Über Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin, Aufklärung, Humanismus und den Irrsinn des Alltags

Kategorie: Homöopathie Seite 2 von 8

Hochpotenzen, Ratten und eine Menge Unsinn

Aufmerksame Leser dieses Blogs werden sich noch an den Namen Oleg Epstein erinnern können. Richtig, das ist der “Pharmaunternehmer” aus Russland, der mit verschwurbelten Bezeichnungen irgendwelche ominösen “Hochpotenzen” bevorzugt in den USA zum Patent einreicht, daraus Fantasiemittelchen produziert und die passenden Studien mit ein paar Kumpels aus der wissenschaftlichen Szene gleich auch noch selbst verfasst. Den ursprünglichen Artikel dazu hatte ich mit “Fake – Homöopathie – Fake” betitelt.

Es gibt den nächsten einigermaßen spektakulär-lächerlichen Fall, bei dem eine “Studie” von Epstein und Kollegen retracted, also vom veröffentlichenden Journal zurückgezogen wurde. Darin ging es um so unfassbar elementare Dinge wie “Auswirkungen einer chronischen Behandlung mit dem eNOS-Stimulator Impaza auf die Penislänge und das Sexualverhalten bei Ratten mit einem hohen Ausgangswert an sexueller Aktivität” (Effects of chronic treatment with the eNOS stimulator Impaza on penis length and sexual behaviors in rats with a high baseline of sexual activity). Der inkriminierte “Bestandteil ohne Moleküle” nennt sich hier “Affinity-purified antibodies to the C-terminal fragment of eNOS at ultra-low doses” – ein wenig Blauäugigkeit muss man den Reviewern angesichts dessen schon bescheinigen. Nun gut, man ist aufgewacht.

Ich sag da mal nichts weiter zu – aber klar ist, dass diese Studie der Promotion von “Impaza” (Handelsname) dient, das längst von Epsteins Firmengruppe in Russland als Potenzmittel vertrieben wird. Es ist ganz offensichtlich als “Alternative” zu Sildenafil (Viagra) gedacht, auch die Studie vergleicht die beiden Präparate miteinander. Wobei wir die positiven Aspekte nicht unterschlagen wollen: Das Zeug ist nebenwirkungsfrei und selbst bei Überdosierung unschädlich, heißt es in der Produktinfo. Das bezweifle ich nicht! Und das ist wahrhaftig ein Unterschied zu Sildenafil.


Lassen wir mal alles Absurd-Skurrile beiseite und konzentrieren wir uns auf den wesentlichen Punkt. Nämlich auf den Kern der Begründung des Retracting durch das Journal International Journal of Impotence Research (eine Tochterpublikation von – immerhin! – Springer Nature). Die Veröffentlichung datiert schon von März 2013, es sieht ganz so aus, als sei man Herrn Epsteins Beiträgen zur medizinischen Forschung inzwischen gezielt auf den Fersen. Wer sich einen Überblick über die bisherigen “Retractions” im Zusammenhang mit Herrn Epsteins Forschungsaktivitäten verschaffen will, kann das über die Datenbank von Retraction Watch tun.

Das Journal schreibt:

“Der Herausgeber hat diesen Artikel zurückgezogen, weil es Bedenken hinsichtlich der wissenschaftlichen Validität der Studie gibt. Insbesondere wird das Reagens über den Punkt hinaus verdünnt, bis zu dem noch das Vorhandensein aktiver Moleküle zu erwarten ist, und es gibt keine molekulare Analyse, die das Vorhandensein von Molekülen in diesen Verdünnungen belegt. Diese Bedenken haben dazu geführt, dass der Herausgeber kein Vertrauen mehr in die Zuverlässigkeit der Ergebnisse hat.”

Wir konstatieren: Ein weiteres Journal weigert sich, Publikationen, die von über die Avogadro-Grenze hinaus verdünnten Mitteln handeln, als wissenschaftlich valide anzusehen und zu veröffentlichen. Ganz grundsätzlich. Wahrhaftig ein großer Schritt nach vorn, um der Pseudomedizin die Schlupflöcher zu stopfen, die ihnen die evidenzbasierte Medizin mit ihrem rein auf den “Outcome” fokussierten Pragmatismus geöffnet hat. Wissenschaftliche Basics und Plausibilitäten scheinen wieder etwas zu zählen bei seriösen Publikationen! Eine gute Nachricht.


PS
Alle Verfasser der Studie haben dem Retract heftig widersprochen. Der korrespondierende Autor, Anders Ågmo von der University of Tromsø (The Arctic University of Norway) wurde von Retraction Watch mit dem ganzen Zeugs, was bisher zu diesen Geschichten rund um Epstein bekannt geworden ist, konfrontiert. Seine Stellungnahme:

Es ist sicherlich möglich, dass das Medikament keinen klinischen Nutzen hat. Ich habe keine Daten gesehen, die einen solchen Nutzen untermauern. Ich sehe jedoch a priori keinen Grund, den russischen Kollegen oder der russischen Arzneimittelzulassung zu misstrauen.” (Er nimmt dabei Bezug auf den Umstand, dass Impaza in Russland in der Tat ein “registriertes Arzneimittel” ist – siehe PPS.)

Nach dem Motto: Mir doch egal, wer was mit meinen halbseidenen Studien anfängt! Und: a priori vielleicht nicht. Das würde sich auf 2013 beziehen. Aber wie wäre es mit a posteriori, Herr Ågmo?


PPS

Trotz der eindeutigen Aufforderung der Russischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2017, flächendeckend Homöopathie aus dem Gesundheitssystem zu verbannen, scheint es immer wieder “Löcher” zu geben. Tatsächlich hat das russische Gesundheitsministerium ein homöopathisches Produkt zur Behandlung von zeckeninduzierter Enzephalitis (!) empfohlen, und eine ähnliche Substanz gehörte mit einem Umsatz von 3,8 Milliarden Rubel im Jahr 2017 (62 Mio. USD) zu den 20 umsatzstärksten Medikamenten des Landes.

In diesem Zusammenhang ist eine Meldung bemerkenswert, die nahelegt, es gebe eine neuerliche Regulationsinitiative zur Homöopathie seitens der Russischen Akademien der Wissenschaften (RAS). Edzard Ernst berichtet auf seinem Blog. Inhaltlich, teils bis in die Wortwahl hinein liest sich das allerdings genauso wie die Statements von 2017. Die einzige Quelle weltweit (das ist auch die von Prof. Ernst) ist die indonesische Nachrichtenquelle “Manila Bulletin”, die hierzu am 13.07.2020 berichtete. Ich zweifle deshalb im Moment daran, ob es sich hier überhaupt um eine aktuelle Nachricht handelt. Auf den Webseiten der RAS findet sich nichts dazu. Russland bleibt bei mir im Fokus.


Bild von sibya auf Pixabay

Können Homöopathen “zur Behandlung von Covid-19 beitragen”?

Argumentative Wüste

Bei „Homöopathie online“, dem Portal des Zentralvereins homöopathischer Ärzte, ist ein längerer Beitrag mit dem Titel “Wir können zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen beitragen” erschienen. Es handelt sich um ein Interview mit dem homöopathischen Arzt Dr. Wolfgang Springer (1).

Ich habe früher schon darauf hingewiesen, dass es eine Frage der Zeit sei, bis die Vertreter der Homöopathie mit etwas Derartigem an die Öffentlichkeit treten würden, wenn es auch schon hier und da eher vorsichtige, nichtsdestoweniger obsolete Vorstöße gab. Auch diesem Interview wird vorangestellt, dass zuvörderst die Empfehlungen des RKI in der Corona-Krise Maßstab für ärztliches Handeln sein müssten. Was nach anfänglicher – sagen wir mal, Verwirrung in der homöopathischen Szene dann letztlich doch erst einmal zum vorläufigen Konsens erhoben wurde. Nun, man hätte ja auch schlecht etwas anderes schreiben können. Diese Einleitung ist jedoch in Bezug auf die sich inzwischen abzeichnende Entwicklung irrelevant und leicht als taktisches Schutzschild auszumachen.

Warum? Weil sich z.B. der Beitrag beim Zentralverein auf ein Feld kapriziert, das mit den RKI-Empfehlungen wahrlich wenig bis nichts zu tun hat: Die „homöopathische Behandlung“ von Covid-19. Genauer, das “Beitragen” dazu, auch als “komplementär anzuwenden” übersetzbar, man behalte das im Kopf.

Es ist nun mal eine homöopathische Spezialität, in Bereichen die Homöopathie anzudienen, bei denen es keine Maßstäbe für eine Behandlung und deren Kontrolle gibt. Und somit auch nicht dafür, Effekte konkret auf eine bestimmte Intervention zurückzuführen. Selbstredend wird “hinterher” mit angeblichen Erfolgen renommiert. Wenn man recht hinschaut, wird kaum noch behauptet, dass Homöopathie „allein“ Krankheiten heilen könne – dies ist inzwischen offenbar doch allzu diskreditiert. Es hat seine Gründe, weshalb man sich auf „komplementär“ und neuerdings „integrativ“ kapriziert. Zu diesen Gründen habe ich hier mehr geschrieben.

Nun zu den wesentlichen Inhalten des Interviews bei Homöopathie online. Ich möchte es kurz machen (ob es gelingt, werden wir sehen), denn im Kern gibt’s gar nicht so viel zu sagen. Es geht nur um zwei Punkte: Um die Beschwörung der Homöopathie als “Erfahrungsmedizin” mit allen Mitteln und um eine Demonstration von inneren Widersprüchen der Lehre par excellence.

Die großen Erfolge der Homöopathie bei Epi- und Pandemien – schon (fast) immer! Echt?

Der Interviewte bemüht sich, den Eindruck zu vermitteln, als habe die Homöopathie im 19. Jahrhundert gerade wegen ihrer Erfolge bei Epidemien eine Hochzeit erlebt. Diese Erfolge seien „medizinisch gut dokumentiert“ – was ich bezweifle. Erstens, weil mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen ist, dass auch damals die Homöopathie jeder spezifischen Wirkung entbehrte und von der Selbstbestätigung der homöopathischen Community und den Effekten und Wahrnehmungsfehlern von Scheinbehandlungen lebte. Das ist es, was “dokumentiert” wurde. Darf man wirklich annehmen, dass Erfolge, wie sie hier für die Homöopathie reklamiert werden, spurlos an der wissenschaftlichen Medizin vorbeigegangen wären? Ohne irgendwelche Konsequenzen für die Forschung und die Praxis der Medizin? Das impliziert eine Verschwörungstheorie zur Unterdrückung der Homöopathie von einer Dauer und einer Größenordnung, mit der so leicht keine andere dürfte mithalten können. Sie müsste bis heute andauern und praktisch alle in der wissenschaftlichen Medizin Tätigen einschließen…

Dr. Norbert Aust hat gerade erst die stets hoch aufs homöopathische Schild gehobenen „Erfolge“ bei der Cholera-Epidemie in Wien 1831/32 analysiert (Video – ca. 17 Min.). Bei der Homöopedia des Informationsnetzwerks Homöopathie findet sich darüber hinaus ein breit angelegter Artikel zum Thema, der Epidemien einbezieht, für die schriftliche Quellen im Zusammenhang mit Homöopathie vorliegen. Ergebnis dieser “gut dokumentierten” Geschichte der Homöopathie bei Epidemien: Auf so manches waren Erfolge zurückzuführen, nur nicht auf die Homöopathie (im Falle der Leipziger Choleraepidemie kam groteskerweise gar keine Homöopathie zum Einsatz).

Bemerkenswert ist, dass der Interviewte bei der Spanischen Grippe 1919/20 eher zurückhaltend ist (die er übrigens fälschlich allein „in Kriegszeiten“ verortet – die pandemische Hochphase, heute würden wir sagen, die “zweite Welle”, spielte sich aber in den Nachkriegsjahren 1919/20 ab). Diese Zurückhaltung mag darauf zurückzuführen sein, dass auch homöopathische Forscher noch auf dem LHMI-Kongress 2017 davor warnten, „Erfolge“ der Homöopathie als Referenz zu nutzen. Ein Paper zum LHMI Homeopathic World Kongress 2017 führte aus:

„Die Behandlung durch Homöopathen war nicht eindimensional, sondern es handelte sich um ein komplexes polytherapeutisches Vorgehen. Die Behandlungsresultate differierten sehr (Schwerstkranke/Kliniken versus früher Behandlungsbeginn/ambulant sowie abhängig von Zeit und Ort). Einige Auswertungen deuten darauf hin, dass es beeindruckende Erfolge gab. In Frage gestellt werden muss, ob diese als Belege taugen. Generell waren Forschungsbegriff/-kriterien weniger stringent als heute.“

Vortragende zum Thema beim LHMI-Kongress 2017 war Stefanie Jahn, die zum Thema auch die Arbeit “Spanische Grippe und Homöopathie: die Behandlung der Pandemie im internationalen Vergleich“ (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte“, Band 21) veröffentlicht hat. (Details und Quellen dazu auf der Corona-Mythen-Seite der GWUP unter “Homöopathie / Spanische Grippe / Cholera”).

Der Interviewte greift auch den Aspekt der uneinheitlichen Therapien bei der Spanischen Grippe auf, ihm dürfte Frau Jahns homöopathieinterne Relativierung bekannt sein. Immerhin – Widerlegungen oder Richtigstellungen aus der eigenen Szene lässt man gelten, was allerdings auch dem Bemühen geschuldet sein kann, sich keiner internen Uneinigkeit bezichtigen zu lassen.

Dies aber führt mich zu einem kleinen Exkurs am Rande: Gerade einmal 100 Jahre ist es her, dass die Spanische Grippe wütete. Die ist also wegen der gänzlich anderen Zeitläufte, anderer Begriffe von Wissenschaftlichkeit, nicht ausreichender Quellenlage und einigem mehr nach Ansicht von Homöopathen obsolet und nicht brauchbar als Referenz – aber weit ältere, weit weniger “dokumentierte” und unter noch ganz anderen Lebensverhältnissen abgelaufene Epidemien sollen als Referenz dienen können? Der Bruch in der Argumentation ist evident.

Wie dem auch sei, all diese „Erfolge“ vergangener Zeiten bei Epi- und Pandemien sollen letztlich nur das „Kernargument“ des Beitrags beim DZVhÄ stützen. Und das ist einmal mehr die „Erfahrung“ der Homöopathen, diese ominöse Mischung aus Selbst- und Fremdtäuschung, die den Kern der Selbstrechtfertigung der homöopathischen Szene ausmacht. Hier zudem vorgetragen mit der Autorität der ärztlichen Homöopathen. Was aber nicht mehr als ist das hochgehaltene Schild mit der Aufschrift: „Trust me, I’m a Homeopath!“ Immerhin bezieht sich die wissenschaftliche Medizin ja auch nicht auf die Aufzeichnungen von Ignaz Semmelweis, um die Verfahren der klinischen Hygiene zu begründen, sondern erklärt und begründet sie auf der Grundlage neuester mikrobiologischer Forschung (was Semmelweis keinen Abbruch tut, im Gegenteil). Etwas Vergleichbares – einen bestätigenden und den Horizont ständig erweiternden Fortschritt – kann die Homöopathie nicht vorweisen, was sie zu Versuchen zwingt, Legitimation in Tradition und Geschichte zu suchen statt in wissenschaftlich belegbaren Erkenntnissen.

Die wissenschaftlich fundierte Homöopathiekritik legt immer wieder dar, dass die (reine, individuelle, nicht systematisch erfasste und um nicht intersubjektive Bestandteile bereinigte*) Erfahrung kein gültiger Maßstab für eine allgemeine Aussage ist, wie beispielsweise die, dass eine bestimmte medizinische Intervention gerechtfertigt, weil valide sei. Der Rekurs auf Erfahrungsheilkunde allein, wie er auch hier sehr wortreich mit Rückgriff auf die Historie bemüht wird, sticht nicht. Zumal im Falle der Homöopathie noch die fehlende Plausibilität der Grundannahmen, ferner das Fehlen valider Ergebnisse aus der empirischen Forschung hinzukommen (wobei letzteres klar zeigt, dass es gar kein relevantes Erfahrungswissen gibt, das die Homöopathie stützen könnte *).

Der Eiertanz um den “Genius epidemicus”

Dass die Homöopathie durch ihre ständigen inneren Widersprüche ausgezehrt wird wie Prometheus’ Leber durch den Adler, belegt einmal mehr die im Interview dargelegte Sicht auf die Mittelfindung in Zeiten der Pandemie. In ihren Repertorien können sie nur sehr bedingt nachschauen, denn es gibt bei einer so neuen Erscheinung keine repertorisierten, durch Arzneimittelprüfung am Gesunden ermittelten Arzneimittelbilder. Hahnemann war sich dieses Dilemmas bewusst – und ganz offensichtlich auch dessen, dass ihn dies von der Individualität des homöopathischen Ansatzes mit Macht weg zu zwingen schien. Er beschrieb dann auch – gegen das Individualitätsprinzip der homöopathischen Behandlung und gegen sein Postulat, es gebe keine überindividuellen Krankheiten (Krankheit sei nur über das Symptombündel im einzelnen Patienten erkennbar) – in den Paragrafen 100 ff. des „Organon“, dass in einem solchen Falle der „Genius epidemicus“ aufzuspüren sei. Und das ist interessant.

In § 100 des Organon baut Hahnemann erst einen Schutzwall gegen den zu erwartenden Vorwurf, er werfe sein Individualitätsprinzip über Bord – indem er die Individualität auf die Epidemie und nicht auf den Patienten bezieht:

Bei Erforschung des Symptomen-Inbegriffs der epidemischen Seuchen und sporadischen Krankheiten, ist es sehr gleichgültig, ob schon ehedem etwas Aehnliches unter diesem oder jenem Namen in der Welt vorgekommen sei. Die Neuheit oder Besonderheit einer solchen Seuche macht keinen Unterschied weder in ihrer Untersuchung, noch Heilung, da der Arzt ohnehin das reine Bild jeder gegenwärtig herrschenden Krankheit als neu und unbekannt voraussetzen und es von Grunde aus für sich erforschen muß, wenn er ein ächter, gründlicher Heilkünstler sein will, der nie Vermuthung an die Stelle der Wahrnehmung setzen, nie einen, ihm zur Behandlung aufgetragenen Krankheitsfall weder ganz, noch zum Theile für bekannt annehmen darf, ohne ihn sorgfältig nach allen seinen Aeußerungen auszuspähen; und dieß hier um so mehr, da jede herrschende Seuche in vieler Hinsicht eine Erscheinung eigner Art ist und bei genauer Untersuchung sehr abweichend von allen ehemaligen, fälschlich mit gewissen Namen belegten Seuchen befunden wird; – wenn man die Epidemien von sich gleich bleibendem Ansteckungszunder, die Menschenpocken, die Masern u.s.w., ausnimmt. (Hahnemann, Organon, 5 Auflage, § 100)

Das ist schon ein rechter Eiertanz, möchte man sagen – dass er seine „individuellen Epidemien“ vom damals schon bekannten „Ansteckungszunder“ zu unterscheiden bemüht ist, macht es nicht besser – wirft aber einen bezeichnenden Blick darauf, mit welchem Kenntnisstand damals gearbeitet werden musste. Medizinhistorisch interessant, immerhin. Allerdings – hier würde sich ein wirklich logischer Ansatz dafür bieten, die Idee des Genius epidemicus zu verwerfen: nämlich deshalb, weil wir heute wissen, dass Epidemien sämtlich “Ansteckungszunder” sind…

In § 102 aaO kommt Hahnemann dann zur Sache und überträgt das für die Homöopathie doch konstituierende therapeutische Individualitätsprinzip schlanker Hand auf die Epidemie selbst:

Bei Niederschreibung der Symptome mehrer Fälle dieser Art wird das entworfene Krankheitsbild immer vollständiger, nicht größer und wortreicher, aber bezeichnender (charakteristischer), die Eigenthümlichkeit dieser Collectivkrankheit umfassender; die allgemeinen Zeichen (z. B. Appetitlosigkeit, Mangel an Schlaf u.s.w) erhalten ihre eignen und genauern Bestimmungen und auf der andern Seite treten die mehr ausgezeichneten, besondern, wenigstens in dieser Verbindung seltnern, nur wenigen Krankheiten eignen Symptome hervor und bilden das Charakteristische dieser Seuche. (Hahnemann, Organon, 5. Auflage, § 102)

Am interessantesten ist aber, dass der für Homöopathie online interviewte homöopathische Arzt seinerseits die ganze Sache mit dem Genius epidemicus praktisch verwirft:

Hinzu kommt bei der Betrachtung heutiger Patienten ein Ausmaß an individualisierten Lebensformen, dass allein schon deshalb die Suche nach einem Genius Epidemicus einen Widerspruch darstellen würde zu dem womöglich elementarsten aller Wesensmerkmal unserer Epoche: Eben dem der Individualisierung. 

Oha! Hier wird das Allerheiligste der Homöopathie, Hahnemanns Organon, bis heute niemals revidiert und Opus summum jedes Homöopathen, offen in Frage gestellt! Der Genius epidemicus wird als eine Art Verirrung Hahnemanns dargestellt, es sei doch ersichtlich so zu verfahren wie stets: homöopathische Anamnese anhand des individuellen Symptomenbündels! Dass dabei schon mal Covid mit einem grippalen Infekt in der Behandlung gleichgestellt wird, da die Symptomenbündel sich ähneln – geschenkt, das ist eben Homöopathie!

Nun haben wir aber keinen Anlass, diese Sensation als mehr zu betrachten als ein Narrativ innerhalb der homöopathischen Welt. Und da ist es immerhin bemerkenswert, dass sich das Interview frontal gegen eine Reihe von Homöopathen positioniert, die längst emsig dabei sind, dem Genius epidemicus nachzustellen, also die Suche nach “dem” Mittel betreiben, dass nicht dem individuellen Patienten, sondern der Pandemie angepasst ist.

Praktizierende Homöopathen, die auf ihren Webseiten mit unbestreitbarem Fleiß “Ergebnisse” der Suche nach dem genius epidemicus zusammentragen, werden sich sicher über dieses Statement freuen. Auch die österreichische Gesellschaft für homöopathische Medizin sogar schon über einen Katalog “wirksamer” Mittel verfügt, die aus der weltweiten Beobachtung des Genius epidemicus erwachsen sind … der allerdings mit anderen Angaben nicht so recht übereinstimmen will. Mal ganz abgesehen davon, dass die Sektion Bayern des nämlichen Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, der das hier besprochene Interview veröffentlicht, auf seiner eigenen Homepage vor nicht allzu langer Zeit schrieb, man harre darauf, dass “Daten über tatsächliche schwere Corona-Verläufe vorliegen, um ausreichend sicher einen Genius epidemicus im homöopathischen Sinne erkennen zu können“. Sic! Der Verfasser dieser Zeilen dürfte vermutlich auch nicht gerade ein Büropraktikant des DZVhÄ gewesen sein.

Die weiteren Ausführungen enthalten das (eigentlich nur auf das Verwerfen des Genius epidemicus bezogene) Zugeständnis, dass viele andere Faktoren für „Heilungen“, auch im Falle epidemischer Erkrankungen, maßgeblich sein können. Was für eine argumentative Rutschbahn. Denn wie will dann (wir kommen auf den Anfang zurück) die Homöopathie nachweisen, ob und welchen spezifischen Beitrag sie leisten kann? Antwort: Sie kann es nicht. Sie wird es nicht können. Sie konnte es nie. Gleichwohl stellt sie Behauptungen auf, die sie nur mit Rückgriff auf ihre Denkfehler, Irrtümer, Widersprüche und kognitiven Selbsttäuschungen wird wieder bemänteln können. Was, bitte, hat das alles mit solider, unvoreingenommener Wissenschaft zu tun?

Bitte – ist das an Selbstwidersprüchlichkeiten und verquerem Denken noch zu überbieten? Wenn man recht hinschaut, wird im Interview hier das Hahnemannsche Problem des individuellen Behandlungsansatzes mit dem Genius epidemicus durchaus erkannt – nur wird es einerseits verworfen und andererseits verteidigt. Das muss man erst einmal schaffen. Hahnemann hätte das wohl nicht gefallen, letztlich ist das ja eine ganz offene Infragestellung des “Organon”, wenn auch nur unter dem Druck der diesen Paragrafen schon seit Hahnemann innewohnenden Widersprüchlichkeit. Man sollte eben nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben wollen.

Im Grunde: die alte Leier

Und insofern bleibt zu konstatieren, dass dieser Vorstoß bei Homöopathie online, der – erwartbar – nach einer Phase öffentlicher Zurückhaltung wieder Relevanzanspruche erhebt, nicht mehr enthält, als den hier mit vielen Worten vorgetragenen Anspruch, als „Erfahrungsheilkunde“ Teil der Medizin sein zu wollen. Als „Erfahrungsheilkunde“, die ihre Selbstwidersprüchlichkeiten ungeniert vorführt, die die fehlende kritisch-rationale empirische Bestätigung ihrer “Erfahrungen” nicht schert, ohne die es nun mal seit Beginn des wissenschaftlichen Zeitalters nicht geht und die, was die Grundlagen ihrer Methode anbelangt, reinem Wunderglauben anhängt. Nämlich dem, dass Naturgesetze ausgerechnet für die Homöopathie eine Ausnahme machen würden. Wie sehr die Homöopathie außerhalb des Kontextes soliden wissenschaftlichen Vorgehens steht, kann kaum offensichtlicher demonstriert werden als hier von ihr selbst.

Ich hege die Hoffnung, dass die hierin liegende Anmaßung und die Entfernung von jeglichem konsistenten Denken, die die homöopathischen Ärzte mit dieser Veröffentlichung demonstrieren, dazu beitragen wird, beizeiten (wenn Corona nicht mehr allein im Fokus steht), die Entscheidungsträger ernsthaft zum Nachdenken darüber zu bewegen, ob so etwas innerhalb des öffentlichen Gesundheitssystems wirklich weiterhin einen geschützten Platz beanspruchen darf.

Es bleibt dabei: Homöopathie hat weder eine mit gesichertem Wissen vereinbare Grundlage noch war sie imstande (und die Chance hatte sie) einen belastbaren Nachweis nach wissenschaftlichen Kriterien für eine Wirkung über Kontexteffekte hinaus zu erbringen.


(1) Dr. Springer ist in der Homöopathie-Szene kein Unbekannter. Er praktiziert lange als Allgemeinarzt und Homöopath, ist in homöopathischen Interessenverbänden aktiv und erhielt 2012 vom bayerischen Gesundheitsminister das Bundesverdienstkreuz am Bande, ausdrücklich für seinen “Einsatz für die Homöopathie in Deutschland” (ich hoffe, zumindest das würde heute nicht mehr durchgehen). Ich erwähne das nur, weil ich Dr. Springer als Person hier gar nicht nähertreten will, was aber andererseits auch bedeutet, dass mich Argumente auf Autoritätsbasis nicht interessieren. Es geht um die Homöopathie und das, was diese Lehre hervorbringt.


*) Update, 25.05.2020: Einschübe zur Klarheit, ich danke dem Leser 2xhinschauen für die konstruktive Kritik!


Bisherige Beiträge zu Homöopathie und Corona auf diesem Blog:

Bodensatz der Verblendung – Homöopathie in Corona-Zeiten

Homöopathie wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus – sagt wer…?


Bildnachweis: Marion auf Pixabay

Homöopathie wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus! – sagt wer … ?

Dass es (inzwischen) allerorten Distanzierungen homöopathischer Vereinigungen von einer Behandlung (oder gar Prophylaxe) von Covid-19 mittels Homöopathie gibt, ist hinreichend bekannt. Dass es aber immer noch genug Verblendete gibt, die sich in ihrem Scheinwissen dem überlegen fühlen, wurde z.B. im letzten Blogbeitrag hier dokumentiert.

Belastbar …?

In diesem vorigen Beitrag habe ich schon erklärt, dass ich so etwas wie grundsätzliche Einsicht in den Distanzierungen durchaus nicht erkennen kann, die Wortwahl ist allzu verräterisch. Und dieser Illusion sollte man sich auch wahrlich nicht hingeben. Der Bundesverband Patienten für Homöopathie hat dankenswerterweise auf seiner Homepage entsprechende “relativierende” Statements zusammengetragen.

Wir wollen uns hier einmal eines dieser Statements anschauen, auch vor dem Hintergrund, dass bei Twitter bereits darüber geklagt wurde, dass die Homöopathiekritiker angesichts der aktuellen Krise keine Zeit / Lust / Möglichkeit hätten, “gegen Homöopathie zu hetzen”. Wirklich? Nun, wir wollen ja niemand enttäuschen!

Nehmen wir als, allerdings eindringliches, pars pro toto einmal die Ausführungen auf der Webseite des Landesverbandes Bayern des Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Dort äußert man sich wie folgt (nachdem man die nachfolgenden Ausführungen vorab als “keinen Stoff für Diskussionen in der Öffentlichkeit” qualifiziert hat):

“Diese Klarstellung bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir als homöopathische Ärzt*innen diese Pandemie nicht aufmerksamst verfolgen, eventuellen Patienten begleitende, homöopathische Behandlung anbieten, Therapieverläufe protokollieren, sammeln und untereinander austauschen sowie mit zurückliegenden Epidemien und historischen homöopathischen Behandlungsergebnissen vergleichen sollten. Das setzt aber zunächst voraus, dass ein medizinisch und homöopathisch hochkarätiges Expertengremium die fachlichen Grundlagen schafft und analysiert, welche der aktuell bereits auf dem „Markt der Möglichkeiten“ gehandelten Optionen tatsächlich plausibel und stringent nachvollziehbar sind oder wo unter Umständen noch Bedarf besteht für weitere „Hausaufgaben“. In diesem Zusammenhang sollten beispielsweise auch genügend Daten über tatsächliche schwere Corona-Verläufe vorliegen, um ausreichend sicher einen Genius epidemicus im homöopathischen Sinne erkennen zu können. Solche Bemühungen gibt es bereits, es handelt sich aber soweit erkennbar um Einzel-Meinungen. Auch die flächendeckende homöopathische Kompetenz in der Anwendung passender homöopathischer Arzneien wäre vielleicht erst noch zu prüfen.”

Einen genius epidemicus im homöopathischen Sinne! Lassen wir mal die Erheiterung des “Unverständigen” beiseite und fragen uns, was soll das denn sein? Das ist nichts anderes als der Versuch, ohne Arzneimittelprüfungen am Gesunden (komisch, ich bin sicher, dass die Leitsymptome einer SARS-CoV2-Infektion in irgendeinem Repertorium doch zu finden sein müssten…) über das Zusammentragen von Fallberichten herauszufinden, wo der “homöopathische Angriffspunkt”, der “Geist der Epidemie” liegen könnte. Und wann wäre das? Offenbar, wenn die Einzel-“Meinungen” sich zur Mehrheits-“Meinung” verdichten… Was die sozusagen zielgerichtete Anwendung des “post hoc ergo propter hoc”-Fehlschlusses erfordert, also dass aus einer “Heilung” zeitlich nach der Einnahme irgendeines Homöopathikums (unter Umgehung der Arzneimittelprüfung) auf die spezifische Wirksamkeit des Mittels geschlossen und es in Repertorien bzw. Materiae medicae aufgenommen wird.

Ich kann mir an dieser Stelle einfach nicht verkneifen, hierzu ein wenig abzuschweifen. Viele solcher “Ergebnisse” sind nur einmal und häufig unter geradezu grotesken Umständen aufgetreten und trotzdem in den Materiae medicae gelandet. Eines der Beispiele liefert uns Fritz Donner, der Chronist der Überprüfungen der Homöopathie durch das Reichsgesundheitsamt zwischen 1936 und 1939, als vorher überzeugter homöopathischer Arzt ein unverdächtiger Zeuge.
Donner berichtet die Geschichte der “Karriere” des gar nicht so unbekannten Mittels “Lac caninum” (Hundemilch), angeblich ein bewährtes Mittel u.a. gegen Diphterie. Und wie kam man darauf? Nach Donner geht dies zurück auf eine Amerikanerin, die ein paar Globuli Lac caninum CM (also eine Verdünnung von 1:1001.000  !)  eingenommen hatte, danach zwei Jahre an Delirium tremens litt (was wir nun nicht diesen Globuli zuschreiben wollen) und einmal während dieser Zeit leichte Halsschmerzen hatte, die von einem Arzt als Diphtherie diagnostiziert worden waren. Das reichte aus, um Lac caninum als homöopathisches Mittel gegen Diphterie einzustufen. Als weitere Beispiele kann man auch diejenigen Mittel ansehen, die höchst erstaunlicherweise als “allopathische” UND als homöopathische Mittel in gleicher Richtung wirksam sein sollen, das bekannteste dieser Beispiele ist sicher Arnica.

Und auf eine vergleichbare “Erkenntnis” (aka Mehrheitsmeinung) wartet man offenbar beim Zentralverein homöopathischer Ärzte, der – wie das nun mal bei Homöopathen so ist – Kausalität Kausalität sein lässt und dem notfalls nicht einmal eine Korrelation wichtig ist, kommt es nur zu irgendwelchen vordergründigen “Erfolgen”, die dann dem “genius epidemicus” zugeschrieben werden.

Einmal mehr ein Verstoß gegen konstituierende Teile von Hahnemanns Lehre, der die Arzneimittelprüfung als unabdingbar innerhalb seines Systems, als “Evaluierung” des Ähnlichkeitsprinzips für den Fall des einzelnen Mittels, postuliert hat.  Es gibt manche Variante der Homöopathie, die sich wenig bis nicht um das Gebot der Arzneimittelprüfung schert. Ist Derartiges aber nicht zu allerletzt zu erwarten von ärztlichen Homöopathen, die sich der Hahnemannschen Lehre und ihren zentralen Postulaten doch besonders verpflichtet sehen? Aber ich scheine mir da immer noch Illusionen über die Pragmatismusfähigkeit der Homöopathen zu machen.

Aber richtig interessant wird es erst mit dem darauffolgenden Schlussabsatz:

“Diese und ähnliche Überlegungen sind sicher kein Stoff für Diskussionen in der Öffentlichkeit, sondern sollten zunächst einem engeren Kreis kompetenter Kollegen*innen im Sinne der Konsensfindung vorbehalten sein. Sollte sich dann zeigen, dass Homöopathie womöglich auch bei schweren Fällen als „Super-Placebo“ wirkt und Leben retten kann, dann könnte man im nächsten Schritt auch darüber nachdenken, ob Corona tatsächlich einer Placebo-Therapie zugänglich sein könnte oder ob Homöopathie nicht doch „über den Placebo-Effekt hinaus“ Wirkung entfalten kann… .”

Nun, was soll ich da noch kommentieren? Wie anders als das komplette Zugeständnis, dass Homöopathie eben NICHT über den Placebo-Effekt hinaus wirkt, soll man den Satz verstehen “… ob Homöopathie nicht doch „über den Placebo-Effekt hinaus“ Wirkung entfalten kann… .”? (Ganz zu schweigen von dem Hinweis auf ein “Super-Placebo – das mag die Homöopathie durchaus sein – und der Abschweifung, “oder” ob Corona einer Placebo-Therapie zugänglich sein könne.) Und nein, das kann ich nicht als Ironisierung sehen. Drei Punkte nach einem Text dienen dazu, um etwas als Möglichkeit im Raum stehen zu lassen – eben die vorher getätigte Aussage, dass künftig vielleicht herauskommen könnte, dass Homöopathie über Placebo hinaus wirkt. Es hätte schon Anführungszeichen und eines Zwinkersmileys bedurft, mindestens, um dieser Aussage den Anstrich von Ironie oder Sarkasmus zu geben. Deshalb nehme ich sie so, wie sie dort steht, und bedanke mich für die Einsicht.


Bild von Mario Hofer auf Pixabay

Bodensatz der Verblendung – Homöopathie in Corona-Zeiten

In der gegenwärtigen Situation, geprägt vom Diskurs zu SARS-CoV19 / Covid-19, tun sich Abgründe der Pseudomedizin auf, die man angesichts der aktuellen Zurückhaltung führender homöopathischer Vereine und Verbände eigentlich nicht mehr erwartet hätte. Nachdem anfänglich haarsträubende Statements aus vielen Quellen die Runde machten, bei denen homöopathische Mittel zu Prophylaxe und Behandlung von Covid-19 “empfohlen” wurden, gab es eine Reihe von Kurskorrekturen. So wurde die frühere Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte, die in einer “Patientenmitteilung” zu Arsenicum album C30 gegen das Virus geraten hatte, von ihrem eigenen Verein komplett desavouiert, indem dieser kurz darauf mitteilte, dass eine homöopathische Behandlung oder Prävention dieser neuen Erkrankung nicht angezeigt sei.

Ähnliche Kehrtwenden kann man bei den Verlautbarungen des Verbandes klassischer Homöopathen Deutschlands – VKHD – (in dem vorwiegend homöopathisch tätige Heilpraktiker organisiert sind) beobachten. Ein aktuelles Statement spricht nunmehr davon, dass “auch die Homöopathie auf keine validen Daten verweisen [kann], die auf eine zuverlässig zu erzielende Heilung dieser Krankheit mit potenzierten Arzneimitteln hinweisen. Dass es in der Vergangenheit glaubwürdige Berichte über die erfolgreiche homöopathische Bekämpfung von epidemisch verlaufenden Krankheiten gab, ändert an der aktuellen Situation nichts.” Und o Wunder – die Deutsche Homöopathie Union (DHU) twittert dieses Statement sogar…

Ich liebe solche Formulierungen in ihrer stringenten Selbstentlarvung. Denn

  • erstens hat die Homöopathie zu rein gar nichts valide Daten vorzuweisen,
  • zweitens ist das “auch” in dem ersten Satz natürlich als Seitenhieb auf die “hilflose Schulmedizin” zu verstehen,
  • drittens wird gleich wieder eingeschränkt insofern, als es “glaubwürdige Fallberichte” über die homöopathische Bekämpfung von epidemisch verlaufenden Krankheiten gebe; damit sind z.B. Hahnemanns Erfolge bei der Leipziger Choleraepidemie 1813 gemeint, wo ohne Zweifel mehr homöopathisch “behandelte” Patienten überlebten, weil Hahnemann auf Hygiene achtete und den Patienten ausreichend zu trinken gab, während die damalige Mainstream-Medizin mit der Verweigerung von Trinken, der Gabe von Brech- und Abführmitteln und erbärmlichen hygienischen Verhältnissen ihren Patienten den Rest gab – nur hatte das mit einer spezifischen Wirkung der Homöopathie nichts zu tun (mehr zu Homöopathie und Epidemien hier),
  • was “durch die Blume” nichts anderes heißen soll, als dass man das Potenzial von Homöopathie in Bezug auf Covid-19 eben “noch nicht” entdeckt habe – das gleiche hilflose Narrativ, das auch immer für die Homöopathie im Großen vorgebracht wird.

Der Versuch, schlüssig zu erklären, dass eine Methode ohne Wirksamkeitsnachweis für eine bestimmte Anwendung über keinen Wirkungsnachweis verfügt, ist schon ein wenig halsbrecherisch. Man muss dann nur richtig lesen. Immerhin scheuen die genannten Vereinigungen sichtlich davor zurück, sich Ärger einzuhandeln und / oder sich ordentlich zu blamieren. Immerhin. Eine gewisse Anerkennung dafür sei ihnen nicht versagt.

Das heißt aber noch lange nicht, dass nicht genug Selbstberufene bar jeglicher Einsicht weiterhin das Informationsuniversum bevölkern, um das, was sie als “Naturheilmethoden” zu bezeichnen pflegen (einschließlich Homöopathie natürlich) propagieren. Nun, wir sind ein freies Land und niemand kann sie daran hindern. Auch wenn es wehtut zu sehen, wie Menschen auf diese Art und Weise einmal mehr mit dem Narrativ des Sanften und Natürlichen in eine antiwissenschaftliche Haltung gelockt und dazu noch mit dem schönen Schein der autonomen Patientenentscheidung verführt werden. Zumal in Zeiten ohnehin großer Verunsicherung.


Soweit ich das sehe, ist Spitzenreiter in dieser Liga wohl der derzeit (vom 19. bis zum 23.03.2020) laufende “Corona Virus Congress – Der homöopathisch gesunde Umgang mit Krankheiten der heutigen Zeit“ (Webseite inzwischen erloschen / überschrieben), eine Online-Veranstaltung, zu dem man sich zu dem Zweck anmelden kann, täglich mit sogenanntem Infomaterial aus “Expertenhand”, nämlich mit online abrufbaren Interviews der versammelten Expertenschaft, versorgt zu werden (dauerhafter Zugriff ist gegen einen gewissen Obulus möglich). Dabei darf man sich darauf freuen, “eine Medizinwende zu unterstützen, in der die Allopathie und die Komplementärmedizin ihren Platz nebeneinander finden dürfen – zum Wohle der Menschheit und unseres Planeten”. (Kleiner gings wohl nicht. Und zum x-ten Male: Allopathie existiert nicht mehr, das war die Bezeichnung für die “konventionelle” Medizin zu Hahnemanns Zeiten, die völlig anders charakterisiert war als die heutige wissenschaftliche Medizin. Und was bitte ist Komplementärmedizin – eine ewige Frage?)

Dort versammelt sich eine illustre Gesellschaft von Vertretern der homöopathischen Glaubensrichtung. Bekannte wie auch Unbekanntere. So mancher Bewohner des Psiram-Universums findet sich dort (Wolfgang Scheel, das Ehepaar Michaela Dane und Miguel Corty Friedrich, bekannt durch ihre “Heptopathie” , Rosina SonnenschmidtJeremy SherrRavi Roy und Carola Lage-Roy und der omnipräsente Rolf Kron). Manch künftiger Anwärter auf einen Psiram-Eintrag dürfte unter den restlichen Experten sein. Eine gewisse Krönung erfährt der “Online Kongress” zudem durch Prof. Dr. E.S. Rajendran, zu dem uns die Kongress-Webseite mitteilt:

“Sensation, endlich lassen sich die Inhaltsstoffe in sämtlichen Homöopathieschen Mitteln nachweisen. Prof. Rajendran, der bekannte Lehrer, Praktiker und Wissbegieriger Forscher, hat sich über die wahre Natur der homöopathischen Potenzen erkundigt und der Welt die Wahrheit der Homöopathie offenbart.” (Orthografie wie im Original)

Hm. Ich beschäftige mich wirklich reichlich mit der Homöopathie, mir ist aber dergleichen bislang nicht untergekommen. Besonders würde mich interessieren, wo der Herr Professor Doktor sich denn über die wahre Natur der homöopathischen Potenzen erkundigt hat? Also ehrlich, das bewegt mich jetzt schon sehr! Ob er einen Blick in die Akasha-Chronik erhascht hat … ?

Aber Sarkasmus beiseite – natürlich weiß ich, was mit dieser verschwurbelten Mitteilung über die Verdienste von Prof. Rajendran gemeint ist: Er gehört zu den “High Dilution-Forschern”, unter diesen zu der besonderen Spezies, die glauben, die Wirksamkeit von homöopathischen Hochpotenzen durch den Nachweis von Nanopartikeln in diesen Dilutionen erbracht zu haben. Mehr zum Nanopartikel-Irrweg gibt es hier und hier.

Homöopathie ist das beherrschende Thema des “Kongresses”, sie bildet allerdings in der Gesamtschau mit allerlei anderen Methoden aus dem pseudomedizinischen Universum ein eklektizistisches Kaleidoskop, das Hahnemann vermutlich die Zornesröte ins Antlitz getrieben hätte. Von Alchemie über Spagyrik, fernöstlichen Einschlägen und Ernährungsmythen bis eben zur High Dilution-Forschung findet man alles Mögliche und Unmögliche. Woher und wohin der Wind weht, zeigt sich zudem am Themenspektrum:

  • Epidemien aus epigenetischer Sicht (Naja, fängt eben beides mit “epi” an…)
  • Wie die indische Gesundheitspolitik mit dem Coronavirus umgeht? (Spoiler zum Link: Das unsägliche AYUSH-Ministerium ist nicht “die indische Gesundheitspolitik)
  • Was wir tun können, um uns nicht von der Hysterie (!) und von anderen Menschen anzustecken?
  • Die wichtigsten homöopathischen Arzneien, die bei einer Corona-Ansteckung helfen können (siehe Einleitung – der Verblendungs-Indikator schlechthin)
  • Die homöopathische Grippeprophylaxe (es gibt keine homöopathische Prophylaxe – auch nicht für “Grippe” – vermutlich mal wieder keine Differenzierung zwischen Influenza und grippalem Infekt)
  • Die 10 wichtigsten homöopathischen Grippe(?)mittel (samt und sonders ohne jeden belegbaren Wirkungsnachweis)
  • Ansteckungskrankheiten aus “ganzheitlicher” Sicht (Buzzword, das nicht fehlen darf)
  • Der Sinn von Epidemien (Oha – hier dürfte die Anthroposophie und / oder andere Esoterik hereinspielen)
  • Der (sic!) Coronavirus als Entwicklungschance? (wie vor, kein Zweifel)
  • Naturheilkundliche Ergänzungsmöglichkeiten (sehr pauschal, aber geben wir dem mal Kredit)
  • Orthomolekulare Medizin als Stärkung des Immunsystems (OM – “a parody of nutritional science”)
  • Was schwächt unser Immunsystem? (zum Beispiel das Durchmachen von unbehandelten (= homöopathisch behandelten) und nicht durch Impfung verhinderten Infektionskrankheiten)
  • Stärkende Lebensmittel und Pflanzen für ein kraftvolles Immunsystem (Schön wärs) 
  • Banerji Methoden zur viralen Behandlung (auch das noch…)
  • Paracelsus Methoden für die Prävention von Atemwegserkrankungen (Paracelsus war der große Medizinreformer der Renaissance, der mit der seit der Antike angewendeten Vier-Säfte-Lehre (Galen) ins Gericht ging – was seine eigenen vorwissenschaftlichen Methoden und Mittel nicht richtiger macht).

Die Fragen genügen, auf die Antworten der Kongressexperten können wir wohl verzichten.

Wir sehen hier eine illustre Versammlung von Homöopathen jeglicher Couleur, die nicht einmal von den offiziellen Stellungnahmen des Zentralvereins homöopathischer Ärzte und des Verbandes klassischer Homöopathen zu SARS-CoV19 beeindruckt ist und aus dem aktuellen Anlass gleich die Bandbreite auf die gesamte Virologie und Epidemiologie ausweitet. Das gibt schon wieder einmal zu denken.


Viele der hier Versammelten sind Heilpraktiker. Die Behandlung von Infektionskrankheiten ist ihnen verboten (worauf der VKHD in seinem oben verlinkten Statement nachdrücklich hinweist). Es sei die Frage erlaubt, ob ihnen damit Ratschläge zu Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten nicht auch untersagt sein müssten? Nicht nur in diesem Fall stößt man immer wieder auf Webseiten und vor allem Vortragsveranstaltungen von Heilpraktikern, die sich mit Infektionskrankheiten befassen. Kürzlich habe ich versucht, in einem solchen Fall zu intervenieren (es handelte sich um einen auf der Webseite einer Gemeinde angekündigten Heilpraktiker-Vortrag für Familien zum Thema Borreliose, offenbar ein Lieblingsthema der Zunft – irgendeine Antwort habe ich nicht bekommen.)

Es schmerzt, auf der einen Seite (bedingungslos) für die Meinungsfreiheit einzutreten und auf der anderen Seite zu realisieren, dass man gegen einen solchen Irrsinn wie beispielsweise diesen “Online Corona Kongress” nicht wirklich etwas unternehmen kann. Es bleibt die Aufklärung – die hat aber offensichtlich nach wie vor im pseudomedizinischen Paralleluniversum einen schweren Stand… Ja, die Meinungsfreiheit. Sie wird zum Problem, geht es in die Richtung, dass durch ihre Inanspruchnahme Schäden bei anderen Menschen provoziert werden.

Manchmal bin ich schon einigermaßen verzweifelt, nach Jahren der Pseudomedizinkritik mit dem Schwerpunkt Homöopathie. Deshalb ist – man möge mir verzeihen – dieser Beitrag wieder mal zu einem Rant geronnen. Ein Ausweg? Ich würde mir endlich, endlich wünschen, dass die medizinische Gemeinschaft nicht mehr nur müde und desinteressiert abwinkt, wenn von Homöopathie und Co. die Rede ist, sie womöglich auf wirtschaftlichen Druck hin in der Praxis oder der Klinik sogar noch einführt. Natürlich ist die Homöopathie wissenschaftlich erledigt, das muss aber mit der Autorität der medizinischen Szene auch einmal deutlich verlautbart werden! Ich würde mir wünschen, dass – ähnlich wie dies in Frankreich vor wenig mehr als zwei Jahren geschehen ist – sich die praktische wie die forschende Medizin endlich einmal zu Wort meldet und der Öffentlichkeit unmissverständlich klarmacht, wo die Grenze zur Pseudomedizin liegt. Bitte, liebe Mediziner, liebe Fachgesellschaften, liebe AWMF, liebe Ärztekammern, macht das zuerst für die Homöopathie. Denn sie ist nicht nur das “Zugpferd” der Pseudomedizin, das oft in noch schlimmere Untiefen führt, sondern die Sachlage ist selten klar: es gibt bei der Homöopathie keine Grauzone – sie ist jeden Beweis für eine spezifische Wirksamkeit schuldig geblieben. Beherzigt endlich einmal das Statement des EuroScience Open Forum (ESOF) aus dem Jahre 2018, das mit wünschenswerter Deutlichkeit verlautbarte:

“Homöopathie ist die absurdeste von allen alternativen Methoden der Medizin”.


PS – Darf man verblüfft sein, unter den “Partnern” des Online-Kongresses ausgerechnet den oben vorsichtig lobend erwähnten Verband klassischer Homöopathen Deutschlands zu finden? Wie das, angesichts des eingangs angeführten Statements zu SARS-CoV19? Kognitive Dissonanz scheint eine Voraussetzung für die Ausübung der Homöopathie zu sein…  

UPDATE: Der VKHD twitterte am 20.03.2020 um 11.06 Uhr: “Unser Logo wurde in diesem Fall ohne unser Einverständnis und offenbar aufgrund einer Nachlässigkeit verwendet und nach unserer Intervention mittlerweile (genauer: heute vormittag) entfernt.” 

Weniger verblüfft bin ich, unter den Partnern auch den nicht unbekannten Bundesverband Patienten für Homöopathie vorzufinden, der sich mit Kritik an den Homöopathiekritikern (ich sage es mal nett) seit einiger Zeit ebenso hervortut wie mit intensiver politischer Lobbytätigkeit. (Soweit mir bekannt ist, hat der BPH sich bislang nicht zu dieser “Partnerschaft” geäußert. Ggf. folgt natürlich auch hier ein Update.)

UPDATE: Ach so, und die Homöopathen ohne (jede) (Scham)Grenzen, die präsentieren sich natürlich auch als “Partner” der Veranstaltung. Ganz vergessen…
Und damit es nicht so leer aussieht, setzt der Veranstalter auch noch Unterdomains seiner eigenen Website als “Partner” ein, die nur einen 404-Error erzeugen. Versucht mal, unter https://unitedtoheal.com/www.gluecksknirpse.de oder über den “Glücksknirpse”-Link auf der Veranstalterseite ganz unten (Links erloschen bzw. überschrieben).

Hier übrigens erfahren wir mehr zum Veranstalter der ganzen Sache. Ich bin nicht geneigt, ihm seine auf der Seite zum Ausdruck kommende empathische Einstellung abzusprechen. Vielmehr bedauere ich, dass jemand mit solchem Potenzial und solcher Zielstrebigkeit ausgerechnet auf den Pfad sinnbefreiter Pseudomedizin geraten ist.


Bild von ΓΙΑΝΝΗΣ ΚΟΡΕΝΤΖΕΛΟΣ auf Pixabay

Immer langsam, Securvita!

Irgendwas stimmt hier doch nicht …

Die Securvita, eine „alternativen“ Methoden eher zugeneigte GKV-Kasse, echauffiert sich in einer Veröffentlichung [1] namens „Karriere einer Falschmeldung: Wie eine fehlerhaft interpretierte Studie der Charitè von Gegnern der Homöopathie in Politik und Medien missbraucht wird“ über – ja über was eigentlich? Darüber, dass „Homöopathie-Gegner hier – aus Absicht oder Unkenntnis – offensichtlich ein Problem mit der wissenschaftlich sauberen Faktenlage [haben].“ Was Wunder, dass dies von einschlägigen homöopathischen Verbänden, voran die Stiftung Natur und Medizin, u.a. in den Sozialen Medien aufgegriffen wird.

Naja. Was sind hier „Homöopathie-Gegner“? Etwas pauschal, finde ich. Rekurriert wird auf Papiere aus dem politischen Raum. Jedenfalls kann doch wohl nicht mit den „Homöopathie-Gegnern“ die wissenschaftlich orientierte Homöopathiekritik gemeint sein kann, wie sie vom Informationsnetzwerk Homöopathie vertreten wird. Denn diese hat niemals den von der Securvita einigermaßen vehement beanstandeten (durchaus nicht zutreffenden) Schluss aus der „Studie der Charité“ gezogen, Homöopathie sei „teurer“ oder „zu teuer“ und sie müsse deshalb aus dem Leistungskatalog der GKV eliminiert werden. Natürlich handelt es sich bei der „Studie der Charité“ um die vielzitierten Arbeiten von Ostermann J, Witt C et al. aus den Jahren 2015 und 2017, die aufgrund von Daten der Techniker Krankenkasse die Kostenverläufe homöopathieaffiner und nicht homöopathieaffiner Patientengruppen verglichen. [2] [3]

Dass die von der Securvita beanstandete Schlussfolgerung aus diesen Arbeiten nicht zum Argumentationsrepertoire des INH gehört, lässt sich leicht belegen.

Beispielsweise mit einem Schreiben des INH an die Techniker Krankenkasse, in dem es heißt:

„… sondern suchen vielmehr, Ihre Ertragsposition durch das Einwerben „günstiger Risiken“ zu verbessern. Was sich, wenn man einer entsprechenden Untersuchung unter Ihren Mitgliedern glaubt, als Trugschluss erwiesen hat“.

Worauf wird abgehoben? Auf „Homöopathie ist zu teuer?“ Ersichtlich nicht, sondern auf eine Einschätzung der unternehmerischen Gesamtprognose des „Einwerbens“ gut zahlender und gleichzeitig „gesundheitsbewusster“ Mitglieder, auf die “Ertragsposition”.

Ein Informationsbeitrag des INH zu den Ostermann-Witt-Studien [4] führt – unter dem im Grunde schon abschließend klarstellenden Titel „Nichts ist immer zu teuer“ – in gleichem Tenor aus:

„Die homöopathieaffine Gruppe, die Hälfte der Gesamtstudienteilnehmer, verursachte also über 18 Monate rund 1.350 Euro pro Kopf Mehrkosten gegenüber den Patienten der Gruppe ohne Inanspruchnahme von Homöopathie.“
„Natürlich sind mögliche Ursachen hierfür über eine gewisse Bandbreite hinweg denkbar. Es ist aber zu berücksichtigen, dass durchweg die Krankenkassen mit ihren Satzungsleistungen eine jüngere, gesündere Klientel ansprechen wollen und sich natürlich von dieser Gruppe auch durchweg niedrigere Aufwendungen versprechen. Dies scheint offensichtlich nicht zu funktionieren.“

Wo steht hier oder ist herauszulesen, dass Homöopathie „teurer“ oder „zu teuer“ sei und deshalb zu streichen sei?

Weiter geht es in aller Deutlichkeit mit einem Schreiben des INH an die Siemens BKK vom 8. Januar 2018 [5], als Antwort darauf, dass deren Vorstandsvorsitzender seinerseits die Erstattungsdiskussion mit dem „Peanuts“-Argument beenden wollte:

„Es sollte genügen, darauf zu verweisen, dass die Herausnahme der Homöopathie aus dem britischen öffentlichen Gesundheitssystem mit dem ausdrücklichen Statement des NHS (National Health Service) verbunden war, es gehe -nicht einmal nachrangig- um eine Kostenersparnis, sondern vielmehr um „fehlende klinische Wirksamkeit“ und die daraus folgende „geringe Kosteneffektivität“, also um das nicht vorhandene Aufwand-Nutzen-Verhältnis. Denn: Nichts ist immer zu teuer. Aus den Stellungnahmen der übrigen staatlichen Stellen, die im Jahre 2017 die Homöopathie aus ihren Gesundheitssystemen entfernt haben (Australien und Russland) ist uns auch nicht bekannt, dass die Kosten eine Rolle, geschweige denn eine entscheidende, gespielt haben, ebensowenig wie beim oben zitierten Statement des Wissenschaftlichen Beirats der Europäischen Wissenschaftsakademien (EASAC).  […]
Jeder Euro an Beitragsgeldern verlangt unter dem Aspekt der Redlichkeit gegenüber den Mitgliedern Sorgfalt bei der Verwendung. … Aber dies betrifft nicht unser Kernanliegen.

Auch der Offene Brief des INH an Minister Spahn zu seinem Homöopathie-Statement vom September 2019 [6] behandelt den Kostenaspekt nur als einen von vielen Punkten – mit der – die bisherige Position nur nochmals bestätigenden – Aussage:

„Nach den Untersuchungen von Witt/Ostermann verursachen homöopathieaffine Patienten bei der Krankenversicherung durchweg höhere Kosten.“

Homöopathie „zu teuer“? Kein Wort.

Unmissverständlicher kann die Position der Homöopathiekritik kaum dargestellt werden. Nichts davon scheint die Securvita zur Kenntnis genommen zu haben, wenn sie sich darin gefällt, pauschal „den Homöopathiegegnern“ zu unterstellen, diese argumentierten mit einem „zu teuer“ und fehlinterpretierten damit Ostermann/Witt et al. .


Der Kostenaspekt, wie auch immer betrachtet, spielt für die Homöopathiekritik bei der Frage, ob man einer ohnehin schon fehlinformierten Patientenschaft eine Methode wie die Homöopathie auch noch als erstattungsfähig seitens der gesetzlichen Krankenkassen präsentieren soll, ersichtlich kaum eine Rolle. Die Befassung der Homöopathiekritik mit diesem Aspekt wurde durch die damals beteiligten GKV-Kassen selbst ausgelöst, die ihrerseits – wie Minister Spahn heute – mit dem Scheinargument der marginalen Kosten auftraten, um die Debatte zu beenden. Zu keinem Zeitpunkt wurde aufgrund der Ostermann-Witt-Studien von der wissenschaftlichen Homöopathiekritik die Schlussfolgerung gezogen, Homöopathie habe deshalb keinen Platz in der GKV, weil sie „zu teuer“ sei.

Und – die Securvita mag es wahrscheinlich kaum glauben – die Kritiker wissen sehr wohl, dass die Mehrkosten laut Studie nicht durch Kosten “für Homöopathie” ausgelöst wurden – das kann man nämlich in den Arbeiten nachlesen. Sie sind vielmehr auf überdurchschnittliche Kosten infolge von Krankschreibungen zurückzuführen. Was die Grundannahme der „Werbung“ mit Homöopathie bei den Kassen, man werbe junge, gesunde und gutverdienende Mitglieder ein, zumindest in einem Aspekt mit einem Fragezeichen versieht.

Die Kassen gehen davon aus, dass selbst bei Inanspruchnahme von Homöopathie und damit entstehenden Mehrkosten die gesundheitsbewusste und eben homöopathieaffine Klientel, die zudem mit “gutsituiert” assoziiert wird, Beiträge zahlt, die sich an der Obergrenze der Beitragsbemessungsgrenze orientieren. Hiervon erwartet man offenbar insgesamt einen Positivsaldo auf der Einnahmeseite (“Verbesserung der Ertragssituation”). Zum einen ist dies eine auf längere Zeiträume gerichtete Spekulation, die weder belegt noch widerlegt ist – auch nicht durch das Ostermann-Witt-Papier und erst recht nicht durch die Ausführungen der Securvita. Die Spekulation richtet sich offenbar darauf, dass das Gesundheitsbewusstsein dieser Gruppe sich auch darin niederschlagen wird, dass sie insgesamt (evtl. trotz zusätzlicher Homöopathie) jedenfalls nicht wesentlich mehr GKV-Leistungen als der Durchschnitt der Versicherten in Anspruch nehmen werde. Wenn Ostermann-Witt einen Schluss nahelegen, dann den, dass eine solche Spekulation sehr gewagt ist und es Variablen in der Gleichung gibt, die man am Anfang nicht bedacht hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


Als letzter Beleg dafür, dass das Statement der Securvita an der Position der Homöopathiekritik vorbeigeht, soll der Beitrag von Dr. Natalie Grams und Dr. Christian Lübbers „Warum Homöopathie keine Leistung der solidarisch finanzierten Krankenkassen sein sollte“ [7] angeführt werden. Diese Arbeit begründet umfangreich aus medizinwissenschaftlicher und gesundheitspolitischer Sicht, dass und warum die Erstattung von Homöopathie durch gesetzliche Krankenkassen eine unvertretbare Fehlleistung ist, die die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung schwächt, das Vertrauen in die wissenschaftsbasierte Medizin untergräbt und mit der Aufgabe der Krankenkassen unvereinbar ist, eben diese Gesundheitskompetenz der Patientenschaft zu stärken. Der Kostenaspekt findet sich lediglich am Rande in den Schlussbemerkungen, und zwar mit einem Tenor, der wiederum das glatte Gegenteil dessen darstellt, was die  Securvita bei den „Homöopathiegegnern“ konstatieren will.

Die Krankenkassen gehen davon aus, ihnen werde ein ökonomischer Vorteil zuwachsen, wenn es ihnen gelingt, mit dem Angebot von Homöopathieerstattungen eine junge, möglichst gesunde und zudem gesundheitsbewusste Klientel zu binden. Das mag immerhin noch ein rationaler Ansatz sein, der allerdings eher zu einem Handelsunternehmen als zu einer Krankenkasse eines Solidarsystems passen dürfte. Jedoch ist längst mit hinreichender Sicherheit klar, dass diese Rechnung letztlich nicht aufgeht. Nach fundierten Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse verursachen Homöopathie-Patient*innen bei der GKV durchweg höhere Kosten als eine nicht auf Homöopathie setzende Vergleichsgruppe.

Auch hier wird nicht auf „Homöopathie ist teurer / zu teuer“, sondern genau auf die Einschätzung abgehoben, „unter dem Strich“ würde eine so agierende Kasse einen „Wettbewerbsvorteil“ erlangen – und zudem auf das Deplatzierte einer solchen Überlegung bei einer Kasse des solidarischen GKV-Systems hingewiesen. Das Fazit der Arbeit verdeutlicht dies in aller Klarheit:

Das deutsche öffentliche Gesundheitssystem ist kein Markt. Es wurde als Solidarsystem konzipiert, das alle nach ihrer Leistungsfähigkeit be- und nach ihrer Bedürftigkeit entlastet. Es ist eine falsche und abwegige Vorstellung, Homöopathie als eine Methode ohne jeglichen validen Wirkungsnachweis aus diesem System heraus zu finanzieren, etwa weil ein Teil der Versicherten es so wünscht und Krankenkassen sich davon Wettbewerbsvorteile erhoffen. Der im Gesamtrahmen geringe Betrag für Homöopathie spielt angesichts der anderen beherrschenden Aspekte keine entscheidungsrelevante Rolle.
Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht für das Prinzip eines Wettbewerbs zwischen den Leistungsträgern gedacht. Der Fokus auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des öffentlichen Gesundheitswesens verstellt allzu oft den Blick darauf, dass Patientenwohl und Patientenschutz die primären Ziele sind. Diese Aspekte zugunsten einer reinem Wettbewerbsdenken geschuldeten Maßnahme hintenan zu stellen, die zudem nicht einmal ökonomisch sinnvoll scheint, (
Anm. UE: das heißt nicht „zu teuer“) kann nicht Gegenstand nachhaltiger Gesundheitspolitik sein. Solche Schräglagen, bedingt durch Denken in Kategorien wie Kommerz, Privatisierung, Gewinnmaximierung oder auch Wettbewerb (Maibach-Nagel 2019) gefährden das System im Kern, beeinträchtigen die Gesundheit und kosten im schlimmsten Fall Menschenleben.”


Offenbar gerät tatsächlich in manchen Chefetagen von GKV-Kassen in Vergessenheit, dass man – bei aller Eigenständigkeit – Teil eines gemeinsamen Solidarsystems ist. Einst verlautbarte im Rahmen der Homöopathiedebatte die Chefin einer nicht ganz kleinen Kasse, wenn die Versicherten es wünschten, würde sie auch eine Schokolade pro Tag bezahlen Leider kein Scherz – sondern eine Selbstvergessenheit sondergleichen..

Anderen Kassen durch gezieltes Anwerben gutverdienender Klientel mittels Leistungen, die aus einer Reihe von Sachgründen nicht in ein Solidarsystem gehören, das Wasser abzugraben, kann ohnehin eigentlich nur als eine Form der Kannibalisierung des Systems betrachtet werden. Lässt der Gesetzgeber so etwas zu, betritt er schwankendes Terrain und sollte sich deshalb vor der Falle massiver Fehlanreize hüten – ich überlasse es dem Leser, zu beurteilen, ob dies beim Satzungsleistungskatalog 2012 (3. GKV-Versorgungsstrukturgesetz) wohl der Fall war. Hinzu kommt, dass bei der Vielzahl der Kassen, die Homöopathie als ein solches „Werbemittel“ einsetzen, sich jeder Effekt eines „Wettbewerbsvorteils“ längst totgelaufen haben dürfte. Und – nicht zu vergessen – der Beitragspool der Kassen über den Risikostrukturausgleich ohnehin wieder teilweise nivelliert wird.

Man kann mit guten Gründen Verständnis dafür haben, dass die Politik den Weg zu einer Einheitskasse nicht in Erwägung zieht, wenn auch angesichts des grundsätzlich gleichen Leistungsspektrums Unterschiede (der “Wettbewerb”) nur über künstliche Eingriffe (wie das Spektrum der Satzungsleistungen) erreicht werden können. Andere Modelle sind denkbar, z.B: wie in England (NHS) oder in Österreich (Allgemeine Versicherung), wo das System zentral gesteuert wird, aber Regionalorganisationen innerhalb eines fixen Rahmens durchaus flexibel agieren können. Als Wettbewerbsmittel aber unwirksame, der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung abträgliche Mittel und Methoden zuzulassen, geht zu weit. Prof. Dr. Tina Salomon, Gesundheitsökonomin aus Bremen, schreibt beim INH dazu:

„Das Leistungsniveau in Deutschland ist sehr hoch, trotzdem gibt es aber zwischen den Regelleistungen auf der einen Seite und den nachgewiesen unwirksamen Maßnahmen auf der anderen eine Zone, in der mit Satzungsleistungen und Wahltarifen noch Gesundheits- und Lebensqualitätszugewinne zu realisieren sind und die deshalb für die Differenzierung der Krankenkassen sehr viel besser geeignet sind als die Homöopathie. In diese Zone fallen viele verhaltenspräventive Maßnahmen und damit auch der immer stärker werdende Bereich Digital Health.“ [8]


Es gibt demnach keinen Grund, sich als Vertreter der wissenschaftlich orientierten Homöopathiekritiker von der Securvita angesprochen zu fühlen. Gleichwohl – hony soit qui mal y pense, will sagen: Was bezweckt die Securvita mit diesem Rundumschlag, der sehr auffällig ein Detail der Debatte zum Inhalt massiver Bezichtigungen “der Homöopathiegegner” hochspielt? Worum handelt es sich eigentlich bei der Eloge der Securvita, der ja inhaltlich die Berechtigung nicht gänzlich abgesprochen werden kann, insofern, als ja wirklich Ostermann-Witt et al. keine “teurere Homöopathie” belegen und das offensichtlich auch nicht Ziel der beiden Arbeiten war? Ist es ein Versuch, von den wissenschaftlichen, gesundheitspolitischen und medizinethischen Kernpunkten der fundierten Homöopathiekritik abzulenken? Oder ein Versuch, „die Homöopathiegegner“ pauschal in ein schlechtes Licht zu rücken?

Ich weiß es nicht. Eine wirkliche Befassung mit den Positionen und Argumenten der wissenschaftlich fundierten Homöopathiekritik wäre der Securvita anzuraten. Dann würde man möglicherweise nicht – aus Absicht oder Unkenntnis – zu einem pauschalen Rundumschlag gegen „die Homöopathiegegner“ ausholen, wenn man glaubt, zur Debatte beitragen zu müssen. Bei der Gelegenheit könnte man sich auch gleich einmal mit der “wissenschaftlich sauberen Faktenlage” zur Wirksamkeit der Homöopathie befassen. Dann wären auch Hinweise auf das anthroposophische “Gutachten” für die Beratung bei Bündnis 90/Die Grünen obsolet, von dem die Securvita meint, es in einem Infokasten auch noch besonders herausstellen zu müssen. [9]


[1] https://www.securvita.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/auszuege_SECURVITAL/securvital_0120_WEB_24-25.pdf?fbclid=IwAR3srR9-wR_M-w20Ra4W0WPTto3No5jUxjGSG4HuLlSk0McRqh6wzIFKogk

[2] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26230412

[3] http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0182897

[4] https://netzwerk-homoeopathie.info/zur-neuen-homoeopathie-kostenstudie-nichts-ist-immer-zu-teuer/

[5] https://netzwerk-homoeopathie.info/offener-brief-an-die-siemens-bkk-zu-deren-veroeffentlichung-hintergrundinformation-homoeopathie/

[6] https://netzwerk-homoeopathie.info/offener-brief-an-gesundheitsminister-spahn-zur-fortgeltung-der-erstattung-von-homoeopathie-in-der-gkv/

[7] WISO direkt ; 2019,19), Electronic ed.: Bonn: FES, 2019, ISBN 978-3-96250-422-9 – http://library.fes.de/pdf-files/wiso/15715.pdf

[8] https://netzwerk-homoeopathie.info/von-wegen-so-okay-herr-spahn-ein-gastbeitrag-von-pharmaoekonomin-prof-dr-tina-salomon/

[9] https://netzwerk-homoeopathie.info/stellungnahme-des-inh-zum-wissenschaftlichen-gutachten-betr-homoeopathie-antrag-bei-buendnis90-die-gruenen/


Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

Tödlich!

Roter Fingerhut. Das Bienchen weiß Bescheid.

Vor kurzem veröffentlichte Werner Bartens, unermüdlicher Kritiker von Schwachstellen im Gesundheitssystem (nicht nur der Pseudomedizin), einen kritischen Beitrag zum “20 Mio. Euro-Statement” von Minister Spahn in der Süddeutschen Zeitung.

Dies nun hat jetzt eine Beschwerde beim Presserat zur Folge, von seiten der homöopathischen Fraktion, einer auch in diesem Blog schon erwähnten Vereinigung, die mit dem Anspruch einer “Patientenvertretung” auftritt. Was dazu zu sagen ist, hat Joseph Kuhn beim Gesundheits-Check bereits gesagt. (Nachtrag: Natürlich hat der Presserat die Beschwerde als unbegründet verworfen.)

Geschenkt also. Jedoch werfen auch wir noch einen Blick auf die Causa. Es ist einfach zu schön …

Bartens’ Aussage, Homöopathie habe keine Wirkung (selbstverständlich ist eine spezifische medizinische Wirkung gemeint) wird mit dem Argument angegriffen, Homöopathie habe sehr wohl eine Wirkung – sie sei nämlich durchaus geeignet, im Falle der “richtigen” Ursubstanzen und bei ordentlicher Überdosierung / längerer Einnahme toxische Wirkungen hervorzurufen. Als Replik, gar Widerlegung von Bartens’ Statement zur Wirksamkeit hat das etwa die Aussagekraft des Satzes, dass es nachts kälter sei als draußen und dass dies der Grund dafür sei, warum Häuser draußen stehen. Und natürlich schon etwas – Lächerliches.

Da sind wir doch wirklich mal wieder sprachlos. Würde es sich nicht um den Inhalt einer Pressebeschwerde handeln, wäre das wohl nur als Realsatire korrekt einzustufen.

Wir ziehen einmal den logischen Schluss aus dieser Gedankenakrobatik: Alles, was geeignet ist, in ausreichender Dosis Schaden anzurichten, ist also Medizin, weil es eine “Wirkung” hat. Und damit soll eine “Wirkung” der Homöopathie im medizinischen Sinne herbeigedeutet werden. (Oder doch nicht? Dann brechen wir hier nicht nur ab, sondern in befreiendes Gelächter aus.) Abgesehen davon, dass dies angesichts des unbezweifelbaren Umstandes, dass Bartens eine spezifische arzneiliche Wirkung gemeint hat (nur gemeint haben kann im Kontext) billigste, ja lächerliche Rabulistik ist. Oder aber das Eingeständnis sein soll, dass Homöopathie einfach irgendwelches Zeugs ist, mit dem man sich bei großer Mühe eventuell möglicherweise vielleicht vergiften kann. Aber nicht mal das ist richtig, denn:

Dass Medizin in ausreichender Dosis Schaden anzurichten geeignet ist, das ist klar, das gilt für jede Substanz, was Paracelsus schon ganz genau wusste. Aber daraus im Umkehrschluss und gleichzeitig mit dem Rückschluss auf den speziellen Fall den Schluss zu ziehen, alles, womit man sich vergiften könne sei Medizin … naja, gut, das mag eine Konsequenz daraus sein, dass die Homöopathie potenziell jeden Stoff für eine homöopathische Grundsubstanz hält. Allerdings wäre diese Gedankenakrobatik selbst Hahnemann zu weit gegangen. Vom alten Aristoteles ganz abgesehen, der käme wohl angesichts dieser „Logik“ einigermaßen aus der Fassung.

Aber versuchen wir einmal, dieses Statement der Homöopathie-Patientenvereinigung durch die Brille der Realität zu betrachten.

Erstens unterliegen Homöopathika aus bestimmten Ursubstanzen, die in der Anlage 1 zur Arzneimittelverschreibungsverordnung festgelegt sind, bis einschließlich zur Potenz D3 (unter 1:10.000) der Verschreibungspflicht. Ordentlich Belladonna D1 einwerfen, bis die Augen nur noch Pupille sind, oder die Schwiegermutter durch Arsenicum album D1 im Tee ins Nirwana schicken ist also schon deshalb nicht so leicht.

Zweitens ist diese Marge vom Verordnungsgeber extrem hoch angesetzt. Die Homöopedia des INH führt nämlich auch für homöopathisch zubereitete toxische Rohstoffe den Nachweis, dass eine Vergiftung mit Homöopathika in den Bereich des hoch, ja höchst Unwahrscheinlichen gehört. Vermutlich würde man selbst bei Tiefpotenzen eher an Zuckervergiftung (167 Globuli-Fläschchen à 10 g in D1 – ! -wären für das Erreichen einer letalen Arsendosis nötig) sterben als an der Wirkung der Ursubstanz. Schaut euch diesen Link an, ich wiederhole hier nicht alles im Detail.

Drittens hat meines Wissens der größte Homöopathiehersteller in Deutschland, die DHU, kein einziges verschreibungspflichtiges Homöopathikum gelistet.

Bei mehr Überlegung findet sich bestimmt noch einiges an Widersprüchen zur homöopathischen Leere in den Darlegungen der Pressebeschwerde. Aber tun wir ihr nicht zu viel Ehre an.

Es bleibt mal wieder die Frage, wer denkt sich solche “Begründungen” für Presseratsbeschwerden gegen Artikel aus, die so klar auf belegbaren Fakten beruhen?

Dann mal weiterhin gute Gedankenfindung.


Anmerkung:

Die Pressebeschwerde beruft sich auf empirische Nachweise zur Toxizität von Tiefpotenzen bei hoher und längerer Anwendungsdauer. Als getreuer Chronist versucht man natürlich, so etwas zu verifizieren, wenn es der Behauptende schon nicht belegt. Dazu fand sich lediglich im Internet Archive ein Artikel von Ammann, M: Arsen und Antimon in der Naturheilkunde (aus “Naturheilpraxis”). Darin findet sich ein Statement – ohne Beleg oder Quelle – des Inhalts, “gibt man Acidum arsenicosum (Arsenicum album) in der Dilution D4 3 mal täglich 5 Tropfen, erscheinen nach vier Wochen die ersten Vergiftungssymptome”. Frage: Wer hat das denn ausprobiert? Das dürfte angesichts der Modellrechnung der Homöopedia (Link siehe oben) widerlegt sein. Zumal bekannt ist, dass geringe, gar sukzessiv steigende (im Vergleich zu der genannten homöopathischen Dosis weit höhere) Gaben von Arsen über einen längeren Zeitraum zur Gewöhnung an das Gift führen und nicht zu “Vergiftungssymptomen”.


Nachtrag, 06.10.2019, 19:30 Uhr

Recht bedacht, wiederholen hier die Beschwerdeführer einen der krassesten Fehler von Samuel Hahnemann höchstpersönlich, mit dem er in der Tat sozusagen jedem Stoff eine “Wirkung” zuschrieb. Ich zitiere mich – man möge es mir nachsehen – der Einfachheit einmal selbst, um diesen Gedanken zu illustrieren:

“Von den 65 homöopathischen Mitteln, die in Hahnemanns erster Materia medica verzeichnet waren, gab es nur ein einziges Mittel, das als solches zur Heilung einer Krankheit tatsächlich geeignet war: die Chinarinde. Seine „Erfahrung“ damit setzte Hahnemann nun gleich mit zwar physiologisch wirkenden (symptomauslösenden) Mitteln wie Atropin und Belladonna, die aber nicht zur Heilung einer Krankheit geeignet sind. So geriet Hahnemann über den Trugschluss des „Naturgesetzes“ des Ähnlichkeitsprinzips zu den Symptomen statt zu den Krankheiten. Er begann, den bekannten physiologischen Effekten von z.B. Opium, Belladonna oder Atropin durch die scheinlogische Anwendung seines Simileprinzips eine kurative Wirkung auf alle Symptomatiken zuzuschreiben, die denen bei der Einnahme dieser Mittel ähnelten. Die Abkehr von einem kategorisierbaren Krankheitsbegriff (den er für den Rest seines Lebens ableugnete) war damit vollzogen. Homöopathie wurde zur Symptomentherapie, die sich um Ursprünge von Krankheiten nicht schert (was seltsamerweise umgekehrt ein häufiger Vorwurf von Homöopathen gegenüber der wissenschaftlichen Medizin ist). Eine Ironie, dass er zum Fehlschluss des Ähnlichkeitsprinzips ausgerechnet über einen Versuch mit einem der ganz wenigen Mittel kam, die zu seiner Zeit tatsächlich eine kurative Wirkung hatten!”

Aus: Hahnemanns Chinarindenversuch – Grundirrtum statt Grundlegung, veröffentlicht am 16.04.2019 auf wissenbloggt.de .

Bild von Peter H auf Pixabay

Homöopathie – Wunderglaube?

Die Homöopathieanhänger finden nichts dabei, einer Methode das Wort zu reden, die sich in ihrem eigenen Alltag ständig selbst widerlegt. Eine erstaunliche Form von Glaubensfestigkeit.

Häufig weisen Kritiker darauf hin, dass Homöopathie als Methode vor allem deshalb schon a priori obsolet sei, weil ihre Grundlagen gegen naturgesetzliche Gegebenheiten, gegen wissenschaftlich erstklassig abgesicherte Erkenntnisse verstoßen, die sich täglich, stündlich, sekündlich in unser aller Alltag manifestieren – nur für die Homöopathie jedoch suspendiert sein sollen. Häufig kommt die Frage nach genauerer Erläuterung dieser Position. Wir wollen es im Folgenden versuchen.

Hat Tante Jutta mal wieder den Kaffee zu stark für Oma Hilde gekocht, holt man heißes Wasser und gibt es für die Oma zum Kaffee dazu. Oma ist gerettet!

Nimmt ein 90 kg-Mann eine Ibuprofen-Tablette mit 200 mg Wirkstoff, weil er unangenehme Kopfschmerzen hat, wird er keine Wirkung feststellen, weil die Wirkstoffmenge einfach nicht ausreicht. Also nimmt er sinnvollerweise noch eine.

Was sollen nun diese Trivia in unserem Zusammenhang, wird man fragen. Eben – Trivia! Offenbar sind einem solche Selbstverständlichkeiten gar nicht recht präsent, wenn man geneigt ist, den Lehren der Homöopathie ein offenes Ohr zu schenken. Denn: Nach der Lehre der Homöopathie entsteht beim Verdünnen und Verschütteln eines Ausgangsstoffes ein „Mehr“, das nicht exakt definiert ist, von Hahnemann als „geistige Arzneikraft“ benannt, von seinen heutigen Exegeten meist als „Energie“ oder „Information“, allerdings keineswegs in der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Begriffe (eine bekannte pseudomedizinische Spezialität, die Differenz zwischen Sagen und Meinen). Aber ein „Mehr“ soll entstehen – und an „Stärke“ sogar noch mit jedem Verdünnungs- und Verschüttelungsschritt zunehmen – siehe Omas Kaffee. Zugleich soll eine Niederpotenz, die noch „viel“ vom (angeblichen) Wirkstoff enthalten kann, „zu schwach“ sein. Siehe unseren 90 kg-Mann.


Dies führt dazu, dass der klassische Homöopath eine tiefe Ehrfurcht vor homöopathischen Hochpotenzen hat, denen nach der Lehre eine gewaltige Kraft innewohnen müsste, geeignet, Kranke nachhaltig zu kurieren, aber gleichzeitig Gesunde mit eben den Symptomen zu versehen, die beim Kranken geheilt werden sollen. Dies zu widerlegen, als blanken Unsinn zu entlarven, ist Sinn und Ziel der bekannten 10^23-Aktionen der Homöopathiekritiker (nach der Verdünnung in der 23. Zehnerpotenz fällt der Wahrscheinlichkeitswert für die Anwesenheit eines Moleküls der Ursubstanz statistisch unter Eins). Homöopathen bezeichnen diese „Selbstversuche“ als blanken Unsinn, begründet mit unterschiedlichen homöopathischen Spitzfindigkeiten, es bleibt jedoch der Umstand, dass diese Mittel erhebliche Wirkungen auf die Probanden haben müssten.

Aber zurück zu den Grundlagen.

Weniger wird zu irgendeinem „Mehr“ – dieses faktisch Wenige soll wiederum „stärker“ beim Kranken wirken als um etliche Zehner- oder gar Hunderterpotenzen geringer verdünnte Vorstufen des Mittels? Offensichtlich unvereinbar mit dem Fall unseres Kopfschmerzpatienten und dem von Oma Hildes Kaffeetasse. Fragen wir doch mal ganz naiv nach bei den Homöopathen, was sie dazu zu sagen haben.

Nun, dann wird – wenn überhaupt – in aller Regel damit geantwortet, dass all dies ja „nur für die Homöopathie“ gelte. Nun möge man einmal erklären, bitte, wieso ausgerechnet für die Homöopathie andere Naturgesetze gelten sollen als am Kaffeetisch, in der Spülmaschine, in industriell-chemischen Prozessen, bei der Einnahme von pharmazeutischen Arzneimitteln oder gar Toxinen? Das ist gelebte Irrationalität, das partielle Außerkraftsetzen der naturgesetzlichen Grundlagen unzähliger Alltagsvorgänge durch höhere Mächte. Gesetzlich geschützt und beglaubigt durch Paragraf 38 des deutschen Arzneimittelgesetzes, der den Wunderglauben in der Tat als solchen bekräftigt, indem er Homöopathika von wissenschaftlichen Beweisführungen zu ihrer Wirksamkeit suspendiert und sie gleichwohl als Arzneimittel in den Markt gelangen lässt.


Und im Detail weitergeführt: Jedes Lösungsmittel zur Herstellung homöopathischer Mittel (Laborwasser, Reinzucker zum Verreiben, Laboralkohol) enthält Verunreinigungen mit allen möglichen Stoffen, die homöopathischen Potenzierungen zwischen D4 und D8 entsprechen. Nach dem amtlichen „Homöopathischen Arzneibuch“ darf der Verdunstungsrückstand an Feststoffen bei Laborwasser 1 mg auf 100 ml betragen, was D5 entspricht. Schlichtes Leitungswasser entspricht z.B. vom Gehalt an Arsen ziemlich exakt dem homöopathischen Mittel Arsenicum album in der Potenz D8, ohne dass dies physiologische Wirkungen auslöst – auch dauerhaft nicht.

Woher „weiß“ denn nun das Mittel, das der Homöopath als Ausgangsstoff ausersehen hat, dass es, und NUR es, sich in den Verdünnungsschritten „weiterpotenzieren“, „stärker“ werden soll? Und das soll nun auch noch gegenüber den Stoffen gelten wie dem genannten Arsen, die sich in gewisser Menge bereits im Lösungsmittel befanden? Diese Anteile sollen nun, obwohl chemisch identisch mit den vom Homöopathen „eingebrachten“ Molekülen, nicht an der wundersamen Metamorphose des Arsens zu einer starken „geistigen Arzneikraft“ teilhaben? Wobei beim Alkohol als Lösungsmittel noch eine Rolle spielen müsste, ob er seine Herstellung der Destillation aus Kartoffeln, Rüben, Trauben, Mais oder Zuckerrohr verdankt, was jeweils andere Reststoffe hinterlässt? Beim Laboralkohol beträgt der zulässige Verdampfungsrückstand 2,5 mg auf 100 ml, dazu kommen noch die flüchtigen Fremdstoffe – das zusammen entspricht einer homöopathischen Potenz von noch unter D4, also einer ausgesprochenen homöopathischen Niederpotenz. Und damit will man abermillionenfach größere Verdünnungen herstellen? Ab D8 bringt man ersichtlich – immer wieder nur mit dem Lösungsmittel auf Wasserbasis neue D8-Dilutionen ein und verdünnt nicht einmal mehr … .

Dies ist – unmöglich. Spätestens hier zerschellt der ständige Einwand der Homöopathen, „die Wissenschaft“ sei „noch nicht so weit“, Homöopathie zu verstehen. O nein! Die Wissenschaft weiß sehr gut und mit hinreichender Gewissheit, dass die Homöopathie nicht bewiesen werden wird. Denn entweder wäre sie im buchstäblichen Sinne ein Wunder, eine selektive Außerkraftsetzung naturgesetzlicher Gegebenheiten (ist sie nicht, weil sie schon an allen Beweisversuchen für eine Wirksamkeit gescheitert ist, es gibt also gar kein zu erklärendes Phänomen) oder unser biologisches, physikalisches, chemisches Wissen wäre in vielfacher Hinsicht krass falsch oder mindestens massiv unvollständig.


Letzteres würde dann aber nicht nur einfach eine Integration der Homöopathie in den Wissenschaftskanon bedeuten, so einfach ist das nicht. Es würde gleichzeitig erfordern, alle die Bereiche, die bislang als widersprüchlich ausgemacht wurden, in Biologie, Physik, Chemie durch andere, ebenso logisch konsistente neue Erklärungsmodelle zu ersetzen, die mit der Homöopathie und mit unseren Alltagserfahrungen gleichzeitig vereinbar wären. Ich erlaube mir an dieser Stelle nochmals das Statement, auch und gerade aus der Sicht von jemandem, der im Popperschen Sinne die Begrenzheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit in der Empirie (wegen des unlösbaren Induktionsproblems) anerkennt. Dies IST unmöglich (es ist ja kein emprischer Befund, sondern ein logisch aus Axiomen abgeleiteter). Hinweis am Rande: Es ist auch in der Empirie nicht eigentlich „unmöglich“, die „Wahrheit“ (besser: die ganze Realität) aufzuspüren. Nur können wir nicht wirklich wissen, ob und wann dies der Fall ist.


Von der Wissenschaftslogik noch einmal zu einigen Details der konkreten Unvereinbarkeit homöopathischer Grundannahmen mit naturgesetzlichen Axiomen.

Die Homöopathen können nicht erklären, WAS denn nun dasjenige sein soll, was als „verstärktes“ Agens am Ende bei der homöopathischen Potenzierung (aka Verdünnung) herauskommen soll. Hahnemann bezeichnete dies als „geistige Arzneikraft“ und wollte dies durchaus immateriell verstanden wissen. Übrigens glaubte er den ultimativen Beweis für die Immaterialität seiner Arzneikraft gefunden zu haben, als er auch noch dem „Magnetstab“ homöopathische Heilkraft zusprach. Er war sehr beeindruckt von Franz Anton Mesmer, dem Suggestivheiler par excellence, dem die Psychosomatik-Forschung noch heute einiges verdankt. Hahnemann nun dachte den “Magnetismus” Mesmers (der natürlich auch bei diesem keine Rolle bei seinen Heilerfolgen spielte) in seine homöopathischen Kategorien um und glaubte damit, gegen die schon damals zahlreich gegen ihn auftretenden „Atomisten“ (im heutigen Duktus der Verteidiger der Homöopathie sind das die „reduktionistischen Materialisten“) triumphieren zu können:

Atomist! dich für weise in deiner Beschränktheit dünkender Atomist! sage an, welcher wägbare Magnettheil drang da in den Körper, um jene, oft ungeheuern Veränderungen in seinem Befinden zu veranstalten? Ist ein Centilliontel eines Grans (ein Gran-Bruch, welcher 600 Ziffern zum Nenner hat) nicht noch unendlich zu schwer für den ganz unwägbaren Theil, für die Art Geist, der aus dem Magnetstabe in diesen lebenden Körper einfloss? … (Hahnemann, Reine Arzneimittellehre, 2. Auflage, II. Teil, S. 212).

Dies nur zur Illustration der damaligen Gedankengänge, die durch unser heute weit differenzierteres Wissen obsolet geworden sind. Homöopathen ist Hahnemanns Gleichsetzung des „Geistes aus dem Magnetstabe“ mit der arzneilichen Wirkung konkreter Stoffe allerdings recht peinlich – man hört so gut wie nie davon in ihren Kreisen und in ihren Fortbildungen, es ist ja in der Tat ein Punkt, der Zweifel an der Arzneimittellehre Homöopathie wecken könnte. Steht ja auch weit hinten in Hahnemanns „Organon der Heilkunst“, so weit liest ja eh keiner, ganz zu schweigen von der „Reinen Arzneimittellehre“ … außer den Kritikern. Obwohl – es gibt ja heute auch Mittel auf der Grundlage von Mondschein, Erdstrahlung etc. pp. …


Wir erwähnten eben schon die berühmte 23. Zehnerpotenz als Grenze für einen letzten Gehalt an Wirkstoffmolekülen. Dieser Wert bestimmt sich nach der Avogadro-Konstante, die die Teilchenzahl in einem Mol einer Substanz angibt (welche Masse ein Mol bei gleich definierter Teilchenzahl hat, bestimmt sich nach dem Atomgewicht der jeweiligen Substanz). Das ist eine Konstante von n = 6,022 x 10 hoch 23. Bei homöopathischer „Potenzierung“ in Zehnerschritten (D-Potenzen) fällt nach der 23. Verdünnungsstufe von einem Mol der Ausgangssubstanz die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit eines Ursubstanz-Moleküls in der erreichten Lösung unter einen Wert von 1 (Avogadro-Grenze) und weiter asymptotisch gegen null. Dies sind statistisch zu verstehende Werte, eine faktische Freiheit von Restmolekülen der Ursubstanz kann in der Praxis aufgrund verschiedener Umstände bereits viel eher gegeben sein. Welcher Verdünnungsschritt genau bei welchem Stoff nun die Avogadrogrenze „erreicht“, ist abhängig von der Teilchenzahl der Ursubstanz/Urtinktur und der molaren Masse des verwendeten Stoffs, aber die sich vom Idealfall von genau einem Mol Ursubstanz zu Beginn der Potenzierung ergebenden Abweichungen sind nicht gravierend und stellen das Prinzip nicht in Frage, wie die Homöopedia erklärt.

Es sei hier schon angemerkt, dass dies nicht mit der Grenze einer denkbaren pharmakologischen Wirksamkeit einer homöopathischen Potenz identisch ist; diese wird weit früher erreicht (wir kommen unten darauf zurück). Was die Homöopathen denn nun genau im Potenzierungsvorgang sehen, bleibt stets schwammig. Mal ist es doch etwas Materielles, mal Energie, mal Information, mal soll der Träger ein (vielfach widerlegtes) „Wassergedächtnis“ sein, mal müssen die „Erkenntnisse der Quantenphysik“ herhalten. Definiert oder gar nachvollziehbar erklärt wird – nichts.

Jedenfalls erwarten die Homöopathen ein Spezifikum aus ihrer Verdünnung und Verschüttelung, das eine Wirkung auf die Physis des Patienten hat.

Jedoch: Wo nichts ist, da kann nichts wirken. Und in Verdünnungen ab C12 / D24 ist nichts. Wer das bestreitet, schlägt sich auf die Seite des Wunderglaubens. Gerade die von der Homöopathie immer wieder bemühte Quantenphysik beweist, dass in der uns umgebenden Realität ohne energetische, das heißt materielle und somit prinzipiell messbare „Vermittlung“ keine Interaktion möglich ist. Ob Teilchen oder Welle, ob Verschränkung oder Superposition – ohne reale, mithin direkt oder indirekt messbare Vorgänge „läuft nichts“. Diese quantenphysikalischen Effekte sind völlig real, beobachtbar bzw. darstellbar, und sei es über ihre Auswirkungen. Wie sollten wir sonst etwas erfahren haben über die Phänomene der Quantenmechanik, ganz zu schweigen von ihren nicht mehr wegzudenkenden Nutzanwendungen? Für die behaupteten homöopathischen „Effekte“ gilt dies nicht. Irgendein Zusammenhang mit einem „noch nicht entdeckten homöopathischen Wirkprinzip“ sind Fantastereien und werden von Quantenphysikern „vom Fach“ klar zurückgewiesen.


Ein „Herausreiben“ oder „Herausschütteln“ von „Energie“, auch noch einer anderen „Qualität“ und/oder „Stärke“, durch den bei der Homöopathie praktizierten „Potenzierungsprozess“ widerspricht den Gesetzen der Thermodynamik. Die wenige kinetische Energie, die der Lösung durch Verschüttelung zugeführt und in Wärme (Zunahme der Molekularbewegung) umgewandelt wird, reicht niemals aus, den energetischen Gesamtzustand der Lösung dauerhaft zu verändern. Die Lösung geht in kürzester Zeit wieder in einen energetischen Gleichgewichtszustand mit ihrer Umgebung über. Die Durchmischung mag den Entropiezustand der Lösung verändern, allerdings in Richtung höherer Entropie – und damit weniger und nicht mehr „Information“. Zur Verdeutlichung: Solange der Zucker am Tassenboden liegt, befindet sich das Gesamtsystem „Tee“ in einem Zustand hoher Ordnung („Information“) und niedriger Entropie, denn der Zucker ist in Ort, Menge und Verteilung gut lokalisierbar. Rühre ich um und bringe damit den Zucker in Lösung, ist die Information über Ort, Menge und Verteilung um Zehner-, wenn nicht Hunderterpotenzen uneindeutiger; damit wird ein Zustand hoher Entropie und niedriger Ordnung (geringerem Informationsgehalt) erreicht.

Wir konstatieren an dieser Stelle: Die Annahme der Homöopathie, es werde so ein mehr an „Information“ oder „Energie“ bei immer mehr Verdünnungsstufen – mittels schlichter Verschüttelung – erreicht, postuliert das genaue Gegenteil dieser naturwissenschaftlich bestens belegten Fakten und verstößt damit gegen Naturgesetze. Also bleibt die Frage unbeantwortet, was in aller Welt mit dem Prozess von Verschütteln und Verrühren immer geringer konzentriert werdender Lösungen erreicht werden soll? Im Grunde wird in der Homöopathie erwartet, dass die uns aus dem Alltag geläufigen Verdünnungsprozesse irgendwie physikalisch „andersrum“ ablaufen sollen – auch die Unmöglichkeit dessen folgt aus den thermodynamischen Gesetzen. Entropie nimmt immer nur zu, nicht ab.

Als Fazit können wir festhalten: Hochpotenzen werden nicht „hergestellt“, indem durch ein Verdünnungs- und Verschüttelungsritual eine „Energie“, „Information“ oder meinetwegen eine „geistige Arzneikraft“ in das Lösungsmittel hineinpraktiziert wird. Sie werden „hergestellt“, indem in einem zeitaufwendigen Prozess in kleinsten Schritten die Ursubstanz in den Ausguss geschüttet wird. Gut – ab der 24. Zehnerpotenz schließt sich für jeden nächsten Schritt noch die „Verdünnung“ von reinem Lösungsmittel mit reinem Lösungsmittel an.


Betrachten wir zum Schluss noch die Niederpotenzen, die noch Reste der Ursubstanz beinhalten. Dass die Eignung durch Ähnlichkeitsprinzip und Arzneimittelprüfung „gefundener“ homöopathischer Mittel als Arzneimittel ohnehin in Frage steht, wollen wir dabei außer Acht lassen. Interessieren soll an dieser Stelle nur die Frage der Interaktion homöopathischer Mittel mit der menschlichen Physis (vor kurzem las ich gar, dass unterschiedliche Wirkungen von Tief-, Hoch- und Höchstpotenzen mit der „unterschiedlichen Metabolisierung“, also Verstoffwechselung, im Körper zusammenhängen sollen).

Die Wirkungsschwellen von Mitteln im menschlichen Körper sind ein komplexes Thema der pharmazeutischen Wissenschaft. Als belegt gilt der Satz des Paracelsus, wonach die Dosis das Gift macht. Das heißt aber auch, dass die Wirkung zugeführter Substanzen einer elementaren Dosis-Wirkungs-Beziehung unterliegt, die – auch durch ihre Rückführung auf das Massenwirkungsgesetz – axiomatische Gültigkeit im naturwissenschaftlichen Sinne beanspruchen kann. Das Potenzierungsprinzip spricht dem Hohn.

Was die quantitative Grenze der direkten Wirksamkeit von Stoffen angeht, so legt die Pharmazie in grober Näherung eine Menge von 1.000 Atomen bzw. Molekülen Wirkstoff je Körperzelle (!) fest. Man muss sich klar machen, dass das komplexe System “Mensch” in seiner Homöostase, den in einem Regelkreis von relativ engen Grenzwerten ablaufenden Lebensfunktionen in einem energetischen Gesamtzustand, eines ziemlich großen energetischen “Anstoßes” bedarf, damit zelluläre Vorgänge mit globaler Auswirkung angestoßen und in Gang kommen können. 1.000 Atome / Moleküle pro Körperzelle, in grober Näherung, abhängig vom Stoff, davon, ob Rezeptoren (Auslösen einer Wirkungskaskade) oder Acceptoren (Blockade von zellulären Funktionen) angesprochen werden oder ob eine unspezifische Wirkung angestrebt wird (z.B. Lähmung aller Umgebungsnervenenden bei lokaler Anästhesie).

Homöopathie kann uns nicht sagen, welche Art von Aufnahme im Körper sie überhaupt annimmt, weil sie sich mit der pharmazeutischen Physiologie schlicht nicht beschäftigt. (Homöopathen berufen sich manchmal auch auf andere Randphänomene wie z.B. die Wirkungsbereiche von Hormonen – die aber nur Botenstoffe, nicht selbst Wirkstoffe sind – oder die Geruchsempfindlichkeit für extreme Stoffverdünnungen, was aber von hochspezialisierten lokalen Rezeptoren erledigt wird und nicht den Zellstoffwechsel des Körpers verändert, gelegentlich auch die sogenannte Hormesis, die Arndt-Schulzsche Regel, mehr dazu hier.)

Da der menschliche Körper aus etwa 10^14 Zellen besteht, ergibt sich spätestens (!) ab einer Potenz von D8 bis – je nach Substanz – D10 die physikalisch-chemische Unmöglichkeit einer Wirkung. Tatsächlich muss man den Potenzgrad sogar noch niedriger ansetzen, in der Praxis wohl um D4 herum, aus zwei Gründen. Zum einen muss der Verlust durch die Aufnahme über den Verdauungstrakt und das metabolische System berücksichtigt werden, ein Faktor, der auch bei normalen pharmazeutischen Mitteln schon zu beachten ist. Zum anderen ergibt sich durch das Aufsprühen und Verdunsten der endgültigen Lösung in der gewünschten Potenz auf Zuckerkugeln (Globuli) bzw. das Einbringen in die für den Vertrieb bestimmte Lösung noch einmal eine Verringerung der Konzentration von etwa 1 : 100.

Es ist also eine schwere Irreführung, wenn die Homöopathen sagen, wir wüssten leider, leider nur „noch“ nicht, „wie“ Homöopathie wirkt. Wir wissen recht gut, warum sie nicht wirken kann. Ganz abgesehen davon, dass bislang niemand belastbar (evident) belegt hat, dass sie überhaupt wirkt.

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Bildnachweis: Phe Schlay auf Pixabay

Fake-Homöopathie-Fake

In Russland gibt es eine Firma namens OOO NPF Materia Medica Holding, unter Führung eines gewissen Oleg Epstein, die homöopathische Produkte herstellt. Wie nun offenbar wurde, stellte Epstein gleich auch die für diese Produkte passenden Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journalen mit her. Und nicht nur das.

2018 hat PLOS ONE (Public Library of Science, ein Open-Access-Online-Journal) eine Arbeit von Epstein et al. mit dem Titel “Novel approach to activity evaluation for release-active forms of anti-interferon-gamma antibodies based on enzyme-linked immunoassay” zurückgezogen. Für den Nichtfachmann ein Buch mit sieben Siegeln, dieser Titel. Jedoch, die Erklärung zum Retract von PLOS ONE hatte es in sich:

“Nach der Veröffentlichung dieses Artikels wurden Bedenken hinsichtlich der wissenschaftlichen Validität der Studie sowie eines potenziellen Interessenkonfliktes geäußert, […] … ziehen wir diesen Artikel zurück, da wir Bedenken hinsichtlich der wissenschaftlichen Gültigkeit der Forschungsfrage, des Studiendesigns und der Schlussfolgerungen haben.
Insbesondere sind wir besorgt über das Gesamtdesign der Studie, das darauf abzielt, die Auswirkungen eines Reagens zu erkennen, das so weit verdünnt ist, dass nicht zu erwarten ist, dass die Lösung biochemisch relevante Mengen an Antikörpern enthält.”

Kleiner Zwischenhalt. Wir merken uns an dieser Stelle, dass hier ein Journal – meines Wissens zum ersten Mal – an dem Postulat Anstoß nimmt, ultrahoch verdünnte Lösungen könnten eine biochemische Wirkung haben. Damit wird nicht nur auf die statistischen Methoden und Daten der Studie (die Ergebnisse im Sinne der evidenzbasierten Medizin) rekurriert, sondern auf die wissenschaftliche Grundplausibilität, die in diesem Fall dagegenspricht, dass allfällige Ergebnisse aus dem Datenmaterial überhaupt irgendeine Relevanz haben können. Ausgedrückt in dem Term von der “wissenschaftlichen Gültigkeit der Forschungsfrage”.

Weiter heißt es zum Retract:

“Die konsultierten Experten äußerten auch Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit und Strenge des in der Studie verwendeten Immunoassay-Systems. Der verwendete enzymgebundene Immunosorbent-Assay (ELISA) wurde so eingestellt, dass er kaum nachweisbare Signale liefert, was den Assay besonders anfällig für Störungen macht. In Anbetracht dieser Fragen sind wir der Ansicht, dass der Artikel keine ausreichenden oder zuverlässigen Beweise für die Schlussfolgerungen liefert.
Andere Probleme sind nicht deklarierte Interessenkonflikte […].”

Noch ein Zwischenhalt. Hier wird zusätzlich der Vorwurf erhoben, das Messsystem sei so kalibriert worden, dass Messartefakte (ersichtlich, um diese dann als positive Messsignale deuten zu können) geradezu provoziert wurden. Das muss man sich einmal vorstellen. Und hier wird auch deutlich, wie sich diese Mittel eine Mimikry zulegen, die sie von “Alltagshomöopathie” unterscheiden soll: Nicht schlichte “gewohnte” Grundstoffe wie Sulphur oder Belladonna machen die nichtvorhandenen Wirkstoffe aus, es wird hier mit hochkomplexen “Ursubstanzen” (anti-interferon-gamma antibodies based on enzyme-linked immunoassay) und der Bezeichnung “release-activated forms” (also ungefähr “freisetzend-aktivierte Medikamente”, offenbar ein Euphemismus für homöopathisch potenzierte Substanz) ein gänzlich unzutreffender Eindruck seriöser biochemischer Forschung erweckt.


PLOS ONE wurde tätig aufgrund von Kommentaren eines russischen Skeptikers, Alexander Panchin, auf deren Webseite. Panchin forscht an der Russischen Akademie der Wissenschaften zu molekularer Evolution und ist – kaum verwunderlich – erklärter Gegner der Homöopathie.

Panchin sieht die verschleiernde Bezeichnung “Release-active drugs (RADs)” für solche Mittel – zutreffend – schlicht als Synonyme für Homöopathie an. Diese Präparate würden bereits in Mexiko, Vietnam, der Mongolei, Weißrussland, der Ukraine und anderen Ländern verkauft.
Derzeit ist Panchin auf der Fährte weiterer solcher Veröffentlichungen in weiteren Journalen.

Panchin hat in BMJ EBM zu dieser “russischen Homöopathie” einen Fachartikel veröffentlicht (Panchin AY, Khromov-Borisov NN, Dueva EV: Drug discovery today: no molecules required BMJ Evidence-Based Medicine 2019;24:48-52). Darin heißt es:

…. diese innovativen “Medikamente” enthalten keine aktiven Moleküle und können als eine neue Spielart der Homöopathie angesehen werden. Dies deutet auf eine von zwei Möglichkeiten hin: Entweder stehen wir kurz vor einer Revolution in der Medizin oder es ist etwas schief gelaufen mit der Forschung und ihren Veröffentlichungen in zahlreichen wissenschaftlichen Journalen. Wir halten dafür, dass die letztgenannte Erklärung wahrscheinlicher ist und dass diese Schlussfolgerung schwerwiegende Auswirkungen auf die Unternehmen und Organisationen im Wissenschafts- und Gesundheitssektor hat. Das Opfer war diesmal Antiviral Research, eine Zeitschrift von Elsevier, die zwei Artikel von Epstein und Kollegen zurückgezogen hat. Eines davon trug im Juni 2017 den Titel ‘Wirksamkeit neuartiger antikörperbasierter Medikamente gegen Rhinovirusinfektionen’: In vitro und in vivo Ergebnisse.’

Dieser Beitrag ließ nicht erkennen, dass die auf antivirale Aktivität getesteten Produkte in Wirklichkeit ‘homöopathisch aktivierte Formen von Antikörpern’ waren, wie im US-Patent 8,535,664 B2 beschrieben, das von O. I. Epstein und anderen eingereicht wurde.

Die Homöopathie ist eine veraltete Therapieform, die von der modernen medizinischen Praxis nicht akzeptiert und von der modernen Wissenschaft abgelehnt wird. Wenn das bei Antiviral Research eingereichte Manuskript die Art der zu prüfenden Materialien als homöopathische Produkte identifiziert hätte, wäre es abgelehnt worden. Nachdem der Chefredakteur nun von diesen Informationen Kenntnis hat und die Frage ausführlich mit anderen Experten diskutiert hat, hat er beschlossen, diesen Artikel offiziell zurückzuziehen.

Die andere, “Aktivität von extrem niedrigen Dosen von Antikörpern gegen Gamma-Interferon gegen die tödliche Influenza A(H1N1)2009 Virusinfektion bei Mäusen”, erschien 2012. Auch hier blieb unerwähnt, dass es sich bei den getesteten Produkten um “homöopathisch aktivierte Formen von Antikörpern” im Sinne des schon erwähnten US-Patentes handelte.”

Was für eine Spiegelfechterei. Da lässt sich jemand “homöopathisch aktivierte Antikörper” in den USA patentieren, im Patent ganz offen bezugnehmend auf homöopathische Potenzierung (von 10^23 bis 10^99, also de facto wirkstofffrei), stellt “Medikamente” (mehrere “unterschiedliche”!) auf dieser Basis her, vertreibt sie in Schwellen- und Entwicklungsländern und hat zudem auch noch die Stirn, die passenden Anwendungsstudien dazu selbst zu verfassen und – neben der Vorspiegelung, es handele sich um moderne biochemische Präparate – darin mit keinem Wort zu erwähnen, dass sie auf den “homöopathisch aktivierten Formen” im Sinne des US-Patentes beruhen. Ganz abgesehen von der Unverfrorenheit, die massiven Interessenkonflikte (massiver geht nicht mehr) auch nur anzudeuten. Dem peer review der Journale stellt dieser Vorgang allerdings auch ein vernichtendes Zeugnis aus.

Und um Kleinigkeiten geht es nicht. Epstein bewirbt seine “Mittel” als Beitrag gegen Antibiotikaresistenzen (sic!), aber auch zur Behandlung von allerlei Kleinigkeiten, die einem den Atem stocken lassen. Homöopathika in 10^24 und höher, wohlgemerkt. Für starke Nerven hier ein Link zu einer deutschsprachigen Werbeseite eines der Präparate mit einer Indikationsliste.

Und wäre das nicht alles schon genug Tricksen, Täuschen und Tarnen: Die hier in Rede stehenden Präparate lehnen sich auch noch namentlich an die hochwirksamen – und sehr teuren – Interferon-Präparate an, betreiben also auch hier noch Trittbrettfahrerei. Im Preis, soweit ich das recherchieren konnte, allerdings nicht – ein Interferon-Präparat kostet in der Regel vierstellig, das “Trittbrettpräparat” aus Russland ist für wenige Euro zu haben, hat aber – soweit bekannt – dem Hersteller bereits hohe zweistellige (Euro-)Millionenumsätze erbracht. Nun ja, in den Indikationsangaben stehen sie echten Interferonpräparaten ja auch kaum nach…

Panchin berichtete gegenüber Retraction Watch, ihm seien drei Klagen von Homöopathieherstellern gegen Kritiker bekannt. Zwei gegen die Russische Akademie der Wissenschaften wegen einer Veröffentlichung, die Behauptungen, Homöopathie sei zur Behandlung von Krankheiten geeignet, als unhaltbar zurückwies. Diese Klagen scheiterten.

Eine weitere, noch nicht entschiedene Klage stammt von Epsteins Firma Materia Medica gegen die russische (fundraisingfinanzierte) Wissenschaftspublikation “Troitsky Variant – Nauka” und drei Autoren (Mitglieder der Kommission gegen Pseudowissenschaften der Russischen Akademie) wegen eines kritischen Artikels über die Firma Materia Medica, ihre “Medikamente” und ihren Gründer Epstein.


Und was hat das alles mit der Homöopathie in Deutschland zu tun?

Wie ich finde, eine ganze Menge. Beispielsweise trägt das unbeirrte Festhalten an Homöopathie im deutschen Gesundheitssystem auch dazu bei, deren falsche Reputation in der Welt, besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern zu befördern. Letztlich wird auch den “Medikamenten” von Epsteins Materia Medica Holding in den Absatzländern der Weg geebnet. Ich zweifle nicht daran, dass Deutschland mehr oder weniger offen als eine Art internationale Referenz pro Homöopathie “vermarktet” wird, solange es eine Insel der Zuckerkugeltherapie darstellt. Und das ist mehr als ein Unding.

Ein Grund mehr für eine klare Positionierung des deutschen Gesundheitssystems, der Ministerial- und der Parlamentsebene gegen die Scheinmethode Homöopathie.

Worüber ich mich ehrlich freue: Dass die Chefredaktion einer wissenschaftlichen Publikation sich offen auf den Standpunkt gestellt hat, dass jedenfalls “Forschungen” zu homöopathischen Hochpotenzen den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht erfüllen, die zur Veröffentlichung in einem peer-reviewten Journal Mindestvoraussetzungen sind.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

Deklaration *) Homöopathie” – wirklich eine Gegenposition?

Eine Reihe von Personen, größtenteils mit akademischer Reputation, zusammen mit verschiedenen Institutionen, verbunden durch vitales Interesse an der Homöopathie, haben unter der Federführung von Prof. P.F. Matthiessen eine “Deklaration Homöopathie 2019” veröffentlicht (erschienen zuerst in der “Zeitschrift für Onkologie” dort noch als “Stellungnahme”, nun auch, betitelt als “Deklaration”, auf der Webseite des Zentralvereins homöopathischer Ärzte).

Kurz gesagt, beinhaltet dieses Papier, das seltsamerweise trotz seiner deutlich offensiven Grundhaltung von der “Ärztezeitung” als “Beitrag zur Deeskalation” (der Debatte um Homöopathie) gedeutet wird, drei Aspekte:

  • Erstens die Behauptung, die Homöopathie sei evidenzbasiert belegt,
  • zweitens den Versuch, eine Erweiterung oder gar Änderung (“Paradigmenwechsel”) des gültigen Wissenschaftsbegriffs (der kritisch-rationalen Methode) unter der Flagge eines “Wissenschaftspluralismus” einzufordern und
  • drittens, dabei auf den Wissenschaftsfreiheitsbegriff des Grundgesetzes zu rekurrieren und eine angebliche “Verengung” des Wissenschaftsbegriffs auf das, was die Epistemologie als “gültige Erkenntnis” beschreibt (nämlich die Übereinstimmung mit den Tatsachen, die Korrespondenztheorie) zum politischen, ja gesellschaftlichen Skandalon zu erklären und daraus den Vorwurf gegen die Kritiker der Homöopathie abzuleiten, diese seien auf dem Wege zu freiheitsbeschränkenden, ja totalitäten Zielen. Deeskalation?

Nicht zum ersten Male werden derartige Gedankenkonstruktionen an die Öffentlichkeit getragen. Auf diesem Blog ist eine solche vor fast genau einem Jahr erschienene Veröffentlichung schon Gegenstand deutlicher Gegenkritik gewesen, siehe hier. Die Thesen zum umdefinierten Wissenschaftsbegriff, um den “Paradigmenwechsel” gar unter Berufung auf Thomas S. Kuhn, wurden noch früher schon im Zusammenhang mit dem großen Interview mit Dr. Jens Behnke auf heilpraxisnet.de erörtert, siehe hier.

Nichts Neues im Westen, möchte man sagen. Aber die Attacken und die Schärfe in der aktuellen „Deklaration“ befremden inzwischen nicht weniger als die damit offenbar verfolgte Absicht, der Homöopathiekritik eine massive Gegenoffensive entgegen zu setzen. Natürlich mit der Absicht, hier einen Öffentlichkeits- und Autoritätsbonus einfahren zu können.

Das Informationsnetzwerk Homöopathie, dem ich mich – kein Geheimnis – zurechnen darf, hat hierzu eine Stellungnahme veröffentlicht, die sich auf den Kern der Sache beschränkt und die ich hier im Wortlaut wiedergebe:

„Eine Deklaration, eine Deklaration!“ (frei nach Loriot)

Eine Deklaration ist üblicherweise ein wichtiges Stück Papier in dem die Verfasser grundlegende Dinge festhalten. Man denke an die Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen oder an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung („Declaration of Independence“). So viel vorweg: Für die im Februar 2019 vom Vorsitzenden des Sprecherkreises des Dialogforums veröffentlichte Homöopathie-Deklaration [1] wirkt dieser Titel etwas anmaßend.

Da haben sich eine Reihe namhafter Personen, bisweilen mit klingendem akademischem Titel, sowie eine Reihe von Verbänden zusammengetan, um ihre Pfründe zu verteidigen, derer sie verlustig gehen könnten, wenn sich die Sichtweise der Homöopathiekritiker in der Politik und in der Öffentlichkeit weiter durchsetzen würde. Insofern ist diese Reaktion verständlich.

Man kann seinen Kritikern sicher Ignoranz oder bewusste Stimmungsmache vorwerfen und ihnen fehlende Seriosität unterstellen indem sie eine angebliche reale Datenlage unterdrücken. Nur sollte man dies dann auch untermauern können, sonst wirkt so etwas eher wie das Pfeifen im nächtlichen Wald, eher darauf abzielend, sich selbst und seinen Anhängern Mut zu machen anstatt den Leser von der Stichhaltigkeit der Argumentation zu überzeugen.

Eigentlich, wenn die Homöopathie eine über Placebo hinaus wirksame Therapie wäre, der konventionellen Medizin ebenbürtig oder gar überlegen, könnte Matthiessen doch sehr einfach argumentieren: Seht her, hier ist die unzweideutige Evidenz, dass die Homöopathie unter diesen oder jenen Bedingungen bei dieser oder jener Indikation einen unbezweifelbaren Nutzen aufweist. Darauf kann er nicht verweisen, weil solche Belege nicht existieren. Stattdessen muss er sich darauf verlegen, Schwachstellen in der Argumentation der Kritiker zu suchen, was ihm sichtlich schwerfällt.

Eine akribische Analyse der publizierten Evidenz lieferte in den nunmehr 10 vorliegenden systematischen Reviews eben nicht, dass die therapeutische Wirksamkeit durch qualitativ hochwertige Studien wohlbegründet sei, auch wenn der Autor dies wie viele seiner Kollegen immer wieder beschwört. Selbst der Homöopathie nahestehende Forscher wie Robert T. Mathie vom englischen Homeopathy Research Institute fanden von den bislang 118 untersuchten klinischen Studien ganze zwei, die als „low risk of bias“, also als hochwertig eingestuft werden konnten [2 bis 4]. Die von den Autoren der vorliegenden Reviews selbst gelieferten zusammenfassenden Schlussfolgerungen sprechen deutlich gegen alle Versuche, die Tatsache des Scheiterns von Evidenznachweisen pro Homöopathie abzuleugnen oder schönzureden.

Auch eine gebetsmühlenartige Wiederholung immer der gleichen Argumente macht sie nicht wahrer:

  • Nein, die Einführung der Komplementärmedizin in den Leistungskatalog der Schweizer Gesundheitsversorgung erfolgte eben nicht aufgrund einer gründlichen Evaluation, sondern aufgrund eines Volksentscheids, wobei ausdrücklich betont wird, dass der Nutzen besonders der Homöopathie nicht nachgewiesen werden könne [5].
  • Hahn hat völlig Recht, man muss 90 % der Studien ausschließen, um zum wahren Sachverhalt vorzudringen, nämlich die Studien, die infolge unzureichender Qualität wahrscheinlich einen Effekt überzeichnen. Das sind, siehe Mathie, sogar weit über 90 % der Studien [6].
  • Wenn man schon auf der oftmals zitierten Behauptung herumreitet, bei der großen NHMRC-Studie seien alle Studien unter 150 Teilnehmern nicht berücksichtigt worden, müsste es doch ein Leichtes sein, eine Indikation aufzuzeigen, bei der sich ein anderes Ergebnis gezeigt hätte, wenn man anders vorgegangen wäre [7]. Dies wird aber sicher nicht geschehen, denn auch Mathie, dem niemand ein Fehlverhalten vorwirft, kommt in seinen Reviews im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis: Berücksichtigt man die miserable Qualität der Studien – zu einem Drittel sind das sogar nur Pilotstudien – dann ist die Evidenz für die Homöopathie nicht belastbar.

Nun, stattdessen kann man sich auf die Freiheit von Forschung und Wissenschaft im Grundgesetz berufen, man kann eine „vollorchestrierte Gesundheitsversorgung“ fordern – was immer das auch sein soll. Und nein, es kann nicht angehen, den international anerkannten Wissenschaftsbegriff, beruhend auf der kritisch-rationalen Methode, mit der Einführung eines „Wissenschaftspluralismus“ für Beliebigkeiten zu öffnen. Welchen Nutzen das Gesundheitssystem daraus ziehen soll, dass unwirksame Therapien integriert werden, das bleibt wohl das Geheimnis der Autoren dieses Papiers, das wohl deshalb „Deklaration“ heißt, um über den dürftigen Inhalt hinwegzutäuschen.


Literatur:

[1] Matthiessen PF.: Homöopathie-Deklaration: Professoren und Ärztegesellschaften unterstreichen die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie – und kritisieren einseitige Darstellungen; Erstveröffentlichung Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018;50:172-177; Link: https://www.homoeopathie-online.info/homoeopathie-deklaration-2019/, abgerufen 11.02.2019

[2]  Mathie RT, Lloyd SM, Legg LA et al.: ”Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis”, Systematic Reviews 2014;3:142

[3]  Mathie RT, Ramparsad N, Legg LA et al.: ”Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis”, Systematic Reviews 2017;6:663

[4] Mathie RT, Ulbrich-Zürni S, Viksveen P et al.: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled Trials of Individualised Homeopathic Treatment; Homeopathy (2018) 107;229-243

[5] Hehli S: Die Schweiz ist ein Eldorado für deutsche Globuli-Fans; Neue Züricher Zeitung vom 23.05.2018

[6] Hahn RG: ”Homeopathy: Meta-Analyses of Pooled Clinical Data”,Forsch Komplementärmed(2013);20:376-381

[7]  National Health and Medical Research Council. 2015. ”NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions”, Canberra: NHMRC;2015


https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/standpunkte/303-homoeopathie-deklaration-2019-das-inh-nimmt-stellung

Soweit das INH. Mehr als nur einen Hinweis in diesem Zusammenhang verdient außerdem der Beitrag von Joseph Kuhn bei den Scienceblogs, der unter dem Titel “Jura in Kürze – Wissenschaftsfreiheit und Homöopathie: Methodisch evident Unvertretbares” konstatiert:

“Das Argument des Wissenschaftspluralismus ist in diesem Zusammenhang junk epistemology.”

Eine pointierte Positionsbestimmung zum Thema findet sich zudem bei DocCheck

Auch der Münsteraner Kreis hat auf die „Deklaration reagiert.


Auf Hintergründe und Historie des Begriffs “Wissenschaftspluralismus” werde ich wohl über kurz oder lang in einem besonderen Beitrag noch einmal eingehen müssen. Zudem bedarf es zweifellos auch noch einiger Ausführungen dazu, dass sich die Vertreter der CAM zunehmend bemüßigt fühlen, den Begriff der “Evidenz” in das System ihrer Behauptungen zu integrieren – dies scheint mir von besonderer Wichtigkeit.

Es sei nur die – zugegeben rhetorische – Frage gestellt, wie die von Matthiessen et al. gewünschte pluralistische Öffnung mit diesem Statement hier vereinbar sein soll – oder ob sie nicht geradezu dem ins Gesicht schlägt:

„Es wird übrigens für die Wissenschaften eine immer massivere Herausforderung, überzeugend die Grenze zu Nichtwissenschaft oder auch zu Pseudowissenschaft zu ziehen. Diese Frage gehört zu denjenigen, die mich am allermeisten interessieren.“ – Prof. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, im WELT-Interview am 16.03.2014.

Ein kleiner Ratschlag zum Schluss für die so aktive homöopathische Gemeinde:

“Do not try to explain something until you are sure there is something to be explained.”
Ray Hyman, Psychologieprofessor, Kognitionsforscher und erster Deuter des “cold reading”.


*) Eine Fußnote – na, sagen wir ein Erratum – bin ich noch schuldig.

Herr Professor Matthiessen macht in seiner Antwort auf die Stellungnahme des INH darauf aufmerksam, dass der Originalartikel in der Deutschen Zeitschrift für Onkologie nicht als “Deklaration”, sondern als eine “Stellungnahme” erschienen ist. Die Bezeichnung als “Deklaration” ist offenbar eine Ergänzung des DZVhÄ, der den Artikel über seine Vereinswebseite einem weiten Publikum zugänglich macht. Ich bitte daher – auch für das INH – um Nachsicht für die Benutzung einer offenbar nicht adäquaten Sekundärquelle, in diesem Falle der Webseite des Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Dass sich hierdurch sachinhaltlich nichts Anderes ergibt, ist selbstredend.

Ansonsten reduziert sich die Antwort von Prof. Matthiessen auf die wenig pluralistisch klingende Feststellung, dass uns Homöopathiekritikern die Fähigkeit oder auch nur der Wille zu einer sachlichen Betrachtung abgesprochen wird. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Prof. Matthiessen sieht das INH von einer Veröffentlichung ab

Homöopathie – eine „Lüge“?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“
und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.

I

Homöopathen haben es nicht leicht. Der Druck der Fakten und die Eindringlichkeit der darauf fußenden Kritik ist inzwischen groß – eine höchst unerwartete Entwicklung der letzten Jahre. Homöopathiekritiker haben es ebenfalls nicht leicht – zunehmend werden sie mit Versuchen konfrontiert, den Diskurs nicht mehr auf einem argumentativen Level (ungeachtet der Validität der Argumente) zu führen, sondern ihn auf eine emotionale, teils persönliche und gelegentlich diffamierende Ebene zu verlagern.

Die – letztlich erwartbaren – Gegenreaktionen gegen Letzteres sind in den Kommentarspalten zu beobachten. Nicht die profilierten wissenschaftsorientierten Kritiker der Homöopathie, aber Teile des kommentierenden Publikums spricht angesichts des beschriebenen Diskurswandels zunehmend von „Lügen“ und „Betrügen“ im Zusammenhang mit Homöopathie.

Ich möchte aus der dezidiert homöopathiekritischen Sicht, die sich allein auf die wissenschaftliche Faktenlage stützt, hierzu Stellung nehmen. Und damit auch die Homöopathiekritik dort – nochmals – verorten, wo sie steht: In einen sachlichen, faktenbasierten, fairen und von Vorurteilen möglichst freien Diskurs außerhalb jeder persönlichen Ebene, ganz unabhängig davon, ob dies umgekehrt auch der Fall ist.

II

Nun, „Lügen“ und „Betrügen“ haben ein entscheidendes gemeinsames Merkmal: Das Handeln wider besseres Wissen.

Ich habe gute Gründe für erhebliche Zweifel daran, ob bei einer nennenswerten Zahl von Vertretern der Homöopathie dieses Merkmal vorliegt. Bis zum Beweis des Gegenteils halte ich auch niemanden aus dieser Szene für „dumm“, was Kritikern häufig unterstellt wird. Das wäre zudem eine sehr schlechte Ausgangsbasis für Kritik.

Es geht um etwas anderes. Der confirmation bias schlägt zu – und zwar heftig. Der Bestätigungsfehler, der gewaltige Kraft hat und immer wieder unterschätzt wird – er ist durchaus in der Lage, weltweite „Hypes“ lange Zeit aufrechtzuerhalten. Er ist beispielsweise auch die ultimative Antwort auf die rhetorische Frage, ob „100 Nobelpreisträger irren können“. Klar können sie. Haben sie auch schon. Der confirmation bias besteht bei ihnen darin, dass sie glauben, die Expertise in ihrem Fachgebiet und die damit erworbene Reputation befähige sie zu einem fundierten Urteil auch auf anderen Fachgebieten.

Begrifflich bedeutet der confirmation bias zunächst „nur“ die Fokussierung der Wahrnehmung im Hinblick auf die Bestätigung bereits vorgefasster Überzeugungen. „Wahrnehmung“ in diesem Sinne ist nicht nur die Rezeption positiver, sondern ebenso die Abwehr infragestellender Informationen. Ist der confirmation bias ausreichend stark und die zu bestätigende Meinung interpersonell sehr gefestigt und bedeutsam, kann er sich übersteigern in etwas, was gelegentlich als „mybias“ bezeichnet wird. Dieser geht insofern über das Suchen nach Bestätigung bzw. der Abwehr von Widersprüchen hinaus als er zusätzlich einen sehr starken, mit dem Selbstbild der Person verbundenen Wunsch verankert, ihre Position möge echt und wirklich ganz bestimmt die wahre und richtige sein. Die Verankerung im Kontext einer gemeinsamen Gruppe, die den bias ständig nährt, befördert dies noch. Dies ist durchaus ein schlüssiges Erklärungsmodell für das Festhalten an objektiv unhaltbaren Positionen, weit jenseits von Lüge und Betrug, wie es in der Homöopathieszene geschieht.

Das geht so weit, dass selbst die Ergebnisse „eigener“ homöopathischer Forschung, die keine spezifische Wirksamkeit der Methode belegen konnten, immer wieder als Beweise für das Gegenteil angeführt werden (die Arbeiten von Robert Mathie, Forscher beim Homeopathy Research Institute) erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit) – ein Phänomen, in der Tat.

Ein in diesem Zusammenhang besonders interessantes empirisches Ergebnis aus der kognitiven Sozialforschung sei hier kurz vorgestellt. Wason (1960) [1] ließ Probanden, die in Poppers Wissenschaftstheorie wohlbewandert waren, zu einem Problem eine Hypothese aufstellen und stellte ihnen danach die Aufgabe der „Prüfung“ dieser eigenen Hypothese. Nahezu alle Probanden versuchten durchaus nicht, ihre Hypothese zu falsifizieren, sondern zu verifizieren – hier liegt der Ursprung der Begrifflichkeit „confirmation bias“. Viele Folgeforschungen mit Varianten der Situation haben diesen Befund eindrucksvoll bestätigt. Sehen wir nicht bei den Homöopathen ein ständiges Bemühen, die eigene Position zu rechtfertigen (Bestätigungsforschung [2]), statt angemessen kritischer Falsifizierungsversuche? Was so weit geht, dass der Wissenschaftsbegriff des kritischen Rationalismus als „nicht passend“ für die Homöopathie hingestellt wird.

Nun verwundert dies keineswegs bei dem nahezu unumschränkten Ruf, den die Homöopathie bis vor ganz wenigen Jahren noch genoss. Nicht nur beim Anwender und beim durchschnittlichen homöopathischen Therapeuten, sei er Arzt oder Heilpraktiker, sondern auch im medizinischen und pharmazeutischen Studium – wo Homöopathie allenfalls weitgehend unwidersprochen blieb. Nach der „Marburger Erklärung“ von 1992 hat es kein klares Statement einer akademischen Einrichtung gegen die Homöopathie mehr gegeben, man möchte sagen, im Gegenteil. Erst der freie Zusammenschluss des „Münsteraner Kreises“, der über keine eigene formelle akademische Legitimation verfügt, ist mit der Autorität der Expertise seiner Mitglieder homöopathiekritisch 2018 an die Öffentlichkeit getreten. Das heißt: Die heute Praktizierenden sind fast alle noch in Zeiten ohne jede systematische Kritik in die Homöopathie „hineingewachsen“. Der confirmation bias war vorprogrammiert. Jedoch – in Zeiten, wo die Evidenzbasierte Medizin sich sogar in Entwicklungsländern etabliert, ist hierfür kein Raum mehr.

III

Der confirmation bias zieht aber noch weitere Kreise.

Darf man wirklich annehmen, der Aufwand für homöopathische Forschungen, seien es nun klinische Studien oder sogenannte Grundlagenforschung, entspringe allein bewusster Spiegelfechterei? Das glaube ich nicht.

Wir Kritiker sagen ja gelegentlich, die Studien und Grundlagenforschungen (die sämtlich zwangsläufig auf ein Hornberger Schießen hinauslaufen) dienen der Selbstbestätigung des homöopathischen Publikums bzw. der „praktischen“ Therapeuten, also der „Gemeinde“. Das ist sicher richtig (auch angesichts der stets fehlenden Konsequenzen für die homöopathische Behandlungspraxis) und wohl auch ein Motiv, man muss sich nur ansehen, wie triumphierend immer wieder irgendeine neue Studie als „ultimativer Beweis“ der Homöopathie präsentiert wird (und kurz darauf in sich zusammenfällt [3]).

Aber im Großen und Ganzen dürfte auch diese Forschung überwiegend ebenso auf dem „mybias“ beruhen, der Verbindung der kognitiven Verzerrung in Richtung auf die bestehende Ansicht und dem Willen, im Recht zu sein, mit dem Selbstbild. Zweifellos treibt diese starke Kraft zu einigem Aufwand – es „geht um was“. Zumal in einer Gruppe, die sich ohnehin in den letzten Jahren unerwartet zunehmender Kritik ausgesetzt sieht.

Das nächste Indiz für das Wirken des „mybias“ sind die teils unglaublichen Unzulänglichkeiten, die sich homöopathische Forscher in ihren Arbeiten immer wieder leisten. Wenn man sich in Arbeiten wie die in den Links unter [3] beispielhaft angeführten vertieft, fasst man sich an den Kopf und fragt, was einen ohne Zweifel intelligenten Menschen dazu veranlasst, solche Fehlleistungen zur Veröffentlichung zu bringen. Hier ist der bias offenbar so stark, dass er selbst den Gedanken an eine mögliche Beschädigung der eigenen wissenschaftlichen Reputation verdrängt. Prominente Beispiele dafür sind Herr Benveniste und Herr Montagnier, beides geachtete Wissenschaftler, der letztere gar Nobelpreisträger, die beide ihre Reputation im Zusammenhang mit unhaltbarem Zeugs als Beweisversuche pro Homöopathie eingebüßt haben.

Das Wirken des bias erkennt man auch an dem sichtlichen Bemühen mancher Forscher, ihre Schlussfolgerungen aus den Studiendaten nicht falsch, aber euphemistisch „in Richtung Homöopathie“ zu formulieren, wo schlicht die klare Aussage angebracht wäre, dass sich die Ausgangshypothese (Überlegenheit von Homöopathie über Placebo oder Standardtherapie) nicht bestätigt hat. Dies wiederum bereitet den Nährboden für die bereits erwähnte „Überinterpretation“ des Studienmaterials durch die homöopathische Szene.

IV

Dass Zweifel bei praktisch allen Homöopathen irgendwo vorhanden sind, wie Natalie Grams meint, das glaube ich auch. Aber wahrscheinlich sehr unbewusst. Ein Indiz dafür ist sicher, dass die homöopathische Szene inzwischen außerhalb jeder Sachebene zu agieren beginnt. Die bekannten Euphemismen beherrschen die Diskursbeiträge, zunehmend mit persönlich gefärbten Attacken gewürzt. Beim Schulterschluss mit einflussreichen Gruppen wie der Politik wird auf die emotionale Karte gesetzt, auf das falsche Image des „Sanften und Natürlichen“, es wird die falsche Identität der Homöopathie mit „Naturheilkunde“ nach Kräften befeuert und statt valider Argumente wird die Beliebtheitskarte ausgespielt. Sind das nicht alles Zeichen zunehmender Unsicherheit von Menschen, die nicht „lügen“, sondern deren Selbstbild mit inneren Widersprüchen zu kämpfen hat? Vielleicht nicht immer, aber ich denke, in den meisten Fällen schon. Ich verstehe das sogar – das ist ja auch meine Aufgabe als Kritiker.

V

Was den klassischen Nutzer von Homöopathie angeht, so ist die Sachlage ein wenig anders. Er ist zwar auch vom confirmation bias beseelt, aber der wurde ihm durch jahrzehntelange fehlgehende Propaganda „anerzogen“. Das wird flankiert vor allem durch fehlendes Wissen zur Homöopathie. Das zeigen selbst die Umfragen der Homöopathen (wobei wir die gelegentlichen manipulativen Eskapaden mal außer Acht lassen wollen). Die große Umfrage Allensbach 2014 hat klar ergeben, dass – nach damaligem Stand zwar gut 60 Prozent der Bevölkerung Homöopathie schon einmal angewandt haben. [4] Aber: Es ist bekannt, dass weniger als 20 Prozent der Anwender (vermutlich ist das hoch gegriffen) in der Lage sind, wenigstens ein Wirkprinzip der Homöopathie zutreffend zu benennen, was für ein „Wissen“ zur Homöopathie sicher längst nicht zureichend ist. Das macht sich ja auch praktisch bemerkbar in dem Anteil von gut vier Fünftel des Homöopathika-Umsatzes in den Apotheken, der zur Selbstbehandlung – ohne Rezeptierung durch einen Therapeuten – über die Ladentheke geht (was mit der Allensbach-Umfrage insofern korrespondiert, als dass dort von 67 Prozent der Befragten als „Weg zu homöopathischen Arzneimitteln“ der „Rat von Freunden, Familie und Bekannten“ genannt wird). Nach homöopathischen Grundsätzen ein derartiges Unding, dass klassische Homöopathen eigentlich laut aufschreien müssten.

Was aber nichts anderes heißt, als dass der Prozentsatz der Bevölkerung, der auch nur einigermaßen über die Prinzipien der Homöopathie Bescheid weiß und daher zumindest in die Nähe einer „eigenverantwortlichen Patientenentscheidung“ kommt, erschreckend gering sein dürfte. Vor diesem Hintergrund ist jede Aussage über „Beliebtheit in der Bevölkerung“ wertlos. Ich habe die Hoffnung, dass sich dies durch die aufklärende Homöopathiekritik der letzten Jahre inzwischen ein wenig verbessert hat. Aber solange der Boden in dieser Weise für die Homöopathievertreter bereitet ist, dürfen sie sich freuen – und haben keinen äußeren Anlass, von ihrer Irrlehre abzulassen. Anders formuliert: Sie haben keinen Anlass, ihren confirmation bias zu erkennen und zu hinterfragen. Und genau das will die Homöopathiekritik ändern. Durch Information und Aufklärung.

VI

Conclusio: Nein, die Homöopathen sind nicht durchweg Lügner oder Betrüger, die auf breiter Front wider besseres Wissen ihre Methode anwenden und verteidigen. Entsprechend würde ich auch jedem antworten, der diese These vorbringt (und habe das auch schon getan). Das befreit die Vertreter der Homöopathie – zumal die mit akademischer Ausbildung – aber nicht von der klaren ethischen und intellektuellen Pflicht, sich mit den zutage liegenden Fakten, die die Homöopathie unbestreitbar als spezifisch unwirksam und unwissenschaftlich zeigen, auseinanderzusetzen und sich selbst dabei zu hinterfragen. Das ist der Punkt. Dies ist die zu stellende Anforderung, der man nicht gerecht wird, wenn man den faktenbasierten Diskurs verlässt und sich auf Metaebenen begibt (oder sich dorthin ziehen lässt), sei es durch Appelle an das „Schöne, Wahre, Gute“, sei es mittels des „Traditionsarguments“, sei es durch Beschwörung der (auf confirmation bias beruhenden) „Beliebtheit“, ebenso durch Diskreditierungen der wissenschaftlichen Methode oder gar solche persönlicher Art – wobei ich letzteres für das ultimative Eingeständnis halte, über keinerlei Sachargumente zu verfügen. Was nur noch übertroffen werden kann von einer Ausprägung des confirmation bias, die glauben lässt, dies nicht einmal nötig zu haben.

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[1] Wason P (1960) On the failure to eliminate hypothesis in a conceptual task. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 12, 129 – 140

[2] http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=3596

[3]  Beispiele: http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=3577

[4] https://www.bah-bonn.de/bah/?type=565&file=redakteur_filesystem%2Fpublic%2FErgebnisse_Allensbach_deSombre.pdf

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Bildnachweise: Pixabay License CC0


Aus den Kommentaren

HÜMMER 24. Januar 2019 12:06

Conclusio: Nein, die Homöopathen sind nicht durchweg Lügner oder Betrüger, die auf breiter Front wider besseres Wissen ihre Methode anwenden und verteidigen. Entsprechend würde ich auch jedem antworten, der diese These vorbringt (und habe das auch schon getan). Das befreit die Vertreter der Homöopathie – zumal die mit akademischer Ausbildung – aber nicht von der klaren ethischen und intellektuellen Pflicht, sich mit den ZUTAGE LIEGENDEN FAKTEN, die die Homöopathie UNBESTREITBAR als spezifisch unwirksam und unwissenschaftlich zeigen, auseinanderzusetzen und sich selbst dabei zu hinterfragen. Das ist der Punkt. Dies ist die zu stellende Anforderung, der man nicht gerecht wird, wenn man den FAKTENBASIERTEN Diskurs verlässt“……..


Könnten Sie vielleicht irgendwann die Realität (der ErdKUGEL) anerkennen, dass die „ZUTAGE LIEGENDEN FAKTEN“ „UNBESTREITBAR“ Ergebnisse FÜR ODER WIDER die Placebothese der Homöopathie zeigen, JE NACHDEM WIE die Studien INTERPRETIERT werden? Können wir uns DARAUF einigen? Und darauf, dass es unredlich und unwissenschaftlich ist, ihr JEGLICHE eigenständige Wirkung pauschal abzusprechen, nur weil der Wirkmechanismus noch unplausibel ist? Und wie Walach sagt: „Wenn die Homöopathie reine Placebotherapie wäre, würde man eine andere Datenlage erwarten [unabhängig von irgendeinem Bias]….“!

UDO ENDRUSCHEIT 25. Januar 2019 1:08 

Lieber Herr Hümmer,
ich danke Ihnen sehr für Ihren Kommentarbeitrag, nicht zuletzt, weil er mir Gelegenheit gibt, zu einigen Fehlannahmen über die wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik Stellung zu nehmen. Gestatten Sie mir, in einem Gesamtkontext auf Ihre Ausführungen einzugehen.

Es ist keine Position der wissenschaftsbasierten Homöopathiekritik, dass Homöopathie deshalb abgelehnt wird, weil es keine Erklärung von Wirkungsmechanismen gebe. Auch bei mir werden Sie nicht im Ansatz eine solche Argumentationslinie finden. Es ist einfach: Die Grundhypothese, Homöopathie habe eine spezifische arzneiliche Wirkung, hat „strenger Überprüfung“ im Sinne Popperscher Falsifikation nicht standgehalten. Wohlgemerkt, die Grundhypothese der Annahme einer Wirkung – damit ist nach den Gesetzen der Logik die Diskussion über einen Wirkmechanismus obsolet. Die Homöopathiekritik beschäftigt sich deshalb mit den „Wirkungsmechanismen“ und den Bemühungen der Homöopathie, durch „Grundlagenforschung“ (z.B. dem sogenannten high dilution research) hierfür Belege zu suchen, nur sekundär. Es ist ein offenbar auch unter Homöopathen weit verbreiteter Fehlschluss, eine Wirkung als nachgewiesen vorauszusetzen (hier ist der Triggerpunkt für die „persönliche Erfahrung“, die sich in Bezug auf die Methode Homöopathie dann zum umfassenden confirmation bias auswächst) und dann zu erklären, es gehe damit nur noch um Forschungsfortschritt, um – wie in vielen Fällen der wissenschaftlichen Medizin auch – näheren Aufschluss über die dahinter liegenden Mechanismen zu gewinnen. Nein, das ist nicht so und deshalb auch nicht primärer Gegenstand der homöopathiekritischen Argumentation. Kritikpunkt ist allerdings, dass die Situation so dem geneigten Publikum dargestellt wird.

Und deshalb gibt es für mich auch gar keinen Raum, um Ihnen eine Konzession in der von Ihnen gewünschten Richtung zu machen. Die Frage nach einem Wirkungsmechanismus der Homöopathie ist angesichts der Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit selbst überhaupt keine epistemologische Kategorie mehr. Nun mag es sein, dass Sie nach wie vor von der spezifischen Wirksamkeit der Homöopathie überzeugt sind. Dort allerdings kommen wir erst recht nicht zusammen. Die Reviews und Metaanalysen zur Homöopathie der Jahre seit 1991 zeigen sämtlich eben keine Überlegenheit der Homöopathie bei irgendeiner Indikation, weder bei indikationsbezogener Anwendung von Präparaten noch bei individualisierter Therapie. Die einzelne Studienlage mag gelegentlich darauf hindeuten, dass es kleine Effekte geben könnte, die über Placebo hinausgehen, jedoch ist nach dem Bekunden der Autoren der Reviews die Qualität der vorliegenden Studien so niedrig, dass hieraus keine belastbaren Schlussfolgerungen gezogen werden können. Dazu rufe ich gern Robert Mathie vom Homeopathy Research Institute als Zeugen auf, der dieses Ergebnis mit seinen drei Arbeiten (2014, 2017, 2018) bestätigt, wenn er auch bemüht ist, dies in den Zusammenfassungen mit allerlei euphemistischen Formulierungen abzuschwächen. Da wird nichts „interpretiert“. „Bereinigt“ man die homöopathischen Arbeiten (was mit Interpretation nichts zu tun hat) um methodische und statistische Mängel, dann stellt sich stets eine weitere Verschlechterung der Beleglage dar (methodologisch ist es zwangsläufig, dass derartige Mängel sich immer in Richtung der Vergrößerung des Alpha-Fehlers auswirken). Nein, die spezifische Nichtwirkung der Homöopathie ist in praktisch der gesamten weltweiten Wissenschaftscommunity Konsens, und das nicht aus ideologischer Ablehnung oder ähnlichen Haltungen heraus, sondern aus guten wissenschaftlichen Gründen. Die Homöopathiekritik hat umfassend und erschöpfend die vorgelegten Arbeiten analysiert und kritisiert – so manches (wie in der Shang-Eggers-Arbeit) hat dabei als methodisch sicher nicht gerade optimal ebenfalls der Kritik unterlegen (es geht der Homöopathiekritik nicht um die Bestätigung vorgefasster Ansichten). Diese Dinge sind bei den großen Studien und Reviews alle ausdiskutiert, ohne dass sich für die Homöopathie eine bessere Ausgangslage ergeben hätte. Und dabei verzichte ich hier einmal völlig auf eine Diskussion des Aspekts der Ausgangsplausibilität der Methode.

Lassen wir dies einmal vorläufig außer Acht – ich möchte ungeachtet all dessen gern darauf eingehen, was es überhaupt bedeuten würde, konzedierte ich Ihnen wunschgemäß, eine Wirkung der Homöopathie sei nicht deshalb auszuschließen, weil ihre Wirkungsmechanismen nicht bekannt seien. Sie rekurrieren bei dieser Vorstellung auf die „Bescheidenheit“ der Wissenschaft, genauer, auf das Postulat des popperschen kritischen Rationalismus, dass Forschung nicht „Wahrheit“, sondern „Erkenntnis“ zum Ziel hat und diese wegen der Fehlbarkeit jeglicher (empirischer) Erkenntnis stets nur vorläufig sein kann (was die Begründung für den wissenschaftlichen Falsifikationismus als Motor des Erkenntnisgewinns ist). Damit ist aber nicht das Offenhalten eines Hintertürchens im Sinne eines „der andere könnte auch Recht haben“ gemeint, wie es die Verfechter eines fehlgeleiteten „pluralistischen“ (in Wirklichkeit reaktionär-positivistischen) Wissenschaftsbegriffes einfordern, denn dies wäre nichts anderes als das Ende der kritisch-rationalen Methode und der Einzug von Beliebigkeit (man könnte sagen: die Wiederkehr des Positivismus) in den Wissenschaftsbegriff. Eine Konzession meinerseits in der von Ihnen intendierten Weise wäre erkenntnistheoretisch völlig wertlos, denn sie würde keinerlei Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Homöopathie widerspiegeln, erst recht nicht so etwas wie eine „kleine Wahrheit“ beinhalten, sondern lediglich ziemlich trivial die Vorläufigkeit menschlichen Wissens bestätigen. So etwas kann kein Weg der Erkenntnisgewinnung sein, sondern wäre nur ein positivistischer Weg, um das Faktum der menschlichen Fehlbarkeit zu einem scheinbaren Erkenntniskriterium – und das auch noch im speziellen Falle – aufzubauschen.

Herrn Walachs Postulat übrigens halte ich für eine reine Behauptung. Warum sollte man eine andere Datenlage erwarten, wenn die Homöopathie eine reine Placebotherapie wäre? Die Datenlage ZEIGT doch, dass sie im Großen und Ganzen – bei Betrachtung ausreichend großer Kohorten, was unumgänglich ist – mit Placebo auf gleicher Höhe agiert. Allein dies ist eine Widerlegung der Walachschen Position, die eine Verallgemeinerung der öfter gehörten Aussage darstellt, Homöopathie könne deshalb keine Placebotherapie sein, weil oft nicht gleich das erste (oder zweite) Mittel wirke. Das ist aber ein unbegründeter Fehlschluss, dazu verweise ich auf diesen Beitrag des Informationsnetzwerks Homöopathie:
https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/kurz-erklaert/297-argument-homoeopathie-kann-schon-deshalb-nicht-bloss-auf-dem-placeboeffekt-beruhen-weil-oft-das-erste-gegebene-mittel-nicht-wirkt

Ich danke Ihnen nochmals für Ihren Beitrag und die Möglichkeit der Entgegnung und möchte mit einem Popper-Zitat schließen, das ich überzeugten Homöopathen gern ans Herz legen möchte:

“Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen.” (Logik der Forschung, 11. Auflage, Tübingen 2005, Seite XX).


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