Skeptizismus in der republikanischen Gesellschaft

Skeptizismus am Scheideweg
In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung, wachsender Wissenschaftsverachtung und politischer Rhetorik ohne erkenntnistheoretisches Fundament steht auch der Skeptizismus vor einer Weggabelung. Ist er lediglich die Kunst des methodischen Zweifelns im Labor des Denkens? Oder darf, ja muss er sich als Haltung in einem weiteren Sinne begreifen – als Mitverantwortung für die Rationalität des Gemeinwesens?
Der Mythos vom unpolitischen Skeptiker
Die Frage ist nicht akademisch. Denn in den vergangenen Jahren haben sich Skeptikerorganisationen mehr als einmal an der Frage der eigenen politischen Einordnung gerieben. Besonders schmerzhaft wurde dies in der sogenannten „Spaltungsphase“ der GWUP sichtbar, als ein eher grobschlächtiger, so gut wie nicht ausdifferenzierter Ruf nach „Unpolitischsein“ durch den Raum hallte – kaum als Anstoß zu einer wirklichen prinzipiellen Klärung, sondern als strategisches Mittel, um gesellschaftskritische Themen aus dem Skeptikerdiskurs zu drängen.
Dabei ist der Gedanke, Skeptizismus dürfe sich nicht politisch positionieren, historisch wie logisch schwer haltbar. Skeptizismus, richtig verstanden, ist nie neutral im Sinne der Inhaltsleere. Er ist parteiisch – für Vernunft, für Transparenz, für Überprüfbarkeit. Was er nicht ist und nicht sein darf: parteipolitisch oder ideologisch gebunden. Gerade daraus erwächst seine republikanische Kraft und Relevanz.
Die res publica als Ort des Aushandelns
Denn die Idee der Republik – der res publica, also der Angelegenheiten aller – lebt nicht von Wahrheitsansprüchen, sondern von Aushandlungsprozessen. Sie ist kein Herrschaftssystem der „Wissenden“, sondern eine Verfassungsform des öffentlichen Diskurses, in dem auch das Unvollkommene seinen Platz hat, solange es sich der Prüfung stellt. In diesem Sinne ist Skeptizismus nicht die Überlegenheit der Aufklärer über das Volk, sondern eine demokratische Tugend: die Bereitschaft, sich der Wahrheitssuche zu öffnen, ohne „die Wahrheit“™ zu besitzen. Ganz im Popperschen Sinne.
Gegen die Verwechslung mit Gelehrtenherrschaft
Gerade deshalb darf Skeptizismus nicht mit dem Anspruch auf Gelehrtenherrschaft verwechselt werden. Die Vorstellung, rationale Erkenntnis könne direkt in politische Entscheidungsgewalt überführt werden, ist so alt wie problematisch. Platons Idee der Gelehrtenrepublik, in der Philosophenkönige herrschen, mag idealistisch gemeint gewesen sein, doch aus heutiger Sicht erscheint sie eher als Dystopie einer epistemischen Elitenherrschaft. Wo Rationalität zur ausschließlichen Herrschaftslegitimation mutiert, wird der republikanische Aushandlungsprozess ausgehebelt. Politik, die sich nur auf wissenschaftliche Evidenz beruft und alle normativen Fragen ausblendet, wird zur Technokratie – und verfehlt damit ihren Wesenskern.
Ein moderner Skeptizismus erkennt diese Spannung an. Er unterscheidet zwischen Sachentscheidungen, die auf nachvollziehbarer Evidenz beruhen müssen, und Wertentscheidungen, die einer öffentlichen Auseinandersetzung bedürfen, ohne dabei die Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen beiden Sphären zu verkennen. Er fordert Rationalität nicht als Dogma, sondern als Methode der Begründung und des Dialogs. Deshalb ist es auch nicht Sache des Skeptikers, bestimmte Entscheidungen oder Haltungen von der Politik einzufordern. Er ist Anwalt der Ratio. Er ist nicht gegen Emotionalität oder politische Haltung, sondern gegen Unprüfbarkeit und autoritäres Rhetorikgetöse.
Skeptizismus und der gute Wille zur Mitwirkung
Hier kommt das berühmte Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde ins Spiel, das in Diskussionen oft auf das Religiöse verengt wurde und wird, tatsächlich aber eine politische Pointe besitzt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Diese Voraussetzung ist, im republikanischen Sinne gelesen, nicht transzendentaler Glaube – sondern der gute Wille, sich am Gemeinwesen rational zu beteiligen. Wer sich dem verweigert, nicht aus Protest, sondern aus Trägheit, Zynismus oder Desinteresse, gefährdet die Möglichkeit öffentlichen Verstehens.
Hier beginnt die Aufgabe eines zeitgemäßen Skeptizismus: nicht nur (un)wissenschaftliche Behauptungen zu überprüfen, sondern auch das Fundament des Rationalitätsversprechens in einer Demokratie zu verteidigen. Nicht als Machtfrage, sondern als Voraussetzung für überhaupt sinnvolle politische Auseinandersetzung. In dieser Rolle ist der Skeptiker nicht bloßer Erbsenzähler, sondern – wenn er es annimmt – Bürger im empathischen Sinne.
Zeichen der Erneuerung
Eine Umfrage des „Forum für kritisches Denken“ in der Schweiz bestätigt diese Entwicklung: 75 Prozent der Mitglieder wünschen sich, dass neben wissenschaftlicher Aufklärung auch gesellschaftliche und politische Themen stärker berücksichtigt werden. Das ist natürlich bei weitem noch keine sonderlich differenzierte Position, aber ein deutliches Zeichen. Es spricht für den Wunsch eines großen Teils der Skeptikergemeinschaft, sich nicht länger auf die Rolle der Beobachterin zu beschränken, sondern bereit ist, Verantwortung im Diskurs zu übernehmen.
Epilog: Skepsis als Haltung, nicht als Spiegelkabinett
Vielleicht ist genau das der notwendige Schritt in der „Erholungsphase“ vieler Skeptikerorganisationen: ein kleiner republikanischer Neuaufbruch. Nicht in der Pose der Weltverbesserer, sondern in der Haltung derer, die wissen, dass Rationalität keine Selbstverständlichkeit ist. Sondern eine Errungenschaft, die verteidigt werden will.
Denn wer Skeptizismus allein im geschützten Raum des Labors verortet, dort selbstzufrieden an der Präzision des Zweifels feilt und jede öffentliche Mitwirkung für unziemlich erklärt, verwechselt skeptische Methodik mit Selbstbespiegelung. Aufklärung aber ist keine innerwissenschaftliche Stilübung – sie ist ein bürgerliches Angebot an die Gesellschaft.
Und das wörtlich: mit gutem Willen zur Vernunft.
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