Das Informationsnetzwerk Homöopathie hat vor kurzem die Frage erreicht, weshalb bei diesem keine Auseinandersetzung mit der Forschung zu ultrahohen Verdünnungen, dem sogenannten high dilution research, stattfinde. Das ist die Forschungsrichtung, die -soweit sie in Bezug auf Homöopathie stattfindet- in weit höherem Maße im “Nichts” forscht als jeder Astrophysiker und in der Vorstellung lebt, irgendein Nachweis irgendeines auffälligen Verhaltens von hochverdünnten Lösungen sei per se der ultimative Nachweis der Richtigkeit von Hahnemanns Lehre.
Der Blogbeitrag von Dr. Aust sei jedem am Homöopathieproblem Interessierten sehr zur Lektüre empfohlen. Kurz gesagt, wird dort dargelegt, dass selbst irgendwelche Ergebnisse, auch ohne diese zu qualifizieren, letzten Endes ohne Bedeutung für die zentrale Frage sind, ob Homöopathie wirkt oder nicht.
Ich möchte Dr. Austs Gedanken noch etwas erweitern.
Was wir hier mit dem high dilution research vor uns sehen, ist Bestätigungsforschung, also kein neutraler prospektiver Blick zur Klärung einer Ausgangshypothese, sondern die “Suche” nach einem bestimmten Ergebnis. Soweit diese Forschung mit Blick auf die Homöopathie durchgeführt wird, ist sie selbst als Bestätigungsforschung ein Auswuchs, eine Verirrung. Denn: Es wird “auf Teufel komm raus” nach einem Einzelaspekt geforscht, der -wie Dr. Aust darlegt- für das eigentliche Grundproblem, nämlich den Nachweis einer spezifischen Wirkung der Homöopathie, bedeutungslos ist.
Bei solcher Forschung verliert man offenbar vollkommen aus dem Auge, worum es eigentlich geht. Stattdessen kapriziert man sich auf einen Beleg für einen einzigen, in der Hierarchie des Gedankenmodells “Homöopathie” weit obenstehenden Aspekt, die angebliche Wirkung von Hoch- und Höchstpotenzen. Da sind wir Kritiker weitaus bescheidener. Wenn erst einmal ein Wirkungsnachweis überhaupt gelänge, wären wir gern bereit, uns mit der Frage nach dem Wirkungsmechanismus zu befassen. Und da käme doch wohl zuerst einmal die Gültigkeit des Simileprinzips (leider invalide) und der Arzneimittelprüfung am Gesunden (leider ebenfalls invalide) zum Zuge. Deren Nachweis könnte dann allenfalls Anstoß zu einer Befassung mit der Wirkungsmethodik von Hoch- und Höchstpotenzen sein. Wie die Vergangenheit zeigt (ich erinnere an die Fälle Montagnier und Benveniste), neigt man gleichwohl dazu, bei jedem Strohhalm, der als Fata Morgana bei solcher Art Forschung erscheint, den Rückschluss auf die Wirksamkeit und den kompletten Wirkungsmechanismus der Homöopathie zu ziehen. Das ist schlicht unwissenschaftlich.
Gerade die Idee der wirksamen Hochpotenzen ist doch mit dem Gedanken der Wirkung einer “geistigen Kraft” untrennbar verbunden. Hahnemann selbst war womöglich klüger war als seine in high dilution research forschenden Jünger. Er war nämlich durchaus Chemiker genug, um nicht von einer materiell organisierten Wirkungssteigerung durch Potenzieren auszugehen. Aber man darf ihm durchaus zutrauen, die Diskrepanz zwischen alltäglicher Erfahrung beim Verdünnen und dem Gedanken einer Wirkungszunahme trotz immer geringer werdenden Wirkstoffanteils erkannt oder erspürt zu haben – weshalb er die erklärenden Postulate der “geistigen Arzneikraft” und der “geistigen Lebenskraft” einführte. Wer weiß – vielleicht würde er über seine heute nach direkten Wirkungsspuren in Hochpotenzen suchenden Exegeten den Kopf schütteln und ihr Treiben als “Kinderey” ansehen – wie er ja zu Lebzeiten stets gegen die „Atomisten“ wütete, die partout nicht von einem materiellen Agens als Wirkungsgrundlage ablassen wollten.
Erstaunlich ist, dass wir hier etwas vor uns sehen, was eigentlich immer den Kritikern der Homöopathie (zu Unrecht) vorgeworfen wird: Die Ausrichtung an einer strikt materialistisch-mechanischen Sichtweise. Um nichts anderes geht es nämlich bei dem high dilution research: Um die Suche nach einem mechanistisch-funktionalen Aspekt, der zum archimedischen Punkt für die wissenschaftliche Rechtfertigung der Homöopathie gemacht werden soll. Eigentlich angesichts von Hahnemanns Lehre ganz unglaublich, denn damit wird der Grundgedanke Hahnemanns von der “geistigen Arzneikraft” die korrigierend auf die “geistige Lebenskraft” des Patienten einwirkt, doch vollkommen negiert – ich habe an anderer Stelle schon einmal darauf hingewiesen. Jeder klassische Homöopath müsste sich doch eigentlich gegen diese Art von Forschung verwahren. Wieder einer der großen, letztlich unauflöslichen Widersprüche, die die Apologeten der Homöopathie häufig selbst produzieren und nicht aufzulösen in der Lage sind (mit anderen Worten, sie widerlegen ihre eigenen Grundlagen). Insofern überhaupt zu glauben, man habe mit einem “naturwissenschaftlichen Nachweis” irgendwelcher chemischer oder physikalischer Eigenschaften von hochverdünnten Lösungen den “Stein der Weisen” der Homöopathie in der Hand, ist doch ein geradezu grotesker Irrtum.
Bei alledem fasst man sich doch an den Kopf und fragt sich, was denn nun eigentlich für die Homöopathie aus dem ganzen high dilution research überhaupt herauskommen soll. Nach meiner Ansicht ist dies Verschwendung von Ressourcen – nicht nur finanzieller, sondern auch von wissenschaftlichen Kapazitäten personeller und materieller Art. Ein Grundsatzproblem: Die Priorisierung von Forschungskapazitäten, die in Zukunft breiten Raum einnehmen wird. Für die könnte die homöopathische “Grundlagenforschung” das Modell eines Negativbeispiels abgeben.
Vielleicht ähneln sich die Worte Dilution und Delusion nicht zufällig.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“ und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.
Wissenschaftsfeindlichkeit, Esoterikboom, Ablehnung von „Chemie“, Misstrauen gegenüber wissenschaftlich fundierter Medizin, abgeleitet aus Natürlichkeitswahn, Wiederbelebung animistischer Vorstellungen wie „belebt“, „fließende Energie“, „Feinstofflichkeit“ – all das ist keineswegs ein „Back to the roots“, keine Rückbesinnung auf „natürliche Lebensformen“. Nein, ganz im Gegenteil, das ist viel eher eine Form von zivilisatorischer Dekadenz, eine irregeleitete Träumerei auf der Folie eines inzwischen sehr problemlosen Lebens. Die gemeinsame Grundlage all dessen ist das, was man als den Naturalistischen Fehlschluss (nach Edward Moore, auch Humes Gesetz, der unzulässige Schluss von einem Sein auf ein Sein-Sollen) bezeichnet, also nur aus der „Natur“ der Dinge (in diesem Falle der Natur selbst) abzuleiten, wie diese sein sollten und ihnen damit einen moralischen (implizit anthropozentrisch gedachten) Wert zu unterstellen. .
Der Mensch des wissenschaftlichen Zeitalters scheint in einer Umdeutung und Überhöhung des Rousseau’schen Mottos des „Zurück zur Natur“ zu leben. Er gefällt sich in „kritischer Haltung“ gegenüber der „rationalistisch-materialistischen Weltanschauung“, die angeblich die Jetztzeit beherrsche (also eine Art Negativum des Naturalistischen Fehlschlusses) und erhebt das „Natürliche“ vielfach geradezu zu einem Fetisch. Was dem Markt der medizinischen Mittel und Methoden, der sich nicht auf die wissenschaftliche Medizin beruft, nicht entgangen ist.
„Der Wissenschaft“ wird „Anmaßung“ vorgeworfen, weil sie behaupte, „alles zu wissen“, wahlweise wird sie als „Ideologie unter vielen“ oder als „Glaube“ bezeichnet. Die Abgrenzung eines Begriffs des „Natürlichen“ gegenüber den als Fehlentwicklungen gesehenen „gefährlichen“ und „nicht menschengerechten“ Erkenntnissen und Methoden der neueren Zeit wird immer schärfer – und moralisch aufgeladener. Sie bringt dabei solche Absurditäten hervor wie den Begriff „ohne Chemie“, der ohne Ansehen seiner kompletten Unsinnigkeit (ohne andauernde chemische Reaktionsketten ist der Körper tot) zu einem verbreiteten Markenzeichen auf dem pseudomedizinischen Markt geworden ist. Genau wie der gleichbedeutende Slogan von „100 Prozent natürlich“.
Das mag alles bei einigermaßen aufgeklärten Menschen Kopfschütteln hervorrufen. Es ist aber mehr als eine Verirrung. Es ist ein kompletter Irrtum, eine Schimäre.
Die Menschen der frühen Zivilisationen sahen die Natur nur sehr bedingt als freundliches Gegenüber. Sie waren sich dessen vollkommen bewusst, dass die Natur sie jederzeit würde vernichten können. Was die Natur ihnen gab, mussten sie ihr mühsam abringen. Die Entstehung von Götterwelten hatte zur Grundlage, die Natur zu beherrschen oder zumindest milde stimmen zu können.
Lange Zeit blieb dies so. Die Natur war ganz überwiegend unerbittliche Gegnerin. Von allen Seiten bedrängte sie die Menschen, mit Krankheiten und zerstörerischen Naturgewalten. Das Meme von der „guten Mutter Natur“ taucht erst bei recht hochzivilisierten Gemeinschaften auf, ist in Mitteleuropa ein Produkt des romantischen Zeitalters. Eines Zeitalters, in dem immerhin noch die durchschnittliche Lebenserwartung ein Drittel der heutigen ausmachte, Infektionskrankheiten große Teile der Bevölkerung dahinrafften, die Kindersterblichkeit enorm war und die Medizin auf „Herumtappen“ (Kant) statt auf Wissen und Kenntnisse angewiesen war. Die Naturbegeisterung der Romantik war eine typische Erscheinung der Oberschicht, die zumindest das Privileg ordentlicher Wohnverhältnisse, akzeptabler Hygiene und ausreichender Ernährung genoss. Allen anderen dürfte eine Naturverklärung auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch ziemlich fremd geblieben sein.
Insofern ist die Verklärung von „Natürlichkeit“ etwas durchaus Neues, es drängt sich sogar auf, deren Entwicklung mit der Entwicklung der modernen Medizin und des technischen Fortschritts als zeitgleiches Phänomen zu identifizieren. Es ist eine Luxushaltung, die sich nur Menschen erlauben können, die in so hohen Standards leben, dass sie von den ständigen Attacken der Natur gegen sie im Großen und Ganzen bewahrt sind. Nur vor diesem Hintergrund kann sich eine Haltung ausbilden, die bewusst oder auch unbewusst davon ausgeht, die Natur sei auf den Menschen zentriert und verfolge insofern einen Zweckmäßigkeitsgedanken.
Die Unterstellung, die Natur sei als solche gut und a priori auf die menschlichen Belange und Bedürfnisse ausgerichtet, ist ein klassischer Sein-Sollen-Fehlschluss. Esoterik und Pseudomedizin sind nach wie vor voller solcher ausgesprochener wie stillschweigender Annahmen. So sprechen Homöopathen im Zusammenhang mit der homöopathischen Arzneimittelprüfung am Gesunden geradezu von einer „Frage an die Natur“ und die am Gesunden erzielten Symptome seien „die Sprache der Natur selbst“ (Schlegel 1954, nach Prokop 1957) (1). Martini, der die großen umfassenden Untersuchungen zum Wert der Arzneimittelprüfungen durchgeführt hat, wies zu Recht darauf hin, dass eine solche Betrachtungsweise die Kausalität auf den Kopf stelle: Das erst in der Zukunft liegende Ziel der Untersuchung wird selbst als Ursache der Richtung angesprochen, in der sich ein Vorgang entwickelt. Er wendet sich scharf gegen die Unterstellung „rein biozentrischer oder gar anthropozentrischer Tendenzen“ in der Naturbeobachtung (Martini 1948, nach Prokop aaO).
In die Naturverherrlichung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schlug Darwins Lehre eine große Bresche. Die von Freud so formulierte „darwinistische Kränkung“ des Menschen, die Erkenntnis, dass der Mensch als Teil der Natur ihren Daseinsbedingungen und insbesondere ihren Entwicklungsgesetzen unterworfen ist, beinhaltet eigentlich den Zusammenbruch des naturverklärenden humanzentrierten Weltbildes. Die Natur ist in keiner Weise zweckgerichtet auf Belange oder Bedürfnisse des Menschen. Am Beispiel der schönen Chilischoten im Bild: Sie sind nicht scharf, um unser Chili con carne zu würzen, sie sind scharf, um Fressfeinde abzuschrecken. Wie Darwin zeigte, hat „die Natur“ (sofern man sie überhaupt „personalisieren“ will) nicht einmal irgendein Interesse am Bestand des einzelnen Individuums.
Wenn man der Natur schon so etwas wie eine Zielgerichtetheit unterstellen will, dann allenfalls die, mit „ihrer Methodik“ auf das Überleben der Spezies, nicht des Individuums, abzuzielen. Aber auch dies gilt nur im engen Rahmen einer rein biologistischen Betrachtungsweise und scheitert schon bei der Kosmologie. Die häufige Anführung des anthropischen Prinzips als Beleg für eine Humanzentrierung geht nämlich fehl, weil dies seine eigentliche Bedeutung überinterpretiert: Das anthropische Prinzip besagt nicht mehr, als dass das beobachtbare Universum nur deshalb beobachtbar ist, weil es alle Eigenschaften hat, die dem Beobachter seine Existenz ermöglichen. Wäre es nicht für die Entwicklung bewusstseinsfähigen Lebens geeignet, so wäre auch niemand da, der es beobachten könnte. Was aber nicht heißt, dass es wegen der Beobachter so ist.
Hat der Mensch die „darwinsche Kränkung“ längst noch nicht überwunden, was vielfach offensichtlich ist, kann es auch nicht verwundern, wenn er die Natur und das Natürliche als scheinbaren Gegenpol zu den von ihm als solche empfundenen Zumutungen einer wissenschaftlich-technischen Welt kultiviert. Umso mehr, als er -wie schon erwähnt- den Angriffen und Zumutungen dieser Natur längst nicht mehr im früheren Maße ausgesetzt ist – paradoxerweise gerade wegen der von ihm mit Misstrauen betrachteten technisch-wissenschaftlichen Fortschritte. Er übersieht dabei, dass alle diese Fortschritte nichts anderes sind als eben dieser Natur abgerungene Erkenntnisse, die sich der Mensch aufgrund seiner ebenfalls naturgegebenen Fähigkeiten zunutze macht. In manchen Wissenschaftsdisziplinen mag dies undeutlich hervortreten, aber gerade die Medizin ist ein herausragendes Beispiel hierfür. Der Begriff Naturwissenschaft existiert nicht umsonst. Damit fällt der konstruierte Gegensatz von „natürlich“ und „menschengemacht“ in sich zusammen.
So wird nun „Natürliches“ zum Kronzeugen für das Heil, als Urgrund alles Guten überhöht und zur Universalwaffe gegen „böse Schulmedizin“ und beschwört eine heile Welt auch dort, wo es keine gibt. Statt aber einen künstlichen und nicht aufrechtzuerhaltenden Gegensatz von „natürlich“ und „technisch-chemisch-wissenschaftlich“ zu konstruieren, sollte die Trennlinie lieber zwischen wirksam und unwirksam, objektiv nützlich und objektiv sinnlos bis schädlich verlaufen. Geschähe dies, wäre das Problem der pseudomedizinischen Durchseuchung des Gesundheitsmarktes zumindest vom Ansatz her gelöst.
Wie von dem Schriftsteller Wolfgang Herrndorf zu Beginn seiner Krebsbehandlung kolportiert wurde, als man ihm „natürliche“ Alternativen zur evident wissenschaftlichen Methodik anbot: „Die Natur ist gerade dabei, mich umzubringen. Ich vertraue auf die Menschen, die ihre Tricks kennen und sie ausbremsen können.“ In dieser Sentenz wird vieles geradegerückt.
Der Wissenschaftler empfindet Demut vor der Natur. Aber er vergötzt sie nicht. Dies wäre als grundsätzliche Haltung zu empfehlen, die dann auch das Tor zu Fragen der Ethik in der Wissenschaft weiter öffnen kann.
(1) Prokop, O. u. Prokop, L.: Homöopathie und Wissenschaft, Stuttgart 1957
Es ist mir schon länger ein Anliegen, meinen Leserinnen und Lesern gelegentlich Einblicke in die homöopathische Forschung zu ermöglichen. Schließlich ist es wichtig, einmal etwas von der wissenschaftlichen Luft zu schnuppern, die uns aus der weltweiten Forschergemeinde der Homöopathen entgegenweht. Keine Angst, alles bleibt einfach und verständlich – weil es im Kern einfach und verständlich ist. Ich möchte auch deutlich machen, wie und wo in Behauptungen und Nachrichten die Schwachstellen auszumachen sind.
Announcement. Für größere Darstellung klicken.
Heute beginnen wir mit einem Ausblick in die Zukunft, mit der Nachricht, dass in Indien Forschungsgelder für die homöopathische Krebsforschung bereitgestellt wurden. Was quer durch die indischen Medien ging, begleitet von Lobpreis. Da wir ja gerade so viel Besuch aus Indien beim Homöopathie-Kongress in Sachsen haben, finde ich das recht passend. Die Meldung auf der indischen Nachrichtenplattform DNA (Daily News & Analysis), übernommen aus dem unerschöpflichen Linkvorrat von HomoeopathyPlus, besagt:
“Das dem Noida-Institut angeschlossene NIPCR (Nationales Institut für Krebsvorsorge und Forschung) hat staatliche Mittel erhalten, um eine Untersuchung zu bestimmten homöopathischen Medikamenten zur Behandlung von Krebs durchzuführen. Das Institut hat das Projekt einem Professor für Zellbiologie übertragen, der verschiedene homöopathische Behandlungen zur Krebsheilung systematisch testen soll.
‘Wir haben auch bisher schon bewährte homöopathische Arzneimittel an Krebspatienten verschrieben, die alternative Medikamente probieren möchten oder sich in einem Stadium befinden, in dem sie chemische Mittel nicht mehr einnehmen können’, sagt Doktor RK Manchanda, Generaldirektor, Zentralrat für Forschung in der Homöopathie (CCMR). ‘Die Idee ist, mittels molekularer Forschung bei bestimmten homöopathischen Medikamenten festzustellen, wie effektiv sie bei der Behandlung von Krebs sein können’, sagte sie.
Als Teil seiner Forschung wird das Institut eine Patienten-Außenstelle am Dr. DP Rastogi Central Research Institut für Homöopathie, Noida, für das Screening von Krebspatienten einrichten. Die Patienten werden gefragt, ob sie bereit sind, homöopathische Medikamente zusammen mit anderen Mitteln zu versuchen.“
Was ich vom Einsatz homöopathischer Mittel speziell bei Krebs halte, brauche ich nicht näher zu erläutern. Nicht satisfaktionsfähig. Beschäftigen wir uns mit den entscheidenden Stichworten:
Ein Professor für Zellbiologie befasst sich mit homöopathischen Wirkungen? Das ist immerhin ein Fachgebiet, das der Homöopathie hochkritisch, ja zwangsläufig ablehnend gegenüberstehen müsste! Ein Zellbiologe muss sich doch darüber klar sein, dass selbst in Niedrigpotenzen mit Restwirkstoffen keine Substanz mehr enthalten ist, die für eine Zellantwort ausreicht, die eine biologische Reaktion über Effektorsysteme im Körper auslösen kann! Etwas schwierig unter diesen Umständen, molekulare Forschung zu betreiben. Stichwort Dosis-Wirkungs-Beziehung. Zumal die indischen Homöopathen durchweg mit Hochpotenzen arbeiten, da sie von dem Hahnemannschen Postulat der zunehmenden Wirkung durch Potenzierung fest überzeugt sind. Auf die Ergebnisse dieser Art von Grundlagenforschung darf man gespannt sein, das primäre Problem wird vermutlich sein, überhaupt Moleküle zu finden.
Es gibt bewährte homöopathische Arzneimittel für die Krebsbehandlung? Kann mir mal eben jemand den Namen des Nobelpreisträgers dafür nennen, der muss mir entfallen sein? Oder wenigstens die Fundstelle für die reproduzierten Forschungsergebnisse?
Chemische Mittel. Wieder die völlig unsachliche und vor allem unwissenschaftliche Unterscheidung von “Chemie” und “wir sind von der Nicht-Chemie-Fraktion”. Von wissenschaftlich ausgebildeten Menschen. Naja, tätig beim Zentralrat für Forschung in der Homöopathie. Trotzdem: Was für eine unsägliche laienhafte Aussage, die nicht auf eine Unvoreingenommenheit bei der anstehenden “Forschung” schließen lässt. Und eigentlich den beauftragten Professor für Zellbiologie Schmerzen bereiten müsste.
Wie so oft, kommt das Beste zum Schluss: Die Patienten werden gefragt, ob sie bereit sind, homöopathische Medikamente zusammen mit anderen Mitteln zu versuchen. Also wird die klinische Forschung mal wieder “komplementär” betrieben, wobei es das Geheimnis der Forscher bleibt, wie bei einer gleichzeitigen Anwendung von Homöopathie und konventioneller Behandlung die spezifischen Anteile der Homöopathie belegt werden sollen. Und eine vernünftige Verblindung ist damit auch dahin. Damit ist auch der Weg versperrt, eine Gruppe, die einer komplementären Behandlung zugestimmt hat, mit einer zu vergleichen, die dies ablehnte. Denn beide sind massiv konditioniert durch ihre Entscheidung pro oder contra Homöopathie. Und auf Versorgungsforschung in der einen oder anderen Ausprägung wird es eh wieder hinauslaufen.
Mir ist klar, dass Indien ein Land ist, in dem die Homöopathie einen großen Stellenwert hat. Aber doch nur, weil das wissenschaftlich basierte Gesundheitssystem die Masse der Menschen nicht erreicht! Pseudomedizin als Notnagel ist keine gute Sache. Auch wenn es im Rahmen der üblichen Effekte vielfach Wirkung erzeugt und den Menschen ein gewisses Grundvertrauen gibt. Staatliche Forschungsgelder und Mittel zur Unterhaltung von Forschungseinrichtungen für Homöopathie sind aber denkbar schlecht angelegt. Aber die Struktur ist wohl extrem verfestigt, ob ein Programm zum Umbau und Ausbau in Richtung evidenzbasierter Medizin eine Chance hätte? Warum eigentlich nicht? Indien war schon immer das Land, in dem große Umbrüche möglich waren. Aber so lange das 2014 aus rein nationalistisch-demonstrativen Gründen installierte Parallel-Gesundheitsministerium AYUSH das Sagen hat und dem wirklichen Gesundheitsministerium auch finanziell das Wasser abgräbt, ist hier wohl wenig zu hoffen.
Ihr, liebe Leserinnen und Leser, werdet jetzt sicher aufseufzen und sagen: Der hat aber auch immer was zu meckern… Dazu kann ich nur sagen:
Der verdienstvolle David Gorski hat heute (22. Mai) auf sciencebasedmedicine.org einen ausführlichen Artikel veröffentlicht, der sich mit der schleichenden Ausbreitung pseudomedizinischen Unsinns in der (bislang) wissenschaftsbasierten Szene befasst. Er verdeutlicht dies im Besonderen an der Öffnung des British Medical Journal, eigentlich stets einer Bastion der Wissenschaftlichkeit, für lang und breit ausgetretene pseudomedizinische “Forschung”.
Dort können gar Versuche gestartet werden, eine völlig neue Nomenklatur einzuführen, die mal wieder eine “zweite Medizin” neben der wissenschaftsbasierten zu installieren versucht. Zweifellos Gedankengänge von Menschen, die vordergründig in “Medical Reseach” tätig sind, aber denen der intellektuelle Hintergrund offenbar fehlt, die Absurdität von den “mehreren Wissenschaften” zu begreifen. Siehe auch die auch auf diesem Blog bereits angesprochenen Fehlentwicklungen in der deutschen akademischen Szene.
Ein Auszug (Übersetzungen von mir): “Neben der enthusiastischen Umarmung von Pseudokram durch große, angesehene akademische Institutionen wie der Cleveland Clinic und dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center hat sich diese “Integration” von Quacksalberei in die Medizin jetzt auch in medizinischen Zeitschriften manifestiert. Bislang unverrückbar wissenschaftlich fundierte medizinische Journale haben leider begonnen, Dinge zu veröffentlichen, die man nur als leichtgläubige Bestätigungen von Quacksalbereien bezeichnen kann. Wir haben hinreichend viele Beispiele hierfür schon über die Jahre hinweg aufgegriffen. Ich sehe mich aber jetzt veranlasst, einen richtigen Kracher (im Original: Whopper) zu dokumentieren: Das British Medical Journal hat zwei ‘State of the Art-Reviews’ über ‘Integrative Medizin’ veröffentlicht, die das falsche Paradigma aufgreifen, Quacksalberei und Medizin müssten ‘ integriert’ werden. Der erste ‘State of the Art’-Beitrag befasst sich mit dem Behandlungsmanagement von chronischen Schmerzen mittels komplementärer und integrativer Medizin (von Lucy Chen aus dem Massachusetts General Hospital Center für Translational Pain Research und Andreas Michalsen vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie und Immanuel Hospital in Berlin). Die zweite ist eine Arbeit über komplementäre und integrative Medizin in der Kopfschmerzbehandlung (von Denise Millstine, Christina Y Chen und Brent Bauer, alle aus der Mayo Clinic). Leider sind sowohl Harvard als auch die Mayo Clinic zu Bastionen der quackademischen Medizin geworden.”
So können sich Chen/Michelsen allen Ernstes erdreisten, folgendes im BMJ zu veröffentlichen:
”Das Konzept der komplementären und integrativen Medizin (CIM) umfasst sowohl westliche Medizin als auch komplementäre Gesundheitsansätze als neuen kombinierten Ansatz zur Behandlung einer Vielzahl von klinischen Bedingungen. CIM kann eine einzigartige Rolle bei der chronischen Schmerztherapie haben, da die multidimensionale Natur des Schmerzerlebnisses eine multimodale Behandlung erfordert. Jüngste Fortschritte in der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung auf CIM haben das Bewusstsein der Patienten über die potenzielle therapeutische Anwendung von CIM deutlich erhöht.”
Da haben wir die neue Nomenklatur: CIM. Der Versuch, einen neuen scheinwissenschaftlichen Eurphemismus zu etablieren, unter mehr oder weniger subtiler Herabsetzung, ja Relativierung der wissenschaftlichen Medizin – durch wissenschaftlich ausgebildete Mediziner! Gorski meint dazu:
“Man beachte die falsche Dichotomie, in der ‘westliche’ (z.B. europäische) Tradition als wissenschaftlich-reduktionistisch und humanistisch defizitär dargestellt wird – im Gegensatz zu ‘CIM’. Ich habe einen neuen evolutionären Schritt beim Sprachgebrauch zu CAM (Complementary and Alternative Medicine) längst registriert- und dies ist ein weiterer Teil davon. Zuerst fiel mir beim National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM) die von ihm selbst vorgeschlagene Umbenennung in das ‘National Center for Research on Complementary and Integrative Health’ (NCCIH) auf. Dies ist nur die jüngste Iteration des “Rebranding” der Quacksalberei, die damit versucht, sich über sprachliche Assoziation respektabler darzustellen. Genau dazu tragen die BMJ-Artikel bei.”
Das ist kein Zufall, das ist interessengeleitete Unterminierungsarbeit.
Prof. Gorski schließt wie folgt:
“Prof. Ernst ist mit Fug und recht unglücklich. Wie er richtig sagt, war das BMJ bislang eine wissenschaftlich führende Zeitschrift. Was passiert hier? Ich glaube, ich weiß es – leider. Die Flut der Pseudowissenschaft, die im letzten Vierteljahrhundert zugenommen hat, hat auch das BMJ einfach verschlungen. Zumindest in diesem Fall gab es einigen Gegenwind, aber ich fürchte, dass dies nur von kurzer Dauer sein wird. Jetzt sind wir erst einmal gespannt, was das BMJ als nächste systematische Übersicht über die Behandlung von Patienten mit Methoden der CIM veröffentlicht – vielleicht von Patienten mit einem vagen Unbehagen, einem leichten Nervenflattern oder auch nur mit mehr Geld als Verstand. Ich bin sicher, dass diese Übersicht ebenso positiv ausfallen wird wie die Bewertungen von Chen, Michalsen, Millstine et al.”
Hier wird die Axt an die Wurzeln der wissenschaftsbasierten Medizin gelegt. Man kann es leider nicht anders ausdrücken.
Ohne mich.
Der ganze Artikel von Prof. Gorski, oben im Text verlinkt, ist recht lang. Wer interessiert ist, sollte ihn auf jeden Fall lesen – er ist mit halbwegs soliden Englischkenntnissen recht gut verständlich.
PS Prof. Ernst führt auf seinem Blog zu den genannten Reviews im BMJ aus, sie enthielten soviel Bullshit, dass man damit mehrere Hektar Ackerland fruchtbar machen könnte…
Aus gegebenem Anlass stelle ich diesem Beitrag mal ein Zitat des guten alten Francis Bacon voran, einem der Vorreiter moderner Wissenschaft, der manches, was heute zum Standard des Wissenschaftsbegriffs gehört, vorwegnahm. Das Zitat stammt aus seinem 1621 erschienenen Hauptwerk “Novum Organum” (nach der Oxford-Ausgabe 1889):
“Wenn eine Überzeugung einmal feststeht, unternimmt der menschliche Verstand alles, immer zusätzliche Unterstützung und Bestätigung für sie zu gewinnen: Und obwohl zahlreiche zwingende Fakten dagegen sprechen können, beachtet er sie entweder nicht oder wertet sie ab oder stößt sie durch vorurteilsbehaftete unsachgemäße Umdeutung ab und weist sie zurück, viel eher, als dass er die Autorität seiner eigenen ersten Schlussfolgerungen opferte.”
Was ist der Anlass für dieses bemerkenswerte Zitat? Nun, für Bacons Erkenntnis gibt es ein höchst aktuelles Beispiel, das den homöopathisch orientierten Blätter- und Webseitenwald derzeit erheblich rauschen lässt. Der Zentralverein homöopathischer Ärzte berichtet:
“ Australische Homöopathie-Studie: „Eine Täuschung der Öffentlichkeit“
Berlin, 12. April 2017. Der Direktor des Londoner Homeopathy Research Institut (HRI), Dr. Alexander Tournier, erhebt schwere Vorwürfe gegen den staatlichen Forschungsrat Australiens und wirft ihm ‘Täuschung der Öffentlichkeit’ vor. Der Nationale Rat für Gesundheit und medizinische Forschung (National Health and Medical Research Council, NHMRC) hatte vor zwei Jahren eine Übersichtsstudie (Review) zur Homöopathie mit dem Ergebnis veröffentlicht, Homöopathie wirke nicht besser als Placebo. Diese Aussage ging auch in Deutschland durch viele Medien und wurde als ein Beleg für die angebliche Unwirksamkeit der Homöopathie angeführt. ‘Die Ungenauigkeiten im Bericht des NHMRC sind so extrem’, erklärt Tournier, ‘dass wir uns dazu entschlossen haben, eine gründliche Untersuchung durchzuführen, die die Hintergründe aufdeckt’. Das HRI hat eine Beschwerde bei einer offiziellen Commonwealth-Stelle eingelegt und aktuell erste Ergebnisse seiner Recherche veröffentlicht. ‘Es ist ungeheuerlich, dass mit derart verzerrten Daten weltweit politische Meinungsbildung betrieben wird“, sagt Cornelia Bajic, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ)’. ” …
Donnerwetter. Jetzt sind wir schon bei politischer Meinungsbildung. Immerhin ist das Review der Australischen Gesundheitsbehörde die Referenz schlechthin, was die Beurteilung der Wirksamkeit von Homöopathie auf der Grundlage von Studienergebnissen angeht. Erst vor kurzem hat sich auch die Russische Akademie der Wissenschaften nach eingehender Prüfung das Ergebnis der Australier zu eigen gemacht. Zudem darf man auch deswegen ein wenig überrascht sein, weil gerade die Arbeit der Australischen Gesundheitsbehörde auf Studien beruhte, die die Britische Homöopathische Gesellschaft selbst als Referenzen anführt, unter Einbeziehung etlicher homöopathischer Autoritäten durchgeführt wurde und vor der endgültigen Veröffentlichung der gesamten homöopathischen Gemeinschaft Australiens für Kritik und Anmerkungen zur Verfügung stand. Was denn jetzt? Wer hat denn hier nicht aufgepasst?
Gemach. Überflüssig wohl, vorauszuschicken, dass selbst ein hundertprozentiger Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen immer noch nicht zu einer Evidenz für die homöopathische Methode führen würde – sie widerspricht nun doch leider allzu sehr naturwissenschaftlichen Grundlagen. Aber Geduld gehört zu den Tugenden im Diskurs. Deshalb wollen wir einen näheren Blick auf diese Anschuldigungen ruhig riskieren.
Ombudsmann untersucht “fehlerhafte” homöopathische Studie
Veröffentlicht am Samstag, 15. April 2017 / von Edzard Ernst
“What Doctors don’t Tell You” (WDDTY, wo die Vorwürfe gegen die NHMRC zuerst publiziert wurden) hat schon öfter mit der Wahrheit auf Kriegsfuß gestanden (es folgen Verweise). Jetzt haben sie einen Artikel mit dem Titel “Ombudsman untersucht ‘fehlerhafte’ homöopathische Studie, die behauptet, dass die Methode unwirksam ist” veröffentlicht. Er greift in unzweideutiger Weise die “NHMRC-Erklärung über Homöopathie / NHMRC Informationspapier – Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie zur Behandlung von Gesundheitsstörungen” aus dem Jahr 2015 an – von der ich mit guten Gründen denke, dass sie eine solide Bewertung der Homöopathie darstellt und die ich deshalb wiederholt auf meinem Blog herangezogen habe. Hier folgt, was WDDTY postuliert:
ZITAT ANFANG
Ein großer und einflussreicher Review zur Homöopathie kam zu dem Schluss, dass die umstrittene Therapie keine Wirksamkeit aufweist – aber das Review war derart mit Irrtümern und schlechter Wissenschaft durchsetzt, dass eine offizielle Ombudsmann-Untersuchung veranlasst wurde. [Gemeint ist der Ombudsmann für Beschwerden jeglicher Art bezüglich öffentlicher Angelegenheiten innerhalb des Commonwealth of Nations. Eine interessante Art und Weise, einen wissenschaftlichen Diskurs zu führen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.]
Weltweit berichteten die Medien, die Homöopathie sei Betrug, nachdem das National Health and Medical Research Council (NHMRC) im Jahr 2015 veröffentlicht hatte, dass “es keine medizinischen Indikationen gibt, bei denen eine zuverlässige Evidenz für die Wirksamkeit von Homöopathie existiert”.
Doch jetzt untersucht der Commonwealth-Ombudsmann die Verfahren, mit denen das Review der NHMRC durchgeführt wurde – nach Erhalt von Berichten über Ungenauigkeiten, Missachtung von Belegen und Interessenkonflikten.
Die Überprüfung wurde von der Australischen Homöopathischen Vereinigung (AHA) ausgelöst, unterstützt durch das homöopathische Forschungsinstitut (HRI), das begonnen hatte, die Review-Verfahren zu hinterfragen, nachdem mehrere solide Studien gezeigt hatten, dass Vorteile der Homöopathie übergangen worden waren.
Das NHMRC-Review-Team berücksichtigte willkürlich nur Studien, die mehr als 150 Probanden betrafen – und forderte Standards, die selbst bei Arzneimittelstudien nur selten zu erreichen sind. Aufgrund dieser Anforderungen reduzierte man die Anzahl der als qualifiziert [für das Review] angesehenen Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 einzelnen Untersuchungen [Unsinn – gemeint sind hier die Angaben des NHMRC in einer frühen Pressemitteilung von rd. 1.800 gesichteten Literaturbelegen und zusätzlich eingereichten Unterlagen, nicht Reviews bzw. Studien – die hieraus als verwertbar für das Projekt bewertete Zahl an Reviews betrug 57, diese wiederum bezogen sich auf 176 Studien, s. unten – Zusatz UE) – und keine von diesen zeigte dann eine Wirksamkeit der Homöopathie.
Einer der NHMRC-eigenen Rezensenten produzierte einen geheimnisvollen ersten Bericht, der noch nie veröffentlicht und trotz der Gesetze zur Informationsfreiheit nicht freigegeben wurde. [Ja und? Wenn überhaupt, war das eine Vorversion, so was soll es tatsächlich geben… VERSCHWÖRUNG!!! – Zusatz UE]
Ferner hat die AHA aufgedeckt, dass Prof Peter Brooks, Vorsitzender des untersuchenden NHMRC-Komitees, nie erklärt hat, dass er Mitglied der Anti-Homöopathie-Lobby-Gruppe “Friends of Science in Medicine” war. [Was nicht zutrifft. Prof. Brooks war nur kurzzeitig Mitglied dieser Gruppe und hat außerdem genau deswegen den Vorsitz des Ausschusses an Prof. Paul Glasziou abgegeben. – Zusatz UE]
Es gebe solide Studien, die eine Wirksamkeit der Homöopathie gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen belegen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Probanden, erklärte HRI-Chef Rachel Roberts. “Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, dass es qualitativ hochwertige Studien gibt, die eine Wirkung der Homöopathie für einige medizinische Indikationen belegen – Informationen, die nur wegen des irreführenden Umgangs des NHMRC mit der Beleglage untergegangen sind.”
Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “sich nicht sicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.
ZITAT ENDE
Wie es eben so ist, stehe ich in Kontakt mit dem Hauptautor des kritisierten Berichts, Paul Glasziou, nicht zuletzt, weil er ein freundliches Vorwort für mein Buch Homeopathy – The Undiluted Facts geschrieben hat. Also haben in unserer Korrespondenz die neuesten Schmähungen von WDDTY diskutiert. Aufgrund dessen bin ich jetzt in der Lage, einiges geradezurücken (ich hoffe, Paul hat nichts dagegen):
ANMERKUNG 1: – Das NHMRC-Reviewteam legte willkürliche Parameter fest, nach denen nur Studien mit mehr als 150 Personen einbezogen wurden und setzte Standards, die selbst Arzneimittelstudien nur selten erreichen.
Die Wahrheit ist, dass der Bericht sich gar nicht auf einzelne Studien, sondern auf bereits vorliegende systematische Reviews von Studien bezieht [Das Review der NHMRC ist also ein Meta-Review] – Anm. UE]. Die 57 betrachteten systematischen Reviews umfassten 176 Einzelstudien, die 61 Indikationen umfassten: durchschnittlich etwa 3 Indikationen pro Studie. Aber einige Studien beinhalteten nur eine Indikation, und ein einzelner Versuch würde normalerweise natürlich nicht als vernünftige Grundlage für zuverlässige Schlussfolgerungen betrachtet werden. GRADE – der internationale Standard für die Beurteilung von Evidenzen – schlägt vor, “wenn Gruppengrößen kleiner als 400 sind, sollten Autoren und Leitfadenentwickler die darin liegende Ungenauigkeit bei der Bewertung berücksichtigen”. Daher wäre das Kriterium von 150 sogar wesentlich milder als die aktuelle GRADE-Richtlinie. [Ein starkes Entgegenkommen (!) gegenüber der Homöopathie – die eh immer wieder das Problem hat, kaum Studien mit der von GRADE eigentlich geforderten Größenordnung bereitzustellen. – Anm. UE]
ANMERKUNG 2 – Diese Anforderungen reduzierten die Anzahl der qualifizierenden Studien auf nur fünf – von einem anfänglichen Pool von mehr als 1.800 – und keine von ihnen zeigte, dass die Homöopathie wirksam war.
Das ist einfach nicht richtig. Der Bericht des NHRMC beinhaltet 57 systematische Reviews, die sich auf 176 Einzelstudien beziehen, nicht 5. Diese 176 Studien zu 61 Indikationen bildeten die Evidenzgrundlage für die Schlussfolgerungen des NHMRC-Berichts. [Insgesamt wurden 225 Arbeiten berücksichtigt, einschließlich der von Homöopathen zusätzlich im Rahmen der öffentlichen Auslegung eingereichten.]
ANMERKUNG 3 – Es gibt solide Studien, die zeigen, Homöopathie ist wirksam gegen Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen – aber sie alle beinhalten weniger als 150 Menschen, sagte HRI-Chef Rachel Roberts.
Der NHMRC-Bericht konzentrierte sich auf systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen abdeckten. Angesichts des recht konventionellen p-Wertes von 0,05 [der p-Wert ist ein statistischer Wert, der für den Grad der Wahrscheinlichkeit steht, mit der angenommen werden kann, dass es sich um Zufallsergebnisse handelt]. würde man erwarten, dass eine von 20 Einzelstudien “falsch positiv” sei. Bei 176 Versuchen erwarten wir demnach etwa 9 “falsch positive” Ergebnisse. Aber systematische Reviews, die alle Studien für individuelle Indikationen kombinieren, reduziert dieses Risiko falsch positiver Ergebnisse. Die meisten nationalen Beweisprüfungsgremien fordern für eine Evidenz mehr als eine Studie, z. B. die FDA [Food and Drug Administration der USA] fordert zwei positive Studien, während viele andere gar keine einzelnen Studien, sondern bereits ein systematisches Review unter Einbeziehung von mindestens zwei Studien [für die Annahme eines Evidenznachweises] verlangen. Die Reproduktionsfähigkeit der Befunde ist offensichtlich ein Eckpfeiler der Wissenschaft.
ANMERKUNG 4 – Die Homöopathen stehen nicht allein in der Kritik der NHMRC-Überprüfung: Australiens unabhängiges Cochrane Center sagte, dass die Schlussfolgerungen des Reviews keine genaue Reflexion der Beleglage seien und ein zweiter Experte äußerte, er sei “unsicher über die endgültige Natur der Schlussfolgerungen des Berichts”.
Die Wahrheit ist, dass das Cochrane Center mit einer unabhängigen Überprüfung den gesamten Prozess der NHMRC-Untersuchung begleitet hat. Es kam zu dem Schluss, dass ‘insgesamt die aus dem Review gezogenen Schlussfolgerungen aufgrund der vorgelegten Evidenz gerechtfertigt erscheinen.’
Ende meines Plädoyers.”
Danke, Prof. Ernst.
Zum besseren Verständnis noch ein paar Anmerkungen meinerseits:
Sehen wir einmal von den offensichtlichen Unwahrheiten ab, die von den Homöopathen vorgetragen werden (Missdeutung der Untersuchungsbasis des NHMRC, unzutreffende Angaben zur Bewertung des Reviews durch Cochrane, völlig unsinnige und auch unzutreffende Hinweise auf “Interessenkonflikte”) –obwohl allein dies eigentlich die ganze Befassung mit dieser Geschichte schon obsolet machen würde. Auch mal abgesehen davon -wie oben schon erwähnt-, dass es mir sehr eigenartig vorkommt, dass neuerdings ein wissenschaftlicher Diskurs auf dem Wege einer Beschwerde beim Ombudsmann für Fehlleistungen öffentlicher Stellen, also dem öffentlichen Kummerkasten für Bürgerbeschwerden, ausgetragen wird. Aber ich vergaß – Frau Bajic wies ja ausdrücklich darauf hin, dass es um politische Meinungsbildung gehe. Also nicht um wissenschaftlichen Diskurs. Sorry.
Also: Die 176 über vorliegende Reviews einbezogenen Studien sind nur geringfügig weniger als die Zahl, die die British Homeopathic Society selbst an belastbaren Arbeiten führt – im Zeitpunkt der Studie waren dies 189. Es wurden keine Reviews / Studien vom NHMRC einbezogen, die von Homöopathen abgelehnt worden wären. Vielmehr kamen aufgrund der Öffnung der Studie für zusätzliche Hinweise noch Arbeiten hinzu, so dass der endgültigen Bewertung 225 Arbeiten aus 57 Reviews zugrunde lagen.
Schon die Projektierung des Reviews wurde vom australischen Cochrane Center überprüft, ebenso die tatsächliche Durchführung und die Einhaltung der Planungsvorgaben. Den Bericht haben im Entwurf mehrere Gutachter erhalten, die auf dem Gebiet der Komplementärmedizin selbst tätig waren. Die Stellungnahmen dieser Gutachter wurden mit dem Review veröffentlicht und können jederzeit nachgelesen werden. Danach wurde der Entwurf offengelegt und der gesamten homöopathischen Gemeinde Australiens ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, Stellung zu nehmen und auch Arbeiten / Studien zu benennen, die nach ihrer Meinung berücksichtigt werden sollten – was auch geschah.
Angesichts dessen muss man sich schon fragen, welche Chuzpe bei AHA, HRI und WDDTY dazu führt, der australischen Behörde eine voreingenommene Studienauswahl vorzuwerfen, zu unterschlagen, dass es sich um ein Meta-Review und nicht um ein Review einzelner Studien handelte und dann auch noch mit falschen Zahlen zu operieren. Um nicht zu sagen, glatt zu lügen. Was der Zentralverein Homöopathischer Ärzte dann einfach aufgreift und verbreitet (und dabei auch noch falsch zitiert).
Es ist über die Ausführungen von Prof. Ernst hinaus auch noch einmal wichtig, zu verdeutlichen, dass es keineswegs zutrifft, Studien mit weniger als 150 Probanden seien außer Acht gelassen worden. Schon im Overview-Report des NHMRC kann man sich davon überzeugen, dass dies nicht wahr ist, dazu braucht man die fast 1.000 Seiten des unglaublich ausführlichen Reviews nicht komplett zu lesen. Ansonsten wäre es wohl kaum dazu gekommen, dass nahezu alle von der British Homoeopathic Society geführten Studien im Meta-Review erfasst sind.
Was den Hinweis auf die berühmten Studien mit angeblich echter Evidenz für die Homöopathie angeht (Anmerkung 3) – Prof. Ernst will mit seinen Ausführungen zur Signifikanz von Studienergebnissen verdeutlichen, dass einzelnen, zumal mit kleinen Probandengruppen durchgeführten Studien im Vergleich zu Reviews oder gar Meta-Reviews keine Bedeutung zukommen kann. Und dass jede Einzelstudie mindestens einmal unter gleichen Bedingungen reproduzierbar gewesen sein muss, bevor man sie überhaupt als relevant zur Kenntnis nehmen kann. Hier wird die Position der Homöopathen nochmals deutlich: Sie nehmen gern in Anspruch, auf Studienergebnisse nach ihrem Gusto zu verweisen, erkennen aber die wissenschaftlichen Standards für die Aussagefähigkeit solcher Studien nicht an. Es mutet schon sehr seltsam an, die Aussagekraft des größten Meta-Reviews, das je zur Homöopathie durchgeführt wurde, mit einzelnen (Klein-)Studien zu Durchfall bei Kindern, Sinusitis und Heuschnupfen (alles selbstlimitierende oder periodisch auftretende Gesundheitsstörungen) aushebeln zu wollen.
Das ist einfach grotesk. Dazu passt, dass das Ganze auch gleich noch mit Verschwörungstheorien garniert wird, indem eine nicht näher bezeichneter geheimnisvolle Arbeit eingeführt wird, die niemand kennt, da sie nie veröffentlicht wurde. Informationsgehalt: Null. Frage an die Homöopathie-Fraktion: Quelle dieser Information? Einzelheiten? Namen? Inhalte? Möglicherweise ist auch nur eine Vorversion gemeint, deren Nichtveröffentlichung natürlich ein unverzeihliches Vergehen gegen die Homöopathie wäre …
Und ist es wirklich ein “Interessenkonflikt”, wenn ein wissenschaftlich tätiger Mediziner, auch wenn er an einem Review (also einer methodischen Bestandsaufnahme, nicht einmal einer klinischen Studie) über Homöopathie mitwirkt, keine positive Meinung von der Homöopathie hat? Und dazu die Unverschämtheit hat, einem Klub anzugehören, der sich allen Ernstes “Friends of Science in Medicine” nennt? Ja, das wäre schon toll, wenn nur überzeugte Homöopathen Studien und deren Reviews durchführen dürften… Homöopathen bei Homöopathiestudien sind kein Interessenkonflikt? Dürfen die Homöopathie-Gegner jetzt eh jede Studie ablehnen, an der ein ausgewiesener Homöopath teilgenommen hat? Keine Sorge, tun sie nicht – ist bekanntlich gar nicht nötig…
Eine glatte Unwahrheit ist – wie schon erwähnt – dass Prof. Brooks Vorsitzender der Kommission war – er war als solcher vorgesehen, hat aber selbst auf einen möglichen Interessenkonflikt hingewiesen und danach als einfaches Mitglied mitgearbeitet.
Wirklich bemerkenswert an dieser Geschichte ist eigentlich nichts. Außer dem Umstand, dass die Homöopathen neuerdings den Bürger-Kummerkasten ihrer Majestät für die Klagen über die unbelehrbaren Kritiker ihrer Methode benutzen. Sie haben mein Mitgefühl, Mr Obudsman.
Und meine Reverenz an Lord Bacon. You were right.
Nachtrag und Fazit, 2022
Im Rückblick erscheint diese erste Analyse uneingeschränkt zutreffend. Über Jahre hinweg hat das Homeopathy Research Institute im Grunde nichts anderes getan als die Geschichte von einem „unterdrückten ersten Entwurf“ zu einer weltweit verbreiteten Verschwörungstheorie auszubauen. Nie hat es das immer wieder angekündigte Analysepapier zum NHMRC-Report vorgelegt. Auf Anfrage (die es ganz direkt sogar in einem Austausch in den Sozialen Medien gab) ist man jede Antwort nach dem Warum schuldig geblieben. Stattdessen hat man das NHMRC, immerhin eine hochrangige Dienststelle der Australischen Bundesregierung, mit Manipulationsvorwürfen überzogen und dazu auch noch eine weltweite Petition gestartet.
All das ist erwartungsgemäß krachend gescheitert. 2019 veröffentliche das NHMRC dann, um der Sache ein Ende zu machen, den nicht mehr weiterverfolgten „First Draft“ des Reviews mit zahlreichen Anmerkungen zu dessen Mängeln, wegen derer er nicht weiterverfolgt wurde. Die Leiterin des NHMRC, Prof. Anne Kelso, veröffentlichte dazu einen Disclaimer. der den Sachverhalt klarstellte. Selbst danach versuchten Homöopathievertreter noch, aus dem „First Draft“, also einem Dokument aus dem Papierkorb, „Belege“ für ihre Verschwörungstheorien abzuleiten. Unsäglich.
Und das gleiche Homeopathy Resarch Institute (das vorher auch mit dem Versuch gescheitert war, Evidenzbelege für die Homöopathie durch eine Analyse der gesamten Studienlage zutage zu fördern – siehe zu den Arbeiten von Robert Mathie in diesem Blogbeitrag – tut so, als sei nichts gewesen, denkt nicht daran, seine massive Fehlleistung gegenüber dem NHMRC einmal einzugestehen und betreibt nach wie vor Homöopathielobbyismus in der vordersten Reihe. Neuerdings unterhält das HRI gar eine Filiale (oder wie man das nennen mag) in Berlin, von wo es die hiesige Homöopathielobby mit allerlei Statements und Studien versorgt, die sich meist schon beim ersten Blick als obsolet erweisen. Insbesondere HRI-Direktorin Rachel Roberts hat kein Problem damit, zu behaupten, dass gerade die qualitativ besten Studien homöopathische Wirkungen über Placebo hinaus belegen würden. Sie weiß genau, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn das kann sie im zusammenfassenden Bericht über Robert Mathies Ergebnisse auf der Webseite ihres eigenen Instituts nachlesen.
Unfassbar eigentlich. Aber sehr interessant und durchaus lohnend, zu solchen älteren Blogbeiträgen einmal den Gang der Dinge nachzutragen.
Was allerdings fassungslos macht, ist, dass der Ombudsman in Australien immer noch nicht zu einem abschließenden Urteil gekommen ist. Das NHMRC trägt es mit Fassung und weist auf seiner eigenen Webseite darauf hin – und darauf, dass er vorbehaltlos mit dem Ombudsmann zusammenarbeite. Was sonst. Letztlich bleibt für mich persönlich die Frage, ob der Ombudsmann womöglich tatsächlich der Ansicht ist, dass ein Diskurs über eine wissenschaftliche Arbeit in die Zuständigkeit einer Bürger-Beschwerdestelle fällt … ?!?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“ und wird hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht.
Von Dr. Natalie Grams
Vielleicht kennen Sie meine Geschichte schon, aber da die Diskussion um die Homöopathie derzeit wieder so intensiv geführt wird, möchte ich Ihnen gerne erzählen, was mich überzeugt hat, mit der von mir heißgeliebten Homöopathie „Schluss zu machen“.
Der wichtigste Schritt war wohl zu erkennen, was Medizin, Wissenschaft und insbesondere Naturwissenschaft überhaupt bedeuten. Ich war, wie viele Homöopathen und auch Heilpraktiker, der Meinung, damit sei etwas Schlechtes, Böses gemeint, so etwas wie die „dunkle Seite der Macht“ vielleicht. Ich begann also ein Buch zu schreiben, um „Beweismaterial“ für die Homöopathie und gegen die Wissenschaft zu sammeln. Wie viele Homöopathen dachte ich, die Beweise würden nur zurückgehalten oder verfälscht, um nicht die ganze Kraft (und damit Gefahr für die normale Medizin) dieser Heilmethode zu offenbaren. Und ich dachte natürlich auch, andere Homöopathen seien einfach nur schlechter als ich. Wenn die es nicht hinbekommen Patienten zu heilen, ist es kein Problem der Methode.
Ich war auch der Meinung, dass „Pharmakonzerne“ die Magazine wie den Spiegel kauften oder positive Forschungsergebnisse boykottierten, dass Wissenschaftler einfach „keinen Bock“ auf die Forschung über Homöopathie hätten, weil damit bestehendes Wissen bedroht wäre. Ich war mehr als alles andere davon überzeugt, dass das Wissen, dass die Homöopathie erklären würde, einfach noch nicht gefunden sei. Das Buch „Die Homöopathie-Lüge“ von Christian Weymayr und Nicole Heißmann habe ich noch als üble Diffamierung der Homöopathie gesehen. Und ich wollte den Gegenentwurf liefern.
Was daraus geworden ist, sehen sie ja an meinem Buch „Homöopathie neu gedacht“. Und an der Aufgabe meiner Praxis. Wie kam es dazu? Das Wichtigste für mich war, zu erkennen:
Wissenschaftler sind nett. Sie haben ein ehrliches Interesse daran, die Wahrheit (oder eine möglichst nahe Näherung daran) methodisch herauszufinden. Selbst wenn diese ihrem bisherigen Wissen widersprechen würde, würde es sie erst recht ermutigen, eine Hypothese zu prüfen. Wissenschaftler warten geradezu auf so etwas. Wissenschaftler wollen wissen, was die Homöopathie kann. Wissenschaftler sind auch unbestechlich, was Ihre Methoden betrifft (damit sind jetzt nicht alle als Menschen gemeint). Unendlich viel Mühe ist in die Methodik gelegt worden und diese wird keineswegs in Stein gemeißelt, sondern weiter und weiter entwickelt. Der Anspruch ist Erkenntnis.
Erkenntnisse sind nachweisbar begründete Aussagen, empirisch begründet durch systematisierte Beobachtung, deduktiv durch schlüssige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge – nicht durch Spekulation. Neues Wissen wird integriert, wo immer dies begründet werden kann. Die Wissenschaft ist nicht etwa ein Weltbild, ein Glaubenssystem oder ein Religionsersatz, sondern eine Methode, die sich dazu verpflichtet hat, herauszufinden und einfach beschreiben zu können, was ist (und nicht, was wir gerne hätten).
Naturwissenschaft dient z. B. dazu, die natürlichen Vorgänge im Menschen als Teil der Natur zu erforschen. Und diese Vorgänge sind heute (im Gegensatz zu Hahnemanns Zeiten) gut bekannt und werden mit Biologie, Physik, Chemie und Physiologie immer besser erkannt und beschrieben. Wäre die Homöopathie wahr, so wären all diese Gesetze und all dieses Wissen falsch. Es liegt also nicht daran, dass wir noch nicht wissen, wie die Homöopathie funktioniert, sondern daran, dass wenn sie so funktionieren würde, wie Homöopathen sich das vorstellen, alles andere, was wir täglich erfahren (und wissenschaftlich überprüfen können) nicht stimmen würde.
Etwas verkürzt: Die Schwerkraft ist eine Tatsache, die Lebenskraft in Hahnemanns Gedankengebäude ist eine Idee von vor 200 Jahren, die heute widerlegt ist. Die Schwerkraft gäbe es auch ohne uns Menschen, die Lebenskraft aber ist eine Vorstellung von etwas im Menschen, keine Naturgröße. Hahnemann hat sie postuliert, was wissenschaftlich gesehen einer Hypothese entspricht, wir haben sie 200 Jahre lang überprüft, und können heute mit Sicherheit behaupten: Eine solche Kraft gibt es im Menschen nicht. Wir können uns eine solche Kraft vorstellen, aber sie wird dadurch nicht zu einer Tatsache.
Die (Natur-)Wissenschaft hat sich seit Hahnemann extrem weiterentwickelt: Bakterien, Viren, physiologische Zusammenhänge, Hormonregulation, DNA-Sequenzierung, psychologische Zusammenhänge, die Psychosomatik – das alles und vieles mehr kannte und wusste Hahnemann nicht. Und während keiner von uns heute auf Handy, Computer, Internet, Schlaganfall-Therapie oder Notfallmedizin verzichten möchte, tun wir bei der Homöopathie so, als seien ihre Erkenntnisse „up to date“.
In vielem war Hahnemann zweifellos ein Vordenker seiner Zeit und allein seine Abkehr von der sogenannten heroischen Medizin, war ein Segen für viel Menschen und für die Medizin insgesamt. Dafür gebührt ihm auch heute noch Ehre. Aber die drei Haupt-Säulen seiner Homöopathie, die er als Gegenmodell entwickelte, sind heute wissenschaftlich widerlegt: es gibt kein Ähnlichkeitsprinzip, die Potenzierung macht keinen Sinn und die Arzneimittelprüfung ist alles Mögliche, aber keine strenge und sinnvolle Prüfung.
Homöopathen werfen den Wissenschaftlern ja immer vor, sie sollten erstmal nachweisen, dass die Homöopathie nicht wirke. Man nennt das auch Beweislastumkehr. Es kann jedoch leider nie bewiesen werden, dass etwas nicht funktioniert/vorhanden ist (Unmöglichkei des Nichtbeweises). Es gibt dazu ein berühmtes Beispiel: Sie werden nicht beweisen können, dass es Einhörner nicht gibt. Denn in irgendeinem Keller könnte ja theoretisch eins eingesperrt sein oder Sie gucken gerade am falschen Ort. Sie müssten aber andererseits, wenn Sie behaupten, es gibt Einhörner, eines vorweisen können.
Die Homöopathie behauptet also nun, dass die Homöopathie wirke (über Kontext-Effekte wie u.a. Placebo hinaus). Kann aber genau dies nicht vorweisen/nachweisen/belegen – im Gegenteil jede seriöse Studie und vor allem jede der großen zusammenfassenden Arbeiten (Reviews) zeigt, dass ihr Effekt dem Placebo-Effekt entspricht. Darüber hinaus kann die Homöopathie nach den Maßstäben unserer heutigen Wissenschaft noch nicht einmal sagen, wie sie wirken könnte. Das macht die Sache eigentlich klar. Doch die Homöopathen behaupten konsequent etwas anders und tun so, als müssten die Kritiker das Einhorn (das nicht gezeigt werden kann) endlich anerkennen.
Den Punkt „Ich sehe doch, dass es geholfen hat“, den kenne ich auch nur zu gut. Ich habe „Wunderheilungen“ erlebt bei Kindern, Schwerstkranken, Aufgegebenen. Nicht täglich, aber weitaus häufiger als ab und zu. Und es ist unheimlich schwer gewesen, einzusehen, dass und warum zwischen Globuli-Gabe als Arzneimittel-Gabe und einer Verbesserung kein Zusammenhang, keine Kausalität, hergestellt werden kann. Auch hier musste ich erst den Begriff und die Bedeutung der Kausalität verstehen und warum empirische Erhebungen (Umfragen, Fallberichte) oder persönliche Erfahrungen nicht dazu geeignet sind, eine Aussage über die Wirksamkeit der Homöopathie zu treffen.
Was mir wohl am schwersten gefallen ist, war zu akzeptieren, dass Anekdoten (also einzelne Erfahrungen, auch viele, wenn sie unsystematisiert „aufgehäuft“ werden, was Immanuel Kant „nur uneigentlich so genanntes Wissen“ nannte) komplett wertlos sind, wenn es darum geht ein Verfahren und seine Wirksamkeit allgemeingültig zu beurteilen. Natürlich macht es Eindruck, wenn man meint, an seinem Baby eine wundervolle Heilung „durch“ Homöopathie erlebt zu haben. Oder wenn einem die Nachbarin erzählt, dass sie nach dem Gang zum Homöopathen ihre langjährige Neurodermitis endlich und völlig überraschend losgeworden sei. Solche Geschichten bleiben auch hängen und es fällt schwer, ihnen nicht automatisch Glauben zu schenken.
Mir ist es jedenfalls schwergefallen, zu erkennen, dass einzelne Erfahrungen immer auch Zufall sein oder andere Gründe haben können. Und dass diese Zufälle und anderen Einflussfaktoren zwar weitaus weniger spektakulär, aber viel wahrscheinlicher sind, um die „Erfolge“ der Homöopathie zu erklären. Um genau solche Fehler zu vermeiden, haben wir in der Medizin ja die Studien. Sie lassen Beurteilungen zu, ob ein Verfahren nur zufällig Einzelnen hilft (oder zu helfen scheint …), oder ob eine allgemeine, reproduzierbare und dami vorhersagbare (!) Wirksamkeit über einzelne Zufälle und Placeboeffekte hinaus vorhanden ist. Bei der Homöopathie ist dies nachweislich nicht der Fall. Das hat mich letztlich überzeugt.
Alles in allem war es ein schwerer Weg, der auch von mir nicht von heute auf morgen zu bewältigen war. Denn es ist so viel leichter, eine Meinung ohne wirkliche Ahnung zu haben, als sich eine Ahnung von Wissen zu erarbeiten.
Wie sicher schon viele aus den Medien erfahren haben, hat die Russische Akademie der Wissenschaften die Homöopathie offiziell als Pseudomedizin eingestuft und dem dortigen Gesundheitsministerium nahegelegt, Maßnahmen zu ergreifen mit dem Ziel, die Homöopathie aus dem öffentlichen Gesundheitssystem zu entfernen. Das Ministerium hat wohl bereits zugesagt, entsprechend zu verfahren. Ich zitiere hier die Pressemitteilung der Akademie der Wissenschaften (in meiner Übersetzung):
Hauptgebäude der RAS in Moskau, im Volksmund genannt „Goldenes Hirn“
Pressemitteilung Die Kommission zur Bekämpfung von Pseudowissenschaften am Präsidium der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAS) hat ein Memorandum „Über die Pseudowissenschaft Homöopathie“ herausgegeben. Das Dokument besagt: “Die Behandlung mit ultraniedrigen Dosen in homöopathischen Mitteln hat keine wissenschaftliche Grundlage und damit keine Rechtfertigung.” Die Kommission empfahl dem Ministerium für Gesundheit, alle homöopathischen Arzneimittel aus öffentlichen Kliniken zurückzuziehen und über Maßnahmen der Kartellbehörde die Bürger davor zu schützen, dass ihnen das Vorhandensein „therapeutischer Eigenschaften“ solcher Mittel suggeriert wird. Das Gesundheitsministerium hat zugesagt, auf die Argumente des Memorandums zu reagieren, sobald sie diese auf offiziellem Wege erhalten hat.
Das ist insofern nicht nur von hoher, sondern von höchster Bedeutung auch für das Grundanliegen dieses Blogs, als dass das Memorandum mit Gutachten exakt der Argumentationslinie der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft folgt und auch die wesentlichen Belege, die zur international weitestgehend konformen Einstufung der Homöopathie als Scheintherapie führen, seiner eigenen Argumentation zugrunde legt. Demzufolge wäre es auch völlig unangemessen, das russische Statement etwa als exotisch abzutun: Es ist auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnis, argumentiert völlig zutreffend und tritt damit an die Seite der Länder, die längst die fälligen Konsequenzen für ihre Gesundheitssysteme gezogen haben.
Bemerkenswert ist zudem, dass damit in Russland eine seit rund 20 Jahren existierende Verankerung der Homöopathie im öffentlichen Gesundheitssystems ausdrücklich rückgängig gemacht wird, unter Hinweis darauf, dass es bereits damals an einer wissenschaftlich haltbaren Begründung für eine solche Etablierung gefehlt hat. Hut ab.
In Kürze wird das Informationsnetzwerk Homöopathie auf seiner Webseite weitergehend berichten und eine deutsche Übersetzung des Memorandums und des zugehörigen Gutachtens einer hochkarätigen Wissenschaftskommission vorstellen. Lesebefehl!
Bildnachweis: Photograph, with permission, by Nataliya Sadovskaya, aus: Gelfand M: Doing Science in Uncertain Times. PLoS Biol 2/7/2004: e214. doi:10.1371/journal.pbio.0020214, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1374399
Liebe Leser, fast jeder kennt Meditonsin. Das am meisten verbreitete Scheinmedikament gegen Erkältung. Sogar für Säuglinge empfohlen, da eh ohne Wirkung und ohne Nebenwirkung. Zur Beruhigung quengelnder Erkältungskinder durchaus geeignet, da eine häufig wiederholte Gabe völlig problemlos möglich ist, sieht man einmal von der Wirkung der 6 % Volumenalkohol ab. Nur nebenher – die Ursubstanzen von Meditonsin sind Quecksilbercyanat, blauer Eisenhut und Tollkirsche. Unverdünnt genommen, bräuchte sich niemand mehr Sorgen um seine Erkältung zu machen.
Wohl im Zusammenhang mit der Markteinführung der Meditonsin-Globuli (bisher gab es nur Tropflösung) läuft eine Marketing-Offensive des Herstellers. Da kann man dann in regionalen Qualitätsblättern beispielsweise folgendes lesen (als redaktionellen Beitrag, nicht als Anzeige):
” … Um die Wirksamkeit eines der bekanntesten Homöopathika gegen Erkältungskrankheiten (Meditonsin, rezeptfrei in Apotheken) zu bestätigen, untersuchten Mediziner des Forschungsinstituts HOT Screen aus Reutlingen unter Einsatz modernster Zellkultur-Technik dessen Wirkung auf das menschliche Immunsystem. Die Ergebnisse waren eindeutig. Schon geringste Konzentrationen des enthaltenen homöopathischen Trikomplexes (darunter verstehen Experten drei sich ergänzende… homöopathisch aufbereitete Naturstoffe) reichten aus, um eine ausgeprägte Aktivierung bestimmter für die Immunabwehr wichtiger Botenstoffe zu bewirken. Der Körper hilft sich auf diese Weise selbst, eingedrungene Erkältungsviren schneller und effektiver anzugreifen und auszuschalten. Der untersuchte Trikomplex ist das bei weitem am häufigsten verwendete homöopathische Erkältungsmittel in Deutschland und steht seit Kurzem auch in Form homöopathischer Erkältungs-Globuli (Streukügelchen) zur Verfügung …”.
Hä? Komplexmittel? Viren ausschalten? Wirkung auf das Immunsystem? Sollten wir den Durchbruch der Homöopathie zur hochwirksamen Medizin erleben dürfen?
Gemach.
Auf die Bitte an das genannte Forschungsinstitut, eine Kopie der Studie zur Verfügung zu stellen bzw. eine Fundstelle dafür anzugeben, teilt die Firma -ein durchaus seriöses Haus, das sei ausdrücklich angemerkt- mit, es habe sich um eine Auftragsstudie gehandelt, die wegen der Rechte des Auftraggebers daran nicht an Dritte weitergegeben werden könne. Man habe weder Einfluss auf noch Kenntnis darüber, ob und in welcher Form der Auftraggeber die Studie für seine Zwecke nutze. Nun gut, da kann man nichts machen. Außer Zweifel hegen, natürlich. Die keineswegs geringer werden durch diese Auskunft.
Auch dieser Artikel preist das Remedium mit Superlativen, die den Eindruck erwecken, über dieses Erkältungsmittel sei nun endlich, endlich der wissenschaftliche Durchbruch für die Homöopathie erreicht… So taucht auch hier wieder die Aussage auf, dass …
“ … aktuelle Daten dafür sprechen, dass dieser homöopathische Tri-Komplex gegen die typischen Erkältungssymptome wirkt und durch das ganzheitliche homöopathische Wirkprinzip die körpereigenen Abwehr- und Selbstheilungskräfte unterstützt.”
Aber damit gibt sich die Arbeit hier nicht zufrieden. Sie will mit den Ergebnissen einer “Anwendungsbeobachtung” diese bemerkenswerten, aber leider nicht nachvollziehbaren Angaben stützen.
Und genau dabei gerät sie aufs Glatteis, der Jahreszeit angemessen.
Was hat man sich nun hier unter einer Anwendungsstudie vorzustellen? Lassen wir sie selbst sprechen:
“Bundesweit wurden insgesamt 1173 Patienten in 188 Apotheken rekrutiert. Davon konnten die Fragebögen von 1115 Patienten ausgewertet werden. Knapp 70 Prozent dieser Patienten waren Frauen, circa 30 Prozent Männer. Das durchschnittliche Alter ± Standardabweichung (SD) betrug 40,2 ± 16,6 Jahre. Der jüngste Studienteilnehmer war ein Jahr alt, der älteste 88 Jahre. Für die meisten Patienten waren die »gute Wirkung« (81,3 Prozent) und die »gute Verträglichkeit« (74,4 Prozent) wichtige Gründe, warum sie sich für die Anwendung des Komplexhomöopathikums entschieden hatten. Insgesamt 723 der 1115 Patienten (64,8 Prozent) gaben an, Meditonsin bereits in der Vergangenheit eingenommen zu haben.”
Aha. Die “Studie” bestand also darin, in Apotheken Fragebögen an Schnupfenpatienten zu verteilen und wieder einzusammeln. Und zwar solche, die ganz offensichtlich bereits zugunsten des Mittels Meditonsin prädisponiert waren (immerhin hatten sie sich aus “wichtigen Gründen” selbst für Meditonsin “entschieden”). Zudem unstrukturiert, weder nach Alter, Geschlecht und insbesondere nicht nach (diagnostiziertem) Krankheitszustand vergleichbar. Zudem auf der Basis einer Selbsteinschätzung, also ohne jeden objektivierenden Aspekt. Und wo sind die Leute von der Vergleichsgruppe, die bei gleicher Symptomatik kein Meditonsin nahmen, mit ihren Fragebögen? …
Was da wohl herauskommen mag, fragt man sich. Aber eigentlich liegt es auf der Hand:
“Die apothekenbasierte Beobachtungsstudie bestätigt die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Meditonsin im Alltag, was sich in einer hohen Patientenzufriedenheit widerspiegelt. Alle Erkältungsbeschwerden zeigten eine deutliche Besserung im Verlauf der Erkrankung. Dabei verbesserten sich die Leitsymptome im Schnitt bereits ab dem zweiten Tag nach Beginn der Behandlung. Das Prüfpräparat wurde durchschnittlich über einen Zeitraum von 6,4 Tagen eingenommen. Die Einnahme wurde meist deshalb beendet, weil die Symptome »ausreichend gebessert« waren oder weil sich die Patienten wieder »gesund« fühlten. Die Studienmedikation war sehr gut verträglich. Es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf.”
Lässt man mal den ganzen Detailkram drumherum weg und berücksichtigt man, dass der Einnahmebeginn nach Angaben der “Studie” zwischen einem und drei Tagen nach Symptombeginn lag, ist das Ergebnis so was von eindeutig. Aber so was von:
Ohne Behandlung dauert die Erkältung eine Woche. Mit Behandlung etwa sieben Tage.
Unglaublich, echt. Da soll mal einer was gegen die Wissenschaft sagen… Die “Original-Veröffentlichung” in der Pharmazeutischen Zeitung stammt übrigens vom Hersteller selbst.
Nun mal ganz ernsthaft: Ein eigentlich unglaubliches Beispiel, wie dem Publikum heiße Luft als Werbung für heiße Luft um die Ohren geblasen wird.
Nachtrag:
Nach entsprechender Kommentierung im eingangs erwähnten Regionalblatt führte der Versuch, den Artikel und die (erfreulicherweise ganz überwiegend kritischen) Kommentare erneut aufzurufen, zu folgendem Ergebnis:
Und wer gern noch erfahren möchte, welche Kreise dieser kleine Beitrag letztlich noch gezogen hat, der findet die ganze Geschichte bei „Susannchen braucht keine Globuli„, der Familienseite des Informationsnetzwerks Homöopathie!
Den an meinem Blog Interessierten wird nicht entgangen sein, dass das Informationsnetzwerk Homöopathie und der GWUP-Wissenschaftsrat sich mit einem offenen Brief deutlich gegen die Homöopathie-Propaganda zur Wehr setzen, die an der “exzellenten” Ludwig-Maximilians-Universität München stattfindet – konkret durch die Ankündigung einer Ringvorlesung in Zusammenarbeit mit dem DZVhÄ, die eine ganze Reihe “homöopathischer Behandlungsansätze” für eine Reihe von -teilweise massiven- Krankheitsbildern vorstellt.
Erfreulicherweise hat dieser offene Brief ein deutliches Medienecho gefunden, wobei der Fairness halber darauf hingewiesen sei, dass als erster Dr. Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung auf die erneute Ankündigung einer solchen Veranstaltung an der LMU kritisch hingewiesen hat.
Nun ja. Bleibt ja gar nichts für diesen Blog. Nichts? Oh, die Deutsche Apotheker Zeitung nimmt sich der Sache ebenfalls an und berichtet auch über die Stellungnahme der Pressestelle der LMU. Da sollte sich doch was zum Kommentieren finden lassen… auch unter dem Aspekt, wie verräterisch Sprache im Hinblick auf die dahinterstehende Einstellung sein kann.
Was sagt nun die Uni?
„Die Homöopathie ist eine komplementärmedizinische Behandlungsmethode, die auf dem Prinzip ‚similia similibus curentur‘ beruht“.
Bis auf den Begriff “komplementärmedizinisch” könnte man den Satz ja als zumindest nicht falsch hinnehmen, abgesehen von seinem etwas begrenzten Informationsgehalt. Die Methode beruht ja schließlich noch auf einigen anderen Dingen. Und wieder die alte, bereits im ursprünglich allerersten Beitrag (inzwischen überarbeitet und präzisiert) meines Blogs beantwortete Frage: Was um Himmels Willen ist eine “komplementärmedizinische Methode”?
„Sie wird kritisch diskutiert, da bis heute keine naturwissenschaftliche Begründung einer über einen Placebo Effekt hinausgehende Wirksamkeit belegbar ist.“
Dass die angekündigte Ringvorlesung irgendetwas mit einer kritischen Diskussion zu tun hat, erschließt sich auch dem unvoreingenommenen Betrachter keineswegs. Methodenunkritischer kann man eine universitäre Veranstaltung wohl kaum anlegen. Auch an anderer Stelle vermisst man die wirkliche methodenkritische Auseinandersetzung mit der Homöopathie, nämlich im Rahmen des Wahlpflichtfachs gleichen Namens im regulären Medizinstudium.
Und mal wieder: “Belegbar.” Es muss heißen: “Nicht belegt”, denn “belegbar” suggeriert lediglich, dass man sozusagen auf den nah bevorstehenden erlösenden Moment warte, an den das große “Heureka!” der homöopathischen “Forschergemeinde ” ertönt. Suggestiver kann man kaum formulieren. Nämlich in die Richtung, es läge an der Wissenschaft und nicht an der Homöopathie, dass ihre Wirksamkeit “noch” nicht “belegbar” sei.
Noch genaueres Hinsehen aber offenbart eine rabulistische Spitzfindigkeit, die man so gar nicht erwartet hätte. Was bedeutet denn, “…keine naturwissenschaftliche Begründung einer … Wirksamkeit” sprachlich? Genau, es postuliert mal eben so im Vorbeigehen auch noch das Vorliegen einer solchen Wirksamkeit, für das eben einfach nur noch die “naturwissenschaftliche Begründung” fehle! So wird durch eine einfach sprachliche Wendung mal eben die Existenz der Wirksamkeit der Homöopathie vorausgesetzt, nur -leider- kenne man den Wirkungsmechanismus noch nicht… Damit wird die Homöopathie sozusagen im Vorbeigehen auf das Niveau einer ganzen Reihe von evidenzbasierten Mitteln und Methoden gehoben, die hochwirksam und im täglichen Einsatz sind, gleichwohl der Wirkungsmechanismus nicht oder nicht vollständig bekannt ist. Ich will hier gar nicht von Unredlichkeit sprechen. Aber eine solche Formulierung sollte doch der Pressestelle einer hochangesehenen Universität eigentlich nicht ungewollt entschlüpfen. Man sollte doch erwarten können, dass hier korrekt von „nicht belegt“ gesprochen wird.
200 Jahre kein Beleg, aber es wird “kritisch diskutiert”… seufz…
“Eine Veranstaltung zur Homöopathie anzubieten bedeutet entsprechend nicht, dass die Homöopathie in den gleichen Rang wie die evidenzbasierte Medizin erhoben wird.”
Das wollen wir ja nun eigentlich nicht hoffen. Allerdings – bezogen auf die konkret kritisierte Ringveranstaltung tut die LMU geschieht genau das eben doch. Wie anders soll ich eine durchgängig unkritische “Präsentation” von “homöopathischen Ansätzen” in der Ringvorlesung denn sonst interpretieren? Sie ist mit dem Angebot einer Kaffeefahrt eher zu vergleichen als mit universitärer kritischer Methodenlehre.
Viele Patienten verbinden mit komplementärmedizinischen Therapien große Hoffnungen, Die klinische Medizin kann sich daher auch nicht auf eine rein naturwissenschaftliche Perspektive begrenzen.“
Jetzt wird es richtig ärgerlich. Es sollte ja wohl die Aufgabe universitärer Lehre in der Medizin sein, dem Entstehen solcher falscher Hoffnungen und damit dem Risiko, dass sich Patienten unwirksamen und / oder schädlichen Verfahren zuwenden, in aller Deutlichkeit entgegenzuwirken. Statt dessen wird aus diesem bedauerlichen Umstand der Schluss gezogen, “die klinische Medizin könne sich daher auch nicht auf eine rein naturwissenschaftliche Perspektive begrenzen”? In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Ringvorlesungen jedermann, auch Nichtmatrikulierten, offenstehen – zweifellos auch Menschen, die damit erst recht zu unbegründeten Hoffnungen verleitet werden.
Ein Offenbarungseid allererster Güte. Damit sind doch alle halbherzigen Relativierungen, die sich so durch die Stellungnahme der LMU-Pressestelle ziehen, komplett vom Tisch gefegt. Auch die Behauptung, man setze sich “kritisch” mit Komplementärmedizin (ich hasse dieses Wort…) auseinander. Denn die kritische Auseinandersetzung gehört zweifellos zur naturwissenschaftlichen Perspektive – die man ja gern entgrenzen möchte.
Löst Hogwarts an der Isar jetzt Hogwarts an der Oder ab?
“Komplementärmedizinische Themen seien im Medizinstudium verankert und damit prüfungsrelevant für das Staatsexamen…“
…in der Form, wie sie hier propagiert und verteidigt werden, schlimm genug…
“… zudem müssen die Absolventen im klinischen Alltag diskussionsfähig sein auch hinsichtlich umstrittener Heilverfahren.”
Dem stimme ich aus ganzem Herzen zu, das ist auch eine zentrale Forderung des offenen Briefes von INH und GWUP. Nur wie die LMU das mit ihrer auch in der Pressemitteilung deutlich werdenden durchweg unkritischen Haltung zur Homöopathie leisten will, bleibt eines der großen Geheimnisse dieses Universums. Da bedürfte es sicher erst einmal einer Neujustierung.
„Wenn am Klinikum der LMU komplementärmedizinische Behandlungsmethoden zum Einsatz kommen, werden sie immer nur in Ergänzung evidenzbasierter Methoden angewendet – niemals an deren Stelle.“
Ah ja. Und welche belastbaren Schlüsse hinsichtlich der Wirksamkeit der Homöopathie will man ziehen, wenn sie ergänzend zu evidenzbasierten Methoden eingesetzt wird? Daran ist bis jetzt noch jede Studie gescheitert, die sich daran versucht hat (z.B. die Sepsis-Studie von Prof. Frass, Wien). Ganz abgesehen von der Kleinigkeit, dass kaum etwas frasser… äh, krasser der Hahnemannschen Lehre widerspricht als eine parallele -ach, sagen wir ruhig mal komplementäre – Behandlung mit Homöopathie und evidenzbasierter Medizin. Das kann man auf diesem Blog beispielsweise schon eine ganze Weile nachlesen.
“Ziel eines Pilotprojektes ‘Integrative Pädiatrie’ am Dr. von Haunerschen Kinderspital ist es, die wissenschaftstheoretischen Grundlagen zu erörtern und klinische Studien zu initiieren. Dies entspricht unserem akademischen Auftrag, die Phänomene der Natur und der Medizin einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.“
Ah ja. Was soll man jetzt dazu sagen. Schon 2015 hat das Laborjournal recherchiert, dass nach 20-jährigem Pilotprojekt (…) keine einzige wissenschaftliche Studie aus den homöopathischen Bemühungen am von Haunerschen Kinderspital hervorgegangen ist. Von einer Erörterung der wissenschaftlichen Grundlagen der Methode ist mir auch nichts bekannt. Wie auch. Sie hat keine wissenschaftlichen Grundlagen. Einen speziellen Kommentar zum allerletzten Satz erspare ich mir.
Was für eine schwache Vorstellung. Da bleibt nur noch ein Zitat des guten alten Louis Pasteur: “Die größte Störung des Geistes ist, an etwas zu glauben, weil man will, dass es so sei.”