire korrekt einzustufen.
Wir ziehen einmal den logischen Schluss aus dieser Gedankenakrobatik: Alles, was geeignet ist, in ausreichender Dosis Schaden anzurichten, ist also Medizin, weil es eine “Wirkung” hat. Und damit soll eine “Wirkung” der Homöopathie im medizinischen Sinne herbeigedeutet werden. (Oder doch nicht? Dann brechen wir hier nicht nur ab, sondern in befreiendes Gelächter aus.) Abgesehen davon, dass dies angesichts des unbezweifelbaren Umstandes, dass Bartens eine spezifische arzneiliche Wirkung gemeint hat (nur gemeint haben kann im Kontext) billigste, ja lächerliche Rabulistik ist. Oder aber das Eingeständnis sein soll, dass Homöopathie einfach irgendwelches Zeugs ist, mit dem man sich bei großer Mühe eventuell möglicherweise vielleicht vergiften kann. Aber nicht mal das ist richtig, denn:
Dass Medizin in ausreichender Dosis Schaden anzurichten geeignet ist, das ist klar, das gilt für jede Substanz, was Paracelsus schon ganz genau wusste. Aber daraus im Umkehrschluss und gleichzeitig mit dem Rückschluss auf den speziellen Fall den Schluss zu ziehen, alles, womit man sich vergiften könne sei Medizin … naja, gut, das mag eine Konsequenz daraus sein, dass die Homöopathie potenziell jeden Stoff für eine homöopathische Grundsubstanz hält. Allerdings wäre diese Gedankenakrobatik selbst Hahnemann zu weit gegangen. Vom alten Aristoteles ganz abgesehen, der käme wohl angesichts dieser „Logik“ einigermaßen aus der Fassung.
Aber versuchen wir einmal, dieses Statement der Homöopathie-Patientenvereinigung durch die Brille der Realität zu betrachten.
Erstens unterliegen Homöopathika aus bestimmten Ursubstanzen, die in der Anlage 1 zur Arzneimittelverschreibungsverordnung festgelegt sind, bis einschließlich zur Potenz D3 (unter 1:10.000) der Verschreibungspflicht. Ordentlich Belladonna D1 einwerfen, bis die Augen nur noch Pupille sind, oder die Schwiegermutter durch Arsenicum album D1 im Tee ins Nirwana schicken ist also schon deshalb nicht so leicht.
Zweitens ist diese Marge vom Verordnungsgeber extrem hoch angesetzt. Die Homöopedia des INH führt nämlich auch für homöopathisch zubereitete toxische Rohstoffe den Nachweis, dass eine Vergiftung mit Homöopathika in den Bereich des hoch, ja höchst Unwahrscheinlichen gehört. Vermutlich würde man selbst bei Tiefpotenzen eher an Zuckervergiftung (167 Globuli-Fläschchen à 10 g in D1 – ! -wären für das Erreichen einer letalen Arsendosis nötig) sterben als an der Wirkung der Ursubstanz. Schaut euch diesen Link an, ich wiederhole hier nicht alles im Detail.
Drittens hat meines Wissens der größte Homöopathiehersteller in Deutschland, die DHU, kein einziges verschreibungspflichtiges Homöopathikum gelistet.
Bei mehr Überlegung findet sich bestimmt noch einiges an Widersprüchen zur homöopathischen Leere in den Darlegungen der Pressebeschwerde. Aber tun wir ihr nicht zu viel Ehre an.
Es bleibt mal wieder die Frage, wer denkt sich solche “Begründungen” für Presseratsbeschwerden gegen Artikel aus, die so klar auf belegbaren Fakten beruhen?
Dann mal weiterhin gute Gedankenfindung.
Anmerkung:
Die Pressebeschwerde beruft sich auf empirische Nachweise zur Toxizität von Tiefpotenzen bei hoher und längerer Anwendungsdauer. Als getreuer Chronist versucht man natürlich, so etwas zu verifizieren, wenn es der Behauptende schon nicht belegt. Dazu fand sich lediglich im Internet Archive ein Artikel von Ammann, M: Arsen und Antimon in der Naturheilkunde (aus “Naturheilpraxis”). Darin findet sich ein Statement – ohne Beleg oder Quelle – des Inhalts, “gibt man Acidum arsenicosum (Arsenicum album) in der Dilution D4 3 mal täglich 5 Tropfen, erscheinen nach vier Wochen die ersten Vergiftungssymptome”. Frage: Wer hat das denn ausprobiert? Das dürfte angesichts der Modellrechnung der Homöopedia (Link siehe oben) widerlegt sein. Zumal bekannt ist, dass geringe, gar sukzessiv steigende (im Vergleich zu der genannten homöopathischen Dosis weit höhere) Gaben von Arsen über einen längeren Zeitraum zur Gewöhnung an das Gift führen und nicht zu “Vergiftungssymptomen”.
Nachtrag, 06.10.2019, 19:30 Uhr
Recht bedacht, wiederholen hier die Beschwerdeführer einen der krassesten Fehler von Samuel Hahnemann höchstpersönlich, mit dem er in der Tat sozusagen jedem Stoff eine “Wirkung” zuschrieb. Ich zitiere mich – man möge es mir nachsehen – der Einfachheit einmal selbst, um diesen Gedanken zu illustrieren:
“Von den 65 homöopathischen Mitteln, die in Hahnemanns erster Materia medica verzeichnet waren, gab es nur ein einziges Mittel, das als solches zur Heilung einer Krankheit tatsächlich geeignet war: die Chinarinde. Seine „Erfahrung“ damit setzte Hahnemann nun gleich mit zwar physiologisch wirkenden (symptomauslösenden) Mitteln wie Atropin und Belladonna, die aber nicht zur Heilung einer Krankheit geeignet sind. So geriet Hahnemann über den Trugschluss des „Naturgesetzes“ des Ähnlichkeitsprinzips zu den Symptomen statt zu den Krankheiten. Er begann, den bekannten physiologischen Effekten von z.B. Opium, Belladonna oder Atropin durch die scheinlogische Anwendung seines Simileprinzips eine kurative Wirkung auf alle Symptomatiken zuzuschreiben, die denen bei der Einnahme dieser Mittel ähnelten. Die Abkehr von einem kategorisierbaren Krankheitsbegriff (den er für den Rest seines Lebens ableugnete) war damit vollzogen. Homöopathie wurde zur Symptomentherapie, die sich um Ursprünge von Krankheiten nicht schert (was seltsamerweise umgekehrt ein häufiger Vorwurf von Homöopathen gegenüber der wissenschaftlichen Medizin ist). Eine Ironie, dass er zum Fehlschluss des Ähnlichkeitsprinzips ausgerechnet über einen Versuch mit einem der ganz wenigen Mittel kam, die zu seiner Zeit tatsächlich eine kurative Wirkung hatten!”
Aus: Hahnemanns Chinarindenversuch – Grundirrtum statt Grundlegung, veröffentlicht am 16.04.2019 auf wissenbloggt.de .
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