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Kategorie: Covid

Maskentragen und die Empirie

Spiegel online - Teaser

SPIEGEL online berichtet über eine systematische Arbeit von Cochrane zum Effekt des Maskentragens. Kurz gesagt, kommt Cochrane zu dem Ergebnis, dass weder für noch gegen Effekte des Maskentragens bei Infektionsereignissen solide Evidenz vorliegt.

Es handelt sich um eine statistische Metaanalyse, die die Daten aus verschiedenen Einzeluntersuchungen aggregiert und insgesamt auswertet. Neben den systematischen Review ist dies eine der Methodiken für zusammenfassende Arbeiten im Bereich der Empirie.

Für beide Methoden gilt, dass sie prinzipiell nur so gut sein können wie die zugrunde liegenden Einzelstudien. Bei Metaanalysen kommt hinzu, dass diese – anders als bei systematischen Reviews – für das Gesamtergebnis nicht weiter qualitativ bewertet werden. Es wird „nur“ nach der methodischen Eignung der Datenbestände für eine Zusammenführung zum Zweck gemeinsamer statistischer Auswertungen geschaut.

Hier lagen Cochranes Analyse (die eine Ergänzung früherer Arbeiten zum Thema darstellt) keine klinischen randomisierten placebokontrollierten Studien zugrunde – natürlich nicht. Dies ist bei der Aufgabenstellung, Effekte des Maskentragens zu eruieren, wohl auch kaum möglich. Problem: „Goldstandard“ sind die sogenannten RCT deshalb, weil sie die maximalen Möglichkeiten bieten, Störeinflüsse verschiedenster Art (v.a. verzerrte und subjektive Wahrnehmungen) auszuschließen und damit einen möglichst unverzerrten Blick auf die zu untersuchenden Effekte zu ermöglichen. Cochranes eigene Bewertungskriterien helfen dabei, in Reviews qualitative Bewertungen der Einzelstudien einfließen zu lassen („Critical appraisal“). Metaanalysen sind ein rein mengenstatistisches Instrument.

Im vorliegenden Fall wurden die Daten im Wesentlichen dadurch erhoben, dass lokal Masken mit der Empfehlung zum Tragen an die Bevölkerung verteilt wurden und im Nachgang das dortige Infektionsgeschehen mit Regionen verglichen wurde. bei denen es keine solchen gezielten Aktionen gab. Man kann sich leicht vorstellen, wie „weak“ solche Vergleichsergebnisse sind und sehr weit entfernt von den Standards, die gut gemachte RCT zu liefern imstande sind. Das ist kein Vorwurf. Man kann eben nur die Standards erreichen, die die konkrete Untersuchungssituation zulässt und muss seine Methodik an dem ausrichten, was diese eben hergibt. Nur hat das eben Folgen für die Einordnung der Ergebnisse, was den meisten Menschen nicht bewusst ist, die vielmehr „Studien“ entweder für die wahre Wahrheit oder aber für interessengeleitet halten – je nach eigener Einstellung zum Thema …

Es gibt jede Menge Einflussfaktoren, die den statistischen Vergleich verzerren und zu einem Zufallsergebnis machen können. Das liegt auf der Hand. Sowohl auf der Seite der Ausbreitung des Virus als auch auf der Seite von Verhaltensmerkmalen. Es ist nicht einmal bekannt, ob tatsächlich viele Menschen aufgrund der Empfehlung und des kostenlosen Verteilens ihr Verhalten geändert haben oder – umgekehrt – ohnehin Maskentragen als angemessenes Verhalten angesehen wird und insofern eine Verhaltensänderung obsolet war (z.B. in den asiatischen Ländern).

Leider wird hier ein von Cochrane völlig zutreffend beschriebenes Ergebnis einer Analyse in der Öffentlichkeit (z.B. in der Kommentarspalte von SPON) sofort tendenziell bewertet, was wohl keineswegs Cochranes Absicht war. Die Maskengegner schließen sofort darauf, dass ja der Nutzen nicht „bewiesen“ sei, ohne zu wissen, was im wissenschaftlichen Sinne „bewiesen“ heißt und ohne zu berücksichtigen, dass Cochrane eine rein medizinstatistische Bewertung vorgenommen hat, die Aspekte wie Plausibilität in keiner Weise berücksichtigt. Insofern habe ich bei SPIEGEL Online diesen Kommentar hinterlassen (SPON selbst berichtete durchaus korrekt, vielleicht mit etwas zu wenig Erklärungspotenzial):

In die Analyse sind vor allem Studien eingeflossen, deren Methodiken mit randomisierten kontrollierten klinischen Studien (dem „Goldstandard“) wenig zu tun haben. Es sind im Wesentlichen Feldbeobachtungen, die so vielen Einflussfaktoren unterliegen, dass die Feststellung von Kausalitäten nahezu unmöglich ist. Analysiert wurde deshalb eine wenig valide Datenbasis.

Dass dabei weder ein Ja noch ein Nein herauskommt, verwundert nicht. Ebenfalls verwundert nicht, dass daraus in der Öffentlichkeit gleich wieder der Zweifel am Maskentragen (aka die Maskenpflicht war falsch einsdrölf!!!) erwächst.

Die Endaussage von Cochrane geht völlig in Ordnung. Dieses „belegt scheint weder das eine noch das andere“ muss mit nüchternen Augen gesehen werden und ist keine Wertung. Cochrane ist knochentrocken in seinen Analysen. Plausibilitäten berücksichtigt Cochrane NICHT; sie sind die Hohepriester der empirischen Evidenz, die nur und ausschließlich auf Medizinstatistik schaut. Deshalb kommt sie auch bei Absurditäten wie Homöopathie gelegentlich zu dem Ergebnis, es gebe „positive Effekte. die aber für eine Erstlinienempfehlung nicht ausreichten“ (so zum homöopathischen Fantasiepräparat Oscillococcinum, dessen a-priori-Plausibilität bei Null liegt). Um das richtig einzuordnen, muss man den Ansatz von Cochrane richtig verstehen (den ich insgesamt persönlich durchaus für zu kurz gegriffen halte).

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind Wahrscheinlichkeitsaussagen, deren „Wertigkeit“ sich aus den Gesamtkriterien der jeweiligen Untersuchung ergibt. Das gilt auch – wenn auch im besten Falle in deutlich geringer4em Maße – für systematische Zusammenfassungen. Man muss einiges über Cochranes Ansatz, Medizinstatistik, Studienmethodik und überhaupt über Wissenschaft wissen, um Schlüsse aus solchen Untersuchungen zu ziehen – oder auch nicht. In diesem Fall muss man, wegen der „methodischen Schwäche“ der Empirie, zwingend die physikalische Plausibilität des Maskentragens „hinzurechnen“.


Man wird Rezeptionen von „Studien“ als jeweilige Bestätigung eigener Vorannahmen nie verhindern können. Aber dieser Vorgang ruft einmal wieder mein ceterum censeo auf den Plan:

Wissenschaftslehre und Wissenschaftsmethodik auf die Lehrpläne der Schulen! Ich weiß noch genau, dass wir ganze zwei Schuljahre im Biologieunterricht mit Anatomie und Funktion des Tiefseeschwamms verbracht haben (in anderen naturwissenschaftlichen Fächern wäre vergleichbares zu berichten, der Tiefseeschwamm ist mir nur nachhaltig im Gedächtnis geblieben). Von wissenschaftlichen Erkenntnisgrundlagen kein Wort.


Ebenfalls zum Thema:

MedWatch:
Von Kirschenpflückern und verkomplizierten Zusammenhängen

Medscape:
Maskengegner sehen sich durch Cochrane Review bestätigt


Bildnachweise: Spiegel online (Screenshot) / Cochrane

Homöopathie wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus! – sagt wer … ?

Dass es (inzwischen) allerorten Distanzierungen homöopathischer Vereinigungen von einer Behandlung (oder gar Prophylaxe) von Covid-19 mittels Homöopathie gibt, ist hinreichend bekannt. Dass es aber immer noch genug Verblendete gibt, die sich in ihrem Scheinwissen dem überlegen fühlen, wurde z.B. im letzten Blogbeitrag hier dokumentiert.

Belastbar …?

In diesem vorigen Beitrag habe ich schon erklärt, dass ich so etwas wie grundsätzliche Einsicht in den Distanzierungen durchaus nicht erkennen kann, die Wortwahl ist allzu verräterisch. Und dieser Illusion sollte man sich auch wahrlich nicht hingeben. Der Bundesverband Patienten für Homöopathie hat dankenswerterweise auf seiner Homepage entsprechende “relativierende” Statements zusammengetragen.

Wir wollen uns hier einmal eines dieser Statements anschauen, auch vor dem Hintergrund, dass bei Twitter bereits darüber geklagt wurde, dass die Homöopathiekritiker angesichts der aktuellen Krise keine Zeit / Lust / Möglichkeit hätten, “gegen Homöopathie zu hetzen”. Wirklich? Nun, wir wollen ja niemand enttäuschen!

Nehmen wir als, allerdings eindringliches, pars pro toto einmal die Ausführungen auf der Webseite des Landesverbandes Bayern des Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Dort äußert man sich wie folgt (nachdem man die nachfolgenden Ausführungen vorab als “keinen Stoff für Diskussionen in der Öffentlichkeit” qualifiziert hat):

“Diese Klarstellung bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir als homöopathische Ärzt*innen diese Pandemie nicht aufmerksamst verfolgen, eventuellen Patienten begleitende, homöopathische Behandlung anbieten, Therapieverläufe protokollieren, sammeln und untereinander austauschen sowie mit zurückliegenden Epidemien und historischen homöopathischen Behandlungsergebnissen vergleichen sollten. Das setzt aber zunächst voraus, dass ein medizinisch und homöopathisch hochkarätiges Expertengremium die fachlichen Grundlagen schafft und analysiert, welche der aktuell bereits auf dem „Markt der Möglichkeiten“ gehandelten Optionen tatsächlich plausibel und stringent nachvollziehbar sind oder wo unter Umständen noch Bedarf besteht für weitere „Hausaufgaben“. In diesem Zusammenhang sollten beispielsweise auch genügend Daten über tatsächliche schwere Corona-Verläufe vorliegen, um ausreichend sicher einen Genius epidemicus im homöopathischen Sinne erkennen zu können. Solche Bemühungen gibt es bereits, es handelt sich aber soweit erkennbar um Einzel-Meinungen. Auch die flächendeckende homöopathische Kompetenz in der Anwendung passender homöopathischer Arzneien wäre vielleicht erst noch zu prüfen.”

Einen genius epidemicus im homöopathischen Sinne! Lassen wir mal die Erheiterung des “Unverständigen” beiseite und fragen uns, was soll das denn sein? Das ist nichts anderes als der Versuch, ohne Arzneimittelprüfungen am Gesunden (komisch, ich bin sicher, dass die Leitsymptome einer SARS-CoV2-Infektion in irgendeinem Repertorium doch zu finden sein müssten…) über das Zusammentragen von Fallberichten herauszufinden, wo der “homöopathische Angriffspunkt”, der “Geist der Epidemie” liegen könnte. Und wann wäre das? Offenbar, wenn die Einzel-“Meinungen” sich zur Mehrheits-“Meinung” verdichten… Was die sozusagen zielgerichtete Anwendung des “post hoc ergo propter hoc”-Fehlschlusses erfordert, also dass aus einer “Heilung” zeitlich nach der Einnahme irgendeines Homöopathikums (unter Umgehung der Arzneimittelprüfung) auf die spezifische Wirksamkeit des Mittels geschlossen und es in Repertorien bzw. Materiae medicae aufgenommen wird.

Ich kann mir an dieser Stelle einfach nicht verkneifen, hierzu ein wenig abzuschweifen. Viele solcher “Ergebnisse” sind nur einmal und häufig unter geradezu grotesken Umständen aufgetreten und trotzdem in den Materiae medicae gelandet. Eines der Beispiele liefert uns Fritz Donner, der Chronist der Überprüfungen der Homöopathie durch das Reichsgesundheitsamt zwischen 1936 und 1939, als vorher überzeugter homöopathischer Arzt ein unverdächtiger Zeuge.
Donner berichtet die Geschichte der “Karriere” des gar nicht so unbekannten Mittels “Lac caninum” (Hundemilch), angeblich ein bewährtes Mittel u.a. gegen Diphterie. Und wie kam man darauf? Nach Donner geht dies zurück auf eine Amerikanerin, die ein paar Globuli Lac caninum CM (also eine Verdünnung von 1:1001.000  !)  eingenommen hatte, danach zwei Jahre an Delirium tremens litt (was wir nun nicht diesen Globuli zuschreiben wollen) und einmal während dieser Zeit leichte Halsschmerzen hatte, die von einem Arzt als Diphtherie diagnostiziert worden waren. Das reichte aus, um Lac caninum als homöopathisches Mittel gegen Diphterie einzustufen. Als weitere Beispiele kann man auch diejenigen Mittel ansehen, die höchst erstaunlicherweise als “allopathische” UND als homöopathische Mittel in gleicher Richtung wirksam sein sollen, das bekannteste dieser Beispiele ist sicher Arnica.

Und auf eine vergleichbare “Erkenntnis” (aka Mehrheitsmeinung) wartet man offenbar beim Zentralverein homöopathischer Ärzte, der – wie das nun mal bei Homöopathen so ist – Kausalität Kausalität sein lässt und dem notfalls nicht einmal eine Korrelation wichtig ist, kommt es nur zu irgendwelchen vordergründigen “Erfolgen”, die dann dem “genius epidemicus” zugeschrieben werden.

Einmal mehr ein Verstoß gegen konstituierende Teile von Hahnemanns Lehre, der die Arzneimittelprüfung als unabdingbar innerhalb seines Systems, als “Evaluierung” des Ähnlichkeitsprinzips für den Fall des einzelnen Mittels, postuliert hat.  Es gibt manche Variante der Homöopathie, die sich wenig bis nicht um das Gebot der Arzneimittelprüfung schert. Ist Derartiges aber nicht zu allerletzt zu erwarten von ärztlichen Homöopathen, die sich der Hahnemannschen Lehre und ihren zentralen Postulaten doch besonders verpflichtet sehen? Aber ich scheine mir da immer noch Illusionen über die Pragmatismusfähigkeit der Homöopathen zu machen.

Aber richtig interessant wird es erst mit dem darauffolgenden Schlussabsatz:

“Diese und ähnliche Überlegungen sind sicher kein Stoff für Diskussionen in der Öffentlichkeit, sondern sollten zunächst einem engeren Kreis kompetenter Kollegen*innen im Sinne der Konsensfindung vorbehalten sein. Sollte sich dann zeigen, dass Homöopathie womöglich auch bei schweren Fällen als „Super-Placebo“ wirkt und Leben retten kann, dann könnte man im nächsten Schritt auch darüber nachdenken, ob Corona tatsächlich einer Placebo-Therapie zugänglich sein könnte oder ob Homöopathie nicht doch „über den Placebo-Effekt hinaus“ Wirkung entfalten kann… .”

Nun, was soll ich da noch kommentieren? Wie anders als das komplette Zugeständnis, dass Homöopathie eben NICHT über den Placebo-Effekt hinaus wirkt, soll man den Satz verstehen “… ob Homöopathie nicht doch „über den Placebo-Effekt hinaus“ Wirkung entfalten kann… .”? (Ganz zu schweigen von dem Hinweis auf ein “Super-Placebo – das mag die Homöopathie durchaus sein – und der Abschweifung, “oder” ob Corona einer Placebo-Therapie zugänglich sein könne.) Und nein, das kann ich nicht als Ironisierung sehen. Drei Punkte nach einem Text dienen dazu, um etwas als Möglichkeit im Raum stehen zu lassen – eben die vorher getätigte Aussage, dass künftig vielleicht herauskommen könnte, dass Homöopathie über Placebo hinaus wirkt. Es hätte schon Anführungszeichen und eines Zwinkersmileys bedurft, mindestens, um dieser Aussage den Anstrich von Ironie oder Sarkasmus zu geben. Deshalb nehme ich sie so, wie sie dort steht, und bedanke mich für die Einsicht.


Bild von Mario Hofer auf Pixabay

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