Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Schlagwort: Erkenntnis

Erkenntnis, Relativismus und die Krise des Diskurses (Erkenntnisrelativismus Teil 1)

Die Krise des Diskurses durch den Relativismus (Microsoft Copilot)

Einleitung

In den letzten Jahrzehnten haben sich Diskurse über Wahrheit, Wissen und Erkenntnis zunehmend polarisiert. Während klassische wissenschaftliche Methoden auf objektive Überprüfbarkeit setzen, haben Strömungen aus der postmodernen Philosophie und den Cultural Studies Konzepte entwickelt, die objektive Wahrheit als Konstrukt hinterfragen. Dieser erkenntnistheoretische Relativismus hat nicht nur den akademischen Diskurs beeinflusst, sondern auch politische Debatten, Medien und den gesellschaftlichen Umgang mit Wissenschaft geprägt.

Was zunächst als berechtigter Reflex auf wissenschaftlichen Dogmatismus und Machtstrukturen begann, hat sich in manchen Bereichen zu einer Herausforderung für den wissenschaftlichen Diskurs selbst entwickelt: Wenn alle Wahrheiten als gleichwertige Narrative gelten, verliert Wissenschaft ihre normative Kraft. Doch ist dieser Vorwurf gerechtfertigt? Haben Philosophen wie Kuhn, Foucault oder Derrida tatsächlich eine radikal relativistische Position vertreten – oder wurden sie vereinnahmt? Diesen Fragen soll eine kleine Artikelserie nachgehen, deren erster Teil dieser Beitrag ist.

Kritischer Rationalismus vs. Relativismus: Zwei gegensätzliche Erkenntnishaltungen

Die Frage, wie wir zu Wissen gelangen, ist eine der grundlegendsten philosophischen Debatten. Zwei einflussreiche Positionen, die sich hierbei gegenüberstehen, sind der kritische Rationalismus und relativistische Erkenntnistheorien.

Der kritische Rationalismus, geprägt durch Karl Popper, geht davon aus, dass Wissen immer vorläufig ist und sich nur durch kritische Prüfung und Falsifikation weiterentwickeln kann. Anstatt nach absoluter Gewissheit zu streben, setzt er auf einen offenen Diskurs, in dem Theorien so lange als brauchbar gelten, bis sie widerlegt werden. Wahrheit bleibt ein regulatives Ideal, das wir bestenfalls annähern, aber nie endgültig erreichen können (jedenfalls nicht erkennen können, sollten wir sie zufällig einmal wirklich getroffen haben). Zentraler Grundgedanke ist der Fallibilismus, also der Grundsatz, dass wir uns jederzeit und immer irren können.

Demgegenüber stehen relativistische Ansätze, die den Wahrheitsbegriff entweder aufweichen oder gar ablehnen. In ihrer radikalsten Form argumentieren sie, dass Wissen nicht objektiv, sondern immer nur innerhalb eines bestimmten sozialen, kulturellen oder sprachlichen Kontextes gültig sei. Wissenschaftliche Theorien hätten demnach keinen höheren Anspruch auf Wahrheit als andere Weltbilder – sie seien lediglich Produkte ihrer Zeit, geprägt von Machtstrukturen und gesellschaftlichen Konventionen.

Diese Gegenüberstellung ist keineswegs nur ein akademischer Disput, sondern hat weitreichende Folgen. Der kritische Rationalismus ermöglicht eine robuste wissenschaftliche Methodik, die sich durch Selbstkorrektur und Fortschritt auszeichnet. Der Relativismus hingegen läuft Gefahr, wissenschaftliche Erkenntnisse zu entwerten, indem er sie als bloße Narrative behandelt, die neben Mythen oder Ideologien stehen. In einer Zeit, in der Verschwörungstheorien und Wissenschaftsleugnung florieren, ist diese Debatte aktueller denn je.

Relativismus – ein verkappter Anthropozentrismus?

Ist die epistemologische Leugnung der Existenz objektiven Wissens nicht eine Art Anthropozentrismus? Will sagen, der Relativismus reduziert doch den Wahrheitsbegriff auf Ausflüsse menschlichen Handelns. Objektive Kritierien scheinen also nicht einmal lohnend, ihnen nachzuspüren. Im Grunde machen die Relativisten es sich doch einfach …

Das ist ein zentraler Kritikpunkt am epistemischen Relativismus: Er setzt Wahrheit mit menschlichen Perspektiven gleich und verneint, dass es sinnvolle Maßstäbe gibt, die außerhalb unserer sozialen und kulturellen Konstruktionen existieren. Das ist im Kern eine Art Anthropozentrismus – denn es läuft darauf hinaus, dass Wissen und Wahrheit letztlich nur das sind, was Menschen in ihren jeweiligen Kontexten dafür halten.

Der kritische Rationalismus geht dagegen davon aus, dass es eine von unseren Meinungen unabhängige Realität gibt, die wir zwar nie vollständig erkennen, aber immer besser verstehen können. Relativisten argumentieren oft, dass jede Erkenntnis immer in Sprache und Kultur eingebettet ist und daher keine übergreifende Objektivität beanspruchen kann. Doch gerade hier machen sie es sich zu einfach: Sie übersehen, dass die bloße Tatsache, dass wir über die Welt nur in menschlichen Begriffen sprechen können, nicht bedeutet, dass es nichts außerhalb dieser Begriffe gibt.

In gewisser Weise könnte man den Relativismus als bequem bezeichnen, weil er den anstrengenden Prozess wissenschaftlicher Falsifikation und methodischer Prüfung unterläuft. Wenn jede Perspektive „ihre eigene Wahrheit“ hat, dann entfällt die Notwendigkeit, sich mit widersprechenden Fakten oder mit methodischer Strenge auseinanderzusetzen. Stattdessen kann jede Behauptung als „kulturell valide“ verteidigt werden – egal, wie gut oder schlecht sie sich mit der Realität verträgt.

Ein schönes Paradoxon ist übrigens, dass der radikale Relativismus sich oft selbst widerlegt: Wenn es keine objektive Wahrheit gibt, dann gilt das auch für die Behauptung, dass es keine objektive Wahrheit gibt. In diesem Sinne ist der Relativismus nicht nur bequem, sondern auch inkonsistent.

Die psychologische Komponente

Es scheint tatsächlich eine psychologische Komponente zu geben, ob jemand eher zum kritischen Rationalismus oder zum Relativismus neigt. Der Relativismus kann für viele Menschen attraktiv sein, weil er vermeintlich „menschlicher“ wirkt – er erlaubt subjektive Erfahrungen, kulturelle Kontexte und emotionale Perspektiven als gleichwertig anzuerkennen, ohne sie an einem übergeordneten Maßstab messen zu müssen. Das kann entlastend sein, weil es den Druck nimmt, sich mit unbequemen Wahrheiten oder methodischer Strenge auseinanderzusetzen. Viele, die sich vom kritischen Rationalismus abwenden, dürften weniger an dessen methodischen oder logischen Prinzipien scheitern, sondern eher an der psychologischen Belastung, die mit ihm einhergeht.

Denn es ist ja durchaus anstrengend, sich auf den schmalen Grat des methodischen Skeptizismus zu begeben, wo man einerseits nichts unkritisch akzeptieren darf, andererseits aber auch nicht in ein völliges Agnostizismus-Chaos abdriften kann. Kritischer Rationalismus verlangt eine Art „intellektuelle Disziplin“, die sich nicht auf Bequemlichkeiten stützt – keine absoluten Wahrheiten, aber auch kein hemmungsloses „anything goes“.

Doch genau da sehe ich eine Parallele zum alten Anthropozentrismus: Früher sah sich der Mensch als Mittelpunkt des Kosmos, heute setzt der Relativismus ihn zum Mittelpunkt der Erkenntnis. Alles, was wir wissen können, wird auf menschliche Perspektiven, Narrative oder Machtstrukturen reduziert. Der kritische Rationalismus geht hingegen davon aus, dass es eine Realität gibt, die unabhängig von unseren Wünschen, Gefühlen oder kulturellen Kontexten existiert. Und das wirkt auf viele abschreckend – eben weil es „kalt und leer“ erscheinen kann, insbesondere im Vergleich zu einer Sichtweise, die Wissen als soziale Konstruktion begreift und damit „wärmer“ und flexibler erscheint.

Aber genau hier liegt die Gefahr: Der Relativismus mag tröstlich wirken, doch er untergräbt die Möglichkeit, überhaupt noch zwischen besseren und schlechteren Erkenntnissen zu unterscheiden. Wenn Wissenschaft nur eine „Erzählung“ unter vielen ist, dann gibt es keinen methodischen Grund mehr, ihr gegenüber Verschwörungstheorien oder Pseudowissenschaften den Vorrang zu geben. Insofern könnte man sagen, dass Relativismus eine bequeme, aber letztlich intellektuell träge Position ist – eine moderne Variante der alten menschlichen Neigung, sich selbst ins Zentrum zu stellen, statt sich der unbequemen Möglichkeit zu stellen, dass Wahrheit eben nicht von uns abhängt.

Kritischer Rationalismus und Skeptizismus

Gleich hier werde ich keinen Hehl daraus machen, dass ich den kritischen Rationalismus als unabdingbare Grundlage eines sinnvollen, realitätsbezogenen und kritischen Skeptizismus ansehe. Ernsthaft betriebene skeptische Aufklärung setzt voraus, sich seiner epistemologischen Grundlagen sicher zu sein. Wie sonst könnte man einer pseudowissenschaftlichen Szene standhalten, die zunehmend selbst epistemologisch argumentiert? Gerade weil Pseudowissenschaftler immer geschickter epistemologisch argumentieren, kann man sich als Skeptiker nicht einfach darauf zurückziehen, dass „wir es doch besser wissen“.

Wenn man den Relativisten und Pseudowissenschaftlern das epistemologische Feld überlässt, dann läuft man Gefahr, nur noch auf Symptome zu reagieren, anstatt die eigentlichen Denkfehler zu entlarven. Das ist, als würde man in einer Debatte über Klimawandel die physikalischen Grundlagen ausblenden und sich nur auf Einzelstudien und Messdaten stützen – ohne eine solide methodologische Basis ist man angreifbar. Oder wie bei den Homöopathen, die immer wieder versuchen, Belege für ihre Scheinmethode anzuführen, ohne deren methodologische Grundlagen kritisch zu betrachten und dabei stets versuchen, den Blick auf eine gesamtwissenschaftliche Betrachtung zu verschleiern. Ganz abgesehen von gelegentlichen Ausflügen in das Reich des epistemologischen Relativismus. Der Erfolg des Postmodernismus zeigt doch genau das Problem: Viele Relativisten sind keine Dummköpfe, sondern sehr versiert in philosophischen Argumentationen. Wer sich dem nicht stellt, wird irgendwann rhetorisch an die Wand gespielt – und genau das passiert ja leider in der öffentlichen Debatte immer wieder.

Deshalb diese kleine Artikelserie in loser Folge, die sich mit dem Antagonismus zwischen Rationalismus und Relativismus auseinandersetzen will.


Wissenschaftliche Skepsis und erkenntnistheoretische Prinzipien

Kompass kaputt?

Auf dem Blog der deutschen Skeptiker (GWUP) ist ein Beitrag („Verschiedene Wahrheitsfindungsmethoden und Standortbestimmung der GWUP“ vom 19. Februar 2025) erschienen, der sich mit unterschiedlichen Erkenntniswegen befasst. Offenkundig verfolgt dieser Beitrag die Absicht, den Rahmen abzustecken, in dem Skepsis auf der Grundlage kritisch-wissenschaftlichen Denkens sich bewegen kann / muss. Insofern ist dies mehr als eine Randnotiz im skeptischen Alltag. Als Mitglied der GWUP und als jemand, der die vereinsinterne Diskussion über eine Standortbestimmung der GWUP 2023/24 miterlebt hat, halte ich aus diesem Anlass einige eigene Gedanken für angebracht.

Der Beitrag  auf dem GWUP-Blog bietet eine differenzierte Betrachtung verschiedener Ansätze der Wahrheitsfindung und positioniert die GWUP klar im Kontext der wissenschaftlichen Methode. Der Autor betont, dass die GWUP als Vertreterin der Aufklärung insbesondere der Wissenschaft verpflichtet ist und sich auf die Förderung und Verteidigung wissenschaftlicher Methoden konzentriert.

Im Artikel werden neben der wissenschaftlichen Methode auch andere Ansätze wie Esoterik, Religion, Machtorientierung und die Perspektive der Unterdrückten dargestellt. Der Autor zeigt auf, dass diese Methoden oft auf subjektiven Erfahrungen, Autoritätsglauben oder ideologischen Überzeugungen basieren und somit im Widerspruch zu den Prinzipien der Wissenschaft stehen, die auf Objektivität, Transparenz und Wiederholbarkeit beruhen.

Insgesamt verdeutlicht der Beitrag die Notwendigkeit, wissenschaftliche Methoden als Grundlage für objektive Wahrheitsfindung zu fördern und gleichzeitig kritisch gegenüber subjektiven oder ideologisch geprägten Ansätzen zu bleiben. Die Diskussion in den Kommentaren zeigt, dass es weiterhin wichtig ist, Aufklärungsarbeit zu leisten und die Prinzipien der Wissenschaft verständlich zu kommunizieren.

Die Kommentarsektion unter dem Beitrag spiegelt ein breites Spektrum an Reaktionen wider. Einige Leser äußern Zustimmung und loben die klare Darstellung der unterschiedlichen Wahrheitsfindungsmethoden. Andere hingegen kritisieren die vermeintliche Engstirnigkeit der GWUP und plädieren für eine offenere Haltung gegenüber alternativen Erkenntniswegen. Einige Kommentare scheinen die Grundprinzipien der wissenschaftlichen Methode misszuverstehen oder stellen deren Exklusivität in Frage.

Postmoderne und Beliebigkeit

Ich finde es bemerkenswert, dass die kritischen Kommentatoren auf dem GWUP-Blog doch wohl keine unvorbereitet-unwissenden Menschen sind, sondern solche, die sich selbst den Skeptikern zurechnen. Bin ich ein zu harter Rationalist, wenn mir das Verständnis dafür fehlt, Beliebigkeitskriterien in den rationalen Erkenntnisrahmen aufzunehmen? Vielen ist offenbar der „Erkenntnispfad“ zu schmal. Aber ist es nicht eigentlich das Ergebnis von mehr als 2000 Jahren Ringens um eine Antwort auf die Frage „Was können wir wissen?“ (von Platon über Kant und Hume bis zu Gerhard Vollmer und Hans Albert) dass wir nur in einem solchen schmalen Pfad vorankommen können?

Dies trifft einen Kernpunkt des konsequenten Wissenschaftsverständnisses und zugleich ein grundlegendes Dilemma in skeptischen Bewegungen. Es ist doch bemerkenswert, dass auch innerhalb einer Gruppierung, die der Konzeption der kritischen Rationalität nahesteht, immer wieder Stimmen laut werden, die eine Art erkenntnistheoretischen Pluralismus fordern – oft ohne zu erkennen, dass dies auf eine Relativierung der wissenschaftlichen Methode hinausläuft.

Skepsis gegenüber der Aufnahme von Beliebigkeitskriterien in den rationalen Erkenntnisrahmen ist aber keine überzogene Rationalitätsforderung, sondern eine notwendige Konsequenz wissenschaftlicher Methodik. „Beliebigkeit“ bedeutet in diesem Kontext die Gleichsetzung wissenschaftlich geprüfter Erkenntnisse mit nicht falsifizierbaren oder anekdotischen Behauptungen. Wissenschaft auf der Basis des kritischen Rationalismus ist eben nicht einfach eine „von vielen Methoden“, sondern – jedenfalls derzeit –  die einzige Methode, die es uns erlaubt, mit systematischer Fehlerkontrolle wenn nicht vollständiges, so aber zuverlässiges Wissen über die Welt zu gewinnen. Das ist das Ergebnis von Jahrhunderten der Auseinandersetzung mit Irrwegen, Täuschungen und Wunschdenken zur Frage, was wir Menschen überhaupt an Erkenntnis gewinnen können. Wenn man den „Erkenntnispfad“ erweitern will, riskiert man, Pseudowissen und subjektive Wahrheiten auf eine Stufe mit wissenschaftlich fundiertem Wissen zu stellen.

Wissenschaft hat sich gerade nicht durch Offenheit für Beliebigkeit weiterentwickelt, sondern durch die konsequente Einhaltung strenger methodischer Prinzipien. Anders gesagt: Die moderne Wissenschaft ist gerade deshalb erfolgreich, weil sie sich einen strengen methodischen Rahmen gibt. Sobald man diesen Rahmen zu weit öffnet – sei es aus falsch verstandenem Pluralismus oder aus Angst vor dem Vorwurf „dogmatischen“ Denkens –, setzt man sich den gleichen Fehlschlüssen aus, gegen die die Skeptikerbewegung eigentlich ankämpfen sollte. Und wichtig ist in der Diskussion mit „Pluralisten“: Der strenge methodische Rahmen ist Ausdruck des Bewusstseins, sich stets auch irren zu können (Fallibilismus), keine engstirnige Beschränkung.

Dass auch in skeptischen Kreisen die Sehnsucht nach einem weiteren oder erweiterten Erkenntnispfad auftaucht, könnte mit einer gesellschaftlichen Strömung zu tun haben, die dazu neigt, Toleranz mit erkenntnistheoretischer Gleichwertigkeit zu verwechseln – letztlich eine moralisierende Position. Wissenschaftliche Skepsis ist aber nicht „offen“ in dem Sinne, dass sie jede Methode gleichwertig akzeptiert – sie ist offen für neue Ideen, aber nur dann, wenn diese die methodische Prüfung bestehen. Pragmatismus, nicht Pluralismus.

Einige Strömungen der Wissenschaftstheorie (wie der epistemische Konstruktivismus in seiner relativistischen Form) argumentieren tatsächlich für einen erkenntnistheoretischen Pluralismus, der unterschiedliche Methoden und Zugänge als zumindest gleichwertig betrachtet. Dies führt jedoch zu einer Relativierung wissenschaftlicher Erkenntnis. Besonders in postmodernen Ansätzen des epistemischen Konstruktivismus wird Wissen als „bloß“ sozial konstruiert betrachtet, was zur Infragestellung der Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen führen und damit dem Streben nach Erkenntnis als solchem den Boden entziehen kann. „Wissen“ und „Erkenntnis“ lösen sich dann in reine Beliebigkeit auf.

Man könnte also sagen: Der „Erkenntnispfad“ ist nicht deshalb schmal, weil man andere Denkweisen aus Bosheit oder Überheblichkeit ausschließt, sondern weil die Anforderungen an belastbare Erkenntnis so hoch sind. Der Unterschied zum „konstruktivistischen Wissen“ besteht darin, dass durch Methodik, darunter rigorose Fehler- und Irrtumskontrollen, wissenschaftlichen Erkenntnissen zunehmend ein Grad von Gewissheit zuwächst, der uns in die Nähe der „Wahrheit“ (Wirklichkeit) führt. Wer diesen Rahmen verlassen will, sollte sich fragen, ob er Wissenschaft tatsächlich verstanden hat oder ob er sich unbewusst von den postmodernen Tendenzen der Beliebigkeit beeinflussen lässt.

Spaltung der skeptischen Szene in Deutschland

Die vorstehenden Überlegungen haben auch einen Bezug dazu, dass sich die deutschen Skeptiker aufgrund bestimmter Ereignisse leider 2024 in die GWUP und in die Neugründung Skeptix gespalten haben. Viele wollen verstehen, was da eigentlich das Trennende ist. Nach meiner Ansicht wollten die jetzigen Skeptix-Skeptiker die Vereinstätigkeit auf unpolitische und ideologisch nicht im Fokus stehende Themen beschränken (Stichwort Critical Studies). Die GWUP hat mit dem Blogartikel, den wir hier betrachten, m.E. dagegen noch einmal klargemacht, dass sie keine Denkverbote bei jeglichen Themen akzeptiert, die Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Also z.B. auch die Critical Studies, auch dann, wenn es nicht um widerlegbare Einzelaussagen allein geht, sondern um die Frage, ob die zugrunde liegende Denkrichtung als solche dem wissenschaftlichen Erkenntnispfad zuzurechnen ist.

Das trägt einer Entwicklung Rechnung, die „Wahrheit“ nicht mehr nur in einzelnen Sachverhalten zu begründen sucht, sondern auf Metaebenen außerhalb und neben der wissenschaftlichen Methode, wie sie ja der oben erwähnte GWUP-Blogbeitrag beschreibt: „höhere“ Wahrheiten – im Sinne der Postmoderne. Nach meinem Eindruck positioniert sich insofern die GWUP immer deutlicher im Sinne einer Erweiterung des „klassischen“ Themenspektrums mit einem Fokus auf diese Metaebenen, während es bei „Skeptix“ an einer dezidierten Begründung einer davon verschiedenen Positionierung bislang noch mangelt.

Das heißt, dass die GWUP ungeachtet der klassischen pseudowissenschaftlichen Themen (Homöopathie, Astrologie, Verschwörungstheorien etc.) den Weg einer methodisch konsequenten Skepsis auch gegenüber Themen gehen will, die ideologisch oder gesellschaftspolitisch aufgeladen sind, wie etwa die Critical Studies oder postmoderne Wissenschaftsbegriffe.

Die GWUP stärkt damit ihre Positionierung als metatheoretische skeptische Organisation: Sie legt sich nicht nur mit falschen Behauptungen an, sondern auch mit ganzen Erkenntniswegen, die Wissenschaftlichkeit für sich und ihre Hervorbringungen beanspruchen, aber den methodischen Standards nicht genügen. Das ist m.E. eine notwendige Erweiterung des skeptischen Ansatzes, weil viele heutige Debatten sich nicht mehr nur um „falsche Fakten“, sondern um die grundlegenden Maßstäbe für Wahrheit und Erkenntnis drehen.

Skeptix hingegen scheint diesen Schritt zu scheuen und sich stärker auf das bewährte Themenspektrum zu konzentrieren, wohl aus Sorge, dass ansonsten die Bewegung zu politisiert erscheinen könnte. Das kann man als Versuch interpretieren, sich „neutral“ zu halten – aber ist methodische Skepsis neutral, wenn sie einer ganzen erkenntnistheoretischen Strömung (z.B. den Critical Studies) ausweicht, nur weil diese gesellschaftspolitisch sensibel ist?

Ich sehe darin eine Grundsatzentscheidung:

  • Für die GWUP umfasst der Begriff Skepsis das Bekenntnis zu einem universalistischen Erkenntnis- bzw. Wissenschaftsverständnis, das sich auch auf gesellschaftliche und ideologische Wissenschaftsdebatten erstreckt.
  • Skeptix scheint sich als eine Organisation zu verstehen, die klassische, relativ „unstrittige“ pseudowissenschaftliche Phänomene bekämpft, aber keine metakritische Positionierung zu bestimmten Wissenschafts- und Gesellschaftsdebatten eingeht.

Ob das auf Dauer eine tragfähige Unterscheidung ist, bleibt abzuwarten. Denn wenn es um wissenschaftliche Skepsis als Methode geht, kann sich eigentlich keine skeptische Organisation leisten, bestimmte Themengebiete aus welchen Erwägungen auch immer auszuklammern – gerade dann nicht, wenn sie eine zentrale Rolle in heutigen Wissenschafts- und Gesellschaftsdebatten spielen.

Eine Spaltung wäre vielleicht nicht zwangsläufig gewesen, es scheint nicht unmöglich, die unterschiedlichen Verständnisse von Skeptizismus innerhalb der GWUP konstruktiv auszutragen. Dass es stattdessen zur Eskalation kam, liegt wohl daran, dass ein Teil der Beteiligten eine „friedliche Koexistenz“ der beiden Positionen eben doch sehr dezidiert für unmöglich und geradezu unvereinbar mit Skepsis hielt – und das leider nicht nur argumentativ. Es wurde teils scharf und ad personam darauf reagiert, dass eine bedeutende Strömung (die von der heutigen GWUP repräsentiert wird) auf einem methodisch-universalistischen skeptischen Anspruch bestand.

Der in dieser Diskussion häufiger erhobene Vorwurf der „Nähe zu rechtem Gedankengut“ ist eine sehr wirksame, aber oft auch unfaire Strategie, um jemanden aus einem Diskurs zu drängen. Wenn jemand lediglich eine methodische Kritik an den Critical Studies oder am Woke-Begriff formuliert, sollte das nicht automatisch in eine politische Ecke gestellt werden. Dass das dennoch passiert ist, zeigt, dass für einige die politische Dimension schwerer wog als die erkenntnistheoretische. Was die Vorstellung, man wolle eine „unpolitische“ Skeptikerorganisation, ad absurdum führt.

Ich finde es bemerkenswert – und auch bedauerlich –, dass ein methodisch-universalistischer Skeptizismus, der sich an klaren wissenschaftlichen Prinzipien orientiert, manchen inzwischen als „problematisch“ gilt, weil er sich eben auch gegen ideologische Verzerrungen richtet, egal aus welcher Richtung sie kommen. Die ursprüngliche Idee der Skeptikerbewegung war ja gerade, keinen „Freifahrtschein“ für bestimmte Weltbilder zu vergeben, sondern alles ohne „Denkverbote“ mit der gleichen methodischen Strenge zu hinterfragen.

Unverzichtbar ist das Ringen um eine immer deutlichere Position zu dem, was in Zeiten der Postmoderne einen konsequenten wissenschaftsorientierten Skeptizismus ausmacht. Die GWUP sollte ihre Chance nutzen, sich programmatisch noch deutlicher in diesem Sinne zu positionieren. Die Postmoderne als solche ist in gewisser Weise der Bote der Ideologie und der Beliebigkeit, die Auswirkungen sehen wir schon lange. Will Skeptizismus seinem eigenen Anspruch als rationales Korrektiv gerecht werden, führt m.E. eine zukünftige Strategie deutlich über die klassischen parawissenschaftlichen Themen hinaus (ohne dass die Befassung mit ihnen überflüssig würde).

Skeptizismus als rationales Korrektiv muss sich weiterentwickeln, wenn er relevant bleiben will. Die klassischen Themen – Homöopathie, Astrologie, UFOs etc. – sind wichtig (allein deshalb, weil sie nie verschwinden werden), aber sie sind nicht mehr unbedingt die Hauptfronten, an denen sich wissenschaftliches Denken gegen Irrationalismus behaupten muss. Die Herausforderungen liegen heute stärker in ideologisch geprägten Narrativen, die unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit auftreten, aber letztlich auf einer postmodernen Beliebigkeit beruhen.

Die Postmoderne hat – zugespitzt gesagt – viele Tore für den erkenntnistheoretischen Relativismus geöffnet. Plötzlich gilt jede Perspektive als gleichwertig, wissenschaftliche Standards werden als „westliche / soziale Konstrukte“ im Kontext angeblicher Machtverhältnisse abgetan, und das Konzept der Suche nach objektiver Wahrheit wird immer stärker hinterfragt. In dieser Atmosphäre kann sich Skeptizismus nur behaupten, wenn er sich nicht nur gegen klassische Pseudowissenschaften stellt, sondern auch gegen diese Formen des „epistemischen Laissez-faire“ oder gar einem postmodern-relativistischen Rechtfertigungsdruck.

Das bedeutet: Eine zukünftige Strategie muss nicht nur die klassischen parawissenschaftlichen Themen abdecken, sondern sich auch mit ideologisch verbrämten Verzerrungen wissenschaftlichen Denkens auseinandersetzen. Dazu gehören auch Themen wie „Wissenschaft als Herrschaftsinstrument“ (Critical Studies), die Verzerrung von Studienergebnissen durch wirtschaftliche oder politische Interessen oder die Frage, wie narrative Verzerrungen auf Meta-Ebenen („Wahrheit als Konstruktion“) die Wahrnehmung von Wissenschaft beeinflussen.

Ich glaube, dass eine solche Positionierung für skeptische Organisationen wie die GWUP langfristig notwendig ist. Sonst riskiert man, dass Skeptizismus von zwei Seiten unter Druck gerät: Einerseits von den traditionellen Pseudowissenschaften, die nie verschwinden, andererseits von ideologischen Strömungen, die sich wissenschaftlicher Methoden bedienen, um ihre eigene Agenda zu stützen. Es geht nicht nur darum, offensichtlichen Unsinn zu entlarven, sondern auch um das „Aufräumen“ in wissenschaftsnahen Debatten – dort, wo Begriffe und Methoden missbraucht werden, um Beliebigkeit als Wissenschaft zu verkaufen und damit in den öffentlichen Diskurs einzusickern.


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