Wenn Sprache bedrohlich wird

In den letzten Monaten habe ich immer wieder erlebt, wie Menschen durch Briefe und Mails von Behörden und anderen offiziellen Stellen wie Sozialleistungsträger verunsichert werden – alte wie junge, einfache wie hochgebildete.

Mich beschäftigt das seit Jahrzehnten: Warum macht Verwaltungssprache Angst, anstatt zu helfen? Schon vor mehr als 30 Jahren gab es in der öffentlichen Verwaltung Arbeitsgruppen, die sich um „verständliche Sprache“ in Behördenbescheiden bemühen sollten. Es gab da auch gute Ansätze – die aber immer wieder von juristischen und faktischen Bedenken verschüttet wurden. Und heute, im Zeitalter der Digitalisierung, scheint mir das Problem an Intensität noch deutlich zugenommen zu haben.

Warum geraten Menschen geradezu in Panik, wenn ein Schreiben von einer Behörde; einem Sozialleistungsträger oder einer Versicherung kommt – selbst wenn es am Ende nur um eine harmlose Rückfrage geht?

Ich kenne Ärztinnen, Akademiker, Berufstätige – Menschen mitten im Leben –, die regelrecht zusammenzucken, wenn (mal wieder) ein Brief vom Amt im Kasten liegt. Eine von ihnen nannte es einmal „Briefangst“. Ein treffenderes Wort gibt es kaum.

Diese Angst hat nichts mit Unfähigkeit zu tun, sondern mit der Art, wie heute kommuniziert wird.

Wenn korrekte Sprache Panik macht

Viele Schreiben sind gar nicht mehr dafür gedacht, etwas verständlich zu erklären, sondern nur noch, etwas formal und jurisitisch korrekt mitzuteilen. Natürlich ist das eine Reflexion einer oft komplizierten Rechtslage. Das Ergebnis: perfekte Verwaltungssprache, aber katastrophale Wirkung.

Schon der erste Satz klingt oft wie ein Vorwurf:

„Ihr Anliegen konnte leider nicht abschließend bearbeitet werden.“

Oder noch absurder:

„Sie erhalten dieses Schreiben, um Sie auf eine demnächst folgende Mitteilung hinzuweisen.“

Kein Witz. Letzteres ist sogar als „Bürgerservice“ gemeint. Wer solche Zeilen liest, fühlt sich sofort schuldig – auch wenn am Ende gar nichts Schlimmes gemeint ist.

Gut gemeint ist die kleine Schwester von schlecht gemacht

Manche Behörden versuchen inzwischen, bürgernäher zu schreiben. Doch der Schuss geht häufig nach hinten los.

Wenn plötzlich ein Brief in der Ich-Form erscheint – „Ich habe Ihren Antrag geprüft und festgestellt, dass mir für eine Entscheidung noch folgende Unterlagen fehlen“ –, wirkt das nicht freundlicher, sondern persönlicher in einem unangenehmen Sinn: als würde jetzt ein Mensch, nicht ein System, über das eigene Leben urteilen – eine Art personifiziertes Machtzentrum, das man als bedrohlicher empfindet als „das Amt“.

Hinzu kommt die Automatisierung.

Viele Briefe stammen längst nicht mehr von Menschen, sondern aus Rechenzentren, die standardisierte Textbausteine zusammenfügen. Da wird dann ein Satz über „fehlende Unterlagen“ eingefügt, obwohl längst alles vorliegt – einfach, weil das System so programmiert ist.

Das Ergebnis: Menschen, die nichts falsch gemacht haben, glauben plötzlich, sie stünden kurz vor einer Strafe oder Leistungskürzung. Und mehr: Ich habe Bescheide mit Textbausteinen gesehen, die die Empfänger zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen aufzufordern scheinen – oder es womöglich wirklich taten? Wer sich damit beruhigt, das könne ja auf den eigenen Fall nicht zutreffen, sei gewarnt. Es gibt viele formale Fußangeln, in die man schnell hineintritt, ohne dass sie einen wirklich nachvollziehbaren Hintergrund hätten. Das Sozialgesetzbuch beispielsweise ist in seinen Zusammenhängen der zahlreichen „Bücher“ ein Drahtverhau für Spezialisten.

Bürgergeld, Bürokratie und Lebenswirklichkeit

Besonders deutlich zeigt sich das derzeit bei den Regelungen rund um das Bürgergeld – aber auch ganz allgemein rund um Leistungen des Sozialsystems. Denn genau dort zeigt sich das Problem am deutlichsten: Wenn man ohnehin schon unter Druck steht – finanziell, gesundheitlich oder psychisch – und dann auf eine unverständliche, drohend klingende Verwaltungswelt trifft, kann das existenzielle Folgen haben.

Viele der Menschen, die auf geringe und/oder befristete Leistungen angewiesen sind, leben ohnehin unter großem Druck – gesundheitlich, sozial, oft auch psychisch. Sie sind auf Unterstützung angewiesen, müssen aber gleichzeitig mit Formularen, Fristen und Belehrungen kämpfen, die sie schlicht überfordern. Wenn dann ein Brief vom Jobcenter kommt, womöglich mit fett gedruckter Frist und unverständlichen Paragraphen, reicht schon ein kleiner Fehler, um in echte Not zu geraten.

Und wer drei Einladungen „nicht wahrnimmt“, wird schnell als „unwillig“ eingestuft – dabei steckt oft nichts anderes dahinter als Angst, Überforderung oder Scham. Diese Schwelle ist schneller erreicht, als unser Bundeskanzuler „Bürgergeld“ sagen kann.

Hier prallen zwei Welten aufeinander: Die der Technokraten, die Abläufe regeln wollen – und die der Menschen, deren Alltag längst von Papierbergen und Formularsprache überwuchert ist.

Wer solche Lebenslagen wirklich kennt, weiß: Es fehlt nicht an Willen, sondern an Verstehen, an Zeit, an Vertrauen. Ja, an Fürsorge.

Und genau deshalb ist eine verständliche, respektvolle Sprache kein Luxus, sondern eine soziale Notwendigkeit. Das wäre ein wesentlicher Schritt für das von der Regierung angestoßene Entbürokratisierungsprojekt. Aber es wird gar nicht so leicht zu erreichen sein, was uns aber nicht hindern sollte, einmal einfach anzufangen. Denn es geht um Würde, um Vermeidung von Vertrauensverlust, um Lebensqualität insbesondere bei ohnehin beeinträchtigten Menschen.

Sprache ist Haltung

Wir sollten endlich aufhören, die Auswirkungen einer „Briefangst“ bei vulnerablen Menschen als „Nachlässigkeit“ oder „mangelnde Mitwirkung“ abzutun. In Wahrheit ist es eine Schutzreaktion auf eine Kommunikation, die emotional überfordert.

Eine bürgerfreundliche Verwaltung beginnt nicht mit neuen Formularen, sondern mit der Frage: Wie fühlt sich das an, was wir da verschicken?

Ein Brief sollte informieren, nicht erschrecken.

Er sollte Vertrauen schaffen, nicht Stress.

Und wer das erreicht, der handelt wahrhaft bürgerfreundlich.