
Nicht alles, was wie eine Debatte aussieht, ist eine. Wer sich oft und ernsthaft auf argumentative Auseinandersetzungen einlässt – sei es in Wissenschaft, Politik oder Weltanschauung – merkt irgendwann: Manche Gespräche führen nicht deshalb in die Irre, weil das Gegenüber unredlich ist, sondern weil das Fundament schon falsch gelegt wurde. Die entscheidende Frage wurde übergangen, und stattdessen diskutiert man aufwendig über die nächste.
Das ist keine intellektuelle Spitzfindigkeit. Es ist das Einfallstor für Pseudowissenschaft, Dogmatik und logisch verkleideten Unsinn.
Ein klassisches Beispiel liefert uns die Homöopathie:
„Welche physikalisch-chemischen Veränderungen das Verschütteln genau hervorruft, und wie diese es dem Wasser ermöglichen, die Information der darin verdünnten Stoffe aufzunehmen, sind die großen Fragen, die die Forscher zu beantworten suchen.“
(Zitat: Homeopathy Research Institute)
Hier wird nicht etwa gefragt, ob eine solche Wirkung existiert. Man tut einfach so, als sei das längst geklärt – und verlagert die Debatte auf das Wie. Die zentrale, erkenntniskritische Frage, ob eine Informationsübertragung auf geschütteltes Wasser überhaupt existiert, wird damit unterschlagen. Stattdessen beginnt man eine Suche nach Mechanismen für ein Phänomen, das nicht einmal plausibel belegt ist.
Was hier passiert, ist ein rhetorischer Trick: Man schmuggelt eine unbelegte Prämisse ein – dass das Wasser tatsächlich Informationen speichert – und tut so, als sei das schon Konsens. Die darauf aufbauende Debatte wirkt dann wissenschaftlich, ist aber in Wahrheit ein Scheingefecht. In Diskussionen über Pseudowissenschaften ist das ein verbreitetes Muster.
Ich habe das Prinzip in Diskussionen über Homöopathie des öfteren offengelegt – mit verblüffender Wirkung. Wo man mit naturwissenschaftlichen Argumenten oft ins Leere stößt, erzeugt das Aufzeigen des logischen Kurzschlusses meist ein zustimmendes Nicken. Man erkennt die Strategie wieder – aus anderen Diskussionen, anderen Kontexten.
Ähnliche rhetorische Verschiebungen begegnen einem überall:
- „Warum werden Chemtrails versprüht?“ – Die Frage unterstellt, dass sie überhaupt versprüht werden.
- „Wie genau hat das Universum auf Gottes Willen reagiert?“ – Die Frage setzt voraus, dass es Gottes Willen gab.
- „Welche Energieformen werden bei Reiki aktiviert?“ – Auch hier wird eine unbelegte Annahme zur Prämisse.
Solche Fragen verleihen einem Scheinproblem das Gewicht eines realen Problems. Und genau darin liegt die Gefahr: Sie entziehen sich dem kritischen Blick, weil sie scheinbar nur „nachforschen“ wollen.
Denn das Phänomen ist universell: Man findet es bei esoterischen Systemen ebenso wie in theologischen Beweisführungen. Auch Benedikt XVI. etwa setzte in seinen populären Werken oft auf den Eindruck logischer Schlüssigkeit (und wurde dafür als Geistesgröße unter den Theologen gefeiert) – ohne je den Grundstein seiner Argumentation zu hinterfragen. Wer die Prämissen akzeptiert, mag den Rest folgerichtig finden. Wer sie nicht teilt, sieht nur klug gewobenes Wortgeklingel, das vorgibt, ein haltbares Netz zu sein.
Es gehört zu den größten Irrtümern, das Denken an seinem Glanz zu messen. Was zählt, ist die Prüfung der Voraussetzungen.
Man kann sich auf hohem Niveau über Wirkprinzipien von Informationswasser, Gottesbeweise oder morphogenetische Felder austauschen. Man kann das mit Ernsthaftigkeit tun, mit methodischem Besteck, mit Fußnoten.
Aber wenn das Gespräch auf einer Prämisse fußt, die nie als solche deklariert und zur Diskussion gestellt wurde – dann bleibt es ein intellektuelles Rollenspiel im eigenen Denkraum. Wissenschaft beginnt nicht mit Hypothesen. Sie beginnt mit Zweifel.
Oder, in Ray Hymans Worten:
Don’t try to explain something until you are sure there is something to be explained.
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