Warum Phishing, Scam und manipulative Kommunikationsformen mehr sind als Internetkriminalität


Digitale Belästigung – visualisiert von Microsoft Copilot

Die Banalisierung der digitalen Belästigung

„Hallo, kannst du mich hören? Ich höre dich nur ganz schlecht! Schreib mir doch bei WhatsApp.“ – Ein banaler Anruf aus Italien, eine unbekannte Nummer, eine weibliche Stimme, kein Anliegen. Wer heute ein Telefonat entgegennimmt, muss mit vielem rechnen – nur nicht mit einem ehrlichen Grund fürs Klingeln. Was einmal als Ausnahme galt, ist zur Alltagskulisse geworden: digitale Belästigung im Minutentakt.

Und doch steckt mehr dahinter. Wer sich mit Scam, Phishing oder manipulativen Support-Anrufen auseinandersetzt, merkt rasch: Es geht nicht nur um Kriminalität, es geht um Kultur. Genauer: um eine Kultur der systematischen weitverbreiteten Täuschung – und ihre Wirkung auf den Menschen.

Von der Kriminalität zur Kulturtechnik

Was früher als „Betrugsversuch“ belächelt wurde, hat sich heute zu einem komplexen Ökosystem der Irreführung entwickelt. Spam, Scam, Social Engineering und Identitätsklau sind nicht mehr Ausdruck individueller Kriminalität, sondern digitalindustrielle Massenphänomene. Algorithmen versenden automatisch Phishingmails, Chatbots simulieren menschliche Interaktion, Deepfakes machen selbst Experten unsicher.

Täuschung ist zur technischen Disziplin geworden. Und sie richtet sich nicht mehr nur gegen „dumme“ oder unaufmerksame Opfer. Sie zielt auf unsere kognitive Auslastung, unsere Routinen – unsere Menschlichkeit.

Die unsichtbare Würdelosigkeit: Als Zielobjekt betrachtet

Was dabei oft zu kurz kommt: Der ethische Aspekt. Wer Ziel eines Betrugs wird, wird nicht als Subjekt angesprochen, sondern als manipulierbares Objekt. Die eigene Person wird reduziert auf Schwachstellen, Reaktionsmuster, Angreifbarkeit.

Selbst bei erfolgreicher Abwehr bleibt ein Gefühl zurück: das der Entwürdigung. Man wurde nicht gesehen, sondern durchleuchtet. Nicht gefragt, sondern getestet. Nicht respektiert, sondern berechnet.

Wie viel Betrug steckt in der Gesellschaft?

Die schiere Menge der Angriffe lässt eine unbequeme Frage zu: Wie viele Menschen beteiligen sich aktiv oder passiv an diesem System? Welche Rolle spielt die stillschweigende Akzeptanz, das „Das ist halt so“?

Hinzu kommt ein erschreckender Trend: Auch seriöse Akteure nutzen Mechanismen der Irreführung – ob im Marketing, in der Verwaltung oder im digitalen Kundenkontakt. Undurchsichtige Formulare, verschleierte Vertragsbedingungen, algorithmische Filterblasen, unklare Sprache: Die Grenze zwischen Absicht und Struktur verschwimmt.

Der Preis: Vertrauensverlust und Zynismus

Was bedeutet das für die Gesellschaft? Wer ständig angegriffen wird, baut Mauern. Wer nicht mehr unterscheiden kann zwischen Nachricht und Falle, zwischen Dialog und Manipulation, verliert Vertrauen. Im schlimmsten Fall: in alles.

Der Rentner, der keine Post mehr öffnet. Die Alleinerziehende, die Online-Kommunikation meidet. Der Jugendliche, der mit radikalem Misstrauen durchs Netz surft. Die Abwehrhaltung wird zur zweiten Natur – und das Misstrauen zum Grundton des Digitalen.

Was tun? Zwischen Technik, Bildung und Haltung

Technische Schutzmaßnahmen sind wichtig, aber nicht ausreichend. Genauso notwendig ist eine Kultur digitaler Redlichkeit. Dazu gehört:

  • Bildung: Digitale Kompetenz, kritisches Denken, sprachliche Sensibilität
  • Transparenz: Verständliche Prozesse, klare Sprache, erkennbarer Absender
  • Haltung: Der Wille, Menschen nicht zu instrumentalisieren, sondern zu respektieren

Es geht nicht nur darum, Angriffe abzuwehren. Es geht darum, sie nicht zu normalisieren.

Es geht nicht nur um Sicherheit. Es geht um Würde.

Die digitale Welt verlangt Schutzmechanismen. Aber sie verlangt auch einen klaren Kompass. Wer sich gegen Täuschung wehrt, verteidigt nicht nur seine Daten – sondern auch seine Würde als Mensch.

Und vielleicht ist das der Punkt, an dem Aufklärung heute neu ansetzen muss.