
Kommen wir nun zu einem kleinen Fazit.
Nun mag man ja sagen, gut und schön, einleuchtende Beispiele, aber was spricht denn grundsätzlich gegen den Versuch, eine alte Hypothese mit neuzeitlichen Kenntnissen beweisen zu wollen?
Anschläge auf Samuel Hahnemann
Nun, es spricht vor allem dann Grundsätzliches dagegen, wenn die „Beweisführungen“ die zu beweisende Hypothese in sich und in ihrem Zusammenhang zerstören. Hahnemanns homöopathische Lehre ist ein nicht vollständig konsistentes, aber als Fortführung des Grundgedankens des Ähnlichkeitsprinzips doch teils in sich schlüssiges, wenn auch auf falschen Prämissen beruhendes Gedankengebäude. Es macht insofern nur Sinn, von Homöopathie zu sprechen, wenn der verbliebene innere Zusammenhalt, die Schlüssigkeit – die (innere) Konsistenz – dieses Gebäudes nicht noch mehr aufgebrochen und ganz oder teilweise in Frage gestellt wird als dies schon der Grundlehre innewohnt. Genau dazu führen aber alle Versuche von „Beweisen“ einzelner Theorieteile und „Weiterentwicklungen“ nach den Grundsätzen freien Künstlertums. Dies sind nämlich nur untaugliche Versuche, Hahnemanns Hypothese mit einzelnen Bedeutungsinhalten zu unterfüttern, die er selbst ohne Zweifel zurückgewiesen hätte. Und nicht etwa die Ausbildung einer sich konsistenten Weiterentwicklung.
„Forschung“ als Rosinenpickerei
Nehmen wir doch die -sämtlich gescheiterten oder unbewiesen gebliebenen – Versuche, ein „Wassergedächtnis“ nachzuweisen, in Verdünnungen oberhalb 1023 „Nanopartikel“ zu finden, elektromagnetische „Schwingungen“ zwischen zwei benachbarten potenzierten Lösungen zu detektieren, womöglich unter Anrufung der Quantentheorie, und manches mehr. Denkt man einmal über diese Ansätze nach, kommt man zu dem Ergebnis, dass sie eigentlich Angriffe auf Hahnemanns Homöopathie darstellen. Es wird ja geradezu angestrebt, beispielsweise durch Nachweisversuche materieller Wirkungen die gedankliche Grundlage Hahnemanns, die Regulierung der geistigen Lebenskraft mit ebenso geistartigen Kräften im homöopathischen Mittel, zu widerlegen. Hahnemann lehnte die ständigen Einwände der “Atomisten”, die es durchaus zahlreich zu seiner Zeit gab, strikt ab. Von einer wissenschaftlichen Beweisführung zugunsten von Hahnemanns Hypothesen sind diese Versuche meilenweit entfernt. Hier wird doch nicht versucht, im wissenschaftlichen Sinne eine Theorie durch Falsifizierung und Erkenntnisgewinn weiterzuentwickeln – vielmehr wird an die Grundlagen von Hahnemanns Gedanken die Axt angelegt. Damit hat doch das ganze Gebäude mit der Bezeichnung „Homöopathie“ gar keine Existenzberechtigung mehr. Was für ein Irrweg! „Forschung“ als Rosinenpickerei auf Kosten des Kuchens. Eher Widerlegung als Bestätigung.
Samuel, die machen alles kaputt!
Auf einem niedrigeren Niveau finden wir das Gleiche bei den Komplexmittelverfechtern, bei den Selbstbehandlern, bei den komplementären Homöopathen, bei den Tierhomöopathen – alle brechen, wie gezeigt wurde, mit wesentlichen Teilen der Hahnemannschen Systematik, und verwandeln sie damit in eine Abbruchbaustelle. Sie nutzen Hahnemanns Homöopathie nur noch als Folie für ihre Fantastereien – und merken es wohl nicht einmal.
An die Stelle einer wissenschaftlichen Weiterentwicklung durch das Erkennen von Irrtümern und deren Ersetzen durch neuere Erkenntnisse tritt eine Beliebigkeit, die mich an die Nutzung des Colosseums durch die römische Bevölkerung der Spätantike als Steinbruch erinnert. Jede Bruchbude wurde stolz als “Weiterentwicklung des Colosseums” verkauft, aber mit dem Colosseum selbst war nichts mehr anzufangen…
Die Statik reicht einfach nicht
Letzten Endes ist auch das -und hier schließt sich der Kreis- ein Beleg dafür, dass die Homöopathie als Theoriegebäude eben nicht entwicklungsfähig ist, denn ihre Grundannahmen und deren untrennbarer Zusammenhang erweisen sich nicht als trag- oder ausbaufähig. Beweisversuche, wie sie die Homöopathie-Lobby seit geraumer Zeit unternimmt, zielen im Grunde darauf ab, einzelne Teile des Gebäudes dadurch zu stützen, indem man andere preisgibt – und damit das ganze Haus unbrauchbar macht. Nur mal angenommen, es würden tatsächlich physiologisch wirksame Agenzien welcher Art auch immer in hochpotenzierten Lösungen nachgewiesen – wo bleibt dann das Konzept der Regulierung der geistigen Lebenskraft durch immaterielle Wirkungen? Können das Simile-Prinzip, die Arzneimittelfindung und die Potenzierung weiter erhalten bleiben? Muss die Berufung auf Hahnemann womöglich ganz aufgegeben werden? Oder landet man womöglich im Ergebnis schlicht nur bei einer leichten Modifizierung der modernen Pharmakologie? Das wäre ein Ding …
Ach ja, bevor wir es vergessen: Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt / Kontexteffekte hinaus. Egal ob mit oder ohne „Forschung“ und „Weiterentwicklung“.
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