
Kürzlich hatte ich hier aus gegebenem Anlass dargelegt, dass die Beurteilung der Evidenzlage (nicht nur) für Akupunktur sich aus der Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnisse ergibt und nicht aus Cherrypicking und / oder irgendwelchen Einzelarbeiten. Auf Twitter hat sich zum Beitrag eine Diskussion entsponnen, die leider einmal mehr zutage gefördert hat, dass man teils einfach vor Wände zu reden scheint.
Mit größter Überzeugung wurde hier anhand eines einzelnen Reviews dargelegt, dass die Kritik an der Akupunktur nun doch wirklich gänzlich verfehlt, von gestern und sowieso nur von Voreingenommenheit geprägt sei. Präsentiert wurde dazu die Publikation Zhang XC et al. Acupuncture therapy for fibromyalgia: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Pain Res. 2019 Jan 30;12:527-542. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30787631/)
In dieser Diskussion auf Twitter versammelte sich nun mit der Gewissheit einer durchschlagenden und unwiderlegbaren Position genau das, dem ich eigentlich entgegenwirken wollte: Evidenz wird an einer einzelnen Arbeit festgemacht – und in großer Selbstüberzeugung gleich der Vorwurf der Voreingenommenheit erhoben. Werfen wir einmal einen kritischen Blick auf diese Publikation:
- Diese Arbeit kommt zu einem höchst euphemistischen Ergebnis (Acupuncture therapy is an effective and safe treatment for patients with FM, and this treatment can be recommended for the management of FM.) Oha! Dies sollte nun aber außergewöhnlich gut belastbar sein.
- Es handelt sich um ein Review in Form einer Literaturrecherche, die zum Thema zwölf RCTs (randomisierte verblindete Studien) herangezogen hat. Angesichts der tausenden von Studien (natürlich nicht nur zur Fibromyalgie, aber diese Indikation ist eine sehr bevorzugte für Akupunktur-Untersuchungen) scheint dies nicht sehr viel.
- Die Studie stammt von chinesischen Forschern. Nicht nur mir fällt längst auf, dass Arbeiten von dort zum Thema Traditionelle Chinesische Medizin ausnahmslos positiv bis euphorisch ausfallen. Edzard Ernst hat dazu bereits mehrfach Stellung genommen, unter anderem hier. (Die Hintergründe dieses Phänomens wären auch mal einen eigenen Artikel wert.) Die Reputation dieser Arbeiten stärkt das nicht. Es ist kein Vorurteil, hier höchst zurückhaltend bei der Bewertung zu sein.
- Soweit aus dem Abstract entnehmbar – es steht ausdrücklich so drin – ging es durchweg um den Vergleich von klassischer und Sham-Akupunktur. Seufz. David Gorski und Steven Novella haben schon anlässlich etlicher Arbeiten dargelegt, dass bei so etwas nur zwei Placebos miteinander verglichen werden und deshalb alles, was dort herauskommen mag, egal wie statistisch signifikant es aussieht, niemals ein Beleg für eine Spezifität der Akupunktur ist (“essentially a competition between two placebos” – hier nur ein Beispiel).
- Durchweg sind Studien mit sehr geringen Teilnehmerzahlen ins Review aufgenommen worden (davon ablenken soll wohl die Angabe, man habe „Studien mit mehr als 10 Teilnehmern“ inkludiert, so kann man das auch ausdrücken). Der small study bias, der ein großes Risiko großer Überzeichnungen von Effekten mit sich bringt, dürfte hier einzurechnen sein, ebenso wie der im Falle der Akupunktur so offensichtliche publication bias, die Nichtveröffentlichung negativer Ergebnisse.
- Es werden zudem Methoden (manuelle klassische Akupunktur / Elektroakupunktur) miteinander vergleichen, bei denen sehr fraglich ist, ob es sich überhaupt um Vergleichbares handelt.
Dies nur auf einen flüchtigen Blick. Man darf unserem Twitter-Freund sicher attestieren, sich aktiv für die Problematik zu interessieren, er tappt aber in die immergleiche Falle, die uns aus der Homöopathie auch so bekannt ist: Evidenz in einzelnen Arbeiten (zu denen auch kleinere und insbesondere indikationsbezogene Reviews mit sehr selektiver Studienauswahl zu zählen sind) zu suchen, sich keinen Überblick über die Gesamtstudienlage zu verschaffen, auch, die Grundplausibilität nicht zu hinterfragen.
Ich nehme wahrlich nicht in Anspruch, die Weisheit mit Löffeln aufgenommen zu haben. Aber mir ist jedenfalls klar, was bei der Suche nach Evidenz zu vermeiden ist. Bei der Homöopathie ist es nicht anders. Zugegeben – die Homöopathie darf man sicher als “die absurdeste von allen alternativen Methoden der Medizin” bezeichnen (so geschehen auf dem EU-Wissenschaftskongress 2018 in Toulouse) – das liegt für den kritischen Betrachter sozusagen auf der Hand. So “einfach” ist es bei der Akupunktur nicht, da sie nicht mit offenkundigem “Nichts” arbeitet. Es geschieht “etwas”, das nicht ohne Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Patienten und Therapeuten bleiben kann. Hier herauszuarbeiten, ob und wie man eine Spezifität der Methode gegenüber Placebo- und Suggestionseffekten belegen könnte, ist nicht trivial. Was auch erklärt, weshalb in der Anfangszeit des neueren Akupunktur-Hypes jede Menge scheinbar positiver Ergebnisse auftraten: Weil man sich um die Frage der Spezifität ebenso wenig scherte wie um die historischen Hintergründe und die Plausibilität. Heute sind wir aber sehr viel weiter, auch hierzu verweise ich auf den früheren Akupunktur-Artikel. Dass dem von interessierter Seite – und die ist bei der Akupunktur nicht gerade ein kleines Häuflein – entgegengearbeitet wird, ist sozusagen evident. Was die Skepsis weiter erhöht.
Dem Nichtspezialisten, ob Mediziner oder nicht, bleibt dabei die ebenso schlichte wie wirkungsvolle Frage: Wo ist der Beweis? Diese zu stellen habe ich auch in Zukunft vor und empfehle auch dem geneigten Leser, vor allem nicht der Schwalbe zu vertrauen, die ganz sicher mitten im Winter keinen Sommer machen wird (man verzeihe mir diese Metapher zu dem “Beweisversuch” mit der chinesischen Studie). Ich bin doch kein Alleswisser, wahrlich nicht, ebensowenig gefeit gegen Wahrnehmungsfehler und Vorurteile. Aber ich versuche, nicht dem schnellen, unkritischen, auf Bestätigung hinauslaufenden Denken (Kahneman) zu erliegen. Und irgendwie mag ich nicht damit aufhören, auch wenn es manchmal nur von sehr beschränktem Erfolg gekrönt zu sein scheint. Denn irgendwie macht es manchmal trotzdem Spaß…
Bildnachweis: Eigenes Bild
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