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Femizid als eigener Straftatbestand?


Warum rechtsstaatliche Maßstäbe nicht dem Entsetzen weichen dürfen

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die Tötung von Frauen durch Männer, oft aus Besitzdenken, Kontrolle oder Frauenverachtung, ist eine grausame, unerträgliche Realität. Dass sich Petitionen häufen, die einen eigenen Straftatbestand „Femizid“ fordern, ist Ausdruck berechtigter gesellschaftlicher Empörung. Doch die unverblümte Zielsetzung, dadurch mehr Mordverurteilungen zu erreichen, wirft rechtssystematisch schwierige Fragen auf – und droht, das Strafrecht zum Ort symbolischer Überkompensation zu machen.

Das Problem: Ein Mordmerkmal, das auf das Opfer abstellt

Ein eigener Straftatbestand „Femizid“ würde faktisch ein neues Mordmerkmal einführen – eines, das allein auf das Geschlecht des Opfers zielt. Das widerspricht der Grundstruktur des Strafrechts, das primär das Verhalten des Täters bewertet, nicht die Eigenschaften des Opfers. Ein solches Merkmal wäre mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) schwer vereinbar – und würde die Tür öffnen für eine Opferhierarchie im Strafrecht.

Der konstruktive Weg: Niedrige Beweggründe präzisieren

Statt neue Tatbestände zu schaffen, sollte das geltende Recht konsequent angewendet und geschärft werden. Der Mordtatbestand (§ 211 StGB) kennt bereits das Merkmal der „niedrigen Beweggründe“. Hier könnte eine Täterhaltung, die von genereller Frauenverachtung oder geschlechtsbezogener Überlegenheitsattitüde geprägt ist, systematisch als niedriger Beweggrund gewertet werden – und damit zu einer Mordverurteilung führen.

Das setzt voraus, dass Ermittlungsbehörden und Gerichte bereit sind, solche Motive sichtbar zu machen und zu würdigen. Es verlangt keine neue Gesetzgebung, sondern eine rechtsstaatlich fundierte Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Gewaltmotive.

Ethik und Anstand: Catcalling gehört bestraft – aber nicht alles gehört ins Recht der Tötungsdelikte

Die Forderung, Catcalling nach dem Beispiel anderer Länder unter Strafe zu stellen, ist berechtigt. Wer Frauen öffentlich herabwürdigt, zeigt einen Mangel an Anstand, der gesellschaftlich nicht toleriert werden darf.

Doch das lässt sich nicht dahin erweitern, dass jede Form von Frauenverachtung in den Mordtatbestand überführt werden kann. Das Strafrecht muss Maß halten – gerade dann, wenn die Empörung groß ist.

Maßstäbe bewahren, Empörung ernst nehmen

Die Idee eines eigenen Straftatbestands „Femizid“ ist ethisch verständlich, aber rechtssystematisch riskant. Wer das Strafrecht mit Symbolpolitik überfrachtet, gefährdet seine Klarheit und Legitimität. Der bessere Weg liegt in der konsequenten Anwendung bestehender Normen, in der sichtbaren Würdigung geschlechtsspezifischer Motive, und in der gesellschaftlichen Ächtung von Frauenverachtung – jenseits des Strafrechts.

Die Bestrafung muss in das den Strafprozess beherrschende Prinzip der individuellen Schuld des Täters eingeordnet bleiben. Ein eigener Straftatbestand ‚Femizid‘ als sozusagen vorgängigGeltung beanspruchendes Tatmerkmal würde dieses Prinzip durchbrechen – und damit auch das rechtsstaatliche Fundament, auf dem unser Strafrecht ruht. Er wäre eine lex specialis, ein Fallgesetz, das die allgemeine Norm verlässt und eine Opferkategorie privilegiert. Wer das fordert, mag es gut meinen – aber er gefährdet die Maßstäbe, die uns vor Willkür schützen.


Materialien

Aktuelle Petitionen und politische Initiativen

  • Petition 179413 im Bundestag fordert die Einführung eines eigenständigen Straftatbestands „Femizid“ mit dem Ziel, geschlechtsspezifische Tötungen besser zu erfassen und härter zu bestrafen.
  • ZWD Politikmagazin berichtet über weitere Petitionen, die höhere Strafen für Sexualdelikte und die Anerkennung von Femiziden verlangen – mit Verweis auf internationale Vorbilder wie Mexiko und Argentinien.
  • Das BKA hat 2023 erstmals ein Lagebild geschlechtsspezifischer Gewalt veröffentlicht. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbeitet derzeit an einer polizeilichen Definition des Begriffs „Femizid“, Ergebnisse werden für 2026 erwartet.

Rechtsprechung und juristische Bewertung

  • Eine F.A.Z.-Recherche analysierte 62 Fälle geschlechtsspezifischer Tötungen. Ergebnis: Nur 11 wurden als Mord aus niedrigen Beweggründen gewertet, 23 als Totschlag. Die Bewertung hängt stark davon ab, ob Richter:innen Besitzdenken oder bloße Wut erkennen.
  • Der Deutsche Juristinnenbund (djb) fordert verpflichtende Fortbildungen für Richter:innen und Staatsanwält:innen zu geschlechtsbezogener Gewalt, um die Anwendung bestehender Mordmerkmale zu verbessern.
  • Im Fall Köln-Niehl verurteilte das LG Köln einen Täter wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen, weil er seine Ex-Freundin und den gemeinsamen Sohn als „Störfaktoren“ für sein Leben betrachtete.
  • Der BGH stellte 2008 klar, dass die Täter-Opfer-Beziehung nicht automatisch zu niedrigen Beweggründen führt – eine differenzierte Bewertung ist erforderlich (Az. 2 StR 349/08).

Quellen:

MSN – BKA-Arbeitsgruppe zu Femizid
Petition 179413 – Femizid als Straftatbestand
ZWD – Petitionen zu Femizid und Sexualdelikten
Anwaltsblatt – Uneinheitliche Rechtsprechung bei Femiziden
LTO – LG Köln: Mord aus niedrigen Beweggründen


Unbedingt empfehlenswert Thomas Fischers Differenzierung zwischen kriminologischen und juristischen Kategorien bei der Diskussion über Femizide (frei lesbar).


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  1. Dani W

    Grundsätzlich würde ich dem zustimmen.

    Gleichzeitig jedoch: Femizide als sozial besonders relevante Variante von Mord ins Strafrecht einzuführen, macht in meinen Augen jedoch deswegen Sinn, weil Ermittlunsgbehörden und Gerichte eben oft nicht bereit sind […] eine Täterhaltung, die von genereller Frauenverachtung oder geschlechtsbezogener Überlegenheitsattitüde geprägt ist“ als solche zu erkennen und anzuerkennen.

    Das Zitat könnte ziemlich genau so als Klarstellung/Ausführungsbestimmung bzgl. „niedriger Beweggründe“ in §211 StGB ergänzt werden. Damit würden Femizide bzw. geschlechtsbezogene Morde (die prinzipiell auch auf ermordete nonbinäre/intergeschlechtliche Personen und Männer anwendbar wären) als informeller Tatbestand (aber rechtlich nicht eigenständiger) ins Gesetz aufgenommen und könnte nicht ungeprüft bleiben. Das würde wiederum Ermittlungsbehörden und Rechtssprechung unter Zugzwang setzen, sich die entsprechende Expertise anzueignen.

  2. Vielen Dank für deinen Beitrag – ich teile die Sorge, dass geschlechtsbezogene Tatmotive in Ermittlungen und Urteilen oft nicht hinreichend erkannt oder gewürdigt werden. Dein Vorschlag, eine „informelle“ Klarstellung im Gesetz vorzunehmen, zielt auf mehr Sensibilität und Verbindlichkeit – das ist nachvollziehbar und politisch verständlich.

    Aus rechtsdogmatischer Sicht allerdings bleibt die Sache mehr als heikel. Eine gesetzliche „Klarstellung“, die faktisch einen neuen Tatbestand schafft, würde zentrale Prinzipien des Strafrechts verletzen:

    – Das Bestimmtheitsgebot verlangt, dass strafrechtliche Normen klar und vorhersehbar sind. Eine Formulierung, die einen „informellen Tatbestand“ nahelegt, wäre verfassungsrechtlich problematisch.

    – Auch das Verbot der lex specialis würde unterlaufen – denn selbst ohne eigenen Paragraph bliebe die Hervorhebung ein Sonderweg, der die Gleichbehandlung untergräbt.

    – Und vor allem: Die freie Beweiswürdigung des Gerichts darf nicht durch gesetzliche Erwartungshaltungen ersetzt werden. Ein Gericht muss frei bleiben in seiner Bewertung – auch bei geschlechtsbezogenen Motiven.

    Der einzig tragfähige Weg bleibt daher die Entwicklung einer „gefestigten Rechtsprechung“, wie sie auch bei anderen Untertatbeständen zu den „niedrigen Beweggründen“ erfolgt ist. Wenn sich die Rechtsprechung in Richtung Femizid als subsumtionsfähige Kategorie bewegt, kann deren Nichtbeachtung revisionsrelevant werden – ohne die dogmatische Architektur des Strafrechts zu beschädigen.

    Kurz gesagt: Ich teile das Anliegen, aber nicht den vorgeschlagenen Weg. Die rechtsstaatliche Antwort liegt nicht in der symbolischen Gesetzesformulierung, sondern in der konsequenten Anwendung und Weiterentwicklung der bestehenden Dogmatik.

    Gerade im Strafrecht – mit seiner besonders hohen Eingriffstiefe in Freiheit und Würde – gelten strenge rechtsdogmatische Anforderungen an jede gesetzliche Regelung. Das ist kein Ausdruck von juristischer Sturheit, sondern ein Schutzmechanismus: gegen Willkür, gegen politische Symbolgesetzgebung, gegen die Versuchung, gesellschaftliche Erwartungen in strafrechtliche Automatismen zu übersetzen, was leicht in Richtung „Gesinnungsstrafrecht“ führen könnte.

    Zu schützen ist deshalb die Integrität des Strafrechts selbst – und damit das Vertrauen in ein System, das nicht auf Stimmung, sondern auf Struktur beruht.

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