Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Kategorie: Homöopathie Seite 1 von 8

Warum Pseudomedizin mehr schadet als nur dem Einzelnen

Eine Nachbetrachtung zum Vortrag beim Themenabend Pseudomedizin „Hilft’s nicht, so schadet’s nicht“ der Partei der Humanisten, 20. März 2025

Am 20. März 2025 durfte ich im Rahmen eines Themenabends der Partei der Humanisten (PdH) einen Vortrag über das Schadenspotenzial der Pseudomedizin halten. Die Veranstaltung, deren Mitschnitt inzwischen online abrufbar ist, hatte ein erklärtes Ziel: differenziert, aber deutlich zu klären, warum die allzu oft verharmlosten „alternativen“ Heilverfahren nicht bloß medizinisch fragwürdig, sondern ethisch und auch gesellschaftlich hochproblematisch sind. Und doch blieb – bei aller gebotenen Informationsdichte – eines noch im Raum stehen: die tiefere Bedeutung des Begriffs „Schaden“.

Denn was meinen wir eigentlich, wenn wir von der Gefährlichkeit pseudomedizinischer Verfahren sprechen?

Die unsichtbare Gefahr

Die gängige Unterscheidung zwischen gefährlicher und harmloser Pseudomedizin wirkt auf den ersten Blick vernünftig: Was nicht unmittelbar schadet, könne man doch „laufen lassen“. Doch genau diese Haltung ist Teil des Problems. Denn sie verkennt, dass Schaden auch dort entsteht, wo er nicht physisch messbar ist – etwa durch epistemische Irreführung, kulturelle Normalisierung irrationaler Denkweisen oder strukturelle Fehlallokation von Ressourcen im Gesundheitswesen.

Pseudomedizin ist selten evidente Todesursache – aber oft die Ursache einer falschen Entscheidung. Und damit die Mitursache von Leid, das hätte vermieden werden können.

Vor allem aber ist Pseudomedizin keine isolierte Erscheinung, sondern Teil eines kulturellen Musters: Sie gedeiht dort, wo der Unterschied zwischen Wissen und Meinung, zwischen plausibler Evidenz und persönlichem Gefühl erodiert. Wenn Menschen lernen, auf „eigene Überzeugung“ mehr zu vertrauen als auf gesicherte Erkenntnis, dann ist der Weg zur Wissenschaftsfeindlichkeit, zur Impfskepsis oder zur „gefühlten Wahrheit“ längst beschritten.

Der eigentliche Schaden

Gerade Homöopathie – das Paradebeispiel einer systematisch irrelevanten Methode – hat über Jahrzehnte hinweg ihre Ungefährlichkeit wie einen Persilschein vor sich hergetragen, ja, sich sogar mit ihrer angeblichen besonderen Bedeutung für den Patientenschutz gebrüstet. Und doch untergräbt sie – wie viele andere „sanfte“ Verfahren – genau das Fundament, auf dem verantwortbare Gesundheitsentscheidungen ruhen: das Vertrauen in die Prüfbarkeit von Wissen.

Die Behauptung „Es hilft doch!“ ersetzt die Frage: „Woher wissen wir das?“. Und genau in dieser Verschiebung liegt der eigentliche Schaden. Es geht um mehr als Medizin – es geht um das gesellschaftliche Wahrheitsklima. Um die Bereitschaft, sich kritischen Maßstäben zu stellen. Um die Fähigkeit, zwischen Kausalität und Korrelation, zwischen Empirie und Wunschdenken zu unterscheiden.

Die Gefahr der Pseudomedizin liegt nicht nur im Körper, sondern im Kopf. Nicht nur im Einzelfall, sondern im Diskurs. Und deshalb ist ihre Kritik nicht nur Angelegenheit von medizinischen Detailfragen – sondern eine Frage der soziokulturellen Hygiene.

Aufklärung als Haltung

Wer Wissenschaft gegen Populismus und Beliebigkeit verteidigen will, muss sich auch erkenntnistheoretisch wappnen. Es genügt nicht, auf die Objektivität von „Zahlen, Daten, Fakten“ zu pochen, wenn wir nicht zugleich zeigen können, warum sie gelten dürfen und wie sie zustande kommen.

Der Skeptizismus, den wir brauchen, ist kein kalter Positivismus. Er ist ein ethischer Realismus – offen für Situiertheit, aber verpflichtet auf Wahrheit. Ohne diesen Anspruch verlöre Wissenschaft ihre gesellschaftliche Relevanz. Und Aufklärung ihren Sinn.


Rechtlich zulässig, wissenschaftlich unhaltbar

Der Etikettenschwindel homöopathischer Arzneimittel zwischen AMG und SGB V

Einleitung

Die öffentliche Diskussion um Homöopathie kreist oft um Fragen von Wirkprinzipien, Placeboeffekten oder Therapiefreiheit. Weit weniger bekannt – und juristisch weitaus interessanter – ist jedoch die systematische Verwischung von Zulassung, Wirksamkeit und Erstattungsfähigkeit im deutschen Gesundheitswesen. Homöopathische Arzneimittel dürfen in Verkehr gebracht und in bestimmten Fällen sogar von gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden – ohne dass sie einen Wirksamkeitsnachweis im medizinisch-wissenschaftlichen Sinne erbringen müssen.

Ermöglicht wird diese Abweichung durch eine Kombination aus arzneimittelrechtlicher Ausnahmezulassung (§ 38 AMG) und einem sozialrechtlichen Konstrukt, das in Fachkreisen als „sozialrechtlicher Binnenkonsens“ bekannt ist. Während das Arzneimittelgesetz sich demonstrativ über die Frage der medizinischen Evidenz ausschweigt, unterläuft das Sozialrecht seine eigenen Anforderungen an den Stand der Wissenschaft – und schafft so ein legales Einfallstor für Pseudomedizin.

Die Folge: Was rechtlich „Arzneimittel“ heißt, wird sozialrechtlich zur scheinbar medizinisch fundierten Leistung – ohne es jemals real gewesen zu sein.

Um es aber gleich klarzustellen: Was rechtlich möglich ist, muss noch lange nicht richtig sein. Worum es hier (noch) nicht geht, ist die Kritik daran, dass es solche Brüche in der Gesundheitsgesetzgebung überhaupt gibt und warum die Politik mit deren Duldung und Fortschreibung gegen elementare Prinzipien und auch gegen selbstgesetzte Regeln verstößt.

1. § 38 AMG – Die arzneimittelrechtliche Sonderzone

Homöopathische Mittel benötigen in Deutschland keinen „klassischen“, also wissenschaftlichen Standards und Kriterien genügenden Wirksamkeitsnachweis, um als Arzneimittel gelten zu dürfen. Statt einer Zulassung nach dem üblichem Verfahren gemäß § 21 AMG genügt ihnen eine bloße Registrierung nach § 38 AMG. Voraussetzung ist lediglich:

  • eine plausible (?) Anwendungsbegründung auf Grundlage homöopathischer Lehre,
  • ein ausreichender Sicherheitsnachweis,
  • und der Ausschluss von spezifischen Indikationsangaben.

Wirksamkeit im wissenschaftlichen Sinne ist nicht erforderlich. Das AMG gibt dazu keinen Hinweis – und genau das ist beabsichtigt. In der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber auch nicht darum ging, eine medizinisch-therapeutische Bewertung vorzunehmen, sondern vielmehr einen Kompromiss mit den Herstellern homöopathischer Mittel zu schaffen. Die Arzneimitteleigenschaft wird damit formal, aufgrund einer rechtlichen Fiktion, vergeben, nicht aufgrund empirischer Daten, sondern durch juristischen Akt. Der Ausschluss von Indikationsangaben ist das Indiz dafür, dass etwas wie medizinische Wirksamkeit im Zusammenhang mit der Registrierung nach § 38 AMG keine Rolle spielte – der Gesetzgeber wollte ersichtlich dieses Terrain gar nicht betreten und auch nicht suggerieren, es gebe spezifische Wirksamkeitsbelege für registrierte Homöopathika.

2. BSG-Rechtsprechung zum §38 AMG

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in mehreren Urteilen denn auch ausdrücklich klargestellt, dass die Registrierung eines Homöopathikums keinen Rückschluss auf eine medizinische Wirksamkeit erlaubt. Insbesondere im Urteil vom 24.06.2008 – B 1 KR 5/07 R stellte das Gericht unmissverständlich fest:

„Der Umstand, dass ein Mittel gemäß §38 AMG registriert ist, sagt nichts über seine Wirksamkeit oder seine therapeutische Zweckmäßigkeit im Sinne des SGB V aus.“

Damit differenziert das BSG klar zwischen formaler Zulassung und medizinischem Nutzen – eine Unterscheidung, die im arzneimittelrechtlichen Kontext durchaus scharf gezogen wird. Homöopathika sind also rechtlich Arzneimittel, medizinisch jedoch nicht evidenzbasiert.

3. Die Brücke ins System: Sozialrechtlicher Binnenkonsens

So klar die Abgrenzung im Arzneimittelrecht formuliert ist, so schwammig wird es im Sozialrecht. Die gesetzlichen Regelungen des SGB V verlangen zwar auch hier, dass Leistungen „dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse“ entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Doch genau an dieser Stelle etabliert sich ein Mechanismus, der diesen Grundsatz aushebelt: der sozialrechtliche Binnenkonsens.

Dieses Konstrukt ist nicht gesetzlich definiert, sondern wurde durch Rechtsprechung, insbesondere des Bundessozialgerichts, etabliert. Also ausgerechnet von der Instanz, die arzneimittelrechtlich eine klare Grenze zieht. Es bezeichnet die Praxis, Leistungen auch dann als erstattungsfähig zuzulassen, wenn sich die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung (z. B. Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband) darauf verständigen – selbst dann, wenn ein medizinisch-wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis fehlt oder fraglich ist.

Die entscheidende Wendung findet sich im Urteil BSG, 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R, in dem das Gericht sinngemäß urteilt:

„Der sozialrechtliche Konsens kann eine Leistung auch dann rechtfertigen, wenn der medizinische Erkenntnisstand noch ungesichert ist.“

Damit wird die evidenzbasierte Anforderung aus § 2 SGB V relativiert – und zwar durch eine Art systeminterne Übereinkunft. Medizinische Evidenz wird durch politischen oder berufsständischen Konsens ersetzt.

4. Die Rolle der Selbstverwaltung und die Taktik über Satzungsleistungen

Die Selbstverwaltungspartner – also v. a. die Krankenkassen und ihre Verbände – nutzen diesen juristischen Spielraum auf unterschiedliche Weise. Eine zentrale Möglichkeit besteht in der Nutzung von Satzungsleistungen (§ 11 Abs. 6 SGB V). Hier können Kassen freiwillige Zusatzangebote in ihre Satzung aufnehmen, auch ohne belastbaren medizinischen Wirkungsnachweis, solange sie das Wirtschaftlichkeitsgebot formell einhalten. Was dadurch geschieht, dass die Kassen sich durch solche Offerten mehr Zulauf an jungen, zahlungskräftigen und gesundheitsbewussten Neuzugängen erhoffen bzw. die Abwanderung Gutverdienender verhindern würden. Was allerdings recht zweifelhaft ist.

So finden sich Homöopathie oder anthroposophische Therapien bis heute in Satzungen vieler Krankenkassen – nicht weil sie wirken, sondern weil sie sich gut verkaufen. Oder, in der Lesart der Lobby und auch vieler Krankenkassen: weil sie beliebt sind. Allerdings findet sich Beliebtheit nicht in den Kriterien des § 2 SGB V. Und die Geschäftsführungsrichtlinien einer Kaufhauskette auch nicht in den Geschäftsordnungen der gesetzlichen Krankenkassen.

Der juristische Trick ist dabei nicht trivial, sondern ein Spiel über Bande:

  • Homöopathika erhalten durch § 38 AMG eine formale Arzneimittelzulassung – ohne Wirkungsnachweis.
  • Die Sozialrechtsprechung erkennt diese formale Zulassung nicht als Wirksamkeitsbeleg an – lässt aber zu, dass die Kassen solche Mittel erstatten, wenn sie es freiwillig tun.
  • Der Binnenkonsens ersetzt die wissenschaftliche Evidenz durch ein kartellartiges Einvernehmen innerhalb des Systems.

5. Die juristische Asymmetrie: AMG vorsichtig – SGB permissiv

Was dabei entsteht, ist eine paradoxe Asymmetrie zwischen Arzneimittelrecht und Sozialrecht. Während das AMG sich bewusst nicht zur Wirksamkeit äußert, wird im sozialrechtlichen Vollzug aus dieser Leerstelle eine faktische Legitimation konstruiert. Besonders absurd wirkt das in Fällen, in denen Hersteller oder Befürworter den Eindruck erwecken, die Erstattungsfähigkeit sei ein Beweis für medizinischen Nutzen.

Im Gegenteil: Sie ist lediglich der Beweis für ein gesetzlich ermöglichtes Aushebeln von Evidenzprinzipien durch administrative Arrangements. Oder anders: Sie ist der Beweis dafür, dass die Gesundheitsgesetzgebung im Stile eines Schweizer Käses reichlich Löcher aufweist, die entgegen den generellen, im Gesetz selbst festgelegten Prinzipien ein Eindringen wissenschaftlich unbelegter Mittel und Merhoden ins Gesundheitssystem ermöglicht.

6. Der Fall Hevert – Wirtschaftliches Interesse und die Illusion therapeutischer Legitimation

Ein exemplarischer Fall für die Diskrepanz zwischen juristischer Zulässigkeit und medizinischer Unhaltbarkeit ist der Abmahnversuch der Firma Hevert Arzneimittel gegen Dr. Natalie Grams im Jahr 2019. Grams hatte – fachlich korrekt – öffentlich erklärt, Homöopathika verfügten über keinen belastbaren Wirkungsnachweis. Hevert ließ ihr daraufhin eine Unterlassungserklärung unter Strafandrohung für jeden Fall der Zuwiderhandlung zustellen.

Was als Machtdemonstration gedacht war, entpuppte sich allerdings als strategisches Eigentor: Der mediale und öffentliche Druck war so hoch, dass Hevert die juristische Auseinandersetzung weitgehend still beendete bzw. nicht weiter verfolgte. Natalie Grams weigerte sich, die Unterlassungserklärung zu unterschreiben, unterstützt durch juristisch und sachlich fundierte Hintergrundarbeit.

Erstaunlich ist die nachfolgende Selbstauskunft eines Hevert-Geschäftsführers in einem Interview mit einer pharmazeutischen Fachzeitschrift: Auf die Frage, ob er die Wirksamkeit homöopathischer Mittel beurteilen könne, erklärte er sinngemäß, er sei Betriebswirt – und daher nicht zuständig für medizinische Fragen.

Diese Aussage offenbart die eigentliche Logik hinter der Pseudomedizin im Kassensystem: Es geht nicht um Wirkung, sondern um wirtschaftliche Verwertbarkeit. Das juristische Konstrukt der arzneimittelrechtlichen Zulassung und die sozialrechtliche Öffnung durch Binnenkonsens und Satzungsregelungen bieten genau dafür die ideale Infrastruktur – auf Kosten der Integrität des Gesundheitswesens.

7. Zulassung durch die Hintertür – Die Kommission D und das gesetzlich abgesicherte Evidenzvakuum

Neben der Registrierung homöopathischer Mittel nach § 38 AMG gibt es in Deutschland auch den formal „höherwertigen“ Weg der Zulassung mit Indikation – ein Verfahren, das für Homöopathika ausschließlich über die sogenannte Kommission D beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt. Die Kommission D ist ein eigens eingerichtetes Sachverständigengremium für die „besonderen Therapierichtungen“, das Empfehlungen für die Zulassung von Arzneimitteln auf Grundlage alternativmedizinischer Kriterien abgibt.

Rechtsgrundlage ist § 25 Abs. 6 AMG, der dem BfArM erlaubt, zur Bewertung der Zulassung von Arzneimitteln nach besonderer Therapierichtung spezielle Sachverständige zu bestellen. Formal klingt das unproblematisch – in der Praxis bedeutet es: Die Kommission besteht überwiegend aus Vertreter:innen der jeweiligen Richtung selbst, insbesondere homöopathisch tätigen Ärzt:innen und Apotheker:innen.

Mit der Möglichkeit zur Zulassung homöopathischer Arzneimittel durch die Kommission D wird diese Scheinwelt nicht etwa korrigiert, sondern auf eine höhere Stufe formaler Legitimation gehoben. Denn im Gegensatz zur Registrierung nach § 38 AMG handelt es sich bei den von der Kommission D befürworteten Mitteln tatsächlich um vollwertige Zulassungen nach § 25 AMG – mit Indikation und verordnungsfähigem Status.

Doch diese Zulassung basiert nicht auf empirisch gesicherter Evidenz, sondern auf einem gesetzlich eigens eingeräumten Sonderweg: Die Berufung auf die „medizinischen Erfahrungen der jeweiligen Therapierichtung“ ersetzt den Wirksamkeitsnachweis, unterläuft das wissenschaftliche Prinzip und macht die Kommission D zur amtlich legitimierten Ausnahmekammer für nicht evidenzbasierte Verfahren.

Dass daraus ein Arzneimittel mit offizieller Zulassung wird, darf nicht zur Verwechslung mit einem therapeutisch wirksamen Arzneimittel im wissenschaftlichen Sinne führen. Die Zulassung durch die Kommission D ist ebenfalls kein Wirksamkeitsnachweis – sie ist eine formalrechtliche Konstruktion, deren epistemischer Gehalt bei null liegt. Eine Konsensentscheidung innerhalb einer Therapierichtung schließt eine unabhängige Überprüfung aus und ist damit „der endgültige Beweis der Unwissenschaftlichkeit“ (Prof. Johannes Köbberling).

Diese Konstellation ist mehr als eine gesetzliche Ausnahme. Sie ist ein bewusst implementierter epistemologischer Sonderweg, durch den eine Parallelwelt medizinischer Geltung im Gesetz selbst verankert wurde. Während das Arzneimittelgesetz ansonsten auf wissenschaftliche Standards verpflichtet, wird hier eine Schulmedizin im eigentlichen Sinne – nämlich eine Lehre mit eigener Wahrheit – legalisiert.

Die Kommission D vollzieht diese Legitimationsverschiebung im Behördenvollzug: Sie prüft nicht nach wissenschaftlicher Evidenz, sondern nach kohärenter Binnenlogik der jeweiligen Therapierichtung. Dabei gilt nicht, was sich objektiv bewährt, sondern was innerhalb der Schule als plausibel gilt.

Die Kommission D braucht dazu aber wiederum einem Weg, auf dem sie dem Grundsatz der Wissenschaftlichkeit formal ausweichen kann. Der findet sich in der Konstruktion des Gesetzes selbst. § 25 Abs. 2 AMG bestimmt eindeutig, dass die Zulassung zu versagen ist, wenn das Erkenntnismaterial nicht dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Dieser Grundsatz zieht sich durch alle Anforderungen des Arzneimittelrechts.

Doch bei Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen greift eine Sonderklausel – und sie findet sich in einem Nebensatz des § 22 Abs. 3 AMG:

„Zu berücksichtigen sind ferner die medizinischen Erfahrungen der jeweiligen Therapierichtungen.“

Damit ist faktisch ein Ausnahmetatbestand für alles geschaffen, was sich auf historische, schulenspezifische oder erfahrungsbasierte Anwendungen beruft – unabhängig davon, ob diese medizinisch plausibel oder wissenschaftlich überprüfbar sind. Die Verpflichtung auf wissenschaftliche Evidenz wird an dieser Stelle nicht nur relativiert, sondern systematisch ausgesetzt.

Der Gesetzgeber ermöglicht damit eine Form staatlich zertifizierter Unwissenschaftlichkeit, die in keinem anderen Bereich des Medizinrechts eine Entsprechung hat. Es handelt sich – ohne Übertreibung – um eine gesetzliche Pluralisierung von Geltungskriterien.

Demgemäß kann keine Rede davon sein, dass die Registrierung und ebensowenig die Zulassung von Homöopathika einen „Wirksamkeitsbeleg“ darstellen würden. Diese Konstruktion, von Vertretern der Homöopathie als „Hauptargument“ bei juristischen Versuchen verwendet, Kritiker mundtot zu machen, ist absurd. Die „Zulassung“ von Homöopathika auf der Grundlage einer Empfehlung der Kommission D beschränkt sich auf die Zuerkennung der Arzneimitteleigenschaft mit der Folge des Zugangs zum ersten Arzneimittelmarkt – also apothekenpflichtig und verordnungsfähig.

Der Irrtum Kölner Verwaltungsrichter zur Wirksamkeit homöopathischer Mittel

Ein bemerkenswerter juristischer Kurzschluss findet sich in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln aus dem Jahr 2019 (Az. 7 K 8777/17), das weitreichende Fehlinterpretationen in das Arzneimittelrecht hineinliest: Das Gericht meinte, die vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehene „juristische Erstreckung des Arzneimittelbegriffs auf Homöopathika“ bedeute zugleich eine Erstreckung des Begriffs der therapeutischen Wirksamkeit auf diese Mittel. Damit unterstellt es – gegen den klaren Gesetzeswortlaut – einen gesetzlich fingierten Wirksamkeitsstatus, wo tatsächlich nur eine arzneimittelrechtliche Sonderbehandlung ohne wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis vorliegt.

Dieser Irrtum ist nicht nur offensichtlich, sondern rechtssystematisch unhaltbar:

  • § 25 Abs. 2 AMG verlangt für eine Zulassung grundsätzlich den Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit anhand des gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnismaterials – eine Anforderung, die bei Homöopathika gerade nicht erfüllt wird.
  • Die Sonderregelung über die Kommission D erlaubt ausnahmsweise die Berücksichtigung von „Erfahrungen aus der jeweiligen Therapierichtung“ – was ausdrücklich keine gleichwertige Evidenz im Sinne evidenzbasierter Medizin darstellt, sondern eine gesetzlich begründete Abweichung von der Norm.
  • Daraus eine konkludente Wirksamkeitsfiktion abzuleiten, verkehrt die gesetzliche Ausnahme zur Regel und widerspricht dem teleologischen Sinn der Vorschrift: Nicht die Gleichsetzung mit echten Arzneimitteln war bezweckt, sondern lediglich eine privilegierte Marktpräsenz ohne therapeutischen Anspruch.

Der fehlerhafte Zirkelschluss des VG Köln wird dadurch besonders gefährlich, dass er einer pseudomedizinischen Deutung Vorschub leistet: Der Status als Arzneimittel suggeriert Laien bereits hinreichende Wirksamkeit – die Gerichtsentscheidung zementiert dieses Missverständnis nun auch noch juristisch. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Gerade weil Homöopathika keine nachgewiesene Wirkung besitzen, wurden sie vom Gesetzgeber in einen Sonderstatus überführt, nicht trotz, sondern wegen des Fehlens wissenschaftlicher Evidenz.

Das VG Köln begeht mit seiner Interpretation daher einen Kategoriefehler: Es vermischt die formale juristische Zulassung mit dem inhaltlich-naturwissenschaftlichen Anspruch auf Wirksamkeit. Das ist, systematisch betrachtet, nicht haltbar – und widerspricht dem erkennbaren Zweck der Ausnahmeregelungen, die gerade keine Äquivalenz zu regulären Arzneimittelzulassungen begründen sollen.

8. Wissenschaft im Rückwärtsgang – Eine Kritik an der systematischen Erosion

Die deutsche Gesetzeslage im Arzneimittel- und Sozialrecht kennt – auf dem Papier – eine klare Leitlinie: Medizinische Verfahren und Arzneimittel müssen dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen. Dieser Satz zieht sich durch das AMG ebenso wie durch das SGB V. Doch in der Praxis ist dieser Standard löchrig wie ein Schleppnetz, das ein Blauwal ungehindert passieren könnte.

An strategischen Stellen wurden Hintertüren eingebaut, durch die nicht evidenzbasierte Verfahren systematisch in das Gesundheitssystem gelangen:

  • durch die Registrierung nach § 38 AMG und die daran geknüpfte fiktive Arzneimitteleigenschaft,
  • durch die Kommission D und die Sonderbehandlung in § 22 Abs. 3 AMG,
  • durch den sozialrechtlichen Binnenkonsens als Begründung für Erstattungsfähigkeit,
  • und durch die Möglichkeit freiwilliger Satzungsleistungen ohne Wirksamkeitsnachweis.

Jede einzelne dieser Regelungen wäre für sich genommen ein Problem. Zusammen jedoch ergeben sie ein gesundheitsrechtliches Subsystem, das in sich logisch funktioniert, aber von den epistemischen Prinzipien moderner Medizin weitgehend entkoppelt ist und der verbraucherschützenden Absicht, die ursprünglich die Intention für den Erlass des AMG war, diametral entgegensteht.

Der Begriff der „medizinischen Erkenntnis“ wird dabei nicht konsequent angewandt, sondern selektiv suspendiert – je nachdem, welches politische Zugeständnis oder welcher ökonomische Nutzen gerade im Vordergrund steht. Das ist kein Versehen, sondern Ergebnis bewusster Entscheidungen. Und es ist der vielleicht folgenreichste Bruch im normativen Gefüge der deutschen Gesundheitsgesetzgebung seit Inkrafttreten des AMG.

Wer heute behauptet, Homöopathie sei Teil des medizinischen Systems, weil sie zugelassen und erstattungsfähig sei, verwechselt Gesetzesrealität mit Wissenschaft.
Was formal möglich ist, ist epistemisch noch lange kein Fortschritt – es ist in diesem Fall Rückschritt mit System.

7. Fazit und politische Forderungen

Das Nebeneinander von § 38 AMG und sozialrechtlichem Binnenkonsens schafft eine juristische Scheinwelt: Homöopathische Mittel dürfen verkauft, erstattet und beworben werden, ohne je ihre medizinische Wirksamkeit bewiesen zu haben – allein durch regulatorisches Etikett und systeminternen Konsens.

Diese Praxis unterläuft nicht nur das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V, sondern auch die Verpflichtung zu evidenzbasierter Versorgung im Sinne des § 2 SGB V. Sie widerspricht der Patientenaufklärung, schwächt das Vertrauen in die gesetzlichen Krankenkassen und konterkariert die Prinzipien einer modernen, wissenschaftsgeleiteten Gesundheitspolitik.

Was juristisch erlaubt ist, ist deswegen noch lange nicht gerechtfertigt. Medizinisch nicht. Und politisch schon gar nicht.

Was wäre zu tun?

  • Die Abschaffung des sozialrechtlichen Binnenkonsenses als faktische Parallelstruktur zur evidenzbasierten Medizin.
  • Die Streichung homöopathischer und anderer pseudomedizinischer Leistungen der besonderen Therapierichtungen aus allen Satzungen und Selektivverträgen gesetzlicher Krankenkassen.
  • Eine gesetzliche Klarstellung, dass Arzneimittel im Sinne des § 38 AMG nicht als medizinisch wirksam im Sinne des SGB V gelten, solange kein wissenschaftlicher Wirknachweis vorliegt.
  • Eine politische Debatte über die ethische Verantwortung, nicht nur evidenzbasierte Versorgung zu fordern, sondern sie auch gegen wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

Schlussexkurs: Das EU-Registrierungsregime für Homöopathika – ein Missverständnis mit System

1. Einleitung

In Diskussionen um die rechtliche Stellung homöopathischer Arzneimittel wird häufig auf das EU-Recht verwiesen – insbesondere auf das verpflichtende Registrierungsverfahren nach Richtlinie 2001/83/EG. Daraus wird mitunter die Schlussfolgerung gezogen, Homöopathika seien „EU-anerkannte“ Arzneimittel und ihre nationale Erstattung oder formale Gleichbehandlung mit evidenzbasierten Medikamenten sei eine zwangsläufige Folge europarechtlicher Vorgaben.

Diese Argumentation ist irreführend. Die EU-Vorgaben betreffen ausschließlich die formale Verkehrsfähigkeit im Binnenmarkt. Sie begründen weder einen medizinischen Status noch eine Pflicht zur Integration in nationale Erstattungssysteme.

2. Die EU-Richtlinie 2001/83/EG – Ziel und Reichweite

Mit der Richtlinie 2001/83/EG wurde europaweit ein harmonisierter Rechtsrahmen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln geschaffen. Artikel 14 bis 16 dieser Richtlinie sehen ein vereinfachtes Registrierungsverfahren für bestimmte homöopathische Arzneimittel vor, sofern sie:

  • für orale oder äußerliche Anwendung bestimmt sind,
  • keine spezifischen Indikationen tragen,
  • eine ausreichende Verdünnung aufweisen (Unbedenklichkeit), d.h. mindestens die Potenzierungsstufe C 4 aufweisen,
  • nach homöopathischer Herstellpraxis produziert wurden.

Diese Vorschriften verpflichten die Mitgliedstaaten zur Einrichtung eines formalen Registrierungsverfahrens. Sie betreffen jedoch ausschließlich die Voraussetzungen für die Marktzulassung unter Sicherheitsaspektennicht die therapeutische Bewertung oder medizinische Legitimation.

3. Keine Verpflichtung zur Erstattung oder Gleichstellung

Die Richtlinie 2001/83/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, registrierte homöopathische Mittel:

  • als Arzneimittel im medizinisch-fachlichen Sinne zu klassifizieren,
  • mit evidenzbasierten Medikamenten gleichzustellen,
  • oder in ihre sozialrechtlichen Erstattungssysteme zu integrieren.

Die Entscheidung, Homöopathika in Deutschland trotz fehlender Evidenz als Arzneimittel zu bezeichnen und sie im Rahmen freiwilliger Satzungsleistungen gesetzlicher Krankenkassen zu erstatten, ist allein das Ergebnis nationaler politischer und gesetzgeberischer Entscheidungen.

4. Wissenschaftliche Position: EASAC-Stellungnahme 2017

Der European Academies Science Advisory Council (EASAC) – ein Zusammenschluss der nationalen Akademien der Wissenschaften der EU-Mitgliedstaaten – hat 2017 eine unmissverständliche Stellungnahme veröffentlicht:

„There is no known disease for which there is robust, reproducible evidence that homeopathy is effective beyond placebo.“

Die EASAC fordert u. a.:

  • Keine Erstattung durch öffentliche Gesundheitssysteme,
  • Keine Sonderstellung im Arzneimittelrecht,
  • Einheitliche Kennzeichnungs- und Werbevorgaben auf wissenschaftlicher Basis.

Diese Stellungnahme unterstreicht: Das europäische Wissenschaftsestablishment betrachtet eine Sonderbehandlung der Homöopathe als unhaltbar. Von Rechtsfolgen im Hinblick auf einen Arzneimittelstatus oder einen Platz in Erstattungssystemen durch die Regelung des Registrierungssystems in der Richtlinie geht der EASAC ersichtlich nicht aus – sonst hätte er deren Korrektur als Voraussetzung für die Umsetzung seiner Vorschläge erwähnen müssen.

5. Fazit

Das EU-Registrierungsregime für Homöopathika ist ein Mindeststandard zur Verkehrsfähigkeit unter Sicherheitsaspekten. Es verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht zur Vergabe eines medizinischen Status und nicht zur sozialrechtlichen Integration.

Die deutsche Praxis, Homöopathika im nationalen Recht als „Arzneimittel“ zu etikettieren und ihre Erstattung zuzulassen, ist nicht EU-rechtlich erzwungen, sondern politisch gewollt. Sie steht im offenen Widerspruch zu wissenschaftlichen Standards – und zur Position der europäischen Wissenschaftsakademien, einschließlich der deutschen Leopoldina.


Das BVerfG zu Tierheilpraktikern und Homöopathie: Nur Probleme, keine Lösungen

I’m not amused…

Die homöopathische Welt glaubt einmal wieder, Anlass zur Freude zu haben. Vor wenigen Tagen traf das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung, die dort als „Sieg“ gefeiert wird. Und in der Tat, auf eine gewisse Weise ist sie das auch, wenn ich auch glaube, dass die meisten Feiernden den genauen Inhalt des Urteils nicht wirklich realisiert haben. Man könnte nämlich, recht betrachtet, durchaus sagen, dass die Homöopathie allenfalls als „Beiwerk“ Gegenstand des Urteils ist.

Ich bin weit entfernt von Richterbashing, als jemandem, der mal eine Menge über Jura, Gesetzgebung und Rechtsprechung gelernt hat, ist mir das fern. Aber es ist legitim, aufzuzeigen, wo auch Entscheidungen des obersten Gerichts vielleicht einen zu niedrigen Horizont, einen allzu begrenzten Radius einbeziehen und damit verfehlen, ein in der Gesamtschau „richtiges“ Urteil zu erreichen. So bitte ich meine nachfolgenden Ausführungen zu verstehen.

Worum geht es?

Das Tierarzneimittelgesetz 2022

Im Februar 2022 ist das neue Tierarzneimittelgesetz (TAMG) in Kraft getreten. Im Wesentlichen ist es eine Umsetzung von Regelungen der neuen EU-Biorichtlinie und der EU-Tierarzneimittelrichtlinie. Einer der Kernpunkte der EU-Regelungen ist das Gebot, dass Arzneimittel in der Haltung von Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, nur noch auf tierärztliche Verordnung hin verabreicht werden dürfen (sog. Tierarztvorbehalt). Da Homöopathika bekanntlich auch Arzneimittel im Sinne des Gesetzes sind, bedeutet das das Aus für das Herumpfuschen von Tierhaltern und Tierheilpraktikern mit Homöopathie im Viehstall. Dass auch Tierärzten hier rechtlich enge Grenzen gesetzt sind, habe ich auf diesem Blog schon näher erklärt.

Der deutsche Gesetzgeber hat den Regelungen der EU-Richtlinien, die es umzusetzen galt, noch ein Detail hinzugefügt: er hat nämlich Haltern und Tierheilpraktikern (also Laien) auch für den Bereich der Nicht-Nutztiere grundsätzlich untersagt, Homöopathika, die nicht explizit als Veterinärarzneimittel ausgewiesen sind (das sind die allermeisten) ohne tierärztliche Verordnung zu verabreichen. Das ist üblich (was schert dabei die Unmöglichkeit, nach homöopathischen Grundsätzen zu therapieren) und nennt sich „Umwidmung“. Es geht also, kurz gesagt, um die Ausdehnung des Tierarztvorbehalts auf Tiere, die keine Nutztiere mit dem Ziel der Lebensmittelgewinnung sind. Hund, Katz, Pferd und Maus also. Und Koikarpfen nicht zu vergessen, ein bekanntes Tätigkeitsfeld für Tierheilpraktiker.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Nun ist Tierhomöopathie ja eh nichts anderes als das Absurde im Absurden. Aber lassen wir diese Kleinigkeit erst einmal beiseite und fragen uns, was das jetzt mit dem Bundesverfassungsgericht zu tun hat.

Nun, es handelt sich um eine Klage von TierheilpraktikerInnen gegen den eben beschriebenen „speziellen“ Teil des TAMG, den Tierarztvorbehalt auch bei Nicht-Nutztieren, der sie in ihrer Berufsausübungsfreiheit einschränke. Die Formulierung war wohl, die Regelung „käme faktisch einem Berufsverbot gleich“.

Nun kann man sehr wohl darüber streiten, ob dies a) nicht durchaus wünschenswert und b) der Tierheilpraktiker überhaupt ein „Beruf“ sei. Leider hat in der Rechtsprechung die frühere Rechtsfigur des Berufs mit Ausbildung, Fachkunde, in der Regel auch dem Nachweis einer Qualifikation unter einem Prüfungsregularium längst einer Sicht Platz gemacht, die mehr oder weniger als „Beruf“ alles anerkennt, was auf dem gleichsinnigen Zusammenschluss einiger Überzeugter beruht und über mehr als ein paar Wochen oder Monate tatsächlich gegen Entgelt ausgeübt wird. Im ersteren Sinne wäre der „Tierheilpraktiker“ also ein Nicht-Beruf, allenfalls eine Tätigkeit. Das Bundesverfassungsgericht sah aber in seinem hier besprochenen Urteil kein Problem darin, Tierheilpraktikern den Schutz der Berufsausübungsfreiheit nach dem Grundgesetz zuzuerkennen und sie damit als „Beruf“ de facto rechtlich anzuerkennen. Was eine sehr unangenehme Sache ist, wie wir noch sehen werden.

Unter dieser offensichtlich nicht weiter hinterfragten Prämisse untersuchte das Gericht, ob das „Homöopathie-Verbot“ des TAMG für Nicht-Tierärzte im Nicht-Nutztierbereich (man muss es so präzise ausdrücken) tatsächlich verfassungswidrig sei. Und bejahte diese Frage. Mit der Folge, dass der angegriffene „Spezialteil“ des TAMG als von Anfang an nichtig gilt und nicht anzuwenden ist.

Das Gericht befand, das uneingeschränkte Verbot der Anwendung von Humanhomöopathika an Nicht-Nutztieren durch Halter und Tierheilpraktiker sei vom Gesetzgeber nicht ausreichend gegenüber dem damit verbundenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit abgewogen worden. Die Einstufung der Tierheilpraktiker als Beruf nehme ich mal als Fakt hin, so sehr es mir widerstrebt – siehe oben. Aber die Sache mit der Abwägung, da hakt es bei mir gewaltig.

Der Gesetzgeber hat vor dem Hintergrund, dass die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch als gering einzuschätzen ist und durch die Einführung einer Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse im Bereich der Tierheilkunde weiter gemindert werden kann, keinen verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich vorgenommen.

Pressemitteilung vom 16.11.2022 zum Beschluss vom 29. September 2022
1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21

Gut, das entspricht dem ehernen Grundsatz, dass Eingriffe in Rechte, zumal Grundrechte (wie hier in die Berufsausübungsfreiheit) notwendig, angemessen und so milde wie möglich sein müssen. Nähere Ausführungen dazu in der Gesetzesbegründung hat das Gericht vermisst. Es ist also erst einmal folgerichtig, wenn es diesen Punkt in den Fokus nimmt.

Ich kenne die großen Linien der Verfassungsgerichtsrechtsprechung einigermaßen gut, zurück bis in die Anfänge. Da hat sich mit der Zeit einiges verändert – oder besser gesagt, neu verortet. Das ist eigentlich eine gute Sache und sollte viel öfter Gegentand der Rechtsprechung sein, die ja in gewissen Grenzen ein Spiegelbild der realen gesellschaftlichen Verhältnisse und keine sture Rechtsanwendung sein soll. So fordert das BVerfG selbst von der gesamten Rechtsprechung. „das geltende Recht an veränderte Verhältnisse anzupassen“ (so in der Entscheidung des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 918/10 -).

Zu den weniger gutzuheißenden Entwicklungen in der Verfassungsrechtsprechung gehört aber, dass solche konkreten Aussagen zu Prämissen und Kriterien wie im vorliegenden Fall früher so nicht getroffen worden wären. Hier aber sieht man, wie das Gericht praktisch Prämissen „unverrückbar“ festschreibt und sie dem Gesetzgeber als konkrete Abwägungskriterien regelrecht vorgibt. Früher hätte sich das Gericht wohl auf die Feststellung beschränkt, es fehle an einer schlüssigen Darlegung und Abwägung des Pro und Contra eines solchen Grundrechtseingriffs.

Was das BVerfG hier tut und was nicht von mir allein kritisiert wird, das nennt man „Einschränkung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers“. Damit ist gemeint, dass der Gesetzgeber weitgehend frei darin ist, die Gründe für und gegen eine Gesetzesregelung abzuwägen und dabei auch selbst zu entscheiden, welchen Gründen er dabei den Vorrang einräumt. Verfassungsgerichtlicher Nachprüfung obliegt – das ist doch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung eine Selbstverständlichkeit – nur noch, ob eine solche Abwägung überhaupt stattgefunden hat oder ob sie auf gänzlich sachfremden Erwägungen beruht. Die Einschätzungsprärogative ist von der Rechtsprechung so „großzügig“ wie nur immer vertretbar auszulegen. Danach könnte der Urteilsspruch nur lauten, dass das eine (fehlende Abwägung) oder das andere (elementar fehlerhafte Abwägung) vorliegt und nicht, nach welchen konkreten Prämissen der Gesetzgeber hätte verfahren müssen bzw. bei einer Revision des Gesetzes verfahren solle.

Die sachliche Schieflage

Und genau in dieser kritikwürdigen Ausdehnung des Rahmens der Rechtsprechung liegt die Crux und zeigt auf, warum es elementar ist, gegenüber dem Gesetzgeber nicht „zu konkret“ zu werden. Denn:

Nach meiner bescheidenen, aber m.E. wohlbegründeten Ansicht liegt das Gericht daneben, wenn es von einer „geringen Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und einer Schädigung der Gesundheit von Mensch und Tier“ ausgeht. Das ist der Widerhall jahrzehntelanger Homöopathie-Propaganda von „sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei“, die sich ganz offensichtlich sogar in den Köpfen von Richtern als unhinterfragbar einen Platz erobert hat. Nur ist das erstens falsch, zweitens falsch und außerdem – falsch.

Natürlich hat man seinerzeit, beim Arzneimittelgesetz 1978, den Homöopathen und Anthroposophen nach deren Gezeter auch deshalb ihren Willen gelassen, weil man ihre verdünnten Eso-Pillen und -Tinkturen für jedenfalls „harmlos“ hielt. Das war aus der damaligen Sicht irgendwie ja noch nachvollziehbar (Betonung auf „irgendwie“). Aber heute ist das eine absolut unhaltbare Position und ein zentraler Punkt der wissenschaftsbasierten Homöopathiekritik. Das Projekt „Globukalypse“ des Informationsnetzwerks Homöopathie zielt genau darauf ab, vor allem Entscheidungsträgern in Gesundheitswesen und Politik die vielfältigen Schadenspotenziale von Homöopathie zu verdeutlichen.

Es lässt sich eigentlich auf einen sehr kurzen Extrakt verkürzen: Homöopathie ist spezifisch unwirksam, daher kommt eine „Behandlung“ damit einer Nichtbehandlung gleich. Dass eine Nichtbehandlung a priori schadenbehaftet ist, liegt auf der Hand. (Und dass eine Behandlung mit Homöopathie nicht mit dem Placeboeffekt zu rechtfertigen ist – was die Homöopathen auch gar nicht wollen – das wurde schon oft erklärt.) Von einem geringen bis nicht vorhandenen Schadenpotenzial der Homöopathie auch im vorliegenden „Spezialfall“ auszugehen, ist schlicht verfehlt. Das ist auch von der medizinwissenschaftlichen Seite (u.a. dem Weltärztebund) längst als relevant anerkannt.

Daraus folgt dann aber auch, dass die homöopathische „Behandlung“ von Haustieren tierschutzrelevant ist. Immerhin ist der aktive Tierschutz auch ein Verfassungsgebot. Tiere durch faktische Nichtbehandlung leiden lassen, Krankheiten bei der Chronifizierung zuzusehen oder gar die Tiere sterben zu lassen ist tierschutz- und damit gesetzeswidrig.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber gerade das glatte Gegenteil dessen als Prämissen angenommen und dies für eine Abwägung dem Gesetzgeber mehr als nahegelegt – das ist der Part, dem hier entschieden widersprochen werden muss. Schlimm genug, dass das Gericht den Tierheilpraktiker als „Beruf“ zementiert und dem Gesetzgeber gar vorschlägt, diesen durch einen Regelungsrahmen auch noch zu legitimieren. Schon das Urteil selbst bedeutet eine Festigung des Tierheilpraktiker-Unwesens, kommt es erst zu einer gesetzlichen Regelung gleich welchen Inhalts, wäre das eine Festlegung für die Ewigkeit. Selbst die Humanheilpraktiker würden davon profitieren, wenn eine ihnen analoge Entität im Tierbereich regelrecht installiert werden würde. Das alles unter die Annahme zu stellen, es gehe hier um eine Marginalie ohne nennenswertes Schadenspotenzial, das ist schlicht – verfehlt.

Und den Tierheilpraktikern eine „Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse im Bereich der Tierheilkunde“ aufzuerlegen, hat mit der Realität auch wenig bis nichts zu tun. Erstens, weil man sich die Diagnostik und Therapie beim Tier eher noch komplexer vorstellen muss als in der Humanmedizin, was jeder Absolvent einer tierärztlichen Hochschule bestätigen wird. Und zweitens, weil eine solche Anforderung nicht einmal an die Zulassung als Humanheilpraktiker gestellt wird. Dort geht es lediglich darum, ob der Kandidat einigermaßen seine Grenzen kennt – die berühmte Prüfung „zur Abwehr von Gefahr für die Volksgesundheit“. Die Formulierung des Gerichts für Tierheilpraktiker geht absurderweise klar darüber hinaus. Das würde dann wieder dazu führen, dass die Tierheilpraktiker sich in ihrer Berufsausübungsfreiheit gegenüber den Humanheilpraktikern … und der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung … äh … lassen wir das mal beiseite, denn das könnte man noch viel weiter ausführen.

Fazit: Keine Lösungen, nur zusätzliche Probleme

An der Legitimation der Homöopathie als Arzneimittel, dem Grundproblem, ändert sich ersichtlich – nichts. Das Urteil unterstreicht im Gegenteil sozusagen noch einmal die Rolle der Homöopathie als Arzneimittel im Sinne des Gesetzes. Und zeigt damit – wie schon erwähnt – die enorme Wirkkraft der jahrzehntelang verbreiteten Homöopathie-Propaganda, die der Methode den Ruf einer realen Therapieoption in den Augen der Allgemeinheit verschafft hat.

Das zu ändern, ist das Anliegen der „Globukalypse“.


Kleiner FunFact zum Schluss: Nach der Veröffentlichung des Urteils und diversen Presseartikeln dazu fanden sich in den Sozialen Medien die „Betroffenen“ zusammen – und waren zu großen Teilen baß erstaunt, dass es die Regelung, die das Gericht nun gekippt hat, überhaupt gegeben hat. Was ein bezeichnendes Licht auf die „Professionalität“ der „Ausübenden der Tierheilkunde ohne Approbation“ wirft. Jahrelange Vorlaufzeiten und Diskussionen über die EU-Regelungen und ihrer Umsetzung in nationales Recht ist offenbar an diesen Profis ebenso vorbeigegangen wie eine Petition der eigenen Verbandschaft und die durchaus in der Presse berichtete Klageeinreichung. Wollte ich nur kurz angemerkt haben.


Meine Empfehlung zum Thema Tierheilpraktiker:

Colin Goldner: Tierheilpraktische Quacksalberei (beim Humanistischen Pressedienst)


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Evidenzbasierte Medizin und Homöopathie (II) -Den Horizont erweitern

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Wir haben im ersten Teil dieses Beitrags gesehen, wie sehr die Pseudomedizin davon profitiert, dass sich die evidenzbasierte Medizin (EbM) weithin auf den reinen empirischen Outcome konzentriert – und dass dies zwar eine unter vielen Aspekten hervorragende Idee ist, aber eben keine Beurteilung einer Evidenz in einer wissenschaftlichen Gesamtschau leistet. Sie ist eine notwendige, aber nach Ansicht vieler keine zwingend hinreichende Bedingung für die Begründung von Evidenz.

Empirieblindheit

Die EbM hat dazu geführt, dass viele Mediziner “empirieblind” (im Sinne von “schneeblind”) geworden sind, also die Reduzierung auf reine Empirie (fast) nicht mehr hinterfragen und nur auf den statistischen Outcome starren. Pseudomediziner nutzen dies für sich, denn an einem weiteren Hinterfragen wie auch immer zustande gekommener Empirie sind sie nicht interessiert. Leider profitieren sie davon, dass es schon beinahe als anrüchig gilt, eine Studie nur wegen der Unplausibilität ihrer Grundannahmen zu verwerfen. 

Was tun? Lassen wir Steven Novella (1) noch einmal zu Wort kommen und sein Beispiel mit dem “verdünnten Nichts” Oscillococcinum nochmals aufgreifen:

Eine vollständig wissenschaftsbasierte Medizin (Science Based Medicine, SbM in Erweiterung der EbM, wie Novella es nennt) würde einen anderen Ansatz verfolgen. […]
Eine wissenschaftlich fundierte Bewertung würde ausdrücklich die vorherige wissenschaftliche Plausibilität berücksichtigen und unser Verständnis von Physik, Chemie und Biologie zum Tragen bringen, die einen weitaus größeren und zuverlässigeren Bestand an wissenschaftlichen Erkenntnissen darstellen als die wenigen klinischen Studien mit Oscillococcinum. (!) Es würde auch die Gesamtheit der Homöopathieforschung im Kontext unseres derzeitigen Verständnisses von Evidenzmustern in der medizinischen Literatur berücksichtigen.

Wobei man unter „Evidenzmuster“ getrost auch die Tatsache verbuchen kann, dass die Homöopathie zwar gelegentlich “signifikante” (wir kommen darauf zurück), aber nur sehr schwache, meist klinisch nicht relevante (für den Patienten nicht erfahrbare) Effekte zutage gefördert hat. Wenn dies über einen langen Zeitraum und in vielen Studien immer wieder so ist, wäre der Schluss legitim, dass der gesuchte Effekt schlicht real nicht existiert (s. Review Antonelli / Donelli 2018). Stattdessen wird uns jedes kritisch zu hinterfragende Studienergebnis als der ultimative Beweis für gleich die gesamte Homöopathie präsentiert. Was auch verkennt, dass nach Carl Sagan außergewöhnliche Behauptungen außergewöhnliche Belege erfordern – und das sind reine statistische Signifikanzen sicher nicht.

Eine SbM-Prüfung würde zu dem Schluss kommen, dass die wissenschaftliche Grundlage für die Existenz von Oscillococcinum gelinde gesagt nicht überzeugend ist und tatsächlich eine Rangordnung der Pseudowissenschaften analog zu den N-Strahlen (hierzulande wenig bekannt, in den USA noch heute ein Symbol für wissenschaftliche Fehlleistungen – Anm. UE) aufweist. Die Homöopathie selbst gilt auch als Pseudowissenschaft, weil sie im Widerspruch zu unserem grundlegenden Verständnis von Physik und Chemie steht. Darüber hinaus ist die Gesamtheit der existierenden klinischen Forschung zur Homöopathie am besten mit der Beforschung einer Therapie beschreibbar, die keine Wirkung hat (siehe oben).

Woraus Novella als allgemeinen Schluss ableitet:

Es ist nicht verwunderlich, dass Befürworter zweifelhafter Therapiemethoden das Konzept der Plausibilität nicht mögen. Sie sonnen sich im Licht der EbM, wo sie sich nicht für extreme wissenschaftliche Unplausibilität verantworten müssen [..].

CAM-Fürsprecher versuchen, Plausibilität als bloße Verzerrung darzustellen, die uns nur von einer effektiven Behandlung abbringen wird. […] CAM-Fürsprecher neigen dazu, mit der Überzeugung zu beginnen, dass ihre Behandlungen funktionieren, und versuchen, eine wissenschaftliche Begründung zu finden, die ihnen hilft, ihre Behandlung zu vermarkten. (Bestätigungsforschung – Anm. UE) Ich habe noch kein einziges Beispiel für eine CAM-Modalität gefunden, die von ihren Befürwortern wegen mangelnder Wirksamkeit aufgegeben wurde. (Wie auch, wenn doch die alternative Szene für ihre Methoden praktisch ausschließlich positive Studien hervorbringt – Anm. UE)

Methodik, Statistik, Freiheitsgrade

Der erweiterte wissenschaftliche Medizinbegriff erkennt an, dass klinische Beweise knifflig, kompliziert und oft mehrdeutig sind. Es gibt gute Belege für diese Position. John Ioannidis hat eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die sich mit Mustern in der klinischen Forschung befassen. Er stellte fest, dass die meisten Schlussfolgerungen in veröffentlichten Studien tatsächlich von einer starken falsch-positiven Verzerrung beeinflusst sind (Ioannidis 2005). (3) Dieser Effekt wird im Verhältnis zur Unplausibilität der klinischen Fragestellung noch verstärkt.

Das ist “der ganze methodisch-statistische Kram, den jede Studie wie eine Reihe scheppernder Blechdosen hinter sich herzieht”, wie sich einer meiner Diskussionspartner zu diesem Thema einmal ausdrückte. 

Simmons et al. haben schön gezeigt, dass durch die Nutzung von “Freiheitsgraden” in der Forschung fast jeder Datensatz statistisch signifikant erscheinen kann (Simmons et al. 2011). Mit anderen Worten, es ist möglich, die Daten zu manipulieren, auch völlig ohne sinistre Absichten, nur durch Entscheidungen darüber, wie man die Daten sammelt und analysiert, die zu einem falsch statistisch signifikanten Ergebnis führen können. Das ist einer der Gründe für die Unzuverlässigkeit von Einzelstudien. Daten sind nur dann wirklich zuverlässig, wenn sie unabhängig repliziert werden, insbesondere in einer Weise, die die Freiheitsgrade beseitigt. 

Der “heilige” p-Wert

Die “allgemeine” Empirieblindheit fokussiert sich sogar noch in einem besonderen Aspekt.  Nämlich in einem statistischen Wert, der heute verbreitet als Nonplusultra für die “Richtigkeit” empirischer Ergebnisse herhalten muss, obwohl er gar nicht das aussagen kann, was man ihm schon beinahe reflexartig zuschreibt. Es geht um den in den 1920er Jahren unter ganz anderen Prämissen als den heutigen entwickelten “p-Wert”. 

Der p-Wert ist ein Maß für die statistische Signifikanz eines empirisch ermittelten Ergebnisses unter ganz bestimmten Vorannahmen (dem Zutreffen der Nullhypothese). Signifikanz bedeutet dabei lediglich das Maß, in dem das jeweilige empirische Ergebnis auch durch Zufall hätte zustande kommen können. Sehr einfach ausgedrückt. Wir hörten eben schon, dass der Wert durch die Auswahl und Modellierung der Daten und die Größe einer Studie (stark) beeinflusst wird. Das “p-Hacking”, diese Beeinflussung des Signifikanzwertes, ist per se schon eine ziemlich üble Sache, ganz unabhängig ob es absichtlich oder unabsichtlich geschieht. Kritisch wird es dadurch, dass es sich eingebürgert hat, die “Aussagekraft” einer Studie auf den Signifikanzwert zu stützen (insofern, als dass der p-Wert als “Wahrheitswert” missverstanden wird).

Dies geht aber völlig fehl, in den seltensten Fällen steht der p-Wert in einem linearen Zusammenhang mit der Effektstärke eines Ergebnisses. Mit der “Signifikanz” einer Studie werden also nicht nur Laien in die Irre geführt, indem man auf das Alltagsverständnis von “Signifikanz” spekuliert. Man darf wohl auch mit Recht sagen, dass Forscher sich mit ihren Signifikanzwerten und deren falschem Verständnis selbst Sand in die Augen streuen. Besonders heikel dann, wenn Ergebnisse niemals repliziert wurden (wobei, wie Novella zu Recht sagt, die “Freiheitsgrade” der ursprünglichen Studie, also einschränkende Datenauswahl und -modellierung, vermieden werden sollten). Was in der Homöopathie erstaunlicherweise selbst bei den wenigen Studien, die eine positive Tendenz aufzuweisen scheinen, in aller Regel nicht geschieht, was auf misslungene Replikationen (publication bias) hindeutet. (Für ein genaueres Verständnis des p-Wertes empfehle ich den ausgezeichneten Artikel “Was der P-Wert (nicht) kann” auf dem Blog “Ein Glas Rotwein”.) 

Man beachte, wie sehr homöopathische Forschungsergebnisse mit dem ständigen Hinweis auf eine “Signifikanz” präsentiert werden. Was nach meiner Beobachtung z.B. verheerende Auswirkungen darauf haben kann, welche Relevanz pseudomedizinische “Erkenntnisse” aus Studien bei der Abfassung von EbM-Leitlinien für die medizinische Praxis erhalten (als Rechtfertigung einer “Evidenz”, die es nicht gibt). Nicht umsonst ist die Diskussion über den p-Wert und seine inzwischen allzu schrägen Interpretationen in der Wissenschaftsgemeinschaft längst in Gang gekommen. 

Steven Novella dazu:

In einem Kommentar bei “Nature” beschreibt Regina Nuzzo das so genannte “p-Hacking”, das im Wesentlichen auch Gegenstand bei Simmons et al. war (Nuzzo 2014, deutsche Version bei spektrum.de – wichtig!). Nuzzo kritisiert insbesondere, dass die Interpretation von Studien übermäßig abhängig von p-Werten ist, die das statistische Maß dafür sind, ob Daten signifikant sind oder nicht und ob sie insofern ernst genommen werden sollten. Die p-Werte sind jedoch nicht so aussagefähig, wie viele annehmen.

Ein p-Wert von 0,01, von dem viele fälschlicherweise glauben, dass der untersuchte Effekt eine Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent hat, real zu sein, hat nur eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent dafür, mit neuen Daten repliziert zu werden. So ist sogar ein Wert, den viele als soliden Beleg nehmen, wirklich nur ein Münzwurf, wenn man die Statistiken richtig versteht. Das Problem der übermäßigen Abhängigkeit von p-Werten zeigt der Statistiker Geoff Cummings in einem Video, das er auf YouTube veröffentlicht hat (Cummings 2009unbedingt mal ansehen – Cummings zeigt, wie der p-Wert in Replikationen allein mit anderen Gruppengrößen variiert (“tanzt”), was belegt, dass er für die Gültigkeit eines einzelnen Studienergebnisses keine isolierte Aussage treffen kann – Anm. UE).

Eine Lösung für die Schwächen der p-Werte besteht darin, diese Art der statistischen Analyse durch eine andere Art, die Bayes’sche Analyse, zu ergänzen oder sogar zu ersetzen. Die Bayes’sche Analyse berücksichtigt formal die vorherige Plausibilität. Sie betrachtet die Daten so, wie es der gesunde Menschenverstand verlangt: Wie sehr beeinflussen die neuen Daten die vorherige Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte wissenschaftliche Hypothese zutrifft?

Woraus Novella mit Recht folgert:

Die Kernphilosophie von SbM (wissenschaftsbasierter Medizin) ist es, die bestmögliche Schlussfolgerung zu ziehen, die die Wissenschaft derzeit bei klinischen (auch regulatorischen) Entscheidungen zu bieten hat. Dazu gehören selbstverständlich auch möglichst strenge klinische Studien. Sie muss aber auch die präklinische und grundlagenorientierte Wissenschaft berücksichtigen – alle wissenschaftlichen Informationen, die vernünftigerweise auf die jeweilige Fragestellung anwendbar sind. […]

Klinische Beweise stehen vor vielen Herausforderungen, einschließlich des confirmation bias der Forscher und der hieraus folgenden Verzerrung von Publikationen sowie der Neigung zum “Vagabundieren” bei statistischen Analysen. Die meisten durchgeführten Studien sind unvollkommen; zum Beispiel können sie zu klein sein, nicht alle real vorhandenen Variablen ausreichend berücksichtigen, können Verblindungsfehler aufweisen und es müssen in ihrem Rahmen viele Entscheidungen getroffen werden (z.B. welche Ergebnisse gemessen und verglichen werden sollen), die das Ergebnis beeinflussen können. […]

Es dauert oft Jahrzehnte, bis die klinische Forschung so weit fortgeschritten ist, dass wir sehr strenge und endgültige Studien haben (eine valide Gesamtevidenz, Anm. UE) . In der Zwischenzeit müssen wir Entscheidungen auf der Grundlage unvollkommener Belege treffen. Die Plausibilität der wissenschaftlichen Grundlagenforschung hilft, die klinischen Belege in den gesamtwissenschaftlichen Kontext zu stellen und verbessert unsere Fähigkeit, zuverlässige Entscheidungen auf der Grundlage vorläufiger klinischer Daten zu treffen. Deshalb glaube ich, dass sich die evidenzbasierte Medizin in Richtung einer wissenschaftsbasierten Medizin entwickeln sollte. 

Scientabilität und weitere Forschung

Nun könnte man die Ansicht vertreten, die Gesamtschau aus Plausibilität und Empirie sei in Sachen Homöopathie so klar, dass jede weitere Forschung reine Ressourcenverschwendung sei – es fehle an einer wissenschaftlich fassbaren Grundlage, die allein weitere Forschung legitimieren könnte. Dies ist die allgemeine Umschreibung des Begriffs der Scientablität. Unsere Überlegungen führen logisch hierher, das Thema soll deshalb auch nicht ausgespart bleiben.

Ich möchte nicht dahin verstanden werden, dass ich den Begriff der Scientabilität im Sinne von Weymayr (Weymayr 2013) übernehmen will. Diese Definition ist darauf gerichtet, jegliche empirische Forschung wegen fehlender Scientablität a priori zu verwerfen – kurz gesagt also, eine dogmatische Barriere innerhalb des explizit undogmatischen Erkenntnissystems moderner Wissenschaft einzuziehen. So zwingend das erscheinen mag, ist dies doch nicht unproblematisch. Eine solche Konsequenz aus fehlender Plausibilität ist mir zu apodiktisch und kommt für mich dem absoluten Wahrheitsbegriff eines Francis Bacon, den die kritisch-rationale Methode ja aus guten Gründen verwirft, einfach zu nahe. Dann lieber die nächsten kruden Homöopathie-Studien! Dass diese nicht erforderlich sind angesichts der Gesamtevidenz, dem könnte ich zustimmen. 

Setzen wir auf Verbesserung und Verfeinerung des Erkenntnisrahmens der evidenzbasierten Medizin bis hin zu einer wissenschaftsbasierten Medizin in Novellas Sinne. Selbstverständlich entwickelt sich auch die EbM längst weiter. Die Diskussion um den Stellenwert des p-Wertes, der Signifikanz, zeigt dies ja auch. Dass auch verfeinerte, ggf. dem Untersuchungsgegenstand angepasste Kriterien für die Studienauswahl in systematischen Reviews hier ein Weg sein können, zeigt Dr. Nobert Aust eindrucksvoll in seiner Erörterung der Shang-Egger Studie auf und schlägt eine Erweiterung der Ordnungskriterien für die Auswertung der Studien vor, die eben genau Verzerrungen des Ergebnisses zumindest abmildern sollten.

Pseudomedizin und EbM – die Schräglage

Fraglos hat die homöopathische Fraktion längst die evidenzbasierte Medizin als ein bei geschickter Handhabung ihr höchst dienliches Instrument entdeckt. Vielleicht haben sie Steven Novellas Beitrag ja gelesen und ihre eigenen Schlüsse daraus gezogen…

Das hieraus nicht ungeschickt abgeleitete ständige Offenhalten an sich klarer Erkenntnis, die „never ending stories“ als Bestätigung für sich selbst, die Community und als Verunsicherungsstrategie für die Allgemeinheit ist ohne Zweifel ein Ärgernis – unter dem Aspekt wissenschaftlicher Redlichkeit. Die Ausnutzung der “Fairness” der EbM, die sozusagen nicht nach der Eintrittskarte der Plausibilität fragt, ist darüber hinaus eine Verächtlichmachung von wissenschaftlicher Erkenntnissuche.

Dabei ist auch die EbM keineswegs „blind“ für Plausibilitäten, sie ist mehr als die Konzeption, Durchführung und Auswertung klinischer Trials. Die EbM stellt keineswegs in Frage, dass z.B. bei der Entwicklung neuer Medikamente im Vorfeld (Präklinik) klinischer Wirkungsuntersuchungen an menschlichen Probanden Plausibilitätsaspekte zur Anwendung kommen – eine medizinethische Selbstverständlichkeit (2).  Die EbM ist eben „nur“ eine Fokussierung, ein Ausschnitt auf einen bestimmten Aspekt von Wissenschaftlichkeit: den der Gewinnung und Bewertung empirisch-klinischer Erkenntnisse, eben notwendig und verdienstvoll, aber nicht unbedingt hinreichend. 

Momentaufnahme

Diese Fokussierung ist es, die der Pseudomedizin in die Hände spielt. Sie ist es, die vom Alpha-Fehler (der Quote falsch-positiver Ergebnisse im statistischen Zufallsbereich) profitiert. Jeder Mangel in Studiendesign und -durchführung wirkt sich zwangsläufig in Richtung einer steigenden Rate von Alpha-Fehlern aus – d.h. lässt mehr Arbeiten aus einer Gesamtheit „positiv“ („statistisch signifikant“) erscheinen, als es den Tatsachen entspricht. Zudem steigt, worauf u.a. Ioannidis zutreffend hinweist, nicht nur mit Qualitätsmängeln, sondern auch mit der Unplausibilität der Forschungsfrage die Rate der “falsch Positiven”. Dies belegen ja auch deutlich die großen Reviews zur Homöopathie, die bei qualitativer Bewertung der eingeschlossenen Arbeiten einzelne positive Effekte in der Gesamtschau durchweg nicht mehr nachweisen konnten.

Ich fasse – etwas pointiert – zusammen: Die EbM gibt den Pseudomedizinern, insbesondere der homöopathischen Fraktion, in ihrer jetzigen Ausprägung Gelegenheit, hinter einem scheinwissenschaftlichen Schleier zu agieren und mit der Terminologie ernsthafter Wissenschaft – und neuerdings der Epistemologie – eine Mimikry von Wissenschaft aufzuführen. Dabei kommt der Pseudomedizin die oben beschriebene “Empirieblindheit” in weiten Kreisen der Medizin, die Überfokussierung auf die Empirie, besonders zugute. Nein, Wissenschaft ist mehr als Empirie und sollte dieses Mehr auch kommunizieren.

Der Grundplausibilität eines wissenschaftlich zu beurteilenden Sachverhalts muss deshalb im medizinischen Bereich wieder ein angemessener Platz eingeräumt werden. Die Marginalisierung von Plausibilität im Sinne einer Vereinbarkeit mit dem gesicherten Wissenskanon zugunsten der puren Empirie war sicher von den Vätern und Müttern der EbM um David Sackett nicht so intendiert. Sie werden sich nicht vorgestellt haben, dass die Kritiker von Pseudomedizin sich ständig mit „Studien“ herumplagen müssen, um deren Inkonsistenz nachzuweisen, während die Grundannahmen der untersuchten Methode (im Besonderen: der Homöopathie) eklatant unvereinbar mit vielfach gesichertem naturwissenschaftlichem Wissen sind. 

Um nicht missverstanden zu werden – ich schätze die EbM nicht gering! Sie ist, wie auf diesem Blog schon mehrfach hervorgehoben, tatsächlich ein unschätzbarer Paradigmenwechsel in der Medizin, dem modernen Wissenschaftsverständnis und auch der kritisch-rationalen Methode gemäß. Aber ist sie mit ihrem Prinzip des  „unbeschriebenen Blattes“, des “leeren Spielfeldes” nicht geradezu genau der „Pluralismus“ aus den Träumen der Pseudowissenschaftler? Besteht dabei nicht sogar die Gefahr, dies werde über eine Überfokussierung auf das Empirische zu einer Regression, einer Rückentwicklung des Wissenschaftsverständnisses in der Medizin zu einer idealistischen statt einer rational-kritischen Sicht führen? Immerhin haben wir immer noch täglich eine der Manifestationen einer solchen idealistischen Sicht auf die Wissenschaft vor uns: den Binnenkonsens des Arzneimittelgesetzes. Der hier und da sogar Begehrlichkeiten verwandter Interessensphären weckt.

Wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik

Ist die Homöoopathiekritik vielleicht allzu fair, zu zurückhaltend? Lässt sie sich den Diskurs über Studien in der Sicht der EBM vielleicht allzu sehr aufzwingen? Der letztlich dem Ziel der Aufklärung der Öffentlichkeit nur einen Bärendienst erweist, weil er letztlich für diese nur einen undurchschaubaren „Schlagabtausch“ liefert? Lassen wir uns auf die Ebene einer im Sinne einer vollständig wissenschaftsbasierten Betrachtung sinnlosen Detaildebatte herunterziehen? Aber – haben wir eine Wahl?

Die Wahrnehmung des Publikums ist von dem wahrlich ärgerlichen Schlagwort geprägt, Homöopathie sei “umstritten”: Ich bin mir allerdings klar darüber, dass über einen engeren Kreis hinaus kein Blumentopf damit zu gewinnen ist, wenn man über Detailergebnisse von Studien diskutiert, die kaum jemand im Original zu lesen, geschweige denn zu verstehen in der Lage ist. Was Dr. Norbert Aust zu diesem Thema an Analysen und Bewertungen auf seinem Blog zusammengetragen hat, sollte ja allein ausreichen, um das Studienthema im Zusammenhang mit Homöopathie ein für alle Mal zu beenden. Allein, dies geschieht eben nicht. Und eine Haltung wie „Ach, diese Studien – die einen sagen so, die anderen so“ ist hochgefährlich, wenn sie sich bei den Zweifelnden und Unentschlossenen und vor allem bei Entscheidern und Multiplikatoren festsetzt. Und man hört und liest sie – täglich.

Die Homöopathen versorgen uns mit einer Art Beschäftigungstherapie – nach wie vor. Mit Unsinn wie der Blasenstudie des Dr. Pannek oder der Geschichte von den fünfmal acht Ratten. Selbst einzelnen Journalen wird die Sache langsam zu dubios. Aber gleichwohl ist es nicht angezeigt, das hier beschriebene Problem der “homöopathischen Wissenschaftsmimikry” seitens der Kritik zu ignorieren. Im Gegenteil. Wenn auch die Botschaft, dass die Homöopathie wissenschaftlich längst ein Nicht-Thema und die Einigkeit über ihre medizinische Irrelevanz Fakt ist, im Vordergrund der aufklärerischen Botschaft stehen sollte. 

Und warum wohl kommen nun die akademischen Homöopathiefans mit der ganz großen Keule der gesellschaftlich relevanten, ganz enorm wichtigen und von uns Kritikern ganz falsch verstandenen Wissenschaftstheorie und Epistemologie, mit dem immer wieder zu vernehmenden Ruf nach “Pluralismus in der Medizin“? (Was soll das sein – außer einem weit geöffneten Scheunentor für Beliebigkeit?) Weil sie genau wissen, auf welch tönernen Füßen ihre ganze “Empirie” steht. Und weil sie ihren Behauptungen zur Evidenzbasierung der Homöopathie gern etwas „Nachhaltiges“ an die Seite stellen wollen, etwas Beeindruckendes, das sowohl Kritiker als auch Zweifler – insonders in der Politik – verstummen lässt: „Seht her, unsere Methode ist nicht nur evidenzbasiert™, sondern kann auch epistemologische™ und gar gesellschaftspolitische™ Legitimität in Anspruch nehmen!“ Nein. Diese grotesken Appelle gehen fehl und sind irrelevant. Die Antwort kann nur sein, das Problem Homöopathie in einer gesamtwissenschaftlichen Sicht redlich und ehrlich zu beurteilen.

Wenn die Homöopathen Forschung auf eigene Rechnung weiter betreiben wollen – bitte. Dies kann und soll ebenso wenig „verboten“ werden wie die Homöopathie selbst. Es gilt Freiheit von Forschung und Lehre. Allerdings: nicht alles, was von einschlägig Interessierten zu Wissenschaft erklärt wird, ist das auch. Und kann auch nicht durch Umdefinieren des Wissenschaftsbegriffs dazu gemacht werden.

Abschließend ein Zitat aus dem Memorandum „Homöopathie ist Pseudowissenschaft“ der Russischen Akademie der Wissenschaften, die sich auch und gerade zur Plausibilitätsfrage klar positioniert hat:

„Die Prinzipien der Homöopathie stehen im Gegensatz zu den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin, die auf den Ergebnissen medizinischer und anderer naturwissenschaftlicher Forschungen basieren: Chemie, Physik, Biologie und Physiologie und ihre Verzweigungen wie Biochemie, Biophysik, Immunologie, Molekularbiologie, pathologische Physiologie und Pharmakologie. Homöopathische Diagnose und Behandlung sind pseudowissenschaftlich und haben keine Funktion.

Die vielen im Laufe der Zeit vorgeschlagenen theoretischen Erklärungen der möglichen Wirkmechanismen der Homöopathie stehen im Widerspruch zu etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Struktur der Materie, Physiologie, Ätiologie und der biochemischen Wirkweise von Medikamenten. Die a priori postulierten “Prinzipien der Homöopathie” sind einer spekulativen Dogmatik zuzurechnen, derer man sich in vorwissenschaftlichen Zeiten bediente. […]

Der Abgleich des „externen (eigenen) Szientismus“ der Homöopathie auf der einen Seite mit dem gemeinsamen System der heutigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis auf der anderen Seite ermöglicht es uns aber, die Homöopathie als eine pseudo-wissenschaftliche Disziplin zu qualifizieren.“

Die Gesamtevidenz der Homöopathie, die keine spezifische Wirkung feststellt, fußt einerseits auf Plausibilitätsüberlegungen (die keinen empirischen Wirkungsnachweis erwarten lassen) und andererseits auf empirischen Ergebnissen, die dem exakt entsprechen (die die Hypothese einer Nicht-Wirkung bestätigen). Das Musterbeispiel eines wissenschaftlichen Vorgehens – die Bestätigung einer auf naturwissenschaftlichen Grundprämissen beruhenden Vorhersage durch das Experiment. Kein „Irrtum“, keine „unangemessene Methodik“, sondern eine glänzende Bestätigung der wissenschaftlichen Methode. Es ist durchaus berechtigt, festzustellen, dass eine so gut abgesicherte und klare Evidenzlage für eine medizinische Intervention – nur hier eben im negativen Sinne – eher selten ist. Die Gesamtevidenz spricht geradezu vernichtend gegen die Homöopathie. 

Zum Abschluss

Nun, lassen wir es dabei, es ist ohnehin mal wieder viel zu lang geworden. Aber ich musste es einmal aufschreiben. Ich habe auch bewusst die praktische Seite einer “gesamtwissenschaftlichen” Bewertung von Studienergebnissen hier außen vor gelassen, es hätte den Rahmen vollends gesprengt. Es ist in den Zitaten von Novella schon erwähnt, dass die Vertreter der SbM die Bayes’sche Statistik (Methode der bedingten Wahrscheinlichkeit) in Evidenzbewertungen befürworten. Damit käme allerdings ein in der strengen Empirie verpöntes subjektives Element ins Spiel …  Aber klammern wir das an dieser Stelle erst einmal aus.

Kommen wir aber noch einmal ganz auf den Anfang des ersten Teils zurück, wo ich die Studie Frass et al. (2020) zur Verbesserung von Überlebenszeit und Lebensqualität von LungenkrebspatientInnen durch Homöopathie als Motivation für diesen Beitrag benannt habe. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf den Hinweis, dass diese Arbeit möglicherweise ein schlagendes Beispiel für all die Schräglagen und falschen Schlussfolgerungen aufgrund einer missbrauchten evidenzbasierten Methodik ist, wie ich sie zu beschreiben versucht habe. Wir werden sehen, wie es mit ihr und den gegen sie vorgetragenen Einwänden weiter geschieht und ob es gelingt, das ganze Dilemma einmal publikumswirksam zu verdeutlichen. Es wäre sehr zu wünschen.

Ceterum censeo: Homöopathie wirkt auch mit p-Hacking nicht über den Placeboeffekt hinaus.


Nachtrag, 09.08.2021

Wie die Einvernahme des Evidenzbegriffs in der Praxis aussieht, wurde soeben freundlicherweise von den Homöopathen schlagend demonstriert. Die neue S3-Leitlinie “Komplementäre Onkologie” erwähnt die Homöopathie bei einem von 32 Kriterien, der Lebensqualität, der subjektivsten und “weichsten” Kategorie schlechthin, als “kann in Erwägung gezogen werden”. Schon jubelt das ganze homöopathische Universum. Evidenz!

Und damit liegen sie gleich mehrfach völlig falsch.

  • Erstens bedeutet eine Erwähnung in einer Leitlinie keine Evidenz, gleich aus mehreren Gründen. Vor allem deshalb, weil Leitlinien in der EbM deshalb selbst keine Evidenz begründen, weil sie eine Zusammenfassung und Auswertung bereits belegter und daher vorhandener Evidenz sind. Wenn es Lobbyisten gelingt, sich ein Eckchen in einer Leitlinie zu erobern, weil sie den anderen Mitgliedern der Kommission dieses Zugeständnis mit welchen Mitteln auch immer abtrotzen, ist das eben nur ein Zeichen für eine höchst kritikwürdige Präsenz von Vertretern der Pseudomedizin innerhalb der EbM.
  • Einem zusätzlichen Irrtum (der die Ursache des ersten Punktes ist) unterliegen der Zentralverein homöopathischer Ärzte und die DHU, indem sie feiern, es gehe darum, “der Homöopathie” (…) sei Evidenz der Klasse IIb “zugesprochen” worden.
    Dies zeugt von massiver Unkenntnis dessen, wie Evidenz im Sinne der Cochrane-Kriterien zustande kommt. Hierzu ein Zitat aus der Arbeit “Homöopathie – Eine Therapieoption in der Praxis?” von Dr. Christian Lübbers et al.:
    “Als ersten Maßstab für die Validität des jeweiligen Erkenntnismaterials kennt die EbM eine Evidenzhierarchie. Dabei geht es um die Einordnung von Materialien nach ihrer erwartbaren Validität auf der Grundlage ihrer jeweiligen Methodik und noch nicht um systematische konkrete Bewertungen. Die Hierarchien geben aber einen ersten Aufschluss darüber, welche Materialien vorrangig für eine Evidenzbegründung in Betracht kommen. Maßgeblich sind dabei stets diejenigen höherer Evidenzstufen. Das Heranziehen einer Quelle ohne Berücksichtigung ihrer Position in der Hierarchie ist irrelevant.”
    Bei der Einstufung IIb (einfach randomisierte Studie oder Beobachtungsstudie mit dramatischem Effekt) handelt es sich also nicht um mehr als die Kategorisierung der herangezogenen (übrigens ziemlich mängelbehafteten) Studie von Frass (2015). Auch diese Einstufung begründet keine Evidenz, sie vermutet sie nur, denn die Einstufung in das System der OCEBM Levels of Evidence 2 bedeutet noch keine Bewertung einer Quelle nach ihren Inhalten (critical appraisal). Es ist mehr so wie das Einsortieren in unterschiedlich beschriftete Postfächer.
  • Homöopathen neigen dazu, Evidenz dort zu vermuten, wo irgendetwas an “Erkenntnismaterialien” zur Homöopathie schlicht auf dem Tisch liegt – oder eben in einem “Postfach” der Evidenzklassen. Ganz im Sinne eines renommierten Pharmakologie-Professors und Verteidigers der Homöopathie, der sich zu ihrer Evidenz tatsächlich durchgängig auf die “vielen dicken Bücher” zu berufen pflegt, in denen “die Homöopathie niedergelegt sei”. Sehr illustrativ. Aber genau so muss man sich das vorstellen.

    In gleicher Argumentation auch Prof. Edzard Ernst:
    https://edzardernst.com/2014/08/why-many-results-of-alternative-medicine-research-are-wrong/
    und
    https://edzardernst.com/2013/09/can-one-design-a-trial-which-inevitably-produces-a-positive-result/


    Zum neuesten “Evidenznachweis” das INH beim Humanistischen Pressedient:
    Homöopathie – neuerdings evidenzbasiert?

    Und ja es ging weiter mit der Studie Frass et al. (2020), die der Auslöser für diese viel zu langen Ausführungen war – gesammtelt nachzulesen beim Informationsnetzwerk Homöopathie:
    https://netzwerk-homoeopathie.info/category/studienkritik-frass-et-al-2020/

    Und im Sinne des grundsätzlichen Anliegens dieses Beitrages hier ein guter Beitrag wiederum beim Humanistischen Pressedienst:
    Homöopathie; Von der Vorzeigestudie zu „may be not reliable“


    Referenzen:

    [1] https://www.csicop.org/si/show/its_time_for_science-based_medicine

    (2) Aufgrund der bindenden Bestimmungen der “Helsinki-Erklärung”, die die Voraussetzungen für medizinische Studien am Menschen beschreibt. Es wäre interessant, die Frage zu erörtern, ob es sich die Ethikkommissionen bei homöopathischen Trials nicht zu leicht machen – denn die Helsinki-Kommission verlangt auch, dass Versuche am Menschen nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn von ihnen reale Erkenntnisse zu erwarten sind. Hier schließt sich wieder der Kreis zum Begriff der Scientabilität.

    (3) Ich hoffe, ich brauche der Leserschaft hier nicht besonders zu erklären, dass Ioannidis’ abseitige Positionen in der Corona-Krise seine früheren verdienstvollen, teils bahnbrechenden Arbeiten zur Validität klinischer Studien in keiner Weise diskreditieren. 


    Evidenzbasierte Medizin und Homöopathie (I) – Die “reine Empirie”

    Photo by Pixabay on Pexels.com

    Wir beginnen mit einem Zitat (es werden noch mehr folgen):

    “Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass die durchweg wissenschaftlich ausgebildeten Verfasser “positiver” homöopathischer Studien ein grundsätzlich taugliches wissenschaftliches Werkzeug unter Ausnutzung dessen Schwachstellen diskreditieren. Ein aus wissenschaftlicher Sicht nicht zu akzeptierendes Verhalten.”

    So der stets auf den Punkt zielende Excanwahn, ein Freund offener Worte, auf seinem Bullshit-Blog. Genau darum soll es in diesem Beitrag gehen. Durchaus nicht ohne konkreten Anlass:

    Einführung

    Im Oktober 2020 hat eine Forschergruppe um Prof. Michael Frass (ehemals MedUni Wien) eine auf den ersten und sogar auch noch auf den zweiten Blick unanfechtbar scheinende Studie vorgelegt, die postulierte, dass mit komplementärer individueller homöopathischer Behandlung Verbesserungen bei den Überlebenszeiten und der Lebensqualität von PatientInnen mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs erreicht worden seien.

    Dabei handelte es sich keineswegs um die üblichen marginalen (Schein-)Effekte, die sich meist auf eine knappe “Signifikanz” beschränken. Nein, die hier vorgestellten Effekte waren – wenn sie denn real sind – sogar höchst relevant für die PatientInnen.

    Angesichts von über 200 Jahren vergeblicher Versuche, eine solche Wirkung belastbar zu belegen, scheint dies “zu schön um wahr zu sein”. Anders ausgedrückt: Gerade wegen dieses Ergebnisses MUSS dieser Arbeit die notwendige Skepsis entgegengebracht werden.

    Eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Informationsnetzwerks Homöopathie (D) und der Initiative Wissenschaftliche Medizin (Ö) hat sich daher intensiv mit dieser Studie beschäftigt. Die Veröffentlichung eines ersten Analyseberichts scheint zu bestätigen: Die Arbeit von Frass et al. steht unter begründetem Verdacht, keineswegs so valide zu sein, wie es zunächst den Anschein haben mochte. Hier wird es vermutlich noch einigen Fortgang geben.

    Dem Analysebericht ist hier nichts hinzuzufügen, diese Angelegenheit gibt mir aber Anlass zu einigen Grundsatzbemerkungen zum Verhältnis homöopathischer Forschung zur evidenzbasierten Medizin. 

    EbM und Pseudomedizin

    Die Homöopathie gilt in breitem wissenschaftlichem Konsens aufgrund ihrer Gesamtevidenz als spezifisch unwirksame Methode – “The debate about homeopathy is over” – so Prof. Edzard Ernst schon 2015. Aus Gründen. In der Realität ist ersichtlich die Debatte aber nicht “over”, das Thema und seine Diskussion sind viral. 

    Wie ist es der homöopathischen Fraktion überhaupt möglich, eine scheinbar wissenschaftliche Position einzunehmen, darüber eine Dauerdebatte zu befeuern und dabei auch noch in der allgemeinen Wahrnehmung zu punkten? Einfache Antwort: Durch einen regelrechten Missbrauch der Prämissen der evidenzbasierten Medizin – siehe Eingangszitat.

    Zunächst ein Zitat aus einem früheren Beitrag auf diesem Blog, der sich übrigens auf eine andere Form der Pseudomedizin bezog:

    „Wie auch bei anderen pseudomedizinischen Methoden ohne Grundplausibilität zeigt sich …, wie sehr die evidenzbasierte Methode (die Schaffung belastbarer Evidenz durch Studien) ein Einfallstor für ihr glattes Gegenteil sein kann: für die Scheinlegitimation von Pseudomedizin.

    Die vielfach nicht belastbaren Outcomes einzelner Studien oder auch von schlecht durchgeführten Reviews dienen den Proponenten pseudomedizinischer Methoden als wohlfeile Argumentationsgrundlagen, um ihren Methoden den Anstrich des Evidenzbasierten zu geben. Was der normale Rezipient schlicht nicht nachprüfen kann.“

    Der nachfolgende Beitrag ist sozusagen die “Langfassung” dieses sehr knapp gefassten Grundgedankens. Etwas ausführlicher vorbereitet habe ich diese Gedanken im Artikel “Das Heu im Nadelhaufen?“, der als eine Art Vorab-Zusammenfassung des Nachfolgenden (und des 2. Teils) gelesen werden kann.

    Versuch einer Vereinnahmung

    Viele Statements zeigen, wie sehr die homöopathische Sphäre bestrebt ist, sich den Begriff der evidenzbasierten Medizin zu eigen zu machen. Natürlich ist das auch das Ziel der erwähnten Studie von Frass et al. (2020). Auch hier zeigt die homöopathische Interessensphäre ihre Janusköpfigkeit. Einerseits hat sie insofern ein gebrochenes Verhältnis zu kritisch-rationaler Wissenschaft, als sie den breiten wissenschaftlichen Konsens nicht anerkennt, der ihrer Methode keine spezifische Wirksamkeit zuspricht. Andererseits will sie mit ihren eigenen Studien (ein Widerspruch in sich, da es oft heißt, die kritisch-rationale Methode sei der Homöopathie nicht angemessen) die EbM vereinnahmen, sich auf ihre Definitionen und  Kriterien berufen und “Evidenz” zu einem Aushängeschild für sich machen. 

    Homöopathische Bemühungen zielen dabei auf so etwas wie eine “Schwachstelle” der EbM, anders gesagt, sie nutzen vor allem die strenge Fokussierung auf die reine Empirie aus. Ja, es trifft zu, dass die EbM einen evidenten Nachweis von klinischer Wirksamkeit einer Intervention ausschließlich an den Ergebnissen, am Outcome rein empirischer Forschung zur konkreten Problemstellung festmacht, ohne den Kontext gesicherten Wissens im „Umfeld“ des Problems zu berücksichtigen.

    Und wirklich ist bei der Bewertung von Evidenz der EbM Plausibilitätsdenken nicht inhärent. Die Feststellung eines klinischen Nutzens, der Evidenz, stützt sie allein auf empirisch-statistische Verfahren. Die EBM setzt grundlegende wissenschaftliche Überlegungen (methodisch-physiologische Überlegungen, Plausibilität) auf eine untere Stufe ihrer Evidenzleiter, noch vor der Expertenmeinung.

    Zweifellos hat diese Ausrichtung auf den realen Nutzen einer medizinischen Intervention ihre Meriten. Beispielsweise macht die EbM damit das nach wie vor zu vernehmende Gerede von den “zwei Welten”, die zur Medizin einen “unvergleichbaren Zugang” haben und deshalb “ihr Bestes” nebeneinander koexistieren sollte, obsolet. In meinen Augen ist das einer ihrer größten Vorteile, dass sie derartigen Verirrungen von Wissenschaftsphilosophen oder solchen die glauben, es zu sein, die letztlich einen Angriff auf die Wissenschaft darstellen, die Grundlage entzieht.

    Damit scheint jedoch der Sinn für grundlegende Plausibilität, die sich aus elementaren wissenschaftlichen Erkenntnissen ableitet, zu einem großen Teil verloren gegangen zu sein. Reine, reinste Empirie über alles. Die Auswirkungen dieser Entwicklung in eine einzelne Richtung wird gerade deutlich daran, dass die Diskussion über Homöopathie (allzu sehr) auf der Grundlage von “Studien” geführt und “die Evidenzbasierung der Homöopathie” beschworen wird, ohne dass irgendwo jemand ruft, der Kaiser sei doch nackt? Fast ist es schon anrüchig, einfach auf die  Unplausibilität der Homöopathie zu verweisen.

    Tatsächlich scheint es schwierig zu sein, zu verstehen, dass die EBM sozusagen systembedingt aus dem Gleis laufen kann, wenn es um Pseudomedizin geht. Warum? Man könnte beinahe sagen, weil sie zu gutmütig ist.

    EbM und die Plausibilität

    Darüber haben klügere Leute als ich schon nachgedacht. Ich neige der Deutung zu, dass die Begründer der EBM schlicht davon ausgingen, Mittel und Methoden würden eh nie das Stadium großer (und teurer) RCTs erreichen, wenn sie sich nicht zuvor durch präklinische Evidenz, in Laborstudien, Tierversuchen und Studien der Pathologie als plausibel erwiesen hätten. Was ja der normale Gang z.B. einer Medikamentenentwicklung ist (bei der allerdings auch unter EBM-Bedingungen – eine “biologische Plausibilität” ganz am Anfang der Präklinik steht, was medizinethischen Geboten geschuldet ist). Unter dieser Perspektive kam es den Göttern der EbM einfach nie in den Sinn, dass etwas so Absurdes wie die Homöopathie überhaupt dahin kommen könnte, in RCTs “geprüft” zu werden – sie erlagen dabei dem “Plausibilitätsbias”, also einer gefühlten Selbstverständlichkeit, die ihnen verwehrte, so etwas überhaupt für möglich zu halten. Vermutlich waren sie sogar der Ansicht, dass insofern die EBM eine wirksame Barriere für das Eindringen unplausibler Methoden in die Medizin sei. Weit gefehlt. Die Homöopathie nahm die Chance wahr und sprang – ohne “Präklinik” – mit ihrem fertigen Gebäude mitten hinein in das Zauberreich der RCTs und ihrer Vielzahl von Problemen. Die man für sich zu nutzen verstand.

    Pointiert ausgedrückt wäre zu konstatieren, dass der reine Wirksamkeitsnachweis nach den Kriterien der EbM eine zwar notwendige, aber durchaus nicht hinreichende Bedingung für die Beurteilung der Evidenz einer medizinischen Intervention ist.

    Denn trotz aller Meriten dieser Methodik verstellt sie doch allzu leicht den Blick darauf, dass eine im wissenschaftlichen Sinne umfassende Gesamtbeurteilung auch die äußere Konsistenz von Erkenntnissen (die Vereinbarkeit mit anderem gesichertem Wissen), das was wir hier auch als “Plausibilität” bezeichnet haben, einbeziehen muss.

    Ich könnte es niemals besser ausdrücken als Steven Novella, der zu diesem Thema längst wesentliche Beiträge geleistet hat. Hier in meiner Übersetzung einige wichtige Passagen aus seinem Grundsatzbeitrag „It’s Time for Science Based Medicine“:

    … überall können Sie über Schlangenölheilmittel, zweifelhafte Gesundheitsversprechen, fragwürdige Praktiken und auch über ineffektive Regulierungen und Mängel der Mainstream-Medizin lesen. All dies geschieht […] in der Ära der so genannten “evidenzbasierten Medizin”, deren Zielsetzung es war, den medizinischen Beruf auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen, um jedem Patienten die bestmögliche Versorgung zu bieten. […]

    Die EBM hatte zwei Hauptziele: Erstens, die Evidenzbasis für jede klinische Entscheidung zu bewerten und systematisch zu charakterisieren und zweitens, diese Informationen den Praktikern zur Verfügung zu stellen […] EBM ist großartig, soweit sie reicht, aber sie hat einige bemerkenswerte Schwachstellen und hat eindeutig nicht genug dazu beigetragen, Pseudowissenschaften und zweifelhafte Praktiken aus der Medizin zu verbannen. […]

    Die größte Schwäche der evidenzbasierten Medizin besteht darin, dass sie sich, wie der Name schon sagt, ausschließlich auf klinische Belege (reine Empirie) stützt, um festzustellen, ob eine Behandlung angemessen ist oder nicht. Das mag vordergründig vernünftig klingen, aber es lässt bewusst einen wichtigen Teil der wissenschaftlichen Beweisführung aus: die Plausibilität.

    Als die EBM zum ersten Mal vorgeschlagen wurde, war die Idee, dass Ärzte keine Behandlungen anwenden sollten, nur weil diese nach der Erfahrung „Sinn machen“. Wir brauchen Belege, die zeigen, dass die Behandlungen tatsächlich sicher und wirksam sind. Das ist vernünftig, aber der Lösungsansatz der EBM war, das “Sinn machen”  aus der Gleichung komplett zu eliminieren. Jede denkbare Behandlung wurde konzeptionell als „unbeschriebenes Blatt“ unter gleichen Wettbewerbsbedingungen betrachtet – das Einzige, was zählt, sollten die Belege aus der klinischen Erprobung sein.

    Durch die Nivellierung der „Spielfelder“ hat die EBM den Haupteinwand gegen die meisten (meist lange bekannten) CAM-Modalitäten gleich mit beseitigt: dass sie höchst unplausibel sind. Vermutlich ist den frühen EBM-Befürwortern gar nicht in den Sinn gekommen, dass jemand ernsthaft eine völlig unplausible Behandlung vorschlagen und versuchen würde, sie wissenschaftlich zu untersuchen. CAM-Befürworter aber waren begeistert von der EBM, weil es ihnen die Möglichkeit gab, ihre Behandlungen mit einem Anstrich von wissenschaftlicher Legitimität zu präsentieren. Sie neigen zu einer Interpretation von EbM in der Weise, dass, wenn man auf irgendwelche Belege verweisen kann (egal wie schwach und widersprüchlich), man für seine Praxis das Etikett “evidenzbasiert” in Anspruch nehmen kann. 

     […] Mein Lieblingsbeispiel ist ein Cochrane Review von Oscillococcinum für Grippe / grippale Infekte (Vickers und Smith 2009). Oscillococcinum ist de facto eine Schimäre (“imaginary”), der „Urstoff“ beruht mit größter Sicherheit auf einem Beobachtungsirrtum, und Homöopathie ist völliger Unsinn, so dass die Behandlung damit sozusagen einer mit Feenstaub ähnelt, der bis zum Nichtvorhandensein (out of existence) verdünnt wurde. Wenn etwas mit einer Anfangsplausibilität von Null eingestuft werden müsste, dann dies. Doch die Autoren kamen zu dem Schluss:

     ‚Obwohl die Daten vielversprechend waren, waren sie nicht stark genug, um eine allgemeine Empfehlung für die Verwendung von Oscillococcinum zur First-Line-Behandlung von Grippe und grippeähnlichen Syndromen abzugeben. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, wobei jedoch die Kohortengrößen erheblich sein müssten. Die aktuellen Erkenntnisse stützen keine präventive Wirkung von oscillococcin-basierten homöopathischen Arzneimitteln bei Grippe und grippeähnlichen Syndromen. (Vickers und Smith 2009)

    Eigentlich wird klar gesagt, dass die Beleglage negativ ist. Dies charakterisieren die Cochrane-Autoren aber sprachlich als “vielversprechend” und empfehlen “weitere Forschung”.

    … und niemand ruft “Der Kaiser ist doch nackt!”

    Perspektivenkorrektur

    Wie  legitim und scheinbar einfach wäre es, mit Hinweis auf die Gesamtevidenz bei homöopathischer Forschung auf die begründete negative Gesamtevidenz zu verweisen und zur Tagesordnung überzugehen! Allein, dies tun die Kritiker so nicht. Sie befassen sich wieder und wieder mit den homöopathischen Studien und Forschungsergebnissen, werden nicht müde, diese im Detail zu analysieren und zu widerlegen. Was bringt sie dazu?

    Neben der eigenen Redlichkeit bei der kritischen Arbeit vor allem, dass dieses einfache Zurückweisen schlicht nicht funktioniert. Die Homöopathie ist nun einmal ein wirkmächtiges Phänomen, das trotz aller Widerlegungen als solches fortexistiert. Was nicht heißt, dass die Aufklärung zur Homöopathie sich nicht auch der Wirrnis des homöopathischen Gedankengebäudes annehmen und es kritisieren kann (und soll). Im Gegenteil, die fehlende innere und äußere Konsistenz der Lehre ist elementar und vielleicht sogar der wesentlichste Punkt bei der Aufklärungsarbeit. Der “Streit um die Studien” erreicht von Ausnahmen abgesehen ohnehin nicht den / die DurchschnittspatientIn. Der Strom homöopathischer Forschung hört aber  nicht auf,  so lange es damit gelingt, die öffentliche und auch die politische Reputation dieser längst obsoleten Pseudomedizin zu schützen und zu bewahren. Die kritischen Aufklärer  brauchen in ihrem Bemühen, Vernunft und Rationalität Gehör zu verschaffen, ab einem gewissen Punkt die “Entsatzarmee” des Gesetzgebers und des Gesundheitssystems, von denen allein die entscheidenden Schritte kommen können, um der Groteske einer weithin als medizinisch relevant angesehenen Pseudowisseenschaft die Grenzen aufzuzeigen. 


    Nebelkerzen, Euphemismen und Abzählen

    An dieser Stelle rechtfertigt sich ein kleiner Einschub. Es sei auf die von mir schon mehrfach als „euphemistisch” in Richtung pro Homöopathie charakterisierten Zusammenfassungen großer Reviews bzw. Metaanalysen verwiesen, die immer wieder genau im eben von Novella beschriebenen Sinne das einzig zu ziehende Ergebnis vernebeln – was sich dann in den Augen derer, die nach Bestätigung lechzen, auf wundersame Weise in Evidenznachweise verwandelt (siehe die Zusammenfassung zu Teil I im generellen Blogartikel zu den Reviews).

    Es geht darum, in den Conclusios der Untersuchungen eine klare Antwort darauf zu geben, ob die Ausgangshypothese bestätigt wurde oder nicht. Es geht nicht um Rumgeeier – gleichwohl findet man solches überall. (Sogar in Cochrane-Reviews, wie wir eben gesehen haben.) Allerdings findet man Euphemismen in besonders ziseliert-kunstvoller Weise vor allem in den Arbeiten von Homöopathen. Die ja bekanntlich nicht einmal davor zurückschrecken, im Vergleich von Studien zur Homöopathie und zur wissenschaftlichen Medizin durch „Abzählen“ positiver, negativer und „unentschiedener“ Resultate eine Art „Wer hat gewonnen“-Spiel um die Krone der Evidenz zu veranstalten. So beispielsweise das Homeopathy Research Institute, nach eigenem Selbstverständnis so etwas wie die Speerspitze der Wissenschaftlichkeit in der Homöopathie. Das ist per se Unsinn – fällt aber wie ein Kartenhaus zusammen, bedenkt man, was dabei wohl mit „unentschiedenen“ Studien gemeint sein soll, wo doch die Antwort aus einer Studie nur lauten kann, ob sich die Ausgangshypothese bestätigt hat oder nicht…? Und gekrönt wird dies meist auch noch mit dem Ruf nach „mehr Forschung“ – wir werden noch davon hören.


    Dies zunächst als Einstieg ins Thema – ich weiß, lang. Aber wichtig. Fortsetzung hier.


    Was ist die schlimmste Homöopathie?

    ch will es euch verraten.

    Lesekompetenz? Ein Problem für Tierhomöopathen …

    Zuerst kommt die “Behandlung” von kranken Kindern  mit unwirksamen Zuckerkugeln.

    Danach kommt, gesunde Kinder mit Globuli-Scheinmedizin vollzustopfen, ihnen damit die Möglichkeit zu rauben, ein gesundes Körpergefühl und ein Empfinden dafür zu entwickeln, wo Befindlichkeit aufhört und Krankheit beginnt und sie womöglich lebenslang auf den Griff zum Mittelchen “in allen Lebenslagen” zu konditionieren.

    Als drittes kommt bei mir die Tierhomöopathie. Ihr merkt schon, welche Kriterien ich für das Ranking zugrunde lege: die der fehlenden Möglichkeit der Selbstbestimmung, dem Ausgeliefertsein an pseudomedizinische Verblendung.

    Danach kommt noch so einiges mehr. Aber heute wenden wir ums einmal einem besonderen Aspekt der Tierhomöopathie, einem speziellen Auswuchs der Kategorie III, zu.

    Tiermedizinische Behandlung im Recht der Europäischen Union

    Die tiermedizinische Behandlung mit Arzneimitteln ist schon lange Gegenstand europarechtlicher Regelungen:

    Für landwirtschaftliche Betriebe (die Produkte erzeugen, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind) regelte ursprünglich Ziff. 5.4 lit. a der EU-Verordnung 2092/91, dass homöopathische Erzeugnisse dann einer medizinischen Behandlung vorzuziehen sind,

    sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirkung auf die betreffende Tierart und die zu behandelnde Krankheit haben.

    Immerhin recht eindeutig. Im Zuge eines langwierigen Revisionsprozesses der “alten” EU-Bio-Verordnung wurde zunächst die sogenannte EU-Öko-Basisverordnung 834/2007 vom 28. 06. 2007 “über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen” erlassen.  Darin findet sich folgende Formulierung:

    Tierarzneimittel einschließlich Antibiotika dürfen erforderlichenfalls unter strengen Bedingungen verwendet werden, wenn die Behandlung mit phytotherapeutischen, homöopathischen und anderen Erzeugnissen ungeeignet ist.

    Die stärkere ideologische Einfärbung ist offensichtlich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Regelungsinhalt sich nicht geändert hat: nach wie vor ist Voraussetzung für den Einsatz von Homöopathika ihre reale Eignung. Was hier mit “anderen Erzeugnissen” gemeint sein mag, will ich lieber gar nicht wissen.

    Die “neue” EU-Bio-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 889/2008) stellte ab dem 01.01.2009 die alte Regelung sprachlich sozusagen auf den Kopf, siehe  § 24 (2):

    Phytotherapeutische und homöopathische Präparate, Spurenelemente und die Erzeugnisse gemäß Anhang V Teil 3 sowie Anhang VI Teil 1.1 sind gegenüber chemisch-synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln oder Antibiotika bevorzugt zu verwenden, sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist.

    Jetzt gehts aber richtig los! Sicher glaubt ihr mir, wenn ich versichere, dass die Formulierung “chemisch-synthetische allopathische Tierarzneimittel” in einer Rechtsquelle der EU mir mehrfachen Brechreiz verursacht. Was Spurenelemente hier verloren haben, mag das Geheimnis der EU-Bürokratie bleiben. Die Phytotherapie, der auch in diesem Zusammenhang mal wieder bitter Unrecht getan wird, lassen wir mal raus aus unseren Betrachtungen.

    Die sich ständig steigernden Verrenkungen, dem Bemühen geschuldet, es den Öko-Fans nur ja recht zu machen, sind offensichtlich. Aber inhaltlich hat sich wiederum nichts geändert, man möge sich nicht blenden lassen!

    Hinter allen Formulierungen steht eindeutig – bei allen sprachlichen Kratzfüßen vor den “natürlichen” Heilmitteln – die Absicht des Verordnungsgebers, die „Eignung“ von Homöopathie und Co. zur Behandlung erkrankter Tiere ex ante (also “im Vorhinein”, als zwingende Voraus-Setzung – man nehme diesen Begriff wörtlich!) von der “Gewährleistung” realer therapeutischer Wirkung abhängig zu machen. Offensichtlich waren sich zumindest einige der Verantwortlichen für die Verordnungstexte klar darüber, dass der Schutz von Tieren vor unwirksamen Behandlungen bewahrt werden musste.

    Nun gut, trotz sprachlich auf den Kopf gestellter Logik kann man das als den Niederschlag eines überzogen ideologisch gefärbten  Natürlichkeitsverständnisses ansehen, letztlich zurückzuführen auf eine entsprechend wirkmächtige Lobby. Damit könnte man noch leben. Aber:

    Wie mir mehrere VeterinärmedizinerInnen versicherten, sieht in Kreisen der Tiermedizin gelegentich die Anwendung dieser Vorschriften so aus, dass zu “chemisch-synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln einschließlich Antibiotika” – also nachgewiesen wirksamer Medizin – in der Praxis erst dann gegriffen wird, wenn eine Behandlung mit homöopathischen und/oder anthroposophischen Mitteln sich im Einzelfall als vergeblich erwiesen hat. Man legt also die Verordnungen dahin aus, dass es “Try and Error”-Behandlungen im konkreten Behandlungsfall überlassen bleiben soll, die gesetzliche Voraussetzung der “Eignung” von Homöopathie und Co. zu erweisen. Danach könne man ja dann -scheinbar gesetzeskonform – immer noch zu wirksamen Mittel greifen.

    Ich konnte das erst kaum glauben, habe es aber mehrfach  bestätigt bekommen. Wer pseudomedizinisch verblendet ist, liest also auch Gesetzestexte im Zweifel so, wie es der vorgefassten Meinung entspricht. Keine Entschuldigung  ist, dass die Formulierung der Richtlinie beinahe dazu einlädt – wir reden hier von Menschen, die die Tiermedizin als Profession ausüben.

    Denn dieses Vorgehen ist ein krasser Verstoß gegen Wortlaut und Intention der EU-Verordnungen, wie sie auch immer unwirksamen Mitteln in ihren euphemistischen Formulierungen das Wort reden mögen. Die “Eignung”  homöopathischer Mittel für eine tiermedizinische Behandlung ist klar als ex-ante-Voraussetzung (… gewährleistet IST), nicht als ex-post-Bedingung  geregelt. VOR jeder Behandlung muss also die “Eignung” von Homöopathika nach objektiven, belegbaren Maßstäben feststehen. Für einen “Versuch am lebenden Objekt” (eine “Anbehandlung” mit Homöopathika nach dem Motto: mal schauen, ob es wirkt), gibt KEINE der Formulierungen der Richtlinien Raum, weder aktuelle noch frühere. Alles andere wäre geradezu  ein Aberwitz. Rechtliche Regelungen müssen stets auf intersubjektiven Prämissen beruhen, sonst würden sie ihrem Zweck, nämlich der verbindlichen Regelung gleichartiger Umstände, nicht gerecht werden können. Darauf beruht ja auch die Annahme, dass es auch bei “unbestimmten Rechtsbegriffen” nur EINE richtige Anwendungsweise geben könne, weil ansonsten die Voraussetzung der Intersubjektivität gebrochen würde – Alltag für Juristen und Gegenstand der Grundvorlesung Verwaltungsrecht.

    Das anders auszulegen, zeugt von einer erschreckenden Unkenntnis der Grundlagen der eigenen Profession und generell von einer voreingenommenen Denkweise, die mich schaudern lässt. Gesetze und Verordnungen regeln in den allerseltensten Fällen Einzelfälle (eigentlich nie) sondern beschreiben Tatbestände und ihre Voraussetzungen. Keine Art der Gesetzesauslegung  (weder die am Wortlaut orientierte noch die teleologische, die nach dem “Zweck” der Regel fragt) der EU-Verordnungen lässt hier eine andere Sichtweise auch nur denkbar  erscheinen. Einer Rechtsnorm zu unterschieben, sie regele die Möglichkeit, Tatbestandsvoraussetzungen  im Einzelfall und zudem ex ante (nachdem das Rind in den Brunnen gefallen ist) subjektiv festzustellen, ist eine Absurdität sondergleichen.

    Conclusio: Die “Freiräume”, die die EU-Verordnungen der Anwendung von Homöopathika und Anthroposophika scheinbar einräumen, sind keine. Es sind inhaltsleere Formulierungen, letztlich (gefährliche) Zugeständnisse an eine unwissenschaftliche Denkweise, was aus der  schlichten Tatsache folgt, dass für keines dieser Mittel jemals ein auf wissenschaftlichen Grundsätzen beruhender valider Wirkungsnachweis erbracht wurde – und damit eben ex ante auch nicht vorhanden ist.

    Fazit: Sofern es tatsächlich TiermedizinerInnen gibt, die glauben, die Eignungsvoraussetzungen für den Einsatz von Homöopathika und Anthroposophika im “Tierversuch” ex post feststellen zu dürfen, bewegen sich diese nicht nur auf dünnem Eis. Sie sind bereits eingebrochen – und verletzen geltendes Recht. Die Konsequenzen zu bewerten, ist nicht mein Geschäft. Es sollte der Hinweis reichen, dass auch die EU-Verordnungen unmittelbar tierschützenden Charakter haben und somit eine tatsächliche und rechtliche Verbindung zum  deutschen Tierschutzrecht besteht.

    Ich kanns immer noch nicht glauben…

    Und vielleicht stimmt ihr mir darin zu, dass das Ranking der schlimmsten Homöopathie-Anwendungen vielleicht noch weiter differenziert werden muss.


    Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

    Das Heu im Nadelhaufen?

    Vernebelt …

    n jüngster Zeit sind mir wieder Studien bzw. gar zusammenfassende Arbeiten aus dem homöopathischen Universum zu Augen gekommen, die unverdrossen das Lied der Wirksamkeit, ja gar der evidenzbasierten Homöopathie singen. Business as usual, ja. Aber irgendwann…

    Gleich zu Beginn die ketzerische Frage: Wozu machen Homöopathen eigentlich ihre Studien? Scheren sie sich um deren wissenschaftliche Bewertung? Nehmen sie zur Kenntnis, dass ihre “Ergebnisse” keinerlei Auswirkungen auf die medizinische Praxis außerhalb des homöopathischen Universums haben? Ja, ziehen sie überhaupt selbst Konsequenzen aus den Ergebnissen ihrer eigenen Studien und Reviews?

    Die Antwort ist meiner Ansicht nach auf alle diese Fragen: Nein. Gehen wir die genannten Punkte einmal exemplarisch durch:

    • Der Versuch von Robert T. Mathie, im Auftrage des Homeopathy Research Institute in den Jahren von 2014 bis 2019 die gesamte Studienlage zur Homöopathie zu reviewen, mündete in einen kümmerlichen Artikel auf der Webseite des HRI, der versucht, die Atemöffnung über der Wasserlinie zu halten, aber dabei in denkbarem Gegensatz zu den meisten (allen?) anderen Statements aus gleichem Hause steht, die der Homöopathie medizinische Relevanz mindestens der wissenschaftlichen Medizin gleichwertig zuschreiben wollen. Aber hier: Kein Jubel, keine Einreichung eines Fazits, eines zusammenfassenden Reports von Mathies Arbeit bei einem der großen medizinischen Journale. Nichts dergleichen, zu einer ganzen Reihe von Arbeiten, die den Anspruch erheben, die gesamte Studienlage zur Homöopathie zusammenzufassen und zu bewerten.
    • Die Bemühungen der homöopathischen Szene, Therapeuten und Kliniken (und Universitäten / Studierende) für die sanfte, nebenwirkungsfreie und durchschlagende Methode aus ihrem Portfolio zu begeistern, beruhen weit eher auf den Zuwendungen aus diversen Stiftungstöpfen als auf der Überzeugungskraft wissenschaftlich solider Belege pro Homöopathie. Woraus wiederum Renommee und in der Folge wieder die berühmte “Beliebtheit” der Methode als politisches “Argument” abgeleitet werden kann.
    • Für die homöopathische Praxis sind die teils höchst aufwändig dargelegten, mit großem wissenschaftlichem Apparat daherkommenden Forschungsergebnisse durchweg bedeutungslos. Ein überragendes, aber kein solitäres Beispiel ist die “Münchner Kopfschmerzstudie” aus dem Jahre 1997, konzipiert, durchgeführt und ausgewertet von einer Reihe handverlesener Homöopathie-Experten. Ergebnis: Vernichtend, insofern, als dass Placebo und individuelle Homöopathie keine signifikanten Unterschiede zeigten. Szenenwechsel: Kopfschmerzen sind, ein Blick ins Internet genügt, noch heute unverändert eine der hauptsächlichen “Indikationen” für Homöopathie.

    Angesichts dessen sei die Frage erlaubt: Was sind klinische Studien zur Homöopathie denn dann überhaupt (wobei wir hier nicht Beobachtungsstudien meinen, die für Wirkungsnachweise ohnehin nicht geeignet sind)? Wie “wissenschaftlich” sind sie ganz grundsätzlich und wie muss man sie redlicherweise verorten?

    Als Co-Autor schrieb ich an anderer Stelle bereits einmal:

    “[,,,] Homöopathie erfüllt entscheidende Kriterien für eine als wissenschaftlich anzusehende Methode nicht. Da sie gleichwohl einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, präsentiert sie sich mit einem scheinwissenschaftlichen Anstrich. Sie tut dies mit einer gewissen Virtuosität, was sich darin zeigt, dass einerseits die weltweite Wissenschaftsgemeinschaft sich über die wissenschaftliche Wertlosigkeit der Methode einig ist, andererseits jedoch die scheinwissenschaftliche Mimikry mit Forschung, Studien, Therapiemodellen, Pseudo-Qualifikationen, der Adaption wissenschaftlicher Terminologie und dergleichen ihren Eindruck auf das mit wissenschaftlichen Grundannahmen, ja dem Wissenschaftsbegriff selbst nicht vertraute Publikum nicht verfehlt.

    Was nichts anderes heißt, als dass Forschung zur Homöopathie und ihre Ergebnisse – die Studien – unter einem generell wissenschaftskritischen Aspekt betrachtet werden müssen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der evidenzbasierten Medizin.

    Das dabei grundsätzlich aufscheinende Problem für die Kritik an der Homöopathie sei gleich zu Anfang aufgezeigt, und zwar wiederum mit einem Zitat aus einer Veröffentlichung von Mitgliedern des Informationsnetzwerks Homöopathie:

    Dadurch (durch das ständige Erscheinen immer neuer Homöopathie-Studien und die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit diesen) wird allerdings auch – im Sinne interessierter Kreise – eine Diskussion über die Wirksamkeit der Homöopathie stets neu befeuert und in der Öffentlichkeit als wissenschaftlicher Streit um gleichwertige Positionen wahrgenommen.

    Dies kann sich als besonderes Problem der Kritik darstellen, da einerseits diese vorgeblichen Belege pro Homöopathie nicht einfach ignoriert werden können, andererseits durch die Gegenvorstellungen seitens der Kritik dem erwähnten Eindruck einer „Debatte auf Augenhöhe“ ungewollt auch ein gewisser Anschein von Glaubwürdigkeit verliehen wird.

    Ergo: Jede Studie zur Homöopathie, ja, jeder Review, egal welchen Inhalts, hält im Publikum den Irrtum aufrecht, es ginge um ein wissenschaftlich valides Thema, das “noch offen”, “umstritten” und dergleichen sei. Man muss nur ein wenig Öffentlichkeitsarbeit betreiben… fast ist man an den alten Spruch der Werbetreibenden erinnert, dass es negative PR gar nicht gebe. Und wenn es mal nicht so gut läuft, vorzugsweise mit Veröffentlichungen von renommierter und neutraler Seite, so starte man eine Glaubwürdigkeitskampagne und bezichtige die Urheber und deren Umfeld sinistrer Absichten – wie dies in wahrlich bemerkenswertem Umfang mit dem Review des australischen NHMRC geschehen ist, das mit einer jahrelangen Unsinnskampagne über den angeblichen “First Draft” überzogen wurde, der wegen noch angeblicherer positiver Ergebnisse zur Homöopathie “unterdrückt” worden sei.


    Ausgerechnet die Methodik der Evidenzbasierten Medizin, die grundsätzlich vom “blank sheet” ausgeht, also unabhängig von Plausibilitäten und Unvereinbarkeiten allein nach dem empirischen “Outcome” klinischer Studien fragt (und damit “jedem eine Chance” gibt), kommt den forschenden Homöopathen dabei entgegen.

    Die Homöopathen (gerechterweise: nicht als einzige) missbrauchen die EBM. Denn die Empirie der EBM beruht auf Statistik, und zwar auf keiner trivialen. Allein diese erzeugt eine lange Reihe von Unwägbarkeiten, denen methodische Probleme bei Konzeption und Durchführung von Studien noch vorausgehen. All dies bleibt dem Publikum, dem hinterher mit “der neuen Studie” triumphierend zugewunken wird, verborgen. Dass Studien lediglich “statistische Messinstrumente” sind und ihren Anteil an der “Wahrheit” oft verbergen und nur höchst widerwillig preisgeben, das weiß das – meist ohnehin schon geneigte – Publikum nicht. Und außer diesen ewigen Skeptikern erklärt es ihnen auch niemand. Also wird „nach EBM-Kriterien geforscht“, was das Zeug hält. Und damit Material fürs Cherry-Picking produziert. Aber keine ernsthafte ergebnisoffene Forschung betrieben.

    Dabei berufen die Homöopathen sich auch noch explizit auf Sacketts Definition der EBM (deuten sie allerdings z.B. so, dass – was stimmt – schon Expertenmeinungen und Fallstudien “Evidenz” sein können, aber eben nicht, wenn wie in unserem Falle Ergebnisse auf höheren Evidenzstufen vorliegen) und rufen „die evidenzbasierte Homöopathie“ aus. Steven Novella schrieb einmal, kein Mensch sei bei der Konzeption der EBM auf die Idee gekommen, dass sich Proponenten unplausibler Heilslehren erdreisten könnten, überhaupt die Methode des „blank sheet“, der völlig unvoreingenommenen Empirie in der EBM, für ihre Heilslehren in Anspruch zu nehmen.

    Ein Irrtum, wie wir heute wissen. Leider ist in der Tat mit der “reinen Empirie” der EBM die wissenschaftliche Plausibilität allzu sehr in den Hintergrund geraten, was aber m.E. vielen Forschern langsam dämmert. Denn die Nichtberücksichtigung von inneren wie äußeren Unvereinbarkeiten (Inkonsistenzen) und Unplausibilitäten ist eine wohlbegründete Methodik innerhalb der EBM, aber doch kein Freibrief, diese in einer wissenschaftlichen Gesamtbeurteilung völlig auszublenden.

    Natürlich schreckt man aus Gründen der wissenschaftlichen Redlichkeit davor zurück, irgendetwas völlig von der Forschung auszuschließen. Aber ebensowenig ist es akzeptabel, die EBM so auf Empirie einzuengen und dabei auch noch alle methodischen und statistischen Möglichkeiten und Grauzonen so zu nutzen, dass es mühsamer Nachschau durch die wissenschaftliche Homöopathiekritik (und ganz gelegentlich der Wissenschaftsgemeinde, wenn die Homöopathen den Fehler machen, in einem wirklich großen Journal zu veröffentlichen) bedarf, um immer wieder darzulegen, dass auch reine Empirie die Homöopathie nicht als wirksam erweist.

    Steven Novella und David Gorski (sciencebasedmedicine.org) schlagen z.B. vor, in die statistische Bewertung nicht nur lineare, auf die jeweils einzelne Studie bezogene Faktoren aufzunehmen, sondern auch nach der Bayesschen Methode (Theorem der bedingten Wahrscheinlichkeit) die bisher vorliegende Gesamtevidenz in die Einzelbewertung einfließen zu lassen. Was in der Tendenz zu einem immer realistischeren Bild der Evidenz in wissenschaftlicher Sicht führen müsste (aber auch methodisch wie statistisch korrekte Forschung und deren offene Kommunikation voraussetzt). Dies aber an dieser Stelle nur als Ausblick auf einen Folgebeitrag dazu.


    Wir halten fest: Homöopathische klinische Forschung hat per se etwas von einem Ärgernis. Sie dient nicht medizinischer Praxis, erhält fälschlich den allgemeinen Eindruck, Homöopathie habe wissenschaftlich durchaus noch nicht abgewirtschaftet und befördert die Selbsttäuschung der Praktiker, Anwender und Fürsprecher der Homöopathie.

    Zur homöopathischen Grundlagenforschung an Hochpotenzen ist bereits an anderer Stelle alles Notwendige gesagt, sei noch hinzugefügt.


    Bild von ulieitner auf Pixabay

    Homöopathie – was für einen Diskurs führen wir eigentlich?

    Rosarote Brille, das Original

    Dumme Frage? Keineswegs.

    Die wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik hat in den letzten Jahren intensiv die Argumente dargelegt, die die Homöopathie nach dem Urteil der Mehrheit der weltweiten Wissenschaft als eine medizinisch irrelevante Scheintherapie qualifizieren. Dabei wurden zwei Ziele verfolgt: Aufklärung der über Jahrzehnte hinweg des- und fehlinformierten Öffentlichkeit über den wirklichen Stellenwert der Homöopathie und Kritik an den verfestigten Strukturen, die die Homöopathie seit Jahrzehnten derart begünstigen, ja privilegieren, dass sie bislang ihre Position im öffentlichen Gesundheitswesen unangefochten erhalten konnte.

    Beides hat nach wie vor seine Berechtigung. Viele, allzu viele Menschen verharren noch in dem des- oder uninformierten Kenntnisstand zur Homöopathie, der die eigentliche Grundlage für das Geschäft mit den Zuckerkugeln bildet. Natürlich hat man als Kritiker gelegentlich das Gefühl, “durchgedrungen” zu sein, zumal sich beispielsweise so langsam auch ein Wandel in der noch vor relativ wenigen Jahren durchweg unkritischen Medienberichterstattung zur Homöopathie feststellen lässt (allerdings durchaus noch nicht als Regelfall). Der Homöopathie-Werbung fällt es wohl auch nicht mehr so leicht, mit ihren beschönigenden Behauptungen (auf die sie sich nun mal beschränken muss) zu punkten. Im Verein mit der restlichen Homöopathie-Lobby sind die Hersteller jedoch nach wie vor aktiv und suchen die wissenschaftliche Homöopathiekritik nach Möglichkeit mit vielerlei Vorspiegelungen auszuhebeln.

    Diesen Gesamtdiskurs führt die wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik nach wie vor, in dem Wissen, dass es noch viel zu tun gibt. Ein Teil dieses Diskurses allerdings ist mir schon längst ein Dorn im Auge, denn den empfinde ich als ausgesprochen unredlich.

    Wer aufmerksam hier im Blog mitliest, den wird es nicht überraschen, dass ich damit den Missbrauch wissenschaftlicher Methodik und das opportunistisch-pragmatische Verhältnis der Homöopathievertreter zur Wissenschaft überhaupt meine. Hier liegt meines Erachtens eine Ursache dafür, weshalb auch die Politik immer wieder davor zurückschreckt, in Sachen Homöopathie im Gesundheitswesen einen klaren Grenzstrich zu ziehen. Mit der scheinwissenschaftlichen Bemäntelung ihrer Methode gelingt es der homöopathischen Lobby sehr eindrucksvoll, die Politik (und nicht nur diese) anhaltend zu verunsichern, den klaren Blick zu verschleiern und den Anschein einer offenen wissenschaftlichen Diskussion aufrechtzuerhalten. Ganz abgesehen davon, dass es die Vertreter der Homöopathie im Bedarfsfalle (und nur dann) für opportun halten, die Wissenschaft als ungeeignet für ihre Methode hinzustellen (was sie durch ihre eigene Bemühung, wissenschaftliche Reputation zu erlangen, laufend konterkarieren) oder wenn sie gar bestrebt sind, den Wissenschaftsbegriff ihren Bedürfnissen und Erfordernissen anzupassen, sei es durch verquere Ausführungen zur Wissenschaftstheorie (“junk epistemology” ) oder durch Ausdehnung des Wissenschaftsbegriffs ins ungehemmt Spekulative (Walach).

    Beklagenswerterweise kann mit diesem pseudowissenschaftlichen Tand genug Einfluss bei Multiplikatoren und Entscheidungsträgern ohne tieferes Verständnis für Wissenschaftlichkeit gewonnen werden, um die eigene Position abzusichern. Noch. Denn wie ich finde, muss in aller Deutlichkeit als ein nächster Schritt in der Homöopathiekritik offengelegt werden, was für ein falsches Spiel mit der Wissenschaft hier von den Vertretern einer Methode getrieben wird, der die Wissenschaftlichkeit eigentlich per se abgesprochen werden muss.

    Ein weiteres Mal sei das interdisziplinäre Gutachten für das Memorandum Homöopathie der Russischen Akademie der Wissenschaften zitiert, das feststellt:

    Die Gesamtschau der Fakten aus verschiedenen Bereichen – über die Ergebnisse der klinischen Studien bis zu den modernen wissenschaftlichen Vorstellungen über die Struktur der Materie, den chemischen Grundlagen der intermolekularen Wechselwirkungen und der menschlichen Physiologie – ermöglicht uns die Schlussfolgerung, dass die theoretischen Grundlagen der Homöopathie keinen wissenschaftlichen Sinn haben und demzufolge homöopathische Diagnose und Behandlungsmethoden wirkungslos sind. […] Der Abgleich des „externen Szientismus“ der Homöopathie auf der einen Seite mit dem gemeinsamen System der heutigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis auf der anderen Seite ermöglicht es uns aber, die Homöopathie als eine pseudo-wissenschaftliche Disziplin zu qualifizieren.

    Es lohnt sich, das Memorandum und das Gutachten noch einmal vollständig zu lesen.

    To make a long story short: Es kann nicht angehen, dass die Homöopathiekritik und der gesellschaftliche wie der politische Diskurs sich weiterhin die perfide Schimäre einer andauernden wissenschaftlichen Debatte unter dem Anschein eines relevanten Dissenses aufoktroyieren lassen. Wenig bis nichts in der medizinischen Forschung lässt eine so eindeutige Beurteilung ohne “Grauzone” zu wie die Homöopathie. Nichts aber spricht dem mehr Hohn als die tatsächliche Bedeutung, die die Homöopathie dessen ungeachtet gesellschaftlich und offenbar sehr wirkmächtig in der Politik in Deutschland zukommt. Nicht einmal die fundierten Entscheidungen in europäischen Partnerländern wie England, Frankreich, Spanien, zuletzt gar Ungarn (wo es keine Zulassung von Homöopathika mit Indikationen mehr ohne fundierten wissenschaftlichen Wirkungsnachweis gibt) haben diese letztlich irrationale Haltung bislang beeinflussen können. Und das kann nicht sein.

    Hier liegt die für mich die Zielrichtung künftiger Homöopathiekritik. Dem Versuch, durch wissenschaftliche Mimikry eine wissenschaftliche Relevanz der Homöopathie vorzutäuschen, muss dabei natürlich weiter entgegengetreten werden. Aber eben mit dem ceterum censeo, dass es dabei um nicht mehr geht als um die Abwehr von Täuschen, Tricksen und Tarnen.

    Weitere Beiträge auf diesen Seiten werden im Detail begründen, weshalb es dabei um Täuschen, Tricksen und Tarnen geht. Dabei wird es vor allem darum gehen, weshalb die Homöopathie überhaupt den Drang verspürte, wissenschaftliches Renommee zu erlangen (nachdem ihr sehr lange ihr “Ruf als Erfahrungsmedizin” vollauf genügte) und wie sehr ihr dabei ausgerechnet die Etablierung der Evidenzbasierten Medizin entgegenkam.


    Weitere Beiträge (neben den Links im Text), in denen ich Teilaspekte des hier dargelegten Themas außerhalb dieses Blogs bereits besprochen habe:

    Der Scharlatan ist ein Meister aus Deutschland

    Warum bloß?

    Abschied vom Paralleluniversum


    Bild von Mabel Amber auf Pixabay

    Von der Neugier zur Langeweile – Prof. Paul Glasziou zum NHRMC-Review

    Reviews – looking behind the doors

    Der größte Hoax, den Homöopathen (bis auf die Homöopathie selbst) jemals losgetreten haben, ist wohl das jahrelange Schmierentheater um den angeblich unterdrückten “ersten Bericht” des australischen NHMRC, der dem offiziellen Bericht von 2015 vorausgegangen und in der Tonne gelandet sei, weil er angeblich positiv für die Homöopathie ausgefallen war. Nachdem der NHMRC den “First Draft” vor einem Jahr dann veröffentlichte, um dem Unsinn ein Ende zu machen, gab es zunächst weltweit groteske Fehldeutungen und Jubel in der homöopathischen Szene (drastische Demonstrationen des confirmation bias), bis das Ganze dann nach und nach sozusagen verdunstete.

    In Deutschland allerdings hielt und hält sich die Behauptung, sinistre Kräfte steckten hinter dem NHMRC-Review und das Ganze sei eine “Täuschung der Öffentlichkeit” nach wie vor. Erst vor wenigen Tagen geriet ich in eine Diskussion mit einem praktizierenden Homöopathen, der die ganze Geschichte mit dem “First Draft” für sich protokolliert hatte – aus Homöopathensicht. Wirklich kaum zu glauben, wie sehr sich sein Protokoll der causa von dem meinen unterschied. Durchaus Anlass genug, die eigene Position nochmals zu prüfen – und sie für tragfähig zu befinden.

    Im Zusammenhang mit dem NHMRC-Review bin ich auf einen kurzen Blogbeitrag von Prof. Paul Glasziou von der Bond-Universität in Australien gestoßen, der seinerzeit der Leiter der Arbeitsgruppe war, die den Bericht zusammengestellt hatte. Er stammt aus der Zeit (2016), als der Review schon eine Weile in der Welt war und sich die “Opposition” dagegen deutlich zu regen begann. In seiner nüchternen Klarheit finde ich ihn bemerkenswert, auch deshalb, weil Prof. Glasziou ganz offensichtlich sehr unvoreingenommen und nicht einmal mit umfassendem Vorwissen über Homöopathie an die Untersuchung herangegangen war. Nachstehend meine deutsche Übersetzung.

    Paul Glasziou: Immer noch keine Beweise für die Homöopathie
    16. Februar 2016 / thebmjopinion
    http://blogs.bmj.com/bmj/2016/02/16/paul-glasziou-still-no-evidence-for-homeopathy/

    Als der Bericht des Nationalen Gesundheits- und Medizinischen Forschungsrates (NHMRC) über die Homöopathie zu dem Schluss kam, dass “es keine zuverlässigen Beweise aus der Forschung am Menschen gab, dass die Homöopathie irgendwo bei der Bandbreite der betrachteten Krankheitsbilder wirksam ist”, waren nur wenige in der konventionellen Medizin überrascht, die Homöopathie-Gemeinschaft aber war empört. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die den Bericht erstellt hat, war ich einfach nur erleichtert, dass der beschwerliche Weg der Sichtung und Synthese der Beweise zu Ende war. Ich hatte die Reise mit einer “Ich weiß es nicht” Haltung begonnen, neugierig darauf, ob diese unwahrscheinliche Methode jemals funktionieren könnte. Allerdings, wer hätte früher geglaubt, dass Bakterien Magengeschwüre verursachen oder dass Impfstoffe gegen Krebs zur Routine werden würden? Also vielleicht doch? … Aber ich habe das Interesse verloren, nachdem ich die 57 systematischen Übersichtsarbeiten (zu 68 Indikationen), die 176 Einzelstudien enthielten, durchgesehen und keine überzeugenden Effekte jenseits von Placebo erkennen konnte.

    Natürlich würden wir bei 176 Studien rein zufällig ein paar p-Werte unter 0,05 erwarten: 1/20 von 176 ist etwa 9, die Anzahl, die reiner Zufall als “statistisch signifikant” erscheinen lassen würde. Wir haben uns auf Replikationen und systematische Übersichtsarbeiten gestützt, um solche falsch positiven Ergebnisse zu vermeiden. Das NHMRC replizierte nicht selbst alle 63 systematischen Übersichtsarbeiten (was jeweils über 50.000 AU$ gekostet hätte), sondern bewertete die vorhandenen Übersichtsarbeiten und benutzte sie als Fenster zur Gesamtevidenz (“body of evidence“) . Obwohl dieser body of evidence in Größe und Qualität heterogen war, ergab sich aus den qualitativ höherwertigen Studien kein klares Signal für eine Wirksamkeit.

    Eine Überraschung war für mich das Spektrum der Erkrankungen, bei denen die Homöopathie untersucht worden war, darunter rheumatoide Arthritis, Radiodermatitis, Stomatitis (Mundentzündung) infolge einer Chemotherapie und die Infektion mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV). Was mich später noch mehr schockierte, war, dass es Organisationen gibt, die die Homöopathie bei Infektionskrankheiten wie AIDS in Afrika oder Malaria propagieren. Angesichts der derzeit vorhandenen wirksamen Behandlungen scheint das eine sehr zweifelhafte Aktivität zu sein und ist ein weiteres Beispiel, das die Aussage des NHMRC rechtfertigt, dass “Menschen, die sich für die Homöopathie entscheiden, ihre Gesundheit gefährden können, wenn sie Behandlungen ablehnen oder verzögern, für die es gute Beweise für Sicherheit und Wirksamkeit gibt”.

    Es überrascht nicht, dass es von Verwendern und den Vertreibern homöopathischer Arzneimittel erheblichen Gegenwind gegeben hat. Tatsächlich initiiert der International Council for Homeopathy derzeit ein Fundraising – jedoch nicht, um bessere Forschung zu finanzieren, sondern um das NHMRC-Dokument anzugreifen. Ich kann gut verstehen, warum Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, mit dem Stand der medizinischen Praktiken des 18. Jahrhunderts, wie Aderlass und Schröpfen, unzufrieden war und versuchte, eine bessere Alternative zu finden. Aber ich vermute, er wäre enttäuscht über das kollektive Versagen der Homöopathie, die, statt seine damals durchaus innovativen Untersuchungen weiterzuführen, weiterhin eine therapeutische Sackgasse verfolgen.


    Paul Glasziou ist Professor für evidenzbasierte Medizin an der Bond-Universität in Queensland und nebenberuflich Allgemeinmediziner.


    Ein interessanter Einblick am Rande. Ceterum censeo: Homöopathie ist eine spezifisch unwirksame Scheintherapie, die im Gesundheitswesen keinen Platz haben kann und deren Privilegierung im Arznei- und Sozialmittelrecht eine perpetuierte Verantwortungslosigkeit ist. Und was Prof. Glaszious Vergleich mit der Entdeckung des Helicobacter pylori oder der Entwicklung des HPV-Impfstoffs betrifft: damit war jedenfalls nichts postuliert worden, was gegen naturgesetzliche Gegebenheiten verstoßen hätte. Diese Entdeckungen, solange sie noch unbekannt waren, existierten latent im Raum des potenziell Möglichen. Anders als die Hypothesen der Homöopathie, die, nach den Worten von Prof. Otto Prokop, Spekulationen “außerhalb der Grenzen der realen Welt” darstellen. Der Vergleich macht aber deutlich, wie unvoreingenommen – als strenger Evidenzler – Prof. Glasziou an die Sache herangegangen ist.


    Zum Weiterlesen – die wichtigsten Veröffentlichungen des Informationsnetzwerks Homöopathie zum NHMRC-Review und der “First Draft”-Debatte:

    Stellungnahme des Informationsnetzwerks Homöopathie zur Beschwerde des HRI über das Review des australischen Gesundheitsministeriums (NHMRC)

    Offener Brief des INH zum Interview mit Dr. Tournier (HRI) auf „Homöopathie online“

    Unendliche Geschichte(n) – noch einmal zum Homöopathie-Review des NHMRC

    Der „unterdrückte erste Report“ des NHMRC – Quelle von „Ermutigender Evidenz“?


    Bild von Arek Socha auf Pixabay

    Was macht die Homöopathie zum großen Problem?

    Der Drache des confirmation bias vor der Höhle der Erkenntnis

    Vor kurzem postete das Informationsnetzwerk Homöopathie in den Sozialen Medien:

    “Homöopathiekritik ist weder Hass noch Hetze.
    Es ist einfach eine rationale Kritik an einer irrationalen Methode”.

    Besser und kürzer kann man viele Aspekte des Umgangs mit der Homöopathie gleichzeitig wohl kaum auf den Punkt bringen. Und in der Tat braucht man es eigentlich auch gar nicht.

    Die Homöopathie selbst wird fortexistieren, ein Aspekt, den jeder ernsthafte Homöopathiekritiker nicht bestreiten, ja, als Selbstverständlichkeit akzeptieren wird. Es wäre von daher seinerseits irrational, etwa ihre “Abschaffung” oder gar ein “Verbot” zu fordern und ein solches unsinniges Ziel gar mit “Hass” und “Hetze” zu verfolgen. Solches wird man deshalb in den Stellungnahmen von ernstzunehmenden, auf wissenschaftlichem Fundament stehenden Kritikern nirgends finden. Diese zielen auf die verzerrte Wahrnehmung und die ungerechtfertigte Rolle der Homöopathie in der Gegenwart ab, insbesondere auf ihre Position innerhalb von Medizin und Gesundheitswesen und den falschen Wissenschaftlichkeitsanspruch.

    Zum Objekt von “Hass” und “Hetze” wird die Homöopathie nur in der Wahrnehmung ihrer Verteidiger. Dies mag kognitiv sogar verständlich sein, geht es doch ganz offensichtlich nicht um eine Schicht rationaler, durch Argumente zugänglicher Wahrnehmung. Die Homöopathie sitzt bei der Mehrzahl ihrer Verteidiger “tiefer”, wird zum Teil eines Überzeugungssystems, unter Umständen zu einem Teil der Selbstwahrnehmung und damit für rationale Argumente immer unzugänglicher. Sie wäre längst dahin als Staub der Medizingeschichte, wäre das nicht so. Stattdessen legt sich der “confirmation bias” in all seinen Ausprägungen als Wächterdrachen vor die Wahrnehmung der Realität. Und dessen Stärke zu unterschätzen hieße eine große Macht zu unterschätzen.

    Speziell in der Medizin hat uns der confirmation bias schon Fehlschlüsse und Irrtümer nicht marginalen Charakters wie die Vier-Säfte-Lehre und viele ihrer “Therapiemethoden” über 1.000 Jahre und mehr beschert. Es wäre daher wiederum irrational, sein Wirken bestreiten zu wollen. Jedoch: Kenne Deinen Feind! Die moderne Wissenschaft verwendet große Teile ihrer Werkzeuge und Ressourcen darauf, den confirmation bias in der Gewinnung von Erkenntnis zu entlarven und so gut wie möglich zu eliminieren. Das manifestiert sich in ihrem Anspruch auf Intersubjektivität, also der Nachvollziehbarkeit ihrer Ergebnisse unabhängig von Ort, Zeit und Person. Dieser Weg hat uns inzwischen bis zur Evidenzbasierten Medizin geführt.


    Worüber also diskutieren wir eigentlich?

    Homöopathie hat sich bei ihrer wissenschaftlichen Validierung als Musterbeispiel der Subjektivität entpuppt – und – abgesehen von der Unvereinbarkeit von Grundprämissen mit gesichertem naturwissenschaftlichem Wissen – außerdem einer strengen intersubjektiven Prüfung auf Wirksamkeit als spezifische Methode (ihrer “zweiten Chance”) nicht standgehalten. Dies ist weitestgehender Konsens, bis zu einem validen Beweis des Gegenteils (zu dem wahrlich einiges gehören würde) der belegte Stand der Dinge und auf der Basis der vorhandenen Erkenntnis nicht mehr diskursfähig.


    Dass dies vielen Laien nicht klar ist, liegt auf der Hand – beklagenswerterweise wissen sie es nicht besser, können es im Grunde nicht wissen durch den äußeren Schein, die allgemeine Reputation, die die Homöopathie genießt. Hier ist durch Fehlinformation, plakative Beeinflussung (gesetzlicher Schutz, Apothekenpflicht, von Ärzten angewandt) und durch das Bestärken falscher Haltungen bereits viel verloren, einziges Mittel ist jedoch Aufklärung und immer wieder Aufklärung. Ist es der Homöopathie gelungen, die Methode als “sanft, wirksam, nebenwirkungsfrei” in den Köpfen durch beständige Wiederholung zu verankern, ist es auch möglich, den wahren Fakten durch beständige Wiederholung Eingang in das allgemeine Bewusstsein zu verschaffen. Nach einer Sentenz von Dr. Natalie Grams muss und wird es möglich sein, dass Homöopathie und die Berufung auf sie als medizinische Methode gesellschaftlich-sozial in eine Rolle gelangt wie heute das Rauchen. Daran arbeitet die Aufklärung und darf sich darin nicht beirren lassen.


    Der homöopathisch tätigen Ärzteschaft sei jedoch entgegengehalten: Es kann kein ärztliches Angebot geben, das gleichzeitig auf wissenschaftlicher Intersubjektivität und auf dem Ignorieren derselben beruht. Der Versuch, beides gleichzeitig zu praktizieren, trägt die Entwertung wissenschaftlich-rationalen Denkens in sich.

    Dies bedarf der Richtigstellung durch die ärztliche Profession selbst. Es gibt Fortschritte – wie mühsam das ist, erfahren alle Landesärztekammern, die die Streichung der Homöopathie aus ihren Länderfortbildungsordnungen betreiben. Noch lange sind wir nicht so weit, dass die Ärzteschaft mit einer Stimme spricht. Dass es der studentische Nachwuchs ist, der sich klar und eindeutig positioniert, ist mehr als zu begrüßen. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Evidenzbasierte Medizin dabei ist, bei der aufwachsenden Medizinergeneration die ihr zukommende Rolle tatsächlich einzunehmen.


    Aber ist nicht der Hinweis auf Wahrnehmungsfehler und daraus – bedauerlicherweise – resultierenden Inkonsistenzen des Handelns in Sachen Homöopathie allein nicht eine geradezu verharmlosende Betrachtungsweise? Muss nicht deutlich ausgesprochen werden, dass gerade (ausgerechnet) die evidenzbasierte Medizin, die ein notwendiges, vielleicht irgendwann einmal hinreichendes Moment der Rationalität in die Medizin einbringen will, von der Homöopathie (und anderen Pseudomethoden) geradezu missbraucht wird?

    Man möge zunächst nochmals realisieren, dass die Evidenzbasis der Homöopathie klar und so weit wie möglich belegt ist: Belastbare Belege für eine spezifische Wirkung der Methode existieren nicht, das ist das durchgängige Ergebnis der Arbeiten des höchsten Evidenzlevels, der Reviews und Metaanalysen. Es kann also erst einmal nicht so getan werden, als gebe es “Spielräume”, die auch die evidenzbasierte Medizin bei unzureichender Datenlage anerkennt und wo sie der “reinen Erfahrungsmedizin” ein gewisses Recht einräumt. Es sei klar festgestellt: In der Homöopathie gilt dies nicht. Hier ist Meinung von Wissen durch valide Evidenzprüfung hinreichend separiert. Worauf nun beruhen all diese ständigen Debatten und das Beharren auf einer invaliden, unter Umständen schädlichen Methode?

    Es handelt sich dabei um eine Strategie oder, wenn mal will, um einen Mechanismus, den man im amerikanischen Sprachgebrauch “Denialism” nennt, also “Leugnung”. Er stammt aus der US-amerikanischen Bloggerszene und meint über die allgemeine Bedeutung hinaus etwas Speziellesdas systematische, wiederholte und dauerhafte Leugnen und Bestreiten der bestehenden Evidenz zu einer wissenschaftlichen Thematik. An einer so klar definierten Eingrenzung des Problems scheint es im deutschsprachigen Raum bislang zu fehlen. Ändern wir das.

    Diethelm/McKee (2009) haben im Zusammenhang mit der inzwischen weithin bekannten und geächteten Kampagne der Tabakindustrie zur wissenschaftlich verbrämten Leugnung der Schädlichkeit des Rauchens (kein Journal nimmt noch Papers an, die im Zusammenhang mit der Tabakindustrie stehen) Kriterien für ein solches “Denialism”, die systematisch betriebene Leugnung vorhandener Evidenz, definiert. Als da wären:

    • Identification of conspiracies (also die “Aufdeckung” angeblicher Verschwörungstheorien): Der wissenschaftliche Konsens sei nur ein scheinbarer, lediglich Ergebnis einer Verschwörung, bevorzugt der Pharmaindustrie, des selbstreferenzierenden wissenschaftlichen Mainstreams, bezahlter Propagandisten, auch und vor allem der skeptikerbewegungsgesteuerten Wikipedia und gar von sinistrer Einflussnahme auf Regierungen. Die wahren Belege würden einfach nicht zur Kenntnis genommen. Alltag in der Homöopathie, die Beispiele sind nahezu Legion. Wir haben dies – zweifellos in vollem Ernst – von Herrn Hevert (Hevert Arzneimittel) im Zusammenhang mit dem Abmahnungsversuch gegenüber Dr. Grams (2019) vernehmen können. Eine prominente, aber längst nicht die einzige Stimme, die Derartiges verlauten lässt. Solche Thesen erscheinen auf “Homöopathie online”, der Webseite des Zentralvereins Homöopathischer Ärzte, in gewisser Regelmäßigkeit und sind überhaupt ein ständiges Ostinato, geradezu ein Kennzeichen fast aller Verteidigungen der Homöopathie.
    • Fake Experts (also Scheinexperten): Ein breites Spektrum, das von um Selbstbestätigung bemühten Lobbyisten bis hin zu sinnfreien Testimonials reicht, wofür einfache Verwender ebenso herhalten müssen wie “Promis” (Goethe, Feldmarschall Radetzky, Gandhi, Yehudi Menuhin und neuerdings auch Chopin stehen oben auf der Liste). Ganze Werbekampagnen der einschlägig interessierten Industrie beruhen darauf. Man schaue sich nur einmal die “Zitate zur Homöopathie” an, die die Deutsche Homöopathie Union (DHU) in jüngster Zeit zum Gegenstand einer PR-Kampagne auf Twitter gemacht hat. Hierzu gehört auch der Umstand, dass die Apologeten der Homöopathie durchweg deren Lobby zuzurechnen sind, die allgemeine Wissenschaft nimmt hiervon so gut wie keine Notiz, weil sie das Thema nicht mehr für diskursfähig hält.
    • Selectivity (also Selektivität, auch Cherry-Picking genannt): Eine “Königsdisziplin” der Homöopathie, immer wieder aufs Neue demonstriert. Die eigenen negativen Reviews werden bis auf Satzebene selektiv zitiert, vermutlich sogar, ohne dass das dies vom Zitierenden überhaupt in allen Fällen realisiert wird (Stichwort confirmation bias). Die Versuche, gegenüber der feststehenden Gesamtevidenz mit einzelnen Studien und Veröffentlichungen zu punkten, ja, aus einzelnen Reviews gar Detailergebnisse als Beleg pro Homöopathie zu exzerpieren, sind sämtlich Ausprägungen der “Selectivity”. Unter keinen Umständen wird die im Falle der Homöopathie gesicherte negative Gesamtevidenz anerkannt – jeder Winkelzug, jedes Scheinargument muss dafür herhalten.
    • Impossible expectations (das Verlangen des Unmöglichen, ein “Überdehnen” des Wissenschaftsbegriffs): Ein prominentes Beispiel ist das – offene oder implizite – Verlangen, man möge “die Unwirksamkeit der Homöopathie beweisen”. Diese Umkehrung der Beweislast vom Behauptenden zum Zweifelnden ist ein immer wiederkehrendes Argumentationsmuster. In anderer Ausprägung wird dies als Aussage den Kritikern unterstellt und dann mit Widerlegungsversuchen ein Scheinangriff geführt. Auch die Ausdehnung des Wissenschaftsbegriffs ins Spekulative, wie es manche angeblich auf wissenschaftlichem Boden stehende Apologeten der Homöopathie einfordern, gehört hierhin, ebenso die Sentenz, man wisse noch nicht, wie Homöopathie wirke, jedoch man sehe, dass sie wirke.
    • Misrepresentation and logical fallacies (Irreführung und Trugschlüsse): Hier sammelt sich das ganze fast unüberschaubare Spektrum innerer und äußerer Inkonsistenzen der Homöopathie, die – man kann vieles davon auf diesem Blog nachlesen – nachgerade ein konstituierendes Merkmal der Methode sind: von den schon in Hahnemanns Urlehre vorhandenen Widersprüchen bis hin zum Zerfall der Lehre in eine Unzahl von sich z.T. in Kernpunkten widersprechenden “Varianten”. Auch das gesamte “Whataboutism” gegenüber der wissenschaftsbasierten Medizin und die Vorhaltungen gegen die Kritiker, sie würden sich mit deren Unzulänglichkeiten nicht befassen (eine Unwahrheit) gehören hierher. Ebenso die Uminterpretation der Homöopathiekritik zu einer vorgeblich reinen Kritik an den theoretischen Grundlagen, eine Reduzierung auf Plausibilitätskritik, was nicht den Tatsachen entspricht: primär beruht die wissenschaftliche Homöopathiekritik auf dem fehlenden Nutzennachweis nach den Kriterien der Evidenzbasierten Medizin.

    Alle Kriterien des “Denialism” nach dieser Definition werden von der Homöopathie mithin erfüllt. Hier liegen die Potenziale dafür, weshalb der Denialismus der Homöopathie geeignet ist, die wissenschaftlichen Prinzipien zur Annäherung an eine möglichst genaue Beschreibung der Wirklichkeit zu untergraben.

    Daher ist die Verteidigung der Homöopathie auf allen Ebenen Denialismus reinsten Wassers: die Leugnung der unzweifelhaft fehlenden Evidenz. Dies ist zwangsläufig in unterschiedlichen Graden vorwerfbar. Keine oder nur sehr geringe Vorwürfe sind den Anwendern zu machen, die außerstande sind, die Probleme der “eigenen Erfahrung” zu erkennen und einzuordnen und der Homöopathie-Lobby allzu oft auch noch als willfährige Propagandisten zunutze sind. Zur Einordnung der Vertreter der homöopathischen Szene habe ich mich bereits an anderer Stelle ausführlich geäußert. Spoiler: Auch hier zeigen sich gravierende Auswirkungen des confirmation bias, allein durch Opportunismus, den es geben mag, ist die Existenz des homöopathischen Universums wohl kaum erklärbar.

    Außerhalb dieses Universums wird man etwas andere Maßstäbe anlegen müssen. Manche Vertreter von Wissenschaft und medizinischer Praxis erliegen offensichtlich teils selbst Fehlwahrnehmungen, teils einer unbegründeten Toleranz, jedenfalls allzu viele einer noch weit weniger begründeten Gleichgültigkeit gegenüber einer scheinbaren Marginalie wie der Homöopathie. Und noch anders sieht es in der Politik und beim Gesetzgeber aus, die sich aus offensichtlich opportunistischen Gründen dazu bewegen lassen, die Bedeutung intersubjektiver Kriterien für allgemeine Regelungen zu missachten und einer widerlegten Methode den außergewöhnlichen Kredit einer Sonderrolle im Gesundheitswesen zu erhalten.

    Homöopathie mag als solche im Gesamtkontext der heutigen Probleme eine Marginalie sein. Der politische, teils der wissenschaftliche und auch der gesellschaftliche Umgang mit ihr erweitert sie aber zu einem nicht marginalen Skandalon und zu einem unübersehbaren Fanal des Umgangs mit Rationalität, Wissenschaftlichkeit und allgemeiner Bildung. Wann wird dies dazu führen, dass die (medizinische) Wissenschaft sich endlich mit klaren und an den Patienten gerichteten Worten gegen die Komplizenschaft in ihren Reihen mit pseudowissenschaftlichen Mitteln und Methoden, allen voran der Irrlehre Homöopathie, wendet? Wann vor allem wird die Politik die Bedeutung dieses Skandalons erkennen und das “Beliebtheitsargument” zugunsten von gesamtgesellschaftlicher, nicht nur gesundheitspolitischer Verantwortung verwerfen? Ich sehe hier eine lange überfällige ethische wie intellektuelle Pflichtaufgabe für alle Entscheidungsträger und Gestalter, deren Erledigung es einzufordern gilt. Das „Memorandum Wissenschaftliche Medizin“ des “Münsteraner Kreises” zur Pseudomedizin in der ärztlichen Profession fokussiert genau diesen Gesichtspunkt und verdient Aufmerksamkeit – der MK wendet sich nach seinem Selbstverständnis ja nicht an Berufsgruppen, sondern tritt davon unabhängig gegen die Verbreitung pseudomedizinischer Methoden ein.

    Subjektivismus als Folge von Opportunismus oder von scheinbar wohlfeilem Pragmatismus ist ein dünnes Eis für die Entscheidungen eines demokratischen Gemeinwesens. Kants Kategorischer Imperativ, der unausgesprochen der Leitstern aller republikanisch-demokratischen Systeme ist, postuliert die Notwendigkeit von Rationalität und Intersubjektivität in aller Deutlichkeit.  Das Staatsziel von Kant und der Aufklärer, das „Wohlergehens möglichst vieler“ erfordert einen auf den Primat von Ratio und Intersubjektivität gestützten Abwägungs- und Entscheidungsprozess. Wir sollten uns dem verpflichtet fühlen.

    Ich hege die Hoffnung, dass die während der Coronakrise – nach anfänglicher Zurückhaltung – nicht unerwartet gezeigte Hybris der Homöopathie, “zum Problem Corona beitragen zu können”, zu gegebener Zeit als zusätzlicher Augenöffner dienen wird.

    Nachtrag, Oktober 2022: Es ist nicht so, dass die Entscheidungsträger selbst etwa Konsequenzen aus der Rolle der Pseudomedizin in der Corona-Krise, insbesondere der „gesetzlich geschützten“ Homöopathie, ziehen würden. Gleichwohl hat sich viel getan und tut sich viel. Besonders die klare Position von 13 Landesärztekammern und der Bundesärztekammer zur Streichung der Homöopathie aus den ärztlichen Weiterbildungsordnungen ist mehr als ein starkes Signal, das sich natürlich auch an den Gesetzgeber richtet. Das Informationsnetzwerk Homöopathie unterstützt die Information der Entscheidungsträger seit September 2022 mit der konkret auf den Handlungsbedarf gerichteten Webseite „globukalypse.org„. Immerhin!


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