Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Bundesanzeiger vom 22.12.2017 die neuen „Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärterinnen und -anwärtern“ vom 7. Dezember 2017 bekannt gegeben. Die Leitlinien treten am 22. März 2018 in Kraft.

Damit ist der Auftrag, der im Zusammenhang mit der Miniänderung durch das 3. Pflegestärkungsgesetz ergangen ist, der Form nach erfüllt. Und jetzt? Ist so ziemlich das eingetreten, was an dieser Stelle dazu prognostiziert worden ist.
Ich möchte mich hier auf einen, vielleicht den zentralen Kritikpunkt des Entwurfes beschränken, der allein für sich schon in grellem Licht zeigt, wie mangelhaft, mit wie wenig Problembewusstsein (oder ohne eine sinnvolle Idee für eine Neuregelung gehabt zu haben) diese grandiose “Reform” ausgearbeitet wurde.
Es ist nämlich durchgängig im Text keineswegs davon die Rede, dass objektive Kenntnisse und Fähigkeiten in diesen Bereichen vorliegen müssen. Keineswegs! Man beachte die verwendete Terminologie. Ständig heißt es “… die für den Heilpraktikerberuf … notwendigen Kenntnisse …”.
Zunächst mag man beeindruckt sein, was für Kenntnisse der Prüfling vorweisen können muss. Beim genauen Hinschauen zeigt sich eine Relativierung nach der anderen:
- Die antragstellende Person verfügt über die für eine Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse in der medizinischen Fachterminologie.
- Die antragstellende Person verfügt über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse der Anatomie, pathologischen Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie sowie Pharmakologie.
- Die antragstellende Person verfügt über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse der allgemeinen Krankheitslehre sowie akuter und chronischer Schmerzzustände.
- Die antragstellende Person verfügt über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse zur Erkennung und Behandlung von physischen und psychischen Erkrankungen bei Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen, insbesondere in den Bereichen von … (es folgt eine Aufzählung von 17 verschiedenen fachmedizinischen Bereichen, von hämatologischen und onkologischen bis hin zu geriatrischen und endokrinologischen Krankheitsbildern).
Und so weiter…
Nun, stünden diese Relativierungen nicht da, so müsste man schließen, dass neuerdings für den Heilpraktikerstand ein vollständiges Medizinstudium mit dem Erwerb der Zusatzbezeichnung “Heilpraktiker” angedacht wäre… Aber nein. Davon war man offensichtlich weit entfernt und hat mal wieder seine Zuflucht zu verbaler Akrobatik gesucht. Was sind denn diese “zur Ausübung des Heilpraktikerberufes notwendigen Kenntnisse”? Jurististisch gesehen, handelt es sich hier um unbestimmte Rechtsbegriffe, der aller Erfahrung nach in der Praxis noch viel Freude machen werden. Tatsächlich betrachtet, handelt es sich hier um die in juristische Begriffe gegossene “zweite Medizin”, deren Imaginierung durch den Gesetzgeber schon bisher das Hauptproblem war – und hier auch noch fortgeführt wird. Der Kardinalfehler wird noch überhöht und gleichzeitig mit Camouflage bedeckt: ist es vorstellbar, dass man einen Gesundheitsberuf zulässt, der explizit nicht das Wissen des umfangreichen Medizinstudiums haben muss, sondern „irgendeines“ darunter? Führt das nicht zwangsläufig dazu, dass der Heilpraktiker nicht über das Wissen verfügen kann, welche Möglichkeiten überhaupt der Stand der medizinischen Wissenschaft im einzelnen Behandlungsfall bietet? Und ist er dadurch nicht von vornherein daran gehindert, dem Patienten die, wie es die Rechtsprechung verlangt, für sein Leiden bestmögliche Therapie anzubieten?
Merkt eigentlich niemand, in was für einem Maße hier das eigentliche Hauptproblem des Heilpraktikerwesens, die “zweite Medizin” neben der wissenschaftlichen, in jahrelangem Studium gelehrten Medizin, geradezu festgeschrieben wird? Wie rechtfertigt der Gesetzgeber eine nun auch noch explizit als solche definierte “Medizin light” (im besten Falle!) als “Alternative” zur Ausübung der Heilkunde aufgrund eines akademischen langjährigen Studiums, vieler Prüfungen und der Verpflichtung zur ständigen Fortbildung? Das IST nicht zu rechtfertigen!
Und welchen Sinn hat es, in die Prüfungsrichtlinien derartige Spezifizierungen einzuführen, ohne dass dem eine präzise Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschaltet ist, die zunächst einmal den Ausbildungsgang regelt? Keinen! Es wird nur noch grotesker als vorher, wenn fachliche Kenntnisse in Gebieten wie Onkologie, Endokrinologie und Hämatologie zum Prüfungsgegenstand werden, die Ausbildung dafür jedoch ungeregelt, ja sogar der Autodidaktik überlassen bleibt!
Und deshalb ist dieser Richtlinienentwurf eine Beruhigungspille homöopathischen Ausmaßes für alle, die sich der Problematik des Heilpraktikerstandes wirklich bewusst sind. Er schreibt das Grundproblem fest, statt es zu lösen. Dass der Wille zu grundlegenden Schritten fehlt, zeigt sich ja schon darin, dass man die “Kräfte” auf den Teilaspekt der Prüfungsrichtlinien konzentriert statt sich mit der Grundsatzfrage auseinanderzusetzen, ob und vor allem wie man den Heilpraktikerstand überhaupt weiter rechtfertigen will.
Noch etwas zum Schluss: Welche Bedeutung überhaupt hat eine irgendwie an der wissenschaftlichen Medizin ausgerichtete Prüfung, wenn hinterher der Heilpraktiker ohnehin nach eigenem Gusto schalten und walten kann, ihm grundsätzlich jede Scharlatanerie offensteht, es keinen verbindlichen Handlungsrahmen gibt, auf die sich der Patient bei Fehlern berufen kann? Es gibt nach wie vor weder Regeln für die Beschränkung auf bestimmte Therapieverfahren (Positiv- oder Negativlisten), noch für eine Vorab-Diagnosepflicht durch einen Arzt, der Bund deutscher Heilpraktiker zeigt sich zudem hochzufrieden, dass am “Recht” zur Anwendung invasiver Verfahren durch Heilpraktiker nicht gerüttelt wurde. Angesichts dieses „Lobs“ sollte den Verantwortlichen für diese „Reform“ eigentlich angst und bange werden.
Deshalb von mir nur ein Wort für diesen neuen Richtlinienentwurf:
Spiegelfechterei.
Liebes Bundesgesundheitsministerium, vielen Dank für dieses Präsent zum Jahresabschluss. Nun steht jedenfalls fest, dass es weiterhin jeder Bemühung bedarf, diesen Zuständen ein Ende zu machen. Was die Heilpraktikerszene einschließlich ihrer Verbandsvertreter durch ihre Stellungnahmen im Nachgang zum Münsteraner Memorandum selbst deutlich unterstrichen hat, indem sie whataboutism und Diffamierung von Kritik auf ein neues Niveau gehoben haben.
Bildnachweis: Fotolia_143023175
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