Ein Verbandsvertreter kam zu Wort, mit der Attitüde der “besseren Medizin” und des guten (besseren?), empathischen Heilkünstlers, selbstverständlich. Dementsprechend auch mit den üblichen Whataboutisms und den Vorwürfen gegen die Ärzteschaft, es gehe ihr bei der Kritik an den HP nur um die Sicherung eigener Pfründe, ja, es sei eine “Hexenjagd” zu konstatieren. Nun, dazu braucht man nichts mehr zu sagen, die Würdigung dieser immer wiederkehrenden, “sachbezogenen” Sprechblasen findet sich z.B. hier, hier und hier.
In dem Zusammenhang wurde der selbst praktizierende Verbandsobere mit der Bemerkung zitiert, er sei kein Guru, sei der Schulmedizin (sic!) verbunden und habe keine esoterische Ader.
Nun, wollen wir mal sehen.
Die Praxishomepage des Herrn offenbart uns sein Angebotsspektrum, zunächst eine Auslese aus den Diagnostiken:
– allgemeine, sowie klassische homöopathische Anamnese – körperliche Untersuchung incl. Osteopathie / Chiropraktik – Antlitzdiagnose – chin. Zungendiagnostik und Pulsdiagnose – Segment und Reflexzonendiagnose – I-health Akupunktur-Meridiandiagnostik – Irisdiagnostik Computergestützt – Elektroakupunktur nach Voll – Dunkelfelddiagnostik nach Enderlein (Blutdiagnostik)
Der Vollständigkeit halber aus dem Therapieangebot:
– Chiropraktik – Osteopathie – Homöopathie – ausleitende Verfahren Schröpfen, Baunscheidtieren, Blutegel – Ozontherapie – Sauerstoffmehrschrittherapie – Akupunktur/Akuinjektion Ohrakupunktur – Darmsanierung – Neuraltherapie Behandlung akuter und chronischer Schmerzen und Funktionsstörungen mit Procaininjektionen – Colon-Hydro-Therapie – SCENAR Therapie (Regulationstherapie des körpereigenen Energie- und Nervensystems) – V-sonic Vital-Wellen-Therapie (Schmerztherapie) – Magnetfeldtherapie – ihealth Therapie – Leber- und Gallenblasenreinigung nach Andreas Moritz
Das ist ein Berg von Unsinn ohne jeden Benefit für den Patienten (außer dem Gefühl, ihm sei etwas ganz Tolles widerfahren). Eine größere kognitive Dissonanz zwischen diesen evidenzbefreiten Angeboten und der Beteuerung, man sei ü-ber-haupt nicht esoterikgeneigt und der Schulmedizin verbunden, geht kaum.
Mir geht es aber gar nicht um eine Kritik oder Erörterung all dieser Unsinnigkeiten (die sich so oder ähnlich auf unzähligen Heilpraktiker-Webseiten wiederfinden, ruhig mal ausprobieren). Mir geht es ein weiteres Mal darum, einen Blick auf das Selbstbild von Heilpraktikern zu werfen. Klar, ein Einzelfall, aber nach meiner Erfahrung eben auch nicht. Und hier präsentiert sich der Herr ja als Repräsentant der Szene, als Verbandsvertreter, der sich in dieser Rolle über einen kritischen Artikel empört, der kurz zuvor im gleichen Blatt zum Thema erschienen war. Da muss er sich schon mal gefallen lassen, als Teil für das Ganze zu stehen (wie ich ansonsten zur Evidenz von Einzelfällen stehe, dürfte ja kein Geheimnis sein).
Hier tritt jemand mit dem Aplomb auf, seine “gute Sache” zu verteidigen – und merkt nicht einmal, dass er das Urteil in dieser Sache gleich selbst spricht. Eine Dokumentation von “Parallelmedizin” par excellence. Und, worauf es ankommt: Der potenzielle oder gar bereits vorhandene Patient hat praktisch keine Möglichkeit, das System unsinniger Parallelmedizin hinter all diesen Euphemismen und Überheblichkeiten, hinter dem falschen Selbstbild und dessen Präsentation zu erkennen. Und ceterum censeo: Der Patient hat im Grunde auch gar keinen Anlass dazu, weil es ja hier nicht um einen Jahrmarkt-Scharlatan, sondern um einen “Ausübenden der Heilkunde” geht, der gesetzlich dazu privilegiert ist und einen – zweifellos seinem eigenen Selbstbild entsprechenden – seriösen Eindruck vermittelt.
Die Diskrepanzen sind offensichtlich. Sie wirken in das verzerrte und überhöhte Selbstbild sich selbst für völlig seriös und teils sogar für überlegen haltenden Heilpraktiker ebenso hinein wie in die Wahrnehmung der Patientenschaft. Um dies zu verdeutlichen, habe ich mir hier einmal eine “Einzelfallbetrachtung” erlaubt. Ich bin mir sehr sicher, dass er für wesentliche Teile des Ganzen steht.
Seitdem das Münsteraner Memorandum Heilpraktiker erschienen ist, haben die Heilpraktiker nur eines getan: Belege dafür geliefert, dass ihnen das Memorandum mit dem Vorschlag des “Fachheilpraktikers” vermutlich viel zu weit entgegengekommen ist. Sie sägen laufend an ihren eigenen Stühlen. Ceterum censeo: Der Heilpraktikerstatus gehört abgeschafft.
Es ist wirklich nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, als Kritiker von Pseudomedizin und Impfgegnerschaft ständig mit Unterstellungen konfrontiert zu werden, man sei eh nur Knecht der Pharmaindustrie, gekaufte Mietfeder, würde unwissenschaftlich argumentieren und handeln, habe andere sinistre Motive und sei generell ein hinterhältiger, gewaltbereiter und schlechter Mensch, weil …
So etwas kommt nicht etwa nur aus den Schmuddelecken des Internets. So etwas kommt von Leuten aus der pseudomedizinischen Szene, bei denen völlig klar ist, dass sie es besser wissen. Dort wird von Menschen, die zweifellos einen Überblick über die Fakten haben, ungehemmt wider besseres Wissen die Lächerlichkeit von den bezahlten Pharmaknechten verbreitet, was schon mal so weit ging, dass führende Köpfe der wissenschaftlichen Pseudomedizinkritik als „Testimonials“, also bezahlte Werbegesichter, der bösen Pharmaindustrie hingestellt wurden.
Wozu so etwas führen kann, zeigt ein Beispiel aus dem scheinbar weit entfernten Australien. Dort gibt es die Familie Riley, deren wenige Monate alter Sohn vor ein paar Jahren an Keuchhusten verstarb – als er noch nicht geimpft werden konnte. Dies geschah in einer australischen Community mit den geringsten Impfraten landesweit.
Die Familie richtete eine Art Gedenkseite für ihren kleinen Riley ein, auf der sie fürs Impfen und die Aufklärung darüber wirbt. Die Seite wurde vielfach positiv angenommen. Jedoch…
Der Blog „Debunking Denialism“ berichtet: „Online hat die Familie viel Unterstützung erhalten, aber auch viel Hass. Letzteres ist im Laufe der Zeit immer extremer geworden. Sie wurden sogar beschuldigt, Lockvögel für die Pharmaindustrie zu sein, dass sie nur Krisen herbeireden sollten und sogar, dass sie sogar ihren eigenen Sohn Riley ermordet hätten und dies mit der Impfpropaganda vertuschen wollten.
„Uns wurde gesagt, dass unser Kind eine Puppe gewesen sei und dass wir Schauspieler für „Big Pharma“ wären. Uns wurde gesagt, dass unser Sohn nie existiert hat, oder dass Rileys Tod von den Gesundheitsbehörden inszeniert wurde, um die Impfbereitschaft zu fördern. Uns wurde sogar vorgeworfen, unser Kind ermordet und den Keuchhusten nur vorgeschoben zu haben, um damit durchzukommen“, berichtete das Ehepaar.
Das alles nicht punktuell, sondern ganz offenbar als Teil einer in Australien großangelegten zentral orchestrierten Anti-Impf-Kampagne.
Zu dieser Kampagne gehören sogenannte „Fact Checker“, die eine direkt gegen die Familie Riley gerichtete Seite im Netz unterhalten. Diese Seite geriert sich als Wächter der Wahrheit, verbreitet nicht nur die genannten unsäglichen Scheußlichkeiten gegen die Rileys. Sondern stellt die Rileys zudem als Menschen dar, die sich angeblich gegen Kritik immunisieren mit ihrer „Story“ und postuliert, dass dem im Interesse der Wahrheit und Redlichkeit entgegengetreten werden müsse:
„Aus irgendeinem Grund sind sie (die Rileys) der Meinung, dass sie gegen Kritik immun sein sollten. Sie denken, dass es in Ordnung ist, öffentlich für die Einschränkung der Rechte von Menschen einzutreten, und sie haben öffentlich eingestanden, dass sie es für akzeptabel halten, andere Kinder deshalb zu bestrafen (to punish), weil sie selbst eine Erfahrung unter völlig anderen Umständen gemacht haben.“
Manchmal will mir scheinen, von dergleichen sind wir nicht weit weg. In Schweden wurde im letzten Jahr so eine Pseudo-Faktencheck-Seite debunked, die sich nicht primär, aber auch auf die Verbreitung pseudomedizinischen Unsinns bezog. Die Seite hatte schnell eine gewisse Reichweite erlangt. Hier ein Screenshot mit einem „Bericht“ über die HPV-Impfung, mit der Schlagzeile „Faktiskt.se deckt auf – Zusammenhang zwischen HPV-Impfung und Zervikalkrebs“ – man glaubt es kaum, hier wird unverfroren das glatte Gegenteil der Tatsachen behauptet und der Artikel ist mehrere zehntausend Mal gelesen worden…
Der Beitrag auf der Pseudofaktencheck-Seite behauptete, die „Wahrheit“ über die HPV-Impfung sei, dass sie Zervikalkrebs auslöse und nicht davor schütze.
Beim Auf-den-Kopf-stellen von Fakten ist die Szene auch bei uns ohnehin schon bemerkenswert rührig, mit zunehmender Tendenz. Auf welche Weise das teilweise geschieht, wird dadurch illustriert, dass die Verteidiger der Pseudomedizin und die Streiter gegen das Impfen mehr und mehr bemüht sind, nicht nur einen Wahrheits-, sondern auch noch einen Moralanspruch für ihre Position zu behaupten. Darin liegt ein gefährliches Potenzial, insofern als dass die beklagenswerte Voreingenommenheit weiter Teile der Öffentlichkeit gegen Wissenschaft, wissenschaftliche Medizin und die damit verbundenen „Feindbilder“ auch noch scheinmoralisch unterfüttert und gefestigt wird. Dass derartige scheinmoralische Positionen nur durch das Negativum der Diskreditierung von Persönlichkeiten der skeptischen Szene erreicht werden können, scheint dabei ein vernachlässigbarer bis begrüßenswerter Nebeneffekt zu sein.
Natürlich kann man das als letzte Verteidigungslinie einer jeder argumentativen Basis verlustig gegangenen Front ansehen. Man darf aber die Wirkung auf das Publikum ebensowenig außer Acht lassen wie den Umstand, dass es sich schlicht um Diffamierung von aus eigenem Antrieb kritisch engagierter Menschen handelt. Ein drastisches Beispiel dafür, wie der Weg von einer irgendwie noch als solche wahrnehmbaren Gegenkritik über bereits nicht mehr akzeptable ad-hominem-Angriffe bis hin zu einem scheinmoralischen Standpunkt, ja einer Selbstüberhöhung, führt, ist in der aktuellen Wochenendausgabe der TAZ in einem – dies sei offen eingestanden, unerwartet – kritischen und sich klar positionierenden Artikel nachzulesen. Der, wie nicht anders zu erwarten, in den sozialen Medien teils haarsträubende Kommentare nach sich zieht.
Man wird also ein Augenmerk auf Versuche der Pseudomedizin richten müssen, ihrerseits mehr als bisher schon in eine scheinbar aufklärerische Rolle mit einer pseudomoralischen Verbrämung zu schlüpfen. Die Blaupause hierfür gibt es längst, wie ich einleitend gezeigt habe.
Und damit sich der Kreis schließt: Eigentlich sind wir schon so weit. Nicht nur in Australien treten Verbreiter pseudowissenschaftlichen Unsinns mit dem wortwörtlichen Anspruch auf, als „Faktenchecker“ die wahren Aufklärer zu sein, siehe z.B. hier.
Aufklärung tut not, mehr denn je. Dabei fühlen sich die kritischen Skeptiker jedenfalls meines Umfeldes einer sachbezogenen, von persönlichen Angriffen und Unterstellungen freien Argumentation verpflichtet, ungeachtet dessen, ob dies umgekehrt auch der Fall ist.
Bildnachweise: Pixabay / Screenshot faktiskt.se via Debunking Denalism
Ausdrücklich einmal eine Lanze für die “moderne, seelenlose Medizin”!
Ein Team um den Mitbegründer der Immuntherapie bei Krebs, Steven Rosenberg, hat einen großen Durchbruch bei Tumorerkrankungen erzielt, die bislang nicht gut durch Immuntherapie erreicht werden könnten. Dabei entnimmt man im Tumor bereits aktiv “arbeitende” T-Lymphozyten und vermehrt sie in der Annahme, dass es Sinn macht, eine größere Menge dieser bereits auf den Tumor “trainierten” T-Zellen wieder per Infusion zuzuführen.
In Nature ist ein Abstract zu einem Forschungsbericht erschienen, der eine ungewöhnlich dauerhafte Remission (Rückbildung) eines schon metastasierten Mammakarzinoms unter einer solchen Therapie beschreibt: “Die vollständige dauerhafte Regression von metastasierendem Brustkrebs, die nun seit >22 Monaten andauert, stellt einen neuen immuntherapeutischen Ansatz für die Behandlung dieser Patienten dar.” Was für ein Understatement…
Irre. Wisst ihr, was das ist? Das ist großartig. Das ist Wissenschaft. Das ist eine gute Idee, ausgearbeitet und klinisch umgesetzt mit Können und Fleiß von einem Team, das eine Unmenge von Wissen bündelt und bei dem jede und jeder seinen Teil beiträgt. Wieviel schon vorhandenes, von anderen Wissenschaftlern zusammengetragenes Wissen ist in die praktische Umsetzung in Labor und Klinik eingeflossen! Ein weiterer Schritt nach vorn in das Land der Erkenntnis. Wissenschaft ist Neugier, Wissenschaft ist Unzufriedenheit mit dem Gegebenen!
Und die Homöopathen?
Haben von all diesen Dingen keinen Schimmer, halten sich aber als einzelne Therapeuten für nahezu allwissend, kompetent und erfahren, weil sie seit 30 Jahren und mehr beruflich Selbsttäuschung betreiben.
Wollen auch gar nichts von der “Schulmedizin” wissen, vielfach erklärtermaßen. Denn sie verfügen ja über die “bessere” Medizin:
Sie vertreten eine über 200 Jahre alte Lehre, die “Verstimmungen der geistigen Lebenskraft” behandeln will.
Mit “geistigen Arzneikräften”, die in allen möglichen und unmöglichen Substanzen enthalten sein sollen. Man muss sie nur verdünnen und schütteln!
Dosierung? Äh ja… mehr so persönliche Erfahrung…
Krankheit? Nee, Symptombild! Einschließlich des Zustands von “Geist und Gemüt”. Was sie dann als “ganzheitliche Methode” ausgeben.
Wissenschaft! Ja klar, aber erst wenn sie nach ihren Regeln mitspielen dürfen!
Forschung? Im Prinzip wissen sie ja alles, Forschung gibts nur, um dieses Wissen endlich mal bestätigt zu bekommen.
Fortschritt? Welcher Fortschritt? Das Tolle an ihrer Lehre ist doch, dass sie “alt” ist!
Anamnese und Repertorisierung zu mühsam? “Diagnose” nach Konstitutionstyp!
Wirkt nicht? Äh ja – Erstverschlimmerung. Immer noch nicht? Jaaa… dauert eben. IMMER NOCH NICHT? Irgendwas hat der Patient falsch gemacht, man kann ja nicht 24 Stunden auf ihn aufpassen…
Dem Patienten gehts richtig dreckig? Ab zur “Schulmedizin” – wahrscheinlich hilft die Homöopathie eh deshalb nicht, weil der Patient schon vorher “schulmedizinisch verdorben” war. (Diese Variante wird als besondere Qualifikation von Homöopathen verkauft: Als “Patientensicherheit”.)
Kann umfangreich fortgesetzt werden.
Merkt ihr was?
Das ist nicht nur lächerlich, das ist albern. Die Homöopathie steht zur modernen Medizin im gleichen Verhältnis wie das Förmchenbacken im Sandkasten zum Bau eines modernen Kraftwerks. Was eher untertrieben ist.
Das Vorhandensein der Homöopathie im Gesundheitswesen ist nicht nur eine medizinethische, sondern auch eine intellektuelle Zumutung.
Auf diesem Blog ist schon reichlich viel zum Thema „Impfen“ erschienen, Grundsätzliches ebenso wie aus aktuellen Anlässen heraus. Ich bilde mir nicht ein, hiermit die Impfgegner-Szene irgendwie beeinflusst, aber vielleicht ein Fünkchen Licht in die Debatte gebracht zu haben
Im Abstand von über einem Jahr zu Andrew Wakefields faktischem Scheitern in Deutschland und Europa mit seinem Machwerk „Vaxxed“ wird nun ersichtlich eine Front der Impfgegnerschaft aktiver, die aus einer anderen „ideologischen Ecke“ kommt: Aus der der Anthroposophie. Deren Paradepferd ist die berühmte „eigenverantwortliche Impfentscheidung“, die es entgegen den angeblich interessengeleiteten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, einer angeblich korrupten Ärzteschaft und fehlinformierten Eltern hochzuhalten gelte. Welche Kriterien bei einer solchen „eigenverantwortlichen Impfentscheidung“ gültig sein sollen, beanspruchen natürlich die von diesem Gedanken – und durchweg von der anthroposophischen Lehre – beseelten Mitglieder der Ärzteschaft. Und entpuppen sich damit nicht als Skeptiker, sondern als ideologisch verblendete Impfgegner reinsten Wassers. Zu der Frage, was solche Leute innerhalb des ärztlichen Standes zu suchen haben, lasse ich mich nicht weiter aus. Was zur Sache selbst anzumerken ist, enthält ausreichend deutlich dieser Blogbeitrag.
Als aktuelles Beispiel mag gelten, dass die Rhein-Neckar-Zeitung, ein nicht unbedeutendes Regionalblatt, heute einem solchen anthroposophisch-impf“skeptischen“ Arzt eine Plattform gegeben hat, einem Herrn, der auf seiner Praxishomepage mitteilt, Kassenpatienten könne er derzeit nicht neu aufnehmen – mit Ausnahme impfkritischer Eltern, denen er die Indoktrination bei diesen lästigen Kinderärzten ersparen wolle. Mir fehlen nicht nur die Worte, mir fehlt langsam auch die skeptische Fassung. Dürfen wir in der Rhein-Neckar-Zeitung in der nächsten Woche die Ausführungen eines Flache-Erde-Proponenten lesen? In der übernächsten Woche dann Krebsheilung mit Backpulver (kein Witz, leider)? Unwissenheit? Falsche “Ausgewogenheit”? Fishing for headlines?
NACHTRAG (05.06.2018): Ich freue mich sehr, dass die RNZ sich auf Twitter inzwischen selbstkritisch äußert und die Veröffentlichung einer kritischen Position zum Impfgegnerwesen ankündigt! Warten wir’s ab! 2. NACHTRAG (06.06.2018): Die RNZ hat einen umfangreichen Bericht über die sehr kritischen Reaktionen auf den Impfgegner-Arzt und seine Thesen in der Region – von Kinderärzten, Allgemeinärzten und Vertretern des öffentlichen Gesundheitswesens – veröffentlicht. Das darf man sicher sehr anerkennend erwähnen. Wenn die RNZ künftig auch noch von ihrer Neigung zu unangemessener Ausgewogenheit ablässt (“Meinung”… “wird schon lange diskutiert”…), dann wäre das eine feine Sache.
Offenbar gibt es durchaus so etwas wie eine Offensive mit dem Ziel einer Erhöhung der Verunsicherung in der Bevölkerung und mehr Rückenwind für die eigene Position. So gibt es z.B. auch einen „Familienfilm“, der auf perfide Art und Weise die Fehlinformationen der Vertreter einer „eigenverantwortlichen Impfentscheidung“ in ein Kino-Unterhaltungsformat packt. Es ist offenbar gelungen, einen sich selbst für „kritisch“ haltenden Filmemacher vor die Karre zu spannen. Ich werde hier weder den Titel des Filmes nennen noch einen Link setzen, um diesem Werk nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. In den Kinos ist ihm offenbar solche Aufmerksamkeit auch nicht zuteil geworden – glücklicherweise.
Der eigentliche „Nachfolger“ des Vaxxed-Machwerks von Wakefield ist der Film „A man made epidemic“, ein Lügenwerk über die Ursachen von Autismus, der Impfen nicht als alleiniges Thema behandelt, aber die unsägliche These vom Zusammenhang von Autismus und Impfen wieder aufwärmt. Vor allem aber ist dieses Machwerk ein weiterer Schlag aller von Autismus Betroffenen, indem er dieses längst als neurologisch bedingte Entwicklungsstörung identifizierte Phänomen wie eine Infektionskrankheit simplifizierend auf allerlei äußere Einflüsse zurückführt und auf völlig unwissenschaftliche Art unbegründete Schlüsse zieht, dass es einem die Schuhe auszieht. Deutsche Qualitätsproduktion…
II
Aber all das sei nicht näher beleuchtet. Vielmehr geht es mir heute darum, Verständnis dafür zu wecken, was eigentlich für eine ideologische Verblendung hinter den anthroposophischen Ausfällen gegen das Impfen steht. Nun, mir ist klar, dass sie jetzt damit kommen würden, sie seien ja gar nicht „grundsätzlich“ gegen das Impfen… ja, ja, klar. Geschenkt.
Zum Grundverständnis des Verhältnisses von Anthroposophie und Medizin bedarf es einer kurzgefassten Einführung:
Bei der Anthroposophie handelt es sich um eine gänzlich auf okkult-esoterischem Gedankengut aufbauende Lehre, begründet von einer einzelnen Person, Rudolf Steiner. Seine Lehren gehen auf “hellseherische Eingebungen” zurück, der “okkulten Schau” der berühmten Akasha-Chronik, die Steiner alle Weltgeheimnisse offenbart haben soll. Wissenschaftlichkeit im üblichen Sinne des Wortes beansprucht die Anthroposophie gar nicht, sie sieht sich vielmehr selbst als “die” Wissenschaft, die komplett an die Stelle der “klassischen” Wissenschaft treten – sie assimilieren – will, mit eigenem Welterklärungsanspruch. Sie bezeichnet sich selbst als “Geisteswissenschaft”. Aber nicht in dem Sinne, wie Geschichte, Sprachen oder Philosophie Geisteswissenschaften sind, sondern im Sinne der “wirklichen, wahren Wissenschaft”, deren Grundlage die “geistige Schau” ist und nicht die naturwissenschaftliche Methode. Alle Ausdeutungen der anthroposophischen Lehre, auch die anthroposophische Medizin, greifen im Kern auf Steiners esoterische Weltschau zurück und bedienen sich nicht falsifizierbarer esoterischer Grundgedanken, sind also als scheinwissenschaftlich einzuordnen.
Nach der Steinerschen Lehre ist das harmonische Zusammenwirken der vier „Wesensglieder“ bestimmend für Gesundheit und Krankheit eines Menschen. Voraussetzung für eine solche Harmonie ist ein spirituelles Leben nach anthroposophischen Vorstellungen und Regeln. Krankheit entsteht, wenn das harmonische Gleichgewicht der Wesensglieder zueinander gestört ist. Wir sehen – so weit ist die Anthroposophie von den fernöstlichen Vorstellungen einer gestörten Lebensenergie (Chi, Ki) gar nicht entfernt. Ebenso wenig fehlt der Aspekt, den Kranken für seine Krankheit selbst verantwortlich zu machen, da er wohl nicht genug für sein eigenes persönliches Gleichgewicht tue (sprich die Anweisungen der Lehre nicht ausreichend befolge) – ein besonders verwerflicher Aspekt okkulter Krankheitslehren.
III
Steiner, der Meister des bodenhaftungslosen Neookkultismus, sah im Impfen der Mediziner die Grundlage für den „Seelenverlust“ des Menschen. Ich bitte um Entschuldigung, den geneigten Leser mit seinen kaum ertragbaren Elogen belästigen zu müssen, aber nichts macht mein Anliegen deutlicher als der Steinersche Originaltext.
Impfen als Seelenmord
“Die Seele wird man abschaffen durch ein Arzneimittel. Man wird aus einer “gesunden Anschauung” heraus einen Impfstoff finden, durch den der Organismus so bearbeitet wird in möglichst früher Jugend, möglichst gleich bei der Geburt, dass dieser menschliche Leib nicht zu dem Gedanken kommt: Es gibt eine Seele und einen Geist. – So scharf werden sich die beiden Weltanschauungsströmungen gegenübertreten.
Die eine wird nachzudenken haben, wie Begriffe und Vorstellungen auszubilden sind, damit sie der realen Wirklichkeit, der Geist- und Seelenwirklichkeit gewachsen sind. Die andern, die Nachfolger der heutigen Materialisten, werden den Impfstoff suchen, der den Körper gesund” macht, das heißt so macht, dass dieser Körper durch seine Konstitution nicht mehr von solch albernen Dingen redet wie von Seele und Geist, sondern “gesund” redet von den Kräften, die in Maschinen und Chemie leben, die im Weltennebel Planeten und Sonnen konstituieren. Das wird man durch körperliche Prozeduren herbeiführen. Den materialistischen Medizinern wird man es übergeben, die Seelen auszutreiben aus der Menschheit.”
Quelle: Steiner, Gesamtausgabe Buch 177, S. 97f., Vorträge in Dornach vom 29. September bis 28. Oktober 1917.
Und:
Ich habe Ihnen gesagt, daß die Geister der Finsternis ihre Kostgeber, die Menschen, in denen sie wohnen werden, dazu inspirieren werden, sogar ein Impfmittel zu finden, um den Seelen schon in frühester Jugend auf dem Umwege durch die Leiblichkeit die Hinneigung zur Spiritualität auszutreiben. Wie man heute die Leiber impft gegen dies und jenes, so wird man zukünftig die Kinder mit einem Stoff impfen, der durchaus hergestellt werden kann, so daß durch diese Impfung die Menschen gefeit sein werden, die «Narrheiten» des spirituellen Lebens nicht aus sich heraus zu entwickeln, Narrheiten selbstverständlich im materialistischen Sinne gesprochen.
Quelle: Steiner, Gesamtausgabe Buch 177, S. 97f., Vorträge in Dornach vom 29. September bis 28. Oktober 1917.
Ich werde mich nicht in langen Kommentaren dazu ergehen. Ich möchte nur, dass meine Leser sich einfach selbst die Frage stellen: Kann man Menschen, die einer derart verblendeten okkulten, letztlich menschenverachtenden „Lehre“ anhängen und sich als wissenschaftlich ausgebildete Mediziner dem unterordnen, als Ärzten Vertrauen schenken?
Vielleicht wird jetzt besser verstanden, was es mit all den Vorstößen unter der Flagge der „eigenverantwortlichen Impfentscheidung“ auf sich hat. Liebe Leserinnen und Leser, liebe Eltern, geht diesen okkulten Bauernfängern nicht auf den Leim!
Wir wollen uns gar nicht erst darüber aufregen, dass ungeachtet der auch vom INH angestoßenen kritischen Diskussion zum Wintersemester 2016 die LMU – auch diesmal unter der Regie des Haunerschen Kinderspitals, einer Außenstelle der Homöopathie-Lobby – wiederum diese Veranstaltung geschehen lässt. Viel wichtiger erscheint mir, dass der Bericht von Joseph Kuhn ein bezeichnendes, ja grelles Schlaglicht auf die homöopathische Position wirft, wie sie von den großen Proponenten vertreten wird. Wer noch Illusionen gehabt haben sollte, der lese:
Die Reduzierung der Homöopathie auf ihre positiven Aspekte im Sinne einer niedrigschwelligen „Psychotherapie light“ – entsprechend der ursprünglichen Vorstellung von Dr. Natalie Grams im Buch „Homöopathie neu gedacht“- wird rundweg abgelehnt. Das hat der entsprechende Vorstoß von Dr. Werner Bartens in dieser „Diskussion“ in aller Schärfe deutlich gemacht und die letzten Zweifel am Diskursunwillen der Homöopathen wohl beseitigt.
Damit beharren die Homöopathen auch dieses Mal wieder auf einer spezifischen Wirksamkeit ihrer Methode als Arzneimitteltherapie. Das wiederum weckt natürlich den Wunsch nach wissenschaftlicher Reputation. Oder was man so dafür hält.
Vollkommen unbeeindruckt von der wissenschaftlich nahezu einhellig negativ beurteilten Studienlage beharren hochrangige Vertreter der Methode auf dem Standpunkt, der Wirkungsnachweis sei evidenzbasiert erbracht. Das kann man eigentlich nur noch mit Kopfschütteln quittieren.
Die in ihren Augen durchschlagende Erklärung dieser abenteuerlichen Behauptung liefern die Homöopathen gleich nach: Indem sie behaupten, der in ihren Augen evidenzbasierte Nachweis sei weltweit und seit Jahrhunderten durch die Menge an positiven Erfahrungen, sowohl des einzelnen Vortragenden als auch „überhaupt“, erbracht. Genau das ist aber, was jeder, der eine wissenschaftliche Ausbildung erfahren hat, eben kein Evidenznachweis für die spezifische Wirksamkeit der Methode – ein unwiderlegbarer Kernpunkt der Kritiker. Das Induktionsproblem, das die Nichteignung von Anekdotensammlungen, seien sie noch so groß, für einen Evidenznachweis aufzeigt, scheint unbekannt zu sein – oder wird im Hinblick auf das ohnehin begeisterte Publikum beiseitegeschoben.
Darüber hinaus werden geradezu verschwörungstheoretische Aspekte bemüht, um die Homöopathie mit aller Gewalt in das nicht passende Korsett der Wissenschaftlichkeit zu zwängen. Skeptiker („DIE Skeptiker“) werden nicht als Gegner in einem sachlichen Diskurs wahrgenommen, sondern in einem diffusen „Feindverhältnis“ verortet.
Und natürlich durfte auch der Vorwurf an „die Skeptiker“, hier in Person von Dr. Werner Bartens , nicht fehlen, man diskreditiere systematisch die Homöopathie und sei blind für Mängel und Fehler von „Schulmedizin“ und „BigPharma“. Was nun gerade bei der Person von Dr. Bartens geradezu ein grotesker Vorhalt ist. Offensichtlich war den Anwesenden bei diesem hochmögenden Symposium überhaupt nicht bekannt, wer bei ihnen auf dem Podium saß. Eine auch nur halbwegs seriöse Vorbereitung hätte zutage fördern müssen, dass Dr. Bartens u.a. mit dem “Ärztehasserbuch” und mit “Auf Kosten der Patienten. Wie das Krankenhaus uns krank macht” (das ist nur eine kleine Auswahl) zu den profiliertesten Kritikern des bestehenden Medizinsystems in Deutschland gehört. Allein hieran lassen sich die herausragende Qualität und der wissenschaftlich-universitäre Level der Veranstaltung schon ermessen.
Die Forderung nach einem der Methode angepassten Studiendesign (was die widersinnige Forderung nach einem eigenen, “zweiten” Wissenschaftsbegriff beinhaltet) wird zum wiederholten Male erhoben. Wissenschaftstheoretisch unsinnig, methodisch längst widerlegt. Solche für das Konzept der “individuellen Behandlung” konzipierten Studien, von Homöopathen geplant und durchgeführt, gibt es, beispielsweise die Münchner Kopfschmerzstudie. Unbekannt gewesen, trotz lokaler Kongruenz? Auch in die Meta-Reviews von Mathie und Linde waren solche Studien einbezogen. Sie zeigen genauso wenig positive Ergebnisse für die Homöopathie wie alle anderen auch.
Zur Studienlage werden Halbwahrheiten und Kolportagen verbreitet wie die Nichtberücksichtigung von kleineren Studien in Metareviews (NHMRC, derzeit offenbar ein Lieblingsthema), wohlgemerkt gegenüber einem durchweg positiv konditionierten Publikum, ohne diesem gegenüber die Hintergründe auch nur zu erwähnen.
Man lässt im Rahmen der Veranstaltung Marketingleute darüber vortragen, wie man taktisch am besten die ablehnende Position der „Schulmedizin“ untergräbt und sich weiter etabliert.
Eigentlich fehlten nur noch die Beschwörungen von Wassergedächtnis und Quantentheorie. Was sollte das alles, fragt sich nicht nur Joseph Kuhn.
Für diesen brachte die Veranstaltung noch eine interessante Empfehlung: Als er (als einer von zwei Zuhörern) dem Postulat, die Wirkung der Homöopathie sei ja wohl bei Pflanzen, Tieren und Zellen einwandfrei nachgewiesen, nicht folgen wollte, wurde ihm empfohlen, den Reader der WissHom aus dem Jahr 2016 über die Studienlage der Homöopathie zu lesen… Na ja. Hätte er das Paper zur Hand gehabt, hätte er den freundlich Empfehlenden ja mal auffordern können, ihm die Stelle zu zeigen, wo steht, dass es einen evidenten Wirkungsnachweis für die Homöopathie gibt. Das steht nämlich trotz vieler Worte dort garnicht drin …
Die Umstände dieser Selbstbestätigungsveranstaltung, Podiumsdiskussion genannt, waren offenbar von einem sachlichen Diskurs denkbar weit entfernt. Das ist sehr schade – setzt das INH doch nach wie vor auf die Aufklärung über Sachinhalte und einen darauf bezogenen Diskurs. Ich jedenfalls bin kaum noch imstande, mit Worten angemessen zu beschreiben, was ich von alledem halte. Deshalb ja auch der Titel dieses Beitrages.
Es ist mir schon länger ein Anliegen, meinen Leserinnen und Lesern gelegentlich Einblicke in die homöopathische Forschung zu ermöglichen. Schließlich ist es wichtig, einmal etwas von der wissenschaftlichen Luft zu schnuppern, die uns aus der weltweiten Forschergemeinde der Homöopathen entgegenweht. Keine Angst, alles bleibt einfach und verständlich – weil es im Kern einfach und verständlich ist. Ich möchte auch deutlich machen, wie und wo in Behauptungen und Nachrichten die Schwachstellen auszumachen sind.
Announcement. Für größere Darstellung klicken.
Heute beginnen wir mit einem Ausblick in die Zukunft, mit der Nachricht, dass in Indien Forschungsgelder für die homöopathische Krebsforschung bereitgestellt wurden. Was quer durch die indischen Medien ging, begleitet von Lobpreis. Da wir ja gerade so viel Besuch aus Indien beim Homöopathie-Kongress in Sachsen haben, finde ich das recht passend. Die Meldung auf der indischen Nachrichtenplattform DNA (Daily News & Analysis), übernommen aus dem unerschöpflichen Linkvorrat von HomoeopathyPlus, besagt:
“Das dem Noida-Institut angeschlossene NIPCR (Nationales Institut für Krebsvorsorge und Forschung) hat staatliche Mittel erhalten, um eine Untersuchung zu bestimmten homöopathischen Medikamenten zur Behandlung von Krebs durchzuführen. Das Institut hat das Projekt einem Professor für Zellbiologie übertragen, der verschiedene homöopathische Behandlungen zur Krebsheilung systematisch testen soll.
‘Wir haben auch bisher schon bewährte homöopathische Arzneimittel an Krebspatienten verschrieben, die alternative Medikamente probieren möchten oder sich in einem Stadium befinden, in dem sie chemische Mittel nicht mehr einnehmen können’, sagt Doktor RK Manchanda, Generaldirektor, Zentralrat für Forschung in der Homöopathie (CCMR). ‘Die Idee ist, mittels molekularer Forschung bei bestimmten homöopathischen Medikamenten festzustellen, wie effektiv sie bei der Behandlung von Krebs sein können’, sagte sie.
Als Teil seiner Forschung wird das Institut eine Patienten-Außenstelle am Dr. DP Rastogi Central Research Institut für Homöopathie, Noida, für das Screening von Krebspatienten einrichten. Die Patienten werden gefragt, ob sie bereit sind, homöopathische Medikamente zusammen mit anderen Mitteln zu versuchen.“
Was ich vom Einsatz homöopathischer Mittel speziell bei Krebs halte, brauche ich nicht näher zu erläutern. Nicht satisfaktionsfähig. Beschäftigen wir uns mit den entscheidenden Stichworten:
Ein Professor für Zellbiologie befasst sich mit homöopathischen Wirkungen? Das ist immerhin ein Fachgebiet, das der Homöopathie hochkritisch, ja zwangsläufig ablehnend gegenüberstehen müsste! Ein Zellbiologe muss sich doch darüber klar sein, dass selbst in Niedrigpotenzen mit Restwirkstoffen keine Substanz mehr enthalten ist, die für eine Zellantwort ausreicht, die eine biologische Reaktion über Effektorsysteme im Körper auslösen kann! Etwas schwierig unter diesen Umständen, molekulare Forschung zu betreiben. Stichwort Dosis-Wirkungs-Beziehung. Zumal die indischen Homöopathen durchweg mit Hochpotenzen arbeiten, da sie von dem Hahnemannschen Postulat der zunehmenden Wirkung durch Potenzierung fest überzeugt sind. Auf die Ergebnisse dieser Art von Grundlagenforschung darf man gespannt sein, das primäre Problem wird vermutlich sein, überhaupt Moleküle zu finden.
Es gibt bewährte homöopathische Arzneimittel für die Krebsbehandlung? Kann mir mal eben jemand den Namen des Nobelpreisträgers dafür nennen, der muss mir entfallen sein? Oder wenigstens die Fundstelle für die reproduzierten Forschungsergebnisse?
Chemische Mittel. Wieder die völlig unsachliche und vor allem unwissenschaftliche Unterscheidung von “Chemie” und “wir sind von der Nicht-Chemie-Fraktion”. Von wissenschaftlich ausgebildeten Menschen. Naja, tätig beim Zentralrat für Forschung in der Homöopathie. Trotzdem: Was für eine unsägliche laienhafte Aussage, die nicht auf eine Unvoreingenommenheit bei der anstehenden “Forschung” schließen lässt. Und eigentlich den beauftragten Professor für Zellbiologie Schmerzen bereiten müsste.
Wie so oft, kommt das Beste zum Schluss: Die Patienten werden gefragt, ob sie bereit sind, homöopathische Medikamente zusammen mit anderen Mitteln zu versuchen. Also wird die klinische Forschung mal wieder “komplementär” betrieben, wobei es das Geheimnis der Forscher bleibt, wie bei einer gleichzeitigen Anwendung von Homöopathie und konventioneller Behandlung die spezifischen Anteile der Homöopathie belegt werden sollen. Und eine vernünftige Verblindung ist damit auch dahin. Damit ist auch der Weg versperrt, eine Gruppe, die einer komplementären Behandlung zugestimmt hat, mit einer zu vergleichen, die dies ablehnte. Denn beide sind massiv konditioniert durch ihre Entscheidung pro oder contra Homöopathie. Und auf Versorgungsforschung in der einen oder anderen Ausprägung wird es eh wieder hinauslaufen.
Mir ist klar, dass Indien ein Land ist, in dem die Homöopathie einen großen Stellenwert hat. Aber doch nur, weil das wissenschaftlich basierte Gesundheitssystem die Masse der Menschen nicht erreicht! Pseudomedizin als Notnagel ist keine gute Sache. Auch wenn es im Rahmen der üblichen Effekte vielfach Wirkung erzeugt und den Menschen ein gewisses Grundvertrauen gibt. Staatliche Forschungsgelder und Mittel zur Unterhaltung von Forschungseinrichtungen für Homöopathie sind aber denkbar schlecht angelegt. Aber die Struktur ist wohl extrem verfestigt, ob ein Programm zum Umbau und Ausbau in Richtung evidenzbasierter Medizin eine Chance hätte? Warum eigentlich nicht? Indien war schon immer das Land, in dem große Umbrüche möglich waren. Aber so lange das 2014 aus rein nationalistisch-demonstrativen Gründen installierte Parallel-Gesundheitsministerium AYUSH das Sagen hat und dem wirklichen Gesundheitsministerium auch finanziell das Wasser abgräbt, ist hier wohl wenig zu hoffen.
Ihr, liebe Leserinnen und Leser, werdet jetzt sicher aufseufzen und sagen: Der hat aber auch immer was zu meckern… Dazu kann ich nur sagen:
… sind heute wieder zu vermelden, und ja, leider mal wieder aus der Impfgegnerszene.
Ich fange mal gleich mit zwei Dingen an, die zwar vergleichsweise marginal erscheinen mögen, aber in der Tendenz und auch als besondere Einzelfälle für sich sprechen.
Rhein Main Presse am 08.06.2017: “Impfgegnerin doziert im Mainzer Rathaus – Unwissenschaftlicher Vortrag schürt Angst”
„Hier trauen sich nicht viele dran“, eröffnet Karin Dorner ihren Vortrag, der sich zu einer Mobilisierung gegen das Impfen inklusive Verschwörungstheorien ausweiten wird. Wer sich aber „herantraut“ ist die Stadt: Dorner steht im Haifa-Saal des Mainzer Rathauses und erklärt zwei Stunden lang, warum Impfen eine tödliche Gefahr sei, Schuld an AIDS, Multipler Sklerose und Kriminalität.
Die Veranstaltung gehört zur „Lokalen Agenda 21“, ein von der Stadt koordiniertes und auf ihrer Website beworbenes Programm. Das „Gesundheitsforum Mainz-Wiesbaden“, deren Mitglied Dorner ist, gehört zum Arbeitskreis „Ernährung und Gesundheit“. Der Arbeitskreis wollte die Referentin einladen, sagt Ellen König, Sprecherin der Stadt Mainz….
… „Wir können und wollen als Stadt keine Zensur üben“, sagt Pressesprecherin Ellen König. „Auch wenn es sich um Vortragende handelt, deren Meinung wir nicht vertreten.“
… Am Ende des Vortags vor etwa 15 Leuten gibt es Fragen aus dem Publikum. Wie sei denn zum Beispiel eine von der Schule geforderte Impfung zu umgehen? „Sagen sie, ihr Kind sei gegen Fremdeiweiß allergisch“, antwortet Dorner. Und weiter: „Ich kann ihnen Adressen von Ärzten geben, die ohne nachzufragen, diese Atteste ausstellen“, beruhigt sie die vom Vortrag erregten Eltern. „Jeder achte impft nicht mehr – und Sie?“ Mit dieser Folie endet ihr Vortrag. …
Also auch gleich noch ein extremer Fall von Impfgegnerwahn. Es ist kaum zu ertragen.
Das Grauen macht sich breit, wenn man das liest. Ich kenne mich gut genug damit aus, was eine Stadt darf, kann oder was auch immer in ihren eigenen Räumen. Es wäre nicht nur das Recht, sondern die Pflicht der Stadt Mainz gewesen, diese Veranstaltung zu verhindern. Hier erleben wir einmal mehr, wie Gleichmacherei mit Pluralismus, Ausgewogenheit mit Beliebigkeit und vor allem Meinungen mit Fakten verwechselt werden. Wenn ich die Äußerungen die VertreterInnen der Stadt Mainz ernst nehme, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass sie als öffentlich Bedienstete schlicht ihren Job nicht machen. Das ist nichts anderes als ein veritabler Skandal. Danke, Stadt Mainz.
Einmal ein großes Lob an die Adresse der schreibenden Zunft in Gestalt der Rhein Main Presse für diesen engagierten und eindeutig positionierten Artikel und ebenso an die Hinweisgeberin! Ich kann alle meine Leser, die so etwas in ihrem regionalen Umfeld erleben, nur dazu aufrufen, per Mail, Brief oder wie auch immer den Verantwortlichen mit deutlichen Worten ihre Meinung zu sagen. Und auch einmal ein Lob per Leserbrief auszusprechen, wenn sich einmal eine Zeitung so deutlich positioniert wie die Rhein Main Presse.
Nachtrag.
Dank eines Leserhinweises kann ich noch folgende Info hinzufügen:
Der Artikel “Impfgegnerin doziert im Mainzer Rathaus: Unwissenschaftlicher Vortrag schürt Angst” vom 08.06.2017 hat offensichtlich nicht ihr Wohlwollen gefunden.
Heute (07.07.2017) hat die AZ Mainz die entsprechende Gegendarstellung auf Seite 9 veröffentlicht. Tenor: Nichts davon habe ich gesagt oder auch nur angedeutet.
Zum Thema “Kinos und Vaxxed” brauche ich meinen Bloglesern ja wohl nichts mehr zu sagen. Ein Nachtrag soll hier aber doch noch Platz finden.
Mike’s Kino, ein beliebtes Traditionshaus in der Chiemgauer Gegend, konnte es trotz Protesten nicht lassen, VAXXED mit einer anschließenden Diskussion zu zeigen. Mein Bloggerkollege vom Blog Chiemgau Gemseneier, der eigentlich sonst schon genug mit der pseudomedizinischen Verseuchung des schönen Voralpenlandes zu tun hat, hat nicht nur im Vorfeld versucht, den Betreibern die notwendigen Fakten nahezubringen, er hat es sogar auf sich genommen, gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten die Veranstaltung zu besuchen.
Den Bericht über diese Folter hat er hier auf auf seinem Blog veröffentlicht. Bemerkenswert ist auch die Facebookseite von Mike’s Kino mit den darauf einsehbaren Kommentaren. Vor allem deshalb, weil der Blogautor dort über die Maßen heftig angegangen wurde. Die Kommentare dort lassen dementsprechend auch wenig zu wünschen übrig.
Nun mag man sich fragen, was ein beliebtes und regional geschätztes Kino dazu bringt, sich derart aus dem Fenster zu lehnen und die Fünfe nicht wenigstens nach dem Vorüberziehen von Wakefields Lügen gerade sein zu lassen. Aus meinem Erstaunen hierüber habe ich mich dort mit folgender Bemerkung verewigt:
Was für ein Universum an Arroganz und Nichtwissenheit… Und das ist noch ein Kompliment. Wer nach der vorher gelaufenen Diskussion sich derart für dieses üble Machwerk ins Zeug legt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Ich stelle mit größtem Erstaunen fest, dass sich manche Kinobetreiber in einem Maße zugunsten dieses Machwerks aus dem Fenster hängen, das ich mir einfach nicht erklären kann. Ist die eigene Verblendung wirklich so groß? Gibt es irgendwelchen Druck im Hintergrund? Gleiches konnte ich beim Verleih feststellen.
Warum ich mich das frage? Ich weigere mich einfach zu glauben, dass es normal funktionierenden Menschen so schwerfällt, einzusehen, dass es hier nicht um Meinungsfreiheit, nicht um Pluralität oder sonstwas in der Richtung geht, sondern um die Verbreitung längst nachgewiesener Lügenmärchen, die den Keim in sich tragen, anderen Menschen massiv zu schaden. Pluralität und Parität ja, aber nur zwischen faktenbasierten Standpunkten! Und der Film ist eine Ansammlung von nicht faktenbasierten Standpunkten – auch Lügen genannt.
Mit einem Kino, das mal einen miesen Film zeigt, auch mal richtig ins Klo greift, könnte ich leben. Nicht aber mit einem, das solchen Obermist auch noch offensiv verteidigt.
Es gab gerade in diesem Thread ordentlich Dickes für das Kino. Selbst schuld.
Und damit zu einer Meldung vom heutigen Tag, die zwar von denkbar weit entfernten Ereignissen berichtet, aber trotzdem hoch erfreulich ist. Der New Zealand Herald berichtet:
Anti-vaccine film pulled from NZ cinemas
Tja. Eine Reihe von Kinoketten hat aufgrund der öffentlichen Debatte zu VAXXED, die in Neuseeland sehr breit geführt wurde und in der auch Funktionsträger des öffentlichen Gesundheitswesens sich zu Wort gemeldet haben, die Übernahme von VAXXED in ihre Programme gecancelt, wie man so schön auf Neudeutsch sagt. Offenbar großenteils aus gewonnener Überzeugung.
Ausschlaggebend hierfür war auch die Aktivität und der Mut eines einzelnen neuseeländischen Arztes: Lance O’Sullivan, abstammend von Ureinwohnern und 2014 Neuseelands Man of the Year für sein Engagement, gesundheitliche Aufklärung und Versorgung in unversorgte und unzugängliche Gebiete Neuseelands zu bringen. Er hatte den Mut, vor kurzem mitten in einer Vorführung von VAXXED auf die Kinobühne zu springen und ein leidenschaftliches Statement gegen den Unsinn der Impfgegner abzugeben. Er begann sein Plädoyer mit dem Satz: “Dass Sie hier anwesend sind, kann die Ursache für den Tod von Babys sein!”.
Hut ab. Chapeau. Und was man da sonst noch zu sagen kann. Ein Vorbild vom Allerbesten.
Alle Themen des heutigen Artikels rufen uns auf: Liebe Leser, nicht nachlassen und jede Gelegenheit nutzen, Pseudokram zu widersprechen! Noch nie war es so leicht wie zu Zeiten des Internets, Schwurbelkram unter die Leute zu bringen. Aber noch nie war es so leicht wie zu Zeiten des Internets, Statements dagegen zu setzen.
Bildnachweise: Fotolia_99235383_S Pixabay License Courtesy of New Zealand Herald
Die meisten werden es schon erfahren haben: Den ersten Masern-Todesfall in diesem Jahr beklagen wir ausgerechnet in meiner Heimatstadt Essen. Eine Mutter von drei Kindern, 38 Jahre alt, ist an dieser teuflischen Krankheit im Essener Universitätsklinikum verstorben. Sie verfügte offenbar aufgrund nur einer ersten Masernimpfung im Kindesalter nicht über ausreichenden Schutz. In Essen sind inzwischen über 30 Masernfälle gemeldet, eine Verdreifachung in den letzten zwei Wochen. Das Gesundheitsamt geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
Das macht mich sehr traurig – und zugleich wütend. Daraus will ich gar keinen Hehl machen. Wenn man aktiv in der Impfaufklärung und im Eintreten für Vernunft unterwegs ist und dann vor der Haustür so ein Ereignis passiert, das lässt einen schon schlucken.
Was für ein Kontrast zu der Auseinandersetzung mit den Essener Filmkunsttheatern zur Aufführung “mit Diskussion” von Wakefields “VAXXED”, zu den vergeblichen Versuchen, die Kinobetreiber zu einer Einsicht zu bewegen! Die Bemühungen endeten letztlich nicht nur vergeblich, sondern auch noch damit, dass die Kinochefin glaubte, den Kritikern eine “Demokratielehrstunde” geben zu müssen und sich Verdienste mit der Aufführung zu erwerben, indem sie gegen das Entstehen “türkischer Verhältnisse” antrete. Womit zweifellos diese bösartigen Versuche gemeint waren, die Meinungsfreiheit durch den Widerstand gegen VAXXED in übelster Manier auszuhebeln. Und der Hinweis auf die Verursachung von unnötigen, belastenden und womöglich lebensgefährlichen Erkrankungen als Folge der Fehlinformationen des Films wurde als unangemessener “moralischer Druck” zurückgewiesen. Es war nicht leicht, sich das anhören zu müssen.
Tja, Frau Menze. So siehts aus.
Und was auf keinen Fall unerwähnt bleiben sollte: Die örtliche Presse, bei der immerhin die größte Regionalzeitung Deutschlands den Ton angibt, hatte kein kritisches Wort zu VAXXED übrig. Bemerkenswert war für die nur, dass am Abend der Vorführung kein Polizeieinsatz erforderlich wurde, was offenbar aufgrund der grenzenlosen Militanz und antifaschistisch angehauchten Gewaltbereitschaft der antidemokratischen Wakefieldgegner erwartet worden war (frei nach Hans Tolzin).
Jetzt wird der Masern-Todesfall in der Presse und den Medien groß herausgestellt. Ein wenig Selbstkritik zu der erst Anfang April abgelaufenen VAXXED-Story – dazu wäre doch jetzt eine gute Gelegenheit! Stattdessen: Ein wenig lässig-platte Recherche. “Etwa fünf Prozent der Kinder sind nicht geimpft.” Soso. Das liest sich im letzten Epidemiologischen Bulletin des RKI aber anders. Seis drum.
Selbstkritik? Wenigstens irgendeine Querverbindung zu der unsäglichen Essener VAXXED-Aktion aufgezeigt? Fehlanzeige.
Das musste ich loswerden. Hoffentlich lernen einige hieraus mal etwas. Ich bin da im Moment tief pessimistisch.
Mein ehrlich empfundenes Mitgefühl an die Familie der Verstorbenen.
Der verdienstvolle David Gorski hat heute (22. Mai) auf sciencebasedmedicine.org einen ausführlichen Artikel veröffentlicht, der sich mit der schleichenden Ausbreitung pseudomedizinischen Unsinns in der (bislang) wissenschaftsbasierten Szene befasst. Er verdeutlicht dies im Besonderen an der Öffnung des British Medical Journal, eigentlich stets einer Bastion der Wissenschaftlichkeit, für lang und breit ausgetretene pseudomedizinische “Forschung”.
Dort können gar Versuche gestartet werden, eine völlig neue Nomenklatur einzuführen, die mal wieder eine “zweite Medizin” neben der wissenschaftsbasierten zu installieren versucht. Zweifellos Gedankengänge von Menschen, die vordergründig in “Medical Reseach” tätig sind, aber denen der intellektuelle Hintergrund offenbar fehlt, die Absurdität von den “mehreren Wissenschaften” zu begreifen. Siehe auch die auch auf diesem Blog bereits angesprochenen Fehlentwicklungen in der deutschen akademischen Szene.
Ein Auszug (Übersetzungen von mir): “Neben der enthusiastischen Umarmung von Pseudokram durch große, angesehene akademische Institutionen wie der Cleveland Clinic und dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center hat sich diese “Integration” von Quacksalberei in die Medizin jetzt auch in medizinischen Zeitschriften manifestiert. Bislang unverrückbar wissenschaftlich fundierte medizinische Journale haben leider begonnen, Dinge zu veröffentlichen, die man nur als leichtgläubige Bestätigungen von Quacksalbereien bezeichnen kann. Wir haben hinreichend viele Beispiele hierfür schon über die Jahre hinweg aufgegriffen. Ich sehe mich aber jetzt veranlasst, einen richtigen Kracher (im Original: Whopper) zu dokumentieren: Das British Medical Journal hat zwei ‘State of the Art-Reviews’ über ‘Integrative Medizin’ veröffentlicht, die das falsche Paradigma aufgreifen, Quacksalberei und Medizin müssten ‘ integriert’ werden. Der erste ‘State of the Art’-Beitrag befasst sich mit dem Behandlungsmanagement von chronischen Schmerzen mittels komplementärer und integrativer Medizin (von Lucy Chen aus dem Massachusetts General Hospital Center für Translational Pain Research und Andreas Michalsen vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie und Immanuel Hospital in Berlin). Die zweite ist eine Arbeit über komplementäre und integrative Medizin in der Kopfschmerzbehandlung (von Denise Millstine, Christina Y Chen und Brent Bauer, alle aus der Mayo Clinic). Leider sind sowohl Harvard als auch die Mayo Clinic zu Bastionen der quackademischen Medizin geworden.”
So können sich Chen/Michelsen allen Ernstes erdreisten, folgendes im BMJ zu veröffentlichen:
”Das Konzept der komplementären und integrativen Medizin (CIM) umfasst sowohl westliche Medizin als auch komplementäre Gesundheitsansätze als neuen kombinierten Ansatz zur Behandlung einer Vielzahl von klinischen Bedingungen. CIM kann eine einzigartige Rolle bei der chronischen Schmerztherapie haben, da die multidimensionale Natur des Schmerzerlebnisses eine multimodale Behandlung erfordert. Jüngste Fortschritte in der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung auf CIM haben das Bewusstsein der Patienten über die potenzielle therapeutische Anwendung von CIM deutlich erhöht.”
Da haben wir die neue Nomenklatur: CIM. Der Versuch, einen neuen scheinwissenschaftlichen Eurphemismus zu etablieren, unter mehr oder weniger subtiler Herabsetzung, ja Relativierung der wissenschaftlichen Medizin – durch wissenschaftlich ausgebildete Mediziner! Gorski meint dazu:
“Man beachte die falsche Dichotomie, in der ‘westliche’ (z.B. europäische) Tradition als wissenschaftlich-reduktionistisch und humanistisch defizitär dargestellt wird – im Gegensatz zu ‘CIM’. Ich habe einen neuen evolutionären Schritt beim Sprachgebrauch zu CAM (Complementary and Alternative Medicine) längst registriert- und dies ist ein weiterer Teil davon. Zuerst fiel mir beim National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM) die von ihm selbst vorgeschlagene Umbenennung in das ‘National Center for Research on Complementary and Integrative Health’ (NCCIH) auf. Dies ist nur die jüngste Iteration des “Rebranding” der Quacksalberei, die damit versucht, sich über sprachliche Assoziation respektabler darzustellen. Genau dazu tragen die BMJ-Artikel bei.”
Das ist kein Zufall, das ist interessengeleitete Unterminierungsarbeit.
Prof. Gorski schließt wie folgt:
“Prof. Ernst ist mit Fug und recht unglücklich. Wie er richtig sagt, war das BMJ bislang eine wissenschaftlich führende Zeitschrift. Was passiert hier? Ich glaube, ich weiß es – leider. Die Flut der Pseudowissenschaft, die im letzten Vierteljahrhundert zugenommen hat, hat auch das BMJ einfach verschlungen. Zumindest in diesem Fall gab es einigen Gegenwind, aber ich fürchte, dass dies nur von kurzer Dauer sein wird. Jetzt sind wir erst einmal gespannt, was das BMJ als nächste systematische Übersicht über die Behandlung von Patienten mit Methoden der CIM veröffentlicht – vielleicht von Patienten mit einem vagen Unbehagen, einem leichten Nervenflattern oder auch nur mit mehr Geld als Verstand. Ich bin sicher, dass diese Übersicht ebenso positiv ausfallen wird wie die Bewertungen von Chen, Michalsen, Millstine et al.”
Hier wird die Axt an die Wurzeln der wissenschaftsbasierten Medizin gelegt. Man kann es leider nicht anders ausdrücken.
Ohne mich.
Der ganze Artikel von Prof. Gorski, oben im Text verlinkt, ist recht lang. Wer interessiert ist, sollte ihn auf jeden Fall lesen – er ist mit halbwegs soliden Englischkenntnissen recht gut verständlich.
PS Prof. Ernst führt auf seinem Blog zu den genannten Reviews im BMJ aus, sie enthielten soviel Bullshit, dass man damit mehrere Hektar Ackerland fruchtbar machen könnte…
Aus gegebenem Anlass stelle ich diesem Beitrag mal ein Zitat des guten alten Francis Bacon voran, einem der Vorreiter moderner Wissenschaft, der manches, was heute zum Standard des Wissenschaftsbegriffs gehört, vorwegnahm. Das Zitat stammt aus seinem 1621 erschienenen Hauptwerk “Novum Organum” (nach der Oxford-Ausgabe 1889):
“Wenn eine Überzeugung einmal feststeht, unternimmt der menschliche Verstand alles, immer zusätzliche Unterstützung und Bestätigung für sie zu gewinnen: Und obwohl zahlreiche zwingende Fakten dagegen sprechen können, beachtet er sie entweder nicht oder wertet sie ab oder stößt sie durch vorurteilsbehaftete unsachgemäße Umdeutung ab und weist sie zurück, viel eher, als dass er die Autorität seiner eigenen ersten Schlussfolgerungen opferte.”
Was ist der Anlass für dieses bemerkenswerte Zitat? Nun, für Bacons Erkenntnis gibt es ein höchst aktuelles Beispiel, das den homöopathisch orientierten Blätter- und Webseitenwald derzeit erheblich rauschen lässt. Der Zentralverein homöopathischer Ärzte berichtet:
“ Australische Homöopathie-Studie: „Eine Täuschung der Öffentlichkeit“
Berlin, 12. April 2017. Der Direktor des Londoner Homeopathy Research Institut (HRI), Dr. Alexander Tournier, erhebt schwere Vorwürfe gegen den staatlichen Forschungsrat Australiens und wirft ihm ‘Täuschung der Öffentlichkeit’ vor. Der Nationale Rat für Gesundheit und medizinische Forschung (National Health and Medical Research Council, NHMRC) hatte vor zwei Jahren eine Übersichtsstudie (Review) zur Homöopathie mit dem Ergebnis veröffentlicht, Homöopathie wirke nicht besser als Placebo. Diese Aussage ging auch in Deutschland durch viele Medien und wurde als ein Beleg für die angebliche Unwirksamkeit der Homöopathie angeführt. ‘Die Ungenauigkeiten im Bericht des NHMRC sind so extrem’, erklärt Tournier, ‘dass wir uns dazu entschlossen haben, eine gründliche Untersuchung durchzuführen, die die Hintergründe aufdeckt’. Das HRI hat eine Beschwerde bei einer offiziellen Commonwealth-Stelle eingelegt und aktuell erste Ergebnisse seiner Recherche veröffentlicht. ‘Es ist ungeheuerlich, dass mit derart verzerrten Daten weltweit politische Meinungsbildung betrieben wird“, sagt Cornelia Bajic, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ)’. ” …
Donnerwetter. Jetzt sind wir schon bei politischer Meinungsbildung. Immerhin ist das Review der Australischen Gesundheitsbehörde die Referenz schlechthin, was die Beurteilung der Wirksamkeit von Homöopathie auf der Grundlage von Studienergebnissen angeht. Erst vor kurzem hat sich auch die Russische Akademie der Wissenschaften nach eingehender Prüfung das Ergebnis der Australier zu eigen gemacht. Zudem darf man auch deswegen ein wenig überrascht sein, weil gerade die Arbeit der Australischen Gesundheitsbehörde auf Studien beruhte, die die Britische Homöopathische Gesellschaft selbst als Referenzen anführt, unter Einbeziehung etlicher homöopathischer Autoritäten durchgeführt wurde und vor der endgültigen Veröffentlichung der gesamten homöopathischen Gemeinschaft Australiens für Kritik und Anmerkungen zur Verfügung stand. Was denn jetzt? Wer hat denn hier nicht aufgepasst?
Gemach. Überflüssig wohl, vorauszuschicken, dass selbst ein hundertprozentiger Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen immer noch nicht zu einer Evidenz für die homöopathische Methode führen würde – sie widerspricht nun doch leider allzu sehr naturwissenschaftlichen Grundlagen. Aber Geduld gehört zu den Tugenden im Diskurs. Deshalb wollen wir einen näheren Blick auf diese Anschuldigungen ruhig riskieren.
Ombudsmann untersucht “fehlerhafte” homöopathische Studie
Veröffentlicht am Samstag, 15. April 2017 / von Edzard Ernst
“What Doctors don’t Tell You” (WDDTY, wo die Vorwürfe gegen die NHMRC zuerst publiziert wurden) hat schon öfter mit der Wahrheit auf Kriegsfuß gestanden (es folgen Verweise). Jetzt haben sie einen Artikel mit dem Titel “Ombudsman untersucht ‘fehlerhafte’ homöopathische Studie, die behauptet, dass die Methode unwirksam ist” veröffentlicht. Er greift in unzweideutiger Weise die “NHMRC-Erklärung über Homöopathie / NHMRC Informationspapier – Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie zur Behandlung von Gesundheitsstörungen” aus dem Jahr 2015 an – von der ich mit guten Gründen denke, dass sie eine solide Bewertung der Homöopathie darstellt und die ich deshalb wiederholt auf meinem Blog herangezogen habe. Hier folgt, was WDDTY postuliert:
ZITAT ANFANG
Ein großer und einflussreicher Review zur Homöopathie kam zu dem Schluss, dass die umstrittene Therapie keine Wirksamkeit aufweist – aber das Review war derart mit Irrtümern und schlechter Wissenschaft durchsetzt, dass eine offizielle Ombudsmann-Untersuchung veranlasst wurde. [Gemeint ist der Ombudsmann für Beschwerden jeglicher Art bezüglich öffentlicher Angelegenheiten innerhalb des Commonwealth of Nations. Eine interessante Art und Weise, einen wissenschaftlichen Diskurs zu führen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.]
Weltweit berichteten die Medien, die Homöopathie sei Betrug, nachdem das National Health and Medical Research Council (NHMRC) im Jahr 2015 veröffentlicht hatte, dass “es keine medizinischen Indikationen gibt, bei denen eine zuverlässige Evidenz für die Wirksamkeit von Homöopathie existiert”.
Doch jetzt untersucht der Commonwealth-Ombudsmann die Verfahren, mit denen das Review der NHMRC durchgeführt wurde – nach Erhalt von Berichten über Ungenauigkeiten, Missachtung von Belegen und Interessenkonflikten.
Die Überprüfung wurde von der Australischen Homöopathischen Vereinigung (AHA) ausgelöst, unterstützt durch das homöopathische Forschungsinstitut (HRI), das begonnen hatte, die Review-Verfahren zu hinterfragen, nachdem mehrere solide Studien gezeigt hatten, dass Vorteile der Homöopathie übergangen worden waren.
Das NHMRC-Review-Team berücksichtigte willkürlich nur Studien, die mehr als 150 Probanden betrafen – und forderte Standards, die selbst bei Arzneimittelstudien nur selten zu erreichen sind. Aufgrund dieser Anforderungen reduzierte man die Anzahl der als qualifiziert [für das Review] angesehenen Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 einzelnen Untersuchungen [Unsinn – gemeint sind hier die Angaben des NHMRC in einer frühen Pressemitteilung von rd. 1.800 gesichteten Literaturbelegen und zusätzlich eingereichten Unterlagen, nicht Reviews bzw. Studien – die hieraus als verwertbar für das Projekt bewertete Zahl an Reviews betrug 57, diese wiederum bezogen sich auf 176 Studien, s. unten – Zusatz UE) – und keine von diesen zeigte dann eine Wirksamkeit der Homöopathie.
Einer der NHMRC-eigenen Rezensenten produzierte einen geheimnisvollen ersten Bericht, der noch nie veröffentlicht und trotz der Gesetze zur Informationsfreiheit nicht freigegeben wurde. [Ja und? Wenn überhaupt, war das eine Vorversion, so was soll es tatsächlich geben… VERSCHWÖRUNG!!! – Zusatz UE]
Ferner hat die AHA aufgedeckt, dass Prof Peter Brooks, Vorsitzender des untersuchenden NHMRC-Komitees, nie erklärt hat, dass er Mitglied der Anti-Homöopathie-Lobby-Gruppe “Friends of Science in Medicine” war. [Was nicht zutrifft. Prof. Brooks war nur kurzzeitig Mitglied dieser Gruppe und hat außerdem genau deswegen den Vorsitz des Ausschusses an Prof. Paul Glasziou abgegeben. – Zusatz UE]
Es gebe solide Studien, die eine Wirksamkeit der Homöopathie gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen belegen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Probanden, erklärte HRI-Chef Rachel Roberts. “Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, dass es qualitativ hochwertige Studien gibt, die eine Wirkung der Homöopathie für einige medizinische Indikationen belegen – Informationen, die nur wegen des irreführenden Umgangs des NHMRC mit der Beleglage untergegangen sind.”
Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “sich nicht sicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.
ZITAT ENDE
Wie es eben so ist, stehe ich in Kontakt mit dem Hauptautor des kritisierten Berichts, Paul Glasziou, nicht zuletzt, weil er ein freundliches Vorwort für mein Buch Homeopathy – The Undiluted Facts geschrieben hat. Also haben in unserer Korrespondenz die neuesten Schmähungen von WDDTY diskutiert. Aufgrund dessen bin ich jetzt in der Lage, einiges geradezurücken (ich hoffe, Paul hat nichts dagegen):
ANMERKUNG 1: – Das NHMRC-Reviewteam legte willkürliche Parameter fest, nach denen nur Studien mit mehr als 150 Personen einbezogen wurden und setzte Standards, die selbst Arzneimittelstudien nur selten erreichen.
Die Wahrheit ist, dass der Bericht sich gar nicht auf einzelne Studien, sondern auf bereits vorliegende systematische Reviews von Studien bezieht [Das Review der NHMRC ist also ein Meta-Review] – Anm. UE]. Die 57 betrachteten systematischen Reviews umfassten 176 Einzelstudien, die 61 Indikationen umfassten: durchschnittlich etwa 3 Indikationen pro Studie. Aber einige Studien beinhalteten nur eine Indikation, und ein einzelner Versuch würde normalerweise natürlich nicht als vernünftige Grundlage für zuverlässige Schlussfolgerungen betrachtet werden. GRADE – der internationale Standard für die Beurteilung von Evidenzen – schlägt vor, “wenn Gruppengrößen kleiner als 400 sind, sollten Autoren und Leitfadenentwickler die darin liegende Ungenauigkeit bei der Bewertung berücksichtigen”. Daher wäre das Kriterium von 150 sogar wesentlich milder als die aktuelle GRADE-Richtlinie. [Ein starkes Entgegenkommen (!) gegenüber der Homöopathie – die eh immer wieder das Problem hat, kaum Studien mit der von GRADE eigentlich geforderten Größenordnung bereitzustellen. – Anm. UE]
ANMERKUNG 2 – Diese Anforderungen reduzierten die Anzahl der qualifizierenden Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 – und keine von ihnen zeigte, dass die Homöopathie wirksam war.
Das ist einfach nicht richtig. Der Bericht des NHRMC beinhaltet 57 systematische Reviews, die sich auf 176 Einzelstudien beziehen, nicht 5. Diese 176 Studien zu 61 Indikationen bildeten die Evidenzgrundlage für die Schlussfolgerungen des NHMRC-Berichts. [Insgesamt wurden 225 Arbeiten berücksichtigt, einschließlich der von Homöopathen zusätzlich im Rahmen der öffentlichen Auslegung eingereichten.]
ANMERKUNG 3 – Es gibt solide Studien, die zeigen, Homöopathie ist wirksam gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Menschen, sagte HRI-Chef Rachel Roberts.
Der NHMRC-Bericht konzentrierte sich auf systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen abdeckten. Angesichts des recht konventionellen p-Wertes von 0,05 [der p-Wert ist ein statistischer Wert, der für den Grad der Wahrscheinlichkeit steht, mit der angenommen werden kann, dass es sich um Zufallsergebnisse handelt]. würde man erwarten, dass eine von 20 Einzelstudien “falsch positiv” sei. Bei 176 Versuchen erwarten wir demnach etwa 9 “falsch positive” Ergebnisse. Aber systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen kombinieren, reduziert dieses Risiko falsch positiver Ergebnisse. Die meisten nationalen Beweisprüfungsgremien fordern für eine Evidenz mehr als eine Studie, z. B. die FDA [Food and Drug Administration der USA] fordert zwei positive Studien, während viele andere gar keine einzelnen Studien, sondern bereits ein systematisches Review unter Einbeziehung von mindestens zwei Studien [für die Annahme eines Evidenznachweises] verlangen. Die Reproduktionsfähigkeit der Befunde ist offensichtlich ein Eckpfeiler der Wissenschaft.
ANMERKUNG 4 – Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “unsicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.
Die Wahrheit ist, dass das Cochrane Center mit einer unabhängigen Überprüfung den gesamten Prozess der NHMRC-Untersuchung begleitet hat. Es kam zu dem Schluss, dass ‘insgesamt die aus dem Review gezogenen Schlussfolgerungen aufgrund der vorgelegten Evidenz gerechtfertigt erscheinen.’
Ende meines Plädoyers.”
Danke, Prof. Ernst.
Zum besseren Verständnis noch ein paar Anmerkungen meinerseits:
Sehen wir einmal von den offensichtlichen Unwahrheiten ab, die von den Homöopathen vorgetragen werden (Missdeutung der Untersuchungsbasis des NHMRC, unzutreffende Angaben zur Bewertung des Reviews durch Cochrane, völlig unsinnige und auch unzutreffende Hinweise auf “Interessenkonflikte”) –obwohl allein dies eigentlich die ganze Befassung mit dieser Geschichte schon obsolet machen würde. Auch mal abgesehen davon -wie oben schon erwähnt-, dass es mir sehr eigenartig vorkommt, dass neuerdings ein wissenschaftlicher Diskurs auf dem Wege einer Beschwerde beim Ombudsmann für Fehlleistungen öffentlicher Stellen, also dem öffentlichen Kummerkasten für Bürgerbeschwerden, ausgetragen wird. Aber ich vergaß – Frau Bajic wies ja ausdrücklich darauf hin, dass es um politische Meinungsbildung gehe. Also nicht um wissenschaftlichen Diskurs. Sorry.
Also: Die 176 über vorliegende Reviews einbezogenen Studien sind nur geringfügig weniger als die Zahl, die die British Homeopathic Society selbst an belastbaren Arbeiten führt – im Zeitpunkt der Studie waren dies 189. Es wurden keine Reviews / Studien vom NHMRC einbezogen, die von Homöopathen abgelehnt worden wären. Vielmehr kamen aufgrund der Öffnung der Studie für zusätzliche Hinweise noch Arbeiten hinzu, so dass der endgültigen Bewertung 225 Arbeiten aus 57 Reviews zugrunde lagen.
Schon die Projektierung des Reviews wurde vom australischen Cochrane Center überprüft, ebenso die tatsächliche Durchführung und die Einhaltung der Planungsvorgaben. Den Bericht haben im Entwurf mehrere Gutachter erhalten, die auf dem Gebiet der Komplementärmedizin selbst tätig waren. Die Stellungnahmen dieser Gutachter wurden mit dem Review veröffentlicht und können jederzeit nachgelesen werden. Danach wurde der Entwurf offengelegt und der gesamten homöopathischen Gemeinde Australiens ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, Stellung zu nehmen und auch Arbeiten / Studien zu benennen, die nach ihrer Meinung berücksichtigt werden sollten – was auch geschah.
Angesichts dessen muss man sich schon fragen, welche Chuzpe bei AHA, HRI und WDDTY dazu führt, der australischen Behörde eine voreingenommene Studienauswahl vorzuwerfen, zu unterschlagen, dass es sich um ein Meta-Review und nicht um ein Review einzelner Studien handelte und dann auch noch mit falschen Zahlen zu operieren. Um nicht zu sagen, glatt zu lügen. Was der Zentralverein Homöopathischer Ärzte dann einfach aufgreift und verbreitet (und dabei auch noch falsch zitiert).
Es ist über die Ausführungen von Prof. Ernst hinaus auch noch einmal wichtig, zu verdeutlichen, dass es keineswegs zutrifft, Studien mit weniger als 150 Probanden seien außer Acht gelassen worden. Schon im Overview-Report des NHMRC kann man sich davon überzeugen, dass dies nicht wahr ist, dazu braucht man die fast 1.000 Seiten des unglaublich ausführlichen Reviews nicht komplett zu lesen. Ansonsten wäre es wohl kaum dazu gekommen, dass nahezu alle von der British Homoeopathic Society geführten Studien im Meta-Review erfasst sind.
Was den Hinweis auf die berühmten Studien mit angeblich echter Evidenz für die Homöopathie angeht (Anmerkung 3) – Prof. Ernst will mit seinen Ausführungen zur Signifikanz von Studienergebnissen verdeutlichen, dass einzelnen, zumal mit kleinen Probandengruppen durchgeführten Studien im Vergleich zu Reviews oder gar Meta-Reviews keine Bedeutung zukommen kann. Und dass jede Einzelstudie mindestens einmal unter gleichen Bedingungen reproduzierbar gewesen sein muss, bevor man sie überhaupt als relevant zur Kenntnis nehmen kann. Hier wird die Position der Homöopathen nochmals deutlich: Sie nehmen gern in Anspruch, auf Studienergebnisse nach ihrem Gusto zu verweisen, erkennen aber die wissenschaftlichen Standards für die Aussagefähigkeit solcher Studien nicht an. Es mutet schon sehr seltsam an, die Aussagekraft des größten Meta-Reviews, das je zur Homöopathie durchgeführt wurde, mit einzelnen (Klein-)Studien zu Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen (alles selbstlimitierende oder periodisch auftretende Gesundheitsstörungen) aushebeln zu wollen.
Das ist einfach grotesk. Dazu passt, dass das Ganze auch gleich noch mit Verschwörungstheorien garniert wird, indem eine nicht näher bezeichneter geheimnisvolle Arbeit eingeführt wird, die niemand kennt, da sie nie veröffentlicht wurde. Informationsgehalt: Null. Frage an die Homöopathie-Fraktion: Quelle dieser Information? Einzelheiten? Namen? Inhalte? Möglicherweise ist auch nur eine Vorversion gemeint, deren Nichtveröffentlichung natürlich ein unverzeihliches Vergehen gegen die Homöopathie wäre …
Und ist es wirklich ein “Interessenkonflikt”, wenn ein wissenschaftlich tätiger Mediziner, auch wenn er an einem Review (also einer methodischen Bestandsaufnahme, nicht einmal einer klinischen Studie) über Homöopathie mitwirkt, keine positive Meinung von der Homöopathie hat? Und dazu die Unverschämtheit hat, einem Klub anzugehören, der sich allen Ernstes “Friends of Science in Medicine” nennt? Ja, das wäre schon toll, wenn nur überzeugte Homöopathen Studien und deren Reviews durchführen dürften… Homöopathen bei Homöopathiestudien sind kein Interessenkonflikt? Dürfen die Homöopathie-Gegner jetzt eh jede Studie ablehnen, an der ein ausgewiesener Homöopath teilgenommen hat? Keine Sorge, tun sie nicht – ist bekanntlich gar nicht nötig…
Eine glatte Unwahrheit ist – wie schon erwähnt – dass Prof. Brooks Vorsitzender der Kommission war – er war als solcher vorgesehen, hat aber selbst auf einen möglichen Interessenkonflikt hingewiesen und danach als einfaches Mitglied mitgearbeitet.
Wirklich bemerkenswert an dieser Geschichte ist eigentlich nichts. Außer dem Umstand, dass die Homöopathen neuerdings den Bürger-Kummerkasten ihrer Majestät für die Klagen über die unbelehrbaren Kritiker ihrer Methode benutzen. Sie haben mein Mitgefühl, Mr Obudsman.
Und meine Reverenz an Lord Bacon. You were right.
Nachtrag und Fazit, 2022
Im Rückblick erscheint diese erste Analyse uneingeschränkt zutreffend. Über Jahre hinweg hat das Homeopathy Research Institute im Grunde nichts anderes getan als die Geschichte von einem „unterdrückten ersten Entwurf“ zu einer weltweit verbreiteten Verschwörungstheorie auszubauen. Nie hat es das immer wieder angekündigte Analysepapier zum NHMRC-Report vorgelegt. Auf Anfrage (die es ganz direkt sogar in einem Austausch in den Sozialen Medien gab) ist man jede Antwort nach dem Warum schuldig geblieben. Stattdessen hat man das NHMRC, immerhin eine hochrangige Dienststelle der Australischen Bundesregierung, mit Manipulationsvorwürfen überzogen und dazu auch noch eine weltweite Petition gestartet.
All das ist erwartungsgemäß krachend gescheitert. 2019 veröffentliche das NHMRC dann, um der Sache ein Ende zu machen, den nicht mehr weiterverfolgten „First Draft“ des Reviews mit zahlreichen Anmerkungen zu dessen Mängeln, wegen derer er nicht weiterverfolgt wurde. Die Leiterin des NHMRC, Prof. Anne Kelso, veröffentlichte dazu einen Disclaimer. der den Sachverhalt klarstellte. Selbst danach versuchten Homöopathievertreter noch, aus dem „First Draft“, also einem Dokument aus dem Papierkorb, „Belege“ für ihre Verschwörungstheorien abzuleiten. Unsäglich.
Und das gleiche Homeopathy Resarch Institute (das vorher auch mit dem Versuch gescheitert war, Evidenzbelege für die Homöopathie durch eine Analyse der gesamten Studienlage zutage zu fördern – siehe zu den Arbeiten von Robert Mathie in diesem Blogbeitrag – tut so, als sei nichts gewesen, denkt nicht daran, seine massive Fehlleistung gegenüber dem NHMRC einmal einzugestehen und betreibt nach wie vor Homöopathielobbyismus in der vordersten Reihe. Neuerdings unterhält das HRI gar eine Filiale (oder wie man das nennen mag) in Berlin, von wo es die hiesige Homöopathielobby mit allerlei Statements und Studien versorgt, die sich meist schon beim ersten Blick als obsolet erweisen. Insbesondere HRI-Direktorin Rachel Roberts hat kein Problem damit, zu behaupten, dass gerade die qualitativ besten Studien homöopathische Wirkungen über Placebo hinaus belegen würden. Sie weiß genau, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn das kann sie im zusammenfassenden Bericht über Robert Mathies Ergebnisse auf der Webseite ihres eigenen Instituts nachlesen.
Unfassbar eigentlich. Aber sehr interessant und durchaus lohnend, zu solchen älteren Blogbeiträgen einmal den Gang der Dinge nachzutragen.
Was allerdings fassungslos macht, ist, dass der Ombudsman in Australien immer noch nicht zu einem abschließenden Urteil gekommen ist. Das NHMRC trägt es mit Fassung und weist auf seiner eigenen Webseite darauf hin – und darauf, dass er vorbehaltlos mit dem Ombudsmann zusammenarbeite. Was sonst. Letztlich bleibt für mich persönlich die Frage, ob der Ombudsmann womöglich tatsächlich der Ansicht ist, dass ein Diskurs über eine wissenschaftliche Arbeit in die Zuständigkeit einer Bürger-Beschwerdestelle fällt … ?!?
Um dir ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Einwillligung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden. Wir gehen verantwortlich mit Userdaten um und folgen wo immer möglich dem Grundsatz der Datensparsamkeit.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Präferenzen
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt. Es werden nur die Anzahl der Besucher und der Seitenzugriffe erhoben.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.