I

Auf diesem Blog ist schon reichlich viel zum Thema „Impfen“ erschienen, Grundsätzliches ebenso wie aus aktuellen Anlässen heraus. Ich bilde mir nicht ein, hiermit die Impfgegner-Szene irgendwie beeinflusst, aber vielleicht ein Fünkchen Licht in die Debatte gebracht zu haben

Im Abstand von über einem Jahr zu Andrew Wakefields faktischem Scheitern in Deutschland und Europa mit seinem Machwerk „Vaxxed“ wird nun ersichtlich eine Front der Impfgegnerschaft aktiver, die aus einer anderen „ideologischen Ecke“ kommt: Aus der der Anthroposophie. Deren Paradepferd ist die berühmte „eigenverantwortliche Impfentscheidung“, die es entgegen den angeblich interessengeleiteten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, einer angeblich korrupten Ärzteschaft und fehlinformierten Eltern hochzuhalten gelte. Welche Kriterien bei einer solchen „eigenverantwortlichen Impfentscheidung“ gültig sein sollen, beanspruchen natürlich die von diesem Gedanken – und durchweg von der anthroposophischen Lehre – beseelten Mitglieder der Ärzteschaft. Und entpuppen sich damit nicht als Skeptiker, sondern als ideologisch verblendete Impfgegner reinsten Wassers. Zu der Frage, was solche Leute innerhalb des ärztlichen Standes zu suchen haben, lasse ich mich nicht weiter aus. Was zur Sache selbst anzumerken ist, enthält ausreichend deutlich dieser Blogbeitrag.

Als aktuelles Beispiel mag gelten, dass die Rhein-Neckar-Zeitung, ein nicht unbedeutendes Regionalblatt, heute einem solchen anthroposophisch-impf“skeptischen“ Arzt eine Plattform gegeben hat, einem Herrn, der auf seiner Praxishomepage mitteilt, Kassenpatienten könne er derzeit nicht neu aufnehmen – mit Ausnahme impfkritischer Eltern, denen er die Indoktrination bei diesen lästigen Kinderärzten ersparen wolle. Mir fehlen nicht nur die Worte, mir fehlt langsam auch die skeptische Fassung. Dürfen wir in der Rhein-Neckar-Zeitung in der nächsten Woche die Ausführungen eines Flache-Erde-Proponenten lesen? In der übernächsten Woche dann Krebsheilung mit Backpulver (kein Witz, leider)? Unwissenheit? Falsche “Ausgewogenheit”? Fishing for headlines?

NACHTRAG (05.06.2018): Ich freue mich sehr, dass die RNZ sich auf Twitter inzwischen selbstkritisch äußert und die Veröffentlichung einer kritischen Position zum Impfgegnerwesen ankündigt! Warten wir’s ab!
2. NACHTRAG (06.06.2018): Die RNZ hat einen umfangreichen Bericht über die sehr kritischen Reaktionen auf den Impfgegner-Arzt und seine Thesen in der Region – von Kinderärzten, Allgemeinärzten und Vertretern des öffentlichen Gesundheitswesens – veröffentlicht. Das darf man sicher sehr anerkennend erwähnen. Wenn die RNZ künftig auch noch von ihrer Neigung zu unangemessener Ausgewogenheit ablässt (“Meinung”… “wird schon lange diskutiert”…), dann wäre das eine feine Sache.

Offenbar gibt es durchaus so etwas wie eine Offensive mit dem Ziel einer Erhöhung der Verunsicherung in der Bevölkerung und mehr Rückenwind für die eigene Position. So gibt es z.B. auch einen „Familienfilm“, der auf perfide Art und Weise die Fehlinformationen der Vertreter einer „eigenverantwortlichen Impfentscheidung“ in ein Kino-Unterhaltungsformat packt. Es ist offenbar gelungen, einen sich selbst für „kritisch“ haltenden Filmemacher vor die Karre zu spannen. Ich werde hier weder den Titel des Filmes nennen noch einen Link setzen, um diesem Werk nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. In den Kinos ist ihm offenbar solche Aufmerksamkeit auch nicht zuteil geworden – glücklicherweise.

Der eigentliche „Nachfolger“ des Vaxxed-Machwerks von Wakefield ist der Film „A man made epidemic“, ein Lügenwerk über die Ursachen von Autismus, der Impfen nicht als alleiniges Thema behandelt, aber die unsägliche These vom Zusammenhang von Autismus und Impfen wieder aufwärmt. Vor allem aber ist dieses Machwerk ein weiterer Schlag aller von Autismus Betroffenen, indem er dieses längst als neurologisch bedingte Entwicklungsstörung identifizierte Phänomen wie eine Infektionskrankheit simplifizierend auf allerlei äußere Einflüsse zurückführt und auf völlig unwissenschaftliche Art unbegründete Schlüsse zieht, dass es einem die Schuhe auszieht. Deutsche Qualitätsproduktion…

II

Aber all das sei nicht näher beleuchtet. Vielmehr geht es mir heute darum, Verständnis dafür zu wecken, was eigentlich für eine ideologische Verblendung hinter den anthroposophischen Ausfällen gegen das Impfen steht. Nun, mir ist klar, dass sie jetzt damit kommen würden, sie seien ja gar nicht „grundsätzlich“ gegen das Impfen… ja, ja, klar. Geschenkt.

Zum Grundverständnis des Verhältnisses von Anthroposophie und Medizin bedarf es einer kurzgefassten Einführung:

Bei der Anthroposophie handelt es sich um eine gänzlich auf okkult-esoterischem Gedankengut aufbauende Lehre, begründet von einer einzelnen Person, Rudolf Steiner. Seine Lehren gehen auf “hellseherische Eingebungen” zurück, der “okkulten Schau” der berühmten Akasha-Chronik, die Steiner alle Weltgeheimnisse offenbart haben soll. Wissenschaftlichkeit im üblichen Sinne des Wortes beansprucht die Anthroposophie gar nicht, sie sieht sich vielmehr selbst als “die” Wissenschaft, die komplett an die Stelle der “klassischen” Wissenschaft treten – sie assimilieren – will, mit eigenem Welterklärungsanspruch. Sie bezeichnet sich selbst als “Geisteswissenschaft”. Aber nicht in dem Sinne, wie Geschichte, Sprachen oder Philosophie Geisteswissenschaften sind, sondern im Sinne der “wirklichen, wahren Wissenschaft”, deren Grundlage die “geistige Schau” ist und nicht die naturwissenschaftliche Methode. Alle Ausdeutungen der anthroposophischen Lehre, auch die anthroposophische Medizin, greifen im Kern auf Steiners esoterische Weltschau zurück und bedienen sich nicht falsifizierbarer esoterischer Grundgedanken, sind also als scheinwissenschaftlich einzuordnen.

Nach der Steinerschen Lehre ist das harmonische Zusammenwirken der vier „Wesensglieder“ bestimmend für Gesundheit und Krankheit eines Menschen. Voraussetzung für eine solche Harmonie ist ein spirituelles Leben nach anthroposophischen Vorstellungen und Regeln. Krankheit entsteht, wenn das harmonische Gleichgewicht der Wesensglieder zueinander gestört ist. Wir sehen – so weit ist die Anthroposophie von den fernöstlichen Vorstellungen einer gestörten Lebensenergie (Chi, Ki) gar nicht entfernt. Ebenso wenig fehlt der Aspekt, den Kranken für seine Krankheit selbst verantwortlich zu machen, da er wohl nicht genug für sein eigenes persönliches Gleichgewicht tue (sprich die Anweisungen der Lehre nicht ausreichend befolge) – ein besonders verwerflicher Aspekt okkulter Krankheitslehren.

III

Steiner, der Meister des bodenhaftungslosen Neookkultismus, sah im Impfen der Mediziner die Grundlage für den „Seelenverlust“ des Menschen. Ich bitte um Entschuldigung, den geneigten Leser mit seinen kaum ertragbaren Elogen belästigen zu müssen, aber nichts macht mein Anliegen deutlicher als der Steinersche Originaltext.

Impfen als Seelenmord

“Die Seele wird man abschaffen durch ein Arzneimittel. Man wird aus einer “gesunden Anschauung” heraus einen Impfstoff finden, durch den der Organismus so bearbeitet wird in möglichst früher Jugend, möglichst gleich bei der Geburt, dass dieser menschliche Leib nicht zu dem Gedanken kommt: Es gibt eine Seele und einen Geist. – So scharf werden sich die beiden Weltanschauungsströmungen gegenübertreten.

Die eine wird nachzudenken haben, wie Begriffe und Vorstellungen auszubilden sind, damit sie der realen Wirklichkeit, der Geist- und Seelenwirklichkeit gewachsen sind. Die andern, die Nachfolger der heutigen Materialisten, werden den Impfstoff suchen, der den Körper gesund” macht, das heißt so macht, dass dieser Körper durch seine Konstitution nicht mehr von solch albernen Dingen redet wie von Seele und Geist, sondern “gesund” redet von den Kräften, die in Maschinen und Chemie leben, die im Weltennebel Planeten und Sonnen konstituieren. Das wird man durch körperliche Prozeduren herbeiführen. Den materialistischen Medizinern wird man es übergeben, die Seelen auszutreiben aus der Menschheit.”

Quelle: Steiner, Gesamtausgabe Buch 177, S. 97f., Vorträge in Dornach vom 29. September bis 28. Oktober 1917.

Und:

Ich habe Ihnen gesagt, daß die Geister der Finsternis ihre Kostgeber, die Menschen, in denen sie wohnen werden, dazu inspirieren werden, sogar ein Impfmittel zu finden, um den Seelen schon in frühester Jugend auf dem Umwege durch die Leiblichkeit die Hinneigung zur Spiritualität auszutreiben. Wie man heute die Leiber impft gegen dies und jenes, so wird man zukünftig die Kinder mit einem Stoff impfen, der durchaus hergestellt werden kann, so daß durch diese Impfung die Menschen gefeit sein werden, die «Narrheiten» des spirituellen Lebens nicht aus sich heraus zu entwickeln, Narrheiten selbstverständlich im materialistischen Sinne gesprochen.

Quelle: Steiner, Gesamtausgabe Buch 177, S. 97f., Vorträge in Dornach vom 29. September bis 28. Oktober 1917.

Ich werde mich nicht in langen Kommentaren dazu ergehen. Ich möchte nur, dass meine Leser sich einfach selbst die Frage stellen: Kann man Menschen, die einer derart verblendeten okkulten, letztlich menschenverachtenden „Lehre“ anhängen und sich als wissenschaftlich ausgebildete Mediziner dem unterordnen, als Ärzten Vertrauen schenken?

Vielleicht wird jetzt besser verstanden, was es mit all den Vorstößen unter der Flagge der „eigenverantwortlichen Impfentscheidung“ auf sich hat. Liebe Leserinnen und Leser, liebe Eltern, geht diesen okkulten Bauernfängern nicht auf den Leim!


Zum Weiterlesen: Filmkritik zu “A man made epidemic” auf dem Blog “Diaphanoskopie”: https://diaphanoskopie.wordpress.com/2017/05/04/a-man-made-epidemic-2/

Ausführlicher zum Thema habe ich beim Humanistischen Pressedienst veröffentlicht:
https://hpd.de/artikel/eigenverantwortliche-impfentscheidung-wirklich-15883

Und wer gute Nerven hat und einmal die anthroposophische Sicht „authentisch“ erleben will, für den ist dieser Link gedacht:
https://www.erziehungskunst.de/artikel/fruehe-kindheit/masern-zwischen-mut-und-meinung/


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