Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Kategorie: Wissenschaftstheorie

Irrungen, Wirrungen – Homöopathie-Apologeten auf epistomologischen Abwegen

    “Wissenschaftspluralismus” und “Wissenschaftsdogmatismus”

    Dass die Vertreter der Homöopathie-Lobby den Kritikern mit dem Vorwurf eines „Wissenschaftsdogmatismus“ begegnen und ihre Pro-Homöopathie-Positionen mit einem vorgeblichen Anspruch auf „Wissenschaftspluralismus“ legitimieren wollen, ist nicht neu. Wobei „Wissenschaftspluralismus“ nicht allein den Anspruch artikuliert, „mehrere Medizinen“ als „pluralistisch“ anzuerkennen, sondern darüber hinaus den, gleich „mehreren Wissenschaften“ eine gleichberechtigte Existenz zusprechen soll.

    Dieser „Wissenschaftspluralismus“ ist ein überholtes Konzept aus den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, das wissenschaftstheoretisch nie haltbar war und von kritisch-rationalen Konzepten wie der evidenzbasierten Medizin endgültig als Oxymoron, als Systemwiderspruch in sich, entlarvt wurde. “Wissenschaftspluralismus” – ein Begriff, der gern und oft vom damaligen Ärztepräsidenten Hoppe zur Rechtfertigung seiner Idee vom “Besten aus allen Welten” zitiert wurde. Schon damals eine Fehlvorstellung, denn die Wissenschaft ist “eine Welt”, die sich einig ist in dem Bestreben, Erkenntnisgewinn zu schaffen und keineswegs toleriert, belegbare Erkenntnis mit überkommenen Vorstellungen (“Traditionen”) in einen Topf zu werfen und dabei laut “Pluralismus” zu rufen.

    Man bedenke, dass das Konzept des auf konstruktivem Zweifel basierenden kritischen Rationalismus zu den Zeiten Hoppes, den 1980er / 1990er Jahren des vorigen Jahrhunderts, längst weltweit als Basis des Wissenschaftsbegriffs etabliert war. Versuche, dies für die Medizin zu relativieren, hieß schon damals, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Zumal die Wissenschaft, insbesondere die Evidenzbasierte Medizin, selbst höchst pragmatisch ist – es kommt ihr nur auf die Validität ihrer Erkenntnisse an, nicht auf deren Herkunft oder auf die Methodik der Beweisführung. Wo sollte da Platz für irgendeinen “Pluralismus” sein? In Diskussionen weichen deren Vertreter gern auf “Methodenpluralismus” aus, womit sie allerdings nur meinen, dass der kritische Rationalismus eben nur eine “Methode” unter vielen sei. Was so simpel nicht ist – der kritische Rationalismus in der heutigen Ausprägung ist das Ergebnis von mehr als 2000 Jahren Bemühens um die Frage, was wir wissen können und wie wir dahin gelangen. Er ist unsere bislang beste Lösung, um trotz des im Kern unlösbaren Induktionsproblem Annäherungen an Wahrheit und Wirklichkeit zu erreichen.

    Im Grunde schimmert hier an allen Ecken und Enden das Traditionsargument hinter der Folie neomystischer Vorstellungen durch. Dass die Homöopathie-Lobby diese Vorstellungen nach wie vor hochhält, ist aus ihrer Sicht zweifellos verständlich. Sie ist ja in den 1970er Jahren unter dieser Flagge wiederbelebt worden, als Kind der New-Age-Ära und des Neomystizismus. Das hat sie aber nicht richtiger werden lassen.

    “Der andere könnte auch recht haben”

    Nun haben die Homöopathen Verbündete in dem Wunschdenken gefunden, einen ihnen genehmen Wissenschaftsbegriff zu schaffen: Das „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“, ein Überbleibsel aus der Hoppe-Zeit, macht sich in einer Veröffentlichung gemeinsam mit Vertretern der Homöopathie-Lobby ausgerechnet am Beispiel der Homöopathie stark für „Wissenschaftspluralismus“ und gegen „monoparadigmatischen Reduktionismus“ (ein diffamierendes Begriffsgeklingel). Unter der Überschrift “Der andere könnte auch recht haben.” Darin werden allgemeine Positionen zum Thema Wissenschaftlichkeit mit den ständig wiederholten Behauptungen der Homöopathen, ihre Methode sei valide und wissenschaftlich begründet, zu einer beinahe undefinierbaren Melange zusammengerührt. Der Teaser:

    In Anbetracht zahlreicher Pauschalangriffe auf die Komplementärmedizin und insbesondere auf die Homöopathie sowie einem „Münsteraner Memorandum Homöopathie“ (1), in dem die Abschaffung der ärztlichen Zusatzbezeichnung Homöopathie auf dem 121. Deutschen Ärztetag gefordert wird, erfolgt im Namen der Mitglieder des Dialogforum Pluralismus in der Medizin (DPM) sowie der unten aufgeführten Institutionen und der unterzeichnenden Personen eine Stellungnahme, in der dargelegt wird, dass die Behauptung der Unwirksamkeit der Homöopathie im Hinblick auf die publizierte wissenschaftliche Evidenz nicht zutrifft (2-7 u.a.m.). Die folgende Richtigstellung erfolgt mit einem Verweis auf internationale repräsentative klinische Studien, Meta-Analysen und HTAs zur Homöopathie (8-20).

    Bedarf es noch näherer Ausführungen zur Unhaltbarkeit dieser mit großer Geste vorgetragenen Behauptungen? Angesichts dessen, was in den letzten zwei Jahren intensivierter wissenschaftsfundierter Homöopathiekritik erschienen ist und belegt wurde und angesichts der weltweiten Verdikte gegen die Homöopathie von großen wissenschaftlichen Vereinigungen, Instituten und staatlichen Stellen ist dies nicht mehr als das bekannte Rufen der Homöopathen im Wald – diesmal mit Unterstützung durch den Gastchor der Wissenschaftspluralisten. Die angeführten Belege – wen wundert es – sind eine Aufzählung längst widerlegter Scheinbeweise.


    Der Andere könnte auch Recht haben“. Was soll man darunter nun verstehen? Eine Trivialität? Eine im Zusammenhang mit objektiver Erkenntnisgewinnung kaum zu unterbietende Plattitüde? Nein, viel schlimmer.

    Bei diesem dem Ganzen übergeordneten “Motto” handelt es sich um ein Zitat des Philosophen Hans-Georg Gadamer, das ihm oft als eine Art Fazit seiner Lebenserkenntnis zugeschrieben wird. Gadamer war aber kein Naturwissenschaftler und seine Sentenz hat mit den Methoden des Erkenntnisgewinns in den empirischen Wissenschaften (Karl Poppers Falsifikationismus) nicht das Geringste zu tun. Gadamer hat selbst oft klargestellt, dass seine Wissenschaft mit den empirischen Wissenschaften und vor allem mit Poppers Erkenntnisbegriff keine Schnittmengen hat. Die Sentenz steht im Kontext von Gadamers Forschungsgebiet der philosophischen Hermeneutik, der Erkenntnisgewinnung beim “Verstehen” von Texten, Kunst- und Bauwerken oder des Gegenübers in einem Gespräch. Gadamer weist darauf hin, dass dieses Verstehen stets sprach- und zeitgebunden ist (“Das setzt beim Interpretieren von Werken Offenheit, das Bewusstmachen der eigenen Vorurteilsstruktur sowie die Bereitschaft zum Gespräch bzw. zu reflexivem Auseinandersetzen voraus”). Gadamer bewegt sich ausschließlich in geisteswissenschaftlichen Kategorien.

    Ihn und sein Zitat in den Kontext der Frage zu stellen, ob Homöopathie naturwissenschaftlich begründbar sei und ob sie Evidenz für sich in Anspruch nehmen könne, ist nicht nur grotesk, es ist von Seiten akademisch gebildeter Menschen eine intellektuelle Unredlichkeit ersten Ranges. Natürlich hört sich das gut an, natürlich kommt Gadamers Forderung nach Offenheit und Vorurteilsfreiheit den Apologeten irgendwie entgegen – aber sie begehen hier einen unverzeihlichen Kategorienfehler, der allein ausreicht, um das Statement des “Dialogforums” wissenschaftlich zu delegitimieren. Gadamer bewegt sich im Bereich der Kategorisierung des Subjektiven – Popper in der Sphäre des intersubjektiven Erkenntnisgewinns.

    (Mehr zum fundamentalen Unterschied von Gadamers hermeneutischem “Der andere könnte auch Recht haben” und Karl Poppers Position in “Giuseppe Franco (Eichstätt): Der kritische Rationalismus als Herausforderung für den Glauben. Ein Gespräch mit Hans Albert über Glauben, Wissen und Gadamers Hermeneutik. Aufklärung und Kritik 1/2006, http://www.gkpn.de/franco_albert.pdf)

    Geht es überhaupt um “Recht haben” in der empirischen Wissenschaft? Nein. Es geht darum, objektiver Erkenntnis (der Wirklichkeit) so nahe wie möglich zu kommen, Wahrscheinlichkeitswerte für die Frage zu gewinnen, wie belastbar Erkenntnisse als Annäherung an die “Wirklichkeit” sind. Und zwar auf dem Wege ständiger Infragestellung, der Popperschen Falsifikation. Das hat mit “Recht haben” überhaupt nichts zu tun. Und entlarvt nur den Ärger der Homöopathie-Proponenten darüber, dass ihnen die kritisch-rationale Methode der empirischen Wissenschaften keine Bestätigung für ihre Positionen liefert. Q.e.d. Und wie soll man es bewerten, wenn auf der einen Seite die kritisch-rationale Methode durch die Berufung auf Gadamer negiert wird und man sich andererseits gleichzeitig auf sie stützt, wenn man bemüht ist, der Homöopathie Evidenz zuzuschreiben?

    Und ja, auch Popper wird die Sentenz vom anderen, der auch Recht haben könne, zugeschrieben. Der Kontext, in dem er dies geäußert hat, passt aber nun erst recht nicht auf die „wissenschaftspluralistische“ Position. Denn er meinte – viel einfacher als Gadamer – damit schlicht sein Falsifizierungsprinzip als solches, sein Gebot, dass man gefundene Forschungsergebnisse als erstes selbst nach Kräften in Frage stellen müsse, bevor man sich der Kritik der Wissenschaftsgemeinschaft stelle.

    Ethische Entgleisungen

    Nun könnte man das – so ärgerlich wie es auch ist – als Verirrung Ewiggestriger abtun. Ernst wird die Sache aber, wenn im Verlaufe des Artikels schwerste moralische Geschütze gegen die aufgefahren werden, die solchen Vorstellungen der Begründung von Beliebigkeit nicht folgen, sondern den Weg des objektiven Erkenntnisgewinns weitergehen wollen. Allen Ernstes wirft man diesen, also den Vertreteren einer kritisch-rational begründeten Wissenschaftlichkeit, „totalitäre Tendenzen“ und damit einen Verstoß gegen grundgesetzlich garantierte Freiheitsrechte vor:

    „Ein monoparadigmatischer Reduktionismus führt aber – bedacht oder nicht bedacht – am Ende stets in eine totalitäre Ideologie, für die die dogmatische Ideologie alles, der Respekt vor dem Selbststimmungsrecht des Bürgers und der Achtung der Menschenwürde und des individuellen Erkenntnisstrebens nichts bedeutet. Wollen wir eine solche durch totalitäre Strukturen geprägte Entwicklung in unserem Land für die Medizin und das Gesundheitswesen?“

    Was sich hier manifestiert, ist eine unheilige Allianz. Eine Allianz zwischen den Fossilien aus der Hoppe-Ära, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre These vom “Besten aus beiden Welten” durch die pragmatische evidenzbasierte Medizin ebenfalls als Kategorienfehler entlarvt wurde und den Homöopathen andererseits, denen so etwas natürlich sehr entgegenkommt. Die haben ähnliches längst im Alleingang versucht. So haben z.B. Walach und Baumgartner offen einen eigenen Wissenschaftsbegriff für die Homöopathie eingefordert. Wenn das kein Ruf nach Beliebigkeit ist – der in der besprochenen Veröffentlichung auch noch aufs Perfideste in einen Moralvorwurf gegen die “andere Seite” umgedeutet wird…

    Im Grunde ist es ein Angriff auf über 2000 Jahre des Bemühens um menschliche Erkenntnisgrundlagen. Hier wird der schlichte Satz negiert, dass Erkenntnis eine nachweisbar begründbare Aussage sein muss. “Der Andere könnte auch Recht haben” – Gadamer wäre entsetzt, seine Sentenz im vorliegenden Zusammenhang missdeutet zu sehen. Popper erst recht.

    Natürlich darf auch das Autoritätsargument nicht fehlen (immer gut, wenn man sonst nichts zu bieten hat). Aber erstens ist so etwas immer schwach und zweitens immer misstrauisch zu betrachten – traue keinem Autoritätsargument, dessen Validität du nicht selbst geprüft hast! Hier wird der Physiker und bedeutende Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn als Zeuge bemüht; aufmerksame Leser dieses Blogs sind Kuhn sicher schon einmal begegnet. Sein Begriff des “Paradigmas” wird für die Zwecke der Autoren ausgeschlachtet. Aber, ohne in die Tiefe zu gehen: Man mag über Thomas S. Kuhns Paradigmenbegriff streiten können, zumal er selbst diesen im Laufe der Zeit vielfach umdefiniert und abgewandelt hat und er sogar von seinen Exegeten höchst unterschiedlich gedeutet wurde und wird.

    Was aber hier geschieht, ist geradezu abenteuerlich. Kuhn bewegte sich stets auf dem Boden der kritisch-rationalen Methode und dachte im Traum nicht daran, sie in Frage zu stellen. Die Berufung auf ihn in dem inkriminierten Artikel tut aber etwas ganz Erstaunliches: Sie versucht, die kritisch-rationale Methode sozusagen Kuhns Paradigmenbegriff als eine Teilmenge unterzuordnen. Daraus soll eine Art “Unverbindlichkeit” des kritisch-rationalen Wissenschaftsbegriffs abgeleitet werden, mit der Folge, dass ein Paradigmenwechsel in Kuhns Sinne auch eine Abkehr von der kritisch-rationalen Methode sein könnte. Das ist grotesk. Nichts anderes aber tut dieser verzweifelte Rundumschlag der Vertreter der Prämoderne. Kuhn wäre entsetzt gewesen über die Verzerrung des Erkenntnisbegriffs in seinem Namen.

    Bei der Veröffentlichung des “Dialogforums” handelt es sich aber eben auch um eine ethische Entgleisung, die eigentlich selbstdisqualifizierend ist, um den Versuch einer Diskreditierung des international im Konsens stehenden Begriffs der Wissenschaftlichkeit. Ein Tritt gegen über 2000 Jahre ernsthaftes Bemühen um valide Erkenntnisse über unsere Welt und redliches Vorgehen dabei. Der Versuch einer Legitimierung des Kontrafaktischen.

    All das akzeptiert und verbreitet von deutschen Hochschullehrern. Mehr dazu zu sagen, hieße, dieser Fehlleistung allzu viel Ehre anzutun.


    Zum Weiterlesen sehr zu empfehlen ist diese Gegenposition von Joseph Kuhn bei den scienceblogs.


    Bildnachweis: Pixabay, Creative Commons Lizenz CC0

    Der Preis ist heiß!

      Krems an der Donau

      Die folgende Passage aus einer Pressemitteilung der Fa. Peithner, Österreich, verdient unser Augenmerk:

      Wien (pts005/28.03.2018/08:00) – Die Homöopathie erfüllt alle Kriterien der evidenzbasierten Medizin! Zu diesem Ergebnis kommt die Allgemeinmedizinerin Dr. Melanie Wölk, die im Rahmen ihrer Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Abschlusses Master of Science im Universitätslehrgang Natural Medicine, Donau-Universität Krems, die Frage untersucht hat, ob die Homöopathie den Regeln der Evidence based Medicine (EbM) entspricht. Für diese Arbeit wurde Wölk mit dem Dr. Peithner Sonderpreis für Forschung in der Homöopathie ausgezeichnet.

      Das ist ja mal eine Sensation ersten Ranges, sicherlich höherer Würden wert als der eines schnöden Masterabschlusses und eines lumpigen 3000-Euro-Schecks vom Homöopathie-Fabrikanten Peithner (wie die DHU zum Konzern Willmar Schwabe gehörig). Finde ich übrigens auch ziemlich knausering, in Anbetracht eines derartigen Durchbruchs. Naja, auch Blinddärme können durchbrechen…

      Ich gestehe meine tiefe persönliche Betroffenheit. Denn immerhin habe ich mir die Mühe gemacht, die negative Evidenzlage zur Homöopathie aufgrund der großen indikationsübergreifenden Reviews zu belegen. Vertan? Wir werden sehen. Zweifellos wird der Zentralverein in Anbetracht der neuesten akademischen Weihen für dieses Statement die Korken knallen lassen…

      Also, irgendwo scheint es ja hier einen Dissens zu geben… Habe ich mich dermaßen vergaloppiert? Wenn hier mit akademischen Weihen und Auszeichnungen nahe dem Medizinnobelpreis gegen meine Position gehalten wird, muss ich mich ja wohl damit auseinandersetzen. Also auf gehts.

      Aber wohin? Suche in allen Datenbanken und wichtigen Publikationen ergab sowohl zu der Person der Preisträgerin als auch zu der genannten Hochschule – exakt null. Ebenso ist die preisgekrönte Arbeit nicht auffindbar – sie stammt bereits aus 2016, also wäre Zeit genug für eine Veröffentlichung gewesen. Dies lässt mich einerseits erst einmal feststellen, dass hier wohl der bekannte Schubladeneffekt (publication bias) gleich mal zum Prinzip erhoben wurde und zum anderen bin ich deshalb hier auf die Führung eines Indizienprozesses angewiesen. (Update – siehe unten!)

      Klar, dass der Kredit für die Autorin und für die Sache schon sehr geschrumpft ist, wenn hier mit akademischer Autorität gewunken wird, ohne dass irgendwelche Publikationen, weder von der Person noch von der Institution, auffindbar sind. Aber wir wollen gar nicht allein deswegen den Stab über die Sache brechen sondern schauen, welchen Honig wir vielleicht noch aus der Sache saugen können.

      Wie kommt die Preisträgerin zu ihrem Schluss? Durch Literatur- und Datenbankrecherche, wie man erfährt, durch eine Auswahl von Reviews, die mir ein wenig willkürlich erscheinen will – aber seis drum. Das Verfahren als solches ist legitim und normal für die Durchführung eines systematischen Reviews. Richten wir unser Augenmerk nur einmal darauf, dass der große Review der Australischen Gesundheitsbehörde NHMRC auch in den Materialien enthalten ist, aus der der Schluss abgeleitet wird, die Homöopathie sei evidenzbasierte Medizin. Eine mehr als kühne Schlussfolgerung. Denn bekanntlich kommt diese bislang umfangreichste Betrachtung der Studienlage zur Homöopathie zu dem – nicht neuen – Ergebnis, dass es keine einzige Indikation gibt, für die eine belastbare Evidenz zugunsten der Homöopathie vorliegt. Exakt wie die anderen großen indikationsübergreifenden Reviews, insbesondere derer von Robert Mathie (2014 und 2017), einer kritischen Haltung zur Homöopathie wirklich unverdächtigen Herrn, die seltsamerweise keinen Eingang in die preiswürdige Literatur- und Datenbankrecherche gefunden haben.

      Es liegt angesichts dessen auf der Hand, dass es mich brennend interessiert, auf welche Weise die Schlussfolgerungen der Preisträgerin aus den beigezogenen Studien und sonstigen Arbeiten abgeleitet wurden. Nun, ich glaube, das werde ich wohl nicht erfahren. Aber die Zielrichtung ist schon mal ganz klar, denn verlautbart wird in bekannter Manier:

      “Die Diskussion über die Existenzberechtigung der Homöopathie scheint nicht auf einer vorurteilsfreien und fairen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik zu beruhen, sondern ein irrationaler und höchst emotionaler Streit um Weltbilder zu sein.”

      Also, ich würde solch einen Satz ja aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in eine Arbeit mit wissenschaftlichem Anspruch schreiben. Aber wenn schon: dann zieht euch dieses harsche Urteil mal an, liebe Homöopathen! Oder sollte das gar nicht auf euch gemünzt sein… Zudem fällt mir auf: wie kann jemand, der beabsichtigt, die Evidenzbasierung der Homöopathie zu belegen, angesichts des ideologiefreien und voraussetzungslosen pragmatischen Ansatzes der EbM überhaupt so einen Satz schreiben? Das ist doch von vornherein ideologiebesetzt und damit zu Prinzipien der EbM inkompatibel.

      Ich sehe das daher schon einmal als Ankündigung nicht einer Untersuchung nach den Prämissen der EbM, sondern als Sortierarbeit nach „Weltanschauungen“ an. Bis zum Beweis des Gegenteils. Was das nun aber mit der Conclusio einer evidenzbasierten Homöopathie zu tun haben soll, das weiß man wahrlich nicht. Und auch aus der Laudatio des Preisstifters lässt sich außer dem üblichen Mimimi nichts weiter entnehmen, was man in die Nähe einer wissenschaftlichen Aussage rücken könnte:

      “Für die Homöopathie ist das eine sehr wichtige Arbeit, die wieder zeigt, was wir in der ärztlichen Praxis täglich erleben, nämlich dass homöopathische Arzneimittel wirken. Wölks Untersuchung zeigt weiters deutlich, dass es sehr wohl hochqualitative Homöopathie-Studien gibt und es an der Zeit ist, die Hexenjagd zu beenden, mit der eine wirksame medizinische Therapie diskreditiert werden soll. Konventionelle Medizin und Homöopathie sollten endlich Hand in Hand arbeiten – zum Wohle der Patientinnen und Patienten.”

      Nun, da steht der Rezensent ratlos davor und kann bei allem guten Willen einfach keinen Knoten finden, mit dem er die Informationen zur Masterarbeit (Wölk, Melanie: Eminenz oder Evidenz: Die Homöopathie auf dem Prüfstand der Evidence based Medicine. Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Abschlusses Master of Science im Universitätslehrgang Natural Medicine. Donau-Universität Krems, Department für Gesundheitswissenschaften und Biomedizin. Krems, Mai 2016) mit der prämierten Aussage verknüpfen kann, die Evidenzbasierung der Homöopathie “stehe fest”. Eine solche Absolutaussage ist, wir wissen es, keine, die nach den Prinzipien der wissenschaftlichen Forschung getroffen werden sollte. Es ist eher ein Werturteil auf einer verbal-definitorischen Ebene. Aber immerhin falsifizierbar – und den Gegenbeweis glaube ich, fern aller akademischen Weihen, im oben schon verlinkten Beitrag auf diesem Blog erbracht zu haben.

      Wenn ich irgendwo mit allergrößter Mühe so etwas wie eine Schlussfolgerung in der ganzen Sache vermuten soll, dann ist es allenfalls die, dass die Preisträgerin herausgefunden hat, dass es Pro und Contra zur Homöopathie gibt – und daraus den oben zitierten Schluss ableitet, nämlich den, dass man dieses Pro und Contra nach jeweils dahinter vermuteter Weltanschauung trennen müsse, um zur einzig wahren Wahrheit zu gelangen. Sie führt uns allerdings dabei einen confirmation bias vor, der offenbar mehr Einfluss hat als das Magnetfeld der Erde. Aber bitte – das ist nur eine wohlmeinende Vermutung. Ernstgemeinte Frage: Ist das hier wirklich weit entfernt von der “Heilpraktiker-Forschung”, die auf dem Blog “Onkel Michaels kleine Welt” so trefflich kommentiert worden war?

      Was bleibt? Ein Propagandastück allerersten Ranges, eine Selbstbeweihräucherung vom Allerfeinsten. Zur Selbstbestätigung und für den Applaus des ohnehin geneigten Publikums. Ich darf als Fazit eine kleine Anleihe bei Prof. Edzard Ernst machen, der zu dieser Sache meint:

      A pseudo-prize for pseudo-research into pseudo-medicine.

      In der Tat.

      Ich wünsche weiter fröhliches Bestätigungsforschen. Ach, übrigens: Ich nehme kein Wort meiner Widerlegung der “Evidenzbehauptung” im Blogbeitrag zum Münsteraner Memorandum Homöopathie zurück. Keine Silbe, keinen Buchstaben. Ich nehme an, das überrascht niemanden.

      Update (30.03.2017, 15.00 Uhr)

      Inzwischen liegt mir der Text der Masterarbeit vor. Ich möchte dem zumindest in Kürze gerecht werden, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, meine einzige Kritikquelle sei die Peithner-Pressemitteilung.

      Letztlich bestätigt sich die oben ausgeführte Kritik. Der confirmation bias schlägt zu. Man bedenke, dass große wissenschaftliche Gesellschaften weltweit, von der Russischen Akademie der Wissenschaften über das Science and Technology Committee des House of Commons (das seine vernichtende Stellungnahme bezeichnenderweise unter dem Titel “Evidence Check Homeopathy” veröffentlicht hat) bis hin zum Wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Akademien (EASAC) auf exakt der gleichen verfügbaren Studienlage zu Schlüssen gelangen, die das glatte Gegenteil des Ergebnisses der preisgekrönten Arbeit sind. Nun ist das Autoritätsargument zwar kein Argument, mag man sagen, aber darum geht es nicht: Es geht um sorgfältige Bewertungen durch die wissenschaftliche Community, die wohlbegründet sind. Kann die Masterarbeit hier dagegenhalten?

      Dazu nur ein paar Indizien.

      Der erste Eindruck ist durchaus der einer wortreichen Fleißarbeit, ohne Frage, aber von der ersten bis zur letzten Seite vom confirmation bias geprägt. Ein Blick in die Kurzzusammenfassung enthüllt bereits den folgenden Kernsatz:

      “Die analysierten Reviews, Metaanalysen und Studien der Evidenzklasse Ia und Ib weisen mehrheitlich die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien nach.”

      Krasser kann man die Position der Wissenschaftscommunity nicht mehr auf den Kopf stellen. Man ahnt schon, worauf die Endaussage, Homöopathie sei evidenzbasiert, gestützt werden wird: Auf die (Vor-)Selektion der passenden Studien und der Fehlwahrnehmung der nicht passenden nach vorgeblich „weltanschaulichen“ Kriterien. Auf “Abzählen”, wie wir es auch schon in anderen Zusammenhängen bei Vertretern der Homöopathie gefunden und kritisiert haben.

      Und in der Tat. Die Umdeutung des zunächst korrekt referierten Sackett’schen Begriffs der Evidenzbasierten Medizin und die Definition der Evidenzklassen in die Berechtigung, Cherrypicking zu betreiben, wo man Evidenz sieht, spricht dann auch für sich. Grob gesagt, verdeckt die Autorin mit großem rhetorischem Aufwand, dass sie nur das als evidenzbasiert ansieht, was ihre Auffassung von Homöopathie bestätigt. Darauf läuft letztlich alles weitere hinaus.

      Und tatsächlich: Schaut man sich in der Arbeit die Beurteilung der gegen die spezifische Wirksamkeit Homöopathie sprechenden Reviews an, so findet man eine unverkennbare Tendenz zur Umdeutung, wenn nicht zur diffamierenden Abwertung. Zum Review des NHMRC, zweifellos der bedeutendsten Überblicksarbeit zur Homöopathie überhaupt, ist zu allem Überdruss lang und breit die vielfach widerlegte “Kritik” der homöopathischen Szene zu finden, mit einer derart deutlich erkennbaren Tendenz zur Abwertung, dass man kaum weiterlesen mag. Mehr Voreingenommenheit geht nicht.

      Das setzt sich fort. Wie sie aus Mathie 2014 ein “pro Homöopathie” herausliest, bleibt ein Rätsel (na, das ist eher rhetorisch gemeint, denn wir wissen ja, dass gerade diese Arbeit den Pokal der Homöopathen für selektives Zitieren immer wieder gewinnt). Und dann kommen doch die Einzelstudien – obwohl vorher des Langen und Breiten die Bedeutung systematischer Reviews für die Beurteilung der Evidenz dargelegt wurde. Nun, die meisten Einzelstudien, die die Arbeit anführt, sind in den großen Reviews gar nicht oder mit einem hohen “risk of bias” enthalten – und deshalb sicher ungeeignet, eine Evidenz gegenüber den Reviews zu begründen (zumal sie alle durchweg nicht repliziert wurden). Zu einem Ergebnis wie dem hier publizierten kann man nur kommen, wenn man diese Arbeiten wirklich “einzeln” betrachtet und schlicht den Schlussfolgerungen der Autoren folgt.

      Die Arbeit gibt sich zwar nicht die Blöße, die vielfache Kritik z.B. an Shang et al., Frass (Sepsis) und Linde zu unterschlagen. Wie voreingenommen sie damit aber umgeht, verdeutlicht sehr krass diese Passage:

      “Sowohl die homöopathiekritischen Arbeiten von Shang et al. (2005) und Ernst (2002), als auch die homöopathiebefürwortenden Publikationen von Frass et al. (2005) und Linde et al. (1997) wiesen methodische Schwächen auf, welche die Autoren oder deren wissenschaftlich-publizistischen Unterstützerinnen oder Unterstützer oft einander vorhalten ohne die Problematik der eigenen Position einzugestehen. Die Vorwürfe gingen von Ahnungslosigkeit über Unwissenschaftlichkeit bis zu bewusster Manipulation.” (Ich kann mir die Anmerkung nicht verkneifen, dass Linde 1997 keineswegs die Homöopathie „befürwortete“, was Klaus Linde in einer Erklärung zu seiner Arbeit aus dem Jahre 1999 ausdrücklich bekräftigte – was Frau Wölk nicht bekannt gewesen zu sein scheint.)

      Überhaupt schon von “homöopathiekritischen” und “homöopathiebefürwortenden” Arbeiten zu sprechen, ist ein weiteres klares Zeichen für Bestätigungsforschung. Was sonst ist Sinn und Aufgabe der wissenschaftlichen Community, als Veröffentlichungen auf Herz und Nieren zu prüfen und zu kritisieren? Die Kritiker haben z.B. die Schwächen von Shang et al. vielfach selbst offengelegt, aber auch gezeigt, dass diese keinen Einfluss auf die Endaussage des Reviews hatten. Und Frass’ Sepsisstudie ist schon so oft zerlegt worden – und wurde niemals repliziert (glücklicherweise – was sie aber letzttich wie viele andere im Sinne einer Evidenzbegründung wertlos macht).

      Und wo der „Vorwurf bewusster Manipulation“ seitens der Kritiker gemacht wurde, das würde mich sehr interessieren.

      Auch hier wird deutlich, wie die Autorin zu der These von dem “emotional und irrational geführten Streit um Weltbilder” kommt. Sie ist selbst in hohem Maße außerstande, Argumente, die nicht ins Bild passen, anders als emotional-irrationale Verirrungen wahrzunehmen.

      Weiter oben habe ich ja schon etwas zum “Ergebnis” gesagt: Wer eine derartige absolute Formulierung (“steht fest”) als Ergebnis seiner “Forschung” postuliert, der zeigt damit in aller Deutlichkeit, dass er Bestätigungsforschung betrieben hat und damit unwissenschaftlich operiert.

      Die Antwort auf diese Arbeit wäre im Großen und Ganzen deckungsgleich mit der Antwort auf die “Kritik an der Homöopathiekritik” des britischen Homeopathy Research Institute, wie sie das INH auf seiner Webseite systematisch aufgenommen hat. Es fällt auf, dass selbst das HRI, das nun sicher über einigermaßen gewiefte Fachleute verfügt, weit zurückhaltender mit den “Evidenzbelegen” für die Homöopathie ist als unsere preisgekrönte Arbeit.

      Insofern gibt es von der ersten Beurteilung aufgrund der Peithnerschen Pressemitteilung nichts zurückzunehmen.


      Nachtrag, 16.03.2022

      Um die Ehre der Donau-Universität Krems zu wahren, soll nicht übergangen werden, dass sie eine verdienstvolle Arbeit hervorgebracht hat, die der homöopathischen Forschung bescheinigt, in weiten Teilen ein Problem mit guter Publikationspraxis zu haben: https://www.donau-uni.ac.at/de/aktuelles/news/2022/mangelhafte-forschungspraxis-bei-homoeopathie.html

      So, wie ich das sehe, ist damit ein weiterer Sargnagel in die preisgekrönte Arbeit zur „Evidenzbasierung der Homöopathie“ eingeschlagen worden. I rest my case.


      Bilder von Norbert Pietsch und PDPics auf Pixabay

      Herzlich willkommen in der Welt der Wissenschaft!

      Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“
      und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.

      Hypothese + Empirie + Deduktion = Erkenntnis

      Im Juni dieses Jahres findet in Leipzig der Homöopathische Weltärztekongress 2017 statt, unter dem schönen Motto „Networking in Medical Care“. Mit Gemeinschaftsausflug nach Köthen, der einzigen Stadt, die bei der Stadtentwicklung auf „Homöopathie als Entwicklungskraft“ setzt. Unter der Gastgeberschaft des Deutschen Zentralvereins Homöopathischer Ärzte, unter der Schirmherrschaft von Annette Widmann-Mauz, Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, und versehen mit einem Grußwort der Sächsischen Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz. Reputation allerorten.

      Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich nicht um eine Tagung von Medizinhistorikern. Nein, ganz offensichtlich geht es tatsächlich darum, ein weiteres Mal die Homöopathie als ernstzunehmende medizinische Therapie zu feiern und die Darlegung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu simulieren.

      Die Abstracts zu den Tagungsbeiträgen sind inzwischen veröffentlicht worden und im Internet zugänglich. Das Studium derselben lässt schon staunen und zudem die Frage aufkommen, weshalb z.B. so weltbewegende Forschungsergebnisse wie eine „schnelle“ Wirkung von Homöopathika „bei Krebs“, und das auch noch durch L-Potenzen, also Verdünnungsschritten von jeweils 1:50 000 (!), denn nicht im Lancet, dem British Medical Journal, bei Nature oder in einer der Online-Studiendatenbanken veröffentlicht werden? Das wäre doch bei derart bahnbrechenden Erkenntnissen der erfolgversprechendste Weg zum Medizin-Nobelpreis? Oder nicht?

      Wir wollen uns aber in solchen Details gar nicht verlieren, sondern lieber einen Exkurs zu dem nicht neuen Thema unternehmen, ob der Homöopathie überhaupt so etwa wie Wissenschaftlichkeit zugestanden werden kann. Machen wir es uns ruhig ein wenig schwerer als nötig und rekurrieren nicht von vornherein z.B. auf die Russische Akademie der Wissenschaften, die mit begrüßenswerter Klarheit vor kurzem die Homöopathie als Pseudowissenschaft eingestuft hat. Aus Gründen.

      Die Homöopathie hält sich viel zugute auf die „guten Erfahrungen von mehreren hundert Millionen Menschen“, die dazu führen würden, dass es „auch ohne Studien gehe“ (so Vertreter der Carstens-Stiftung in einer Online-Diskussion im Mai 2016). Ja, die Erfahrungen, sie überragen alles, sie sind für die Homöopathen immer wieder „der“ Prüfstein überhaupt für ihre Methode. Was sie -nur nebenbei erwähnt- nicht davon abhält, „Grundlagenforschung“ zu betreiben. Ist die Homöopathie damit wirklich auf der Höhe der Zeit, kann sie damit für sich „Wissenschaftlichkeit“ in Anspruch nehmen?


      Francis Bacon (1561 – 1626) war der erste in der Neuzeit, der die Notwendigkeit formulierte, methodische Werkzeuge für eine Abgrenzung zwischen wissenschaftlich als gesichert oder eben als nicht gesichert anzusehendem Wissen zu schaffen (Aristoteles hatte in seiner Wissenschaftstheorie bereits angedeutet, dass das reine Anhäufen von Erfahrungswissen nicht ausreichen könne). Bacon selbst ging dabei noch vom reinen, absoluten Wahrheitsbegriff aus und hatte auch keinerlei Zweifel, dass eine solche Wahrheit klar festgelegt werden könne: „If truth is manifest, thruth is there to be seen“. Auf diesem methodologischen Stand etwa ist die „Erfahrungsargumentation“ der Homöopathie. Wobei das Problem des fehlenden Kausalitätsnachweises zwischen Methode und beobachteter Wirkung noch gar nicht berücksichtigt ist.

      David Hume (1711 – 1776) und in seiner Nachfolge Immanuel Kant (1724 – 1804) legten die Schwachstelle einer solchen „absoluten Empirie“ offen, indem sie zeigten, dass keine noch so große Anhäufung empirischer Daten einen Gegenteilsbeweis (im „n+1-ten“ Fall) ausschließt, das sogenannte Induktionsproblem. Beispiel: Der Umstand, dass bislang die Sonne noch jeden Morgen aufgegangen ist, wiegt zwar schwer, ist aber kein Wahrheitsbeweis dafür, dass dies morgen oder irgendwann nicht mehr der Fall sein wird. Wie wir heute wissen, trifft das ja durchaus zu. Oder, ein Beispiel, das Aristoteles gefreut hätte: Die Aussage „Alle Menschen müssen sterben“ ist eine empirische Vergangenheitserfahrung – wie aber soll dies als absolut „wahre“ Aussage dienen, wo doch derzeit Milliarden von Menschen noch leben?

      Nach Hume und Kant kann auf die sinnliche Erfahrung, die Induktion, ebenso wenig verzichtet werden wie auf die logische, widerspruchsfreie Ableitung von Grundprinzipien, die Deduktion. Ein wissenschaftliches System ist darauf angewiesen, dass diese beiden „Seiten der Medaille“ sich ergänzen und bestätigen. Anders ausgedrückt: Die Prognose der Hypothese muss sich im Abgleich mit den empirischen Daten und lässt im Idealfall die deduktive Ableitung einer Theorie mit einem Allgemeingültigkeitsanspruch zu. Im Idealfall in dieser Reihenfolge. Für das „Alle Menschen müssen sterben“-Beispiel bedeutet dies, dass die Forschung zu den Lebensfunktionen des menschlichen Organismus, insbesondere vor dem Hintergrund der Zellularpathologie, Einblicke in grundsätzliche Vorgänge der Zellalterung erbracht haben, die die Sterblichkeit des lebenden Organismus ganz unabhängig von der schlichten Erfahrung des tatsächlichen Versterbens vieler Menschen erklärt – und umgekehrt die empirische Erfahrung die so deduktiv gewonnene Hypothese stützt.

      Dies ist heute unverrückbarer Teil naturwissenschaftlicher Methodik. Hinzu kommt heute noch die Methodik des Falsifikationismus im Sinne von Karl Popper (1902 – 1994), der verlangt, dass Ziel der wissenschaftlichen Untersuchung der beständige Versuch der Widerlegung vorhandenen Wissens sein muss. Dadurch wird nicht nur reine „Bestätigungsforschung“ vermieden, sondern letztlich ist dies der einzige Weg, durch das Verwerfen von Unzulänglichkeiten eine immer größere Annäherung an den -von Popper nicht mehr absolut gedachten- Wahrheitsbegriff zu erreichen. Von Bacons „manifest truth“ ist längst keine Rede mehr.

      Die Naturwissenschaft ist bescheiden geworden – sie strebt nur noch nach Annäherung an die Wahrheit und setzt dabei als vorrangige Methode auf das Erkennen und Beseitigen bisheriger Irrtümer und Unzulänglichkeiten. Nebenbei: Die Vorwürfe angeblicher Arroganz gegenüber der Wissenschaft und der ihr immer wieder vorgehaltene angebliche Allwissenheitsanspruch zeugen leider nur von der weit verbreiteten Unwissenheit solcher Kritiker darüber, was Wissenschaft überhaupt ist.


      Zurück zu unserem Patienten, der Homöopathie. Sie leugnet es ab, aber die Tatsachen sprechen eine eindeutige Sprache: Sie scheitert sowohl an der Deduktion als auch an der Induktion.

      Wenn sie, wie eingangs ausgeführt, im Grunde der Auffassung ist, die empirische Erfahrung in „Millionen“ von Fällen reiche völlig aus und Studien seien durchaus nicht vonnöten, ist sie beim Wissenschaftsbegriff Francis Bacons stehengeblieben. Sie scheitert im Grunde sogar schon in einem noch früheren Stadium, denn die von ihr angehäuften Erfahrungen beziehen sich auf aberwitzig viele Patienten- und Fallkonstellationen mit höchst unterschiedlichen Behandlungen, sind also derart inhomogen, dass sie für einen Rückschluss auf eine „Wahrheitsaussage“ zur „Homöopathie an sich“ ohnehin ungeeignet sind. Anders als sich regelmäßig (annähernd) exakt wiederholende Ereignisse wie beispielsweise der Sonnenaufgang.

      Werden die empirischen Daten jedoch nach wissenschaftlichen Methoden homogenisiert und im Blindversuch gegen Standardtherapien und Placebos verglichen, scheitert die Homöopathie. Keine Studie mit ausreichendem Design zur Ausschaltung von Zufälligkeiten und Fremdursachen und zur Sicherung echter Vergleichbarkeit hat bisher eine Überlegenheit auch nur einer einzigen homöopathischen Therapie gegenüber Placebo ergeben. Das wird ständig bestritten, ist aber nachweislich Fakt.


      Was hier aber gezeigt werden soll, ist das Scheitern der Homöopathie auch und vor allem an der Deduktion. Eigentlich bedarf es ja gar keiner Deduktion, wenn schon die Empirie eine Relevanz der Methode gar nicht belegen kann. Aber die Homöopathen bestehen nun mal auf einem wissenschaftlichen Anspruch ihrer Methode – und müssen sich eben daran eben messen lassen.

      Es fällt dabei zunächst auf, dass die Fraktion der Homöopathen, so sie sich denn nicht mit der Bacon’schen Empirie („meinen Patienten hats geholfen!“) zufriedengibt, seit Hahnemann über die funktionellen Grundlagen durchaus keine Einigkeit erzielt hat, sondern eine Zersplitterung der Ansichten zu beobachten ist. Die Erklärungshypothesen sind Legion. Das Spektrum reicht vom Festhalten an Hahnemanns Prinzip der „geistigen Lebenskraft“ bis zu den bemühten Versuchen, doch irgendwie einen „materiellen“ Wirkungsnachweis für das Prinzip der Wirkungszunahme durch Potenzierung -und damit der hohen Wirkung von Hochpotenzen- zu erbringen. Hierhin gehören die Stichworte „Wassergedächtnis“, „Nanopartikel“ und -last, but not least- „Quantenphysik“. Von etlichen mehr oder weniger Privatvarianten unter der Flagge „Homöopathie“ ganz zu schweigen.

      Ja was denn nun? Soll das etwa eine Weiterentwicklung einer Ursprungshypothese sein, die Annäherung an die „Wahrheit“ durch Eliminierung von Irrtümern und Unzulänglichkeiten? Ein Schwanken zwischen Festhalten an vorwissenschaftlichen Vorstellungen und Versuchen, ganz im Gegenteil nun doch materielle Wirkungsmechanismen zu postulieren? Wo ist denn hier nun der deduktive Entwurf, der nur noch der Bestätigung durch die Empirie harrt?

      Der hellsichtige Kant hat bereits die Definition geliefert, die einer solchen „Wissenschaft“ eine eindeutige Absage erteilt. In der „Kritik der reinen Vernunft“ unterscheidet er klar zwischen zwei Methoden menschlicher Erkenntnisbemühungen: Einerseits dem „bloßen Herumtappen“ durch das mehr oder weniger unsystematische Anhäufen empirischer Daten und andererseits zwischen einem „sicheren Gang einer Wissenschaft“ unter „systematischer Bearbeitung ihrer Erkenntnisse“. Nach Kant zeichnet sich die letztere dadurch aus, dass sie nicht gleich mit ihren Hypothesen „ins Stocken gerät“ und zur Erhaltung ihres Gebäudes ständig revidiert und erweitert werden muss. Der eigentliche Zweck sei die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Allgemeingültigkeit von Hypothesen; eine Erkenntnislage, die sich nur durch ständige Revisionen ihrer Grundlagen erhalten könne, sei dazu nicht geeignet. Eine „sichere Wissenschaft“ in Kants Sinne verzeichnet systematische Erkenntnisfortschritte. Sie muss sich „ihres Gegenstandes und der Prinzipien ihrer Erkenntnis sicher sein“.

      Hieraus folgt als Hauptkriterium für eine wissenschaftliche Methode des Erkenntnisgewinns, dass eine Wissenschaft des „sicheren Ganges“ sich nicht in ständigen Grundlagenstreitigkeiten befinden könne. Es sei notwendig, dass die Beteiligten unter einem gemeinsamen Paradigma arbeiten, in Kants Formulierung müsse es möglich sein, „die verschiedenen Mitarbeiter in der Art, wie die gemeinsame Absicht verfolgt werden soll, einhellig zu machen“ (Kant, Vernunftkritik, B VIII).

      Die heillose Zerfaserung, in die sich die Homöopathie bei einer Gesamtschau von Hahnemann bis heute befindet, spricht einem solchen Bild von Wissenschaftlichkeit Hohn. Es ist nicht nur die inkonsequente Haltung zu Hahnemanns Wirkungsprinzip. Zu dieser Zerfaserung gehören ebenso beispielsweise die Einführung von Krankheitsbegriffen gegen Hahnemanns Postulat, nur Symptome seien erkennbar; die prophylaktische Anwendung von Homöopathie, das Ausufern von Konstitutions- und Typenlehre, Tier- und sogar Pflanzenhomöopathie, die Propagierung von Komplexmitteln gegen Hahnemanns ausdrückliches Verdikt und vieles mehr, was mangels deduktiver Begründung nicht als Fortschritt, sondern nur als Beliebigkeit gedeutet werden kann. Den historischen Weg der Homöopathie säumen weitaus mehr Absurditäten als Erkenntnisse.


      Die Homöopathie muss an einem solchen Wissenschaftsbegriff scheitern. Es ist ihr auch erst recht nicht zuzugestehen, sich auf einen eigenen Wissenschaftsbegriff zurückzuziehen, wie dies gelegentlich durchaus geschieht (Baumgartner, Walach). Sie ist empirisch widerlegt und deduktiv bedeutungslos. Liebe Homöopathen, liebe Kongressteilnehmer in Leipzig – wenn ihr glaubt, dies ändern zu können, dann stellt eure Ergebnisse nicht im internen Zirkel vor, sondern öffnet sie der üblichen wissenschaftlichen Kritik – wenn ihr könnt, denn dies setzt nachvollziehbare, grundsätzlich einer Reproduktion fähige Forschungsergebnisse voraus. Dies ist die einzige Methode zur Erlangung wissenschaftlicher Reputation – das können weder Schirmherrschaften noch Grußworte ersetzen.


      Bildnachweis: dreamstime_xs_32681166

      Für Impfgegner

      Link dazu

      Auch an anderen Stellen veröffentlicht:
      Robert Kennedy jr. und Robert de Niro loben 100.000 Dollar für den aus, der die Unschädlichkeit von thiomersalhaltigen Impfstoffen bei Kindern und Schwangeren nachweist.

      Dumm, perfide oder beides? Hier kommt die klassische dumm-hinterlistige Forderung um die Ecke, etwas Nichtvorhandenes beweisen zu sollen. Wieder mal wird eine Schleimspur gelegt, die zu einer Win-Win-Situation für die Impfgegner führen soll. Wie soll man die Nichtschädlichkeit beweisen, wenn eh klar ist, dass medizinstatistische Daten diese Herrschaften nicht beeindrucken werden? Und dann auch noch der Spezialfall von thiomersalhaltigen Impfungen (gibt es fast nicht mehr) bei Schwangeren und Kindern? Wie soll das denn gehen?

      Was die Herrschaften oder vielleicht auch nur ihre Hintermänner wissen: Gar nicht. Sie werden, wenn jemand so verrückt ist, hierauf einzugehen, sich der Methode Lanka bedienen: Mit nichts zufrieden sein. Was ja aufgrund der Fragestellung, die nach dem Beweis von etwas Nichtvorhandenem fragt, auch naheliegt. Denn das ist keine epistemologische Kategorie, die Nichtbeweisung ist a priori ein praktisch unlösbares Problem, weshalb man es auch gar nicht erst aufwirft. Unter Leuten, die das verstanden haben. Oder es legt überhaupt niemand etwas vor, weil man sich nicht auch noch intellektuell selbst beleidigen will.

      Folge in beiden Fällen: Es wird messerscharf gefolgert, dass niemand die Unschädlichkeit von thiomersalhaltigen Impfungen bei Schwangeren und Kindern belegen kann. Und daraus wird triumphal abgeleitet, dass thiomersalhaltige Impfungen bei Schwangeren und Kleinkindern schädlich sind.


      Um nun doch noch etwas zur Sache „Thomersal“ beizutragen:

      Thiomersal wurde als Konservierungsstoff in Impfungen schon seit Ende der 1930er Jahre verwendet, damals auch -technisch bedingt- in weitaus höheren Dosen als zur letzten Zeit der Anwendung. Niemals sind deshalb Nebenwirkungen spezifisch berichtet worden. Vorher waren in den Impfdosen übrigens Petroleumverbindungen (!) drin. 

      Bis ca 1990 waren Röteln-Immunglobuline in Verkehr, um Rötelnembryopathien nach Kontakt bei Schwangeren ohne Rötelnimmunität zu vermeiden. Da wurden lt Fachinfo bis 40 ml in den M glutaeus injiziert, evtl sogar mehrmals. Nur waren die meisten dieser Immunglobuline mit Thiomersal 0,01% konserviert.

      Schäden beim Fötus: keine bekannt.

      Keine Frage, die Zerfallsprodukte Ethylquecksilberchlorid und Thiosalicylsäure haben ein hohes Sensibilisierungspotenzial. Da in jeder Fachinfo steht: Kontraindiziert bei Sensibilisierung gegen einen Inhaltsstoff.
      Thiomersal war in vielen Infundibilia mit > 20 ml (zB Immunglobuline) enthalten, obwohl damals bereits lt Europäischem Arzneibuch untersagt. In einem Anti-thymozytenglobulin eines internationalen Konzerns war es sogar undeklariert enthalten (1988) und man ist damit bis an die akute (irreversible) Toxizitätsgrenze gegangen. Dieses Produkt wurde dann vom Markt genommen.
      Quecksilberorganische Verbindungen waren bis in die 90er Jahre z.B: in Flächendesinfektionsmitteln enthalten. Nicht zu vergessen die Saatgutbeizmittel,da gabs Massenvergiftungen mit vielen Toten im Irak in den 70ern.

      Thiomersal ist leider in Kontaktlinsenwaschflüssigkeiten und auch in Kosmetika heute noch enthalten. Sensibilisierung sieht man dann an den roten Augen und an „diese Kosmetika sind nicht für meinen Typ geeignet“.

      Nur: die geringen, schon sehr lange nicht mehr aktuellen Mengen von Theomersal in Impfstoffen werden lautstark thematisiert. Der Rest – allenfalls in Fachkreisen …

      (Danke für Hinweise an Kommentator WolfgangM)


      Hiermit lobe ich demjenigen, der mir den wissenschaftlichen Beweis dafür erbringt, dass Robert Kennedy jr. und Robert de Niro keine Idioten sind, 100 Euro und einen Bund Bio-Knoblauch aus. Und wehe, keiner gewinnt die Auslobung hier! Dann steht nämlich klar fest, dass Robert Kennedy jr. und Robert de Niro ….

      Genau.


      Bildnachweis: Screenshot Buzzfeed

      Homöopathie unter Ockhams Rasiermesser

      Ockham – from a manuscipt of Ockham’s Summa Logicae, MS Gonville and Caius College, Cambridge, 464/571, fol. 69r} – via Wikimedia Commons

      Ein wenig Wissenschaftstheorie – keine Angst!

      Wissen Sie, lieber Leser, was man unter “Ockhams Rasiermesser” versteht? Nein, liegt nicht im British Museum. Es ist ein auf William Ockham (1288–1347) einem Philosophen und Naturforscher der späten Scholastik, zurückgehender Begriff, der als einer der wenigen aus so früher Zeit auch heute noch wissenschaftstheoretisch Bedeutung hat. Ockhams Rasiermesser hat sich sehr darin bewährt, pseudowissenschaftliche Streu vom wissenschaftlich interessanten Weizen zu unterscheiden. Nun ja, mit ihrer Pflicht zur Tonsur war das Wissen über ordentliche Rasiermesser zweifellos auch schon in mittelalterlichen klerikalen Kreisen weit verbreitet.

      Es wird auch das Prinzip der “Sparsamkeit statt Vielfalt” genannt. Einer der zugrunde liegenden Gedanken ist, dass die Hinzunahme immer neuer Hypothesen und Variablen eine Theorie immer schwerer verifizierbar macht und diese im Endeffekt im Nebel der Nicht-Verifizierbarkeit entschwindet. Was diejenigen, die eine Behauptung aufstellen, in eine komfortable Situation bringt: Sie versuchen mit dem Hinweis, eine Widerlegung sei ja nicht gelungen, ihre eigene positive Beweispflicht umzukehren. Kommt das jemand bekannt vor?

      Ockhams Prinzip kommt in zwei Sätzen zum Ausdruck:

      • Von mehreren möglichen Erklärungen für den gleichen Sachverhalt ist die einfachste Theorie bis zum expliziten Beweis des Gegenteils allen anderen vorzuziehen.
      • Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält und wenn diese in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt kausal-logisch folgt.

      Achtung, Benutzerhinweis: Ockhams Rasiermesser ist kein Kriterium für die Richtigkeit einer Theorie oder Hypothese im Sinne heutiger Wissenschaftlichkeit. Sie ist aber ein sehr wirkungsvolles Instrument, um auf den Schlüssigkeitsgehalt, die Konsistenz, einer solchen zurückzuschließen, eine der Methoden, um Bullshit von Diskutablem zu unterscheiden, und hat sich dabei außerordentlich bewährt. Die Wissenschaftsgemeinde betrachtet neue Theorien, die offensichtlich allzu viel Nebenannahmen und Variablen anführen, mit äußerstem Misstrauen. Zu Recht.

      Bitte entspannt sitzenbleiben, wir schreiten zur Rasur!

      Die Homöopathie erscheint auf den ersten Blick so schön “ganzheitlich”, so “einfach”, so geschlossen. Einem Test mit Ockhams Rasiermesser hält sie aber nicht stand. Warum?

      Es liegt an den Variablen, der Subjektivität und Unverbindlichkeit der Arzneimittelprüfung und der darauf beruhenden Repertorien, der Verzeichnisse, die die Symptombilder und die angeblich dazu gehörenden homöopathischen Mittel enthalten. Sie sind die “undichte Stelle” der Homöopathie, an der schon die früheste Kritik der Methode ansetzte, als man Hahnemanns Konzepte von der gestörten “geistartigen Lebenskraft” noch für immerhin diskutabel hielt.

      Hahnemann hatte sein schönes Gedankengebäude, vom Simileprinzip bis zur Potenzierung, dogmatisch, auf wenigen Hypothesen beruhend. Man hätte also annehmen können, dass es dem Prinzip der Einfachheit durchaus genügte. Was die Hypothesen betrifft. Aber das waren ja nur die Hypothesen, das noch leere Gefäß, dass mit den Variablen gefüllt werden musste, mit denen überhaupt erst eine Relevanz für die Praxis der “einzig wahren Heilkunst” gegeben war.

      Hahnemann und seine Jünger begannen dann damit, alle möglichen und unmöglichen Stoffe im Rahmen von Arzneimittelprüfungen am Gesunden zu “testen”. Schon dieser “Blindflug” nach dem Motto “Masse statt Klasse” bzw. “Irgendwas wird schon rauskommen” fällt Ockhams Rasiermesser zum Opfer. Diese Vorgehensweise infiziert nämlich das schöne Gedankengebäude der Homöopathie mit dem Virus der Beliebigkeit, man könnte auch sagen, der Grenzenlosigkeit. Denn es geht ja erst einmal davon aus, dass unendliche viele Prüfstoffe mehr oder weniger unendlich viele Symptombilder ergeben können.

      Ja, und das tun sie auch. Das kommt dann in den immer dicker werdenden Repertorien zum Ausdruck. Die werden nicht nur deshalb immer dicker, weil sich die Homöopathen nach wie vor mangels Kriterien auf jeden neuen Stoff stürzen, dessen sie habhaft werden können (Plutonium, Berliner Mauer, Weltraum-Vakuum), sondern auch daher, dass die Symptombeschreibungen bei den Arzneimittelprüfungen völlig unspezifisch sind. So tauchen z.B. “leichte Magenbeschwerden” zusammen mit “Träumen von Feen” auf, bei einem anderen “Träumen von Feen” zusammen mit andauerndem Kopfschmerz, bei einem dritten der andauernde Kopfschmerz zusammen mit einem deutlichen Unwohlsein bei schlechtem Wetter. Da werden dann Symptomsammlungen in den Repertorien kombiniert und differenziert, was das Zeug hält. Und es wird immer mehr. Eine Flut von Variablen, geradezu ein Meer. Potenziell unendlich. Wo bleibt hier die Begrenzung der Variablen, die in klaren, logischen Beziehungen zueinander stehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt -in diesem Fall Diagnose und Therapie am homöopathischen Patienten- logisch folgt? Von Widersprüchlichkeiten ganz abgesehen.

      Es kommt aber noch schöner. Prokop (Der moderne Okkultismus, Voltmedia / Urban & Fischer, 2006) weist darauf hin, welche Unlogik der Tatsache innewohnt, dass man auch schon das eine oder andere homöopathische Mittel “aufgegeben” hat, obwohl dieses doch erst durch Ergebnisse der Arzneimittelprüfung mit angeblich klarer Symptomatik in die Repertorien gelangt ist!? Genau wie die anderen, die man belassen hat! Wie kann das sein? Haben sie keine Wirkung gezeigt? Sind bei erneuten Arzneimittelprüfungen andere Symptome herausgekommen? Na, das wären ja dann schöne Beweise gegen das ganze Konzept der Homöopathie… Das ultimative Rasiermesser, sozusagen.

      Die einzigen, die mit potenziell unendlichen Variablen in der Wissenschaft arbeiten, sind meines Wissens die Astrophysiker. Aber die sind sehr vorsichtig mit ihren Aussagen, so lange nur mathematische Modelle ohne Bestätigung durch wiederholte Beobachtung vorliegen. Im Gegensatz zu den Homöopathen, die kein Problem damit haben, ihre “Heilkunst” potenziell ins Unendliche ausdehnen.


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